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Ein Konsultationstag für Ärzte in Kliniken und Krankenhäusern

Date post: 20-Jan-2017
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175 ZEFQ-SERVICE Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2014.03.005 Elfter Jahrgang Freitag, den 1. Mai 1914 Nummer 9 Zeitschrift für ärztliche Fortbildung V. Ärztliches Fortbildungswesen Ein Konsultationstag für Ärzte in Kliniken und Krankenhäusern von Geh. San. Rat Dr. Schellong in Königsberg. Als ich vor 25 Jahren eines der großen Hospitäler in Sidney besuchte, fand ich eine größere Anzahl von Ärzten der Stadt dort anwesend, welche mit den Hospitalärzten von Bett zu Bett gingen und die Kranken gemeinsam untersuchten, es war der „consulting day“ des Hospitals. Der Gedanke gefiel mir sehr gut; und neuerdings tauchte er bei mir wieder auf, im Hinblick auf die Bestrebungen unserer ärztlichen Fortbildung; ich wüßte mir nichts Erfreulicheres zu denken, als eine analoge Einrichtung für unsere Kliniken und großen Krankenhäuser. Auch wir Ärzte der allgemeinen Praxis lernen noch am meisten, sicherlich am nachhaltigsten, an den Fällen der eigenen Beobachtung; eine Gelegenheit, die von uns in die Krankenhäuser eingelieferten Fälle; im Krankenhaus auch regelmäßig weiter beobachten zu können, würde uns sehr willkommen sein; wir könnten am Krankenbett lernen, nach welcher Richtung sich unsere diagnostische Auffassung bestätigt hat oder modifiziert wurde, welche neuen Untersuchungsmethoden oder therapeutische Maßnahmen zur Anwendung gelangten u. a. mehr. Je größere Patientenmassen, bei dem gewaltigen Ausbau unserer Krankenhäuser, diesen von Jahr zu Jahr zuströmen, um so dringen- der tritt auch für den allgemeinen Praktiker die Notwenigkeit heran, mit den Krankenhäusern in die allerengste Fühlung zu gelangen. Ist dieses etwa eine neue Forderung? Keineswegs ganz neu. Kliniken und Krankenhäuser haben ihre Pforten noch niemals einem Arzt verschlossen, welcher sich persönlich oder sonst wie Nachricht über seine Patienten erbitten wollte. Aber jeder Arzt weiß auch, wie umständlich und zeitraubend es oftmals ist, solche Auskunft in befriedigender Weise zu erlangen. Bei der intensiven Arbeit, welche in den Krankenhäusern geleistet wird, haben Chef und Assistenten vollauf zu tun, um das Krankenmaterial praktisch und wissenschaftlich zu bewältigen. Der Außenarzt, welcher in diesen großen Betrieb plötzlich hineinkommt, hat schon selbst die Empfindung, daß er hier irgendwo stören müsse; er kann selbstver- ständlich nicht erwarten, daß die Krankenhausärzte, welche vielleicht gerade auf einer anderen Abteilung oder mit besonderen Untersuchungen beschäftigt sind, unter allen Umständen für ihn persönlich zu sprechen sind. Das zu erreichen – und die persön- liche Aussprache am Krankenbett ist das Wesentliche! – bedarf es einer bestimmten Organisation, eines Konsultationstages, einer Sprechstunde für Ärzte oder wie man es sonst nennen will. Darunter denke ich mir also eine Einrichtung, welche etwa folgendermaßen zu funktionieren hätte: Der Direktor der Klinik oder des Krankenhauses setzt Tag und Stunde in der Woche fest, an welchem er sich selbst oder einer seiner Assistenten für die Ärzte von Stadt und Provinz zur Verfügung hält. Sind mehrere Krankenhäuser vorhanden, so vereinbaren diese, um Kollisionen zu vermeiden, die Zeit, welche den Ärzten durch Anschlag oder sonst in geeigneter Weise bekannt gegeben wird. Zu dieser Zeit findet sich der Arzt, welche Auskunft und Belehrung über seine Kranken sucht – eventuell nach schriftlicher oder telephoni- scher Benachrichtigung über den interessierenden Patienten – im Krankenhaus ein; er begibt sich mit dem Krankenhausarzt gemeinsam an das Krankenbett seines Patienten und erfährt hier alles das, was er zu seiner Information zu erfahren wünscht; der Krankenhausarzt andererseits kann, wenn er will, über die Vorgeschichte des Falles ebenfalls Wissenswertes erfahren. Haben sich mehrere Ärzte zur gleichen Zeit eingefunden, so machen dieselben, falls sie Zeit und Neigung haben, eine Krankenvisite
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Page 1: Ein Konsultationstag für Ärzte in Kliniken und Krankenhäusern

175

ZEFQ-SERVICE

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2014.03.005

Elfter Jahrgang Freitag, den 1. Mai 1914 Nummer 9

Zeitschrift für ärztliche Fortbildung

V. Ärztliches Fortbildungswesen

Ein Konsultationstag für Ärzte in Kliniken und Krankenhäusern

von

Geh. San. Rat Dr. Schellong

in Königsberg.

Als ich vor 25 Jahren eines der großen Hospitäler in Sidney besuchte, fand ich eine größere Anzahl von Ärzten der Stadt dort anwesend, welche mit den Hospitalärzten von Bett zu Bett gingen und die Kranken gemeinsam untersuchten, es war der „consulting day“ des Hospitals.Der Gedanke gefi el mir sehr gut; und neuerdings tauchte er bei mir wieder auf, im Hinblick auf die Bestrebungen unserer ärztlichen Fortbildung; ich wüßte mir nichts Erfreulicheres zu denken, als eine analoge Einrichtung für unsere Kliniken und großen Krankenhäuser. Auch wir Ärzte der allgemeinen Praxis lernen noch am meisten, sicherlich am nachhaltigsten, an den Fällen der eigenen Beobachtung; eine Gelegenheit, die von uns in die Krankenhäuser eingelieferten Fälle; im Krankenhaus auch regelmäßig weiter beobachten zu können, würde uns sehr willkommen sein; wir könnten am Krankenbett lernen, nach welcher Richtung sich unsere diagnostische Auffassung bestätigt hat oder modifi ziert wurde, welche neuen Untersuchungsmethoden oder therapeutische Maßnahmen zur Anwendung gelangten u. a. mehr. Je größere Patientenmassen, bei dem gewaltigen Ausbau unserer Krankenhäuser, diesen von Jahr zu Jahr zuströmen, um so dringen-der tritt auch für den allgemeinen Praktiker die Notwenigkeit heran, mit den Krankenhäusern in die allerengste Fühlung zu gelangen.Ist dieses etwa eine neue Forderung? Keineswegs ganz neu. Kliniken und Krankenhäuser haben ihre Pforten noch niemals einem Arzt verschlossen, welcher sich persönlich oder sonst wie Nachricht über

seine Patienten erbitten wollte. Aber jeder Arzt weiß auch, wie umständlich und zeitraubend es oftmals ist, solche Auskunft in befriedigender Weise zu erlangen. Bei der intensiven Arbeit, welche in den Krankenhäusern geleistet wird, haben Chef und Assistenten vollauf zu tun, um das Krankenmaterial praktisch und wissenschaftlich zu bewältigen. Der Außenarzt, welcher in diesen großen Betrieb plötzlich hineinkommt, hat schon selbst die Empfi ndung, daß er hier irgendwo stören müsse; er kann selbstver-ständlich nicht erwarten, daß die Krankenhausärzte, welche vielleicht gerade auf einer anderen Abteilung oder mit besonderen Untersuchungen beschäftigt sind, unter allen Umständen für ihn persönlich zu sprechen sind.Das zu erreichen – und die persön-liche Aussprache am Krankenbett ist das Wesentliche! – bedarf es einer bestimmten Organisation, eines Konsultationstages, einer Sprechstunde für Ärzte oder wie man es sonst nennen will. Darunter denke ich mir also eine Einrichtung, welche etwa folgendermaßen zu funktionieren hätte: Der Direktor der Klinik oder des Krankenhauses setzt Tag und Stunde in der Woche fest, an welchem er sich selbst oder einer seiner Assistenten für die Ärzte von Stadt und Provinz zur Verfügung hält. Sind mehrere Krankenhäuser vorhanden, so vereinbaren diese, um Kollisionen zu vermeiden, die Zeit, welche den Ärzten durch Anschlag oder sonst in geeigneter Weise bekannt gegeben wird. Zu dieser Zeit fi ndet sich der Arzt, welche Auskunft und Belehrung über seine Kranken sucht – eventuell nach schriftlicher oder telephoni-scher Benachrichtigung über den interessierenden Patienten – im Krankenhaus ein; er begibt sich mit dem Krankenhausarzt gemeinsam an das Krankenbett seines Patienten und erfährt hier alles das, was er zu seiner Information zu erfahren wünscht; der Krankenhausarzt anderer seits kann, wenn er will, über die Vorgeschichte des Falles ebenfalls Wissenswertes erfahren. Haben sich mehrere Ärzte zur gleichen Zeit eingefunden, so machen dieselben, falls sie Zeit und Neigung haben, eine Krankenvisite

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mit, bis sie zu ihrem Fall gelangen. Das würde sich alles allmählich aus der Praxis ergeben; es kommt zunächst auf einen Versuch in dieser Richtung an, dessen günstiger Ausfall mit nicht zweifelhaft ist.Gerade in dieser Zeit des ärztli-chen Schaffens, in welcher sich Allgemeinärzte und Spezialärzte oftmals nicht mehr ganz zu verstehen vermögen, erscheint solches gemein-sames Handeln am Krankenbett nicht allein im Interesse der ärztlichen Fortbildung, sondern ebensosehr

im Interesse der kollegialen Fühlung und des kollegialen Verständnisses, mehr denn je angebracht. Ob groß, ob klein, wir müssen einander näher treten. Denn in dem Streben nach Wahrheit sind wir Ärzte alle gleich, wenn auch die Wege im einzelnen verschieden sind und verschieden hervortreten.Dieser Artikel wurde nicht vor ein paar Tagen, sondern vor fast auf den Tag100 Jahren geschrieben. Spricht er nicht viele Probleme an, die uns unverändert auch heute noch

beschäftigen? Warum versuchen wir nicht, auf diese Art und Weise Gräben zu schließen, die überall aufgeworfen werden? Wir haben vor gut 25 Jahren schon einmal einen ähnlichen Weg mit gutem Erfolg eingeschlagen. Versuchen wir es doch einfach, in einer Diskussion mit Rede und Gegenrede am Krankenbett Probleme zu lösen. Das persönliche Gespräch ist besser und ertragreicher als alle, mehr oder weniger unpersönlichen Mails.

Geidel (Dresden)


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