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Experimentalvortrag AC: Wasserstoffperoxid – zwischen ... · großtechnischen Darstellung...

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Philipps-Universität Marburg Fachbereich 15: Chemie Übung: Experimentalvorträge für Studierende des Lehramts Leitung: Herr Dr. Reiß, Herr Prof. Dr. Neumüller Sommersemester 2019 Referent: Johannes Bulle ([email protected]) Datum des Vortrags: 26.06.2019, 12.30 Uhr Experimentalvortrag AC: Wasserstoffperoxid – Zwischen (Redox)Chemie und Alltag
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Page 1: Experimentalvortrag AC: Wasserstoffperoxid – zwischen ... · großtechnischen Darstellung (Anthrachinon- bzw. Isopropanolverfahren) an inkl. eines kurzen Blicks in die Historie

Philipps-Universität Marburg

Fachbereich 15: Chemie

Übung: Experimentalvorträge für Studierende des Lehramts

Leitung: Herr Dr. Reiß, Herr Prof. Dr. Neumüller

Sommersemester 2019

Referent: Johannes Bulle ([email protected])

Datum des Vortrags: 26.06.2019, 12.30 Uhr

Experimentalvortrag AC:

Wasserstoffperoxid –

Zwischen (Redox)Chemie und Alltag

Page 2: Experimentalvortrag AC: Wasserstoffperoxid – zwischen ... · großtechnischen Darstellung (Anthrachinon- bzw. Isopropanolverfahren) an inkl. eines kurzen Blicks in die Historie

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Wasserstoffperoxid – zwischen (Redox)Chemie und Alltag.................................. 2

Leitfrage 1: Woher H2O2?

Versuch 1: Herstellung & Nachweis ....................................................................................... 3

Industrielle Herstellung von Wasserstoffperoxid ................................................................... 7

Kurzer Überblick zur Historie des Wasserstoffperoxids ......................................................... 9

Leitfrage 2: Wie reagiert H2O2? (Redox-Amphoterie)

Versuch 2: Oxidierende Eigenschaften (Oxidation von Tartrat-Ionen) .................................. 9

Versuch 3: Reduzierende Eigenschaften (Reduktion von Permanganat) ............................. 13

Versuch 4: Katalytische Zersetzung durch Fe3+ (Demo) ....................................................... 17

Zwischenfazit: Wasserstoffperoxid – ein chemischer Steckbrief ......................................... 25

Leitfrage 3: Wo(zu) H2O2?

Versuch 5: Bleichende Eigenschaften: Deinking von Altpapier (Demo) ............................... 26

Anwendungen von Wasserstoffperoxid in Technik & Alltag ................................................ 30

Versuch 6: Tintenkiller .......................................................................................................... 31

Didaktisch-methodische Analyse ............................................................................................ 35

Fazit .......................................................................................................................................... 36

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Einleitung: Wasserstoffperoxid – Zwischen (Redox)Chemie und Alltag

Das Thema „Wasserstoffperoxid“ scheint in mehrfacher Hinsicht lohnenswerte Perspektiven

innerhalb des schulischen Chemieunterrichts zu eröffnen: Einerseits bietet sich die explizite

Thematisierung von H2O2 bereits aus fachimmanentem Fokus an, insofern die Chemie des

Wasserstoffperoxids – die zum größten Teil eine Redox-Chemie darstellt – an sich bereits eine

interessante Vielfältigkeit offenbart und insofern eine Vielzahl potentiell lohnenswerter Lern-

gelegenheiten (insb. zum Thema Redox) offeriert; im Zentrum eines entsprechenden eher in-

nerfachlichen Interesses steht dabei insbesondere die Redox-Amphoterie als möglicherweise

wichtigste Eigenschaft des H2O2, stellt sie doch den maßgeblichen Grund dafür dar, dass die

Chemie des Wasserstoffperoxids ebenjene ausgeprägte chemische Vielfältigkeit im besonde-

ren Maße aufweist. Darüber hinaus erscheint das Thema Wasserstoffperoxid als inhaltlicher

Gegenstand in der Schule jedoch auch dadurch von Bedeutung, dass H2O2 in mehreren alltäg-

lichen Anwendungskontexten sowohl im großtechnischen Rahmen (industrieller Einsatz) wie

auch in eher haushaltsüblichen (Klein-)Anwendungen eine wichtige Rolle spielt (vgl. hierzu

Versuch 5/6) – eben diese ausgeprägte Lebensweltbezogenheit des Themas erscheint daher

als wertvolles Komplement zur eher innerfachlichen Betrachtung (s.o.) und lässt somit eine

diesbezügliche synergetische Verschränkung beider Perspektiven potentiell didaktisch frucht-

bar und damit schulisch anschlussfähig erscheinen. Dies wurde nicht zuletzt auch versucht im

(Unter-)Titel des Experimentalvortrags „Zwischen (Redox)Chemie und Alltag“ zum Ausdruck

zu bringen.

Als „roten Faden“ bot es sich sinnvollerweise an, drei zentrale Fragen an das Thema „Wasser-

stoffperoxid“ zu richten, die zugleich als Leitfragen eine innere Kohärenz bzw. nachvollzieh-

bare Gliederung (s. nachfolgende Darstellung) des Vortrags ermöglichen sollten:

1. Woher H2O2?

- Versuch 1: Herstellung im Labor-Maßstab & Nachweis

- Industrielle Herstellung u. Historie des H2O2

2. Wie reagiert H2O2? (Redox-Amphoterie)

- Versuch 2: Oxidierende Eigenschaften (Oxidation von Tartrat)

- Versuch 3: Reduzierende Eigenschaften (Reduktion von Permanganat)

- Versuch 4: Katalytische Zersetzung durch Fe3+ (Demo)

- Zwischenfazit: H2O2 – ein chemischer Steckbrief

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3. Wo(zu) H2O2?

- Versuch 5: Bleichende Wirkung: Deinking von Altpapier (Demo)

- Einsatzgebiete von H2O2 großtechnisch und alltäglich

- Versuch 6: Die Chemie des Tintenkillers

Im ersten Abschnitt des Vortrags (Woher H2O2?) sollte, gewissermaßen als Grundlegung für

alles Folgende, eingangs die Frage geklärt werden, wie Wasserstoffperoxid überhaupt herge-

stellt werden kann: Wurde dies in Versuch 1 zunächst im Labor- bzw. auch Schulmaßstab ex-

perimentell vorgeführt (inkl. Nachweis), so schlossen sich einige Bemerkungen zur heutigen

großtechnischen Darstellung (Anthrachinon- bzw. Isopropanolverfahren) an inkl. eines kurzen

Blicks in die Historie des Wasserstoffperoxids. Nach der auf diesem Wege erfolgten Herstel-

lung sollte sodann im zweiten Abschnitt (Wie reagiert H2O2?) die eigentliche Chemie des H2O2

näher in den Fokus rücken: Hierzu wurde in Versuch 2 & 3 zunächst die zentralste Eigenschaft

des H2O2, die Redox-Amphoterie (s.o.), experimentell verifiziert, um anschließend (Versuch 4)

mit der Metastabilität bzw. der katalytischen Zersetzung einen weiteren wichtigen Aspekt des

Wasserstoffperoxids näher zu betrachten; als Demo-Versuch wurde hier neben einer qualita-

tiven zugleich auch eine quantitative (hier: reaktionskinetische) Auswertung des Versuchs in-

tendiert (u.a. Bestimmung der Geschwindigkeitskonstante kr). All dies mündete schließlich in

eine vorläufige Zusammenschau („chemischer Steckbrief“). Im dritten und letzten Abschnitt

(Wo(zu) H2O2?) sollte sodann schließlich mit dem Deinking von Altpapier (Versuch 5) bzw. der

Chemie des Tintenkillers (Versuch 6) auch die Verwendung des H2O2 (analog zum titelgeben-

den „Alltag“) näher thematisiert werden: Gerade die Komplementarität aus großtechnischer

(Deinking) und eher haushaltsüblicher (Tintenkiller) Anwendung sollte dabei exemplarisch das

enorme Spektrum heutiger Anwendungsszenarien von Wasserstoffperoxid ausschnitthaft re-

präsentieren und zugleich in eine zusammenfassende Gesamtschau des Themas einmünden.

Versuch 1: Herstellung & Nachweis1

Bevor die Chemie des Wasserstoffperoxids weiterführend in den Blickwinkel rücken kann, ist

es zunächst von grundlegender Bedeutung, anfänglich der Frage der Herstellung von Wasser-

stoffperoxid nachzugehen. Dies sei im folgenden Versuch ausgehend von

1 Quelle des Versuchs: Eigene Überlegungen auf Grundlage von B. Neumüller: Praktikumsseminar zum AC-I-Prak-tikum (Marburg, o.J.).

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Kaliumperoxodisulfat experimentell veranschaulicht, wobei die H2O2-Darstellung mittels

Nachweises durch Titanylsulfat auch qualitativ überprüft werden soll.

Chemikalien:2

Geräte und Materialien:

- Demo-Reagenzglas inkl. Ständer

- Spatel

- Glasstab

- 2 Pasteur-Pipetten

Aufbau:

Demo-Reagenzglas mit 20 mL heißem Wasser, 2 Spatelspitzen

K2S

2O

8 und 2 Pipetten H

2SO

4

(c = 2 mol/L)

Pipette mit Titanylsulfat-Lösung

Abb. 1: Aufbau Versuch Herstellung & Nachweis.3

2 Quelle der Stoffdaten dieses wie auch aller folgenden Versuche: Vgl. HessGISS, V. 23.0 (2018/2019). 3 Eigene Erstellung mit ChemSketch, 01.07.2019.

Eingesetzte Stoffe und Produkte

Summenformel Menge H-Sätze P-Sätze Gefahren-symbole

Schul-einsatz

Entmineral. Wasser H2O(l) 20 mL OE

Kaliumperoxodisul-fat

K2S2O8(s) 2 Spatel-spitzen

272, 302, 319, 335, 315, 334, 317

220, 261, 280, 305+351+338, 342+311

- S 4. Klasse, ESP

Schwefelsäure (c ≈ 2 mol/L)

H2SO4(aq) 2 Pipet-ten

290, 314 280, 301+330+331, 305+351+338, 308+310

S1

Titanylsulfat-Lösung TiOSO4(aq) 1 Pipette 290, 314 260, 280, 303+361+353, 304+340+310, 305+351+338

- S 4. Klasse, ESP

Produkt

Wasserstoffperoxid-Lösung (sehr stark verdünnt: w < 0,01)

H2O2(aq) - - - - OE

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Durchführung:

In ein Demo-Reagenzglas werden ca. 20 mL heißes entmineral. Wasser gegeben und darin

anschließend 2 Spatelspitzen Kaliumperoxodisulfat gelöst. Nach Versetzen mit 2 Pasteur-Pi-

petten Schwefelsäure (c ≈ 2 mol/L) wird die entstandene Lösung noch kurz mit einem Glasstab

gerührt, bevor abschließend eine Pipette Titanylsulfat-Lösung zugegeben wird.

Beobachtung:

Es bildet sich eine klare farblose Lösung, wobei am Boden des Reagenzglases ggf. noch geringe

Mengen nicht gelöstes Kaliumperoxodisulfat zu erkennen sind. Nach dem Versetzen mit Ti-

tanylsulfat kann die Bildung einer gelb-orangenen Lösung wahrgenommen werden.

Abb. 2: Lösung vor (links) und nach (rechts) Zugabe von Titanylsulfat.4

Entsorgung

Die Reaktionslösung wird erhitzt (Abkochen von H2O2), anschließend mit Thiosulfat umge-

setzt und schließlich neutral und abgekühlt in den Schwermetallabfällen entsorgt (Titan!).

S2O32-

(aq) + 5 H2O(l) + 4 S2O82-

(aq) → 10 SO42-

(aq) + 10 H+(aq)

Fachliche Auswertung der Versuchsergebnisse

Die Darstellung von Wasserstoffperoxid im betrachteten Versuch beruht zunächst auf der

Hydrolyse des Kaliumperoxodisulfats, welche schrittweise über die intermediäre Peroxo-

dischwefelsäure bzw. Peroxomonoschwefelsäure verläuft. Das so entstandene H2O2 wird an-

schließend mit Titanylsulfat als orange-gelber Peroxotitanyl-Nachweiskomplex qualitativ veri-

fiziert.

Herstellung von H2O2 durch Hydrolyse von Peroxodisulfat

Kaliumperoxodisulfat stellt formal betrachtet das Kaliumsalz der Peroxodischwefelsäure oder

auch Marshall´schen Säure (H2S2O8) dar; entsprechend lässt sich durch Ansäuern einer wäss-

rigen Lösung von Peroxodisulfat ebenjene Säure gewinnen.5

4 Eigene Erstellung mit Handykamera, 15.05.2019. 5 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. 102. Auflage, Walter de Gruyter Verlag, Berlin/New York, 2007, S. 600 f.

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I II

III

Abb. 3: Bildung von Peroxodischwefelsäure durch Ansäuern durch Peroxodisulfat.6

Anhand der obigen Strukturformel der Peroxodischwefelsäure ist ersichtlich, dass als zentra-

les Strukturmotiv bereits die charakteristische Peroxofunktion vorliegt, in der beide Sauer-

stoffatome die für Peroxide typische Oxidationsstufe -1 aufweisen. Entsprechend handelt es

sich bei den folgenden Hydrolyseprozessen nicht um Redox-Reaktionen, sondern lediglich um

LEWIS-Säure-Base-Prozesse.

Abb. 4: Mechanismus der Hydrolyse von Peroxodischwefelsäure zu H2O2.7

Zunächst (s. obere Zeile) kommt es zu einem quasi-solvolytischen (Wasser ist Lösungsmittel

und liegt entsprechend in hoher Konzentration vor) Angriff des LEWIS-basischen Wassers mit-

tels seiner freien Elektronenpaare auf das positiv polarisierte und damit LEWIS-saure S-Atom

der Peroxodischwefelsäure, woraus ein zwitterionisches Addukt-Intermediat (I) entsteht. Die-

ses wiederum zerfällt in die intermediäre Peroxomonoschwefelsäure (II), auch als Caro´sche

Säure bezeichnet, sowie (als Nebenprodukt) H2SO4. Auch die Peroxomonoschwefelsäure je-

doch kann nun (untere Zeile) ihrerseits hydrolysiert werden; mechanistisch analog entsteht

durch diese Reaktion schließlich ein zweites Äquivalent H2SO4 und Wasserstoffperoxid (III).8

Nachweis mit Titanylsulfat-Lösung

Klassisches Nachweisreagenz für H2O2 ist eine Titanylsulfat-Lösung, da diese bereits mit sehr

geringen Mengen den typischen orange-gelben Peroxotitanyl-Nachweiskomplex ausbildet.9

6 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 7 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 8 Vgl. Riedel, E.; Janiak, C.: Anorganische Chemie. 8. Auflage, Walter de Gruyter Verlag, Berlin/New York, 2011, S. 453 f. 9 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 1527.

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Abb. 5: Bildung des Peroxotitanylkomplexes.10

Hierbei kommt es prinzipiell zu einer zweifachen Ligandenaustauschreaktion begleitet mit

doppelter Deprotonierung des H2O2: So koordiniert sich der Peroxoligand side-on an das Titan-

Atom unter Ausbildung des gelb-orangenen Peroxotitanylkomplexes (worauf die im Versuch

beobachtete Farbe der Lösung beruht), wobei die Triebkraft der Reaktion wie anhand obiger

Reaktionsgleichung ersichtlich u.a. in der günstigen Entropie zu sehen ist (Verdoppelung der

Teilchenanzahl). Die Farbigkeit des Komplexes resultiert dabei aus Charge-Transfer-Effekten.11

Abb. 6: LMCT als Ursache der Farbigkeit des Peroxotitanylkomplexes.12

Der Charge-Transfer beruht im obigen Fall auf einem reversiblen ligand-to-metal-Charge-

Transfer (LMCT), d.h. durch Absorption von sichtbarem (in diesem Fall blauem) Licht kommt

es zu einer mikroreversiblen Redoxreaktion, im Zuge derer ein Elektron aus dem Peroxoligan-

den intermediär in ein d-Orbital des Ti-Atoms angeregt werden kann (Änderung der Elektro-

nenkonfiguration des Ti von d0 auf d1). Hiermit wiederum geht der CT-Effekt und damit auch

die im Versuch beobachtete Farbigkeit des Komplexes einher.13

Industrielle Herstellung von Wasserstoffperoxid

Ausgehend von der in Versuch 1 eher im kleinem (Labor- bzw. Schul-)Maßstab durchgeführten

H2O2-Darstellung bietet es sich an, an dieser Stelle einen kurzen Blick auch auf die großtech-

nische Produktion des Wasserstoffperoxids zu werfen. Dabei sind heute zwei Verfahren gän-

gig, das Anthrachinon-Verfahren (BASF) sowie das Isopropanol-Verfahren.14

10 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 11 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 1527. 12 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 13 Vgl. Copéret, C.; Chaudret, B.: Surface and Interfacial Organometallic Chemistry and Catalysis. Springer Verlag, Berlin/Heidelberg, 2005, S. 60. 14 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 534 f.

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Abb. 7: Anthrachinon-Verfahren der BASF.15

Beim Anthrachinon-Verfahren (s.o.) werden formal Diwasserstoff und Disauerstoff (in Form

von günstigem Luftsauerstoff) bei vergleichsweise milden Bedingungen zu H2O2 umgesetzt,

wobei es anders als es die Bruttoreaktionsgleichung suggeriert jedoch nicht zu einer direkten

Reaktion zwischen H2 und O2 kommt, sondern lediglich vermittels des katalytischen Redox-

Systems aus Anthrachinon/Anthrahydrochinon: Hierbei wird zunächst das alkylierte (meist

ethylierte) Anthrahydrochinon (links) mit Disauerstoff zum Anthrachinon und H2O2 oxidiert,

bevor das Anthrachinon anschließend wieder zum Anthrahydrochinon zurückgebildet wird

durch katalytische Hydrierung an Palladium. Typischerweise findet die Umsetzung in einem

2-Phasen-System aus org. Lösungsmittel und Wasser statt, aus dem am Ende des Prozesses

H2O2 wässrig extrahiert wird16 (Kapazität einer solchen Anlage/Jahr: ca. 40.000 – 60.000 t).17

Abb. 8: Isopropanol-Verfahren.18

Beim alternativen Isopropanol-Verfahren, das heute kommerziell nur noch in Russland betrie-

ben wird, wird Isopropanol (2-Propanol) mit O2 bei erhöhtem Druck zu Aceton und Wasser-

stoffperoxid umgesetzt. Ein wesentlicher Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass neben

H2O2 auch das als Nebenprodukt anfallende Aceton kommerziell vermarktet werden kann und

daher anders als beim Anthrachinon-Verfahren eine katalytische Rückhydrierung des Acetons

(obgleich technisch möglich) aus Kostengründen unterbleibt.19

15 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 16 Vgl. Klapötke, T.M.; Tornieporth-Oetting, I.C.: Nichtmetallchemie. VCH Verlag, Weinheim, 1994, S. 351. 17 Vgl. Offermanns, H.; Dittrich, G.; Steiner, N.: Wasserstoffperoxid in Umweltschutz und Synthese. In: ChiuZ, Jg. 34 (2000), H. 3, S. 152. 18 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 19 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 535.

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Kurzer Überblick zur Historie des Wasserstoffperoxids

Obgleich H2O2 bei zahllosen (bio-)chemischen Prozessen oder z.B. auch in der Atmosphäre in

nennenswertem Ausmaß gebildet wird (Konzentration von H2O2 in der Luft: ca. 0,1 – 1 ppb; in

Meerwasser: 0,5 – 14 µg/L; in Süßwasser: 1-30 µg/L), lässt sich die erste bewusst von Men-

schen durchgeführte H2O2-Darstellung erst ins Jahr 1818 zurückdatieren, als THÉNARD erstmals

Wasserstoffperoxid durch Ansäuern von Bariumperoxid gewinnen konnte und der noch unbe-

kannten Verbindung aufgrund ihrer außergewöhnlichen Eigenschaften den Namen „oxidiertes

Wasser“ verlieh. In Folge dessen kam es 1873, nach einer intensiven wissenschaftlichen De-

batte über die genaue Struktur bzw. die Hintergründe der bis dato nicht weiter aufgeklärten

Verbindung, zur ersten industriellen Herstellung von Wasserstoffperoxid (analog dem

THÉNARD-Verfahren), wobei max. 3%-Lösungen produziert werden konnten. 1894 wurde be-

reits reines H2O2 durch WOLFFENSTEIN destillativ gewonnen, was den Grundstein legte für eine

intensivere und systematische Erforschung und Charakterisierung des Wasserstoffperoxids.

Als „Durchbruch“ kann jedoch erst die Entdeckung des Anthrachinon-Verfahrens durch die

damalige IG Farben (heute BASF) in den Jahren 1935-45 angesehen werden, da nun zum einen

deutlich größere Mengen H2O2 hergestellt werden konnten und zudem ein Anreichern bis auf

die noch heute gängige Perhydrol-Konzentration (35% H2O2) möglich war. Entsprechend stei-

gerte sich auch die Weltjahresproduktion an Wasserstoffperoxid von ca. 2.000 t (1900) auf

35.000 t (1950), 300.000 t (1970) bis hin zu 2,7 Mio. t H2O2 im Jahr 1998 (stets gerechnet als

100% H2O2), mit noch immer zunehmender Tendenz, da sich H2O2 gerade in Zeiten gestiege-

nen ökologischen und Nachhaltigkeits-Bewusstseins wachsender Beliebtheit erfreut.20

Versuch 2: Oxidierende Eigenschaften (Oxidation von Tartrat-Ionen)21

Nachdem im Vorherigen die Herstellung von Wasserstoffperoxid sowohl im Schul- wie auch

im technischen Maßstab intensiver beleuchtet wurde, kann nun unter dem Gesichtspunkt der

zweiten Leitfrage (Wie reagiert H2O2?) insbesondere die Redox-Chemie bzw. dort im Speziel-

len die Redox-Amphoterie des Wasserstoffperoxids näher in den Fokus treten. Zu diesem

Zweck soll der folgende Versuch 2 zunächst zeigen, dass H2O2 oxidierende Eigenschaften hat.

20 Vgl. Offermanns, H./Dittrich, G./Steiner, N.: Wasserstoffperoxid in Umweltschutz und Synthese. S. 151-153. 21 Quelles des Versuchs: Vgl. Inner London Education Authority: Independent Learning Project for advanced Che-mistry (ILPAC), Unit I 5, Transition Elements. 1. Auflage, John Murray Publishers, London, 1984, V6, S. 60-62 (ver-ändert).

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Chemikalien:

Geräte und Materialien:

- Magnetrührer und Rührfisch - Kristallisierschale (als ggf. Über-

schäumschutz)

- 100-mL-Becherglas - Pipetten/Spritzen (1x 1mL, 1x 2 mL)

Aufbau:

100 mL 75

100

50

100

80

20

40

60

0

AUS

AN

LaboBib© U/min

Magnetrührer Rührfisch

2 mL CoCl2-Lösung (w ≈ 0,08)

1 mL H2O

2-Lösung (w ≈ 0,35)

100-mL-Erlenmeyerkolben mit 40 mL K-Na-Tartrat-Lösung

(w ≈ 0,1) (65 °C)

Abb. 9: Aufbau Versuch oxidierende Eigenschaften.23

22 Der Tabelleneintrag bezieht sich auf die HessGISS-Daten für NaOH-Lösung mit w < 2 %. 23 Eigene Erstellung mit ChemSketch, 01.07.2019.

Eingesetzte Stoffe und Produkte

Summenformel Menge H-Sätze P-Sätze Gefahren-symbole

Schul-einsatz

Kalium-Natrium-Tar-trat-Lösung (w ≈ 0,1)

KNa(C4H6O6)(aq) 40 mL - - OE

Wasserstoffperoxid-Lösung (w ≈ 0,35)

H2O2(aq) 1 mL 302, 315, 318, 335, 412

261, 280, 301+312, 305+351+338

S1

Cobalt(II)-chlorid-Lö-sung (w ≈ 0,08)

CoCl2(aq) 2 mL 350i, 360f, 302, 317, 334, 341, 410

201, 273, 280, 302+352, 304+340, 342+311

LV, ESP

Produkte

Kohlenstoffdioxid (freies Gas)

CO2(g) - - - - OE

Natrium-/Kalium-hydroxid-Lösung (stark verdünnt)22

NaOH(aq)/KOH(aq) - 290, 315, 319

280, 302+352, 305+351+338

S1

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Durchführung:

Zunächst werden 40 mL Kalium-Natrium-Tartrat-Lösung (w ≈ 0,1) in das Becherglas gefüllt und

auf 65 °C erhitzt (Temperatur genau kontrollieren: Bei zu starkem Erhitzen droht Überschäu-

men, daher als Sicherheit die Kristallisierschale als Überschäumschutz bereitlegen). Für den

eigentlichen Versuch wird zunächst 1 mL Wasserstoffperoxid-Lösung (w ≈ 0,35) hinzugefügt,

bevor die Lösung abschließend mit 2 mL der Cobalt(II)-chlorid-Lösung (w ≈ 0,08) versetzt wird.

Beobachtung:

Die Tartrat-Lösung ist klar und farblos, auch nach Versetzen mit H2O2 tritt keine Veränderung

ein. Unmittelbar nach Zugabe der rot-violetten CoCl2-Lösung nimmt die Lösung für kurze Zeit

die Farbe der Co-Lösung an, bevor eine rasche Farbänderung nach Tiefgrün eintritt und es zur

heftigen Gasentwicklung unter starkem Schäumen kommt. Nach ca. ½ Minute klingt diese all-

mählich ab, die Lösung nimmt wieder die Ausgangsfarbe Rot-Violett vom CoCl2(aq) an.

Abb. 10: Lösung am Anfang der Reaktion (links), mit heftiger Gasentwicklung (Mitte) und am Ende (rechts).24

Entsorgung:

Die Reaktionslösung wird erhitzt, um nicht abreagiertes Wasserstoffperoxid thermisch zu zer-

stören, und anschließend neutral in die Schwermetallabfälle gegeben (Cobalt!).

Fachliche Auswertung der Versuchsergebnisse

Der Versuch illustriert die oxidierende Eigenschaft von H2O2 exemplarisch anhand der durch

Co2+ katalysierten Oxidation von Tartrat zu CO2. Dabei laufen folgende Redox-Prozesse ab.

Abb. 11: Redox-Reaktion der Oxidation von Tartrat durch Wasserstoffperoxid.25

24 Eigene Erstellung mit Handykamera am 16.05.2019. 25 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019.

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Wasserstoffperoxid wird durch das alkalische Medium zu Hydroxid-Ionen reduziert, sodass es

insgesamt als Oxidationsmittel fungiert. Gleichzeitig werden Tartrat-Ionen, die C-Atome in

zwei unterschiedlichen Oxidationsstufen aufweisen (0 bzw. +3), zu Kohlenstoffdioxid oxidiert,

was die auch im Versuch beobachtete heftige Gasentwicklung erklärt. Offensichtlich muss

diese Reaktion jedoch durch das zugegebene Cobalt(II)-chlorid katalysiert werden: Dafür

spricht zum einen die Beobachtung, dass die heftige Reaktion nicht bereits bei der Zugabe von

H2O2 zur Tartrat-Lösung, sondern erst nach Versetzen mit CoCl2(aq) einsetzt; zum anderen deu-

tet auch die Beobachtung, dass die Lösung am Anfang und Ende der Reaktion die gleiche, vom

Hexaaquacobalt(II)-Komplex (s. Abb. 12) her stammende rot-violette Farbe aufweist, signifi-

kant auf eine entsprechende katalytische Funktion der Co2+-Ionen hin (Regenerierung des He-

xaaquacobalt(II)-Komplexes erkennbar anhand der wiederkehrenden roten Farbe).26

Abb. 12: Rot-violetter Hexaaquacobalt(II)-Komplex (links) sowie tiefgrüner Tritartratocobaltat(III)-Komplex.27

Ein detaillierter Katalysemechanismus (vergleichbar z.B. dem KREMER-STEIN-Mechanismus in

Versuch 4), aus dem die schrittweise katalytische Wirkung und abschließende Regeneration

von Hexaaquacobalt(II) hervorgehen würde, lässt sich in der Literatur leider nicht finden; mit

hoher Wahrscheinlichkeit können jedoch intermediär gebildete Co3+-Spezies als entschei-

dende katalytische Zwischenstufen identifiziert werden.28 In diesem Zusammenhang könnte

die beobachtete tiefgrüne Farbe der Lösung bspw. mithilfe des Tritartratocobaltat(III)-Kom-

plexes (s. Abb. 12) erklärt werden: So sind in der Literatur strukturell sehr ähnliche Komplexe

von Co3+ gegenüber zweizähnigen Chelatliganden bekannt, z.B. [Co(ox)3]3- bzw. [Co(acac)3]3-,

wobei als gesichert gilt, dass ebenjene Komplexe mit Oxalat bzw. Acetylacetonat eine tief-

grüne Farbe aufweisen.29 Zudem konnte zumindest im Fall des Acetylacetonat-Komplexes

auch eine entsprechende oktaedrische Koordination des Zentralteilchens Co3+ kristallografisch

verifiziert werden.30 Angesichts dessen, dass auch Tartrat wie Oxalat und Acetylacetonat ein

26 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 1685-1687. 27 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 28 Vgl. Inner London Education Authority: ILPAC Unit I 5 Transition Elements. S. 92. 29 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 1688. 30 Vgl. Arslan, E.; Lalancette, R.A.; Bernal, I.: Struct. Chem. 28 (2017), S. 208.

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zweizähniger Chelatbildner darstellt, spricht somit einiges für die Existenz des im konkreten

Versuch (s.o.) postulierten [Co(tart)3]3--Komplexes sowie dafür, dass dieser eine tiefgrüne

Farbe aufweisen könnte – was somit schließlich die auch experimentell beobachtete tiefgrüne

Farbe des aktivierten Komplexes während der CO2-Gasentwicklung erklären könnte.

Im Überblick betrachtet konnte so die oxidierende Eigenschaft von H2O2 experimentell bewie-

sen werden. Tatsächlich fungiert Wasserstoffperoxid in den meisten seiner Reaktionen auf-

grund seines Standard-Reduktionspotentials als Oxidationsmittel, zumal im Sauren (E0 im Sau-

ren: +1,763 V; E0 im Alkalischen: +0,867 V): So vermag H2O2 beispielsweise Cr3+-Ionen zu Dich-

romat zu oxidieren oder auch Iodid zu elementarem Iod umzusetzen.31 Nichtsdestotrotz kann

H2O2, jedoch nur gegenüber selbst noch stärkeren Oxidationsmitteln, auch als Reduktionsmit-

tel fungieren (Redox-Ampholyt); dies sei daher im nächsten Versuch näher zu untersuchen.

Versuch 3: Reduzierende Eigenschaften (Reduktion von Permanganat)32

Die reduzierende Eigenschaft des H2O2 ist gegenüber der oxidierenden Wirkung weniger aus-

geprägt bzw. häufig, da sie nur dann eintritt, wenn H2O2 mit noch stärkeren Oxidationsmitteln

umgesetzt wird. Beispiele hierfür sind die Reduktion von Hypochlorid zu Cl- oder von HgO zu

elementarem Hg.33 Im konkreten Versuch wird als solcher starker Oxidationspartner eine

saure KMnO4-Lösung verwendet, um die reduzierende Wirkung von H2O2 zu demonstrieren.

Chemikalien:

31 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 537. 32 Quelle des Versuchs: Vgl. Müller, M.; Schulreich, C.: Wasserstoffperoxid: Eigenschaften und Darstellung in La-bor und Technik. In: Wagner, W. (verantw.): Didaktik der Chemie Univ. Bayreuth (2016). Online verfügbar: http://daten.didaktikchemie.uni-bayreuth.de/umat/wasserstoffperoxid/wasserstoffperoxid.htm (letzter Zugriff: 03.07.2019, 16:38 Uhr), Versuch 1 (verändert). 33 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 537.

Eingesetzte Stoffe und Produkte

Summenformel Menge H-Sätze P-Sätze Gefahren-symbole

Schul-einsatz

Kaliumpermanganat-Lösung (w ≈ 0,03)

KMnO4(aq) 5 mL 315, 318, 410

273, 280, 305+351+338, 308+310

S1

Entmineral. Wasser H2O(l) 30 mL - - - OE

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14

Geräte und Materialien:

- 2 Demo-Reagenzgläser (mit Stopfen) inkl. Ständer

- Pipetten/Spritzen (1x 5 mL, 1x 20 mL)

- Spritzflasche - Pasteur-Pipette - Glasstab

Aufbau:

Demo-Reagenzglas mit verd.

KMnO4-Lösung (Referenz)

Demo-Reagenzglas mit verd.

KMnO4-Lösung (eigentliche Probe)

1 Pipette H2SO

4

(c ≈ 2 mol/L)

20 mL H2O

2 (w ≈ 0,35)

Abb. 13: Aufbau Versuch reduzierende Eigenschaften (Reaktion mit Permanganat).34

Durchführung:

Anfänglich werden 5 mL der Kaliumpermanganat-Lösung (w ≈ 0,03) in ein Demo-Reagenzglas

gegeben und mit entmineral. Wasser bis auf etwa 2/3 Füllstand verdünnt. Das Reagenzglas

34 Eigene Erstellung mit ChemSketch, 01.07.2019.

Schwefelsäure (c ≈ 2 mol/L)

H2SO4(aq) 1 Pipette 290, 314 280, 301+330+331, 305+351+338, 308+310

S1

Wasserstoffperoxid-Lösung (w ≈ 0,35)

H2O2(aq) 20 mL 302, 315, 318, 335, 412

261, 280, 301+312, 305+351+338

S1

Produkte

Disauerstoff (freies Gas)

O2(g) - 270 220b, 370+376

S1

Mangan(II)-sulfat-Lösung (stark ver-dünnt)

MnSO4(aq) - 318, 373, 411

273, 280, 305+351+338, 314

S1

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wird nun mit einem Stopfen verschlossen und 2 – 3x geschwenkt, um eine gleichmäßige

Durchmischung der Lösung zu erhalten. Die so erhaltene Lösung wird nun gleichmäßig auf

zwei Reagenzgläser aufgeteilt: Das erste verbleibt als Referenz-Lösung (zum Vergleich), in das

zweite werden nun 1 Pipette Schwefelsäure (c ≈ 2 mol/L) sowie 20 mL Wasserstoffperoxid-

Lösung (w ≈ 0,35) gegeben, bevor abschließend kurze Zeit mit dem Glasstab gerührt wird.

Beobachtung:

In dem mit Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid versetzten Reagenzglas kommt es nach ei-

niger Zeit zur vollständigen Entfärbung der vormals intensiv violetten Lösung, zudem sind nach

etwas Warten einige Gasbläschen zu erkennen. Die Referenzprobe hingegen verbleibt unver-

ändert und weist auch am Ende noch dieselbe violette Farbe wie auch am Anfang auf.

Abb. 14: Beobachtete Entfärbung ggü. Referenzprobe (links), Gasbläschen in der entfärbten Probe (rechts).35

Entsorgung:

Sowohl die Reaktions- wie auch die nicht abreagierte Referenzlösung werden vereinigt, mit

Oxalsäure versetzt (Zerstörung von Permanganat) und schließlich erhitzt, um überschüssiges

H2O2 zu vernichten. Diese Lösung kann neutral in den Schwermetallabfällen entsorgt werden.

16 H+(aq) + 5 C2O4

2-(aq) + 2 MnO4

-(aq) → 2 Mn2+

(aq) + 8 H2O(l) + 10 CO2(g)↑

Fachliche Auswertung der Versuchsergebnisse

Kaliumpermanganat stellt ein sehr starkes Oxidationsmittel dar, was u.a. auf die hohe Oxida-

tionsstufe des Mangan-Atoms (+7) zurückzuführen ist. Mit zahlreichen Verbindungen wie

bspw. auch Wasserstoffperoxid geht es daher Redox-Reaktionen ein, wobei dies sowohl qua-

litativ wie im betrachteten Versuch (Beobachtung der Entfärbung als Hinweis auf eine Reduk-

tion von violettem MnO4-) als auch quantitativ (titrimetrische Bestimmung als Permangano-

metrie) Einsatz findet. Im Fall der Reaktion mit H2O2 kommt es daher zu einer Redox-Reaktion,

die sich wie folgt aufschlüsseln lässt; entscheidend ist, dass die Reaktion im Sauren abläuft, da

dies gemäß der NERNST-Gleichung der Oxidationskraft des Permanganats nochmals erhöht.

35 Eigene Erstellung mit Handykamera am 16.05.2019.

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Abb. 15: Redox-Reaktion zwischen Kaliumpermanganat und Wasserstoffperoxid unter Beteiligung v. Protonen.36

Bei diesem Redox-Prozess wird Manganat(VII) zu Mn2+-Ionen reduziert, worauf auch die beo-

bachtete Entfärbung der Reaktionslösung zurückgeführt werden kann: Mn2+-Ionen weisen

zwar eine Fleischfarbe auf, die jedoch recht schwach ist und daher in derart hoher Verdünnung

wie im konkreten Versuch letztlich als Entfärbung erscheint.37 Gleichzeitig wird Wasserstoff-

peroxid oxidiert zu Disauerstoff, woraus sich auch die beobachtete Gasbläschenbildung im

Versuch erklären lässt: H2O2 fungiert so insgesamt tatsächlich als Reduktionsmittel.

Interessant an der betrachteten Reaktion ist ferner, dass sie autokatalytisch verläuft, m.a.W.

katalysieren die durch den Redox-Prozess gebildeten Mn2+-Ionen ihrerseits die eigentliche Re-

dox-Reaktion.38 Dies ist auch z.B. der Grund dafür, dass die beobachtete Entfärbung erst nach

kurzer Zeit zu beobachten ist, da die Reaktionsgeschwindigkeit am Anfang der Reaktion (wenn

erst wenig MnO4- zu Mn2+ umgesetzt wurde) vergleichsweise niedrig ist und erst durch die

Autokatalyse steigt, bis makroskopisch eine Veränderung wahrzunehmen ist. Aus diesem

Grund sollte gerade bei quantitativen (titrimetrischen) Bestimmungen von H2O2 am Anfang

nur wenig und langsam KMnO4 zugegeben werden, da sonst ein unbeabsichtigtes Überschrei-

ten des Äquivalenzpunktes droht; weil der Effekt hier jedoch nur qualitativ vorgeführt werden

sollte, konnte problemlos ein deutlicher Überschuss H2O2 zugesetzt werden.

Wasserstoffperoxid kann somit tatsächlich als redox-amphoter identifiziert werden, insofern

es sowohl Oxidations- wie auch Reduktionsmittel sein kann. Ein interessanter Fall ergibt sich

nun, wenn beides in ein und demselben Versuch stattfindet, d.h. wenn H2O2 mit sich selbst

reagiert und dabei gleichzeitig oxidiert und reduziert wird. Dies wiederum ist die Grundlage

der katalytischen Zersetzung, die im folgenden Versuch näher betrachtet wird.

36 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 37 Vgl. Riedel, E.; Janiak, C.: Anorganische Chemie. S. 829 & 834. 38 Vgl. B. Neumüller: Skript zum AC-II Praktikum für Lehramtskandidaten. Marburg, 2015, S. 148.

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Versuch 4: Katalytische Zersetzung durch Fe3+ (Demo)39

Die Zersetzung (Disproportionierung) von Wasserstoffperoxid zählt neben der Redox-Ampho-

terie zu dessen wichtigsten Eigenschaften; Grund hierfür ist die schwache und daher ver-

gleichsweise leicht zu brechende Peroxo-O-O-Bindung, was H2O2 insgesamt nur zu einer meta-

stabilen Verbindung macht.40 Da die Disproportionierung von H2O2, die bei Raumtemperatur

zwar thermodynamisch günstig (s.u.), jedoch kinetisch gehemmt ist (hohe Aktivierungsener-

gie), in Gegenwart zahlreicher Reagenzien wie Säure, Base, Schwermetall-Ionen, Enzyme etc.

katalytisch beschleunigt werden kann, soll im folgenden Versuch eine solche katalytische Zer-

setzung exemplarisch anhand von Fe3+ fokussiert werden, inkl. kinetischer Auswertung.

Chemikalien:

Geräte und Materialien:

39 Quelle des Versuchs: Vgl. Autorenkollektiv: Elemente Chemie Niedersachsen 11/12. Klett Verlag, Stuttgart, 2010, Versuch 1, S. 144 (verändert). 40 Vgl. Riedel, E.; Meyer, H.-J.: Allgemeine und Anorganische Chemie. 12. Auflage, Walter de Gruyter Verlag, Ber-lin/Boston, 2019, S. 276.

Eingesetzte Stoffe und Produkte

Summenformel Menge H-Sätze P-Sätze Gefahren-symbole

Schul-einsatz

Wasserstoffperoxid-Lösung (c = 0,2 mol/L)

H2O2(aq) 24 mL 318 280, 305+351+338

S1

Eisen(III)-chlorid-Lö-sung (w = 0,05)

FeCl3(aq) 3 mL 290, 318, 317

280, 302+352, 305+351+338, 310

S1

Produkte

Wasser H2O(l) - - - - OE

Disauerstoff (freies Gas)

O2(g) - 270 220b, 370+376

S1

- Magnetrührer und Rührfisch - Kristallisierschale (für Wasserbad) - 100-mL-Erlenmeyerkolben - Messpipette (5 mL) - durchbohrter Stopfen mit gewinkel-

tem Glasrohr - Glimmspan - Feuerzeug

- Drei-Wege-Hahn - Schlauchmaterial - 100-mL-Kolbenprober - Stativmaterial - Stoppuhr - Stativklemme - Reagenzglas (normale Größe) - pneumatische Wanne (für O2)

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Aufbau:

Abb. 16: Aufbau Versuch katalytische Zersetzung mit reaktionskinetischer Auswertung.41

Abb. 17: Aufbau Glimmspanprobe.42

Durchführung:

Zu Beginn des Versuchs wird die Versuchsapparatur gemäß Abb. 16 aufgebaut, parallel sollte

zudem auch schon die Apparatur zur Glimmspan-Probe (Abb. 17) vorbereitet werden. Sodann

werden in den 100-mL-Erlenmeyerkolben 24 mL Wasserstoffperoxid-Lösung (c = 0,2 mol/L)

vorgelegt und anschließend mit 3 mL der wässrigen Eisen(III)-chlorid-Lösung (w = 0,05) ver-

setzt. Unmittelbar nach Zugabe der FeCl3-Lösung muss der Kolben nun mit dem durchbohrten

Gummistopfen verschlossen werden und die Stoppuhr gestartet werden: Im Abstand von je

41 Eigene Erstellung mit ChemSketch, 25.05.2019. 42 Eigene Erstellung mit ChemSketch, 25.05.2019.

100 mL

50

100

75

100

80

20

40

60

0

AUS

AN

LaboBib© U/min

mL

10

0

0

20

40

60

80

Magnetrührer

Rührfisch

Wasserbad

Stoppuhr

100-mL-Kolbenprober3-Wege-Hahn

durchbohrter Stopfen mit gewinkeltem Glasrohr

100-mL-Erlenmeyerkolben mit

24 mL H2O

2-Lösung (c

0 = 0,2 mol/L)

und 3 mL FeCl3-Lösung (w = 0,05)

Glimmspan

Reagenzglas mit auf-gefangenem Gas

Stativmaterial

Stativklemme

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15 Sekunden wird nun das Gasvolumen im Kolbenprober gemessen und notiert. Im Anschluss

hieran wird für die Glimmspanprobe das aus dem Versuch erhaltene Gas im Kolbenprober

pneumatisch in einem Reagenzglas (normale Größe) aufgefangen (mit Reagenzglasstopfen

verschließen), anschließend wird dieses in die vorbereitete Apparatur gespannt und direkt

nach Wegnahme des Stopfens die Glimmspanprobe durchgeführt.

Beobachtung:

Die eingesetzte H2O2-Lösung ist klar und farblos, die FeCl3-Lösung weist eine typisch orange-

gelbe Farbe auf. Nach der Zugabe der Eisen(III)-chlorid-Lösung zum Wasserstoffperoxid nimmt

die Reaktionslösung ebenfalls die orange-gelbe Farbe an, wobei nach kurzer Zeit eine Gasent-

wicklung einsetzt (Gasbläschen). Diese steigert sich im weiteren Verlauf der Reaktion, nach

wenigen Minuten ist die Lösung zudem tiefbraun. Am Ende der Reaktion, wenn kein Gas mehr

frei wird, hat die Lösung wieder dieselbe orange-gelbe Farbe wie auch am Anfang. Die Glimm-

spanprobe verläuft positiv, die erhaltenen Messwerte (V → t) sind unten graphisch skizziert.

Abb. 18: Reaktionslösung am Anfang (links), während (Mitte) und am Ende der Reaktion (rechts).43

Abb. 19: Positive Glimmspanprobe.44

Abb. 20: Messwerte des Versuchs, graphisch aufgetragen.45

43 Eigene Erstellung mit Handykamera am 14.05.2019. 44 Eigene Erstellung mit Handykamera am 14.05.2019. 45 Eigene Erstellung mit MS Excel, 25.05.2019.

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Entsorgung:

Die Reaktionslösung wird zur Sicherheit noch einmal aufgekocht (thermische Zerstörung von

H2O2) und anschließend neutral und abgekühlt den flüssigen Schwermetallabfällen zugeführt.

Fachliche Auswertung der Versuchsergebnisse

Anhand der Beobachtung, dass die Reaktionslösung am Anfang und am Ende der Reaktion

dieselbe (orange-gelbe) Farbe aufweist, lässt sich auch experimentell verdeutlichen, dass das

zugesetzte Eisen(III)-chlorid insgesamt nur eine katalytische Funktion besitzt und am Ende des

Reaktionsprozesses wie für einen Katalysator typisch wieder regeneriert wird (vgl. die analoge

Beobachtung auch bei Versuch 2, bzgl. der Cobalt-Katalyse). Die eigentliche Redox-Reaktion

läuft also allein zwischen H2O2 ab und kann daher wie folgt beschrieben werden.

Die Zersetzung von Wasserstoffperoxid lässt sich somit als durch Fe3+ katalysierte Dispropor-

tionierung in Wasser und Disauerstoff deuten; sowohl die Oxidations- wie auch die Redukti-

ons-Teilgleichungen sind bereits aus Versuch 2 & 3 bekannt. Auf der Bildung des Disauerstoffs

beruht zudem die beobachtete Gasentwicklung, zudem erklärt dies auch, weswegen die

Glimmspanprobe – wie beobachtet – ein positives Resultat liefert. Die katalytische Zersetzung

von H2O2 verläuft stark exotherm (ΔH0 = - 196,2 kJ/mol),46 sodass sie aus enthalpischer wie

auch entropischer Perspektive (Zunahme der Teilchenanzahl von 2 auf 3, zudem irreversible

Bildung eines Gases) günstig erscheint und damit eine negative freie GIBBS-Energie aufweist:

M.a.W. handelt es sich bei der Zersetzung von Wasserstoffperoxid um einen exergonischen

und daher thermodynamisch spontan-freiwillig ablaufenden Prozess, dessen Rückreaktion,

d.h. die Gewinnung von H2O2 somit endergonisch verläuft. Hierin schließlich begründet sich

die ledigliche Metastabilität des Wasserstoffperoxids, die die thermodynamische Labilität der

Verbindung und damit u.a. auch deren Reaktionsfreudigkeit erklärt.

Mechanistisch kann die Fe3+-katalysierte H2O2-Zersetzung dabei mithilfe des sog. KREMER-

STEIN-Mechanismus beschrieben werden, d.h. dem wechselseitigen Redox-Übergang von

46 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 535.

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I II III IV I

Fe(III) zu Fe(V); die konkurrierende Erklärung, d.h. der Übergang von Fe(III) zu Fe(II) in Form

des HABER-WEIS-Mechanismus, ist nach neueren Untersuchungen weniger plausibel.47

Abb. 21: Redoxreaktion (oben) und KREMER-STEIN-Mechanismus (unten); farblich zugeordnet sind Edukte und Pro-

dukte, die die völlige Deckungsgleichheit zw. Redoxgleichung und Mechanismus widerspiegeln.48

Der KREMER-STEIN-Mechanismus initiiert mit Fe3+, welches im wässrigen Medium in Form gelb-

orangener Aqua- bzw. Hydroxo-Komplexe vorliegt (I);49 diese wiederum bilden sich aus dem

Hexaaquaeisen(III)-Komplex, der bedingt durch die hohe positive Polarisierung des Zentrala-

toms H+-Ionen abspaltet und somit eine Kationensäure darstellt. Im ersten mechanistischen

Schritt wird nun zunächst ein Aqua-Ligand gegen H2O2 substituiert (II), wobei die Oxidations-

stufe des Fe-Zentralatoms jedoch noch unverändert bleibt. Erst im nächsten Schritt wird durch

Abspaltung eines zweiten H2O eine intermediäre Fe(V)-Spezies generiert (III): Diese Fe(V)-Spe-

zies wiederum weist eine intensiv braune Farbe auf und erklärt so die Versuchsbeobachtung,

dass die Lösung nach einiger Zeit tiefbraun vorliegt (vgl. Abb. 18). Im Anschluss wird das inter-

mediäre Fe(V) unter Beteiligung eines zweiten Wasserstoffperoxidmoleküls wieder zurück zu

Fe(III) reduziert (IV), bevor abschließend durch irreversible Freisetzung eines O2-Moleküls sich

der Ausgangskomplex (I) wieder zurückbildet und damit die insgesamt nur katalytische Betei-

ligung des Fe3+ plausibilisiert.50 Durch geeignete farbliche Zuordnung kann schließlich die völ-

lige Kongruenz zw. Redox-Gleichung und Mechanismus bestätigt werden (s. Abb. 21: Farben).

Reaktionskinetische Auswertung

Aufbauend auf dieser eher qualitativen Versuchswertung sei nun versucht, die durchgeführte

katalytische Zersetzung auch quantitativ, d.h. hier unter einem reaktionskinetischen Gesichts-

punkt weiter zu fokussieren. Als Ziel soll dabei die Geschwindigkeitskonstante der Reaktion,

kr, auf Grundlage des Experiments bestimmt werden. Zu diesem Zweck werden nachfolgend

einige hierzu notwendige mathematisch-physikochemische Zusammenhänge entwickelt.

47 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 536. 48 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 49 Vgl. Housecroft, C.E.; Sharpe, A.G.: Anorganische Chemie. 2. Auflage, Pearson Verlag, München, 2006, S. 187. 50 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 536.

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(1)

(2)

(3)

(4)

Die Reaktionsgeschwindigkeit (Momentangeschwindigkeit v bzw. Durchschnittsgeschwindig-

keit v̅) ist zunächst definiert als die zeitliche Änderung der Stoffmengenkonzentration eines

Reaktanden, bzw. mathematisch als Differenzialquotient dc/dt (oder bei v̅: als Differenzen-

quotient Δc/Δt) und damit als Steigung eines c/t-Diagramms.51

v = dc

dt bzw. v̅ =

∆c

∆t

Für den betrachteten Versuch kann nun, mit der Reaktionsgleichung

2 H2O2(aq) → O2(g) + 2 H2O(l)

folgender Zusammenhang formuliert werden:

Das Verhältnis der Stoffmengenänderungen (Δn) ergibt sich aus den zugrundeliegenden stö-

chiometrischen Koeffizienten der Redox-Gleichung (2:1-Stöchiometrie von H2O2:O2). Wird der

gebildete Disauerstoff in guter Näherung nun als ideales Gas betrachtet, so kann seine Stoff-

mengenänderungen wie in Gl. (1) auch über den Quotienten von Volumenänderung und mo-

larem Volumen des idealen Gases ausgedrückt werden (s.o.).

∆c(H2O2) = ∆n(H2O2)

V(Lösung)= −2 ∙

∆V(O2)

Vm,ideal(O2) ∙ V(Lösung)

Damit lässt sich wiederum wie in Gl. (2) die Konzentrationsänderung des abreagierenden Was-

serstoffperoxids berechnen; zugrunde liegt hier die Fundamentalbeziehung c = n/V. Durch Ein-

setzen von Gl. (1) erhält man Gl. (2).

c(H2O2) = c0(H2O2) + ∆c(H2O2)

Somit kann die Momentankonzentration des H2O2 nach Gl. (3) bestimmt werden, die ja nichts

anderes ist als die Ausgangskonzentration c0 (hier: 0,2 mol/L) addiert mit der Änderung der

Konzentration; da Δc stets negatives Vorzeichen hat – Wasserstoffperoxid als Edukt wird bei

der Reaktion verbraucht – müsste c(H2O2) somit kontinuierlich abnehmen.

v̅ = − ∆c(H2O2)

∆t= −

(−2 ∙ ∆V(O2)

Vm,ideal(O2) ∙ V(Lösung))

∆t= 2 ∙

∆V(O2)

24,0L

mol ∙ 27,0 mL ∙ ∆t

Damit kann die mittlere Reaktionsgeschwindigkeit experimentell bestimmt werden: Durch

Verwenden der Definition v̅ = Δc/Δt kann nun Δc gemäß Gl. (2) substituiert werden; das

51 Vgl. Atkins, P.W.; de Paula, J.: Physikalische Chemie. 5. Auflage, Wiley-VCH Verlag, Weinheim, 2013, S. 835.

∆n(H2O2) = −2 ∆n(O2) = −2 ∆V(O2)

Vm,ideal(O2)

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(5)

negative Vorzeichen vor dem Differenzenquotienten rührt daher, dass die Reaktionsgeschwin-

digkeit per Definition als positiver Wert angegeben wird (wegen negativem Vorzeichen von

Δc: Multiplikation mit -1).52 Durch Einsetzen (molares Volumen des idealen Gases bei 20 °C

und 1.000 hPa: 24,0 L/mol; Volumen der Lösung: 24 mL (H2O2) + 3 mL (FeCl3) = 27 mL) resultiert

schließlich Gl. (4), in der beide noch verbleibende Variablen experimentell zugänglich sind.

Da es sich zudem bei der katalytischen Zersetzung von H2O2 schließlich um eine Reaktion ers-

ter Ordnung handelt, kann das Geschwindigkeitsgesetz wie in Gl. (5) formuliert werden.

v = kr ∙ c(H2O2)

Bei genauerer Betrachtung von Gl. (5) ergibt sich die Erwartung, dass bei graphischer Auftra-

gung eines v/c-Diagramms eine Ursprungsgerade resultiert, deren Steigung kr – also der letzt-

lich gesuchten Größe – entspricht. Tatsächlich können auf Grundlage der Messwerte sowie

der Gl. (1)-(5) ebenjene Diagramme berechnet und damit kr experimentell bestimmt werden.

Abb. 22: Gasvolumen an O2(g) in Abhängigkeit von der Zeit.53

Übereinstimmend mit den Beobachungen nimmt das Volumen des gebildeten Disauerstoffs

kontinuierlich zu und erreicht, wenn H2O2 quantitativ abreagiert ist, einen konstanten Wert.

Abb. 23: Abnehmende H2O2-Konzentration in Abhängigkeit von der Zeit.54

52 Vgl. Holleman, A.F.; Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. S. 189. 53 Eigene Erstellung mit MS Excel, 25.05.2019. 54 Eigene Erstellung mit MS Excel, 25.05.2019.

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Erwartungsgemäß nimmt die Stoffmengenkonzentration des Edukts, also Wasserstoffperoxid,

gemäß Gl. (3) sukzessive ab, ausgehend vom Startwert (c0 = 0,2 mol/L). Dass die Kurve nicht

ganz bis auf null geht, hängt sehr wahrscheinlich mit Messungenauigkeiten (z.B. Undichtigkei-

ten) oder potentiellen Fehlergrößen zusammen (z.B. Vernachlässigung der Gas-Löslichkeit von

O2 in Wasser; ggf. zu niedrige Startkonzentration durch bereits vorherige Zersetzung, etc.).

Abb. 24: Reaktionsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Zeit.55

Anhand von Abb. 24 ist zu erkennen, dass die Reaktionsgeschwindigkeit zunächst bis etwa

100 s zunimmt, bevor sie kontinuierlich abfällt und am Ende der Reaktion (wenn kein H2O2

mehr vorhanden ist, d.h. keine Zersetzungsreaktion mehr ablaufen kann) erwartungskonform

wieder bei null liegt.

Abb. 25: Ausgleichsgerade und v/c-Diagramm zur Ermittlung der Geschwindigkeitskonstante.56

Das so auf Grundlage von Gl. (5) erstellte v/c-Diagramm ergibt schließlich tatsächlich nähe-

rungsweise eine Ursprungsgerade (lineare Regression bei gleichzeitigem Durchschreiten des

Ursprungs). Über die Geradengleichung der Regressionsgerade kann so schlussendlich die Ge-

schwindigkeitskonstante der Reaktion bestimmt werden zu kr = 0,0028 s-1.

55 Eigene Erstellung mit MS Excel, 25.05.2019. 56 Eigene Erstellung mit MS Excel, 25.05.2019.

⇒ kr = 0,0028 s-1

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Auch in der Natur besitzt die Eisen-katalysierte Zersetzung von H2O2 eine hohe Bedeutung: So

bildet sich Wasserstoffperoxid bei zahlreichen biochemischen Stoffwechselprozessen, z.B. in

der Atmungskette bei der schrittweisen Reduktion von O2 zu H2O. Da es jedoch in den aller-

meisten derartigen Fällen ein unerwünschtes Nebenprodukt darstellt, das durch seine starke

oxidierende Kraft (vgl. Versuch 2) irreversible Schädigungen der Zellen hervorrufen kann, bil-

det die Natur in allen tierischen bzw. pflanzlichen Zellen verschiedene Enzyme, um das Zellgift

H2O2 katalytisch abzubauen. Zu diesen Enzymen zählen z.B. Peroxidasen oder auch Katalysen:

In beiden Fällen wirkt im katalytischen Zentrum des Enzyms eine Fe2+-Häm-Einheit, die völlig

analog zum obigen Versuch Wasserstoffperoxid katalytisch zersetzen und damit unschädlich

machen kann.57 Ein interessantes Faktum schließlich ist, dass der auch in Mitteleuropa heimi-

sche Bombardierkäfer die Katalase-basierte Zersetzung von H2O2 als Selbstverteidigungsme-

chanismus anwendet: Im seinem Hinterteil befindet sich eine Blase, in der der Käfer 28,5%-

Wasserstoffperoxid erzeugt; bei Gefahr gelangt eine geringe Menge davon in eine zweite, da-

von per Diaphragma getrennte (Reaktions-)Kammer, in der bereits Peroxidase und Katalase

vorliegen. Es kommt so durch die Vermischung von Wasserstoffperoxid und H2O2-zersetzen-

den Enzymen zu einer quasi explosionsartigen O2-Entwicklung (inkl. akustisch deutlich zu ver-

nehmendem Knall), durch die der Käfer auf seinen Aggressor heißes und ätzendes Wasser-

stoffperoxid spritzt – und diesen damit spektakulär in die Flucht schlägt.58

Zwischenfazit: Wasserstoffperoxid – ein chemischer Steckbrief

An dieser Stelle bietet sich an, zugleich als Abschluss des zweiten Kapitelabschnitts, einige

zentrale Eigenschaften des Wasserstoffperoxids zu resümieren: So resultieren Schmelz-

(-0,4 °C) wie auch Siedepunkt (150,2 °C) ähnlich wie beim Wasser aus der Fähigkeit zur Ausbil-

dung starker intermolekularer Wechselwirkungen (Wasserstoffbrückenbindungen).59 Anhand

des pKS = 11,62 zeigt sich, dass H2O2 acider als Wasser ist und damit ätzend.60 Neben der be-

reits experimentell untersuchten Redox-Amphoterie bzw. Metastabilität (katalytische Zerset-

zung durch H+, OH-, Mm+, Enzyme, Temperaturerhöhung) ist schließlich die Struktur des

57 Vgl. Janiak, C.; Meyer, H.-J.; Gudat, D.; Kurz, P.: Moderne Anorganische Chemie. 5. Auflage, Walter de Gruyter Verlag, Berlin/Bosten, 2018, S. 876 f. 58 Vgl. Heimann, R.: Wasserstoffperoxid aus chemischer und biologischer Sicht. In: MNU, Jg. 57 (2004), H. 1, S. 15. 59 Vgl. Graf, E.: Wasserstoffperoxid: Giftstoff oder Sauerstoffspeicher? In: NiU-Chemie, Jg. 15 (2004), H. 79, S. 33. 60 Vgl. Latscha, H.P.; Mutz, M.: Chemie der Elemente – Chemie-Basiswissen IV. 1. Auflage, Springer Verlag, Ber-lin/Heidelberg, 2011, S. 140.

Page 27: Experimentalvortrag AC: Wasserstoffperoxid – zwischen ... · großtechnischen Darstellung (Anthrachinon- bzw. Isopropanolverfahren) an inkl. eines kurzen Blicks in die Historie

26

Wasserstoffperoxids von besonderem Interesse:61 In der Gasphase bildet H2O2 typische Falt-

blattstrukturen (s. Abb. 26) mit dem charakteristischen Diederwinkel von 111° sowie der auf-

fällig langen (und daher vergleichsweise schwachen, d.h. metastabilen) O-O-Bindung. Diese

wiederum resultiert (vgl. Abb. 27) aus elektrostatischen Abstoßungen der freien Elektronen-

paare an den Sauerstoffatomen, die zur Vermeidung entsprechender elektrostatischer Wech-

selwirkungen eine gauche-Form des Moleküls bedingen.62

Abb. 26: Struktur I von H2O2.63 Abb. 27: Struktur II von H2O2.64

Versuch 5: Bleichende Eigenschaften: Deinking von Altpapier (Demo)65

Im dritten und letzten Abschnitt des Vortrags, überschrieben mit der Leitfrage Wo(zu) H2O2?,

sollte die alltägliche Anwendung des Wasserstoffperoxids anhand exemplarischer Kontextzu-

sammenhänge näher in den Blick genommen werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei,

als Beispiel einer großtechnischen Anwendung, das Deinking (Druckfarbenentfernung) von

Altpapier, bei dem H2O2 aufgrund seiner bleichenden Wirkung eingesetzt wird. Den industri-

ellen Prozess des Deinkings im Experiment zu simulieren und gleichzeitig auf die diesbezügli-

chen Verbindungen zu H2O2 hinzuweisen, war daher auch das Ziel des fünften Versuchs.

61 Vgl. Binnewies, M.; Jäckel, M.; Willner, H.; Rayner-Canham, G.: Allgemeine und Anorganische Chemie. 2. Auf-lage, Spektrum Verlag, Heidelberg, 2011, S. 542. 62 Vgl. Huheey, J.E.; Keiter, E.A.; Keiter, R.L.: Anorganische Chemie – Prinzipien von Struktur und Reaktivität. 5. Auflage, Walter de Gruyter Verlag, Berlin/Bosten, 2014, S. 68. 63 Riedel, E.; Janiak, C.: Anorganische Chemie. S. 440. 64 Housecroft, C.E.; Sharpe, A.G.: Anorganische Chemie. S. 488. 65 Quelle des Versuchs: Vgl. Ost, A.: Experimentalvortrag Wasserstoffperoxid, S. 12 (verändert). In: Reiß, P. (ver-antw.): Chids: Chemie in der Schule. Experimentalvorträge, Nr. 758. Online verfügbar: https://www.chids.de/ver-anstaltungen/uebungen_experimentalvortrag.html (Zugriff: 04.07.2019, 9:08 Uhr).

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27

Chemikalien:

Geräte und Materialien:

- 1000-mL-Becherglas - Magnetrührer mit Thermoelement - Altpapier (geschnipselt) - (großer) Rührfisch

- Löffelspatel - 2000-mL-Becherglas (hohe Form) - Thermometer - Kristallisierschale, Sieb

Aufbau:

Abb. 28: Vorbehandlung des Papiers mit Na2CO3(aq) (links) sowie Bleichen mit Vanish Oxi Action (rechts).67

Durchführung:

Am Vortag der eigentlichen Versuchsdurchführung wird zunächst geeignetes Altpapier (mög-

lichst kein Hochglanzpapier verwenden, sondern eher Werbebeilagen zur Tageszeitung o.Ä.)

in kleine Schnipsel gerissen und anschließend in einem 1000-mL-Becherglas mit insg. 400 mL

Natriumcarbonat-Lösung (w ≈ 0,05) versetzt sowie eine Zeit lang intensiv gekocht. Zum Ab-

kühlen (idealerweise über Nacht) wird die Lösung nun im Abzug stehen gelassen. Am nächsten

Morgen wird das über der Lösung stehende Papier mit Hilfe eines Siebs abgeschöpft, anschlie-

ßend in ein 2000-mL-Becherglas (hohe Form) gegeben und mit 300 mL entmineral. Wasser

versetzt. Hierzu wird nun unter kontinuierlichem Erhitzen auf 65 °C sukzessive etwas Vanish

66 Der Tabelleneintrag bezieht sich auf die HessGISS-Daten für Na-Percarbonat (Reinstoff). 67 Eigene Erstellung mit ChemSketch, 25.05.2019.

Eingesetzte Stoffe Summen-

formel

Menge H-Sätze P-Sätze Gefahren-

symbole

Schul-

einsatz

Natriumcarbonat-Lösung

(w ≈ 0,05)

Na2CO3(aq) 400 mL 319 305+351+338

S1

Vanish Oxi Action-Lösung (Anteil

Percarbonat > 30 %)66

- 300 mL 272, 302,

318

220, 280,

305+351+338

S1

200

800

1000 mL

400

600

100

80

20

40

60

0

AUS

AN

LaboBib© U/min

1000-mL-Becherglas mit 400 mL

Na2CO

3-Lösung (w ≈ 0,05) und

Papierschnipseln

Rührfisch

Magnetrührer100

80

20

40

60

0

AUS

AN

LaboBib© U/min

2000 mL

200

1000

1400

600

1800

Rührfisch

Magnetrührer

2000-mL-Becherglas (hoch) mit 300 mL Wasser, vorbehandel- tem Papier und Vanish Oxi Action(65 °C)

Page 29: Experimentalvortrag AC: Wasserstoffperoxid – zwischen ... · großtechnischen Darstellung (Anthrachinon- bzw. Isopropanolverfahren) an inkl. eines kurzen Blicks in die Historie

28

Oxi Action gegeben und anschließend mindestens 2 Stunden lang weitererhitzt. Das so erhal-

tene Papier wird abschließend noch in der Kristallisierschale getrocknet.

Beobachtung:

Durch das Kochen mit Natriumcarbonat-Lösung wird das in Schnipsel gerissene Papier zu ei-

nem rot-braunen Brei, der jedoch noch alle vormaligen Farben besitzt. Im Zuge der Behand-

lung mit Vanish kommt es zuerst zum heftigen Schäumen der Lösung während des Erhitzens,

außerdem liegt das Papier am Ende der Behandlung bzw. des Trocknungsprozesses als nahezu

reinweiße breiige Masse vor, nur noch ein leichter Grünstich ist zu erkennen.

Abb. 29: Unbehandeltes Papier (1), Papier nach dem Kochen mit Natriumcarbonat-Lösung (2) sowie nach der

Vanish-Behandlung (3).68

Entsorgung:

Die überschüssige Natriumcarbonat-Lösung kann neutral im Ausguss entsorgt werden, ebenso

die mit nur geringen Mengen Vanish Oxi Action versetzte wässrige Lösung; das Papier kann in

trockenem Zustand in die Feststoffabfälle gegeben werden.

Fachliche Auswertung der Versuchsergebnisse

Das Deinking zählt heute zu den wichtigsten industriell-großtechnischen Anwendungsszena-

rien von Wasserstoffperoxid, bei dem man sich im Besonderen die bleichende Eigenschaft des

H2O2 zunutze macht. Ziel des Deinking-Prozesses ist dabei, die noch auf dem Altpapier vor-

handenen Druckfarben durch Bleichen zu entfernen, damit das auf diese Weise von Farben

befreite, weiße Papier wieder im Recyclingprozess einer Wiederverwendung zugeführt wer-

den kann. Ausgangspunkt des Bleichprozesses im konkreten Versuch ist das Fleckensalz Va-

nish Oxi Action, das laut Etikett über 30% „Aktiv-Sauerstoff“ enthält.69

68 Eigene Erstellung mit Handykamera am 14.05.2019. 69 Vgl. Offermanns, H./Dittrich, G./Steiner, N.: Wasserstoffperoxid in Umweltschutz und Synthese. S. 155 f.

Page 30: Experimentalvortrag AC: Wasserstoffperoxid – zwischen ... · großtechnischen Darstellung (Anthrachinon- bzw. Isopropanolverfahren) an inkl. eines kurzen Blicks in die Historie

29

I II

III

Farbstoff

Chemisch gesehen handelt es sich bei diesem „Aktiv-Sauerstoff“ um Natriumpercarbonat,

welches zutreffender als Natriumcarbonat-Perhydrat zu bezeichnen ist, da es lediglich eine

Anlagerungsverbindung des H2O2 an Na2CO3 darstellt (anders als Perborat keine tatsächliche

Peroxoverbindung). Wird dieses Natriumpercarbonat in Wasser gelöst, bildet sich eine alkali-

sche H2O2-Lösung. Im Optimum-Bereich von pH 10 – 11 sowie zwischen 60 – 70 °C generiert

diese Lösung bleichende Spezies, die für die Bleichwirkung von zentraler Bedeutung sind.70

Abb. 30: Generierung von bleichenden Spezies aus Natriumpercarbonat-Lösung.71

Durch parallel ablaufende Säure-Base- sowie Redox-Reaktionen bilden sich bleichende Spezies

wie das Perhydroxyl-Radikal (I), das Hydroxyl-Radikal (II) bzw. das Superoxid-Anion (III); eine

alternative Erklärung, die die Bleichwirkung auf die Bildung von naszierendem atomarem Sau-

erstoff zurückführt, erscheint aus neueren Untersuchungen als weniger plausibel.72 Bei I-III

handelt es sich um Radikale, die aufgrund ihres ungepaarten, die Oktettregel verletzenden

Elektrons hochreaktive Teilchen darstellen, sowie um starke Oxidationsmittel, was anhand der

Oxidationszahlen zu erkennen ist. Aufgrund dessen bewirken sie ein Bleichen der Druckfarben,

m.a.W. die oxidative Zerstörung der Farbstoffmoleküle, wie nachfolgend skizziert.

Abb. 31: Schematische Bleichreaktion.73

70 Vgl. Wagner, G.: Waschmittel – Chemie, Umwelt, Nachhaltigkeit. 5. Auflage, Wiley-VCH Verlag, Weinheim, 2017, S. 117-119. 71 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019. 72 Vgl. Wagner, G.: Waschmittel. S. 119. 73 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 25.05.2019, auf Grundlage von Wagner, G.: Waschmittel. S. 118 f.

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Tatsächlich läuft beim Bleichprozess eine ganze Kaskade komplexer Reaktionen ab, die bis

heute noch nicht vollständig aufgeklärt werden konnten. Schematisch ist anhand obiger Ab-

bildung jedoch zu erkennen, dass die vormalig intakte Farbstoff-Struktur (auf Grundlage aus-

gedehnter konjugierter Doppelbindungen) durch eine Sequenz aus oxidativem Angriff, Hydro-

lyse etc. insgesamt bleichend-oxidierend zerstört wird, worauf die auch im Versuch beobach-

tete Entfernung der Druckerfarben beruht. Zudem ist erkennbar, dass die Bleichprodukte

durch zahlreiche hydrophile Gruppen eine ausgeprägte Wasserlöslichkeit aufweisen und so

durch den „Waschvorgang“ vom Papiergewebe entfernt werden.74

Anwendungen von Wasserstoffperoxid in Technik & Alltag

Das soeben experimentell simulierte Deinking stellt tatsächlich die wichtigste industrielle An-

wendung von Wasserstoffperoxid dar, wie ein Blick auf das folgende Tortendiagramm verrät.

Abb. 32: Einsatzbereiche von Wasserstoffperoxid weltweit.75

Fast die Hälfte des weltweit produzierten H2O2 wird demnach von der Papier- und Zellstoffin-

dustrie benötigt, da das Deinking von Altpapier einen Schlüsselprozess innerhalb des Recyc-

lingkreislaufs darstellt. Weitere wichtige Anwendungsgebiete sind ferner Textil (Bleichmittel

in Waschmitteln, z.B. Percarbonat oder Perborat), chem. Synthese, Elektroindustrie (Reini-

gung von Si-Wafern) oder auch Umweltanwendungen (z.B. Dekontamination von Industrieab-

wässern), da durch den Einsatz von H2O2 keine umweltschädlichen Folgeprodukte anfallen.76

Alltagsnahe Produkte, die auf Wasserstoffperoxid oder seinen Derivaten beruhen, sind z.B.

Wasch-, Reinigungs- oder Desinfektionsmittel (bspw. für Kontaktlinsen-Reinigung), ferner Pro-

dukte für Zahn-Bleaching oder Haarbleichen („wasserstoffblond“). Typischerweise weisen

diese kommerziell erhältlichen Produkte einen max. H2O2-Gehalt von 3 % auf; im chemischen

Handel ist das sog. Perhydrol, also 35 % H2O2, Standard.77 Wasserstoffperoxid in höheren

74 Vgl. Wagner, G.: Waschmittel. S. 118 f. 75 Offermanns, H./Dittrich, G./Steiner, N.: Wasserstoffperoxid in Umweltschutz und Synthese. S. 154. 76 Vgl. ebd. S. 154-158. 77 Vgl. Riedel, E.; Meyer, H.J.: Allgemeine und Anorganische Chemie. S. 276.

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Konzentrationen, z.B. als Komponente für Raketen- und Satellitentreibstoff, muss entspre-

chend unter hohen Sicherheitsvorkehrungen (zur Metastabilität und Zersetzungsgefahr vgl.

oben) destillativ angereichert werden.78

Versuch 6: Tintenkiller79

Mit der Chemie des Tintenkillers soll im abschließenden Versuch näher eruiert werden, inwie-

fern Wasserstoffperoxid helfen kann, die chemischen Vorgänge in einem Produkt der Alltags-

und Lebenswelt der Schüler_innen näher zu verstehen. Damit soll zugleich der „Bogen“ zurück

zur Chemie in der Schule geschlagen werden.

Chemikalien:

Geräte und Materialien:

- Magnetrührer und Rührfisch - Spritzflasche

- 3 Pasteur-Pipetten - 50-mL-Becherglas

Aufbau:

100

80

20

40

60

0

AUS

AN

LaboBib© U/min

30

10

50 mL20

Na2SO

3-Lösung (w ≈ 0,1)

H2O

2-Lösung (w ≈ 0,35)

20 mL Wasser, versetzt mit einigen Tropfen Königsblau-Tinte

Magnetrührer

Rührfisch

Abb. 33: Aufbau Versuch Tintenkiller.80

78 Vgl. Offermanns, H./Dittrich, G./Steiner, N.: Wasserstoffperoxid in Umweltschutz und Synthese. S. 154. 79 Quelle des Versuchs: Vgl. Wiechoczeck, D.: Chemie des Tintenkillers. Online verfügbar: http://www.chemieun-terricht.de/dc2/tip/09_03.htm (letzter Zugriff: 03.07.2019, 15:28 Uhr) (verändert). 80 Eigene Erstellung mit ChemSketch, 02.07.2019.

Eingesetzte Stoffe Summenfor-mel

Menge H-Sätze P-Sätze Gefahrensym-bole

Schul-einsatz

Tinte „Königsblau“ - einige Tropfen

- - - OE

Natriumsulfit-Lösung (w ≈ 0,1)

Na2SO3(aq) - - - OE

Wasserstoffperoxid-Lösung (w ≈ 0,35)

H2O2(aq) 302, 315, 318, 335, 412

261, 280, 301+312, 305+351+338

S1

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32

Durchführung:

20 mL entmineral. Wasser werden in ein 50-mL-Becherglas gegeben und unter Rühren mit

wenigen Tropfen Königsblau-Tinte versetzt. Anschließend werden nacheinander je einige

Tropfen Natriumsulfit-Lösung (w ≈ 0,1) sowie Wasserstoffperoxid-Lösung (w ≈ 0,35) beigefügt.

Beobachtung:

Die Tintenlösung besitzt eine intensiv blaue Farbe, die durch Zugabe der Natriumsulfit-Lösung

jedoch rasch entfärbt wird, bis sie fast vollständig farblos geworden ist. Durch das abschlie-

ßende Versetzen mit H2O2 kehrt die anfängliche tiefblaue Farbe allmählich wieder zurück.

Abb. 34: Tiefblaue Tintenlösung (links), entfärbte Lösung nach Zugabe der Natriumsulfit-Lösung (Mitte) sowie

Wiederkehr der tiefblauen Farbe durch Versetzen mit Wasserstoffperoxid (rechts).81

Entsorgung:

Die Wasserstoffperoxid-haltige Tintenlösung wird erhitzt, um H2O2 thermisch zu zerstören,

und anschließend neutral in den Lösungsmittelabfällen entsorgt.

Fachliche Auswertung der Versuchsergebnisse

Im vorliegenden Versuch soll die Wirkungsweise eines handelsüblichen Tintenkillers sowie die

dahinterstehende Chemie mithilfe von H2O2 eingehender untersucht werden, um auf diese

Weise zugleich einen inhaltlichen Abschluss bzw. „Bogen“ zurück zum schulischen Chemieun-

terricht vom Ausgangspunkt des Vortrags zu bilden. Zu diesem Zweck muss jedoch zunächst

gefragt werden, woher die intensive blaue Farbe der Tinte „Königsblau“ herrührt.

Abb. 35: Strukturformel von Kristallviolett, dem wichtigsten in der Tinte enthaltenen Farbstoff.82

81 Eigene Erstellung mit Handykamera, 14.05.2019. 82 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 03.07.2019.

Page 34: Experimentalvortrag AC: Wasserstoffperoxid – zwischen ... · großtechnischen Darstellung (Anthrachinon- bzw. Isopropanolverfahren) an inkl. eines kurzen Blicks in die Historie

33

Verantwortlich für die beobachtete tiefblaue Farbe der Tinte sind verschiedene wasserlösliche

Farbstoffe, deren genaue Zusammensetzung in der Tinte ein streng gehütetes Produktionsge-

heimnis der Herstellerfirma darstellt. Den quantitativ wichtigsten Teil bilden jedoch sog.

Triphenylmethylfarbstoffe wie Kristallviolett, welches an verschiedener Stelle sogar als wich-

tigste farbgebende Komponente der Königsblau-Tinte aufgeführt und daher für die folgende

Auswertung exemplarisch vertieft betrachtet werden soll.83

Anhand der Strukturformel des Kristallvioletts lässt sich gut das für alle Triphenylmethylfarb-

stoffe charakteristische Grundgerüst aus zentralem sp2-hybridisierten Kohlenstoffatom sowie

drei daran geknüpften aromatischen Resten (z.T. mit weiteren funktionellen Gruppen, die

Auxo- oder Bathochromie bewirken) erkennen, die zudem alle planar in einer Ebene stehen:

Durch diesen strukturellen Umstand erstreckt sich das π-System des Farbstoffs über das ge-

samte Molekülsystem, was eine Delokalisation und Absenkung des energetischen HOMO-

LUMO-Abstands zur Folge hat. In der Konsequenz kommt es zur Absorption von Licht im sicht-

baren Spektralbereich (im Fall des Kristallvioletts Absorption von gelbem Licht), sodass der

Farbstoff in der Komplementärfarbe (hier: Blau-Violett) erscheint.84 Beim „Killern“, d.h. der

Zugabe der Natriumsulfit-Lösung zur Tintenlösung, kommt es nun zu einer entscheidenden

strukturellen Änderung – tatsächlich basieren auch handelsübliche Tintenkiller auf ebensol-

chen Sulfit- oder (seltener) auch Dithionit-Lösungen.85

Abb. 36: Gleichgewichtsreaktion der Addition von Sulfit an Kristallviolett unter Bildung des Leukofarbstoffs; bei

der Zugabe des Sulfits liegt das Gleichgewicht auf der rechten, durch H2O2-Zugabe jedoch wieder auf der linken

Seite.86

83 Vgl. Wiechoczeck, D.: Chemie des Tintenkillers, a.a.O. (s. Anm. 79). 84 Vgl. Breitmaier, E.; Jung, G.: Organische Chemie. 7. Auflage, Thieme Verlag, Stuttgart, 2012, S. 735 f. 85 Vgl. Wiechoczeck, D.: Chemie des Tintenkillers, a.a.O. 86 Eigene Erstellung mit Chemdraw, 03.07.2019.

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Es ist zu erkennen, dass sich Sulfit im Rahmen einer Gleichgewichtsreaktion durch das freie

Elektronenpaar am S-Atom an Kristallviolett addiert unter Bildung der farblosen Leukoform;

auf diese Weise kommt es zur auch im Versuch wahrgenommenen Entfärbung der Tinte, was

in der Schule als „Killern“ bzw. „Löschen der Tinte“ bekannt ist. Der Grund für die Entfärbung

lässt sich in der strukturellen Änderung des zentralen Kohlenstoffatoms im Farbstoffgerüst

erblicken: Besitzt dies im normalen Kristallviolett noch sp²-Hybridisierung, sodass eine Delo-

kalisation der π-Elektronen über das gesamte Farbstoffsystem möglich ist, so ändert sich die

Koordination des C-Atoms durch Anlagerung des Sulfits zu sp³ mit der Konsequenz, dass das

vormalig koplanar stehende p-Atomorbital und mit ihm die Planarität des Systems verloren

geht, sodass keine Delokalisation über das mittige C-Atom mehr möglich ist.87 In der Konse-

quenz vergrößert sich der HOMO-LUMO-Abstand, d.h. das Absorptionsmaximum des Leu-

kofarbstoffs liegt nunmehr im UV-Bereich, was für das menschliche Auge nicht mehr farbig

erscheint und deshalb die beobachtete Entfärbung bzw. „Killern“ zur Folge hat.

Wird nun jedoch Wasserstoffperoxid hinzugefügt, kehrt die tiefblaue Tintenfarbe wieder wie

zu beobachten zurück; verantwortlich hierfür ist die Verschiebung des Gleichgewichts wie in

Abb. 36 gemäß dem Prinzip von LE CHATELIER (Prinzip des kleinsten Zwangs): Ohne die Zugabe

von H2O2 liegt das Gleichgewicht auf der rechten Seite, d.h. der des Leukofarbstoffs (s.o.). Wird

nun jedoch H2O2 hinzugegeben, kommt es zu einer Redox-Reaktion, im Zuge derer H2O2 das

Sulfit zu Sulfat oxidiert und damit SO32- irreversibel dem Gleichgewicht entzieht:88

+4 -1 +6 -2

SO32-

(aq) + H2O2(aq) → SO42-

(aq) + H2O(l)

Durch den Entzug des Sulfits aus der Reaktionslösung kommt es zu einem „äußeren Zwang“

(Erniedrigung der Konzentration eines Reaktionspartners, d.h. SO32-), was eine Gleichge-

wichtsneueinstellung zur Folge hat, die dem äußeren Zwang entgegenwirkt: Mit H2O2 kommt

es daher nun zu einer Gleichgewichtsverschiebung wieder nach links, d.h. zurück auf die Seite

des tiefblauen Kristallvioletts, woraus die beobachtete Wiederkehr der Tintenfarbe resultiert.

In der Praxis kann man diese Aufhebung des Löscheffekts oft beobachten, wenn man ältere

Schulhefte wieder hervorholt und eigentlich gekillerte Tinte wieder sichtbar ist: Was im Ver-

such auf der oxidierenden Wirkung des H2O2 gegenüber Sulfit beruht, ereignet sich dort durch

den Luftsauerstoff, mit identischem Resultat (Lösch-Aufhebung & Rückkehr des Gekillerten).89

87 Vgl. Wiechoczeck, D.: Chemie des Tintenkillers, a.a.O. 88 Vgl. ebd. 89 Vgl. ebd.

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35

Didaktisch-methodische Analyse

Das Thema Wasserstoffperoxid eignet sich im Überblick betrachtet sehr gut für die Einbettung

in den schulischen Chemieunterricht, weil es einerseits die Chance bietet, durch seine vielfäl-

tige und auch experimentell „faszinierende“ Chemie – maßgeblich durch die Redox-Amphote-

rie begründet – zahlreiche Lerngelegenheiten insbesondere im Themenfeld Redox zu eröff-

nen, und gleichzeitig durch die Verwendung von H2O2 in mehreren Kontexten des alltäglichen

Lebens, sowohl in Industrie als auch im Haushalt, eine kontextbezogene und lebensweltnahe

Thematisierung chemischer Sachverhalte aus Sicht der Schüler_innen ermöglicht (Lernen in

Kontexten: „Chemie im Kontext“, „Chemie fürs Leben“).90 Gerade diese Synergie aus hohem

fachlichen Lernertrag in Kombination mit der lebensweltlichen Kontextualisierung des Gelern-

ten scheint die zentrale Chance des Themas H2O2 in der Schule zu sein, weswegen auch im

Rahmen des Vortrags versucht werden sollte, beide Perspektiven komplementär aufeinander

zu beziehen. Schließlich könnten sich nicht zuletzt interessante Anreize ergeben, die wach-

sende Beliebtheit bzw. Bedeutung von H2O2 als Chemikalie mit besonders hoher Umwelt-

freundlichkeit (keine schädlichen Reaktionsprodukte, sondern nur Wasser/O2) im Zuge von

Debatten über Nachhaltigkeit und Ökologiebewusstsein auch metareflexiv zu diskutieren (z.B.

im Rahmen von „Green Chemistry“).

Unter didaktischen Gesichtspunkten lässt sich ferner konstatieren, dass alle Versuche sich auf-

grund ihres geringen apparativen Aufwands bzw. der kurzen Durchführungszeit gut für die

Schule eignen. Zudem sind sie aufgrund der relativen Ungefährlichkeit der eingesetzten Stoffe

auch als Schüler_innen-Versuche gut realisierbar (Ausnahme: Die Oxidation von Tartrat sollte

aufgrund der akuten Toxizität/Mutagenität/Kontaktallergenität wasserlöslicher Cobalt(II)-

Salze wie CoCl2 als Lehrer_in-Versuch durchgeführt werden).

Dass alle Versuche zudem eine hohe Anbindungsfähigkeit an Themenbereiche des Kerncurri-

culums (KC) Chemie91 aufweisen, sei detaillierter in nachstehender Tabelle ausgeführt; die

beiden Themenfelder des KC, die sich auf das Thema Redoxchemie beziehen (E.1: Redoxreak-

tionen; Q3.3: Redoxgleichgewichte) können dabei mit Ausnahme von Versuch 1 stets jedem

90 Vgl. Barke, H.-D.; Harsch, G.; Kröger, S.; Marohn, A.: Chemiedidaktik kompakt – Lernprozesse in Theorie und Praxis. 3. Auflage, Springer Spektrum Verlag, Berlin, 2018, S. 352-354. 91 Vgl. Hessisches Kultusministerium: Kerncurriculum gymnasiale Oberstufe Chemie. In: Hessische Kerncurricula Gymnasiale Oberstufe, August 2016, URL: https://kultusministerium.hessen.de/schulsystem/bildungsstandards-kerncurricula-und-lehrplaene/kerncurricula/gymnasiale-oberstufe, letzter Zugriff am 03.07.2019 (18:07 Uhr).

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Versuch zugeordnet werden und seien daher der Übersichtlichkeit halber nicht jedes Mal se-

parat in die Auflistung übernommen.

Fazit

Wasserstoffperoxid stellt eine wichtige Grundlage zahlreicher moderner Alltags-, Industrie-

und Haushaltsanwendungen dar und hat in diesem Sinne sogar bereits mannigfach Einzug in

unser kulturelles Sprachgedächtnis gefunden (man denke nur an: „wasserstoffblond“). Derar-

tige Bezüge explizit aufzugreifen und zum Ausgangspunkt eines kontext-, lebensweltbezoge-

nen und dabei zugleich fachlich fundierten und konzeptvernetzenden Chemieunterrichts zu

machen, stellt sicherlich eine lohnende Chance des Themas H2O2 in der Schule dar.

Versuch Themenfeld im KC Schwerpunkte

Herstellung & Nach-

weis

Q4.3 Komplexchemie Aufbau & Struktur; oktaedrische Komplexe; Ligan-

denaustausch-Reaktionen; Komplexe in der analyti-

schen Chemie; VB-Theorie (LK)

(Q3.1 Chem. Gleichgewichte) (GG des Anthrachinon-Verfahrens)

H2O2 als Oxidations-

mittel (Tartrat)

Q4.6 Katalyse Natur/Technik Homogene Katalyse; Zwischenprodukte & EA

Q3.1 Chem. Gleichgewichte Einfluss von Katalysatoren auf GG-Einstellung

Q3.5 Geschwindigkeit chem.

Reaktionen

EA und Katalyse

Q4.3 Komplexchemie Aufbau & Struktur; katalytische Funktion

H2O2 als Reduktions-

mittel (MnO4-)

(s. E.1 sowie Q3.3: Redoxchemie)

Katalytische Zerset-

zung durch Fe3+

Q3.5 Geschwindigkeit chem.

Reaktionen

zeitl. Verlauf einer Reaktion (mittlere/momentane

Geschwindigkeit); c/t-Diagramme; EA & Katalyse

Q4.6 Katalyse Natur/Technik Homogene Katalyse (Bsp. KREMER-STEIN-Mech.)

Q4.3 Komplexchemie Ligandenaustausch-Reaktionen

Bleichende Wirkung

(Deinking)

Q4.4 Waschmittel Bleichsystem; Nachhaltigkeit (z.B. Rolle von Perbo-

rat vs. Percarbonat)

Q4.1 Farbstoffe Farbigkeit & Molekülstruktur (konjugierte DoBi)

Tintenkiller Q3.1 Chem. Gleichgewichte Nachweis des gleichzeitigen Vorliegens von Eduk-

ten/Produkten; dynam. GG; Prinzip von LE CHATELIER

Q4.1 Farbstoffe Bsp. Triphenylmethylfarbstoffe (Kristallviolett)


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