+ All Categories
Home > Documents > Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für...

Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für...

Date post: 27-Feb-2021
Category:
Upload: others
View: 1 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
16
Eloquentia copiosus Festschrift für Max Kerner zum 65. Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone, Erik Lipperts Ingo Deloie, Lioba Geis, Claudia Lürken und Sascha SchIede Thouet Verlag Aachen2006 OGI -fillI")
Transcript
Page 1: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

Eloquentia copiosus

Festschrift für Max Kerner zum 65. Geburtstag

herausgegeben von

Lotte Kery

unter Mitarbeit von

Monika Gussone, Erik Lipperts

Ingo Deloie, Lioba Geis, Claudia Lürken und Sascha SchIede

Thouet Verlag

Aachen2006

OGI -fillI")

Page 2: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

Kar! der Große zwischen Rom und Aachen

Die Kaiserkrönung und das Problem der Loyalität im Frankenreich

Matthias Becher

Karl der Große herrschte kurz vor seiner Erhebung zum Kaiser an Weihnachten desJahres 800 in Rom nicht nur über die Franken, sondern auch über eine Vielzahl ande-rer Völker und Völkerschaften'. Kein anderer christlicher König im Westen kam ihmdarin gleich, weder in Nordspanien noch auf den britischen Inseln. Die Königsherr-schaft Karls war von ganz anderer Dimension und Qualität als die der genanntenFürsten. Der Königstitel konnte daher die Stellung Karls als Herrscher nicht mehrangemessen beschreiben. In einer im damaligen Frankenreich verbreiteten Schriftdifferenzierte man bereits zwischen Herrschern über ein Volk und solchen über meh-rere Völker, denen der Autor den Kaisertitel beigab2. In diesem Sinne hatte Karls Po-sition in Europa, seine Herrschaft über Franken, Langobarden, Aquitanier, Aleman-nen, Bayern und Sachsen schon lange vor 800 eine kaiserliche Qualität erreichte. Abernach den Vorstellungen der Zeit konnte es nur einen Kaiser geben, den Kaiser desRömischen Reiches, der seit dem Untergang des Weströmischen Reiches allein imOsten, in Konstantinopel, dem Neuen Rom, residierte4.

Der Kaiser überragte alle christlichen Könige an Ansehen, ja er beanspruchte alsNachfolger der antiken römischen Caesaren eine ideelle Vorrangstellung. Seit derSpätantike spielte der Kaiser vor allem auch innerhalb der Kirche eine entscheidendeRolle, fanden doch seit Konstantin dem Großen ökumenische Konzilien in Gegen-wart und unter maßgeblicher Beteiligung des jeweiligen Kaisers statt. Vielleicht ist esdaher kein Zufall, daß der Aufstieg Karls zur Kaiserwürde durch Ereignisse im altenRom ausgelöst wurde. Rom aber war damals nicht nur die ehemalige, von den Kai-sern längst verlassene Hauptstadt des Römischen Reiches, sondern vor allem auchder Sitz des Papstes, des Patriarchen der in den westlichen Provinzen des ehemall-

1) Angeregt von der 1200. Wiederkehr der Kaiserkrönung erschienen etliche Biographien des großenKarolingers: Roger CoWNS, Charlemagne (1998); Jean FAVlER,Charlemagne (1999); Matthias BECHER,Karl der Große (1999); Dieter HÄGERMANN,Kar! der Große. Herrscher des Abendlandes. Eine Biogra-phie (2000); sowie die auf die Karlsrezeption hin konzipierte Monographie von Max KERNER,Karl derGroße. Entschleierung eines Mythos (2000).2) Max CONRAT(COHN), Ein Traktat über romanisch-fränkisches Ämterwesen, ZRG Germ. 29 (1908)

5.239-260, hier 5. 248: Rex qui super unam gentem tiel mulias. Imperator qui super totum mundum aut quiprecellit in eo; zu Entstehungszeit und Verbreitung der Schrift vgI. Pranz BEYERLE,Das frührnittelalter-liehe Schulheft vom Ämterwesen. ZRGGerm. 69 (1952) 5.1-23.3) Max KERNER,Karl der Große und die Grundlegung Europas, in: Krönungen. Könige in Aachen _

Geschichte und Mythos 1: Katalog der Ausstellung, hg. von Mario KRAMP (2000) 5.174-184, bes.5.178.4) Vgl. Donald BULl.OUGH,Die Kaiseridee zwischen Antike und Mittelalter, in: 799 - Kunst und Kul-

tur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo Ill. in Paderbom. Katalog der Ausstellung Pa-derbom 1999, Beitragsbd., hg. von Christoph SnEGEMANN u. Matthias WEMHOFF(1999) S. 36-46.

Page 3: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

2 MATTHIASBECHER

gen Römerreiches gelegenen Kirchen'', Im Frühmittelalter war seine Leitungsgewaltoftmals nicht wirklich spürbar, aber er genoß doch das höchste Ansehen unter sämt-lichen Bischöfen, nicht zuletzt weil er Nachfolger des Apostelfürsten. des hl. Petrus,war=, So wie der Kaiser die Spitze aller weltlichen Macht bildete, stand der Papst ander Spitze der kirchlichen Hierarchie. Papst- und Kaisertum waren universale Ge-walten, deren Autorität - zumindest der Theorie nach - für die gesamte Christenheitgalt.

Aber gerade für das Kaisertum reichte es nicht aus, sich auf eine überkommenegroße Autorität zu berufen. Ein Mindestmaß an politischer Präsenz im westlichenMittelmeerraum, genauer in Italien, war vonnöten, um diese Position zu halten. Ge-rade in Italien war aber der byzantinische Kaiser ständig auf dem Rückzug", Erkonnte angesichts seiner dauernden Kriege mit Arabern und Bulgaren im 8. Jahr-hundert seine ihm verbliebenen Territorien in Sud- und Mittelitalien kaum noch ver-teidigen - und schon gar nicht die Stadt Rom und damit den Papst. Dieser hatte sichdaher immer enger an die Franken angeschlossen, um Hilfe gegen die Langobardenzu erhalten, die im Begriff standen, Rom zu erobern", So war Papst Zacharias 751auch ohne weiteres bereit gewesen, die Thronbesteigung von Pippin, Karls Vater, zuunterstützen''. Sein Nachfolger Stephan 11.reiste 753/54 sogar ins Frankenreich, umPippin zu einem militärischen Eingreifen gegen die Langobarden zu bewegen. AlsGegenleistung bestätigte er das karolingische Königtum und erhielt seinerseits nichtnur Waffenhilfe, sondern auch die Zusage über territoriale Zugeständnisse in Itali-

5) VgI. Rudolf 5cHIEFFER,Der Papst als Patriarch von Rom, in: n Primato del vescovo di Roma netprimo millennio. Ricerche e testimonianze. Atti del Symposium Storico-Teologico, Roma, 9-13 ottobre1989, hg. von MicheIe MACCARONE (1991) S.433-451; Hans Hubert ANTON, Solium imperii undPrindpatus sacerdotum in Rom, fränkische Hegemonie über den Okzident / Hesperien. Grundlagen.Entstehung und Wesen des karolingischen Kaisertums, in: Von Sacerdotium und Regnum. Geistlicheund weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelalter. FS für Egon Boshof zum 65. Geburtstag, hg.von Frauz-Reiner ERKENSu. Hartmut WOl.FF (passauer Historische Forschungen 12, 2(02) S. 203-274.6) VgI. Friedrich KEMPF, Primatiale und episkopal-synodale Struktur der Kirche vor der Gregoriani-

schen Reform, AHP 16 (1978) S. 27,(,(,.7) VgI. Peter CLASSEN,Italien zwischen Byzanz und dem Frankenreich, in: Nascita dell'Europa ed

Europa carolingia: un'equazione da verificare (Settimane di studio del centro italiano di studi suIl'altomedioevo 27, 1981) S. 919-967, ND in: Ausgewählte Aufsätze von Peter Classen, hg. von [osefFLECKENSTEIN(VuF 28,1983) S. 85-115; Hans Hubert ANroN, Beobachtungen zum fränkisch-byzanti-nischen Verhältnis, in: Beiträge zur Geschichte des Regnum Francorum. Referate beim Wissenschaft-lichen Colloquium zum 75. Geburtstag von Eugen Ewig, hg. von Rudolf 5cHIEFFER(Beihefte der Fran-cia 22, 1990) S. 97-119; Albrecht Graf FINCKVON FINCKENSTEIN,Rom zwischen Byzanz und den Fran-ken in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, in: FS für Eduard Hlawitschka zum 65. Geburtstag, hg.von Karl Rudolf 5cHNllH u. Roland PAULER(Münchner Historische Studien, Abt. Mittelalterliche Ge-schichte 5, 1993) S. 23-36.8) VgI. Max KERNER,Die frühen Karolinger und das Papsttum, Zeitschrift des Aachener Geschichts-

vereins 88/89 (1981/82) S. 5-41.9) Vg!. jetzt die einzelnen Beiträge in:Der Dynastiewechsel von 751. Vorgeschichte, Legitimations-

strategien und Erinnerung, hg. von Matthias BECHERu. Jörg JARNUT(2004).

Page 4: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

KARLDERGROSSEZWISCHENROMUNDAACHEN 3

ento• Tatsächlich übertrug der Frankenkönig nach seinem Sieg dem Nachfolger deshl. Petrus die Stadt Ravenna und ihr Umland. Das Bündnis wurde noch enger, alsKarl rund zwanzig Jahre später das Langobardenreich auf einen päpstlichen Hilferufhin eroberte und damit die von ihm ausgehende Bedrohung Roms endgültig aus-schaltete.

Dennoch erkannten weder Papst noch Kaiser den Frankenkönig als gleichberech-tigt an, wie ihr Verhalten im Kontext des Konzils von Nicäa 787 zeigt. Auch wennKarl mit der Synode von Frankfurt 794 seine Eigenständigkeit demonstrierte unddabei kaum Rücksicht auf Papst Hadrian nehm", so dürfte er die Selbstgewißheitder beiden Universalgewalten dennoch nicht erschüttert haben. Das sah man am ka-rolingischen Hof naturgemäß anders. Karls Selbstbewußtsein spiegelt sich am bestenin einem an ihn gerichteten Brief seines gelehrten Ratgebers Alkuin aus dem Jahr799: "Drei Personen nahmen auf der Welt bisher die höchste Stelle ein, nämlich derPapst in Rom, der den Stuhl des hl. Apostelfürsten Petrus als Stellvertreter innehat,dann die kaiserliche WUrde und die weltliche Macht des zweiten Rom, an dritterStelle die königliche WUrde, zu der Euch die Gnade unseres Herrn Jesus Christuserhoben hat, als Lenker des christlichen Volkes, mächtiger als die genannten, hehreran Weisheit, erhabener durch die WUrde des Reiches. Auf Dir allein", so Alkuin wei-ter, "beruht das ganze Wohl der Kirchen Christi. Du strafst die Verbrechen, führstdie Irrenden auf den rechten Weg zurück; du bist der Tröster der Betrübten, Du er-höhst die Guten"12. Trotz aller glänzenden Rhetorik zugunsten seines Herrn Karlkam Alkuin aber nicht umhin, eingangs die offizielle Hierarchie anzusprechen: Zu-erst kommt der Papst als geistliches Oberhaupt und dann der Kaiser in Konstantino-pel als weltliches.

Wir könnten Alkuins Worte als Schmeicheleien eines intellektuell hochstehendenHöflings abtun, wenn der Brief nicht in einer besonderen Situation geschrieben wor-den wäre, in der sich sowohl das Papst- als auch das Kaisertum in einer schwerenKrise befanden. Im Jahr 797 war Kaiser Konstantin VI. von seiner eigenen MutterIrene gestürzt worden, die ihren Sohn sogar blenden ließ und als erste Frau im Römi-schen Reich selbständig die Regierung führtet3• Die Tat war auch in den Augen der

10) Vgl. }örg }ARNUT,Quierzy und Rom. Bemerkungen zu den Hpromissiones donationis" Pippinsund Karls, HZ 220 (1975) 5. 265-297, ND in: Herrschaft und Ethnogenese im Frühmittelalter. Gesam-melte Aufsätze von }örg Jarnut. Festgabe zum 60. Geburtstag, hg. von Matthias BECHER(2002) 5. 201-233.11) Vgl. Das Frankfurter Konzil von 794. Kristallisationspunkt karolingischer Kultur, hg. von Rainer

BERNDT(Quellen und Abhandlungen zur mittelrhein. Kirchengeschichte BO, 1997); Helmut NAGEL,Karl der Große und die theologischen Herausforderungen seiner Zeit (1998) 5. 155f£.12) A1kuin, Epistolae, ed. Ernst DOMMLER,in: Epistolae Karolini Aevi 2 (MGH Epp. 4, 1895) Nr. 174,

5.287f£.13) Zu den byzantinischen Verhältnissen vgl. Paul SPECK,Kaiser Konstantin VI. Die Legitimation ei-

ner fremden und der Versuch einer eigenen Herrschaft 1-2 (1978); Peter SCHREINER,Byzanz (Olden-bourg Grundriß der Geschichte 22. 1986) 5.125; Ralph-Johannes LIUE, Byzanz unter Eirene und Kon-stantin VI. (780-802). Mit einem Kapitel über Leon IV. von Ilse ROCHOW (Berliner ByzantinistischeStudien 2, 1996).

Page 5: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

4 MATTHIASBECHER

Zeitgenossen ungeheuerlich, obwohl sich Karl der Große in der praktischen Politiknicht weiter daran störte und mit Irene verhandelte. Ende April 799 war PapstLeo Ill. von seinen innerrömischen Feinden gefangen genommen und abgesetztworden, ja angeblich hatte man den Papst sogar des Augenlichts und der Zunge be-raubtt+, In dieser Situation schrieb Alkuin die oben zitierten Zeilen, und vor diesemHintergrund gewinnen sie durchaus an Brisanz. Denn Alkuin folgert aus demSchicksal von Papst und Kaiser, daß nun alles auf den Frankenkönig ankomme. Karlsolle daher den Krieg gegen die Sachsen beenden und nach Rom eilen, um dort Ord-nung zu schaffen.

Doch warum zog Karl im Jahr 799 trotz dieser eindrücklichen Mahnung nichtnach Rom? Vielleicht wollte er seine Planungen für das laufende Jahr nicht einfachumwerfen, zumal noch keine völlige Klarheit Ober das Vorgefallene bestand. Ver-mutlich aber wollte er vor allem die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, sich alsRichter Ober den Inhaber der höchsten geistlichen Gewalt darzustellen - eine Rolle,die bislang der byzantinische Kaiser eingenommen hatte. Damit setzte sich Karl auchOber die Bedenken Alkuins hinweg, nach dessen Meinung der Papst als Inhaber desvornehmsten Amtes auf Erden von niemandem gerichtet werden könneü, Aber dieGelegenheit war günstig, die eigene Macht zu demonstrieren, und so mußte Leonach seiner Flucht aus seinem römischen Gefängnis nach Norden ins Frankenreichreisen", Zudem war dieser Papst in seinem persönlichen Lebenswandel nicht Oberjeden Zweifel erhabenl", Entsprechende Anklagen brachten die römischen Attentäterjedenfalls gegen ihn vor. Auch am fränkischen Hof gab es eine Fraktion, die Leo amliebsten hinter Klostermauern verbannt hätte. Karl schwankte, und vielleicht ist diesder Grund, warum er Leo in Paderborn, weitab vom Gravitationszentrum seines Rei-ches im nördlichen Frankenreich und eben nicht in seiner werdenden Residenz inAachen, empfing. Paderborn war kein repräsentativer Ort, kein alter Bischofssitz wieReims oder Paris und auch keine ehrwürdige Abtei wie Saint-Denis oder Saint-Martin in Tours.

Als Leo in Paderborn ankam, empfing der König ihn mit allen Ehren, entließ ihnaber auch gleich wieder. Eine fränkische Abordnung führte den Papst Ende Novem-ber 799 nach Rom zurück und stellte eine Untersuchung Ober die römischen Vorfälle

14) VgI. Jörg JARNUT, 799 und die Folgen. Fakten, Hypothesen und Spekulationen, WestfälischeZeitschrift 150 (2000) S. 191-209; Johannes FRIED,Papst Leo Ill. besucht Karl den Großen in Paderbornoder Einhards Schweigen, HZ 272 (2001) S. 281-326; Matthias BECHER,Die Reise Papst Leas Ill. zu Karldem Großen. Überlegungen zu Chronologie, Verlauf und Inhalt der Paderborner Verhandlungen desJahres 799, in: Am Vorabend der Kaiserkrönung. Das Epos .Karolus magnus et Leo papa' und derPapstbesuch in Paderbom 799, hg. von Peter GoDMAN, Jörg JARNUTu. Peter JOHANEK(2001) S. 87-112;vgI. auch DENS.,Karl der Große und Papst Leo lll. Die Ereignisse der Jahre 799 und 800 aus der Sichtder Zeitgenossen, in: 799 - Kunst und Kultur (wie Anm. 4) Ausstellungskatalog 1, S. 22-36.15) Alkuin, Epistolae, ed. DOMMLER(wie Anm. 12) Nr. 179, S. 297.16) BECHER,Reise (wie Anm. 14) S. 101fE.17) VgI. Max KERNER,Der Reinigungseid Leos lll. vom Dezember BOO.Die Frage seiner Echtheit und

frühen kanonistischen Überlieferung. Eine Studie zum Problem der päpstlichen Immunität im frühe-ren Mittelalter, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 84/85 (1977/78) 5.131-160, hier S. 137f.

Page 6: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

KARL DERGROSSE ZWISCHEN ROM UND AACHEN 5

an. Nach deren Ende überantworteten die fränkischen Gesandten die Attentäter abernicht etwa dem Papst, sondern schickten sie zur Sicherungsverwahrung ins Franken-reich. Nach wie vor standen also ihre Anklagen gegen den Papst im Raum. Wäh-renddessen traf Karl intensive Vorbereitungen für seine Expedition nach Rom. ImFrühjahr des Jahres 800 unternahm er zunächst eine Rundreise durch sein Reich18• InTours traf er sich nicht nur mit Alkuin, sondern hielt auch eine Art Familienkonfe-renz mit seinen drei Söhnen Karl, Pippin und Ludwig ab, die der Planung des Ita-lienzuges dientet". Eine durchaus glaubhafte Quelle berichtet, daß er für den Eventu-alfall sogar seine Nachfolge ordnete20.

Nach einer weiteren Versammlung in Mainz Anfang August brach Karl nach Ita-lien auf. InRavenna legte er eine Pause von sieben Tagen ein. Zum ersten Mal in sei-nem Leben betrat er diese symbolträchtige Stadt, einst Residenz der weströmischenKaiser sowie des berühmten Ostgotenkönigs Theoderich des Großen und anschlies-send bis 751 Sitz des Exarchen, der den byzantinischen Kaiser in Italien vertrat. Ra-venna kann daher als "Inbegriff für spätantike Kaiserherrschaft" gelten21• Von hieraus entsandte der Frankenkönig seinen Sohn Pippin gegen das unabhängige Fürsten-tum Benevent22• Er selbst zog weiter nach Rom, traf sich am 23. November mit demPapst zu Gesprächen über das weitere Vorgehen in einem kleinen Städtchen 15 Mei-len vor Rom23• Mit der Hilfe des Tagesheiligen konnte Leo Ill. sein Anliegen verdeut-lichen: Es handelte sich um den hl. Papst Clemens, der als Autor eines am Ende des1. Jahrhunderts abgefaßten Briefes galt, in dem die Unabsetzbarkeit von Priesternbetont wurdeö. Damit wurde zugleich an den ebenfalls alten Grundsatz erinnert,nämlich daß der Papst von niemandem gerichtet und damit auch nicht abgesetztwerden könne25. Am folgenden Tag zog der Frankenkönig dann feierlich in die Ewi-ge Stadt ein und wurde vom Papst auf den Stufen von St. Peter offiziell empfangen.

In Rom verhielt KarI sich dann tatsächlich wie der Inhaber der höchsten weltli-chen Gewalt auf Erden. Eine Woche nach seiner Ankunft rief er die anwesenden

18) Annales regni Francorurn a. 800, ed. Friedrich KURZE,MGH SS rer. Germ. (6) (1895) S. 110.19) Astronomus, Vita Hludowici imperatoris c.10, ed. Ernst TREMP,MGH SS rer. Germ. (64) (1995)

S. 279-555, hier S. 308.20) Chronicon Moissiacense (Cod. Moiss.) a. 800, ed. Georg Heinrich PERTZ,MGH SS 1 (1826) S. 280-

313, hier 5.304.21) JARNUT,Folgen (wie Anm. 14) S. 208.22) Annales regni Francorum a. 800 (wie Anm. 18) S. 110.23) Matthias BEOlER, Die Kaiserkrönung im Jahr 800. Eine Streitfrage zwischen Karl dem Großen

und Papst Leo Ill., Rheinische Vierteljahrsblätter 66 (2002) 5.1-38, hier S. 8f.; dagegen geht die Mehr-heit der Forschung von einem hochoffiziellen Empfang des Königs durch den Papst aus, vg!. AchimThomas HACK, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen (Forschungenzur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 18, 1999)5.318 mit Anm. 137.24) VgI. Michael SIERCK,Festtag und Politik. Studien zur Tagewahl karolingischer Herrscher (AKG,

Beiheft 38, 1995) 5.402 mit Anm. 5, der die Tageswahl etwas vorschnell als Beleg für eine Entschei-dung Karls imSinne Leos interpretiert.25) VgI. Salvatore VACCA,Prima sede» a nemine iudicatur. Genesi e sviluppo storico dell'assioma fino

al Decreto Graziano (Miscellanea Historiae Pontificiae 61, 1993).

Page 7: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

6 MATTHIAS BECHER

geistlichen und weltlichen Großen zu einer Synode zusammen, und das auf dem Bo-den der alten Kaiserstadt Rom am Sitz des Papstes26• Zudem waren die Vorwürfegegen diesen auch noch wichtigster Gegenstand der Verhandlungen, die ja - mögli-cherweise gemäß den Wünschen Karls - noch immer nicht vollständig ausgeräumtwaren. Wochenlang kam man zu keinem Ergebnis. Schließlich war Leo bereit, einenReinigungseid zu leisten. Feierlich schwor er auf die Evangelien, daß die gegen ihnerhobenen Vorwürfe nicht zuträfen-", Damit waren die Anklagen erledigt und dieUnschuld des Papstes erwiesen. Das Verfahren kehrte sich daraufhin jedoch nichtetwa gegen die römischen Verschwörer, deren Anschuldigungen Leo mit seinem Eidals falsch erwiesen hatte, sondern die Kirchenversammlung widmete sich nun einemanderen Thema.

Laut Bericht eines dem Hof nahestehenden Zeitzeugen, des Lorscher Annalisten,beschloß das Konzil im Anschluß an den Reinigungseid des Papstes mit diesem alsWortführer, "daß man Karl, den König der Franken, Kaiser nennen müsse"28. Auf-schlußreich sind die Motive, die der Annalist für diesen Beschluß nennt

Et quia iam tunc eessabat a parte Graeeorum nomen imperatoris, et femineum imperi-um apud se abebant, tunc visum est et ipso apostolieo Leoni et universis sanetis patri-bus qui in ipso concilio aderant, seu reliquo christiano populo, ut ipsum Carolum regemPranchorum imperaiorem nominate debuissent, qui ipsam Romam tenebat, ubi semperCaesaras [!] sedere soliti erani, seu reliquas sedes quas ipse per Italiam seu Galliam neenon et Gennaniam tenebat; quia Deus omnipotens has omnes sedes in potestate eiusconcessit, ideo iustum eis esse videbatur, ut ipse cum Dei adiutorio et unioerso dtrisiia-no populo petente ipsum nomen aberett".

Den Bitten der Versammlung, so der Annalist weiter, habe Karl sich nicht verschlies-sen können und am Weihnachtstag den Kaisertitel zusammen mit der Weihe durchden Papst empfangen.

Während sowohl die offiziösen fränkischen Reichsannalen als auch der Liber ponii-ficalis jeden Verweis auf Byzanz vermeiden, begründen die Lorscher Annalen KarlsKaisertum gerade im Hinblick auf die alte Kaisermacht in Konstantinopels', Indemdie Herrschaftsfähigkeit der Kaiserin lrene wegen ihres Geschlechts bestritten wur-de, konnte man sich auf den Standpunkt stellen, der Kaiserthron sei vakant und so-

26) Vgl. Wilfried HARTMANN,Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien (Kon-ziliengeschichte. Reihe A:. Darstellungen, 1989) S. 1221.27) Vgl. KERNER,Reinigungseid (wie Anm.17) S. 141ff.28) Annaies Laureshamenses a. 800, ed. Georg Heinrich PERTZ.MGH SS 1 (1826) S. 22-39, hier S. 38;

zur Diskussion um den Verfasser vgl BEOiER, Kaiserkrönung (wie Arun. 23) S. 5 Arun. 23.29) Armales Laureshamenses a. 801 (wie Anm. 28) S. 38.30) Zu diesem Problemkreis vgl. Peter CI.A$EN, Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die Be-

gründung des karolingischen Kaisertums (Beitrage zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters9, 1985); FRIED, Papst Leo ilL (wie Anm. 14); Rudolf ScHIEFFER,Karl der Große, Eirene und der Ur-sprung des westlichen Kaisertums, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frü-hen Mittelalters, hg. von Waiter FüHL (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 9, 2004) S. 151-158.

Page 8: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

KARLDERGROSSEZWISCHENROMUNDAACHEN 7

mit die Erhebung eines Kaisers legitim. Mit dem Hinweis auf das nomen imperatorisschloß sich der Annalist der sogenannten Nomen- bzw. Namentheorie an, die letzt-lich auf die Kirchenlehrer Augustinus (354-430) und Isidor von Sevilla (560-636) zu-rückgeht", Demnach mußten Name und Inhalt identisch sein, im Falle der politi-schen Herrschaft also ein Machthaber seinen Aufgaben auch nachkommen. Andern-falls verlor er seine Macht, und das Volk war berechtigt, einen neuen Herrscher-Kaiser oder König - zu erheben. Folgerichtig betonte der Lorscher Annalist die Zu-gehörigkeit der sedes in Italien, Gallien und Germanien zu Karls Herrschaftsbereich,der sich folglich mit weiten Teilen des ehemaligen Römerreiches deckte, um Karlgegen Byzanz zum wahren Nachfolger der antiken Cäsaren zu stilisierenv.

Der wichtigste Grund für die Erhebung Karls zum Kaiser war allerdings derWunsch nach Wiederherstellung der Ordnung innerhalb der römischen Kirche. Indieser Einschätzung sind sich fast alle Quellen einig, und in Karls Urkunden undKapitularien, die am ehesten als Selbstaussagen des neuen Kaisers zu werten sind,wird dies deutlich sichtbar: Während die Kaiserkrönung selbst nicht offen angespro-chen wurde, hieß es, Karl sei wegen der Zerrüttung der römischen Kirche nach Itali-en gekommervt. Damit wurde auf die Gegner Leos angespielt, gegen die Karl auffäl-ligerweise erst nach der Kaiserkrönung tätig wurde: Er verurteilte sie zum Tode undbegnadigte sie erst auf Bitten des Papstes zur Verbannung ins Frankenreich. Die For-schung hat lange diskutiert, ob die Erhebung Karls zum Kaiser zwingende Voraus-setzung für das Urteil gegen die Aufrührer warJ4, sicher ist jedenfalls, daß er sich aufdiese Weise demonstrativals Kaiser präsentieren und für Gerechtigkeit gegenüberdem Nachfolger des hl. Petrus sorgen konnte.

Alles in allem war wohl Karl selbst die treibende Kraft bei seiner Erhebung zurr,Kaiser. Leo Ill. war eher ein Getriebener, der um seine Stellung als Papst bangermußte und nach seiner vollständigen Rehabilitierung seine Position nur dadurchwahren konnte, daß er bei Karls Erhebungszeremonie die zentrale Rolle spielte, unc,zwar indem er sie zu einer Krönung umstilisierte. In Konstantinopel wurde eir,

31) VgI. Heinrich FICHTENAU,Karl der Große und das Kaisertum, MlöG 61 (1953) S.257-334, hierS. 259ff.; Helmut BEUMANN, Nomen imperatoris. Studien zur Kaiseridee Karls des Großen (1958), in:Zum Kaisertum Karls des Großen, hg. von Gunther WOLF (Wege der Forschung 38, 1972) S. 174-215;Amo BoRST, Kaisertum und Nomentheorie im Jahre 800 (1964), in: ebd. S. 216-240; CLASSEN,Karl (wieAnm, 30) S. 70£.32) VgI. Hans Hubert ANToN, Antike Großländer, politisch-kirchliche Traditionen und mittelalterli-

che Reichsbildung, ZRG Kan. 117 (2000) S. 33-85, hier S. 43f.33) Vgl. Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen, hg. von Engelbert MOHLBACHER,

MGH DD Karolinorum 1 (1906, ND 1979) Nr.l% (Rom, 4. März 801) S.264: ... pro quibusdam causissancte dei ecdesie ac domni Leonis pope ... ; Capitulare Italicurn, in: Capitularia regum Franeorum 1, ed.Alfred BoRETIUS, MGH LL 2, 1 (1883) Nr. 98, S. 204: Cum Italiam propter utilitatem sanciae Dei ecclesiae acprovinciarum disponendarum venissemus .•.34) Vgl. Othmar HAGENEDER,Das crimen maiestatis, der Prozeß gegen die Attentäter Papst Leos lII.

und die Kaiserkrönung Karls des Großen, in: Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik undRecht im Mittelalter. FS für Friedrich Kempf, hg. von Hubert MORDEK (1983) S.55-79, hier S.62ff.;HAGERMANN,Karl (wie Anm. 1) S. 435f.

Page 9: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

8 MATIHIASBECHER

Thronprätendent zunächst vom Volk zum Kaiser ausgerufen und anschließend vomPatriarchen gekrönt, ohne daß diese Krönung konstitutiven Charakter besessen hät-te35.Am Weihnachtstag des Jahres 800 orientierte man sich an diesem Vorbild=, aberLeo verkehrte die Reihenfolge und setzte Karl die Krone auf, bevor dieser von denRömern zum Kaiser ausgerufen werden konnte! Dies mag der Grund für Karls nega-tive Bemerkungen über die Kaiserkrönung gewesen sein, die sein Biograph Einhardkolportiert. "Er kam also nach Rom und brauchte daselbst den ganzen Winter, umdie Kirche aus der überaus großen Zerrüttung, in die sie verfallen war, zu reißen.Damals empfing er die Benennung Kaiser und Augustus; das war ihm zuerst so zu-wider, daß er versicherte, er hätte an jenem Tage, obgleich es ein hohes Fest war, dieKirche nicht betreten, wenn er des Papstes Absicht hätte vorher wissen können"37.

Mit dem Weihnachtstag des Jahres 800 hatte Karl sein Ziel erreicht, sowohl demrömischen Papst als auch dem byzantinischen Kaiser seine Gleichberechtigung,wenn nicht Überlegenheit zu demonstrieren. Die neue Würde stellte ihn aber auchvor neue Herausforderungen. Sein bisheriges Herrschaftskonzept mußte dem neu-erworbenen Kaisertum angepaßt werden. Bislang war er lediglich König der Frankenund Langobarden gewesen, hatte also zwei Personenverbänden vorgestanden. DieBasis seiner Kaiserherrschaft war weit schwieriger zu umreißen. Die Stadtrömer ka-men dafür schon wegen ihrer geringen Zahl nicht in Frage. Außerdem verband sichja mit dem Kaisertum ein universaler Anspruch, wie ihn das alte Imperium Roma-num erhoben hatte und in Gestalt des byzantinischen Reiches noch immer vertratVolle vier Monate nach seiner Kaiserkrönung blieb Karl noch in Rom, ohne daß wirüber seine Aktivitäten genauere Kenntnis besäßen. Eine Lösung des gerade umrisse-nen Problems fand er dort jedenfalls nicht. Auffällig ist, daß sich aus dieser Zeit undauch den Monaten danach kaum Urkunden des neuen Kaisers erhalten haben. Mansollte armehmen, daß dieser seiner neuen WUrde auch durch das Ausstellen zahlrei-

35) VgI. Peter CLAssEN, Der erste Römerzug in der Weltgeschichte, in: Historische Forschungen fürWaiter SchIesinger, hg. von Helmut BEUMANN(1974) S.325-347, hier S. 332ff.; Otto l'REmNGER, DieOströmische Kaiser. und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell (1938) S.71ff.;Eduard EICHMANN,Die Kaiserkrönung im Abendland. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des Mittelal-ters mit besonderer Berücksichtigung des kirchlichen Rechts, der Liturgie und der Kirchenpolitik 1(1942) S.l4ff.; Kurt-Ulrich JÄSCHKE, Frührnittelalterliche Festkrönungen? Überlegungen zu Termino-logie und Methode, HZ 211 (1970) S. 556-588, hier S. 571ff.36) EICHMANN,Kaiserkrönung (wie Anm. 35) S. 29ff.; Q.ASsEN, Kar! (wie Anrn. 30) S. 62ff.; vg!. aber

auch Percy Ernst SCHRAMM,Die Anerkennung Karls des Großen als Kaiser, in: DERS.,Kaiser, Königeund Päpste1: Von der Spätantike bis zum Tode Karls des Großen (1968) S. 215-263, hier S. 261 Anm.141; Carlrichard BRÜHL,Fränkischer Krönungsbrauch und das Problem der "FestkrönungenM

, HZ 194(1962) S. 265-326, hier S. 308 Anrn. 6.37) Einhard, Vita Karoli c.28, ed. Oswald HOLDER-EGGER(MGH SS rer. Germ. [25), 1911) S.32:

ldcirco Romam veniens propter rtparandum, qui nimis conturbatus erat, ecclesiae statum ibi totum hiemistempus exiraxii. Quo tempore imperatoris et augusti nomen accepit. Quod primo in tantum aversatus est, utadfirmaret se eo die, quamois praecipUJIfostivitas esset, ecclesiam non intraturum, si pontifids consiliumpraescire potuisset; diese Stelle gehört eigentlich zu c. 27, vgI. Heinz Lows, "Religio christiana" . Romund das Kaisertum in Einhards Vita Karoli Magni, in: Storiografia e Storia. Studi in onore di EugenioDupre Theseider (1974) S. 1-20, hier S. 9f.

Page 10: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

KARL DERGROSSEZWISCHEN ROM UND AACHEN 9

cher Urkunden hätte Ausdruck verleihen wollen und daß diese in entsprechenderZahl auf uns gekommen wären. Von den wenigen erhaltenen Dokumenten weisterstmals ein in Bologna ausgestelltes Diplom von Ende Mai 801 den neuen Herr-schertitel auf: Karalus serenissimus augustus a Deo coronatus magnus, pacificus imperator,Romanum gubemans Imperium, qui et per misericordiam Dei rex Franeorum aique Lango-bardorum», Damit hatte Karl einen Titel gefunden, der den Ansprüchen seiner wich-tigsten Völker gerecht wurde, ohne den römischen und damit universalen Charakterseiner neuen Würde zu vernachlässigen.

Der Kaisertitel mit all seinen Reminiszenzen an das antike Römerreich und seinenchristlichen Konnotationen veränderte auch die Regierungsweise Karls im Innernseines Reiches. Einhard beginnt daher seine Ausführungen über Karls innere Politikmit den Worten: post susceptum imperiale nomew". Das mag eine Feststellung aus derRückschau sein, aber die Namentheorie besaß bereits vor dem Jahr 800 erheblichenEinfluß auf den karolingischen Hof40.So war man sich dort bewußt, daß der Inhabereines Titels diesem ja auch gerecht werden mußte. Es reichte also nicht aus, daß Karlden Kaisertitel führte, er mußte auch regieren wie ein Kaiser. Daher ließ er seit demJahr 801 kaiserliche Münzen prägen41; seine Urkunden ergingen wohl seit Oktober803 mit dem antikisierenden legimus, "wir haben es gelesen", als kaiserlicher Unter-schrift und wurden nach byzantinischem Vorbild mit Goldbullen besiegelt-U. Leiderhat nur ein Exemplar aus Blei die Zeiten überdauert, dessen Revers eines der Stadtto-re Roms aufweist mit der bezeichnenden Umschrift Renovatio Rom(ani) Imperii.

Diese "Erneuerung des Römischen Reiches" war kein Programm für weitere Er-oberungen, sondern sprach Karls gesetzgeberische Tätigkeit an, die er nach seinerKaiserkrönung erheblich intensivierte. Bereits während seiner Rückreise von Romerließ er im Mai 801 in der alten langobardischen Hauptstadt Pavia das sogenannteItalienische Kapitular. Besonders zwei Bestimmungen darin sind hervorzuheben:Zum einen drohte er desertores, also Deserteuren, die Todesstrafe an, da er sie nachdem Vorbild der spätrömischen Rechtsauffassung als Majestätsverbrecher ansah43•Zum anderen verhängte er über alle, die "den Frieden der Kirchen Gottes, der Wit-wen und Waisen sowie der weniger Mächtigen brechen", die Buße des Königsbannesin Höhe von 60 Schillingen+'. Beide Bestimmungen verwiesen einerseits zurück auf

38) MGH D K 1 (Bologna, 29. Mai BOl) (wie Anm. 33) Nr. 197, 5.265.39) Einhard, Vita Karoli c. 29 (wie Anm. 37) S. 33.40) Vgl. die in Anm. 31 genannte Literatur.(1) Vgl. Bernd KLuGE, Nomen imperatoris und Christiana Religio. Das Kaisertum Karls des Großen

und Ludwigs des Frommen im Licht der numismatischen Quellen. in: 799 - Kunst und Kultur (wieAnm. 4) Beitragsbd., S. 82-90.(2) Vgl. CAssEN, Karl (wie Anm. 30) S. 81.(3) Capitulare Italicum, MGH Capil 1 (wie Anm. 33) Nr. 98, c. 3, S. 205: De desertoribus. Si quis adeo

contumax aut superbus atitent, ut, dimisso exercitu absque iussione vel liceniia regis domum revertatur, etquod nos teudisca lingua didmus herisliz frcerit, ipse ut reus maiestatis vitae periculum incurrat et res eius infisco nostro sodetut.(4) Cap.i~ Italicum, M~H. Capil.l (wie Anm. 33) Nr. 98, c.2, 5.205: De haribanno. Si quis liber,

contemta IUSSIont nostra, caeteris m exemtum pergentibus, dami residere praesumpserit, plenum haribannum

Page 11: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

10 MATIHJASBECHER

das römische Vorbild und suchten zum anderen, mit dem Schutz von Kirchen undPersonen, die sich gegen die Übergriffe mächtigerer Personen nicht selbst zur Wehrsetzen konnten, christlich motivierten Moralvorstellungen zum Durchbruch zu ver-helfen45• Damit sind aber auch die strukturellen Probleme des Karolingerreiches an-gesprochen: die Weigerung breiterer Bevölkerungskreise, Kriegsdienst zu leisten,und die Bestrebungen insbesondere des weltlichen Adels, seinen Besitz auf Kostenanderer zu vergrößern.

Nach der Versammlung in Pavia kehrte Kar! ins eigentliche Frankenreich zurückund feierte Weihnachten in Aachen. Im folgenden Jahr 802 versuchte er, seine neu-gewonnene kaiserliche Würde in praktische ,Politik' umzusetzen=. Die Lorscher An-nalen beschreiben Karls Aktivitäten folgendermaßen: "In diesem Jahr verweilte derHerr Kaiser Kar! friedlich mit seinen Franken im Palast zu Aachen, gedachte abervoll Erbarmens der Armen, die in seinem Reich waren und die ihr Recht nicht voll-ständig erreichen konnten"47. Tatsächlich wandte sich Karl mit aller Entschiedenheitden inneren Verhältnissen in seinem Reich zu. Er entwickelte damals in Aachen soetwas wie ein ,kaiserliches Regierungsprogramm'. So hat der bekannte belgisehe Hi-storiker Francois Louis Ganshof das damals ausgearbeitete zentrale Kapitular be-zeichnet48, das in der Edition schlicht Capitulate missorum generale heißt, aber besserCapitulate generale genannt werden sollte49• Der neuerworbene Titel war in Kar!s Au-gen also nicht nur eine bloße Formalität, sondern er veränderte seine Stellung imReich auch qualitativ. Nichts verdeutlicht dies mehr als die Tatsache, daß Karl im

secundum legem Franeorum. id est solidos sexaginta, sciat se debere conponere. Similiter et pro contfmtusingulorum capitulorum quae per nostrae regiae auctoritatis bannum promulgaoimus, id est qui pacemecclesiarum Dei, viduarum, orfanorum et pupillerum ac minus potentium inruperit, sexaginta solidorummuliam exsolvat.45) Vgl. allgemein Heinrich FlCHnNAU, Das karolingische Imperium. Soziale und geistige Proble-

matik eines GroBreiches (1949); Eckhard MOLLER-MERTENS,Karl der GroBe, Ludwig der Fromme unddie Freien. Wer waren die liberi homines der karolingischen Kapitularien (742/43-832)? Ein Beitragzur Sozialgeschichte der Karolinger und Sozialpolitik des Frankenreiches (1%3); Johannes 5cHMI1T,Untersuchungen zu den Liberi Homines der Karolingerzeit (Europäische HochschuIschriften III, 85,1977); HÄGERMANN,Karl (wie Anm.l) S. 450f.46) Zur Abfolge der einzelnen VersammJungen und Synoden vgl, HARTMANN,Synoden (wie Anrn.

26) S.I23ff.; Hubert MORDEKu. Michael GLATIHAAR, Von Wahrsagerinnen und Zauberern. Ein Bei-trag zur Religionspolitik Karls des GroBen, AKG 75 (1993) S. 33-64, hier S. 58f. mit Anm. 91.47) Annales Laureshamenses a. 802 (wie Anm. 28) S. 38.48) Franccis Louis GANSHOF, Le programme de gouvernement imperial de Charlemagne, in:

Renovatio Imperii. Atti della giomata internazionale di studi per iIMilIenario, Ravenna 4-5 novembre1%1 (1%3) S. 63-%, ND in: DERS.,The Carolingians and the Frankish Monarchy. Studies in Carolingi-an History (1971) S. 55-85; HÄGERMANN,Karl (wie Anm. 1) S. 448ff.; Thomas Martin BUCK,"Capitula-ria imperatoria". Zur Kaisergesetzgebung Karls des GroBen von 802, HJb 122 (2002) S. 3-26.49) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr.33, S.91-99; zur Bezeichnung vgl. Georg

WAlTZ, Deutsche Verfassungsgeschichte 3 (2. AufI. 1883) 5.485; Gerhard SEELlGER,Die Kapitulariender Karolinger (1893) 5.69; Franc;ois Louis GANSHOF,Was waren die Kapitularien? (1%1 u.ö.), S. 84mit Anm. 207; DERS., The Frankish Institutions under Charlemagne (1968) S. 6£.; Hubert MORDEKu.Gerhard ScHMITZ, Neue Kapitularien und Kapitulariensamm1ungen, DA 43 (1987) S.361-439, hierS.369.

Page 12: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

KARLDERGROSSEZWISCHENROMUNDAACHEN 11

Jahr 802 eine Vereidigung der gesamten Reichsbevölkerung verfügte. Bislang, ver-mutlich seit dem Jahr 78950, hatte man dem König den Treueid geleistet. Nun solltejeder Mann, omnis homo, auf das nomen Cesaris, auf den Kaisertitel, schwörenü,

Zu diesem Zweck wurden auch neue Treueidformulare erarbeitet, die den Gegen-stand des Eides wesentlich konkreter faßten als das bisher gebräuchlichex. AberTreue ist ein großes Wort und vor allem ein dehnbarer Begriff. Der fränkische Adelwar findig, wenn es darum ging, die Autorität des Herrschers zu unterlaufen. Demwollte der neue Kaiser mit detaillierten Ausführungsbestimmungen zum allgemei-nen Treueid entgegenwirken=. Explizit sprach Karl die Auffassung an, es genüge zurErfüllung der Treueverpflichtung, den Herrscher persönlich nicht zu bedrohen undkeine Feinde in dessen Reich zu rufen sowie der Untreue eines anderen nicht zuzu-stimmen und diese nicht zu verschweigen=, Der neue Kaiser wandte sich gegen die-se wohl schon seit Jahrhunderten geltende Auffassung und versuchte, die mit demEid eingegangenen Verpflichtungen erheblich auszuweiten. Die erste Verpflichtungaus dem Treueid war, nach Verstand und Kräften dem Gebot Gottes zu folgen, dader Kaiser nicht überall sein und für alles Sorge tragen könne55. Diese Bestimmungbasiert deutlich auf der Idee vom Gottesgnadentum und interpretiert die Stellungdes Herrschers als ein von Gott verliehenes Amt. In diesem Sinne war der Kaiser deroberste weltliche Amtsträger Gottes auf Erden und hatte für die Durchsetzung vondessen Gesetz - nach zeitgenössischer Auffassung der Bibel - zu sorgen.

Die zweite Bestimmung beschäftigte sich mit praktischeren Problemen: Niemanddürfe sich am Eigentum des Kaisers noch an seinen Knechten vergreifen, Grenzsteineverrücken oder Ländereien besetzen, und niemand dürfe seine ihm entflohenen Hö-

50) Vgl. Andre HOLENSTEIN,Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung800-1800 (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 36,1991) S. l1O£f.;Matthias BECHER,Eid undHerrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen (VuF, Sonderbd. 39, 1993) S. 79ff.51) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr. 33 c. 2, s. 92: De fidelitate promitienda domno

imperatori. Precepüque, ut omni [!J homo in toto regno suo, sive ecclesiasticus sive laicus, unusquisque secun-dum votum et propositum suum, qui antea fidelitate sibi regis nomine promisissent [fJ, nu ne ipsum promissumnominis tesaris faciat; et hii qui adhue ipsum promissum non perficerunt omnes usque ad duodecimo (I) aetati»annum similiter faeerent.52) Ausführlich dazu HOLENSTEIN,Huldigung (wie Anm. 50) S.l14ff.; BECHER,Eid (wie Anm. 50)

S.88ff.53) Zum Folgenden vg!. stets auch GANSHOF,Programme (wie Anm. 48) S. 70ff. (5. 58f.); BECHER,Eid

(wie Anm. 50) S. 202f£.;HÄGERMANN,Karl (wie Anm. 1) 5.457£.54) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr. 33 c. 2, S. 92: Et ut omnes traderetur publice,

qualiter unusquisque intellegere posset, quam magna in isto sacramenta el quam multa conprehensa sunt, non,ut multi usque nune extimaoerunt, tantum fidelilate damno imperaiori usque in vila ipsius, et ne aliquem ini-micum in suum regnum causa inimicitiae inducat, et ne alicui infide1itate illius eonsentiant aut retaciat, sed utsdant omnes istam in se rationem hoc sacramentum habere; zur Deutung der Worte usque in vita ipsius vg!. .BECHER,Eid (wie Anm. 50) S. 201 Anm. CJ79.55) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr. 33 c.3, 5.92: Primum, ut unusquisque et

persona propria se in saneto Dei servitio secundum Dei preeeptum et secundum sponsionem suam pleniteramseroare studeat secundum intellectum et vires suas, quia ipse domnus imperator non omnibus singulariternecessarium potest exhibere curam et disciplinam.

Page 13: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

12 MAlTIIIAS BECHER

rigen, die sich fälschlich als frei bezeichneten, bei sich aufnehmen=. Etwas späterheißt es noch, niemand dürfe ein beneficium des Kaisers verlassen, um sein Eigengutauszubauen'", Galt nach der überkommenen Vorstellung von Treue der Schutz desTreueides lediglich für das Leben des Herrschers, so erweiterte Kar! ihn auf seinengesamten Besitz58• Allzu leicht konnte dieser also dem Herrscher im Alltag entzogenwerden.

Mit der dritten Bestimmung kam Karl auf einen Aufgabenbereich zu sprechen, derihm dem zeitgenössischen Herrscherethos nach zukam. Niemand dürfe die heiligenKirchen Gottes, die Witwen und Waisen und auch nicht die Pilger durch Betrug,Raub oder sonstiges Unrecht schädigen, weil der Kaiser nach Gott und seinen Heili-gen als ihr Schützer und Verteidiger eingesetzt worden sei59• Auf spätantiken Grund-lagen beruhend verstärkte sich in der Karolingerzeit die Auffassung, der Herrschersei für den Schutz der Schwachen zuständig60. Zahlreiche geistliche Traktate, verfaßtunter anderem von Alkuin, vertraten diese Auffassung, und Karl machte sie sich be-reitwillig zu eigen.

Es ist typisch für die nach unserem Verständnis unsystematische Vorgehensweiseder Karolingerzeit, daß in der nächsten Bestimmung wieder ein Thema angespro-chen wurde, das der Herrschaftspraxis zuzuordnen ist: Jeder, so heißt es, habe demHeeresaufgebot Folge zu leisten, kein Graf dürfe es wagen, Dienstpflichtige wegenVerwandtschaft oder schmeichelnder Geschenke von der Heerfahrt zu befreiensr. Imfolgenden Paragraphen stellt Karl recht allgemein fest, zu den Verpflichtungen ausdem Treueid gehöre es, die kaiserlichen Befehle zu befolgen und die fälligen Abga-ben zu entrichten=, Abschließend kommt der Kaiser auf das Thema Recht und Ge-

56) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr. 33 c. 4, S. 92: Secunda. ut nullus homo nequecum periuri neque alii ullo ingenio vd fraude per nullius umquam adolationem vel praemium neque 5eTVUrndomni imperatoris neque ierminum neque terram nihilque quod iure potestativo permaneai nulla tenus contradi-cat neque abstrahere audeat vel celare; et ut nemos fugitivos fiscales suos, qui se iniuste et cum fraudes liberasdicunt, celare neque absirahere cum periurio vel alio inienio presumai.57) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr. 33 c. 6, S. 93: Ut beneficium domni imperato-

ris desertare nemo audeat, propriam suam exinde consiruere; zur Sache vgI. allgemein auch Brigitte KAsrEN,Beneficium zwischen Landleihe und Lehen - eine alte Frage neu gestellt, in: Mönchtum - Kirche _Herrschaft 750-1000, hg. von Dieter R. BAUER,Rudolf HIESTAND,Brigitte KAsTEN u. Sönke LoRENZ(1998) S. 243-260.58) Zur Verbindung von Treueid und Inquisitionsbeweis, der in karolingischer Zeit vor allem bei

sogenannten Fiskalprozessen Anwendung fand, vgI. zuletzt HOLENSffiIN, Huldigung (wie Anm. SO)S.127ff.59) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr. 33 c. 5, S. 93: Ut sanctis ecclesiis Dei neque

viduis neque orphan is neque peregrinis jraude vel rapinam vel aliquit iniuriat quis facere presumai; quia ipsedomnus imperator, post Domini et sanctis eius, eorum et protector et defensor esse constitutus est.60) Umfassend dazu Hans Huber! ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit

(Bonner Historische Forschungen 32, 1968).61) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr.33 c. 7, S.93: Ut ostile bannum domni

imperatori nemo pretermittere presumai, nullusque comis tam presumtiosum sit, ut nullum de his qui hostemfacere debiti sunt exinde vel aliqua propinquitatis defensionem vel cuius muneris adolationem dimittere audeant.

62) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr.33 c.B, 5.93: Ut nullum bannum velprecepium domni imperatori nullus omnino in nullo marrire praesumat, neque opus eius tricare vel inpedire vel

Page 14: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

KARLDERGROSSEZWISCHENROMUNDAACHEN 13

rechtigkeit zu sprechen: Vor Gericht soll es nach Recht und Gesetz zugehen, aber dieUnwissenheit einer Partei dürfe nicht zu einem Fehlurteil führen. Zudem müsse je-der über seine Rechte aufgeklärt werden, und Geldzahlungen sowie Beziehungendürften keine Rolle vor Gericht spielen=, Abschließend betont der Herrscher dannnoch einmal: All das vorher Gesagte muß dem kaiserlichen Eid gemäß befolgt wer-den64•

Das Capitulare generale, das in Aachen erlassene ,Regierungsprogramm' Karls desGroßen, enthält darüber hinaus weitere 31 Bestimmungen, die den Lebenswandelund das Verhalten von Mönchen und Klerikern, von Amtsträgern und einfachen Un-tertanen regeln und verbessern sollten65• Karlließ überdies kurz darauf die leges derzu seinem Reich gehörenden Völker redigieren oder neu aufzeichnen=. ZentralesProblem blieb aber die Frage der Loyalität. Heinrich Brunner kam zu einer differen-zierten Bewertung der von Karl geforderten Neuerungen. Einerseits sei der Treuebe-griff erheblich erweitert worden, aber gerade dies und insbesondere die Betonungmoralischer Kategorien habe auch zu einer inhaltlichen Verflachung geführt67•Charles E. Odegaard bestritt hingegen jede grundsätzliche Neuerung, da in keinerder Bestimmungen ein aktiver Dienst gefordert werde, sondern es wie vor 802 auchlediglich darum gegangen sei, dem Herrscher den schuldigen Respekt zu erweisen='.In diesem Punkt schlossen sich Waiter Schlesinger, Percy Ernst Schramm, FranccisLouis Ganshof und Frantisek Graus jedoch Brunner an, teilten aber nicht dessen Auf-fassung, der Treuebegriff habe durch Karls Forderungen an Wirksamkeit verloren".

minuere vel in alia rontrarius fierit valuntati vel praecepiis eius. Et ut nemo debitum suum vel censum marrireausus sit.63) Capitulare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr.33 c. 9, 5.93: Ut nemo in placito pro alio

rationare usum habeat defensionem alterius iniusie, sive pro cupiditate aliqua, minus rationare valente vel proingenio rationis suae iustum iudicium marrire vel rationem suam minus valente opprimendi studio. Sedunusquisque pro sua causa vel censum vel debito ratione reddat, nisi aUquis isti infirmus aut rationes nescius,pro quibus missi vel priores qui in ipso placito sunt vel iudex qui causa huius ration is sciat rationetur con Cf]placito; vel si necessitas sit, taUs personae largitur in rationem, qui omnibus provabilis sit et qui in ipsa benenooerii causa: quod tamen omnino fiat secundum convenientiam priorum vel missorum qui praesentem adsunt.Quod et omnimodis secundum iustitiam legem fiat; adqu« praemium, mercedem vel aliquo malae adulationisingenio vel defensione propinquitatis ut nullaienus iustitia quis marrire praevaleat. Et ut nemo aliquit alicuiiniuste consentiat, sed omni studio et valuntate omnes ad iustitia petficiendam praeparati sunt.64) CapituIare generale, MGH Capit. 1 (wie Anm. 33) Nr. 33 c. 9, 5. 93: Hec enim omnia supradicta

imperiali sacramenta observari debetur.65) VgI. HÄGERMANN,Karl (wie Anm.1) 5. 458f.66) VgI. HÄGERMANN,Karl (wie Anm.1) 5. 469£.67) Heinrich BRUNNERu. Claudius Freiherr von SCHWERIN,Deutsche Rechtsgeschichte (1928) S. 82.68) Charles E. ODEGAARD,Carolingian Oaths of Fidelity, Speculum 16 (1941) 5.284-296, hier 5. 291;

vgl. auch DERS., The Concept of Royal Power in Carolingian Oaths of Fidelity, Speculum 20 (1945)S.279-289.69) SCHRAMM,Anerkennung (wie Anm. 36) 5.496; Franccis Louis GANSHOF, Charlemagne et le

serment, in: Melanges d'histoire du Moyen Age dedies a la memoire de Louis Halphen (1951) 5. 259-270, hier 5.267£.; ND in: DERS., The Carolingians (wie Anm. 48) 5.111-124, hier 5.116£.; FrantisekGRAUS, Über die sogenannte Treue, Historica 1 (1959) 5.71-121, hier S.102; WaIter ScHLESINGER,

Page 15: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

14 MATIHIASBECHER

Dabei ist mit Otto Brunner zu bedenken, daß unser an modemen Kategorien ge-schultes Denken leicht zu Fehlurteilen über die Vergangenheit führen kann'", So hatwohl Josef Fleckenstein mit seiner Einschätzung recht, daß die Ausführungsbestim_mungen zum Treueid des Jahres 802 auf einer höheren Ebene der Integration desReiches dlenten'".

Freilich stand vieles von dem, was Karl an Loyalität von seinen Untertanen ein-fordern wollte, nur auf dem Pergament und konnte niemals verwirklicht werden,auch wenn er sich von den missi dominici eine bessere Umsetzung seiner Vorstellun,gen versprach'", Karl mußte sich letztlich wie alle seine Vorgänger auch die Loyalitätder Großen erkaufen - durch Schenkungen, sonstige Gunstbeweise und vor allemmit der Übertragung wichtiger Aufgaben. So konnte Alkuin schon im Jahr 802 überdie Reformbemühungen seines Herrn folgendermaßen urteilen: HÜber den gutenWiIIen unseres Herrn und Kaisers bin ich mir sicher, daß er in dem ihm von Gottübertragenen Reich alles nach der Norm der Richtigkeit anzuordnen sucht, daß eraber mehr solche Mitarbeiter hat, die die Gerechtigkeit unterminieren, als daß sie sieunterstützen, mehr praedatores, also Räuber, der Gerechtigkeit als deren praedicatores,Prediger, mehr solche, die ihren eigenen Nutzen als den Gottes suchen"73. Auch nachder Kaiserkrönung blieb die innere Ordnung des Frankenreiches weitgehend geprägtvon einer erheblichen Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Selbst Einhard äußerte sich in der Rückschau sehr zurückhaltend über die Bemu,hungen Karls um das Recht, die er auch nur sehr kurz abhandelfö. Doch im Gegen_satz zu seinen Vorgängern gab der neue Kaiser sich mit dem überkommenen Zu-stand seines Reiches nicht zufrieden. Seinem Selbstverständnis nach wollte er Herr-,scher sein wie die Imperatoren der Antike oder die byzantinischen Kaiser seiner Zeit.Ihr Wort war Gesetz, und zumindest der Theorie nach mußten sie sich nicht mit Wi-derspenstigen Großen abgeben. Es zeugt daher von Karls großem Beharrungsver_mögen, daß er dieses Ziel trotz erheblicher Schwierigkeiten und Widerstände nicht

Randbemerkungen zu drei Aufsätzen über Sippe, Gefolgschaft und Treue, in: DERS., Beiträge ZUr

deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters 1 (1963) S. 286-334, hier S. 324f.70) Otto BRUNNER, Moderner Verfassungsbegriff und mittelalterliche Verfassungsgeschichte, in:

Herrschaft und Staat im Mittelalter, hg. von Helmuth KAMPF (Wege der Forschung 2" 1956) 5.1-19,hier 5.13.71) Josef FLECKENSTEIN,Das großfränkische Reich: Möglichkeiten und Crenzen der Großreichsbi];

dung im Mittelalter, in: DERS., Ordnungen und formende Kräfte des Mittelalters. Ausgewählte Beiträ-ge (1989) S. 1-27, hier S. 21.72) Armales Laureshamenses a. 802 (wie Anm. 28) S. 38f.; vg!. Victor KRAUSE,Geschichte des Insti-

tuts der missi dominici, MlÖG 11 (1890) 5.193-300; Karl Ferdinand WERNER,Missus - Marchio - C0-mes. Entre I'administration centrale et I'administration locale de l'Empire carolingien, in: Histoirecomparee de l'administration (IV'_XVIlI' siecles), hg. von Wemer PARAVlONl u. Karl FerdinandWERNER(Beihefte der Francia 9, 1980) S. 191-229; Iürgen HANNIG, Pauperiores vassi de infra palatio?Zur Entstehung der karolingischen Königsbotenorganisation, MIÖG 91 (1983) S. 309-374.73) Alkuin, Epistolae, ed. DOMMLER,Nr.254 (wie Anm. 12) 5.411; Übersetzung nach KERNER,Ent-

schleierung (wie Anm. 1) S. 44.74) Einhard, Vita Karoli c. 29 (wie Anm. 37) S. 33.

Page 16: Eloquentia copiosus - MGH-Bibliothek · 2014. 3. 3. · Eloquentia copiosus Festschrift für MaxKerner zum 65.Geburtstag herausgegeben von Lotte Kery unter Mitarbeit von Monika Gussone,

KARLDERGROSSEZWISCHENROMUNDAACHEN 15

aus den Augen verlor75• Immer wieder ließ er in den Jahren nach 802 seine Vorstel-lungen in Form von Kapitularien bekanntmachenö. So verfolgte er hartnäckig dasZiel, sein Reich in der Tradition der römischen Kaiser zu regieren. Erneut ist es Alku-in, der uns Karls Gedankengänge vielleicht am nächsten bringt: Dum dignitas imperia-lis a Deo ordinata, ad nil aliud exaltata esse videtur, nisi populo praeesse et prodesse: proindedatur a Deo electis potestas et sapientia: potesias, ut superbos opprimat, et defendat ab inpro-bis humiles; sapientia, ut regat et doceat pia sollicitudine subiectos77•

75) VgI. hierzu auch DetIev ZIMPEL,Unliebsame Herrscher-Erlasse imFrankenreich, in: 5cientia veri-tatis. FS für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag, hg. von Oliver MONSCH u. Thomas Zarz (2004)5.127-136.76) Diese ständigen Wiederholungen gaben zu der Interpretation Anlaß, Karl habe seine Vorstellun-

gen nicht durchsetzen können, weshalb seine Spätzeit als Krisenzeit zu gelten habe, vgl, FranceisLouis GANSHOF, La fin du regne de Charlemagne. Une decomposition, Zeitschrift für SchweizerischeGeschichte 28 (1948) 5.533-552; anders jetzt [ohannes FRIED, Elite und Ideologie oder die Nachfolge-ordnung Karls des Großen vomJahre 813, in: La Royaute et les Elites dans l'Europe Carolingienne (dudebut du IX' aux environs de 920), hg. von Regine LE JAN (Centre d'Histoire de l'Europe du Nord-Quest 17, 1998) 5.71-109, hier S. 75££.;HÄGERMANN, Karl (wie Anm. 1) 5.449; Janet L. NELSON, TheVoice of Charlemagne, in: Belief and Culture in the Middle Ages. Studies presented to Henry Mayr-Harting, hg. von Richard GAMESONu. Henrietta LEYSER(2001) S. 76-88; vg!. auch KERNER,Entschleie-rung (wie Anm. 1) S.43ff.; Rudolf 5cHIEFFER,Karl der Große - Intentionen und Wirkungen, in: Karlder Große und das Erbe der Kulturen, hg. von Franz-Reiner ERKENS(2001) S. 3-14.77) Alkuin, Epistolae, ed. DOMMLER,Nr. 257 (wie Anm. 12) S. 414.


Recommended