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Unser schöner Rhein
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Unser schöner Rhein
präsentiert
Tomasee (offizielle Rheinquelle)
Duisburg
ArnheimUtrecht
Amsterdam
Rotterdam
Düsseldorf
Köln
BonnRhein: 660 km
Rhein: 530 km
Rhein: 150 km
Rhein: 0 km
Koblenz
Wiesbaden
Mann-heim
Karlsruhe
Straßburg
Basel
KonstanzBregenz
Bingen
Rhein: 1033 km
Hoek van Holland
Katwijk
Kampen
Ijssel
Lippe
Ruhr
Sieg
Mosel
Neckar
Main
Aare
Alpenrhein
Vorderrhein
Tomasee (offizielle Rheinquelle)
Bodensee
Nordsee
Hinterrhein
Waal
Lek
Oude Rijn
B E L G I E N
N I E D E R L A N D E
NIEDERRHEIN
MITTELRHEIN
OBERRHEIN
HOCHRHEIN
L U X E M -B U R G
D E U T S C H L A N D
F R A N K R E I C H
S C H W E I Z
Ö S T E R -R E I C H
L I E C H T E N -S T E I NL I E C H T E N -S T E I N
50 Kilometer
Der Rhein verbindet. Zum Beispielden Schweizer Kanton Graubündenmit der Nordsee. Und der Rheintrennt. Die Grenzen von Deutsch-land, der Schweiz, Österreich, Liech-tenstein und Frankreich folgen überlange Strecken seinem Lauf. DerRhein hat seit Jahrtausenden das Le-ben von Menschen geprägt. Pfahl-bauer und Römer, Fürsten und Mön-che haben an seinen Ufern gesiedeltund Brücken über ihn gebaut. Heutebefahren wir den Fluss mit Ausflugs-booten und Containerschiffen, ba-den in ihm und zapfen ihm seineEnergie ab. Wir haben seine Ufer be-gradigt, seine Stromschnellen ent-schärft, sein Wasser gestaut. Seit eini-gen Jahren versuchen wir an einigenStellen, ihm sein altes Gesicht zu-rückzugeben. All das beeindruckt denRhein wenig. Er fließt vorüber, so wieer das schon seit 15 Millionen Jahrentut. In Basel strömen jede Sekundetausend Kubikmeter Wasser durchsein Bett. An der Nordsee-Mündung
ist es fast dreimal so viel. Unvorstell-bar viel Wasser, das die Natur an denRheinufern geprägt hat, die Geschich-te, die Menschen, die hier leben.
Der SÜDKURIER möchte Sie imApril mit auf eine Reise nehmen. Wirwerden den Rhein ein kleines Stückseines Laufs begleiten: die 150 Kilome-ter von Konstanz nach Basel. Grafike-rin Jessica Steller hat dafür eine Kartedieses Flussabschnitts entworfen, diesich vier Wochen lang über acht Zei-tungsseiten schlängeln wird. ReporterSebastian Pantel ist den Schleifen undWindungen des Rheins gefolgt undhat mit Menschen gesprochen, die anund mit dem Fluss leben (Übersichtlinks unten). Außerdem werden wir inkurzen Steckbriefen Berühmtes, Ku-rioses und Wissenswertes entlang derRheinufer aufsammeln: stolze Ge-schichte und kleine Geschichten, diesich hier abgespielt haben. Immer da-bei: das SÜDKURIER-Papierschiff,das die Autoren am Startpunkt derReise, unter der Konstanzer Rhein-brücke, zu Wasser lassen (Bild links).
Auf dieser Seite sehen Sie den Rheinin seiner ganzen Länge. Als Quelle giltder Tomasee in den Schweizer Alpen,die Kilometerzählung beginnt jedocherst in Konstanz. Da hat der Flussschon gut 200 Kilometer und den Bo-densee hinter sich. Die Abschnitte desFlusses kann man sich leicht merken,dabei hilft der Buchstabe B: Bis Bre-genz fließen Hinter-, Vorder- und Al-penrhein. Vom Bodensee bis Baselheißt der Fluss Hochrhein, von Baselbis Bingen Oberrhein, von Bingen bisBonn Mittelrhein, der Abschnitt abBonn schließlich wird Niederrhein ge-nannt. Hinter der niederländischenGrenze wird es dann kompliziert. Hierzerfasert der Rhein zusammen mit derMaas in einem gigantischen Delta. Anfünf verschiedenen Stellen der Küste
fließt heute Rheinwasser in dieNordsee. Wie lang der Rhein
nun wirklich ist, ist deshalbnicht so einfach zu berech-nen. Die Kommission fürdie Hydrologie des Rheins,eine Organisation allerLänder, die der Flussdurchfließt, hat sich auf
aktuell 1238,8 Kilometergeeinigt. Das entsprichtder Luftlinie von Dogernnach Madrid. Oder vonRadolfzell nach Edin-
burgh. Der Dichter
Victor Hugo hat ge-schrieben: „Der
Rhein ist der Fluss, überden jeder redet und den
niemand studiert, den jederbesucht und keiner kennt, den man
im Vorbeigehen sieht und im Vorbei-laufen vergisst.“ Am Ende, wenn Siealle SÜDKURIER-Seiten aufbewahrthaben und sie aneinanderlegen, be-kommen Sie eine mehr als zwei Meterlange Karte des Rheins in unserer Re-gion. Vergessen können Sie diesenFluss dann nicht mehr.
Papierschiff ahoi!➤ Neue Serie: Rheinabwärts von Konstanz nach Basel➤ Menschen erzählen von ihrem Leben mit dem Fluss➤ Alle Zeitungsseiten ergeben eine Zwei-Meter-Grafik
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1 Freitag, 5. April:Konstanz – Horn
Wir fahren mit ChristophRimmele über den ZellerSee und erfahren, wasLili Marleen mit demBodensee verbindet.
2 Dienstag, 9. April:Horn – Hemishofen
Auf der Insel Werd spre-chen wir mit MönchChristoph-Maria Hörtnerüber das Geheimniseines glücklichen Lebens.
3 Freitag, 12. April: Hemishofen – Rheinau
Thomas Mändli bringtuns dem Rheinfall sehr,sehr nah und wir erfah-ren, warum sich imParadies Eisenbücherstapeln.
4 Dienstag, 16. April: Rheinau – Hohentengen
Christian Forrer erzählt,wie man Cola wiederbe-lebt und wir lernen, wodie letzten SchweizerHexen starben.
5 Freitag, 19. April:Hohentengen – Dogern
Hans-Jürgen Bannaschzeigt uns, wie sich dieNatur nach und nach dieWutachmündung zu-rückholt.
6 Dienstag, 23. April:Dogern – Murg
Claus Epting undRené Leuenbergerleben die grenz-überschreitende
Fasnet und wir erfahren, wo man denKölner Dom im Berg verstecken kann.
7 Freitag, 26. April:Murg – Rheinfelden
Hier lernen wir vonThomas Schmidtund Hansjörg Matt,wie man dem Rheinseine Energie abge-winnt und erfahren,was Plattentektonik mitden Hunnen zu tun hat.
8 Dienstag, 30. April:Rheinfelden – Basel
Für eine Stunde organie-ren wir mit Daniel Wurz-bacher den SchweizerGüterverkehr. Danachverlassen wir den Rheinwieder.
Welche Rhein-Geschichten haben Sie erlebt?Welcher Ort am Fluss ist Ihnen am Liebsten?Schreiben Sie uns:[email protected]
Rhein-Menschen und Rhein-Geschichten: Die acht Etappen
Grafikerin Jessica Steller und ReporterSebastian Pantel, Autoren der Serie „Unser
schöner Rhein“, schicken das SÜDKURIER-Schiffchen auf die Reise. Es wird auf den Fotos aller
Serienfolgen auftauchen. Hier steht es ganz am Anfang: am Rheinkilometer null unter der Konstanzer Rheinbrücke.
B I L D E R : PA N T E L / S K- A RC H I V, GR A F I K U N D L AYO U T: J E S S I C A ST E L L E R
6 UNSER SCHÖNER RHEINS Ü D K U R I E R N R . 7 6 | M PD I E N S T A G , 2 . A P R I L 2 0 1 36 UNSER SCHÖNER RHEIN S Ü D K U R I E R N R . 7 6 | M PD I E N S T A G , 2 . A P R I L 2 0 1 3
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SCHWEIZ
DEUTSCHLANDDEUTSCHLAND
SCHWEIZ
KONSTANZ
KREUZLINGEN
REICHENAU
TÄGERWILEN
GOTTLIEBEN
ERMATINGEN
SALENSTEIN
BERLINGEN SANDEGG
ALLENSBACH
HEGNE
LITZELSTETTEN
KONSTANZ
KREUZLINGENBodensee
Seerhein(4,5 km)Seerhein(4,5 km)Untersee(21,7 km)
REICHENAU
TÄGERWILEN
GOTTLIEBEN
ERMATINGEN
MANNENBACH-SALENSTEINMANNENBACH-SALENSTEIN
SALENSTEIN
BERLINGEN SANDEGG
ALLENSBACH
HEGNE
LITZELSTETTEN
Insel Mainau
7 65
4
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„Der See wird nie langweilig“➤ Christoph Rimmele ist seit 20 Jahren Schiffsführer➤ Der Kurs Radolfzell – Reichenau gehört zu seinen liebsten➤ Warum der Zeller See schön ist und der Rheinsee tückisch
Teil 1: Konstanz – Horn
Es ist ein Tag am äußersten Rand derSaison. Nebel verwischt die Konturender Höri-Hänge gegenüber. ChristophRimmeles Fahrgast-Statistik auf derMS Reichenau bleibt überschaubar. Ei-ne Handvoll Menschen ist, warm ein-gepackt, in Radolfzell an Bord gegan-gen und hat es sich an Deck gemütlichgemacht. Ein fröhlicher Tourist ausSachsen ordert zwei Märzen aus derSchiffsbar. Der Zeller See wirkt wie einSilbertablett. Rimmele steuert dasSchiff routiniert rückwärts aus demHafenbecken hinaus. Der Schiffsführer
der Bodensee-Schiffsbetriebe ist in Ra-dolfzell geboren. Der Kurs über Iznangund Mannenbach zur Insel Reichenauist deshalb auch einer seiner liebsten:Heimatliche Gewässer. Die Land-schaft, die nahen Ufer, der überschau-bare See, das Licht, das jeden Tag an-ders ist. Außerdem, verrät ChristophRimmele, habe er heute Geburtstag.Und er arbeitet trotzdem? Rimmelelacht. „Die Schifffahrt ist wie eineSucht“, sagt er. „Entweder man schafftschnell den Absprung, oder mankommt nie wieder los.“
Er muss es wissen. Eigentlich hatRimmele bei der Bahn gelernt, Ener-gieanlagen-Elektroniker. Lokführerwaren gefragt damals, jeder, der nur dieHand hob, wurde eingestellt. Dochdann suchte die Bodenseeschifffahrt,damals Teil der Deutschen Bahn, einenElektriker. Rimmele sagte zu und warverloren. Seit fast 20 Jahren ist er nunSchiffsführer, er steuert vor allem aufdem Obersee die großen Fähren. Dasser heute die gemütliche Dame MS Rei-chenau fahren darf, ist so etwas wie einzufälliges Geburtstagsgeschenk.
In Iznang steigen noch zwei Passa-giere zu. Im Sommer drängen sichmanchmal mehr als 200 Menschenund 100 Fahrräder an Bord, dann mussdie Logistik stimmen. Rimmele legtwieder ab und steuert auf die Reichen-
au zu, wir verlassen den Zeller See.„Hier scheiden sich die Wege“, sagtRimmele und deutet nach links: Gna-densee und Markelfinger Winkel steu-ern die BSB-Schiffe so gut wie nie an.An der Reichenau vorbei geht es in denRheinsee – rechts herum in RichtungSchaffhausen, links herum nach Kon-stanz. Wir fahren geradeaus, nachMannenbach am Schweizer Ufer. „Hierspürt man dann die Strömung desRheins“, sagt Rimmele. Die Fahrrinnewird enger, beim Navigieren und Anle-gen ist Aufmerksamkeit gefordert. Au-ßerdem kann hier das Wetter schnellerungemütlich werden als auf dem rund-um geschützten Zeller See. „Innerhalbvon Minuten kann es hier plötzlich einsfünfzig hohe Wellen geben“, sagt Rim-mele. Dann muss manchmal der Kursgeändert oder gar Stationen ausgelas-sen werden. Dass das Schiff komplettim Hafen bleiben musste, hat Rimmeleallerdings noch nie erlebt.
In Mannenbach steht ein Mann aufder Mole und winkt mit beiden Armenüber dem Kopf. Rimmele nickt. „Er hatniemanden zum Einsteigen, wir habenniemanden zum Aussteigen.“ DerSchiffsführer kurbelt das hölzerneSteuerrad weit nach links. Die MS Rei-chenau dreht die Nase vom Steg wegund fährt wieder auf den See hinaus,ohne anzulegen. Vorn kommt das Süd-ufer der Reichenau ins Blickfeld. Imdiesigen Wetter gleicht es einem faseri-gen Pinselstrich aus Grün und Grau.Christoph Rimmele kennt das alles in-und auswendig. Wird es denn nie lang-weilig? „Nein“, sagt er. „Nicht, wennman die Augen offenhält, die Ufer an-schaut.“ Himmel, Wolken, die Farbender Bäume, die Fahrgäste an Bord, dieVögel, das Wasser des Rheins, der vorü-berfließt. All das ändert sich ständig.Ein altbekanntes Buch, in dem ständigneue Kapitel auftauchen. ChristophRimmele, das darf man wohl so sagen,hat seinen Traumberuf gefunden.
Auf der Reichenau verlässt die kleineReisegesellschaft das Schiff. Gleichwird Christoph Rimmele wieder zu-rückfahren, eine neue Handvoll Passa-giere an Bord, dieselbe Strecke in Ge-genrichtung. Und wieder wird er sichnicht langweilen.
Nächste Folge: Dienstag, 9. April
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„Schifffahrt ist wie eine Sucht. Entweder man schafftschnell den Absprung, oder man kommt nie wieder los.“
Christoph Rimmele, Schiffsführer bei den BSB.........................................................................
1 Rheinkilometer: Mitten unter derAlten Rheinbrücke in Konstanz
beginnt die Kilometerzählung desRheins. Sie gilt seit 1939 und endet beiKilometer 1036,20 an der Nordsee, inHoek van Holland.
2 Stromeyer: 1872 gründeten LudwigStromeyer und Julius Landauer
eine Zeltfabrik in der Schweiz. Eingutes Jahrzehnt später wurde in Kon-stanz am Seerhein eine Fabrik er-richtet. 1910 brannten Teile davon ab,beim Wiederaufbau in der heutigenForm wurde auch der Wasserturmneu errichtet. Zu den bekanntestenGroßaufträgen von Stromeyer gehörtedie Konstruktion des MünchnerOlympia-Stadions für die Spiele 1972.Nur ein Jahr später ging das Unter-nehmen in Konkurs. Heute ist es inzwei Geschäftsbereiche (Hallen undPlanen) aufgeteilt, beide haben ihrenSitz in Radolfzell. Das Bleiche-Ge-bäude am Seerhein beherbergt nunein Restaurant mit Biergarten undBüroräume.
3 Schloss Gottlieben (CH): Die ehe-malige Wasserburg direkt am See-
rhein hat der Konstanzer Bischof Eber-hard II. gebaut, samt einer Brücke überden Rhein – um Konstanz zu ärgern.Das war 1251. Während des Konzilssaßen hier die Reformatoren JohannesHus und Hieronymus von Prag imKerker, ebenso wie der GegenpapstJohanns XXIII. Im 19. Jahrhundertwurde das Schloss umgebaut undbekam unter anderem Fenster aus demabgebrannten Kreuzgang des Kon-stanzer Münsters einge-setzt. 1950 kaufte dieberühmte SchweizerSopranistin Lisa DellaCasa das Schloss undlebte dort seit ihremAbschied von derBühne Mitte der 70er-Jahre völlig zurückgezogen. Im De-zember starb sie mit 93 Jahren.
4 Schloss Hubberg: Indem Haus aus dem
14. Jahrhundert inFruthwilen wohntenach dem 2. Weltkriegzwanzig Jahre langHans Leip als Mieter. Erschrieb unter anderemdie Texte von „Lili Marleen“ und dem
Pfadfinder-Bundeslied „Und irgend-wo die Steppe“. Leip arbeitete bis1943 im Cotta-Verlag in Überlingenund starb 1983 in Fruthwilen.
5 Schloss Arenenberg (CH): Erbaut im16. Jahrhundert, wurde das
Schloss bekannt als Wohnsitz desspäteren französischen Kaisers Na-poléon III, der hier seine Kindheitverbrachte und sich von KonstanzerProfessoren unterrichten ließ. Auchexperimentierte er mit Geschützenund visierte öfter mal Zielpunkte aufder Insel Reichenau an. Der Land-schaftsgarten des Schlosses gilt alswichtiges Denkmal seiner Zeit.
6 Schloss Salenstein (CH): DasSchloss ist rund 1000 Jahre alt. Seit
1979 hält es die „Stiftung für Kunst,Kultur und Geschichte“. Dahintersteht der Sammler Bruno Stefanini,der nicht nur eine der größten pri-vaten Kunstsammlungen der Schweizbesitzt, sondern auch Skurrilitätenwie Greta Garbos Rolls Royce, Na-poleons Sterbebett, Sissis Sonnen-schirm und Albert Einsteins Tresor.Schloss Salenstein hingegen verrottet.
7 Schloss Eugensberg: Ende der80er-Jahre kaufte der Unterneh-
mer Hugo Erb das Schloss aus dem19. Jahrhundert. Seine Firmengruppemachte Milliarden in der Autobran-che, mit Fenstern, Türen, Küchen,Holz, Kaffee und im Finanzbereich.2003 folgte der Konkurs – die zweit-größte Firmenpleite der SchweizerGeschichte nach dem Aus der Swiss-air. Sohn Rolf Erb wurde im März 2012wegen gewerbsmäßigem Betrug,Urkundenfälschung und Gläubiger-schädigung zu acht Jahren Freiheits-strafe verurteilt. Er hatte SchlossEugensberg kurz vor dem Konkursseinen erst zehn Monate alten Zwil-lingen und seiner Lebensgefährtinübereignet. Dies hat das Gerichtrückgängig gemacht, das Schloss istTeil der Konkursmasse. Erb und dieStaatswanwaltschaft sind in Berufunggegangen, diesen Monat wird derProzess fortgesetzt. Bis dahin darf RolfErb im Schloss wohnen bleiben. (sep)
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Außerdem: Ein Nullpunkt und Lili Marleen
Schiffs-führer Chris-
toph Rimmelesteuert die Insel
Reichenau an. Mit anBord: Das SÜDKURIER-Schiff.B I L D E R : PA N T E L / D PA / S K- A RC H I V.
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8 UNSER SCHÖNER RHEINS Ü D K U R I E R N R . 7 9 | M PF R E I T A G , 5 . A P R I L 2 0 1 38 UNSER SCHÖNER RHEIN S Ü D K U R I E R N R . 7 9 | M PF R E I T A G , 5 . A P R I L 2 0 1 3
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Unser schöner Rhein
präsentiert
Hochrhein (145 km)Hochrhein (145 km)
STEIN AM RHEIN WANGEN
ÖHNINGEN
HEMISHOFEN
MAMMERN
HORN
GAIENHOFEN
HEMMENHOFEN
STECKBORNSTEIN AM RHEIN WANGEN
ÖHNINGEN
HEMISHOFEN
MAMMERN
HORN
GAIENHOFEN
HEMMENHOFEN
STECKBORN
Untersee(21,7 km)Untersee(21,7 km)
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DEUTSCHLAND
SCHWEIZ
SCHWEIZ
DEUTSCHLAND
SCHWEIZ
SCHWEIZSCHWEIZ
ÖHÖÖH
Beschirmt: Bruder ChristophMaria auf der Insel Werd.
B I L D E R : PA N T E L / FO T O L I A : A N D RE S
E L LO / P RI VAT / T E Y L E R S M US E U M .
GR A F I K U N D L AYO U T: J E S S I C A ST E L L E R
Heute besuche ich Christoph MariaHörtner, und dafür muss ich durchsWasser. Nicht durch den Rhein, zumGlück, aber durch strömenden Regenüber einen fast zweihundert Meter lan-gen, schmalen Holzsteg. Das ist der ein-zige Weg, der auf die Insel Werd führt,die größte von drei Inseln im letztenZipfel des Bodensees, kurz vor Stein amRhein. Das Wasser unter den Holzboh-len ist grau, die Regentropfen lassen sei-ne Oberfläche aussehen wie narbigesBlei. Am Ende der Brücke bilden Bäumeein grünes Dach. Darunter wartet Bru-der Christoph-Maria mit einemSchirm. Er trägt die schlichte, brauneKutte der Franziskaner, Sandalen anden nackten Füßen – und eine rundeBrille, die man eher auf der Nase einesBerliner Webdesigners erwarten würdeals auf der eines Mönchs. Er streckt dieHand aus, und ich betrete die Insel.
Als Otmar vor zwölf Jahrhundertenseinen Fuß hier auf den Boden setzte,war dies für ihn ein endgültiger Schritt.Der erste Abt des Klosters St. Gallen warden politischen Wirren seiner Zeit zum
Opfer gefallen. Durch eine Intrige undeine falsche Anklage war Otmar hierherin die Verbannung geschickt wordenund starb nur wenig später, im Jahr 759.„Ich stelle mir vor, wie hart das für ihngewesen ist“, sagt Bruder ChristophMaria, im Heute, im Trockenen, bei ei-ner Tasse Kaffee. „Otmar war damalsschon alt, er konnte vermutlich nichtschwimmen. Sein Leben hier muss sehrprimitiv gewesen sein.“ Unwillkürlichstellen sich Bilder ein: Ein windschieferUnterstand. Eine Kochstelle am Boden.Das trübe Licht einer rußigen Talgkerze.Für einen Moment schließt sich zwi-schen uns und Otmar der Zeitgrabenvon zwölfhundert Jahren.
Zehn Jahre nach seinem Tod wird Ot-mars Körper zurück nach St. Gallen ge-bracht. Hundert Jahre später wird erheiliggesprochen. Über dem leerenGrab wird eine Kapelle gebaut, Bene-diktiner pflegen den Ort. Menschen be-ginnen, hierher zu pilgern und tun dasbis heute, da die Insel an die Franziska-ner verpachtet ist. „Tausend Jahre langhaben Menschen ihre Sehnsucht hier-hergetragen“, sagt Bruder ChristophMaria. „Das macht aus dieser Insel ei-
nen sehr kraftvollen Ort.“Sehnsucht. Kraft. Glaube. Worte, die
einfach klingen, wenn der Mönch sieausspricht. Wie seine Ordensbrüderlebt er einfach, arm und unstet. In derRegel ziehen Franziskaner alle paar Jah-re weiter an einen neuen Ort. Jeder Tagist durchstrukturiert, mit einer Mi-schung aus Gottes- und Menschen-dienst: 6.30 Uhr Anbetung, 7 Uhr Stun-dengebet und Messe, danach Früh-stück. Sext (Mittagsgebet) um 12 Uhr,Vesper (Abendgebet) um 18 Uhr. Dazwi-schen und danach hat jeder der fünfhiesigen Brüder einen „Job“ draußen inder Welt: Pfarrdienste, Gruppensitzun-gen, Verwaltungsaufgaben. Ein stren-
ges Leben, von außen betrachtet. Dochfür Bruder Christoph Maria bedeutet esFreiheit. Vor mir sitzt ein glücklicherMensch. Wie findet man dieses Glück?„Indem man auf die kleinen Hinweiseachtet“, sagt der Mönch. „Wenn mander Spur der Lebensfülle nachgeht,dann findet man, wohin man gehört.“Für ihn war es der Orden. Für einen an-deren Menschen wird es etwas anderessein. „Man muss danach suchen“, sagter. „Das Potential steckt in jedem.“
Draußen regnet es noch immer. DerWeg um die kleine Insel ist schnell zu-rückgelegt. Die Otmars-Kapelle ducktsich ans Wohnhaus des Ordens. In einerWiese ist ein Labyrinth angelegt, mit ei-ner Anleitung: „Nimm einen Gedan-ken, ein Gebet oder einfach Nichts mitauf den Weg und lass dich überraschen,was geschieht. Am Besten gehst du oh-ne Schuhe.“ Vielleicht kehrt man vondiesem Gang ja mit einem der großen,einfachen Worte wieder zurück. Viel-leicht trägt man es mit sich über dieHolzbrücke zurück in die Welt, über denRhein, der seit zwölf Jahrhundertenund noch viel länger vorüberfließt. Viel-leicht ist es ja das Wort „Glück“.
Nächste Folge: Freitag, 12. AprilWelche Rhein-Geschichten haben Sie erlebt?Welcher Ort am Fluss ist Ihnen am Liebsten?Schreiben Sie uns:[email protected]
Am SehnsuchtsortTeil 2: Horn – Hemishofen
➤ Christoph Maria Hörtner ist Franziskaner-Mönch➤ Kleine Gemeinschaft lebt auf der Insel Werd im Rhein➤ Warum das Leben im Kloster Freiheit bedeuten kann
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Das SÜDKURIER-Schiff bleibt am Ufer: EinSteg führt zur Insel Werd. B I L D : PA N T E L
1 Stehlwiesen: Das Naturschutzgebietist die Heimat einer etwas unheim-
lichen Gattung Lebewesen: Hier ge-deihen fleischfressende Pflanzen. DerLangblättrige Son-nentau etwa, derInsekten mit Kle-befallen fängt undverdaut – diesePflanze ist starkgefährdet undsteht unter Natur-schutz. Auch das Gemeine Fettkrautlässt seine Beute festkleben und ver-daut sie durch Enzyme. Der KleineWasserschlauch schließlich fängtseine Beute unter Wasser – indem ermit schlauchartigen Blasen einenUnterdruck erzeugt und die Beutedamit ansaugt. Bitte beachten: DasGebiet ist Naturschutzgebiet!
2 Wassertiefe: Zwischen Gaienhofenund Steckborn ist das Wasser im
Untersee am Tiefsten – rund 46 Meter.Das ist allerdings wenig im Vergleichzur maximalen Tiefe des Obersees. Siebeträgt zwischen Friedrichshafen undRomanshorn 254 Meter.
3 Schloss Glarisegg: Erbaut wurdedas Schloss am Schweizer Boden-
seeufer im 16. Jahrhundert, wiederaufgebaut nach einem Brand 1639.Ende des 18. Jahrhunderts ließ einBankier das heutige Schlossgebäudeerstellen. Noch mehrfach wechseltedas Anwesen den Besitzer, bis dieReformpädagogen Werner Zuberbüh-ler und Wilhelm Frei das Schlosskauften und dort Anfang des 20. Jahr-hunderts ein Landerziehungsheimeinrichteten, das bis 1980 betrieben
wurde. 1987 bis 2001 beherbergte dasSchloss ein Waldorf-Internat. 2003erwarb eine neu gegründete SchlossGlarisegg AG das Anwesen für gut dreiMillionen Franken. Eine Lebens- undArbeitsgemeinschaft aus knapp 30Menschen betreibt hier heute sowohlein Zentrum für Spiritualität, Kreativi-tät, Begegnung und „Bewusst-Sein“als auch ein Tagungs- und Seminar-hotel und einen Ort für Kulturver-anstaltungen.
4 Schloss Liebenfels: Zum ersten Malwird eine Burg an dieser Stelle im
13. Jahrhundert erwähnt. Eine Be-sonderheit der Anlage ist das fast 30Meter tiefe Gewölbesystem – es dienteals Mischung aus Gefängnis, Lagerund Verteidigungsanlage. Im 19. Jahr-hundert war das Schloss ein Dichter-
Treffpunkt, Gott-fried Keller undHoffmann vonFallersleben kehr-ten hier ein. Heuteist es eine privateLuxus-Residenz fürSenioren.
5 Urzeit: An der höchsten Erhebungder Höri (gut 700 Meter) findet
man besonders viele und gut erhalte-ne Fossilien. Einen der spektakulärs-ten Funde machte 1726 der SchweizerJohann Jakob Scheuchzer – er grubdas Skelett eines 14 Millionen Jahrealten Riesensalamanders aus, das erfür die Überreste eines „Sintflut-menschen“ hielt. Erst fast 100 Jahrespäter wurden die versteinerten Kno-chen richtig gedeutet. Sie liegen heute
im Teylers Mu-seum in Haarlem /Niederlande. Diewichtigsten Fossi-lien-Fundstellender Höri stehenunter Naturschutz.
6 Stein am Rhein(CH): Hier endet der Bodensee.
Geographisch gesehen liegt die Gren-ze zwischen Hochrhein und Unterseeunter der Brücke nach Stein amRhein. Eine Brücke gab es hier schonin der Spätantike, Stein am Rheinhieß damals Tasgetium. Seit dem Jahr1200 besteht die Burg Hohenklingenoberhalb der Stadt. Ein beliebtesAusflugsziel ist die Stadt vor allemwegen ihrer gut erhaltenen mittel-alterlichen Innenstadt. (sep)
Außerdem: Fleischfresser und Urviecher
8 UNSER SCHÖNER RHEINS Ü D K U R I E R N R . 8 2 | M PD I E N S T A G , 9 . A P R I L 2 0 1 38 UNSER SCHÖNER RHEIN S Ü D K U R I E R N R . 8 2 | M PD I E N S T A G , 9 . A P R I L 2 0 1 3
5
SCHAFFHAUSEN BÜSINGEN
NEUHAUSEN
RHEINAU
ELLIKONAM RHEIN
GAILINGEN
DIESSENHOFEN
SCHAFFHAUSEN BÜSINGEN
NEUHAUSEN
RHEINAU
ELLIKONAM RHEIN
GAILINGEN
DIESSENHOFEN
Rheinfall(49 km)Rheinfall(49 km)
DEUTSCHLAND
DEUTSCHLAND
SCHWEIZ
SCHWEIZ
DEUTSCHLAND
DEUTSCHLAND
SCHWEIZ
SCHWEIZ
NEUHN UNNNNEUH
RRh
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In einer Wolke aus Wasser, in einemBrausen, gegen das man anschreienmuss, fühlt man sich wie in der sprich-wörtlichen Nussschale. Sie ist gelb,länglich, mit offenem Dach und Seiten,und hat gerade eine 30-köpfige Reise-gruppe aus Indien an Bord genommen.Zwischen den Fahrgästen sitzt etwas er-höht Thomas Mändli am Steuer. Allezwanzig Minuten steuert er den Kahnins Tosen, in das wild wirbelnde Wasser.Er kennt die Strömungen, die Tücken,die Kniffe, mit denen sich der Rheinüberlisten lässt, hier, wo er wie ein halb-starker Muskelprotz seine Kraft de-monstriert, unterhalb des Rheinfalls inNeuhausen. Mit 19 fuhr Mändli seineersten Gäste zum Felsen. Vor 21 Jahren.
„Viel Wasser heute!“, brüllt er, wäh-rend er schräg auf den Rheinfall-Felsenzusteuert. „Und das Wetter passt.“ Willheißen: Die Kombination sorgt für guteGeschäfte beim Schifffahrts-Unterneh-
men Rhyfall Mändli. Der Mann mit derSchlägerkappe am Nussschalen-Steuerist der Chef. So wie schon sein Vater.Und sein Großvater. Und sein Urgroß-vater. Und sein Ur-urgroßvater.
Letzterer, Johann Mändli senior, be-gann im Jahr 1895 als Angestellter desSchlosshotels Laufen, das oberhalb desRheinfalls auf den Felsen thront. Mit ei-nem Weidling, einem Zehn-Meter-Flachboot, setzte er Gäste ans andereUfer über und fuhr sie durch die Gischtzum Felsen im Fall. „Je nach Strömung“,brüllt Ur-urenkel Thomas Mändli,„mussten sie damals zu dritt rudern.“1912 setzt die Familie erstmals Außen-bord-Motoren ein. 1995, zum Hundert-jährigen, zählt die Flotte zwölf motori-sierte Boote, in der Hochsaison sindneun davon gleichzeitig im Einsatz.2010 übernahm Thomas Mändli vonseinem Vater das Unternehmen, dieserhatte da 45 Jahre Schifffahrt hinter sich.Heute arbeiten sechs Menschen das
ganze Jahr im Unternehmen. Zwi-schen April und September kommennoch ein Dutzend Schiffsführer und biszu acht Kundenbetreuer hinzu, um derBesuchermassen Herr zu werden. Derneueste Mändli-Clou: Ein Audio-Guidefür eine 30-Minuten-Rheinfall-Rund-fahrt in den Sprachen Deutsch, Eng-lisch, Französisch, Spanisch, Italie-nisch, Japanisch, Russisch, Chinesischund Hindi. „Wissen Sie“, sagt ThomasMändli, „wenn viele Nationen zusam-men auf dem Schiff gespannt der Erzäh-lung zuhören, und es herrscht Stille,dann hat das etwas sehr Mystisches.“
Noch immer ist der Rheinfall dermeistbesuchte Ort der Schweiz. Knappzwei Millionen Tagesgäste kommen je-des Jahr her, um die Wassermassen an-zustaunen und zu fotografieren, die seitrund 15 000 Jahren über die Kalkstein-kante stürzen: Pro Sekunde durch-schnittlich 400 Kubikmeter, das ist derRauminhalt einer 160-Quadratmeter-Wohnung. Zu Hochwasserzeiten kannes dreimal so viel sein. Thomas Mändliweiß damit umzugehen. „Die Praxis,bei jedem Wasserstand zur Insel zu fah-ren, wird von Generation zu Generationweitergegeben“, sagt er. Was dieSchwierigkeiten sind? Mändli lacht.„Manchmal die Strömung, manchmaldas Wetter und manchmal die Gäste.“
Mit Schwung legt die gelbe Nussscha-le am Rheinfall-Felsen an. Die indischeReisegruppe steigt aus, eingehüllt infeine Gischt. Rückkehrer steigen zu, einWasserfilm auf der Kleidung, das Brau-sen in den Ohren, der Anblick des to-senden Wassers noch frisch im Kopf.Nötigt der Rheinfall eigentlich auchThomas Mändli noch Gefühle ab? „Icharbeite an einem der schönsten Orteder Welt“, sagt Mändli schlicht. Rück-wärts legt die gelbe Nussschale vom Fel-sen ab. Die Strömung greift das Schiffmit starker Hand und treibt es quer vorsich her, zurück in Richtung Anleger.Thomas Mändlis Hand liegt locker aufdem Steuer. „Dieses Wasser, das durchhalb Europa fließt“, sagt er, „das ist eineLebensader, die mich jeden Tag mitneuer Energie versorgt.“
Nächste Folge: Dienstag, 16. AprilWelcher Ort am Rhein ist Ihnen am liebsten?Was haben Sie da erlebt? Schreiben Sie uns:[email protected]
„Rhein versorgt mich mit Energie“
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Teil 3: Hemishofen – Rheinau
1 Klostergut Paradies: Klarissen grün-deten hier im 13. Jahrhundert ein
Frauenkloster. Im 19. Jahrhundert gabder Orden das Kloster auf. Es wurdeversteigert – an die Georg Fischer AG(Rohrleitungen, Fahrzeug- und Fer-tigungstechnik). Die Anlage beher-bergt heute neben einem Tagungs-und Ausbildungszentrum die einzigeEisenbibliothek der Schweiz. Diesebesteht ausschließlich aus aktuellenund historischen Büchern und Zeit-schriften, die sich mit dem ThemaEisen und verwandten Bereichen wieArchäologie, Materialkunde, Brü-ckenbau oder Bergbaurecht beschäfti-gen. Die Sammlung umfasst mehr als40 000 Werke, darunter sind einige
Schätze. So zumBeispiel Sir IsaacNewtons Naturwis-senschafts-Stan-dardwerk „Princi-pia Mathematica“.Von der Erst-ausgabe wurdennur 20 Exemplare
hergestellt – jedes davon ist heuterund 130 000 Euro wert. Die Präsenz-bibliothek ist öffentlich.
2 Kraftwerk SchaffhausenLaufwasserkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1963➤ 2 Turbinen, 26 Megawatt
3 Rheinkraftwerk NeuhausenLaufwasserkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1951➤ 1 Turbine, 4,6 Megawatt
4 „Schwaben“ in Baden: ZwischenNeuhausen und Lottstetten be-
schreibt der Rhein eine große Schlei-fe. Dadurch entsteht auf deutscherSeite eine Landspitze, die in Schwei-zer Territorium hineinragt – mitten imBadnerland ist ihr Name „Schwaben“.Heute unbesiedelt, gab es dort in derRömerzeit eine befestigte Keltensied-lung. Der rund 800 Meter langeDamm, der die Siedlung schützte, ist
noch zu erkennen und gehört heutezu Jestetten.
5 Kloster Rheinau:Auf einer klei-
nen Insel in derRheinschleifegelegen, soll esbereits im 8. Jahr-hundert gegründetworden sein. Einespäte Blüte er-reichte es noch einmal im 18. Jahr-hundert, aus dieser Zeit stammt derbarocke Ausbau von Kloster undKirche. 1862 wurde das Kloster auf-gehoben, das wertvolle Handschrif-ten-Archiv ging im Staatsarchiv desKantons Zürich auf. Eine psychiatri-sche Klinik im Gebäude entstand undwurde im Jahr 2000 wieder geschlos-sen. Die Anlage wird heute vielfältiggenutzt: Eine Stiftung hat Betriebe inden Bereichen Sozialtherapie undLandwirtschaft eingerichtet, im Klos-tergarten wird biologisches Saatgutgezüchtet, im Traubengarten werdenneue Bio-Rebsorten getestet. Seit 2004leben im Kloster Schwestern der„Spirituellen Weggemeinschaft“.
6 Rheinau: Auf Schweizer Seite ent-steht durch die Rheinschleife eine
Landnase mit der Gemeinde Rheinau.Durch den Grenzverlauf ist Rheinauin drei Himmelsrichtungen vonDeutschland umgeben.
7 Kraftwerk RheinauLaufwasserkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1957➤ 2 Turbinen, 36,8 MegawattDas Wasser wird, bevor es in dieRheinschleife fließt, gestaut unddurch Stollen unter Rheinau hindurcham Ende der Schleife in den Rheinzurückgeleitet. Sein Weg verkürzt sichdadurch von viereinhalb Kilometernauf 400 Meter. Zwei Hilfswehre sorgendafür, dass der Wasserspiegel in derSchleife nicht zu sehr absinkt, damitdie Landschaft geschützt bleibt. (sep)
➤ Thomas Mändli arbeitet am Rheinfall➤ Familienbetrieb in der fünften Generation➤ Für Besucher ist hier das Herz der Schweiz
Thomas Mändli ganz dicht amRheinfall. Das SÜDKURIER-Schiffchen trotzt der Gischt –das Foto ist schnellgemacht. B I L D E R : PA N T E L
/ D PA / FO T O L I A : J W S .
GR A F I K U N D L AYO U T:
J E S S I C A ST E L L E R
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„Wenn viele Nationen zusammen auf dem Schiff gespannt der Erzählung zuhören, und es herrschtStille, dann hat das etwas sehr Mystisches.“
Thomas Mändli über die Wirkung des Rheinfalls.......................................................................
Außerdem: Eisen-Sammlung und zweites Schwaben
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6
Unser schöner Rhein
präsentiert
EGLISAU
BUCHBERG
RÜDLINGEN
WASTERKINGEN
GLATTFELDEN
KAISERSTUHL
HOHENTENGEN
EGLISAU
BUCHBERG
RÜDLINGEN
WASTERKINGEN
GLATTFELDEN
KAISERSTUHL
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DEUTSCHLAND
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SCHWEIZDEUTSCHLAND
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heißt das Getränk auch „Rennfahrer-bier“. Nach fast fünfzig Jahren schließ-lich endet die Geschichte. Der Konkur-renzdruck der Markenriesen Coca Colaund Pepsi wird zu groß. Vivi Kola wirdbeerdigt. Zu diesem Zeitpunkt ist Chris-tian Forrer 13 Jahre alt. Neben dem Ge-schmack des Rheins ist auch der von Vi-vi Kola in seinem Kopf gespeichert.
Der Rhein und Vivi Kola. Beides lässtForrer nicht mehr los. 2008 kauft er dieMarkenrechte des Getränks und wirdvom Grafiker zum Unternehmer. Dieerste Auflage wird 2010 wieder in Egli-sau abgefüllt, 23 000 Flaschen. „Wirhatten damit gerechnet, dass wir einJahr brauchen, bis die verkauftsind“, erzählt Forrer. Gedau-ert hat es zweieinhalb
Eglisau und Kapstadt. Zwischen diesenbeiden Orten ist das Leben von Chris-tian Forrer aufgespannt. Dort die Me-tropole in Südafrika, vier Millionen Ein-wohner. Hier das Schweizer Städtchenim Kanton Zürich, 4500 Einwohner.Kapstadt ist Forrers Sehnsuchtsort,Eglisau ist seine Heimat. „Wenn ich ausAfrika heimkomme, dann rieche ichden Rhein, bevor ich ihn sehe“, sagt er.
Der Rhein. Behäbig fließt er hier vorü-ber, an den schmucken, gedrängtenHäuschen der Altstadt, an den Rebhän-gen. Christian Forrer hat ihn durch-schwommen, als Kind, hat ihn mit demDrachenboot befahren. „Ich hatte nieeine Wasserflasche dabei“, erzählt er,
„ich habe einfach aus dem Fluss ge-trunken.“ Eine Beziehung, die sichnie wieder lösen lässt.
Heute sitzt Christian Forrer inder steilen Untergass von Eglisauin seinem Café: 38 Jahre alt, kur-zes Haar mit ersten Silber-sprenkeln, schwarzes T-Shirt,Dreitagebart. Drei Tischefasst der Raum, einen Tresenund eine Röstmaschine, dieaussieht wie eine Dampflok.Es duftet weich nach fernenLändern. Die Rückwand desgemütlichen Raumes ist biszur Decke vollgestapelt mitFlaschen. „Vivi Kola“ steht aufdem Etikett. Dieser Raum istein Bild von Christian ForrersLeben – und das aktuelle Kapiteleiner erstaunlichen Geschichte.
Sie beginnt 1822. Salzsucher sto-ßen in Eglisau zufällig auf eine Mi-neralquelle. Siebzig Jahre lang fließtdas Wasser ungenutzt in den Rhein.Der Versuch, Ende des 19. Jahrhundertseinen Kurbetrieb anzukurbeln, schei-tert. 1920 schließlich füllen die AnwälteOtto Haller und Fritz Voser das Wasserzum ersten Mal in Flaschen. Es folgendie Produkte Eglisana, Orangina – undschließlich, im Jahr 1938, Vivi Kola. Diebraune Brause wird zum SchweizerKultgetränk. Bei der „Tour de Suisse“1949 tritt Vivi Kola als Sponsor auf, Velo-fahrer heben werbewirksam die schlan-ke Flasche zum Mund, im Volksmund
Wochen. Heute trinken die Schweizer250 000 Flaschen Vivi Kola im Jahr. Diealte Marke ist wieder da, im hippenStadt-Milieu von Zürich ebenso wiebeim Getränkehändler im Nachbarort .Und Forrer ergänzt sie: Mit Qualitäts-Kaffee aus edlen Bohnen. Mit handge-machten Lederprodukten. Als nächsteskommt eine Zero-Variante von Vivi Kolaauf den Markt – für die gesundheitsbe-wusste Jugend und für die alten Fansmit Diabetes. Forrer schmunzelt. „Ichtrage das Erbe eines Kulturguts weiter“,sagt er.
Fürs Foto überqueren wir den Rhein,zu Fuß, über die Brücke. Die Sonnestrahlt mit voller Kraft, Christian Forrerlässt seine Jacke im Café. Der Fluss blitztwie mit Glitter bestreut. Bald wird For-rer wieder in Kapstadt sein. Die Ausbil-dung zum Spurenleser wartet, derBusch, die Ferne. Er blinzelt hinüber zuden Häusern. „Zurück sollten wir ei-gentlich schwimmen“, sagt er.
Nächste Folge: Freitag, 19. April
„Wenn ich heimkomme, rieche➤ Christian Forrer hat die alte Marke Vivi wiederbelebt➤ Ein Leben zwischen Kola, Kaffee und Kapstadt➤ Warum der Rhein in Eglisau „Heimat“ für ihn bedeutet
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Teil 4: Rheinau – Hohentengen
1 Buchberg und Rüdlingen: Die Ein-wohner der beiden Dörfer zer-
stritten sich so gründlich, dass man1893 die einstige Gemeinde trennte.Die Aufteilung der Gebiete erwiesdabei als so schwierig, dass be-stimmte Teile schließlich verlostwurden. Nur wenig später sorgte derBau einer Kirche für neuen Zoff. DieRüdlinger bestanden darauf, dass dieKirche so stehen müsse, dass manvon ihrem Dorf aus das Ziffernblattlesen könne. Heute liegen die Dörferals Exklaven des Kantons Schaff-hausen mitten im Kanton Zürich,Rüdlingen hat zudem eine Grenze zu
Deutschland. Als wäre das nichtkompliziert genug, liegen zudemzwei Teile von Buchberg sozusagenals Exklaven innerhalb der Exklaveim Gebiet der Gemeinde Rüdlingen –ein Ergebnis der Los-Aktion im19. Jahrhundert. Heute vertragensich die Gemeinden aber soweit.
2 Gottfried Keller: Die Eltern desSchriftstellers stammen aus
Glattfelden, er selbst hat nie hiergewohnt, obwohl er oft zu Besuchwar. Im frühen Werk „Der GrüneHeinrich“ hat die Wissenschaft Bezü-ge zum Glattfelder Dorfleben ent-
deckt. Heute gibt es in Glattfeldenein Gottfried-Keller-Zentrum.
3 Glattfelden: Hier befanden sicheinst die größten Filmstudios der
Schweiz. Seit 1999 drehte die C-FilmsAG hier Soaps, Serien, Fernsehfilmeund Werbespots. 2009 ging die Firmapleite, die Hallen wurden abgerissen.
4 Hexenprozess: Im Jahr 1701 wur-den in Wasterkingen die letzten
Hexen im Kanton Zürich getötet.Zwölf Personen waren angeklagt,Menschen und Tiere verhext zuhaben. Man folterte die Verdächti-
gen, bis sie gestanden. SiebenFrauen und ein Mann wurdenschließlich geköpft und verbrannt.
5 Kraftwerk Eglisau-GlattfeldenLaufwasserkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1920➤ 7 Turbinen, 32,5 Megawatt
6 Wasserstelz-Burgen: Die SippeWasserstelz errichtete in der
Region drei Burgen. Weißwasserstelzist nicht mehr vorhanden. Schwarz-wasserstelz wurde auf einem kleinenFelsen mitten im Rhein erbaut. EineSchweizerische Eisenbahngesell-
schaft erwarb dieBurg und baute sie 1875
einfach ab. Im ZweitenWeltkrieg wurde auf die Insel ein
Bunker gebaut – der steht heutenoch. Gottfried Keller beschreibtSchwarzwasserstelz in seiner Novelle„Hadlaub“, er hatte sie noch imOriginal gesehen. Rotwasserstelzschließlich steht noch: auf der deut-schen Rheinseite gegenüber demSchweizerischen Kaiserstuhl. (sep)
Welche Rheingeschichte haben Sie erlebt?Schreiben Sie uns:[email protected]
Außerdem: Filme, Hexen und ein Dörfer-Streit
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„Als Kind hatte ich auf dem Rhein nie eine Wasserflasche dabei. Ichhabe einfach aus dem Fluss getrunken.“
Christian Forrer, der die Vivi Kola wieder auferweckt hat..........................................................................
Christian Forrer mit Vivi Kola, Vivi Cafe und SÜDKURIER-Schiff, im Hintergrund die Rheinpromenade
seines Heimatortes Eglisau.B I L D : PA N T E L / GR A F I K U N D
L AYO U T: J E S S I C A
ST E L L E R
ich den Rhein“
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WALDSHUT
KÜSSABERG
BURG
BAD ZURZACH
REKINGEN
RIETHEIM
KOBLENZ
WALDSHUT
KÜSSABERG
BURG
BAD ZURZACH
REKINGEN
RIETHEIM
KOBLENZ
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DEUTSCHLAND
SCHWEIZ
DEUTSCHLAND
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1 Küssaburg: DieBurg in Küssa-
berg-Bechtersbohlist eines derWahrzeichen desLandkreisesWaldshut. Im 12.Jahrhundert er-baut, wurde die
Burg im Dreißigjährigen Krieg zer-stört. Ein Bergrutsch richtete wei-teren Schaden an. Erst im 20. Jahr-hundert wurden die immer nochbeeindrucken Überbleibsel restau-riert und zugänglich gemacht. Vonder Ruine aus hat man eine tolleAussicht.
2 Kraftwerk ReckingenLaufwasserkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1941➤ 2 Turbinen, 38 Megawatt
3 Römerlager: Dort, wo sich heutein Dangstetten eine Kiesgrube
befindet, gab es in den Jahrzehntenvor Christi Geburt ein großes Römer-lager, wohl eine Basis für die Germa-nen-Feldzüge. Das Lager wurde erst1967 vom Heimatforscher Alois Nohlentdeckt. Zu diesem Zeitpunkt hatteder Kiesabbau schon ein Viertel der
Fläche zerstört.Der Abbau wurdegestoppt, Archäo-logen gruben hierfast zwanzig Jahrelang. Durch zahl-reiche Fundewurde Dangs-tetten einer derwichtigsten Ausgrabungsorte fürdiesen Abschnitt der römischenGeschichte. Der Bronzegriff auf demBild ist inzwischen in Freiburg, vieleandere Ausgrabungsgegenständesind im Museum Küssaberg zu se-hen. Die Truppen, die hier lagerten,wurden übrigens später in der be-rühmten Varusschlacht geschlagen.
4 Pulsatilla-Naturschutzgebiet: BeiDangstetten wächst auf tro-
ckenem, kalkhaltigem Boden nebenOrchideenarten auch die Gewöhnli-che Kuhschelle (Pulsatilla vulgaris).Die giftige Pflanze (schon das An-fassen kann zustarken Hautrei-zungen führen) iststark bedroht. Inder Homöopathiewird sie vielfachverwendet.
5 Judenäule: Zwi-schen Waldshut und
Koblenz liegen im Rheinzwei Inseln: die SchweizerInsel Grien und das sogenann-te Judenäule. Im 17. Jahrhunderthatten Juden aus Lengnau undEndingen in der Schweiz die deut-sche Insel gepachtet, um dort ihreToten bestatten zu können – das warihnen in der Eidgenossenschaft nichtgestattet. Erst hundert Jahre danachdurften die Juden einen Friedhofdirekt bei ihren Dörfern anlegen. DieInsel geriet in Vergessenheit, wu-cherte zu, wurde immer mal wiederüberflutet und verlandete schließ-lich. Erst in den 1950ern fandenGrabungen statt, um die verbliebe-nen Grabsteine zu retten und dieToten zu überführen. 2004 wurdedas Judenäule wieder zu einer Insel,der verlandete Rheinarm wurdewieder hergestellt. Die Insel ist heuteSchutzgebiet.
6 Aare-Zufluss: Hier mündet dieAare nach rund 300 Kilometern
in den Rhein. Aus Sicht der Wasser-wissenschaft müsste der entstehen-de Fluss eigentlich weiter „Aare“heißen und nicht „Rhein“ – denn
durch die Aarefließt an dieser Stellemehr Wasser. Bei der Namens-gebung zählt jedoch die Länge biszur Mündung – und deshalb machtder Rhein die Aare zum Nebenfluss.
7 Kraftwerk Beznau
Atomkraftwerk➤ Betrieb seit 1969➤ 2 Druckwasser-reaktoren, 760 MW
8 Zwischenlager und PSI: In Würen-lingen lagern radioaktive Abfälle
aller Art, darunter auch abgebrannteBrennelemente aus den SchweizerAtomkraftwerken und andere hoch-radioaktive Abfälle. Sie werden ineinem besonderen Verfahren in Glaseingeschlossen, dies gerät immer
wieder in dieKritik. An-gegliedert andas Zwischen-lager ist das PaulScherrer Institut(PSI), ein For-schungszen-trum, das aus einer Zusammenle-gung des Eidgenössischen Institutsfür Reaktorforschung und desSchweizerischen Instituts für Nu-klearphysik entstanden ist. Be-sonders seine Anlagen zur Teil-chenbeschleunigung haben dasPSI bekannt gemacht. WeitereForschungsschwerpunkte sindunter anderem Nanotechnologieund Biowissenschaften. (sep)
Außerdem: Atomkraft, Naturschutz und die alten Römer
HinterHans-Jürgen
Bannasch fließen„wütende“ Wutach und
stiller Rhein zusammen. B I L D E R : PA N T E L , S K- A RC H I V, M US E U M
K ÜS S A B E RG , FO T O L I A : C A R O L A VA H L D I E K , P S I ,
A X P O. GR A F I K U N D L AYO U T: J E S S I C A ST E L L E R
Manchmal braucht die NaturHilfe. Oder einfach nur Ruhe.So wie hier. Gras hat in dichtenMatten den Kiesgrund zuge-wuchert. Zwischen kleinenHügeln, auf denen Bäumewachsen, steht in Pfützen dasWasser. Jungfische tummelnsich darin. Hans-Jürgen Ban-nasch hebt einen fein säuber-lich abgenagten Stecken auf.„Das war ein Biber“, sagt er.
Hundert Meter weiter hat der-selbe Biber angefangen, einen
riesigen Baum anzunagen. Ir-gendwann wird er fallen. Nie-
mand wird das verhindern.Wir stehen mitten im Mün-
dungsbereich der Wutach in denRhein. Hinter den Bäumen rauscht
der Verkehr über die B 34. Wenn die Wu-tach, der „wütende Fluss“, Tau- oderRegenwasser aus dem Schwarzwald insTal spült, dann wird all das hier überflu-tet. Dann setzt die Wutach das Gras un-ter Wasser, schwemmt neuen Nährbo-den an, entwurzelt vielleicht kleinereBäume und nagt die Flanken der Inselnan. Nach und nach wird die Natur derWutachmündung so wieder ihr altesAussehen zurückgeben. Zugvögel wer-den die Auen als Raststation nutzen.Vielleicht wird einst sogar der Flussre-genpfeifer wieder hier brüten. Hans-Jürgen Bannasch sagt: „Die Natur holtsich alles zurück, wenn man sie lässt.“Er lässt seinen Blick über Wasser undWiesen schweifen. „Aber ich bin docherstaunt, dass es so schnell geht.“
Die nötige Ruhe dafür – Hilfe zurSelbsthilfe sozusagen – hat die Naturhier vom Menschen bekommen. „Re-naturierung“ heißt das Fachwort. Bisvor wenigen Jahren war die Wutach-mündung begradigt, die Flächen linksund rechts wurden landwirtschaftlichgenutzt. Heute ist das Gebiet gleichmehrfach geschützt – als Natur- undLandschaftsschutz- und FFH-Gebietsowie als Biotop. Eine stille Insel zwi-schen Straßen und Industriegebieten.
Reicht denn diese Fläche, die etwaskleiner ist als die Insel Mainau, als Rück-zugsgebiet für Vögel, Fische und scheueBiber? „Solange keine Menschen hierdrinnen herumlaufen, ja“, sagt Ban-nasch und klaubt eine halbleere Plas-tikflasche aus dem Gras, daneben sinddie Reste einer Feuerstelle zu sehen.Das abgeschiedene Idyll lockt doch im-mer wieder Besucher an. Nicht alle ver-halten sich so rücksichtsvoll, wie Hans-Jürgen Bannasch es sich eigentlichwünschen würde.
Der pensionierter Biologie- undSportlehrer ist Naturschützer durchund durch. Er hat 1988 die BUND-Orts-gruppe Waldshut-Tiengen gegründetund sie bis 2011 geleitet. Für ihn war dieSorge um die Natur immer auch poli-tisch. Bannasch war schon zu ZeitenSPD-Mitglied, als man dafür – er erzähltdas mit einem Schmunzeln, während ereinen Weg am schlammigen Uferstrei-fen entlang sucht – in der Region „als soeine Art Kommunist“ gesehen wurde.
Und so driftet ein Gespräch überFischbrut und Auwälder immer wiederab: Zu Erhard Eppler, mit dessen frü-hem Umweltbewusstsein seine SPD nieso richtig warm wurde. Zum „Nils“, NilsSchmid, stellvertretender Landesvater,und dessen unglücklicher Aussage überSchwarzwaldtäler, die ruhig mal zu-wachsen können. Zur Atomkraft, zumRegierungswechsel 2011 und zum tägli-chen Verkehrs-Infarkt in Waldshut.
Trotzdem hat Hans-Jürgen Bannaschdas zähe Tauziehen der Politik irgend-wann gegen die langwierige Arbeit mitund für die Natur getauscht. An den neugestalteten Ufern der Wutach und am„Judenäule“ (s. Ziffer 5, Text unten)muss regelmäßig Springkraut beseitigtwerden, um heimischen Pflanzen eineChance zu geben. Wiesen müssen ge-mäht werden, die Infotafel am Jude-näule bräuchte dringend eine Verschö-nerungskur. „Es ist nicht damit getan,Schutzgebiete auszuweisen“, sagt Ban-nasch. „Man muss sie auch pflegen.“
Im Fall der Wutachmündung war dieAnlage ein großer Aufschlag. 340 000Euro hat die Renaturierung gekostet.Knapp 200 000 Euro davon hat das Re-gierungspräsidium Freiburg gezahlt,127 000 Euro kamen als Ausgleichszah-lung vom Rheinkraftwerk Albbruck-Dogern, der Rest von der EU und denStadtwerken Waldshut. Zur Fertigstel-lung kamen hohe Herren der Verwal-tung und standen mit Hemd und Kra-watte im frisch angeschütteten Kies he-rum. Als sie wieder fort waren, überneh-men stille Helfer wie Hans-Jürgen Ban-nasch die Kontrolle und Pflege des Ge-biets. Sie wachen darüber, dass die Na-tur hier tun kann, was sie tun soll: DenKies mit Erde bedecken. Gras- undSchilfteppiche legen. Wuchern undFluten. Sich alles zurückholen.
Vorn, wo die beiden Flüsse sich mi-schen, der „wütende“ aus demSchwarzwald und der still vorüberflie-ßende Rhein, gründelt ein Schwanen-paar. „Ja, schöner Flecken hier“, mur-melt Hans-Jürgen Bannasch. Ein gro-ßer Vogel fliegt über unsere Köpfe hin-weg. Bannasch wirft ihm einen kurzenBlick nach: Graureiher. Den Stecken,den der Biber abgenagt hat, wird ernachher mit nach Hause nehmen.
Nächste Folge: Dienstag, 23. AprilWelche Rhein-Geschichten haben Sie erlebt?Welcher Ort am Fluss ist Ihnen am Liebsten?Schreiben Sie uns:[email protected]
Teil 5: Hohentengen – Dogern
➤ Hans-Jürgen Bannasch arbeitet seit Jahren für den BUND➤ Wutachmündung soll wieder so aussehen wie früher
➤ Warum Naturschutz auch ein politisches Thema ist
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Starthilfe für die Natur
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„Es ist nicht damit getan, Schutz-gebiete auszuweisen. Man muss sieauch pflegen.“
Hans-Jürgen Bannasch tut das für denBUND seit Jahrzehnten................................................
8 UNSER SCHÖNER RHEINS Ü D K U R I E R N R . 9 1 | M PF R E I T A G , 1 9 . A P R I L 2 0 1 38 UNSER SCHÖNER RHEIN S Ü D K U R I E R N R . 9 1 | M PF R E I T A G , 1 9 . A P R I L 2 0 1 3
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Unser schöner Rhein
präsentiert
LAUFENBURG
SCHWADERLOCH
DOGERN
ALBBRUCK
MURG
LAUFENBURG
SCHWADERLOCH
DOGERN
ALBBRUCK
MURG
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DEUTSCHLAND
SCHWEIZ
DEUTSCHLAND
SCHWEIZ
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300 Jahre wildes Leben haben Spuren inihrem Gesicht hinterlassen. Ihre Naseist abgewetzt, die Augenlöcher sindbrüchig, feine Risse durchziehen dieglatte Lackschicht auf ihren Wangen.Auf dem Tisch vor Claus Epting undRené Leuenberger liegt sie: die wohl äl-teste Holzlarve Südwestdeutschlands.Und doch sieht sie genauso aus wie jeneMasken, die die Mitglieder der „Narro-Altfischerzunft“ von Laufenburg heutenoch zur Fasnacht tragen.
Andere Dinge hingegen haben sichgeändert im Laufe der Jahrhunderte. Sositzen heute beim Gespräch zwei Zunft-meister in der Narrenstube vor der altenHolzlarve, und nicht nur einer. Schulddaran ist Napoleon. 1801 zog er im Frie-den von Lunéville Europas Grenzenneu. Dabei zerlegte er kurzerhand auchLaufenburg in eine badische und eineSchweizer Hälfte, in „mindere“ (kleine-re) und „mehrere“ (größere) Stadt. DerRhein, vorher jahrhundertelang ver-bindendes Element, war plötzlich zurGrenze geworden.
Politisch ist er das bis heute. Dochzwischenmenschlich pfeifen die Lau-fenburger auf diese Grenze. Die Rhein-brücke ist breit und offen, von Grenzbe-amten ist am frühen Nachmittag nichtszu sehen. Menschen schlendern überden Rand der EU und wieder zurück, alsgebe es ihn gar nicht. Auch die „Narro-Altfischerzunft“ ist „im Herzen eins“,wie René Leuenberger sagt. Nur wegenunterschiedlicher Steuer- und Vereins-gesetze hüben und drüben wird sie ge-trennt verwaltet. Leuenberger und seindeutscher Zunftmeister-Kollege ClausEpting wechseln sich jährlich mit demGesamtvorsitz ab. Die hohen Feste fei-ert man gemeinsam. Jahrhundertelan-ge gemeinsame Geschichte kann selbstein Napoleon nicht trennen.
Das seit 300 Jahren lächelnde Holzge-sicht ist, gemessen an der langen Ge-schichte der „Narro-Altfischerzunft“,noch jung. Bis ins Jahr 1386 verfolgendie Narren ihre Wurzeln zurück. Ent-standen sind sie aus einer echten Be-rufszunft, sozusagen einer Fischerei-Genossenschaft. Die vertrat den Be-rufsstand und bildete ein soziales Si-cherungssystem für Witwen und Wai-sen – das Fischen an den wilden Strom-schnellen („Laufen“) in der Flussengedes Rheins forderte immer wieder Op-fer. Es war der Preis des Ruhms; Laufen-burger Salm galt als Delikatesse undwurde weit gehandelt, bis an die Höfevon Versailles und Wien. Die Fischerwaren wer in Laufenburg, auch in derFasnacht. Doch das war einmal. Heutesind die Laufen-Felsen gesprengt. Hierangeln nur noch Sportfischer. Und mit-ten auf der Brücke, die das linksrheini-sche mit dem rechtsrheinischen Lau-fenburg verbindet, steht ein Grenz-stein. Die ersten Träger der alten Larvehatten durch ihre Augenlöcher nochauf eine ungeteilte Stadt geschaut.
Wie sind Claus Epting und René Leu-enberger zur Narretei gekommen? „Fürmich war nie die Frage, ob ich in dieZunft eintrete, sondern nur wann“, sagtLeuenberger. Er stammt aus einerZunftfamilie, schon Vater und Großva-ter waren dabei. Häs und Larve hat ervon ihnen geerbt. Bei Epting war das an-ders. „Ich habe als Jugendlicher den Be-zug zur Fasnacht verloren“, sagt er. Erstein Freund brachte ihn wieder „rein“,vor 19 Jahren wurde er in die Zunft auf-genommen. Für beide war es ein Schrittfürs Leben. Aus der Zunft kann mannicht wieder austreten. 600 Jahre Tradi-tion bedeuten vor allem: Verantwor-tung der langen Geschichte gegenüber.Auch deshalb ist die Narro-Altfischer-zunft bis heute allein Männern vorbe-halten.
Und dann ist da noch dieser ganz spe-zielle Krach, der die beiden Laufen-burgs an den drei Donnerstagen vor derFasnacht über den Rhein hinweg untereiner dröhnenden Glocke vereint.„Tschättermusik“ heißt er, ein Getösevon Trommeln und Pauken, Pfannen-deckeln, Eisenrohren und Sägeblät-tern, mit denen die Laufenburger frühmorgens und spät abends durch ihreAltstädte ziehen. Die engen Gassen ver-stärken den Radau – und deshalb funk-tioniert die Tschättermusik auch nurhier. Der Brauch war schon alt, als 1611der Stadtrat versuchte, ihn zu verbieten.Er hatte keine Chance. Laufenburglärmt immer noch. „Das kann mannicht beschreiben“, sagt René Leuen-berger. „Das dröhnt. Die Häuser zit-tern.“ Den beiden Zunftmeisternmacht es schon beim Erzählen eineGänsehaut (sagt Claus Epting). OderHüehnerhutt (sagt René Leuenberger).Aber das macht keinen Unterschied.
Nächste Folge: Freitag, 26. AprilWelche Rhein-Geschichten haben Sie erlebt?Welcher Ort am Fluss ist Ihnen am liebsten?Schreiben Sie uns:[email protected]
Teil 6: Dogern – Murg
…was zusammengehört➤ Laufenburger Narrenzunft hält sich nicht an Grenzen➤ Gemeinsame Geschichte reicht 600 Jahre zurück➤ Die Zunftmeister Leuenberger und Epting erzählen
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Hat schon viel gesehen: die 300 Jahre alteHolzlarve der Narro-Altfischerzunft.
1 Kraftwerk LeibstadtAtomkraftwerk
➤ Betrieb seit 1984➤ Siedewasserreaktor, 1245 MW
2 Burg Bernau: Gebaut vermutlichim 11. Jahrhundert, brannte die
Burg 1844 ab und wurde nicht wiederaufgebaut. In den Jahrhundertendazwischen ging sie durch wechseln-de Hände. Die Kapelle ist heute dieFriedhofskapelle von Leibstadt.
3 Aubecken: Zwischen dem Kraft-werk bei Albbruck und der Stau-
stufe bei Dogern, die selbst wieder einKraftwerk enthält, zieht sich längsdurch den Rhein eine längliche Insel-Teil der Insel wiederum ist das Au-becken, sozusagen ein See mitten imRhein. Das Becken ist der untersteTeil der Schluchseegruppe. So ge-nannt wird der Verbund von dreihintereinandergeschalteten Pump-speicher-Kraftwerken. Das obersteBecken ist der Schluchsee, die mitt-lere Stufe das Witznaubecken und dieunterste Stufe eben das Aubecken.Zusammen entsteht so das größteWasserkraftwerk Deutschlands. JedesJahr werden hier mehr als 500 Millio-nen Kilowattstunden Strom erzeugt.Möglich wird das durch den Höhen-unterschied von mehr als 600 Metern.Um den Druck in den Leitungenauszugleichen, sind drei sogenannteWasserschlösser in den Berg gebohrt –Schächte, in denen sich das Wasser jenach Druck frei ausbreiten kann. DasWasserschloss bei Waldshut ist mit160 Metern höher als der Kölner Dom.
4 Grenze: Ein höchst charmanterGrenzübergang ist die Fußgänger-
brücke zwischen Rheininsel und demschweizerischen Schwaderloch. AufSchweizer Seite steht ein mitgenom-menes Zollhäuschen, daneben er-innern Reste von Bunkern undSchießständen an Kriegszeiten.
5 Papierfabrik Albbruck: Die Fabriknahm 1872 den Betrieb auf, zu-
nächst mit der Herstellung von Holz-stoff, ab 1880 auch von Papier. DasHolz kam aus dem Südschwarzwald,der Strom aus den Rheinkraftwerken.Pro Jahr produzierte die Fabrik mehrals 300 000 Tonnengestrichene Pa-piere, zuletzt wa-ren rund 560 Men-schen beschäftigt.1990 kaufte derfinnische KonzernMyllykoski die
Fabrik. 2011 übernahm wiederum derebenfalls finnische Konzern UPMMyllykoski und damit auch die „Pa-pieri“ genannte Fabrik. Ende 2011wurde klar: UPM schließt die Fabrik,allen regionalen Bemühungen zumTrotz. Damit geht der Region einwichtiger Arbeitgeber verloren – undein Stück Geschichte.
6 Kraftwerk Alb-bruck-Dogern
Laufwasser-KW➤ Betrieb seit 1933➤ 4 Turbinen, 108Megawatt
7 Ruine Laufenburg: Die erste Laufen-burg errichteten die Habsburger
als Wehranlage im 12. Jahrhundert.Die Siedlung, die um die Burg herumentstand, erhielt wenig später Stadt-rechte. In verschiedenen Kriegen gingdie Burg durch wechselnde Hände.Im Dreißigjährigen Krieg wurde dieBurg gleich dreimal von den Schwe-den erobert. Danach verfiel das Bau-werk und wurde als Steinbruch ge-nutzt. Anfang des 19. Jahrhundertskaufte die Stadt die Reste für nichteinmal 3000 Franken.
8 Kraftwerk LaufenburgLaufwasserkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1915➤ 10 Turbinen, 106 Megawatt
9 Kaisten: Die Schweizer Gemeindehat seit den 1960ern ihre Ein-
wohnerzahl nahezu verdoppelt.Grund ist die Ansiedlung chemischerIndustrie wie etwa BASF. In der Nähedes Kraftwerks Laufenburg unterhältdie Schweizer Betreiberfirma „Elek-trizitäts-Gesellschaft Laufenburg AG“,ein bedeutenderPlayer im Strom-geschäft, ein gro-ßes Umspannwerkam Rhein. Hiertreffen sich zehnHochspannungs-leitungen. (sep)
Außerdem: Wasserkraft und ein Firmenende
Das SÜDKURIER-Schiff steht auf einem Grenzstein mitten auf der Laufenburger Brücke.
Claus Epting (links) sitzt also in Deutschland,René Leuenberger (rechts) in der Schweiz.
Als Narren jedoch ignorieren die beiden dieGrenze mitten in ihrer Stadt. B I L D E R : PA N T E L /
N A RR O - A LT F I S C H E R Z U N F T / D PA / E N E RGI E D I E N ST
A G / A X P O. GR A F I K U N D L AYO U T: J E S S I C A ST E L L E R
8 UNSER SCHÖNER RHEINS Ü D K U R I E R N R . 9 4 | M PD I E N S T A G , 2 3 . A P R I L 2 0 1 38 UNSER SCHÖNER RHEIN S Ü D K U R I E R N R . 9 4 | M PD I E N S T A G , 2 3 . A P R I L 2 0 1 3
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DEUTSCHLAND
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Gehörschutz!, warnt ein Schild an derdicken Stahltür. Dahinter, im Maschi-nenraum des neuen WasserkraftwerksRheinfelden, tost und dröhnt es so laut,dass Gespräche unmöglich sind. Hierzeigt der Rhein, der draußen still undbehäbig dahinströmt, seine ungeheureKraft. Durch jede der vier riesigen Rohr-turbinen strömen pro Sekunde 375 Ku-bikmeter Wasser. Insgesamt rauschthier also alle zwei Sekunden der Inhalteines olympischen Schwimmbeckensunter den Füßen hindurch. 24 Stundenlang, sieben Tage die Woche. Eine Kraft,die den Boden vibrieren lässt.
Hansjörg Matt und Thomas Schmidtwachen darüber, dass alles glatt läuft,wenn die enorme Energie des Rheins inStrom umgewandelt wird. Matt leitetdas Kraftwerk, Schmidt ist sein Stellver-treter in Fragen des elektrotechnischenBetriebs und Unterhalts. Außer denbeiden arbeiten noch 14 weitere Men-schen im Kraftwerk – erstaunlich weni-ge für eine so große Anlage. Ab diesemFrühjahr soll das Kraftwerk nachts undam Wochenende sogar komplett unbe-setzt laufen. „Aber noch gibt es die üb-lichen Kinderkrankheiten“, sagt Tho-mas Schmidt. „Wir müssen erstmal einGefühl dafür kriegen, wie das Kraftwerkauf den Rhein reagiert.“
Das klingt, als müssten sich hier zweiLebewesen aneinander gewöhnen.Wenn das so ist, dann ist ThomasSchmidt ihr Dompteur – und zwar einsehr erfahrener. Vor 30 Jahren fing er imalten Rheinkraftwerk an, damals nann-te man seinen Beruf noch Energieanla-gen-Elektroniker. Er kannte das inzwi-schen abgerissene Bauwerk ein Stückflussabwärts und seine teils hundertJahre alte Technik in- und auswendig.Ein bisschen Nostalgie ist zu spüren,wenn Schmidt von den alten Zeitenspricht. Aber sie wird überlagert vonStolz und Neugier auf das Neue.
„Der Neubau war ein einmaliges Er-lebnis“, sagt er. „Ich glaube, dass wirvon späteren Generationen darum be-neidet werden, dass wir dabei sein durf-ten.“ Ein feierlicher Satz, und zu Recht:Der Bau des neuen Kraftwerks istdurchaus vergleichbar mit dem einerKathedrale. Anderthalb Millionen Ku-
bikmeter Fels wurden dafür ausgeho-ben. Das Maschinenhaus, gebaut aus120 000 Kubikmetern Beton, reicht 36Meter in die Tiefe. Der Wasserturm,Wahrzeichen Rheinfeldens, würdekomplett darin verschwinden. NeunJahre dauerte der Bau. Für jeden Bauab-schnitt musste höchst aufwändig einAreal mitten im Rhein trockengelegtwerden. Ein unglaublicher menschli-cher Kraftakt, um die Kraft des Wassersnutzen zu können.
Ist nach 30 Jahren der Rhein für einenTechniker nur noch eine Energie-Ma-schine? Thomas Schmidt lacht. „Nein,für mich ist er immer auch ein schönerFluss.“ Erstens, weil Schmidt hier gebo-ren ist, nur ein paar hundert Meter vomKraftwerk entfernt. Und zweitens, weiler in seiner Freizeit im Rhein fischt.Deshalb kann er auch über die aufwän-digen Umweltmaßnahmen rund umsKraftwerk ebenso detailliert berichtenwie über Pumpen und Generatoren,Turbinenschaufeln, Rotoren und Stato-ren. „Im Zählbecken hatten wir schonzwei prächtige Lachse“, sagt Schmidt,draußen auf dem Stauwehr, und deutetauf die Fischtreppe. Hier oben, mit demKraftwerk im Rücken, diesen Tonnenvon Beton und Stahl, ist der Rhein wie-der nur ein Fluss, der schroffe Felsenumströmt und dahinter wieder ge-mächlich dahinfließt. Ungerührt, ge-nauso still, genauso kräftig wie zuvor.
Teil 7: Murg – Rheinfelden
„Sie werden uns beneiden“➤ Hansjörg Matt und Thomas Schmidt arbeiten im Kraftwerk Rheinfelden➤ Neubau der Anlage war für sie ein unvergessliches Erlebnis➤ Mit welchem Aufwand der Mensch Energie aus dem Rhein gewinnt
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1 Kraftwerk Säckingen IPumpspeicher-Kavernenkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1967➤ 4 Turbinen, 360 Megawatt
2 Kraftwerk Säckingen IILaufwasserkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1966➤ 4 Turbinen, 74 Megawatt
3 Holzbrücke: Die längste gedeckteHolzbrücke Europas (203,7 Meter)
verbindet die beiden Städte Bad Sä-ckingen (D) und Stein (CH). Sie wirderstmals im 13. Jahrhundert erwähnt,vermutlich gab es aber auch schonvorher eine Verbindung über denFluss. Die Brücke wurde mehrfach inKriegen und durch Hochwasser zer-stört. Die Brücke ist übrigens nur 80Zentimeter länger als die Holzbrückevon Luzern – ein denkbar knapperRekord also.
4 Fridolins-Insel:Die Geschichte
der Insel ist vorallem die Ge-schichte einesMissverständ-nisses. Der Über-lieferung nachkam der irischeMönch Fridolin Ende des 5. Jahr-hunderts an die Stelle des heutigenBad Säckingen – auf der Suche nacheiner Insel, die er im Traum gesehenhatte. Eine dortige Rheininsel, auf derdie Bewohner der Region ihre Tiereweideten, erkannte er als die gesuchteund gründet dort ein Kloster. Be-sucher fragen sich heute, wie auf demkleinen Inselchen, das unter Natur-schutz steht, ein Kloster Platz habensoll. Des Rätsel Lösung: Gar nicht. ZuFridolins Zeit und bis ins 19. Jahr-hundert verlief der Rhein noch andersals heute, und Bad Säckingen selbstwar eine Insel. Das Fridolins-Insel-chen hat also vom Heiligen nur denNamen.
5 Wehramündung: Das Naturschutz-gebiet (seit 1997) ist nur 11 Hektar
groß, bietet aber auf diesem Raumeine Vielzahl verschiedener Lebens-räume vor allem für Vögel. Eine Zäh-lung aus dem Jahr 2005 kommt auf128 Vogelarten, 60 davon stehen aufder roten Liste.
6 Kraftwerk Ryburg-SchwörstadtLaufwasserkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1931➤ 4 Turbinen, 120 Megawatt
7 Tschamberhöh-le: Mehr als 1,5
Kilometer Gängesind bis heutebekannt, rund 600Meter davon kannman als Besucherbegehen. DieHöhle direkt überdem Rhein war inder Region schonlange bekannt.Bereits in derSteinzeit habenMenschen dort Schutz gesucht. AmEnde des Besucherrundgangs entlangdes Höhlenbaches kann man einengroßen Wasserfall im Berginnerenbestaunen.
8 Schloss Beuggen: Der DeutscheRitterorden baute im 13. Jahr-
hundert das Schloss und hatte dortfast 600 Jahre lang seinen Sitz. Damitist dies die älteste Niederlassungdieses Ordens überhaupt. Einer Theo-rie zufolge, dieHistoriker aberbezweifeln, sollKaspar Hauser hierals Kind in einemgeheimen Verliesversteckt wordensein – mehr alszehn Jahre bevor erauf rätselhafteWeise in Nürnberg„auftauchte“. Dieser Theorie zufolgewar Hauser ein badischer Erbprinz,der von der Thronfolge ausgeschlos-sen werden sollte. Heute ist dasSchloss eine Tagungsstätte der evan-gelischen Kirche.
9 St.-Anna-Loch: Unter der Brücke inRheinfelden befindet sich eine der
tiefsten Stellen des Rheins. DerGrund: Zwei tektonische Plattenstoßen hier aneinander. Als Folgedavon entstand zwischen deutschemRheinfelden und Inseli ein steilabfallender Graben, der an der tiefs-ten Stelle 32 Meter tief ist – das istzehnmal so viel wie die übliche Tiefedes Rheins. Das Wasser wird da-durch so verwirbelt, dass hier eineerhebliche Gefahr für Schwimmerund sogar für Schiffe entsteht. Esranken sich einige Sagen um das„Loch“: So sollen Hunnen darin einegoldene Glocke versenkt haben, alssie aus Rheinfelden vertrieben wur-den. Eine andere Geschichte be-richtet davon, dass die Bewohnerbeim Angriff der Hunnen alle Wert-sachen im Rhein versenkt hätten,was die Feinde so aufbrachte, dasssie die Burgherrin Anna in den Was-serwirbel warfen. (sep)
Außerdem: Inseln, Höhlen, Hunnen
Thomas Schmidt und Hansjörg Mattwissen, wie man dem Rhein seineKraft abtrotzen kann. B I L D E R : PA N T E L / S K- A RC H I V / A G
BERGBAUFO R S C H U N G S C H WA R Z WA L D / D PA .
GR A F I K U N D L AYO U T: J E S S I C A ST E L L E R
Am Dienstag erscheint die letzte Folge dieser Serie. Die ins-gesamt acht Zeitungsseiten können Sie dann zu einer Zwei-Meter-Grafik zusammenfügen – und gewinnen. Schicken Sie uns
bis zum 3. Mai ein Foto, das Sie mit derRiesengrafik zeigt. Oder schreiben Sie unsIhre Rhein-Geschichte, auch gern mit Foto:Was haben Sie mit dem Fluss erlebt? Unterallen Einsendern verlosen wir drei Bild-bände Zeit im Fluss (Benteli Verlag), eine
Fotoreportage von Elke Fischer und Sabine Theilüber die Reise eines Containerschiffs von Baselnach Rotterdam, sowie drei Bildbände Bodensee– das blaue Juwel von Fotograf Achim Mende undSÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz.Zuschriften per Mail an:[email protected]
Gewinnen Sie mit der Rhein-Serie
8 UNSER SCHÖNER RHEINS Ü D K U R I E R N R . 9 7 | M PF R E I T A G , 2 6 . A P R I L 2 0 1 38 UNSER SCHÖNER RHEIN S Ü D K U R I E R N R . 9 7 | M PF R E I T A G , 2 6 . A P R I L 2 0 1 3
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Unser schöner Rhein
präsentiert
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BASEL
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Daniel Wurzbacher stapeltContainer im Basler Hafen, sein Kran
nimmt für eine Stunde auch das SÜDKURIER-Schiffmit an Bord. B I L D E R : PA N T E L / D PA / FO T O L I A : M I RKO
M E I E R. GR A F I K U N D L AYO U T: J E S S I C A ST E L L E R
Obst und Stahl und Medikamente undBeton und Möbel und Maschinenteile.Gas und Blumen und Sand und Chemi-kalien und Erdöl. Sechs Millionen Ton-nen Güter aller Art passieren jedes Jahrdie Schweizer Rheinhäfen bei Basel.Knapp die Hälfte davon wird im Hafen-teil Kleinhüningen umgeschlagen. Hierpulst der Warenstrom sichtbar und
spürbar: LKW schieben sich in Kolon-nen zu den Verladestraßen. Container-schiffe brummen auf dem Rhein. Hun-dert Kilometer Bahngleise verknotensich. Sechzig Kräne verladen Containervom Wasser auf die Schiene auf die Stra-ße und zurück. Die Kranführer sind die-jenigen, die in diesem gigantischenPuzzlespiel die Teile sortieren.
Daniel Wurzbacher ist einer von ih-nen. Der 30-Jährige sitzt hoch oben ineiner verglasten Kabine, die Hände aufzwei Steuerknüppeln, den Blick nachunten gerichtet. Der Künz-Kran mit ei-ner Spannweite von 65 Metern über-fährt ein Containerfeld der Firma Con-targo am Nordquai des Hafenbe-ckens 2. Hunderte Containerstapeln sich hier, bunte Wür-fel mit Buchstaben- undZahlencodes auf derOberseite. DanielWurzbachers Jobist eine Art dreidi-mensionales Te-tris-Spiel.
Teil 8: Rheinfelden – Basel
3D-Puzzle hoch über dem Rhein➤ Daniel Wurzbacher ist Kranführer im Basler Hafen➤ Er organisiert den gewaltigen Schweizer Warenstrom mit➤ Warum Containerstapeln anstrengender ist, als es scheint
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„Irgendwann verschwimmen die Zahlen.“
Daniel Wurzbacher über die Anstrengung des Containerstapelns......................................................................
Er stapelt die Würfel: Auf dem Feld,auf LKW, Bahnwaggons oder Schiffe.Leer oder voll, Gefahrgut oder nicht –mehr weiß der Kranfahrer nicht überdie Waren, die er da bewegt. Den genau-en Inhalt und die Bestimmung der Con-tainer kennen nur die Planer im Büro.
„Früher haben wir alles per Funk ge-regelt“, erzählt Wurzbacher, währenddie Krankabine diagonal über die Con-tainerstapel saust. Heute zeigen zweiBildschirme die Regeln an. WelcherContainer kommt wohin? Wie lassensich die Wege des Krans verkürzen unddamit Zeit sparen? „Trotzdem ist esmanchmal wie verhext“, sagt Wurzba-cher. „So wie jetzt: Da muss ich ausge-rechnet an den Container ran, den ichzwei Stunden vorher ganz nach untengestapelt habe.“ Viereinhalb Stundengeht es so im Zickzack über das Rasterder Stapel. Danach wird gewechselt –die zweite Hälfte des Arbeitstages ver-bringt der Kranfahrer im Büro. „Ist auchbesser“, sagt Wurzbacher. „Irgendwannverschwimmen die Zahlen.“
Er tippt eine Koordinate ein, der Kranfährt nach vorn zum Hafenbecken. Hierist der Rhein eine Sackgasse. Am totenEnde dümpeln ein paarEnten, sie wir-
ken fremd zwischen den Silos und La-gerhallen, den Betonklötzen und Stahl-trägern. Doch von hier aus, von dieserSackgasse, öffnet sich die Schweiz derweiten Welt. Durch die MannheimerAkte, einen Vertrag aus dem Jahr 1868,ist dem Land freier Zugang zum Meergarantiert – über den Rhein. 1904 brach-te das erste Schiff Kohle nach Basel. 1919fuhr das erste Schleppboot unterSchweizer Flagge. 1921 begann der Baudes ersten Hafenbeckens in Kleinhü-ningen, 1939 wurde das zweite Hafen-becken fertig. Heute laufen rund zehnProzent des gesamten Schweizer Au-ßenhandels über die Rheinhäfen.
Wenn Daniel Wurzbacher hier einSchiff beladen hat, oft mittwochs oderdonnerstags, das sind die hektischenTage mit Nachtschichten, dann brauchtdieses Schiff drei bis vier Tage bis zumMeer. Nach Bodensee und Rheinfallund zahlreichen Kraftwerken wird derRhein von hier aus in Richtung Nordenvor allem zum Transportweg: für Bau-stoffe und Aluminium und Getreideund Holz und Kies und Tierfutter undund und. Wir verlassen ihn jetzt.
Wieder am Boden, unten am Hafen-becken, wirken die Containerstapel wieHochhausschluchten und DanielWurzbachers Kran wie eine gigantischeSpinne, die über ihr Lager wacht. Unddrüben, hinter den Silotürmen, fließtder Rhein vorüber.
1 Doppelkraftwerk Augst-Wyhlen Laufwasserkraftwerke
➤ In Betrieb seit 1912➤ Wyhlen: 11 Turbinen, 38,5 MW➤ Augst: 9 Turbinen, 34 MW➤ Eine Schleuse für Schiffe (Augst)➤ Gemeinsames Stauwehr
2 Buchswald: Das Naturschutzgebietim Westen der Gemeinde Grenz-
ach-Wyhlen enthielt bis vor kurzemeinen der letzten und größten Be-stände von wildem Buchsbaum inDeutschland. Die Pflanzen diesesWaldes wurden bis zu vier Meter hochund wuchsen auf einer Fläche vonknapp 100 Hektar.Seit einigen Jahrenmachen Buchsbaum-zünsler, einge-schleppte Schädlinge,dem Wald allerdingsschwer zu schaffen:Ein Großteil ist be-reits abgestorben. Damit geht auchein Stück Lokalgeschichte verloren.Denn einer Sage nach bedrohten im14. Jahrhundert Soldaten das damaligeKloster Himmelspforte. In der Kapellegab es eine Marien-Statue, die einGeist vor den Angreifern im Buchs-wald versteckt haben soll. Erst Jahrespäter soll man die Statue zufällig imWald wiedergefunden haben. Ab dem15. Jahrhundert wallfahrteten deshalbGläubige zur Klosterkapelle „Maria imBuchs“.
3 Westwall-Bunker: In Grenzach-Wyhlen befand sich der südlichste
Bunker des sogenannten Westwalls,einer Verteidigungslinie im DrittenReich. Der Westwall, der nur gerin-
gen strategischen Nutzen hatte,aber von den Nazis zu Propagan-dazwecken gebraucht wurde,erstreckte sich mit Bunkern undzahllosen Panzersperren übereine Länge von mehr als 600Kilometern von den Nieder-landen bis hierher an dieSchweizer Grenze. In der Nähedes heutigen Grenzübergangs„Riehener Weg“ sind die Resteder Bunkeranlage noch zu sehen,
die kurz nach dem Krieg ge-sprengt und zur Sicherheit einge-
ebnet wurde.
4 Kraftwerk BirsfeldenLaufwasserkraftwerk
➤ In Betrieb seit 1955➤ 4 Turbinen, 100 Megawatt➤ 2 Schleusen für die Schifffahrt
5 Dreiländereck: Beim Basler Indus-triehafen Kleinhüningen treffen die
Schweiz, Deutsch-land und Frankreichaufeinander. Auf derSpitze des Quaissteht ein Kampfjet-förmiges Denkmal –allerdings nichtdirekt auf demGrenzpunkt. Der liegtetwas davor mittenim Rhein. (sep)
Außerdem: Ein Geistund ein Nazibunker
Dies ist die letzte Folge der Serie. Die insgesamt acht Zeitungsseiten könnenSie nun zu einer Zwei-Meter-Grafik zusammenfügen – und gewinnen. SchickenSie uns bis zum 3. Mai ein Foto, das Sie mit derRiesengrafik zeigt. Oder schreiben Sie uns IhreGeschichte: Was haben Sie mit dem Rhein erlebt?
Unter allen Einsendern verlosen wirdrei Bildbände Zeit im Fluss (BenteliVerlag), eine Reportage über dieReise eines Containerschiffs von Basel nach Rotterdam, sowiedrei Bildbände Bodensee – das blaue Juwel von FotografAchim Mende und SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz. Zuschriften an: [email protected]
Gewinnen Sie mit der Rhein-Serie
8 UNSER SCHÖNER RHEINS Ü D K U R I E R N R . 1 0 0 | M PD I E N S T A G , 3 0 . A P R I L 2 0 1 38 UNSER SCHÖNER RHEIN S Ü D K U R I E R N R . 1 0 0 | M PD I E N S T A G , 3 0 . A P R I L 2 0 1 3
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➤SÜDKURIER-Leser erzählen, was sie m
it dem Fluss verbindet
➤Geschichten über Liebe, W
anderungen und eine Fliegerbombe
➤Verlosung unter allen Einsendern zum
Abschluss der Serie
Gunder Hascher (rechts) und sein FreundAndrey Lizogor aus der Ukraine am
Rheinfall.
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Friederike Sell fand am Bonner Rheinufer
eine Flaschenpost – das hatte Folgen.
Unter allen Lesern, die uns Bilder vonsich und der Riesen-Rheingrafik oderihre persönlichen Rhein-Geschichtengeschickt haben, haben wir sechsBildbände zum
Thema Rhein verlost.
➤Den Band m
it der Fotoreportage„Zeit im
Fluss“ (Benteli Verlag)gewinnen M
onika Arendt-Doose,Sabine Frey und Georg M
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Den Band „Bodensee – das BlaueJuwel“ von Achim
Mende und SÜD-
KURIER-Chefredakteur Stefan Lutzgewinnen Beate Banck-Sell, ErikaKohler und Joachim
Müller.
Die Gewinner
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Werner Hohloch und seine Angebetete im
Sattel des „Kleinen Muck“. Der Heinkel-Roller war daran beteiligt, dass die beiden heira teten.
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Die Bomben-Nachricht: So druckte sie die
SÜDKURIER am 18. Dezem
ber 1984 auf derSeite „W
aldshuter Kreiszeitung“ zusamm
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it Meldungen von Verkehrsunfällen.
B I L D E R : P RI VAT. GR A F I K: J E S S I C A ST E L L E R
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