Date post: | 06-Apr-2015 |
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Durch das Persönliche Budget
zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft!?
Fachtagung „Persönliches Budget für
Wohnen und Arbeit“
Emden, 18. Oktober 2007
Markus SchäfersUniversität Dortmund
Rehabilitationssoziologie
1. Paradigmenwechsel in der Rehabilitation, Notwendigkeit einer Neuorientierung
2. Von der Sachleistung zur Geldleistung: Persönliches Budget
3. Zentrale Herausforderungen der Umsetzung
Übersicht
PB > Erwartungen
„Das Persönliche Budget ist ein sinnvolles und notwendiges Steuerungsinstrument gegen verkrustete Strukturen.“
Karl Hermann Haack (Behindertenbeauftragter a.D.) 2004
Wir werden „die Leistungsstrukturen der Eingliederungshilfe so weiterentwickeln, dass auch künftig ein effizientes und leistungs-fähiges System zur Verfügung steht. Dabei haben der Grundsatz ‚ambulant vor stationär‘, die Verzahnung ambulanter und stationärer Dienste, Leistungserbringung ‚aus einer Hand‘ sowie die Umsetzung der Einführung des Persönlichen Budgets einen zentralen Stellenwert.“
Koalitionsvertrag CDU/CSU und SPD v. 11.11.05
„Das Persönliche Budget ist eines der wichtigsten Instrumente in einer neuen Politik für Menschen mit Behinderungen.“
Franz Thönnes (Staatssekretär im BMAS) 2007)
Paradigmenwechsel
von der Fürsorge für Hilfeempfänger – zur Dienstleistung am Bürger
von der Versorgung – zur Partizipationsförderung
von der institutionsbezogenen Orientierung – zur personenbezogenen Orientierung
fachliche und sozialpolitische ZielvorstellungenSelbstbestimmung und Teilhabe
Richtungswechsel
Verändertes Verständnis von Behinderung(ICF der WHO)
Selbstbestimmung und Teilhabe als Ziel aller Rehabilitationsleistungen (SGB IX)
fachliche und sozialpolitische ZielvorstellungenSelbstbestimmung und Teilhabe
Gestaltung des HilfesystemsWirkungen auf die Lebensführung
Ausgangspunkt der Leistungserbringung ist die Institution und nicht die Person!
Paradigmenwechsel
Institutionsbezogenheit im traditionellen System
Ermittlung des Hilfebedarfs
Erbringung der Hilfen
Beurteilung der Qualität
Hilfebedarf als „institutionelle Kategorie“
Institutionsbezogenheit im traditionellen System
Ermittlung des Hilfebedarfs
Erbringung der Hilfen
Beurteilung der Qualität
Hilfebedarf als „institutionelle Kategorie“
Festschreibung der LeistungsstrukturenPauschale Leistungserbringung
„all inclusive“
2005 2010(Prognose)
Stationäre Wohneinrichtungen
191.100 (77%) 199.800 (71%)
Ambulant betreutes Wohnen
57.100 (23%) 80.100 (29%)
Empfänger von Eingliederungshilfe im Wohnbereichvgl. Bundesarbeitsgemeinschaft überörtlicher Träger der Sozialhilfe 2006
Nebenwirkungen Sachleistungsprinzip: stationäre Dominanz
Verhältnis von ambulanten zu stationären wohnbezogenen Hilfen in Nordrhein-Westfalen (Stand: Ende 2005)vgl. ZPE 2006
ambulant : stationär
Geistige Behinderung
Seelische Behinderung
Sucht-erkrankung
Körper-behinderung
11 : 89 52 : 48 48 : 52 22 : 78
Nebenwirkungen Sachleistungsprinzip: stationäre Dominanz
Passende(re) Hilfen:
Warum beantragen Menschen ein Persönliches Budget?
Passende(re) Hilfen:
Warum beantragen Menschen ein Persönliches Budget?
„Aufgrund meiner speziellen Einschränkung musste ich ein
eigenes Konzept ausdenken, da es kein entsprechendes Angebot auf
dem sozialen Markt gab. Um möglichst selbständig leben zu können, brauche ich eine auf mich
zugeschnittene Lösung.“
(30-jährige Budgetnehmerin mit psychischer Erkrankung)
Passende(re) Hilfen:
Warum beantragen Menschen ein Persönliches Budget?
„Ja, im Wohnheim ist Alkohol verboten und Kerzen verboten (…)
und ich liebe Kerzen. Ich bin ein furchtbar romantischer Mensch. Ich könnte abends immer Kerzen
anhaben und ein Glas Wein oder Bier (…) und das war im
Wohnheim nicht möglich.“
(37-jährige Rollstuhlfahrerin mit geistiger Behinderung)
Passende(re) Hilfen:
Warum beantragen Menschen ein Persönliches Budget?
„nicht von Dienstplänen abhängig sein"
„nicht immer um 22 Uhr ins Bett gehen müssen“
„Eben weil ich mir selbst Personen suchen könnte, wo ich dann auch ein gutes Gefühl hätte – und eben
in eigener Initiative“
Passende(re) Hilfen:
Warum beantragen Menschen ein Persönliches Budget?
Sicherstellung der Versorgung und Stabilisierung
„nach Krankenhausaufenthalt (Krebserkrankung) war ich nicht in der Lage, den Haushalt zu führen“
„Mir wurde das betreute Wohnen gekündigt. Die wollten, dass ich
wieder ins Heim gehe“
Institutionsbezogenheit im traditionellen System
Ermittlung des Hilfebedarfs
Erbringung der Hilfen
Beurteilung der Qualität
Hilfebedarf als „institutionelle Kategorie“
AngebotsbezogeneQualitätsbeurteilung
Festschreibung der LeistungsstrukturenPauschale Leistungserbringung
„all inclusive“
Angebotsbezogene Qualitätsbeurteilung
Überprüfung der Ergebnisqualität in Wohneinrichtungen
49%
16%
36%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
ja geplant neinn=206
vgl. Wetzler 2003
Ausgangspunkt der Leistungserbringung ist die Person in ihrer Lebenswelt,
nicht die Institution!
Neuorientierung
Personenbezogene Unterstützung
Ermittlung des Hilfebedarfs
Erbringung der Hilfen
Beurteilung der Qualität
Hilfebedarf als „lebensweltliche Kategorie“
Unterstützungsarrangements nach Maß
Differenzierung/ Modularisierung der Leistungen
veränderte Fachlichkeit
Die Behindertenhilfe braucht Mitarbeitende, ...
die sich nicht als Experten für Behinderung, sondern als Begleiter
von Menschen in benachteiligten Lebenslagen verstehen.
Aufgaben sind: Beratung, Assistenz und Anwaltschaft,
die nicht durch Motive der Fürsorge geleitet werden, sondern durch
die Anerkennung von Menschen mit Behinderung als Bürger mit
Rechten, Pflichten und besonderen Unterstützungsbedarfen,
Abschied nehmen vom pädagogischen Prinzip der
Ganzheitlichkeit.
Veränderte Fachlichkeit
„Das Berufsbild, finde ich, ändert sich total. Also, das ist was
komplett anderes, als ich gelernt habe in der Erzieher-
ausbildung.
An manchen Stellen find’ ich sogar, es ist fast gegensätzlich.
Also nicht, dass wir nicht auch gelernt hätten, individuell zu
gucken: Was möchte jemand?
Das ist ja nach wie vor richtig, aber: […] Das war immer als
Ganzheit und Einheit zu sehen, dass man Menschen betreut
und in allen ihren Lebensbereichen. Und das ist schon ein
großer Unterschied.“
Veränderte Fachlichkeit
Modellversuch „PerLe“
Wohnheimmitarbeiter zu Erfahrungen mit dem PB:
die über den Tellerrand der Behindertenhilfe schauen und
Ressourcen und Akteure in der Gemeinde aktivieren
(Vernetzung, Kooperation und Kompetenztransfer),
die nicht-professionelle Unterstützung mobilisieren können
(soziale Netzwerke und Infrastruktur),
die im Rahmen einer systematischen und kontinuierlichen Planung
verbindliche Ziele und Maßnahmen mit den Nutzer/innen
vereinbaren.
die sich auf eine Dienstleistungsbeziehung (Auftraggebermodell)
einlassen und in die Regiekompetenzen ihrer Adressaten vertrauen,
Die Behindertenhilfe braucht Mitarbeitende, ...
Veränderte Fachlichkeit
Personenbezogene Unterstützung
Ermittlung des Hilfebedarfs
Erbringung der Hilfen
Beurteilung der Qualität
Hilfebedarf als „lebensweltliche Kategorie“
WirkungsorientierteQualitätsbeurteilung
Unterstützungsarrangements nach Maß
Differenzierung/ Modularisierung der Leistungen
veränderte Fachlichkeit
Nutzer
Leistungs-träger
Anbieter
Persönliches Budget: von der Sachleistung zur Geldleistung
Anspruch auf Leistungen/
Leistungszusage
Vereinbarungen
im Auftrag des BMAS
Modellprojekte „Trägerübergreifendes Persönliches Budget“
Wissenschaftliche Begleitung: Uni Tübingen, Uni Dortmund, PH Ludwigsburg
Oktober 2004 bis Juni 2007
14 Modellregionen aus 8 Bundesländern
ca. 500 Budgetnehmer/innen
Wirkungen des Persönlichen Budgets
hohe Zufriedenheit und Akzeptanz bei den Budgetnehmer/innen
mehr Entscheidungsmöglichkeiten und Einflussnahme auf die Leistungserbringung
passgenauere Unterstützungsarrangements: stärkere Ausrichtung der Hilfen an die Lebensumstände der Betroffenen und deren individuelle Wünsche und Ziele
Individuelle Unterstützungsarrangements führen zu einer Ausweitung von Aktivitäten und sozialer Teilhabe
Zugewinn an Selbstwert und Selbstvertrauen
Budgetbeispiel: Herr Nolten
Herr Nolten ist 44 Jahre alt und wohnt alleine in seiner eigenen Wohnung. Er berichtet von psychischen Problemen (Depressionen). Zudem ist Herr Nolten körperlich beeinträchtigt (Übergewicht).
Insgesamt ist Herr Nolten in seiner Mobilität stark eingeschränkt, Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann er kaum bewältigen.
Motiv zur Budgetbeantragung: „Hauptsächlich, weil ich mich isoliert hatte zu Hause und so. Wieder am Leben teilzunehmen."
Budgetbeispiel: Herr Nolten
Budgetorganisation:
Unterstützungsbedarf Leistungen Organisation
Psychosoziale Unterstützung
Sachleistung Sozialpsychiatrische Tagesstätte
Hilfe im Haushalt
Persönliches Budget
330 Euro
Nachbarin
Mobilität Unterhalt Auto
Budgetbeispiel: Herr Nolten
„Weil ich vorher isoliert war, und das Budget macht es mir einfach möglich, am öffentlichen Leben, am sozialen Leben wieder teilzunehmen. Ich kann mich in mein Auto setzen, ich kann hinfahren, wo ich will. Ich kann dadurch auch viele soziale Kontakte knüpfen, auch mit ehemaligen Patienten von hier, ehemalige Patienten von der Psychiatrie zum Beispiel, wo ich ja auch mal in Behandlung […] war.
Ja, mein Bewegungsfreiraum, der hat sich dermaßen erweitert durch das Budget, dass ich das wieder bezeichnen kann, voll im sozialen Mittelpunkt und Leben zu stehen. Was ja vorher nicht gegeben war."
„Das hat mir auch sehr viel geholfen, dieses Budget, auch meine psychischen Probleme loszuwerden."
Budgetbewertung:
Zentrale Herausforderungen
Der Informations- und Schulungsbedarf bei allen beteiligten
Akteuren ist groß: Persönliches Budget als „Lerngegenstand“
Frage der Budgetberatung und -assistenz:
Wer kann Unterstützung leisten?
Spannungsfeld (Zielvereinbarung):
Selbstbestimmung ↔ „zweckentsprechende Mittelverwendung“
- Subjektive Vorstellungen, wie der Bedarf am ehesten gedeckt
werden kann, können mit leistungsrechtlichen Vorgaben
kollidieren
- Wirksamkeit der Leistung hängt von der subj. Bedeutsamkeit
ab
Differenzierte und verlässliche Angebotsstruktur
Beharrungstendenzen des traditionellen Systems
Korporatistische Verflechtung zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern steht in vielen Fällen der Grundidee des Persönlichen Budgets entgegen
Hilfebedarfsermittlung (mitsamt Antragstellung) erfolgt in einigen Regionen im Wesentlichen durch Mitarbeiter/innen sozialer Dienste und Einrichtungen
Leistungsträgern fällt der Systemwechsel vielerorts schwer:
- z.T. keine aktive Information der Leistungsberechtigten
- enge Zweckbindung des Budgets
- Einschränkung durch Festlegung von Fachleistungsanteilen
- Abtretungserklärungen
Zentrale Herausforderungen
Neuausrichtung
zur personenbezogenen Unterstützung nach Maß
von der angebotsbezogenen Pauschalversorgung