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Dossier Arabischer Frühling - bpb

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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 22.06.2021) 2

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EinleitungWas im Dezember 2010 in Tunesien begann, breitete sich bald wie ein Flächenbrand über viele LänderNordafrikas und des Nahen Ostens aus. Proteste, Aufstände und Rebellionen erschütterten dieautokratischen Systeme der Region. In Ägypten und Tunesien jagten die Aufständischen die Herrscheraus dem Amt. Libyen verfiel in einen Bürgerkrieg, dessen Verlauf das Eingreifen der NATOentscheidend beeinflusste. Syrien befindet sich in einer Patt-Situation, die verlustreichenAuseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition gehen weiter. In anderen Ländern wieMarokko und Jordanien haben die Regime auf die sozialen Proteste reagiert und so ihren status quozumindest kurzfristig stabilisiert. Der Arabische Frühling ist eine historische Zäsur in der Region – mitweitreichenden Folgen in politischer, wirtschaftlicher und geostrategischer Hinsicht.

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Inhaltsverzeichnis

1. Die historische Zäsur des Arabischen Frühlings 5

2. Länderanalysen 9

2.1 Ägypten nach der Wahl 10

2.2 Die unvollendete Revolution in Ägypten 14

2.3 Vorreiter Tunesien 17

2.4 Libyen nach der Revolution des 17. Februar 21

2.5 Kein Frühling am Golf 25

2.6 Pro-demokratische Proteste im Jemen 29

2.7 Marokko und Jordanien 33

2.8 Syriens langer Weg an den Rand des Abgrunds 37

3. Ursachen und Folgen 42

3.1 Der Arabische Frühling und der israelisch-arabische Konflikt 43

3.2 Die Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf die regionale Rolle Teherans 48

3.3 Die Rolle der neuen Medien im Arabischen Frühling 52

3.4 Der Arabische Frühling – das Ende al-Qaidas? 56

3.5 Die Türkei als Modell für die arabischen Staaten? 58

3.6 "Europa muss positiver auf die Umbrüche reagieren" 62

4. Stimmen aus der Region 67

4.1 Revolutionen gegen Demokratie oder Revolutionen für Demokratie? 68

4.2 Die arabische Straße in postislamistischen Zeiten 75

4.3 Arabische Führer und westliche Länder 79

4.4 Die Absicherung politischer Herrschaft 85

5. Indikatorentabelle 91

6. Chronologie des Arabischen Frühlings 93

6.1 Ägypten 94

6.2 Bahrain 95

6.3 Jemen 96

6.4 Jordanien 97

6.5 Kuwait 98

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6.6 Libyen 99

6.7 Marokko 100

6.8 Saudi-Arabien 101

6.9 Syrien 102

6.10 Tunesien 103

7. Aktuelle Kurzbibliografie 104

7.1 Allgemeinere Analysen und Kommentare zum Arabischen Frühling 105

7.2 Länderspezifische Analysen und Kommentare 107

7.3 Der Arabische Frühling als Herausforderung für "westliche" Politik – Analysen und Dokumente 114

7.4 Ausgewählte Weblinks zu deutsch- und englischsprachigen Informationsquellen 118

8. Redaktion 120

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Die historische Zäsur des ArabischenFrühlingsVon Dr. Muriel Asseburg 11.10.2011ist seit Oktober 2006 Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik(SWP).

Mitte Dezember 2010 verbrennt sich ein junger Tunesier, weil er keine Lebensperspektive mehrfür sich sah. Kurz darauf begann in einem der repressivsten arabischen Länder ein Aufstand,der weite Kreise zog. Muriel Asseburg mit einer Einführung.

Über Jahrzehnte galten der Nahe/Mittlere Osten und Nordafrika als Konfliktregion und die arabischenRegime als autoritär und korrupt. Zugleich zeigten sich diese Regime aber als überwiegend stabil undanpassungsfähig. Symbolisiert wurde diese vermeintliche Stabilität durch Herrscher, die seit 20, 30oder gar 40 Jahren an der Macht waren, wie Präsident Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien, PräsidentHosni Mubarak in Ägypten oder Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi in Libyen. Zudem war dasBild der arabischen Welt geprägt von dynastischen Erbfolgen. Diese wurde nicht nur in den Monarchiender Region praktiziert – etwa in Marokko, Jordanien und Saudi-Arabien –, sondern auch imPräsidialsystem Syriens im Jahr 2000. Gerüchte über eine bevorstehende innerfamiliäreMachtübergabe (konkrete Hinweise darauf) gab es auch in Ägypten, Libyen und im Jemen.

Der Funke der Revolte

Dieses Bild begann sich schlagartig zu verändern, als Mitte Dezember 2010 in Tunesien, einem derrepressivsten arabischen Staaten, die Verkrustung aufbrach. Im zentral-tunesischen Sidi Bouzidverbrannte sich der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi, weil er keine Lebensperspektive mehr fürsich sah. Seinem Fanal folgten Massenproteste, die von der Jugend der Mittelschicht initiiert und vonbreiten Teilen der Zivilgesellschaft mitgetragen wurden, vor allem von Gewerkschaften und Berufs­vereinigungen. Tunesiens Regime versuchte, die Proteste mit massiver Gewalt niederzuschlagen.Doch als sich führende Militärs weigerten, bei der blutigen Unterdrückung mitzuwirken und sich aufSeite der Demonstrierenden stellten, brach die Diktatur erstaunlich schnell zusammen. Ben Ali flohMitte Januar 2011 aus dem Land.

Der rasche Erfolg der Revolten – zunächst in Tunesien, dann in Ägypten, wo sich Präsident Mubarakeinen knappen Monat später gezwungen sah zurückzutreten – ermutigte junge Menschen in nahezuallen arabischen Ländern, den Unmut über ihre Lebensbedingungen auf die Straße zu tragen undnicht länger vor der staatlichen Repression zurückzuschrecken. Im Laufe des Jahres 2011 kam es sovor dem Hintergrund vergleichbarer Missstände in fast allen arabischen Ländern zu Protesten undMassendemonstrationen. Selbst außerhalb der arabischen Welt, etwa in China oder im Iran, fandendie Protestierenden Nachahmer bzw. stieß ihr Vorbild dort erneute Demonstrationen an.

Vor allem elektronische Medien, Mobiltelefone und soziale (Online-)Netzwerke befördern undverstärken die Proteste und tragen sie über Landesgrenzen hinweg. Dabei ist insbesondere derkatarische Satellitensender Al Jazeera bedeutend. Eine wichtige Funktion haben auch mit Handy-Kameras aufgenommene Bilder – sie sorgen dafür, dass die Proteste an der Zensur vorbei dokumentiert

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und über Satellitensender oder Internet in die Wohnzimmer der Region und der Welt getragen werden.

Ein Leben in Würde

Auch wenn die konkreten Forderungen von Land zu Land variieren, haben die Proteste in denarabischen Ländern doch eines gemein: Stets verbinden sie soziale, wirtschaftliche und politischeAnliegen. Fortschritte in allen drei Bereichen werden als unabdingbar angesehen, damit "ein Lebenin Würde" möglich ist.

In erster Linie geht es den Protestierenden um bessere Lebensbedingungen und mehr Teilhabe anWachstum und Entwicklung. Denn obwohl die arabischen Volkswirtschaften in den letzten Jahren mitwenigen Ausnahmen fast durchweg moderate oder sogar hohe Wachstumsraten verzeichnen konnten,ist es ihnen nicht gelungen, ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Dabei stehenalle Staaten vor der Herausforderung, ihre nach wie vor schnell wachsende, junge Bevölkerung in denArbeitsmarkt zu integrieren. Schon die Arab Human Development Reports 2002–2009 wiesen daraufhin, dass es in den meisten Staaten der Region nicht gelungen ist, soziale Ungleichheit abzubauenund die menschliche Entwicklung entscheidend voranzubringen. So gibt es nach wie vor arabischeStaaten mit erschreckend hoher Armut, niedrigen Alphabetisierungsraten und einem geringenBildungsniveau. Verschärft hat sich die Situation während der letzten Jahre vor allem in den Staaten,die von Nahrungsmittelimporten abhängen.

Hier haben sich die im Zuge der globalen Nahrungsmittelkrise stark gestiegenen Preise dramatischauf die Lebensbedingungen der Bevölkerung ausgewirkt. Dies gilt etwa für Ägypten, den größtenWeizenimporteur der Welt. Die Protestierenden verknüpfen ihre sozioökonomischen mit politischenForderungen. Denn Fortschritte im ersten Bereich halten sie nur dann für möglich, wenn Korruptionund Vetternwirtschaft bekämpft, die Möglichkeiten politischer Beteiligung ausgeweitet undGewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Kontrolle der Regierenden eingeführt werden. Zu ihrenForderungen gehört auch, der weit verbreiteten Willkür und Gewalt von Polizeiapparaten undGeheimdiensten Einhalt zu gebieten.

Zwar wurden in vielen arabischen Ländern während der vergangenen Jahrzehnte politische Reformendurchgeführt. Allerdings sind dabei keine repräsentativen, freien oder inklusiven politischen Systemeentstanden. So stufte etwa das amerikanische Freedom House Anfang 2011 von den Staaten derArabischen Liga nur die Komoren, Kuwait, Libanon und Marokko als "teilweise frei" ein, alle anderenfielen in die Kategorie "nicht frei". Im globalen Vergleich schnitt diese Region insgesamt amschlechtesten ab, was den Status politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten betrifft. Manipulierteund gefälschte Wahlen, wie in Jordanien oder Ägypten im Spätherbst 2010, trugen dazu bei, Parlamenteund Abstimmungsverfahren in den Augen der Bevölkerungen weiter zu diskreditieren. Brisant war diesauch deshalb, weil in vielen Gesellschaften der Region zunehmend die Wahrnehmung vorherrschte,die bestehende Ordnung werde nicht – im Sinne eines autoritären Entwicklungsstaates – zum Wohlder breiten Masse aufrechterhalten, sondern diene vor allem der Bereicherung einer korrupten Elite.Letztlich hatten viele die Hoffnung aufgegeben, dass ein Wandel durch politische Beteiligung innerhalbder bestehenden autoritären Ordnungen, etwa durch Wahlen, möglich sei.

Je nach Landeskontext ergeben sich daraus unterschiedliche konkrete Forderungen. Dabei reicht dasSpektrum von einem Ende ethnischer oder konfessionell begründeter Diskriminierung in denVielvölkerstaaten der Region über die Erweiterung parlamentarischer Mitspracherechte bzw. einerkonstitutionellen Beschränkung von Monarchien bis hin zur vollständigen Beseitigung der Regimedurch einen fundamentalen Umsturz der politischen Ordnung. Als Muster zeigte sich schnell, dasssich die Forderungen der Protestierenden immer dann radikalisierten, wenn die Regime mit Gewalt –etwa mit Scharfschützen – gegen Demonstranten vorgingen.

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Kein Ende des Arabischen Frühlings

Mitte März 2011 schien für viele Beobachter bereits ein Ende des Arabischen Frühlings gekommen.In Libyen war ein blutiger Machtkampf zwischen Aufständischen und dem Gaddafi-Regimeausgebrochen, in dem die Nato auf Seiten der Rebellen eingriff. In Bahrain intervenierten Truppen desGolfkooperationsrats, um den lokalen Aufstand zu unterdrücken. Doch in vielen Ländern hielt der Druckauf die Herrschenden an. In anderen, etwa in Syrien, gewannen die Proteste im Frühling erst richtigan Dynamik.

Nach dem Abtreten des alten Führungspersonals und dem Einstieg in einen Transformationsprozessin Tunesien und in Ägypten rüsteten sich andere arabische Herrscher, um an der Macht zu bleiben.Dazu ergriffen sie einerseits Maßnahmen, um den sozio-ökonomischen Forderungen entgegen zukommen, wie die Erhöhung von Subventionen für Grundnahrungsmittel und Heizöl,Beschäftigungszusagen und Gehaltserhöhungen im öffentlichen Sektor, etc. Andererseits zeichnetensich drei Hauptansätze ab, mit denen die Regime den Reformforderungen begegneten: erstens dieEinleitung eines umfassenden Reformprozesses (etwa Verfassungsreformen in Marokko undJordanien), die die Macht des Herrschers allerdings kaum tangieren; zweitens die gewaltsameUnterdrückung der Proteste (Libyen, Bahrain, Jemen, Syrien), die in Libyen zum Bürgerkrieg führte;und drittens Repression, minimale Reformen und umfangreiche Geldgeschenke, um den Status quozu erhalten (Saudi-Arabien).

Damit haben die Proteste, Aufstände und Revolten auch unterhalb der Schwelle eines Regimewechselsbereits deutliche Auswirkungen auf die arabischen Herrschaftssysteme. Der Handlungsspielraum derRegime hat sich stark verengt, und sie sind stärker als bislang auf die Legitimation ihrer Politikangewiesen. Die bislang ergriffenen Maßnahmen werden vielerorts nicht ausreichen, um die Protestezu beenden und die Herrschaftssysteme dauerhaft zu erhalten. Denn viele der Ad-hoc-Maßnahmensind auf Dauer kaum finanzierbar. Außerdem wurden klare Signale gesetzt, dass die Mächtigen nichtunantastbar sind, sondern national oder international zur Rechenschaft gezogen werden können. InTunesien und Ägypten müssen sich mittlerweile auch höchste Amtsträger, ihre Familienangehörigenund Günstlinge wegen Korruption oder Gewalt gegen Zivilisten vor Gericht verantworten. DieAufklärung von Kriegsverbrechen in Libyen wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an denInternationalen Strafgerichtshof überwiesen; Gaddafi im Oktober 2011 getötet.

In ihrer jetzigen Form werden die Regime daher keinen Bestand haben. Insofern ist der ArabischeFrühling eine historische Zäsur.

Gewaltige Herausforderungen der Transformation

Die Umbrüche eröffnen zunächst in den Staaten, in denen die bisherigen Führungspersönlichkeitenvon der Macht vertrieben worden sind (also bis September 2011 in Tunesien, Ägypten und Libyen),die Chance für einen Übergang zu politischen Systemen, die gerechter, inklusiver und partizipativersind als bislang. Dennoch ist nicht zu erwarten, dass die arabischen Länder politisch und wirtschaftlicheine ähnlich rasche Transformation durchlaufen werden, wie dies etwa in Mittel- und Osteuropa derFall war. Denn es gibt deutliche Unterschiede zwischen den Gesellschaften und Volkswirtschaften derarabischen Welt und jenen Mittel- und Osteuropas zu Beginn der 1990er Jahre.

Erstens sind viele arabische Gesellschaften ethnisch wie konfessionell stark fragmentiert und insoferneher mit den Gemeinwesen Südosteuropas zu vergleichen. In vielen mangelt es an einerstaatsbürgerlichen Identität. Sie weisen zweitens nur relativ kleine Mittelschichten auf, und sie sind invielen Fällen von krassen Einkommens- und Vermögensunterschieden geprägt – eine Folge derReformen der letzten 20 Jahre, die eine partielle Liberalisierung und Privatisierung bei fehlendenmarktwirtschaftlichen Mechanismen mit sich brachten. Weil ihre Bevölkerungen im Durchschnitt sehrjung sind und nach wie vor rasch wachsen, stehen die Regierungen vor besonders großenHerausforderungen, was Bildung, landesweit ausgeglichene Entwicklung und die Schaffung vonArbeitsplätzen angeht. Die Volkswirtschaften der Region sind drittens aufgrund der Dominanz des Öl-

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und Erdgassektors bzw. bei den ressourcenarmen Staaten aufgrund der Abhängigkeit von externerfinanzieller Unterstützung zu einem erheblichen Teil von rentierstaatlichen Strukturen geprägt. Dasheißt, dass die Haupteinnahmen des Staates Renten (Erdölrenten oder politische Renten) sind, dienicht durch die Arbeitsleistung der Bevölkerung generiert und durch Steuern erhoben werden.Typischerweise tragen entsprechende Einnahmestrukturen zur Verfestigung autoritärer Strukturenbei – in Umkehrung der berühmten Forderung der Bostoner Tea Party: "no representation withouttaxation" sowie zu entwicklungspolitischen Fehlentscheidungen.

Die Umbrüche finden zudem in einem ungünstigen regionalen und internationalen Umfeld statt.Insbesondere dauert viertens der israelisch-arabische Konflikt an, der zunehmend durch israelisch-türkische Spannungen und den Streit um exklusive Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer überlagertund verschärft wird. Hier besteht die reale Gefahr einer erneuten gewaltsamen Eskalation – mit allenbekannten negativen Rückwirkungen auf die Konfliktparteien und das regionale Umfeld. Fünftens, undanders als bei den ost- und mitteleuropäischen Staaten, fehlt ein entscheidender Anreiz für die schnellepolitisch-wirtschaftliche Liberalisierung und eine demokratische Konsolidierung: das Angebot der EU-Mitgliedschaft bei erfolgreichen Reformen gemäß den Kopenhagen-Kriterien, wie es im Juni 1993 vomEuropäischen Rat konkretisiert wurde. Im Gegenteil steht zu befürchten, dass sowohl regionale Akteurewie Saudi-Arabien und der Iran als auch internationale Akteure wie die USA zumindest in denjenigenLändern, die für ihre geopolitischen Interessen entscheidend sind, eine autoritäre Stabilisierung aufKosten von umfassenden Reformen unterstützen werden.

All dies dürfte dazu beitragen, dass der Weg der Transformation in den arabischen Ländern wesentlichholpriger verlaufen, länger dauern und von herberen Rückschlägen gekennzeichnet sein wird. Auchwenn durchaus die Chance besteht, dass zumindest in einigen arabischen Ländern – etwa in Tunesien –sich politische Systeme konsolidieren können, die deutlich repräsentativer und inklusiver sind alsbislang: Heute bereits das Ende der arabischen Autokratien zu verkünden wäre verfrüht. Insgesamtlässt sich absehen, dass es in den nächsten Jahren nicht nur eine Phase der Instabilität geben wird,die in einigen Fällen (etwa im Jemen und in Syrien) auch mit Bürgerkrieg, Staatszerfall oderSezessionen einhergehen könnte, sondern auch ein breiteres Spektrum an politischen Systemen, alsdies bislang in der arabischen Welt der Fall war.

Literaturhinweise

Muriel Asseburg, Der Arabische Frühling: Herausforderung und Chance für die deutsche undeuropäische Politik. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik. SWP-Studie 2011/S 17, Juli 2011, http://www.swp-berlin.org/de/produkte/swp-studien-de/swp-studien-detail/article/arabischer_fruehling.html.

Stiftung Wissenschaft und Politik, Themendossier: Umbruch in der arabischen Welt. Berlin, 2011, http://www.swp-berlin.org/de/swp-themendossiers/umbruch-in-der-arabischen-welt.html.

UNDP, Arab Human Development Report, 2002-2009, New York, 2002-2009, http://www.arab-hdr.org.Kurzfassung in deutscher Sprache: http://www.arab-hdr.org/publications/other/ahdr/ahdr09-inbrief-ge.pdf.

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)

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Länderanalysen16.1.2012

Jahrzehntelang galten die Regime in Nordafrika und im Nahen/Mittleren Osten zwar als autoritär undkorrupt, zugleich aber auch als überwiegend stabil und anpassungsfähig. Dieses Bild begann sich zuverändern, als Mitte Dezember 2010 in Tunesien, einem der repressivsten arabischen Staaten, dieseVerkrustung aufbrach. Der rasche Erfolg der Revolten – zunächst in Tunesien, dann in Ägypten –ermutigte junge Araberinnen und Araber in nahezu der gesamten Region, den Unmut über ihreLebensbedingungen auf die Straße zu tragen und nicht länger vor der staatlichen Repressionzurückzuschrecken. Auch wenn die konkreten Forderungen von Land zu Land variieren, haben dieProteste doch eines gemein: Stets verbinden sie soziale, wirtschaftliche und politische Anliegen.

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Ägypten nach der WahlVon Peter Philipp 2.7.2012Geb. 1944 in Wiesbaden, war zwischen 1968 und 1991 Nahostkorrespondent mit Basis in Jerusalem, u.a. für die SüddeutscheZeitung und den Deutschlandfunk. Seit 1991 Redakteur beim Deutschlandfunk in Köln, später Leiter der Nah- und Mittelostabteilung,dann der Afrika/Nahostabteilung von Deutsche Welle Radio. Von 1998 bis zu seiner Pensionierung 2009 Chefkorrespondent undNahostexperte von Deutsche Welle Radio.

Ägypten hat gewählt. Der neue Präsident heißt Mohamed Mursi, ist Muslimbruder und träumtenoch vor kurzem von den "Vereinigten Arabischen Staaten“ – mit Jerusalem als Hauptstadt.Was ist von Mursi zu erwarten? Peter Philipp mit einer Einschätzung.

Der neue ägyptische Präsident Mohamed Mursi in unterwürfiger Haltung und der Feldmarschall, derihm einen Seitenplatz am Schreibtisch zuweist. So eine Karikatur von Patrick Chappatte nach derersten Wahl eines Muslimbruders zum ägyptischen Staatsoberhaupt. Treffender könnten Stimmung,Argwohn und Misstrauen selbst jener knappen Mehrheit von 51,7 % der Wähler kaum beschriebenwerden, die für Mursi gestimmt hatten. Vor allem bei den Wählern, denen die Herrschaft eines Islamistensuspekt ist und die deswegen für den letzten Regierungschef des gestürzten Präsidenten HusniMubarak, Ahmed Shafiq, gestimmt hatten.

Der 60-jährige Wahlsieger, in den USA promovierter Ingenieur und späterer Professor an der Universitätvon Zagazig, dürfte sich dessen bewusst sein. Deswegen versucht er seit Bekanntgabe seinesWahlsieges, Misstrauen imIn- und Ausland abzubauen. Sowohl innen- als auch außenpolitisch stößt er aber auf immer wiederneue Probleme und dies verstärkt bei vielen – gerade in Ägypten – den Verdacht, dass Mursi zuunerfahren ist, um diese Präsidentschaft in eine Erfolgsgeschichte umzuwandeln.

Dabei fehlt es ihm sicher nicht an gutem Willen: So hat er seine Mitgliedschaft in der "Partei für Freiheitund Gerechtigkeit" (FJP) aufgekündigt, obwohl er diese erst Ende April 2011 gegründete Partei, dieden Muslimbrüdern zumindest nahesteht, bisher angeführt hatte. Er versichert auch, er wolle "Präsidentaller Ägypter" sein und Frauen und christliche Kopten ebenso an der Macht beteiligen wie Vertreternichtreligiöser Parteien.

Präsidiale Macht und Militärrat

Die präsidiale Macht aber ist noch vor Verkündung des Wahlergebnisses vom "Obersten Militärrat" (Scaf) begrenzt worden, der nach dem Sturz Mubaraks unter der Führung von FeldmarschallMohammed Hussein Tantawi das Sagen hat. Den Mitgliedern dieses Rates ist der Machtzuwachs derIslamisten ein Schreckgespenst: Die (fast durchweg in den USA ausgebildeten und von 1,3 Mrd $ US-Militärhilfe abhängigen) Militärs fühlen sich als Bewahrer der Revolution von 1952, die Streitkräfte sindlängst zu einer Art Staat im Staat geworden, der unter anderem – bis Mubarak – jeden Staatspräsidentenstellte und große Privilegien genießt. Und seit den Jahren Gamal Abdel Nassers gelten dieMuslimbrüder für das Militär – in Abstufungen – als Staatsfeinde.

Mursi suchte trotzdem schon früh den Dialog mit dem Militärrat. Wohl auch, weil ihm klar war, dassdie Muslimbrüder nicht in der Lage sein würden, sich gewaltsam dem Scaf zu widersetzen. Der Ratversuchte zunächst, das Erstarken der Muslimbrüder zu verhindern. Nachdem diese bei denParlamentswahlen aber rund 40 % (und zusammen mit den radikaleren Salafisten rund 70%) der

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Stimmen errungen hatten, betrieben die Militärs mit Hilfe des Verfassungsgerichts die Annullierungder Wahl und die Schließung des Parlaments. Die Präsidentschaftswahlen zu verhindern war ihnenaber wohl ein zu "heißes Eisen", dennoch verfügten sie zumindest eine drastische Beschneidung derRechte des Präsidenten.

Dies als "Putsch" des Militärs zu bezeichnen, dürfte jedoch am Thema vorbei gehen. Einer der vielenVorwürfe, die man dem bisherigen Präsidenten Mubarak gemacht hatte, war schließlich gewesen,dass er seine Macht durch diverse Verfassungsänderungen so ausgebaut hatte, dass sie praktischunbegrenzt und unkontrolliert war. Nur eine neue Verfassung hätte dies rückgängig machen können,eine solche wurde bisher aber nicht entworfen und auch nicht verabschiedet. Der zu wählende neuePräsident hätte also im Grunde die bisher kritisierte umfangreiche Machtfülle Mubaraks erhalten.Abgesehen von seinem Bestreben, eigene Macht und Einfluss zu erhalten, war das Grund genug fürden Scaf, die Vollmachten des Präsidenten zu beschneiden.

Schrittweise wird der Scaf sicher Aufgaben und Befugnisse an den Präsidenten übertragen müssen.Sicher wird er aber im Hintergrund die Kontrolle behalten wollen, aus Bestreben nach Machterhalt wieaus tiefem Misstrauen gegenüber den Islamisten. Selbst wenn diese sich im Kreis der Muslimbrüderund der FJP weit gemäßigter und konzilianter als in der Vergangenheit zeigen. Politisch können sie –bei allen regionalen Unterschieden – der Gruppe von Parteien und Bewegungen für "Gerechtigkeitund Entwicklung" zugerechnet werden, die sich von Marokko bis Pakistan gebildet haben und sichgrob am türkischen Vorbild orientiert.

Um dieses Vorbild zu erreichen, müsste in Ägypten freilich noch viel geschehen und kann vielesschiefgehen: Das Land leidet unter massiver Korruption, die Wirtschaft wird sehr lange brauchen, sichvom Umsturz 2011 zu erholen und gesellschaftlich könnte je nach Wirtschafts- und außenpolitischerEntwicklung auch eine rückläufige Entwicklung einsetzen. Um die Wirtschaft anzukurbeln, bedarf esmehr als nur guter Absichten. So ist einer der größten Devisenbringer der Tourismus. Ein unruhigesÄgypten, erst recht ein betont islamistisches Land, wird aber – wie schon vor Jahren zu Zeiten derTerroranschläge in Ägypten - Touristen abschrecken und eine Erholung dieser Branche dürfte sehrvon einer zumindest oberflächlichen "Normalisierung" abhängen.

Neuordnung der Außenpolitik

Dazu aber gehört auch die Ordnung (oder Neu-Ordnung) der außenpolitischen Beziehungen desLandes: Gegenüber den USA und Europa, gegenüber Israel und gegenüber dem Iran. Alle drei Bereichesind mehr als empfindlich und könnten den neuen Präsidenten in Bedrängnis bringen: Die Abhängigkeitvon den USA und selbst von einigen europäischen Staaten wird von vielen Ägyptern als negativerAspekt der Politik der Regierung Mubaraks abgelehnt. Ebenso wird der Friedensvertrag mit Israel, der1979 nach dem Camp David Abkommen geschlossen wurde, von breiten Kreisen der ägyptischenÖffentlichkeit kritisiert, in Frage gestellt oder gar seine Aufkündigung gefordert. Und weil der iranischeStaatspräsident Mahmud Ahmadinejad sich so unbeirrt gegen die USA und Israel ausspricht, hat erin den letzten Jahren unter den Ägyptern erstaunliches Ansehen erworben, obwohl sunnitischeIslamisten eigentlich nicht viel übrig haben für die Schiiten.

Mohamed Mursi wäre gleich zu Beginn beinahe in dieses außenpolitische Minenfeld geraten und erkonnte sich – vorerst – gerade noch retten. So hatte die iranische Nachrichtenagentur "Fars" berichtet,Mursi wolle die (1979 abgebrochenen) Beziehungen mit Teheran wieder aufnehmen. Umgehend ließer dementieren, je ein solches Interview gegeben zu haben. Ihm war sicher klar, dass er mit solcheinem Schritt massive Kritik der Amerikaner und Europäer ernten würde. Was Israel betrifft, so hatteer gleich nach der Wahl versichert, dass er natürlich zu internationalen Verträgen stehen werde. Ohnees konkret zu sagen: Also auch zum Frieden mit Israel.

In Jerusalem ist man von den Entwicklungen in Ägypten keineswegs angetan. Sie werden als Beweiszitiert für eine zunehmende Radikalisierung auch durch die Umwälzungen des "Arabischen Frühling

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". Und sie dienen der konservativ-nationalistischen Regierung Netanyahu als Vorwand für Fortsetzungund Verschärfung der unnachgiebigen Gangart gegenüber den Palästinensern und dem Iran: Dieislamistische "Hamas" ist ein Ableger der ägyptischen Muslimbrüder und kann nach derenMachtzuwachs auch sicher mit mehr Unterstützung aus Kairo rechnen. Der Iran wiederum, der "Hamas" (wie auch die anderen beiden Israel-Feinde "Hisbollah" und Syrien) nicht nur mit Worten unterstützt,wird nun erst recht als regionaler Störenfried und Unruhestifter dargestellt.

Aber auch in traditionellem Freundesland – besonders auf der Arabischen Halbinsel - hat die Wahleines Muslimbruders in Kairo einiges Misstrauen ausgelöst, nachdem die Muslimbrüder begonnenhaben, die Unterdrückung von Menschenrechtsprotesten in den Golfstaaten zu kritisieren und dieangeblich mangelnde Unterstützung für Anhänger der syrischen Assad-Gegner.

Glückwünsche zur Wahl aus Washington und europäischen Hauptstädten können solche Problemekaum aufwiegen. Zumal sie auch mehr diplomatischem Usus entspringen als wahrer Freude über dieEntwicklungen am Nil. In Washington und Brüssel wird vielmehr misstrauische Wartehaltungeingenommen: Die Muslimbrüder stehen dort trotz ihrer deutlichen Mäßigung immer noch im Verdacht,kein geeigneter Partner für westliche Demokratien zu sein.

Anhänger der Muslimbrüder feiern die Wahl von Mohammed Mursi auf dem Tahrir-Platz in Kairo. (© picture-alliance,landov)

Ein holpriger Anfang also für Mohamed Mursi. Zu dem er in der Vergangenheit ja selbst mit beigetragenhatte. Etwa wenn der überzeugte Muslimbruder davon sprach, "Vereinigte Arabische Staaten" mitJerusalem als Hauptstadt anzuvisieren. Hiervon scheint er heute weit abgerückt zu sein. Das könnteihn aber wiederum in den Augen einiger seiner bisherigen Anhänger zum Verräter machen und dieSalafisten werden solches ohnehin von ihm behaupten. Die wirklichen Hardliner unter den Islamistenwird er verlieren, die gemäßigten Nichtreligiösen vielleicht aber auch nicht gewinnen können. Immerhinweiß man auch in seinem Umfeld, dass gerade einmal ein Viertel der Wahlberechtigten für ihn gestimmthatte – und fast genau so viele für den unterlegenen Shafiq.

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Kein Präsident des Arabischen Frühlings

Unter denen, die weder für ihn noch für Shafiq gestimmt hatten, sind die jungen, westlich orientiertenund modernen Ägypter. Viele von ihnen hatten an den Demonstrationen gegen Mubarak auf demTahrir-Platz teilgenommen und diese angeführt, als die Muslimbrüder sich noch ungläubigzurückhielten. Für sie war die Präsidentschaftswahl nur der bisherige Höhepunkt der Enttäuschung:Ein Mubarak-Mann kandidierte gegen einen Islamisten. Dafür war man nicht auf die Straße gegangen.

Für manchen war Mursi das "kleinere Übel". Aber eben auch nicht die Verwirklichung des Traumesvon 2011. Wie wenig sich die moderneren Ägypter mit diesem Mann identifizieren können, macht sichironischerweise an Naglaa Ali Mahmoud fest, der 50-jährigen Frau des neuen Präsidenten: Die gläubigeMuslimin trägt Kopftuch und langen Mantel und bleibt religiös-bescheiden dezent im Hintergrund, wassie für manche Ägypter durchaus sympathisch macht: Den Namen ihres Mannes hat sie nichtübernommen – das sei eine westliche Unart, "First Lady" will sie nicht sein, sondern "Umm Ahmed" ("Die Mutter von Ahmed" – dem ältesten ihrer Söhne). Eine Frau aus dem Volk. Genau das stört aberandere im Land am Nil. Nach den eleganten und gebildeten Frauen Sadats und Mubaraks nun "UmmAhmed"? Obwohl die Straßen beherrscht sind von solchen "Umm Ahmeds", empören sich die Kritiker:Sie sei nicht repräsentativ für "die ägyptische Frau" und doch wohl eher ein Zeichen, dass es mit MursisBeteuerungen über die Gleichstellung der Frau nicht sehr weit her sei.

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Die unvollendete Revolution in ÄgyptenVon Dr. Stephan Roll 13.10.2011ist Stipendiat in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.

Mit einer Großkundgebung am 25. Januar begann eine Protestwelle, die in wenigen WochenPräsident Mubarak aus dem Amt spülte. Wer Ägypten künftig regiert, ist noch völlig unklar.Eine desolate Wirtschaft und ein noch immer übermächtiges Militär begrenzen denHandlungspielraum aber enorm.

Der politische Umbruch im bevölkerungsreichsten arabischen Land kam für viele Beobachter Anfang2011 überraschend. Dabei waren Proteste gegen das Regime des ehemaligen StaatspräsidentenHusni Mubarak keineswegs neu. Der repressive und korrupte Staatsapparat und die schlechte sozio-ökonomische Lage hatten seit der Jahrtausendwende immer wieder Demonstrationen und Streikshervorgerufen. Allerdings war die politische Führung stets erfolgreich darin gewesen, die Oppositiondurch brutale Polizeigewalt und kosmetische Reformen ruhig zu stellen.

Vernetzte Jugend, schwaches Regime

Dass es nun innerhalb weniger Wochen gelang, Mubarak zu stürzen, ist vor allem auf eineNeuformierung der Protestbewegung – ermutigt durch die Ereignisse in Tunesien – und diezunehmende Schwäche des Regimes selbst zurückzuführen. Während die organisierten Proteste dervergangenen Jahre von einer relativ elitären Oppositionsbewegung getragen worden waren, war esnun eine breite Bewegung, angeführt von Teilen der ägyptischen Mittelschichtjugend und unterstütztvon der Arbeiterschaft, die gegen das autoritäre politische System auf die Straße ging. Hierbei warenzwei gegensätzliche Entwicklungen von Bedeutung:

Auf der einen Seite wurde die wirtschaftliche und soziale Situation gerade der jungen Ägypterinnenund Ägypter – über zwei Drittel der ägyptischen Bevölkerung sind jünger als 35 – zunehmendschwieriger. Mehr als die Hälfte der 20 bis 24-jährigen hatte nach offiziellen Angaben keine Arbeit.Zudem wurde bezahlbarer Wohnraum immer knapper, so dass vielen jungen Ägyptern die Gründungeiner eigenen Familie verwehrt war. Auf der anderen Seite waren gerade die jungen Ägypter aufgrundder Entstehung einer kritischen Presselandschaft und der starken Verbreitung elektronischer Medienwie Internet, Mobilfunk und Sattelitenfernsehen immer besser informiert. In Internetforen konnten sieihren Unmut über die als korrupt und unfähig angesehene politische Führung Luft machen und ihrenProtest über Facebook und Twitter organisieren.

Die Protestwelle, die mit einer Großkundgebung am 25. Januar 2011 eingeleitet wurde, traf dasMubarak-Regime in einer schwierigen Phase. Denn in der Herrschaftselite gab es Uneinigkeit überden zukünftigen politischen Kurs des Landes und vor allem über die Frage der Nachfolge im Amt desStaatspräsidenten. Husni Mubarak selbst hatte seit der Jahrtausendwende versucht, seinen SohnGamal als Nachfolger aufzubauen. Als Zivilist verfügte Gamal Mubarak allerdings über keinen Rückhaltin der Militärführung. Seit Gründung der Republik in Folge des Militärputsches 1952 kamen allePräsidenten aus den Streitkräften; das Militär war das eigentliche Machtzentrum des Landes. GamalMubarak versuchte, sich durch Allianzen mit wichtigen Unternehmerfamilien eine eigeneUnterstützerklientel aufzubauen.

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Unter dem Deckmantel eines wirtschaftsliberalen Reformers machte er sich vor allem für dieGeschäftsinteressen ägyptischer Großunternehmer stark – was allerdings den Konflikt mit dem Militärnoch verschärfte. Mit Verbitterung sahen viele Offiziere, wie die Gamal Mubarak-nahenGroßunternehmer sich bereichern konnten, während ihre eigenen Privilegien zunehmend in Fragegestellt wurden. So kontrolliert das Militär ein Wirtschaftsimperium, das bis zu fünfzehn Prozent derägyptischen Wirtschaftsleistung erbringt und vielen aktiven und ehemaligen Offizieren lukrativeNebentätigkeiten und Versorgungspositionen bietet.

Die Proteste der Bevölkerung gegen das Regime dürften daher viele Mitglieder des Offizierscorps alsChance gesehen haben, eine nicht gewollte dynastische Machtübergabe zu verhindern. Hinzu kam,dass die USA ein gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten ausdrücklich missbilligten. Aufgrundder milliardenschweren Militärhilfen, die seit dem Friedensschluss mit Israel jedes Jahr von Washingtonnach Kairo überwiesen werden, hat die US-Administration im ägyptischen Generalstab durchausGewicht. Als die Situation infolge des gewaltsamen Vorgehens der Polizei- und Staatssicherheitskräftezu eskalieren begann, drängte daher der Oberste Militärrat – das Führungsgremium der ägyptischenStreitkräfte – Husni Mubarak zum Amtsverzicht und übernahm am 11. Februar 2011 unter Führungdes Verteidigungsministers Generalfeldmarschall Muhamed Hussein Tantawi offiziell die Macht.

Ausgestaltung des Übergangs und Parteienbildung

Dem erzwungenen Rücktritt Husni Mubaraks folgte zunächst kein radikaler Umsturz der politischenund gesellschaftlichen Verhältnisse. Zwar wurde die ehemals regierende Nationaldemokratische Partei(NDP) aufgelöst und Husni Mubarak, seine beiden Söhne sowie eine Reihe prominenter Politiker undGroßunternehmer unter Anklage gestellt, der Hohe Militärrat war aber nicht bereit, die Macht direkt anein ziviles Führungsgremium zu übertragen. Vielmehr setzten die Generäle einen komplizierten undnoch lange nicht abgeschlossenen politischen Aushandlungsprozess in Gang: Die Verfassung wurdein wichtigen Punkten geändert und diese Änderungen im März 2011 durch ein Referendum bestätigt.Dadurch wurde unter anderem der Weg für freie und kompetitive Parlamentswahlen (des Ober- undUnterhauses) eröffnet, die in mehreren Wahlgängen zwischen November 2011 und März 2012stattfinden sollen. Durch das neue Parlament soll dann eine umfassende Verfassungsreform initiiertwerden, in der über die Grundzüge des politischen Systems zu entscheiden ist. WannPräsidentschaftswahlen durchgeführt werden, wurde trotz scharfen Protests aus dem gesamtenpolitischen Spektrum vom Hohen Militärrat zunächst offen gelassen.

Durch eine Reform des Parteiengesetzes wurde zudem die Bildung neuer Parteien ermöglicht. Diederzeit nach Umfragen stärkste Partei ist die von der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründete "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit". Unter Mubarak waren die moderat-islamistischen Muslimbrüdertrotz ihres Verbots die am besten organisierte und in der Bevölkerung überaus populäreOppositionskraft. Über formal unabhängige Mandatsträger kontrollierten sie zwischen 2005 und 2010rund 20 Prozent der Sitze im ägyptischen Parlament. Ob es ihnen gelingen kann, nach den Wahlenden politischen Prozess zu dominieren, bleibt allerdings abzuwarten. Schließlich bildet sich nun neuepolitische Konkurrenz heraus: liberale, linke, konservative und wirtschaftsliberale Kräfte formieren sichund auch im islamistischen Lager werden neue Parteien aus der Taufe gehoben. Zudem ist dieMuslimbruderschaft kein homogenes Gebilde. Während der konservative Flügel einen weit reichendenUmbau der Gesellschaft gemäß islamistischer Vorstellungen anstrebt, tritt ein progressivreformistischer Flügel für einen zivilen Staat mit religiösem Referenzrahmen ein.

Bislang konnte sich der Reformflügel insofern durchsetzen, als dass die Muslimbrüder eine Kooperationauch mit säkular orientierten politischen Kräften bei den kommenden Wahlen anstreben – nicht zuletzt,um das Wiedererstarken von Kadern der ehemaligen Regierungspartei zu verhindern. So wurde unterFührung der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit die "Demokratische Allianz für Ägypten" gegründet,der zunächst auch die national-liberale Wafd-Partei angehört und die mit einer gemeinsamenKandidatenliste bei den Parlamentswahlen antreten will. Eine gewisse Zurückhaltung signalisiert auch,dass die Muslimbrüder bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen keinen eigenen Kandidaten ins

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Rennen schicken wollen. Allerdings haben prominente Ex-Muslimbrüder angekündigt, alsUnabhängige anzutreten. Dennoch gibt es bei vielen säkular orientierten Parteien Befürchtungen, dieBruderschaft könnte im Verfassungsgebungsprozess auf eine noch stärkere Rolle des Islam in derneuen Verfassung drängen. Eine Reihe dieser zumeist sehr kleinen Parteien hat sich im "ÄgyptischenBlock" zusammengeschlossen, um bei den kommenden Wahlen nicht marginalisiert zu werden.

Eingeschränkter politischer Handlungsspielraum

Gleich, wer am Ende als politischer Gewinner hervorgeht: Der politische Handlungsspielraum scheinteng begrenzt. Die ohnehin desolate ägyptische Wirtschaft wurde durch die politischen Unruhen schwerin Mitleidenschaft gezogen. Das Wirtschaftswachstum ist nach offiziellen Angaben im Haushaltsjahr2010/2011 auf unter zwei Prozent eingebrochen, was bei weitem nicht ausreicht, umBeschäftigungsmöglichkeiten für die Neuzugänge auf den Arbeitsmarkt bereitzustellen, geschweigedenn die hohe Arbeitslosigkeit des Landes abzubauen. Gleichzeitig stiegen die Lebenshaltungskosten,insbesondere die Preise für Grundnahrungsmittel, weiter an. Zahlreiche Unternehmen waren im Herbst2011 noch nicht zum normalen Produktionsprozess zurückgekehrt, da immer wieder Streiks gegen zuniedrige Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen aufflammen.

Zudem sind die Eigentumsverhältnisse privater Unternehmen oftmals unklar, da gegen zahlreicheMubarak-nahe Großunternehmer Ermittlungen wegen Korruption und Selbstbereicherung eingeleitetwurden. Aufgrund der offenen politischen Entwicklung, vor allem aber wegen der schlechtenSicherheitslage und der damit verbunden Häufung gewaltsamer Auseinandersetzungen undÜbergriffe, die sich auch gegen die christliche Minderheit richten, meiden ausländische Investoren dasLand, und auch im beschäftigungsintensiven Tourismussektor sind dramatische Einbrüche zuverzeichnen. Eine neue politische Führung müsste daher sowohl gegen die akute wirtschaftliche Kriseankämpfen, um neue Unruhen zu verhindern, und zugleich den Reformstau der Mubarak-Äraanpacken, um nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu ermöglichen.

Denn die Wirtschaftsreformen unter Mubarak kamen nur einem sehr kleinen Teil der Bevölkerungzugute. Die größten Herausforderungen, wie Korruption, eine unzureichende Wettbewerbsordnungoder das ungerechte und ineffiziente Steuer- und Subventionssystem, waren hingegen systematischausgeklammert worden.

Begrenzt wird der Handlungsspielraum der zukünftigen politischen Führung vor allem aber durch dasübermächtige Militär. Der Hohe Militärrat dürfte auch in Zukunft nicht bereit sein, sich vollständig einerzivilen politischen Führung und ziviler Kontrolle unterzuordnen. Das Taktieren der Militärs in Bezugauf die Abhaltung der Wahlen und die häufige Durchführung von Militärgerichtsverfahren gegenZivilisten zeigen bereits heute, dass die Militärs die Kontrolle über den politischen Umbau nicht ausder Hand geben wollen. Einer zivilen Regierung steht daher eine komplizierte Gratwanderung bevor:Auf der einen Seite muss das Militär konstruktiv eingebunden und seine zahlreichen Ressourcen fürdie Gesellschaft nutzbar gemacht werden. Gerade angesichts der angespannten Sicherheitslage undangesichts des desolaten Polizeiapparates kann auf das Militär als Ordnungskraft vorerst nichtverzichtet werden. Auf der anderen Seite muss jede zivile Regierung daran interessiert sein, denpolitischen und wirtschaftlichen Einfluss des Militärs zu beschneiden.

Die hohen Verteidigungsausgaben sind angesichts der ökonomischen Misere des Landes mittel- undlangfristig kaum tragbar. Solange eine zivile Regierung nicht die Macht zur Reform dieses ausuferndenSicherheitsapparates hat, ist die "Revolution des 25. Januar 2011" keineswegs vollendet.

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Vorreiter TunesienVon Dr. Isabelle Werenfels 12.10.2011ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.

Mit dem Sturz des Dikators Ben Ali begann in Tunesien der Arabische Frühling. Aber wo stehtdas Land jetzt? Kann es weiter eine Vorreiterrolle in der Arabischen Welt einnehmen?

Der Arabische Frühling hätte ohne die Ereignisse in Tunesien kaum stattgefunden. In Tunesienwuchsen sich lokale Unruhen mit wirtschaftlichem Hintergrund innerhalb weniger Wochen zu einemVolksaufstand aus und gipfelten am 14. Januar 2011 in der Flucht von Präsident Zine El Abidine BenAli. Direkter Auslöser der Unruhen war Mitte Dezember 2010 die Selbstverbrennung eines jungenMannes ohne berufliche Perspektiven in der vom Staat vernachlässigten Provinz Sidi Bouzid. Esfolgten landesweite Solidaritätskundgebungen tausender, vor allem gut ausgebildeter arbeitsloserJugendlicher. Versuche des Regimes, die Proteste brutal nieder zu schlagen, bewirkten das Gegenteil:In kürzester Zeit schwappten die Kundgebungen in die Hauptstadt über und wandelten sich innerhalbvon Tagen zu einem Volksaufstand gegen das Regime Ben Ali.

Die Demonstrierenden prangerten die Bereicherung und Korruption der herrschenden Familie an undforderten schließlich in der zweiten Januarwoche offen den Rücktritt des seit 23 Jahren mit eisernerHand regierenden Präsidenten. Dessen Versuche, die Wogen durch die Ankündigung vonFinanzspritzen und der Schaffung von Arbeitsplätzen zu glätten, liefen ins Leere. Als Ben Ali amVorabend seiner Flucht grundlegende Reformen und eine Ende seiner Herrschaft (wenn auch erst zuden nächsten Wahlen in 2014) ankündigte, war es zu spät. Die Machtelite hatte sich gespalten, undSchlüsselfiguren im Regime setzten sich von Ben Ali ab – ob aus politischer Überzeugung oderOpportunismus bleibt offen. Schlussendlich war es die Opposition innerhalb des Sicherheitsapparates,die den Präsidenten Mitte Januar 2011 zur Abreise bewegte oder gar zwang.

Gescheiterte Legitimationsstrategie

Entscheidend dafür, dass Tunesien als erstes arabisches Land den Sturz eines Diktators durch dasVolk erlebt hat, war das Zusammenwirken spezifischer politischer, wirtschaftlicher undgesellschaftlicher Faktoren.

Erstens haben die wachsenden sozioökonomischen Probleme die Achillesferse des Regimes getroffen.Ben Ali konnte seine Herrschaft lange über den vergleichsweise hohen Lebensstandard dertunesischen Bevölkerung legitimieren. Doch seine Strategie, politische Freiheiten durch relativenWohlstand zu ersetzen, ging in den vergangenen Jahren immer weniger auf. Die soziale Ungleichheitnahm zu, und der ansteigenden Arbeitslosigkeit von Jugendlichen mit höherer Bildung (2010 betrugsie offiziell mehr als 25 Prozent) stand die immer offensichtlichere Selbstbereicherung derherrschenden Familie gegenüber. Die Tunesier sahen sich in dieser Wahrnehmung von den im Herbst2010 publizierten WikiLeaks-Berichten bestätigt.

Zweitens gab es in Tunesien kaum politische Ventile, über die sich die Frustration der Bevölkerung "dosiert" hätte entladen können. Die Presse gehörte zu den unfreisten der Welt; Polizei undGeheimdienst unterbanden sämtliche Aktivitäten und Versammlungen mit regimekritischem Anstrich.Zwar existierten schon vor dem Aufstand neben der verbotenen islamistischen Ennahdha-Partei auch

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eine Handvoll legalisierter, kleiner Oppositionsparteien. Darüber hinaus fanden sich ein paar DutzendIndividuen, einige wenige Nichtregierungsorganisationen sowie Akteure innerhalb vonBerufsverbänden, die das Regime offen kritisierten. Nicht zuletzt gab es innerhalb des Dachverbandsder Gewerkschaften, der UGTT (Union générale tunisienne du travail), einen regimekritischen Flügel.Aber selbst gesetzlich anerkannte Oppositionelle sahen sich im Regime Ben Ali persönlichenSchikanen und Repressalien ausgesetzt. Ben Ali hatte unter dem Vorwand des Kampfes gegen denIslamismus einen Polizeistaat errichtet, der alle oppositionellen Kräfte unterdrückte und dieBevölkerung engmaschig kontrollierte. Folglich konnte es wenig überraschen, dass die tunesischenDemonstrantinnen und Demonstranten, denen es Anfangs vor allem um Arbeitsplätze ging, schon baldvor allem nach Freiheit riefen.

Drittens ist Ben Ali die Konzentration der politischen und ökonomischen Macht bei seiner Person undseiner Familie zum Verhängnis geworden. Durch die Personalisierung des tunesischen Systems konnteer die Verantwortung für soziale Ungerechtigkeit, Korruption oder die Brutalität der Sicherheitskräftenicht einfach auf andere abschieben. Entsprechend bewirkte die Entlassung von Gouverneuren oderMinistern während der Unruhen keine Beruhigung der Lage.

Nicht zuletzt lässt sich der Erfolg des tunesischen Aufstands mit der Beschaffenheit der tunesischenGesellschaft erklären. Diese ist ethnisch und konfessionell homogen, verfügt über eine breiteMittelschicht und ist insgesamt gebildet und modern – nicht zuletzt aufgrund der geographischen Näheund den engen Verbindungen zu Europa. Allein schon die weitgehende Gleichstellung der Frauensucht ihresgleichen im arabischen Raum. Die gesellschaftliche Modernisierung ist hauptsächlich dasVerdienst von Staatsgründer Habib Bourguiba, aber auch Ben Ali hatte diese Politik weiterverfolgt. Soist in Tunesien etwa der Grad der Vernetzung und Mobilisierung über elektronische Medien hoch –knapp 20% der Bevölkerung nutzen Facebook. Entsprechend groß war der kollektive Aufschrei überdas brachiale Vorgehen der Sicherheitskräfte. In Folge gingen Vertreterinnen und Vertreter allerSegmente der Gesellschaft auf die Straße.

Neue und alte Akteure

In den Monaten nach dem Sturz Ben Alis kristallisierten sich schrittweise Übergansstrukturen, einFahrplan für einen Übergangsprozess in Richtung Demokratie sowie eine Reihe zentraler Akteureheraus. In Übereinstimmung mit der Verfassung übernahm der Präsident der Abgeordnetenkammer,Fouad M´Bazaa, das Präsidentenamt. Eine erste Übergangsregierung scheiterte am Widerstand der "Straße", weil sie mehrheitlich aus Politikern der Ben Ali-Zeit bestand. Durch Schritte wie die Auflösungder politischen Polizei, die Zulassung ehemals verbotener Parteien und die Etablierung vonPressefreiheit gelang es, die Wogen etwas zu glätten. Mit der Schaffung einer "Hohen Instanz zurUmsetzung der Ziele der Revolution" im März 2011, die einen Fahrplan für Wahlen zu einerverfassungsgebenden Versammlung vorlegte, ebbten die täglichen und oft auch gewaltsameskalierenden Demonstrationen stark, wenn auch nicht völlig, ab.

Innerhalb weniger Monate erlebte Tunesien die Gründung von über 100 Parteien sowie das Aufblühender Zivilgesellschaft. Auffallend war, dass die meisten der zentralen Kräfte der Übergangszeit – seienes Parteien oder Individuen – keine neuen waren. Die in ersten Umfragen stärkste Partei, dieislamistische Ennahdha war schon in den 1980er Jahren eine wichtige politische Kraft gewesen, bevorBen Ali sie unterdrückte und ihren Vorsitzenden, Rachid Ghannouchi, ins Exil zwang. Ghannouchi,der nach dem Umbruch zurückkehrte, sitzt der Partei auch heute noch vor. Die Vorsitzenden deranderen Parteien mit einem gewissen Bekanntheitsgrad sind ebenfalls altbekannte Oppositionsfiguren.Der Chef der zweiten Übergangsregierung, der 84-jährige Béji Caid Essebsi, hatte schon unterBourguiba gedient, und viele der Technokraten seines Kabinetts hatten zuvor hohe Funktionen imSystem Ben Ali innegehabt, allerdings ohne mit dem Präsidenten zu eng verbandelt gewesen zu sein.

Im Herbst 2011 ließ sich die politische Landschaft Tunesiens grob in drei Blöcke unterteilen: einenislamistischen mit der Ennahdha als stärkster Kraft, einen linken und einen liberalen der rechten Mitte,

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in dem sich Parteien der sogenannten Neo-Bourguibisten fanden, darunter auch einige Parteien, dieals Sammelbecken für ehemalige Mitglieder und Eliten von Ben Alis RCD (Rassemblementconstitutionnel démocratique) gelten konnten. Allerdings war es mehreren Tausend Personen, die nochin den Wahlen 2009 aktiv für Ben Ali geworben hatten oder in einem seiner Kabinette saßen, nichterlaubt, für die verfassungsgebende Versammlung zu kandidieren.

Gute Voraussetzungen, schwieriger Kontext

Mit der am 23. Oktober 2011 zu wählenden verfassungsgebenden Versammlung wird Tunesien übereine demokratisch legitimierte Institution verfügen. Diese soll eine neue Verfassung ausarbeiten undeinen Fahrplan für deren Umsetzung festlegen. Wie sich der Demokratisierungsprozess in Tunesienweiter entwickelt, hängt indes nicht nur von den neuen politischen Institutionen ab. Entscheidend wirdsein, ob die neuen Eliten es schaffen, eine Reihe gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischerHerausforderungen zu meistern.

Erstens steckt Tunesien nach dem Sturz Ben Alis in einer Wirtschaftskrise. Die Tourismusbranche erlittbis zum Herbst 2011 massive Einbrüche, Investitionen brachen ein, Betriebe konnten aufgrund vonUnruhen oder Streiks nicht normal produzieren. Nicht zuletzt hat auch der Konflikt in Libyen dietunesische Wirtschaft schwer getroffen. In der Folge ist die Arbeitslosigkeit gegenüber 2010 weitergestiegen, das für 2011 prognostizierte Wachstum bewegt sich deutlich unter der Marke, die für eineVerbesserung der wirtschaftlichen Lage notwendig wäre. Verbessert sich die wirtschaftliche Lage abernicht, ist mit erneuten Demonstrationswellen zu rechnen, die wiederum die Wirtschaft schwächen unddie Handlungsfähigkeit der Regierung einschränken. Letztlich birgt dies auch die Gefahr, dass sichdie Bevölkerung populistischen und möglicherweise auch radikalen Kräften zuwendet.

Zweitens ist es noch nicht gelungen, in allen Teilen des Landes wieder Sicherheit und Ordnungherzustellen. In den wenig privilegierten Unruheprovinzen im Zentrum und Süden Tunesiens artenKundgebungen nach wie vor in Gewalt aus, ist die Kriminalität angestiegen und scheinen nicht zuletztVerlierer der politischen Wandels bemüht, Unruhe zu stiften. Auch der Krieg im Nachbarland Libyenhatte, zumindest vorübergehend, negative Folgen für die Stabilität Tunesiens.

Drittens wird der Umgang mit der Vergangenheit eine große Herausforderung für die neuen politischenEliten Tunesiens. Die Übergangsregierung hat bislang nur wenige Eliten und Handlanger des altenSystems juristisch verfolgt und – mit wenigen Ausnahmen – von einer Politik der Ausgrenzung vonUnterstützern des alten Systems Abstand genommen. In der Folge sind im Justiz- und im Privatsektorsowie in den privaten elektronischen Medien nach wie vor Eliten aus der Ben Ali-Zeit am Ruder undkönnen Reformen verhindern. Nicht zuletzt deswegen findet die islamistische Ennahdha-Partei, derkeine Kungelei mit alten Kräften vorgeworfen werden kann, starken Zuspruch in der Bevölkerung.

Viertens zeichnet sich in Tunesien ein Tauziehen zwischen islamistischen und säkularen Kräften umdie Frage der Rolle der Religion ab. Letztlich geht es darum, die Identität Tunesiens neu zu definieren.So fordert nun auch die Minderheit der Berber ihre kulturellen Rechte ein.

Vieles spricht dafür, dass Tunesien alle diese Herausforderungen meistern wird. Die breite Mittelschicht,das im regionalen Vergleich hohe Bildungsniveau, die Präsenz einer hohen Zahl fähiger Technokraten,die aktive Rolle der Frauen – aufgrund von Quoten werden in der verfassungsgebenden Versammlung50% Frauen sitzen – und das hohe zivilgesellschaftliche Engagement der breiten Bevölkerung sorgenfür gute Ausgangsbedingungen. Nicht zuletzt spricht eine historisch gewachsene politische Kultur desKonsenses dafür, dass Tunesien nicht nur mit Blick auf die Vertreibung des Diktators, sondern auchmit Blick auf Demokratisierung der Vorreiter in der arabischen Welt bleiben wird.

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Libyen nach der Revolution des 17. FebruarVon Wolfram Lacher 24.10.2011Wolfram Lacher, geboren 1977, ist seit 2010 Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der StiftungWissenschaft und Politik (SWP). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Libyen und die Sahelzone. Seine Arbeiten beruhen maßgeblichauf regelmäßigen Gesprächen mit Akteuren und Beobachtern vor Ort. Er studierte Arabistik, Afrikanistik und Politikwissenschaft inLeipzig, Paris, Kairo, London und Berlin. Er ist Autor des Buches "Libya's Fragmentation: Structure and Process in Violent Conflict"(London: I.B. Tauris, 2020) sowie zahlreicher Aufsätze und Analysen zu den Konflikten in Libyen.

Im Gegensatz zu Ägypten und Tunesien war der Umsturz in Libyen von Anfang an gewaltsamer.Entscheidend für den Sturz des Gaddafi-Regimes war der Einsatz der NATO. Jetzt muss inLibyen ein neuer Staat entstehen. Aber es gibt kaum Erfahrungen mit politischen Parteien unddemokratischen bzw. rechtsstaatlichen Institutionen.

Libyen steht nach dem Sturz des Regimes von Muammar al-Gaddafi vor enormen Herausforderungen.Deren dringlichste sind die Stabilisierung der Sicherheitslage und die Einleitung eines inklusivenpolitischen Prozesses. Teile der Bevölkerung, die Gaddafi unterstützten und in seinenSicherheitsapparat eingebunden waren, könnten weiterhin Widerstand gegen die neue Regierungleisten. Zudem entziehen sich viele der bewaffneten Gruppen auf Seiten der Revolutionäre derzentralen Kontrolle durch die Regierung. Darüber hinaus konnten sich während der 42-jährigenHerrschaft Gaddafis weder stabile staatliche Institutionen noch zivilgesellschaftliche Organisationenetablieren. Es gab nicht einmal eine Verfassung. Die Grundlagen des Staates und des politischenSystems müssen deshalb völlig neu ausgehandelt werden. Angesichts dessen ist der Begriff derRevolution dem Umbruch in Libyen zweifelsohne angemessen. In Libyen selbst werden die Ereignissezwischen dem Beginn des Aufstandes um den 17. Februar 2011 und dem Tod Gaddafis am 20. Oktober2011 als "Revolution des 17. Februar" bezeichnet.

Der libysche Sonderweg

Der Aufstand, der im Nordosten und Nordwesten Libyens bald nach dem Rücktritt des ägyptischenPräsidenten Hosni Mubarak ausbrach, unterschied sich stark von den Umbrüchen in Tunesien undÄgypten. Die Unruhen in Libyen waren von Beginn an gewaltsamer: Ämter und Behörden wurden inBrand gesteckt, worauf das Regime mit brutaler Gewalt reagierte. Wie in Tunesien und Ägypten warendie Demonstranten zumeist jung. Doch ist die junge Generation in Libyen deutlich schlechterausgebildet als in den beiden Nachbarländern und hat weniger Zugang zum Internet und seinenKommunikationsmöglichkeiten. Die anfänglichen Proteste waren noch weniger organisiert als in denNachbarländern.

Dass Libyen innerhalb kürzester Zeit in einen Bürgerkrieg entglitt, hat mehrere Gründe. Die staatlichenInstitutionen – allen voran die Armee – waren durch Gaddafi geschwächt worden, um die Macht in deninformellen Kreisen um ihn, insbesondere seine Söhne und die weitere Familie, zu konzentrieren.Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen waren verboten; stattdessen spieltenStammesloyalitäten weiterhin eine wichtige Rolle. Als das Regime mit blinder Repression auf dieProteste reagierte, brach der Staats- und Militärapparat schnell auseinander. Hohe Diplomaten undMilitärs schlossen sich den Aufständischen an und organisierten den Widerstand, um ihre Familienund Städte zu schützen. Eine Vorreiterrolle spielten dabei Mitglieder der Stämme des Nordostens.Dagegen waren die Brigaden des Sicherheitsapparats, der den Kampf gegen die Aufständischenanführte, zum Großteil aus Gaddafis Stamm oder aus mit ihm verbündeten Stämmen rekrutiert. Infolge

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des Auseinanderbrechens des Staatsapparates entstand auch die politische Führung des Aufstandes:der Nationale Übergangsrat in Bengasi, in dem ehemalige hohe Vertreter des Regimes mit langjährigenOppositionellen koalierten.

Entscheidend für den Sieg der Revolutionäre über das Regime war die NATO-Intervention auf Basisder Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates. Die Resolution autorisierte eine Militärintervention zumSchutz der Zivilbevölkerung. Ihre Umsetzung durch NATO-Luftangriffe kam allerdings einersystematischen Kampagne gegen die Truppen des Regimes gleich; auch unterstützte die NATO dieOffensiven der revolutionären Truppen aus der Luft. Darüber hinaus erhielten die Rebellen – trotz desverhängten Waffenembargos – Militärhilfe von mehreren an der Intervention beteiligten Staaten. Mitinternationaler Unterstützung konnten die Revolutionäre ihre Hochburgen im Nordosten, der StadtMisrata östlich von Tripolis sowie den westlichen Bergen südlich der Hauptstadt verteidigen, und nachmonatelanger Pattsituation schließlich die Oberhand gewinnen.

Wer sind die Revolutionäre?

In den ersten Monaten der Revolution wurde international heftig über die politische Einordnung derlibyschen Revolutionäre und die Ziele ihrer Führung diskutiert. Dies lag einerseits daran, dass es inLibyen nahezu keine politischen Parteien und Bewegungen gab, so dass die Führungsfiguren derRevolution keiner Gruppierung bzw. Programmatik zugerechnet werden konnten. Andererseits wardie Zusammensetzung der Revolutionäre äußerst heterogen. Vor allem die prominente Rolleehemaliger Politiker und Militärs des Regimes sorgte im Ausland für Zweifel an der verkündeten Absichtdes Übergangsrates, nach dem Sturz des Regimes eine demokratische Ordnung aufzubauen. Vieleder Überläufer waren dem reformistischen Lager innerhalb des Regimes zuzurechnen gewesen, wieder Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdeljelil, oder der am 23. Oktober zurückgetreteneChef der Übergangsregierung, Mahmoud Jibril. Aber auch langjährige enge Mitarbeiter Gaddafisschlossen sich den Revolutionären an.

Neben Überläufern aus dem Regime sind Mitglieder der Exilopposition in der politischen Führungprominent vertreten – darunter zahlreiche Mitglieder von Familien, die unter der von Gaddafi gestürztenMonarchie (1951-1969) zur Regierungselite gezählt hatten und von Gaddafi entmachtet worden waren.Weitaus breiter war dagegen die Zusammensetzung der lokalen Übergangsräte, die sich in befreitenStädten im Nordosten sowie in Misrata und den westlichen Bergen bildeten. Auch die bewaffnetenGruppierungen, die den Kampf gegen das Regime anführten, entstanden durch eine breiteMobilisierung der Gesellschaft. In jeder Stadt, die von der Revolution ergriffen wurde, bildeten sichbewaffnete Gruppen, um ihre Städte gegen die Truppen des Regimes zu verteidigen. Über viele dieserrevolutionären Brigaden hat der Übergangsrat – wenn überhaupt – nur eine lose Kontrolle. Ihre Loyalitätgehört zunächst ihrer Stadt oder ihrem Stamm, in einigen Fällen auch einflussreichen Familien, dieden Kampf finanzierten. Auch Islamisten aus dem Umfeld der Libyschen Islamischen Kampfgruppe,die während der 1990er Jahre im Nordosten Libyens gegen das Regime gekämpft hatte, bildetenmehrere Brigaden.

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Kontroversen um die NATO-Intervention

Die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats zu Resolution 1973 war durch die nahezu völlige internationaleIsolation des Gaddafi-Regimes möglich. Die Arabische Liga und der Golfkooperationsrat hatten zuvordie Einrichtung einer Flugverbotszone in Libyen gefordert. Aufgrund der regionalen Unterstützung füreine Militärintervention vermieden es Russland und China, ihr Veto im Sicherheitsrat einzulegen. Dochbestanden sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene beträchtliche Differenzen überdas internationale Vorgehen. Während Frankreich und Großbritannien die treibenden Kräfte hinter derResolution und der darauffolgenden Intervention waren, enthielt sich Deutschland in der Abstimmungdes Sicherheitsrats und beteiligte sich nicht aktiv an der NATO-Intervention. Italien und die Türkei, diebeide enge wirtschaftliche Beziehungen zu Libyen pflegen, standen einer Intervention zunächstablehnend gegenüber, beteiligten sich aber später daran.

Auch Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien beteiligten sich an der Intervention,was von der NATO als Ausdruck regionaler Unterstützung für den Einsatz gewertet wurde.Demgegenüber kritisierten Russland, China und die Afrikanische Union die Art der Umsetzung derResolution durch die NATO als einen einseitigen Eingriff in den Bürgerkrieg. Sie verlangten stärkereBemühungen um eine Verhandlungslösung. Die Nachbarstaaten Tunesien und Ägypten verhieltensich weitgehend neutral, während Algerien der Intervention ablehnend gegenüberstand und vomÜbergangsrat beschuldigt wurde, Gaddafi zu unterstützen.

Herausforderungen

Nach dem Sturz des Regimes steht Libyen vor keiner geringeren Aufgabe als dem Aufbau eines völligneuen Staates. Eine Verfassung muss ausgearbeitet werden, für die es – von der Verfassung derMonarchie von 1952 abgesehen – keinerlei Vorlagen gibt. Fundamentale Fragen wie die Staats- undRegierungsform, die Rolle der Provinzen und das Wahlsystem müssen nun ausgehandelt werden.Der Übergangsrat definierte in einer Verfassungserklärung im August 2011 die Eckpunkte desÜbergangsprozesses. Der Zeitplan dieses Prozesses begann mit der offiziellen Erklärung der "Befreiung" Libyens am 23. Oktober 2011, wenige Tage nachdem die letzten Hochburgen des Regimeserobert und Gaddafi getötet wurde. Innerhalb eines Monats nach der Befreiung soll eine repräsentativeÜbergangsregierung gebildet werden; innerhalb von acht Monaten sollen Wahlen zu einerNationalkonferenz stattfinden. Die Konferenz wiederum ernennt eine Interimsregierung und wählt einKomitee, das innerhalb weiterer zwei Monate der Nationalkonferenz einen Verfassungsentwurfpräsentieren soll. Einen Monat darauf soll ein Verfassungsreferendum folgen, und neun Monate nachdem Referendum sollen schließlich verfassungskonforme Neuwahlen stattfinden.

Weitgehend offen ist, welche politischen Kräfte diesen Prozess bestimmen werden. Mit dem Kollapsdes Regimes hat die revolutionäre Koalition den wichtigsten Grund ihres Zusammenhalts verloren. Esbeginnen sich politische Lager herauszubilden, die um die Macht konkurrieren. In Folge konnten sichdie revolutionären Kräfte im August und September 2011 nicht auf die Bildung einer neuen Regierungeinigen. Da der Übergangsrat bis zum Sturz des Regimes von Vertretern des Nordostens dominiertwurde, ist eine Neugewichtung innerhalb der politischen Führung nötig. Auch Stämme, die dem Regimegegenüber während der Revolution vorwiegend loyal geblieben und überproportional imSicherheitsapparat vertreten waren, müssten in den Übergangsprozess eingebunden werden.Angesichts der Tatsache, dass die treibenden Kräfte der Revolution meist die Interessen von einzelnenFamilien, Stämmen oder Städten vertreten, ist aber derzeit noch nicht abzusehen, welche Art vonKoalitionen sich herausbilden könnten.

Die entstehenden Lager dürften sich anhand einer Reihe von Fragen definieren. Dazu zählt dieBedeutung des Islam für die Orientierung des Staats- und Rechtswesens. Welche Rolle ehemaligeEntscheidungsträger des Regimes im neuen Libyen spielen und wie die Verbrechen des Regimesaufgearbeitet werden, stellt einen weiteren möglichen Streitpunkt dar. Mit Hinblick auf die neueVerfassung dürfte schließlich die Entscheidung zwischen einem dezentralen bzw. föderalen Systemeinerseits oder einem zentralistischen Modell andererseits zu einer wichtigen Frage werden. Hinter

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den Auseinandersetzungen um solche Fragen stehen letztendlich Machtkämpfe. Denn dieMachtverteilung ist von zentraler Bedeutung, weil sie mit Einflussmöglichkeiten auf die Verteilung derErdöleinnahmen bzw. den Zugriff auf diese Einnahmen verbunden ist. Von den Erdöleinnahmen hängtdie gesamte libysche Volkswirtschaft ab.

Inwiefern während des Übergangsprozesses demokratische Strukturen und Spielregeln geschaffenund beachtet werden, bleibt abzuwarten. Negativ dürfte sich neben der Wirtschaftsstruktur hierbeiauswirken, dass es in Libyen bis zum Sturz des Gaddafi-Regimes kaum Erfahrungen mit politischenParteien und demokratischen bzw. rechtsstaatlichen Institutionen gab.

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Kein Frühling am GolfSaudi-Arabien und seine NachbarnVon Dr. Guido Steinberg 24.10.2011ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.

Bahrain und Saudi-Arabien spielten in der medialen Aufmerksamkeit bislang nur eineuntergeordnete Rolle. Dabei sind gerade die Ereignisse im kleinen Inselstaat Bahrainweltpolitisch von großer Bedeutung. Und haben auch eine konfessionelle Dimension.

Auch die Monarchien am Persischen Golf wurden im Jahr 2011 vom Arabischen Frühling erfasst. Zwargeriet mit dem Königshaus der Al Khalifa in Bahrain nur eines der dortigen Regime kurzzeitig in Gefahrzu stürzen, doch zwang die auch in den Nachbarländern verbreitete Unzufriedenheit die dortigenRegierungen zu ersten Reaktionen. Dabei besteht am Golf vor allem die Gefahr, dass Proteste undUnruhen sich – wie in Bahrain bereits geschehen – zu einer konfessionellen Auseinandersetzungzwischen Sunniten und Schiiten ausweiten, dass Unruhen von Bahrain auf Saudi-Arabien und Kuwaitübergreifen und dass künftig gegebenenfalls sogar der Iran auf der Seite schiitischerOppositionsgruppen in Konflikte interveniert.

Die Golfregion in der internationalen Politik

Die Ereignisse in Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien dominierten im Verlauf des ArabischenFrühlings die Berichterstattung in den europäischen Medien. Dies entspricht zwar der relativen Nähedieser Länder zu Europa, jedoch nicht der weltpolitischen Bedeutung. Denn die Ereignisse in demkleinen Inselstaat Bahrain könnten für die Weltpolitik noch sehr viel gravierendere Folgen haben alsjene in Nordafrika. Der Grund hierfür ist, dass sich der geopolitische Schwerpunkt der Region seit den1970er Jahren vom Nahen Osten im engeren Sinne (Israel und angrenzende Staaten) hin zumPersischen Golf verschoben hat. Der nach der Ölkrise von 1973 rasch wachsende Ölreichtum derAnrainerstaaten sorgte dafür, dass Staaten wie der Irak, Iran und Saudi-Arabien in den Fokus derWeltpolitik rückten, während die Bedeutung beispielsweise Ägyptens abnahm.

Der Ölreichtum führte auch dazu, dass die Anrainer des Persischen Golfes in einen Konflikt um dieVormachtstellung in der Region eintraten, der rasch in drei Kriege mündete: den Iran-Irak-Krieg1980-1988, den Kuwait-Krieg 1990/91 und den Irak-Krieg 2003. Wegen der Bedeutung der Golfregionfür die Öl- und Gasversorgung der Weltwirtschaft intervenierten die USA mehrfach, bis sie 2003 denIrak besetzten und damit selbst zu einer regionalen Konfliktpartei wurden.

Die Bedeutung der Golfregion für Weltwirtschaft (hier liegen die weltweit größten Öl- und Gasreserven)und Weltpolitik bestimmt auch die Reaktion der USA und ihrer europäischen Verbündeten auf dieProteste und Unruhen dort. Das westliche Interesse an der Stabilität der Regime am Golf ist weitausstärker ausgeprägt als am Fortbestand der Regime in Nordafrika. Dabei geht es neben der Sicherungder Ölversorgung auch darum, dem Vormachstreben Irans entgegenzutreten. Deutlichster Ausdruckdieses westlichen Interesses waren Waffengeschäfte zwischen den USA und den Europäern einerseits,und den arabischen Golfstaaten andererseits, die trotz der krisenhaften Entwicklung 2011abgeschlossen wurden.

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Unruhen in Saudi-Arabien und Bahrain

Schon kurz nach dem Ausbruch der Unruhen in Nordafrika reagierte die saudi-arabische Führung,indem sie für März angekündigte Demonstrationen untersagte. Die wichtigste religionspolitischeInstitution des Landes, der Rat der Hochrangigen Gelehrten (Hai´at Kibar al-Ulama), bestätigte dieRechtmäßigkeit des Verbots, indem er Demonstrationen für unislamisch erklärte. Gleichzeitig ließ dieRegierung frühzeitig Sicherheitskräfte an Orten aufmarschieren, wo sie Proteste befürchtete,insbesondere in den schiitisch besiedelten Gebieten im Osten des Landes. Und König Abdallahverkündete im Februar und März 2011 ein gewaltiges Subventionsprogramm mit einem Volumen voninsgesamt 130 Mrd. US-Dollar, mit dem unter anderem neue Arbeitsplätze geschaffen, Wohnungengebaut und die Gesundheitsversorgung verbessert werden sollen.

Zudem wurden die Gehälter der Staatsbediensteten erhöht, zahlreiche Sonderzahlungen an sie undan Arbeitslose und Studenten geleistet und eine Ausweitung zinsloser Kredite für Privatpersonenzugesagt. Auch eine Behörde zur Korruptionsbekämpfung wurde eingerichtet. Aufgrund der hohenÖlpreise konnte Riad es sich leisten, seine Bürger mit Wohltaten zu überschütten.

Die Maßnahmen beruhigten die Situation in Saudi-Arabien, doch eskalierten parallel dieAuseinandersetzungen zwischen Regime und Opposition im benachbarten Inselstaat Bahrain. SeitFebruar waren Proteste hier mehrfach eskaliert, so dass die bedrängte Regierung am 14. März 2011den Ausnahmezustand aus- und gleichzeitig Truppen des Golfkooperationsrates (GKR) zu Hilfe rief.Unter saudi-arabischer Führung marschierten diese in Bahrain ein und übernahmen den Schutzstrategisch wichtiger Einrichtungen, so dass die einheimischen Sicherheitskräfte sich auf dieNiederschlagung der Oppositionsbewegung konzentrieren konnten. Zwar flammten die Proteste inden folgenden Monaten mehrfach wieder auf, doch konnte die Herrscherfamilie die Kontrolle über dasLand wiederherstellen.

Besonders gefährlich ist die konfessionelle Dimension der Auseinandersetzungen in Bahrain, die einegesamtregionale Entwicklung widerspiegelt. Zusammengenommen stellen die Schiiten aus den achtAnrainerstaaten des Persischen Golfes (Bahrain, Irak, Iran, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien,Vereinigte Arabische Emirate) mit bis zu 70 Prozent die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung. Dasich die Schiiten in Saudi-Arabien und den kleinen Golfstaaten zumindest religiös-kulturell stark anihren religiösen Zentren im Irak (Najaf, Kerbela) und Iran (Qom) und dort ansässigen Religionsgelehrtenorientieren, stehen sie bei den sunnitischen Herrschern ihrer Heimatländer seit spätestens 1979 imVerdacht, eine fünfte Kolonne des revolutionären Iran zu bilden. Der Sturz des Regimes von SaddamHussein im Irak 2003, der schiitisch-sunnitische Bürgerkrieg 2005 bis 2007 und die Amtsübernahmeschiitisch dominierter Regierungen in Bagdad verschärften in den arabischen Monarchien am Golfden Eindruck, dass die Schiiten und der Iran sich auf dem Vormarsch befänden und Gegenmaßnahmenangezeigt seien. Da es in Bahrain fast ausschließlich die massiv benachteiligten Schiiten sind, diegegen die Herrschaft der Familie Khalifa demonstrieren, stellte sich die saudi-arabische Regierungdemonstrativ auf die Seite des verbündeten Herrscherhauses. Dabei ging es Riad auch darum, eineAusweitung der bahrainischen Proteste auf die schiitischen Gegenden Saudi-Arabiens zu verhindern.

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Unruhen, Nachfolge und Schiitenfrage in Saudi-Arabien

Die Unruhen trafen das Königreich Saudi-Arabien in einer schwierigen Situation. Die seit Jahrenwichtigste politische Frage ist die nach der Nachfolge für den 1923 geborenen König Abdallah und dieGestaltung der Thronfolge allgemein. Schon vor dem Tod des Kronprinzen und VerteidigungsministersSultan (geboren 1923) im Oktober 2011 hatte sich Innenminister Naif (geboren 1933), als neuer starkerMann in Riad etabliert. Nach dem lange erwarteten Tod seines Bruders Sultan galt er alswahrscheinlicher Nachfolger seines Bruders im Kronprinzenamt. Naif hat den Ruf, ein besonderskonservativer Vertreter eines autoritären Sicherheitsstaates zu sein, und zeigt wenig Sympathien fürden behutsamen Wandel, den der höchst angesehene König Abdallah seinem Volk verordnet hat.

Es ist zu befürchten, dass im Falle eines Machtwechsels das ohnehin repressive Vorgehen derSicherheitskräfte gegenüber oppositionellen Kräften zu einer weiteren Verhärtung der innenpolitischenFronten führt. Schritte zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Schiiten könntenzurückgenommen werden, was die Gefahr künftiger gewaltsamer Konfrontationen noch verschärfenwürde. Überzeugende Antworten auf die auf Saudi-Arabien zukommenden Herausforderungen sindvon Politikern vom Schlage des Innenministers Naif nicht zu erwarten. Vielmehr schienen er und seinverstorbener Bruder Sultan seit 2009 zunehmend zu versuchen, ihre jeweiligen Söhne zuaussichtsreichen Kandidaten für den Thron aufzubauen. Im Gegensatz dazu hoffen viele Saudis, dassdie Thronfolge, die bis heute auf die Söhne des Staatsgründers Ibn Saud (1880-1953) beschränkt ist,möglichst bald auf die nächste oder übernächste Generation der Herrscherfamilie übergeht, damit dieunbeliebten älteren Kandidaten nicht mehr zum Zuge kommen und dringend erforderliche Reformenbegonnen werden.

Während viele Saudis vor allem gegen die verbreitete Korruption der Herrscherfamilie (wenn auchbislang überwiegend im virtuellen Raum bzw. durch die Einreichung von Petitionen) protestieren undmehr Rechtsstaatlichkeit und eine Ausweitung politischer Partizipation bis hin zu einer konstitutionellenMonarchie fordern, dürften die Schiiten jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um sich vom Joch dersaudi-arabischen Herrschaft zu befreien. Während sie zur Zeit vor allem mehr Rechte innerhalb desbestehenden Systems fordern, könnten sie im Krisenfall weitergehende Forderungen entwickeln. Seitder saudi-arabischen Eroberung der Küstenregion am Persischen Golf 1913 werden die Schiitenkulturell-religiös, sozio-ökonomisch und auch politisch stark diskriminiert. Ein wichtiger Grund hierfürist die politische Kultur des Königreichs, die stark von der sunnitischen und militant antischiitischenReformbewegung der Wahhabiya und einem althergebrachten Bündnis zwischen Herrscherfamilieund wahhabitischen Gelehrten geprägt ist.

Dieses Bündnis verschafft der Herrscherfamilie unter den Bewohnern Zentralarabiens religiöseLegitimität, die sie nicht aufzugeben bereit ist – was eine Verhaltensänderung gegenüber den Schiitensehr unwahrscheinlich macht. Zwar stellen diese nur rund 10 Prozent der saudi-arabischenBevölkerung, doch leben die meisten von ihnen in der saudi-arabischen Ostprovinz, wo sie bis zurHälfte der Bevölkerung ausmachen. Dass in dieser Region auch die meisten saudi-arabischen Ölfelderliegen, verstärkt die Furcht des Regimes vor einem Übergreifen der Unruhen in Bahrain auf Saudi-Arabien und seine Schiiten. Kleinere Zusammenstöße im Oktober 2011 in dem kleinen Ort Awamiyanahe Qatif an der Küste des Persischen Golfes schienen diese Befürchtungen zu bestätigen.

Die saudi-arabische Monarchie hat ihre Hausmacht in Zentralarabien, wo die religiös undgesellschaftlich zutiefst konservative Bevölkerung auch in Krisenzeiten geschlossen hinter demHerrscherhaus steht. Fraglich ist demgegenüber, neben der Loyalität der Schiiten im Osten des Landes,vor allem die von weiten Teilen der Bevölkerung in den westlichen Provinzen, insbesondere in derliberalen Hafenstadt Jidda. Noch gelingt es der Herrscherfamilie, die hier herrschenden Spannungendurch ihre Politik von Zuckerbrot und Peitsche zu kontrollieren, doch ist ungewiss, ob dies auch aufDauer gelingen wird.

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Die Furcht vor dem Iran

Es ist vor allem die Furcht vor dem Hegemonialstreben des Iran, die die Politik Saudi-Arabiens undseiner Verbündeten im GKR seit 2005 bestimmt. Sie betrachten den Aufstieg des Iran auch als deneiner schiitischen Macht, die versucht, mit Hilfe der schiitischen Araber den Irak zu dominieren unddie Islamische Revolution in die anderen Golfstaaten zu exportieren. Bisher gibt es keineüberzeugenden Belege dafür, dass iranische Stellen in die Unruhen und Proteste in Bahrain oder inanderen Golfstaaten involviert wären. Doch schon, wenn bei Demonstrationen schiitischerOppositioneller Plakate proiranischer Politiker wie des Führers der libanesischen Hizbullah HasanNasrallah und des irakischen populistischen Predigers Muqtada as-Sadr auftauchen, werden solcheÄngste genährt. In einem worst-case-Szenario befürchten die Regierenden am Golf, dass Teheransein Atomprogramm zur Herstellung von nuklearen Waffen nutzt und dann unter dem Schutz deratomaren Bewaffnung die arabischen Schiiten gegen ihre Herrscher aufwiegelt.

Dabei haben sich die Monarchien am Golf (wie auch die in Marokko und Jordanien) in der Krise desJahres 2011 als stabiler erwiesen als die Republiken in Nordafrika und in Syrien. Dies liegt zum einendaran, dass die Herrscherhäuser hier schon weitaus länger regieren als die Militärs und ihre Nachfolgerin Nordafrika, in Syrien und im Jemen und daher eine historische und in Saudi-Arabien auch religiösuntermauerte Legitimität genießen, die letzteren oft abgeht. Zum anderen haben alle Monarchien imletzten Jahrzehnt vorsichtige und begrenzte Reformschritte unternommen, die die innenpolitischeSituation in den meisten Fällen leicht entspannt haben. Darüber hinaus spielt der Wohlstand derGolfstaaten eine wichtige Rolle. Um sich auch weiterhin vor den Folgen des Arabischen Frühlings zuschützen, haben die Mitgliedsstaaten des GKR Marokko und Jordanien angeboten, sich ihrerRegionalorganisation anzuschließen. Außerdem unterstützen die öl- und gasreichen Ölmonarchiendie beiden ärmeren Staaten finanziell, um eine längerfristige Stabilisierung der Monarchien dort zuermöglichen.

Gefährlich könnte es für die saudi-arabische Herrscherfamilie vor allem im Fall einer außenpolitischenKrise werden. Stürzt das Regime der Familie Khalifa in Bahrain, dürfte dies auch die saudi-arabischenSchiiten ermuntern, sich zu erheben. Aus diesem Grund wird Riad alles nur Mögliche tun, um einenRegimewechsel im kleinen Nachbarland zu verhindern. Eskaliert die Auseinandersetzung zwischenIran und den USA bzw. Israel über das iranische Atomprogramm, wird Teheran wahrscheinlichversuchen, seine Verbündeten unter den schiitischen Gemeinschaften in der arabischen Welt gegenihre Regierungen zu mobilisieren. In jedem Fall wird eine größere Krise am Persischen Golf dieWeltpolitik in einer Weise erschüttern, auf die uns die Ereignisse in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrienund im Jemen erst einen schwachen Vorgeschmack liefern.

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Pro-demokratische Proteste im JemenGefangen im Patt der ElitenVon Anette Büchs 18.10.2011ist Wissenschaftlicher Mitarbeiterin für Nahost-Studien am GIGA-Institut in Hamburg.

Weder Versprechen von politischen Reformen noch der Einsatz von massiver Repression habendie Proteste im Jemen bisher stoppen können. Gewaltsame Auseinandersetzungenüberschatten aber zunehmend die bisher friedlichen pro-demokratischen Demonstrationen.Wohin steuert der Jemen?

Am 27. Januar 2011 kam es in der jemenitischen Hauptstadt Sana´a zur ersten Großdemonstrationmit 16.000 Teilnehmern. In den folgenden Monaten haben die Massenproteste weite Teile des Landesergriffen. In ihnen fordern die Demonstrantinnen und Demonstranten das Ende des Saleh-Regimesund einen demokratischen Wandel. Die Proteste haben allerdings auch einen Konkurrenzkampfinnerhalb der Machtelite zu Tage gefördert, der das Land paralysiert. Je länger dieser anhält umsostärker steigt das Risiko, dass gewaltsame Auseinandersetzungen zunehmen und das Land in einenBürgerkrieg abgleitet.

Politische und sozio-ökonomische Ausgangslage

Schon vor Beginn der Proteste im Jahr 2011 sah sich das Saleh-Regime vor großen politischenHerausforderungen. Am schwerwiegendsten waren hierbei bewaffnete Auseinandersetzungen mit denHuthi-Rebellen in der Provinz Sa´ada im hohen Norden des Jemen seit 2004, sowie seit 2007 dasErstarken einer sezessionistischen Bewegung im Süden des Landes, die der Staat zunehmendgewalttätig niederzuschlagen suchte. Beide Gruppen begehren gegen die Marginalisierung ihrerjeweiligen Region auf. Ziel der Sezessionisten im Süden ist die Abspaltung des ehemaligen Südjemenvom 1990 vereinigten Jemen. Zusätzlich hat sich spätestens seit 2009 das internationale islamistischeTerrornetzwerk al-Qaida im Jemen sukzessive ausgebreitet.

Zu diesen politischen Konflikten kommen soziale und wirtschaftliche Probleme, allen voran massiveArmut und hohe Arbeitslosigkeit. Der Jemen ist das ärmste arabische Land mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 750 US-Dollar. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 35%, betroffen ist vorallem die Jugend. Hinzu kommt das Problem der Landflucht: Wassermangel hat in den letzten Jahrenzu einem spürbaren Einbruch in der Landwirtschaft geführt, in der 70% der Bevölkerung tätig sind.Zunehmend wandern betroffene Bauern in die Städte ab, die dem Zuwanderungsdruck nurunzureichend gewachsen sind.

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Proteste in der Endlosschleife

Dass die gegen das Saleh-Regime gerichteten Proteste, die im Januar 2011 begannen und im Herbst2011 nach wie vor andauerten, eine mit Ägypten und Tunesien vergleichbare Massendynamik entfaltenwürden, war im Vorfeld kaum abzusehen. Zu sehr wurden die Interessen der einzelnen oppositionellenKräfte, insbesondere der Huthi-Rebellen und der sezessionistischen Bewegungen im Süden, alspartikular wahrgenommen. De facto aber haben beide ihre gesonderten Interessen vorerstzurückgestellt und sich der Protestbewegung angeschlossen, deren treibende Kraft die urbaneIntelligenzija und hierbei vor allem die Jugend ist. Im Schulterschluss fordern sie das Ende des Saleh-Regimes und genuinen demokratischen Wandel auf friedlichem Wege. Altbewährte Machtinstrumentedes Saleh-Regimes greifen nicht mehr.

Weder das anfängliche Ankündigen von zusätzlichen Sozialleistungen, insbesondere für Studenten,noch halbherzige Versprechen von politischen Reformen oder der Einsatz von massiver Repressionhaben die Proteste bisher stoppen können. Erstaunlich ist auch, dass die Proteste trotz der hohenVerbreitung von Kleinwaffen im Land bisher weitestgehend friedlich verlaufen sind. Doch ihr Erfolg inForm eines politischen Wandels, Machtübergabe oder nennenswerter politischer Reformen, ist bisherausgeblieben, selbst nach der Ausreise des Präsidenten aus dem Jemen. Bei einem Anschlag auf denPräsidentenpalast am 5. Juni 2011 war Ali Abdallah Saleh schwer verletzt und zur medizinischenBehandlung nach Saudi Arabien gebracht worden.

Die Urheberschaft des Anschlags ist bisher noch nicht eindeutig geklärt. Grund für diese politischeStagnation ist ein Patt innerhalb der Machtelite. Durch die Proteste brachen schon länger schwelendeKonflikte innerhalb der Elite offen aus. Im März 2011 wandten sich frühere Schlüsselfiguren des Saleh-Regimes gegen den Präsidenten. Zwischen den pro- und anti-Saleh orientierten Kräften an der Spitzehat sich seither ein instabiles Machtgleichgewicht herausgebildet. Dies spiegelt sich in demambivalenten Verhalten des Präsidenten wider, der am 23. September in den Jemen zurückgekehrtist. Es schwankt zwischen Drohungen anmutenden Ankündigungen wie "bis zum letzten Tropfen Blutzu kämpfen" und einer mehrfach erklärten prinzipiellen Bereitschaft zu einer Übergabe der Macht imRahmen einer vom Golfkooperationsrat vermittelten Initiative.

Je länger die bisher friedlichen pro-demokratischen Demonstrationen andauern, umso stärker werdensie von gewaltsamen Auseinandersetzungen überschattet: zwischen Saleh-treuen Sicherheitskräftenund abtrünnigen Sicherheitskräften, Stammeskämpfern, radikalen Islamisten (hierunter auch al-Qaida)und Dissidenten, die sich gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gewaltsam zur Wehrsetzen.

Zentrale Akteure

Insbesondere folgende Akteure zeichnen sich in der beschriebenen Situation als zentral ab: einegespaltene Elite an der Spitze, eine pro-demokratische Protestbewegung an der Basis,Oppositionsparteien, die zwischen diesen beiden stehen, sowie die externen Akteure Saudi-Arabienund die USA.

Die Elite

Bereits in den letzten Jahren kam es im Jemen zunehmend zu Spannungen innerhalb der jemenitischenFührungselite, und zwar einerseits zwischen der engsten Familie des Präsidenten Saleh und der'Nummer Zwei' im jemenitischen Militär und Befehlshaber der Nordwestprovinzen, Ali Muhsin, undandererseits zwischen der Saleh-Familie und der Familie al-Ahmar. Letztere gehört zu denbedeutendsten Stammesführern im Jemen. Im Saleh-Regime kam ihr eine zentrale Stellung zu, daSaleh seine Herrschaft nur durch das Erkaufen der Loyalität der Stämme sichern konnte. In den letztenJahren allerdings konzentrierte er die Macht immer stärker bei sich selbst, seinem Sohn Ahmad (demChef der Präsidentengarde), sowie bei seinen Neffen, denen er zentrale Teile der Sicherheitskräfteunterstellte. Die daraus resultierenden Konflikte brachen in den Anti-Saleh-Protesten dieses Jahres

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schließlich offen auf, als sich Ali Muhsin sowie die al-Ahmar Familie von Saleh lossagten. Beide habensich mittlerweile gegen ihn, seinen Sohn und seine Neffen zusammengeschlossen.

Die Protestbewegung an der Basis

Aus der jemenitischen Bevölkerung ist eine zivilgesellschaftliche Protestbewegung hervorgegangen.Ihr Herz ist die urbane Intelligenzija, die sich vor allem aus Studenten und Lehrpersonal derUniversitäten, Intellektuellen und Menschenrechtsaktivisten zusammensetzt. Die bisher politisch kaumin Erscheinung getretene Jugend ist hier, wie dies auch in Ägypten und Tunesien der Fall war, prominent.Die Bewegung setzt sich über ideologische Gräben hinweg. Eine ihrer prominentesten Persönlichkeitenist die 32-jährige Tawakkul Karman, die im Oktober 2011 für Ihren Einsatz für einen zivilen unddemokratischen jemenitischen Staat den Friedensnobelpreis erhielt.

Innerhalb der Protestbewegung haben sich jedoch Spannungen aufgetan, seit sich MultimillionärHamid al-Ahmar aus dem einflussreichen Hause der al-Ahmars als ein maßgeblicher Sponsor derProteste auftut. Während ein Teil der Protestierenden diese Unterstützung bereitwillig annehmen,befürchten andere, dass die Bewegung durch persönliche Machtbestrebungen vereinnahmt wird. Dennspätestens seit 2009 scheint Hamid al-Ahmar mit dem Präsidentenamt zu liebäugeln.

Oppositionsparteien

Die wichtigsten Oppositionsparteien, die islamistische Reformpartei (Islah) und die JemenitischeSozialistische Partei (JSP), sind bereits seit 2005 im Parteienbündnis JMP (Joint Meeting Parties)zusammengeschlossen. Sie nehmen eine ambivalente Rolle zwischen der Protestbewegung an derBasis und den Eliten an der Spitze ein. Seit Beginn der Proteste versuchen sie, sich als ein genuinerTeil der pro-demokratischen Bewegung zu gerieren. Sie waren es, die die erste Großdemonstrationin Sana'a organisierten. Schon seit Dezember 2010 lagen sie im Streit mit Saleh, da er eineVerfassungsänderung vornehmen wollte, die ihn lebenslang im Präsidentenamt hätte halten können.Die Protestbewegung sah das Engagement der traditionellen Opposition jedoch mit gemischtenGefühlen. Zu lange waren die in ihr vertretenen Parteien eng mit dem Regime verbandelt gewesen.

So war zum Beispiel die Islah-Partei Teil einer Koalition, mit der Saleh von 1994 und 1997 regierte.Die JMP hat dennoch das Potenzial zu einem glaubwürdigen Vertreter genuiner demokratischer Reformzu werden. Denn jüngst hat eine neue Generation begonnen, auch innerhalb der Parteien aktiv zuwerden. Sie hat sich den Vereinnahmungsversuchen seitens des Regimes verwehrt und besitzt beimKern der Protestbewegung Glaubwürdigkeit. Hier gibt es auch personelle Überschneidungen. Umdieses Potenzial ausschöpfen zu können, müssten sich die Parteien allerdings stark reformieren undalte Führungsriegen Platz für neue Gesichter schaffen.

Externe Akteure

Insbesondere Saudi-Arabien und die USA treffen sich in ihrem gemeinsamen Anliegen für einen stabilenJemen. Möglicher Bürgerkrieg und Staatszerfall werden von beiden als akute Bedrohung der eigenenInteressen wahrgenommen. Gründe hierfür sind vor allem die Furcht vor einer Ausbreitung radikalerIslamisten wie al-Qaida sowie Jemens geostrategisch bedeutsame Lage am Golf von Aden, einemder bedeutendsten internationalen Schifffahrtswege. Das Bestreben, zu einem friedlichen Weg ausder Krise zu finden, findet Ausdruck in einer von Saudi-Arabien maßgeblich gestalteten Initiative desGolfkooperationsrats, die von den USA und auch der EU unterstützt wird. Sie zielt auf einenschrittweisen, friedlichen Machtwechsel und darauf, die Konflikte innerhalb der Eliten beizulegen.

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Wohin steuert der Jemen?

Die Vermittlungsversuche im Rahmen der Initiative des Golfkooperationsrats zeigten bis zum Herbst2011 allerdings nicht den gewünschten Erfolg, da Präsident Saleh mehrfach in letzter Minute seineUnterschrift verweigerte. So wurde als Verzögerungstaktik gewertet, dass er die Maßgabe, seineBefugnisse an den Vize-Präsidenten Abd Rabu Mansour Hadi zu übertragen, nur partiell erfüllte, alser ihm am 12. September 2011 lediglich die Befugnisse übertrug, mit der Opposition zu verhandeln.Derweil scheint das Ausufern von Gewalt bis hin zum Bürgerkrieg eine akute Gefahr.

Dies könnte vor allem von dreierlei Faktoren vorangetrieben werden:

1. von einer gewaltsamen Eskalation der Konkurrenz zwischen Angehörigen Salehs und Ali Muhsinsowie der Ahmar-Familie, die sich in erhebliche Stammeskämpfe ausweiten könnte;

2. von den sich seit den Protesten dramatisch verschlechternden sozio-ökonomischen Umständen.So sind zum Beispiel die Preise von Grundnahrungsmitteln und Benzin drastisch angestiegen.Bisher verliefen durch Nahrungsmittelknappheit verursachte Unruhen im Jemen oft sehrgewaltsam;

3. von der Frustration der Demonstranten und der steigenden Gefahr einer Radikalisierung, bei derein gewaltsamer Kampf auf Seiten Ali Mohsins und der al-Ahmars als 'letzte Lösung' erscheint.Dies könnte auch dazu führen, dass vor allem im Süden sezessionistische Bestrebungenzunehmend Unterstützung erfahren.

Kurzfristig erscheinen damit zunehmende Gewalt und Bürgerkrieg als wahrscheinlichstes Szenario.Zugleich gibt die Protestbewegung auch Anlass zu Hoffnung. Denn im Zuge der Proteste haben sichzivilgesellschaftliche Strukturen bewährt und gefestigt. Forderungen nach einem demokratischen,zivilen Staat und nach politischen und wirtschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten aller Jemenitensind klar formuliert. Sie haben auch einen historischen Vorläufer in einer regen zivilgesellschaftlichenBewegung aus der liberaleren Phase des Saleh-Regimes in den frühen 1990ern. Langfristig ist fürden Jemen somit auch eine progressive Entwicklung jenseits von bewaffnetem Machtkampf undBürgerkrieg denkbar.

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Marokko und JordanienSoziale Proteste und monarchischer AutoritarismusVon André Bank 13.10.2011André Bank ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut für Nahost-Studien Hamburg.

Der Arabische Frühling bestimmt seit Anfang 2011 auch die Politik in den autoritär regiertenMonarchien Marokko und Jordanien. Trotz starker sozialer Proteste ist es dort aber nicht zumSturz eines herrschenden Staatsoberhaupts wie in den Republiken Tunesien, Ägypten undLibyen gekommen.

Die politische und sozio-ökonomische Lage vor dem Umbruch

In Marokko wie in Jordanien dominiert der König eindeutig die politischen Geschicke des Landes. Alswichtigste Person der Exekutive ist er befugt, die von ihm selbst ernannte Regierung inklusive desPremierministers abzusetzen und das Parlament aufzulösen. Beide Monarchen – der alaouitischeKönig Mohammad VI. in Marokko und der haschemitische König Abdallah II. in Jordanien – besitzendes Weiteren eine religiös-traditionelle Legitimität, die ihnen aufgrund ihrer Abstammung von derProphetenfamilie sowie der langen Dominanz der Herrscherhäuser im Prozess der Staatsbildungzukommt. Anders als die anderen sechs arabischen, am Persischen Golf gelegenen Monarchienverfügen Marokko und Jordanien nicht über große Mengen Erdöl. Beide Länder sind vonUnterstützungszahlungen durch die USA, die EU und die arabischen Ölmonarchien am PersischenGolf abhängig.

Der monarchische Autoritarismus in Marokko und Jordanien wird zudem durch die im regionalenVergleich weit reichende Umsetzung neoliberaler Wirtschaftsreformen geprägt. Diese haben in denletzten Jahren zu einer deutlichen Auseinanderentwicklung der zumindest teilweise prosperierendenGroßstädte einerseits und der weithin unterentwickelt gebliebenen ländlichen Gebiete andererseitsgeführt. Die inoffizielle Arbeitslosenquote unter den 32 Millionen Marokkanern liegt bei rund 25 Prozent,unter den 6,5 Millionen Jordaniern beläuft sie sich Schätzungen zufolge auf 30 Prozent. In beidenLändern sind in besonderem Maße die jungen und oft gut ausgebildeten Bevölkerungsschichten vonArbeitslosigkeit betroffen.

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Die sozialen Proteste 2011

Die sozialen Proteste des Arabischen Frühlings schließen in Marokko und Jordanien an frühereProtestbewegungen und soziale Mobilisierungen an. In Marokko hatte sich in den Vorjahren eine regeProtestkultur herausgebildet, die vor allem von den "diplômés chômeurs", den "arbeitslosenHochschulabsolventen", getragen wurde. Seit den erfolgreichen Präsidentenstürzen in Tunesien undÄgypten haben diese ihr primäres Anliegen einer ihrer Ausbildung angemessenen Berufsperspektivedurch mehr am Gemeinwohl orientierte Forderungen ergänzt: Die "Bewegung des 20. Februar", diedie Massenproteste seit Anfang 2011 bestimmt, geht mittlerweile personell wie programmatisch überdie "diplômés chômeurs" hinaus. Sie setzt sich für eine umfassende Demokratisierung Marokkos imSinne einer parlamentarischen Monarchie ein und fordert eine deutliche Einschränkung derumfangreichen Machtkompetenzen von König Mohammad VI. Der heterogenen, sich ausunterschiedlichen ideologischen Strömungen zusammensetzenden Bewegung gelang es,Demonstrationen mit zehntausenden Protestierenden in verschiedenen Landesteilen zu organisierenund diese über Monate zu verstetigen.

In Jordanien verlagerte sich die "Politik der Straße" Anfang 2011 – beflügelt durch die Entwicklungenin Ägypten – von den ländlichen, von Stammesstrukturen geprägten Landesteilen in die großen StädteAmman und Zarqa. Hierdurch kam der urbanen Muslimbruderschaft, die die traditionelle Oppositionin Jordanien darstellt und sich für eine konstitutionelle Monarchie mit realer Gewaltenteilung einsetzt,wieder ein größeres politisches Gewicht zu. Neben der traditionellen Opposition bildete sich im Laufeder sozialen Mobilisierung mit den "Jugendlichen des 24. März" auch eine neue städtische, aberursprünglich aus den ländlichen Gebieten stammende Protestbewegung heraus, die für umfassendedemokratische Reformen eintreten. Ihre Vertreter wurden von regimeloyal-konservativenGegendemonstranten als "Palästinenser" und "Schiiten" beschimpft und teilweise tätlich angegriffen.

Die Reaktion des marokkanischen Regimes

Das marokkanische Regime unter König Mohammad VI. reagierte auf die neue Protestbewegung miteiner Mischung aus Repression und Kooptation, also aus Unterdrückung und Einbindung der Kritiker.So wurden einerseits Demonstrationen strikt überwacht, andererseits Subventionen erhöht undmehrere tausend neue Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen. Die einflussreichsten, im Parlamentvertretenen Parteien wurden näher an den "makhzen", den vom König gesteuerten Herrschaftsapparatangebunden. So erklärten die größten Parteien – die nationalistische Istiqlal, die sozialdemokratischeUnion de la justice et du développement (USFP) und die moderat-islamistische Parti de la justice etdu développement (PJD) – dem König wiederholt ihre Loyalität. Im Gegensatz zu den Protesten inden arabischen Republiken hat die marokkanische "Bewegung des 20. Februar" zu keinem Zeitpunktein Abdanken des Staatsoberhaupts oder gar ein Ende der alaouitischen Monarchie gefordert.

Weniger als drei Wochen nach den Massendemonstrationen vom 20. Februar 2011 kündigte KönigMohammad VI. am 9. März eine "tief greifende" Neugestaltung der Verfassung von 1996 an. Die ineinem Referendum am 1. Juli 2011 offiziell mit 98,5 Prozent bei einer – wohl geschönten – Beteiligungvon rund 73 Prozent angenommenen Änderungen der Verfassung sehen folgende zentraleNeuerungen vor: Marokko wird in eine "konstitutionelle, parlamentarische, demokratische und sozialeMonarchie" umbenannt. Der König gilt nicht mehr als "heilig", sondern nur noch als "unantastbar" und "zu Respekt verpflichtend". Eine mehr als symbolische Einschränkung seiner immensen Macht bedeutetdies aber nicht. Weiterhin werden die Position des Premierministers, der nun den TitelRegierungspräsident trägt, sowie die Rolle des Parlaments formell aufgewertet. Ein umfassenderGrundrechtskatalog enthält längere Ausführungen zu Menschenrechten, politischer Partizipation undDezentralisierung. Das berberische Tamazight wird als offizielle Sprache anerkannt. Schließlich befasstsich ein Verfassungsartikel mit der vorgesehenen Etablierung eines "Konsultativrates für die Jugendund das Verbandswesen" direkt mit den "diplômés chômeurs". Auch wenn die Protestbewegung des "20. Februar" die Verfassung als "von oben oktroyiert" geißelte und gegen das Referendum mobilisierte,kann König Mohammad VI. die Reform und die große Zustimmung dafür in der Bevölkerung alsstrategischen Sieg für sich verbuchen.

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Die Reaktion des jordanischen Regimes

Das jordanische Regime unter König Abdallah II. reagierte auf eine mit dem marokkanischen Ansatzvergleichbare Weise auf die sozialen Proteste des Jahres 2011. Demonstrationen wurden unter Aufsichteiner massiven Polizei- und Geheimdienstpräsenz gestattet und von einer Kooptationsstrategiebegleitet: Die Löhne im öffentlichen Sektor wurden erhöht und bereits beschlosseneSubventionskürzungen wieder rückgängig gemacht. Des Weiteren stattete König Abdallah II. dengroßen Stammeskonföderationen, die seit langem das Rückgrat der haschemitischen Herrschaft sind,Besuche ab. Als Konzession an die Protestbewegung entließ er bereits am 1. Februar 2011 den alskorrupt geltenden Premierminister Samir Rifa i und ersetzte ihn durch Ma ruf Bakhit, der demeinflussreichen Stamm der Bani Sakhr angehört und zudem als General den Militär- undSicherheitsapparat repräsentiert. Seine Ernennung signalisierte zugleich, dass eine substanziellepolitische Liberalisierung nicht zu erwarten war, da Bakhit nicht für Reformen steht. Vielmehr war erin seiner ersten Amtszeit als Premier (2005-7) nach dem Wahlsieg der palästinensischen Hamas imJanuar 2006 für die Eindämmungspolitik gegen die jordanischen Muslimbrüder verantwortlich.

Wie in Marokko fand auch in Jordanien ein vergleichbarer Prozess der Verfassungsreformen "vonoben" statt. Am 14. August 2011 verkündete König Abdallah II. insgesamt 42, allerdings zumeist kleinereÄnderungen der jordanischen Verfassung von 1952. Zentrale Neuerungen beziehen sich auf dieEinrichtung eines Verfassungsgerichts; die Einschränkung der Kompetenzen der Sicherheitsgerichte,die in jüngerer Vergangenheit gegen Oppositionelle eingesetzt worden waren; eine unabhängigeWahlbeobachtung sowie das Recht zur freien Meinungsäußerung. Selbst eine nur symbolischeEinschränkung der absoluten Macht des Königs wie in Marokko ist in Jordanien indes nicht vorgesehen.Die im Oktober 2011 noch ausstehende formelle Zustimmung des königstreuen Parlaments zurjordanischen Verfassungsreform gilt als sicher. Im Gegensatz zu Marokko wird im haschemitischenKönigreich kein Referendum über die Verfassungsänderungen stattfinden. Dementsprechend warendie Muslimbrüder, die Jugendbewegung des 24. März sowie eine seit Juli 2011 verstärkt auftretendeProtestbewegung junger Transjordanier aus den südlichen Orten Karak, Ma an und Tafileh von denErgebnissen enttäuscht, angesichts des schleppenden Reformverlaufs der letzten zwanzig Jahre aberauch wenig überrascht.

Zukunftsaussichten des monarchischen Autoritarismus in Marokkound Jordanien

Kurzfristig haben die Reaktionen der Regime auf die sozialen Proteste in Marokko und Jordanien denStatus quo des monarchischen Autoritarismus stabilisiert. Angesichts der größeren Reichweite derVerfassungsreformen gilt dies besonders für Marokko, zeigt sich in abgeschwächter Form aber auchin Jordanien. In Marokko nahm die neue Verfassung einzelne Forderungen sozialer Gruppen – etwader Berber durch die offizielle Anerkennung des Tamazight – auf und adressierte auch die Problematikder "diplômés chômeurs", die hinter der Protestbewegung stehen. In Jordanien suggerierte KönigAbdallah II. mit der Auswechslung von Führungspersonal und kosmetischen Verfassungsänderungengegenüber den städtischen Mittel- und Oberschichten sowie westlichen Unterstützern USA und EU "Reformfähigkeit". Aufgrund dieses Reformdiskurses und mehr noch wegen ihrer pro-westlichenGrundausrichtung und geostrategischen Bedeutung können sich Marokko und Jordanien weiterhinüppiger finanzieller Unterstützung sicher sein. Auch der auf Initiative Saudi-Arabiens im Mai 2011gestellte Aufnahmeantrag der beiden Länder in den Golfkooperationsrat, dem bislang nur die sechsarabischen Monarchien am Persischen Golf angehören, dürfte sich bei positivem Bescheid finanzielllukrativ und stabilisierend auswirken.

Mittelfristig können die Monarchien in Jordanien und Marokko allerdings nicht als konsolidiert gelten,da ihr Krisenmanagement die sozio-ökonomischen Strukturprobleme von Massenarbeitslosigkeit,ländlicher Unterentwicklung und Perspektivlosigkeit der Jugend nur punktuell und ansatzweise berührt.

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Erst wenn es zu einem grundlegenderen Politikwechsel kommt, der die "soziale Frage" in denMittelpunkt stellt, dürften die Proteste nachlassen, zu denen es auch nach den Reformen durch dieRegime weiterhin kommt. Ob diese Option mit der bestehenden, fast ausschließlich auf den Königzugeschnittenen Form des monarchischen Autoritarismus vereinbar ist, darf jedoch bezweifelt werden.

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Syriens langer Weg an den Rand des AbgrundsVon Heiko Wimmen 24.10.2011Heiko Wimmen ist Promotionsstipendiat in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft undPolitik in Berlin. Von 2004-2009 war er Programm Manager und Stellvertretender Direktor im Regionalbüro Mittlerer Osten derHeinrich Böll-Stiftung.

Als Mitte März eine Gruppe von Schulkindern verhaftet wurde, kam es in der syrischen StadtDeraa zu Demonstrationen. Die Protestwelle breitet sich seitdem aus. Das seit fünf Jahrzehntenherrschende Baath-Regime kündigte einen Reformprozess an – reagierte aber mit Gewalt undVerfolgung.

Unter dem Eindruck der Protestbewegungen in Nordafrika kam es bereits Ende Januar 2011 zu erstenAnzeichen von Widerstand gegen das seit fünf Jahrzehnten herrschende syrische Baath-Regime.Ähnlich wie in Tunesien begannen diese Proteste zunächst an der Peripherie des Landes, wo diesozialen Kosten der begrenzten Wirtschaftsreformen der vergangenen Dekade besonders fühlbar sind.

Mitte März 2011 führte die Verhaftung einer Gruppe von Schulkindern, die in Graffitis den "Sturz desRegimes" gefordert hatten, zu Demonstrationen in der südwestlichen Provinzhauptstadt Deraa, dielokale Vertreter des Regimes mit brutalen Einsätzen des Militärs und regimetreuer Milizenniederzuschlagen versuchten. Die Welle zunächst weitgehend friedlicher Proteste und gewaltsamerRepression erfasste schnell eine Reihe weiterer Provinzstädte sowie das Umland der HauptstadtDamaskus, und erreichte im Sommer die zentralen Großstädte Hama und Homs. Das syrische Regimehat damit wenigstens zeitweise die Kontrolle über eine Reihe von über das ganze Land verteiltenBrennpunkten sowie die Loyalität eines erheblichen Teils der Bevölkerung verloren und war bis EndeOktober 2011 nicht in der Lage, die Proteste zu unterdrücken.

Die Fortdauer der Gewalt – Schätzungen der VN sprechen von mehr als 3000 Toten – und die massiveVerfolgung wirklicher und vermeintlicher Regimegegner untergraben auch die Glaubwürdigkeit desseit Beginn der Krise durch Präsident Baschar Al-Assad offiziell verkündeten "Reformprozesses".Ohnehin deuten zahlreiche Bestimmungen der bislang verabschiedeten Reformgesetze (wie etwa dasWahl- und Parteiengesetz) darauf hin, dass die Baath-Partei und der Assad-Clan nicht bereit sind,sich auf demokratische Rechenschaft und einen echten politischen Wettbewerb einzulassen.

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Profil der Widerstandsbewegung

Ein weitgehendes Einreiseverbot für ausländische Journalisten und die völlig einseitigeBerichterstattung der syrischen Medien – in deren Darstellung die Demonstrationen das Werkbewaffneter, aus dem Ausland gesteuerter islamistischer "Banden" sind -, erschweren einezuverlässige Bewertung der Situation. Aus den Berichten der wenigen Reporter, die jenseits staatlicherKontrolle die Ereignisse begleitet haben, sowie durch Internet-Foren und Diskussionen mit Aktivistenlässt sich jedoch ein ungefähres Profil der Widerstandsbewegung gewinnen.

Die Organisatoren der Proteste sind überwiegend jung – in ihren frühen und mittleren Zwanzigern.Geprägt von der dramatischen Zunahme der Informationsmöglichkeiten ist diese Generation nichtlänger bereit, die alltäglichen Demütigungen und Frustrationen zu ertragen, die mitGeheimdienstherrschaft und systemischer Korruption einhergehen. Diese gemeinsame Erfahrung unddie jetzt erlebte Solidarität gegen gewaltsame Repression erlaubt auch Bündnisse über soziale undkulturelle Grenzen hinweg, etwa zwischen säkularen Aktivisten und solchen mit religiös geprägterMotivation, oder zwischen gut ausbildeten, urban sozialisierten Jugendlichen und solchen, die ausbenachteiligten Schichten stammen.

Nur in sehr begrenztem Umfang gelingt dagegen die Überwindung religiös-konfessioneller Grenzen.Religiöse Minderheiten, aber auch säkular und liberal orientierte Muslime fürchten einen wachsendenEinfluss religiöser Kräfte nach einem Sturz des nominell säkularen Baath-Regimes. Das gilt besondersfür die alawitische Religionsgemeinschaft, der auch der Präsident selbst angehört. Schon unterBaschars Vater Hafis Al-Assad hatte das Regime zur Sicherung seiner Herrschaft bevorzugt aufAlawiten und oft sogar auf engste Verwandte zurückgegriffen. Entsprechend ist die alawitischeMinderheit (ca. 10 % Prozent der Bevölkerung) heute unter den Stützen und Nutznießern des Regimesweit überrepräsentiert und fürchten auch viele Alawiten, die sich nicht mit dem Regime identifizieren,Racheakte der sunnitischen Mehrheit. Geschürt wurden solche Ängste Ende September durchMordanschläge auf Alawiten in der religiös gemischten Region Homs.

In den Augen der Widerstandsbewegung steckt hinter diesen und anderen Gewalttaten das Regimeselbst, in der Absicht, durch eine gezielte Beschwörung der "islamistischen Gefahr" die eigene Strategieder kompromisslosen Repression zu legitimieren und einen möglichst großen Teil der Bevölkerung ansich zu binden. Verschiedene unabhängige Berichte deuten allerdings darauf hin, dass zumindest ineinigen Fällen tatsächlich bewaffnete Gruppen mit islamistischer Orientierung inmitten der großenMehrheit friedlicher Demonstranten operiert und systematisch auf eine Eskalation der Gewalthingearbeitet haben.

Trotz aktiver Werbung um das Vertrauen der anderen Bevölkerungsgruppen wird dieWiderstandsbewegung damit vornehmlich von der sunnitisch-arabischen Bevölkerungsmehrheit (ca.65 %) getragen. Selbst die mehrheitlich sunnitische kurdische Minderheit in Syrien (ca. 10 %), in derVergangenheit oft selbst Opfer brutaler Repression, hat bislang mehrheitlich Distanz gewahrt und siehtin der auf "nationale Einheit" ausgerichteten Rhetorik der Widerstandsbewegung wenig Raum für dieangestrebte kultureller Autonomie. Der Einfluss der – traditionell eng mit dem syrischen Regimeverbundenen – "Kurdischen Arbeiterpartei" (PKK) mag hier ebenfalls eine Rolle spielen.

Auch unter den Kurden scheint sich jedoch an dieser Stelle eine Kluft zwischen den politischenOrganisationen und der eigenen Jugend aufzutun. Die Ermordung des führenden kurdischenOppositionellen Mish´al Temmo Anfang Oktober könnte einen Wendepunkt in der kurdischen Positionmarkieren. Bis in den Spätsommer hinein hat die Bewegung weitgehend gewaltlos agiert. Angesichtsder fortdauernden Repression und der ständig steigenden Opferzahlen werden die Forderungen nachBewaffnung jedoch lauter. Übergelaufene Armeeeinheiten haben sich zu einer sogenannten "Freiensyrischen Armee" zusammengeschlossen und lieferten sich Anfang Oktober 2011 Feuergefechte mitloyalen Truppen in der Region Homs. Sie können jedoch bislang offensichtlich keinen nachhaltigenWiderstand gegen reguläre Truppen leisten oder gar Territorium dauerhaft verteidigen.

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Wachsende soziale Ungleichheit, hohe Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen wurden schließlich inder Anfangsphase der Bewegung oft als Triebfeder der Proteste genannt. Relativer Wohlstand, meisterlangt durch Zugang zu den durch das Regime etablierten Netzwerken von Korruption undVorteilsvergabe, wird umgekehrt als Grund vermutet, warum große Teile der als privilegiertangesehenen Bevölkerung in der Hauptstadt Damaskus und der Wirtschaftsmetropole Aleppo demRegime bislang die Treue halten. In größeren und mittleren Städten wie Homs, Hama, Idlib und DeirEl-Zor hat die Dynamik der Proteste und die zunehmende Willkür der staatlichen Vergeltungsschlägeallerdings solchen Überlegungen längst den Boden entzogen.

Gespräche mit Syrern deuten darauf hin, dass vor allem die durch das Regime gezielt geschürte Furchtvor Instabilität und Chaos einer der wesentlichen Beweggründe für die "schweigende Mehrheit" dersyrischen Bevölkerung ist, sich nicht gegen das wenig geliebte, aber immerhin bekannte und damithalbwegs berechenbare Regime zu stellen. Die Erfahrungen in den unmittelbaren NachbarländernLibanon und Irak legen nahe, dass ein Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung bis hin zu einemBürgerkrieg vor allem diejenigen treffen wird, die sich nicht militant organisieren können – geographischverstreut lebende Minderheiten, aber auch Frauen und die gebildete Mittelklasse. Diese Furcht verliertallerdings überall dort ihre Wirkung, wo immer deutlicher das Regime selbst als größte Gefahr für einAbgleiten ins Chaos erkennbar wird – und bewegt auch diejenigen zum Umdenken, für die persönlicheInteressen oder schlicht die Sicherheit der eigenen Familie die höchste Priorität ist.

Die syrische Opposition

Fünf Jahrzehnte totalitäre Herrschaft und oftmals brutale Repression haben wenig Raum für dieEntwicklung einer organisierten Opposition gelassen. Mit Ausnahme einiger kurdischer Organisationenführen oppositionelle Parteien in Syrien ein Schattendasein ohne echtes Potential zu politischerMobilisierung. Außerhalb des Landes ist die syrische Muslimbruderschaft die bei weitem größte undam besten organisierte politische Organisation. Ob dem jedoch auch eine nennenswerte Gefolgschaftim Syrien selbst entspricht bleibt unklar, nicht zuletzt, weil Mitgliedschaft in der Organisation mit derTodesstrafe bedroht wird. Im Kontrast dazu hat sich die nun aktive Widerstandsbewegung bereits nachkurzer Zeit in lokalen sogenannten "Koordinationskommittees" organisiert. Zwar haben sich diesemittlerweile landesweit vernetzt, allem Anschein nach sind daraus aber bislang keine Strukturenentstanden, die zu verbindlichen Entscheidungen jenseits der Organisation von Protesten in der Lagesind.

Bemühungen zur Bildung einer gemeinsamen Plattform, auf der die "traditionelle" Opposition im In-und Ausland mit Vertretern der Koordinationskommittees zusammengeführt werden sollten, wurdenbereits seit Juni 2011 unternommen und führten schließlich Ende September zur Etablierung des "Syrischen Nationalrats" in Istanbul. Differenzen existieren jedoch weiterhin über die zentrale Frage,ob und in welcher Form im Kampf gegen das Assad-Regime ausländische Unterstützung gesuchtwerden soll. Während ein zunehmend größerer Teil der Opposition keine Alternative zu einem solchenKurs sieht, fürchtet eine noch immer signifikante Fraktion eine weitere Eskalation bis hin zu einemBürgerkrieg mit anschließender ausländischer Besatzung.

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Staatszerfall bewirkt keinen Regimewechsel

Wirtschaftssanktionen und die damit verbundenen geschäftlichen Nachteile, so die Hoffnung syrischerOppositioneller und westlicher Diplomaten, könnten Teile der syrischen Wirtschaftselite dazu bewegen,Druck auf die politische Führung auszuüben oder ihr gar die Unterstützung zu entziehen. Dass dieSanktionen Wirkung zeigen wurde spätestens Ende September deutlich, als das syrischeWirtschaftsministerium nahezu zeitgleich mit einer neuen Runde europäischer Strafmaßnahmen einweitgehendes Verbot für den Import ausländischer Konsumgüter verhängte, um so den erwartetenRückgang der Exporterlöse auszugleichen. Nur eine Woche später wurde diese Entscheidung nachmassiver Kritik aus der Wirtschaft wieder zurückgenommen – ohne dass jedoch klar ist, aus welchenQuellen mittelfristig diese Importe bezahlt werden sollen. Wie dieses Beispiel belegt verfügenökonomische Akteure sehr wohl über direkten Einfluss auf politische Entscheidungen – den sie bislangjedoch allein dafür einsetzen, Schaden von ihren eigenen Interessen abzuwenden und nicht um einegrundlegende Kurskorrektur zu bewirken.

Erfahrungen mit den Effekten von Sanktionen auf totalitäre Herrschaft – etwa im Falle des Irak unterSaddam Hussein – nähren darüber hinaus Zweifel, ob die Sanktionen tatsächlich die Position desRegimes schwächen werden. Wenigstens genauso wahrscheinlich erscheint, dass eine sichverschärfende Mangelwirtschaft all denjenigen zugutekommt, die mit Hilfe politischer undgeheimdienstlicher Begünstigung privilegierten Zugang zu knappen Gütern genießen. Das würdebedeuten, dass immer größere Teile der Bevölkerung für ihr bloßes – wirtschaftliches oder garphysisches – Überleben noch mehr als zuvor von den Machtstrukturen des Regimes abhängig werden.Wenn, wie zu erwarten, dem syrischen Regime bald das Geld zur Bezahlung seiner Soldaten undSchlägertrupps ausgehen sollte, werden diese "Sicherheitskräfte" sich früher oder später an der ihnenzunehmend schutzlos ausgelieferten Bevölkerung schadlos halten – mit der Folge einer weiterenZunahme von Rechtlosigkeit und Willkür.

Zu befürchten ist damit ein gradueller Zerfall der – ohnehin durch Korruption und Unterfinanzierungausgehöhlten – Institutionen des syrischen Staates und eine zunehmende Brutalisierung derGesellschaft, deren einzelne Elemente erbittert um Zugang zu den Machtstrukturen und damit zuknappen Ressourcen ringen. Deutlich unwahrscheinlicher erscheint dagegen die erhoffteHerausbildung einer Anti-Assad-Koalition von Kräften innerhalb des Regimes, des Militärs und derWirtschaftseliten. Denn dem steht zum einen ein nach wie vor effizienter Überwachungsapparatentgegen, zum anderen können solche Kräfte kaum hoffen, dass sie einen Machtwechsel unbeschadetüberstehen würden.

Kein Weg aus der Sackgasse?

Acht Monate nach Beginn der Unruhen in Syrien sind keine Anzeichen erkennbar, die auf einen baldigenZusammenbruch des Assad-Regimes schließen lassen. Ebenso wenig gibt es Grund für die Annahme,dass der auch von engen Verbündeten Syriens wie Russland und dem Iran eingeforderte "Reformkurs" Baschar Al-Assads zu glaubhaftem Wandel führen kann. Schon allein die Verwicklung weiter Teileder politischen Elite in die massiven Menschenrechtsverletzungen der letzten Monate lässt es alsausgeschlossen erscheinen, dass das herrschende Regime sich auf einen Prozess einlassen wird,an dessen Ende ihm – wie jetzt in Ägypten und Tunesien geschehen – Rechenschaft abverlangt werdenkönnte. Schließlich kann kaum erwartet werden, dass ein nennenswerter Teil der syrischen Oppositionsich dazu bereitfinden wird, einen solchen Prozess durch seine Beteiligung zu legitimieren.

Die syrische Opposition, aber auch externe Akteure wie Deutschland, die EU und die USA stehendamit vor einem Dilemma. Eindeutig erscheint, dass auch schmerzhafte Strafmaßnahmen,internationale Ächtung und begrenzte militärische Schritte – wie etwa eine Flugverbotszone - dassyrische Regime nicht von seinem Kurs abbringen werden. Dagegen erscheint eine direkte und massivemilitärische Intervention in Syrien nach wie vor ausgeschlossen – nicht nur wegen des zu erwartendenrussischen und chinesischen Vetos im Weltsicherheitsrat, sondern auch weil nicht anzunehmen ist,dass ausländische Akteure bereit sein werden, die damit verbunden Kosten und Risiken auf sich zu

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nehmen. Einmal mehr muss damit die Internationale Gemeinschaft erkennen, dass die Wirkunghumanitärer Normen gegenüber militärisch hoch gerüsteten und gewaltbereiten Regimen begrenzt.

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Ursachen und Folgen16.1.2012

Die Umbrüche in der arabischen Welt haben nicht nur Folgen für die jeweiligen Länder. Sie sind auchin geostrategischer Perspektive von entscheidender Bedeutung. So strebt beispielsweise die Türkei,die sich schon vorher als neue Regionalmacht positioniert hat, nach einer Vormachtstellung. IhrSelbstbewußtsein kam dabei primär in der Kritik an Israel, an den USA und an Europa zum Ausdruck.Der Iran muss hingegen darum fürchten, seinen Einfluss in der Region zu verlieren. Und auch derNahost-Konflikt erscheint im Zuge der Umbrüche in neuem Licht. Israel hat wichtige Partner verlorenund ist in der Region so isoliert wie seit Langem nicht mehr.

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Der Arabische Frühling und der israelisch-arabischeKonfliktGefährliche Zuspitzung im MittelmeerraumVon Dr. Muriel Asseburg 12.10.2011ist seit Oktober 2006 Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik(SWP).

Mit den Umbrüchen in der Region hat Israel nicht nur geopolitische Partner verloren. Dieinnenpolitische Zuspitzung in Staaten der Region, insbesondere in Syrien, könnte denNahostkonflikt sogar weiter verschärfen. Muriel Asseburg erklärt, warum.

Die Proteste, Aufstände und Rebellionen in der arabischen Welt bringen in allererster Linieinnenpolitische und sozioökonomische Forderungen zum Ausdruck. Der israelisch-arabische Konflikthat hingegen keine bedeutende Rolle bei den Demonstrationen gespielt. Damit bestimmten auchbrennende israelische und amerikanische Flaggen nicht das Bild. Längerfristig könnten die Umbrüchein der Region dazu führen, dass Frieden im Nahen Osten nicht nur ein Geschäft zwischen denpolitischen Führungen ist, sondern auch von den Bevölkerungen mitgetragen wird. Kurz- bis mittelfristigsieht es allerdings so aus, als ob sie kein Momentum entfalten, das eine Friedensregelung zwischenIsrael und seinen arabischen Nachbarn befördern würde.

Ganz im Gegenteil: Die Situation im östlichen Mittelmeerraum hat sich seit Anfang 2011 deutlichzugespitzt. Dabei sind die Auswirkungen des Arabischen Frühlings im Zusammenwirken mit demStillstand im Nahostfriedensprozess die entscheidenden Faktoren. In Folge ist Israel in der Regionisoliert wie seit Langem nicht mehr, und seine Beziehungen zu den Nachbarn sind extrem angespannt.Dies birgt auch die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation.

Israel verliert seine Partner

Die Umbrüche in der arabischen Welt haben insbesondere vier Auswirkungen auf dieKonfliktkonstellation im Nahen Osten. Erstens hat Israel auf Regierungsebene weitere Partner in derRegion verloren und ist dort zunehmend isoliert. In Folge des Gaza-Krieges zur Jahreswende2008/2009 und der Flotilla-Affäre im Mai 2010 war Israels strategische Allianz mit der Türkei bereitsdeutlich angegriffen. Das Verhältnis spitzte sich über die Veröffentlichung des Berichts einer von denVereinten Nationen eingesetzten Kommission (sog. Palmer Report) zur Untersuchung der AffäreAnfang September 2011 weiter zu. Israel verweigerte nach wie vor eine Entschuldigung für den Todder neun türkischen Aktivisten. Die Türkei wies den israelischen Botschafter aus, kündigte sämtlicheMilitärabkommen und kündigte an, in Zukunft im östlichen Mittelmeer militärisch stärker präsent seinzu wollen.

Dabei ist die drastische Reaktion des türkischen Premiers nicht nur vor dem Hintergrund politischerund wirtschaftlicher Ambitionen der Türkei in der arabischen Welt zu sehen. Vielmehr geht es auchum den Streit über exklusive Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer. In Folge ist die Allianz mit derTürkei, bislang Israels einzig strategischer und zunehmend einflussreicher Partner in der Region,zutiefst zerrüttet.

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Zudem hat Israel mit dem Ende der Mubarak-Ära im Februar 2011 einen der wichtigsten undzuverlässigsten arabischen Partner verloren. Seit der Formierung der ägyptischenÜbergangsregierung hat es bereits eine beträchtliche Verschlechterung im bilateralen Verhältnisgegeben. Nicht nur sind die ägyptischen Gaslieferungen an Israel, die bislang rund 40% des dortigenBedarfs deckten, infolge von Anschlägen auf die Pipelines im Sinai immer wieder ausgefallen. Auchhat die Übergangsregierung angekündigt, Kooperationsabkommen (insbesondere über die QualifyingIndustrial Zones (QIZ) und Gaslieferungen) mit Tel Aviv neu verhandeln zu wollen. Die Militärregierungdistanzierte sich zudem unter dem Druck der Öffentlichkeit von der bisherigen israelisch-ägyptischenKooperation in Bezug auf die Blockade des Gaza-Streifens. De facto wurde die Blockade mit derÖffnung des Personenübergangs in Rafah durch Ägypten Ende Mai 2011 jedoch nur leicht gelockert,sie besteht aber grundsätzlich fort.

Selbst die Schwächung des Asad-Regimes durch die syrische Aufstandsbewegung erweist sich alsproblematisch für Israel. Zwar sind die beiden Staaten offiziell nach wie vor im Kriegszustand undSyrien hat unter Bashar al-Asad in den letzten Jahren seine Allianz mit dem Iran sowie seine Rhetorikals Vorkämpfer gegen israelische und amerikanische Ordnungspläne für die Region ausgebaut undmilitante Bewegungen, insbesondere Hamas und Hisbollah, unterstützt. Dennoch hat sich Syrien alszuverlässig erwiesen, was die Sicherung der israelisch-syrischen Grenze angeht. Diese hat Syriennun fast vierzig Jahre lang (seit dem Krieg 1973) ruhig gehalten. In den letzten Jahren hat es zudemmit Israel zumindest insofern kooperiert, als es Exporte von den besetzen Golanhöhen nach Syrienzugelassen hat. Eine Zuspitzung der Konfrontation zwischen Protestbewegung und Regime in Syrienbirgt die Gefahr massiver destabilisierende Rückwirkungen – freilich nicht nur für Israel, sondern auchfür Syriens andere Nachbarn, insbesondere den Libanon.

Der Einfluss der Bevölkerungen nimmt zu

Zweitens hat der Einfluss der Bevölkerungen auf die regionalen Beziehungen zugenommen bzw. hatsich der außenpolitische Handlungsspielraum der arabischen Führungen verengt. Zwar bringen dieProteste in der arabischen Welt in allererster Linie innenpolitische und sozioökonomische Forderungenzum Ausdruck. Ebenso sind die arabischen Bevölkerungen nicht mehr länger bereit, innenpolitischeRepression mit Verweis auf den israelisch-arabischen Konflikt hinzunehmen bzw. sich durch ihn vonden Missständen im eigenen Land ablenken zu lassen.

Allerdings: Es hat zwischen Israel und seinen Nachbarn keinen warmen Frieden und damit auch keine "Normalisierung" der Beziehungen auf der gesellschaftlichen Ebene gegeben. Eine solche Annäherungwird von den arabischen Bevölkerungen ganz überwiegend abgelehnt, solange die israelischeBesetzung arabischer Territorien andauert. Daher ist die Zunahme des Einflusses der Bevölkerungenauf die regionalen Beziehungen zunächst ein Problem für Israel. Denn repräsentativere und inklusivereRegierungen werden ihre Politik stärker an der Mehrheitsmeinung in ihrem Land ausrichten müssenstatt an dem, was externe Akteure wie die USA diktieren oder was lediglich Regimeeliten nützt. Dochauch diejenigen Regime, die nicht bereit sind, mehr Partizipation zuzulassen, werden sich in derjetzigen Situation vor unpopulären Schritten hüten.

Daher wird keine arabische Regierung in der jetzigen Situation mit Friedensinitiativen auf IsraelsRegierung zugehen oder sich auf Israels Seite positionieren wollen. Letzteres gilt auch für dieVerhinderung von Demonstrationen und Märschen auf Israels Grenzen. Hier ist zu erwarten, dass sichIsraels Nachbarn, falls solche Demonstrationen künftig zunehmen sollten, ungern als Grenzschützereinspannen lassen. Im Gegenteil: Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischemMilitär an Israels Außengrenzen könnten für die Regime in der Region als willkommene Ablenkungvon ihren internen Problemen gesehen werden – wie es an der syrisch-israelischen Grenze bereitsam 5. Juni 2011 der Fall war. Und die Eskalation der Rhetorik zwischen Israel und Ägypten – in Folgeder Tötung von fünf ägyptischen Grenzsoldaten und der Stürmung und Belagerung der israelischenBotschaft in Kairo – birgt durchaus die Gefahr weiterer ernsthafter Krisen sowie einer Erosion des

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israelisch-ägyptischen Friedensabkommens. Dazu dürfte auch die fragile Sicherheitssituation im Sinaibeitragen.

Israels Regierung verpasst die Chance, die Beziehungen zu seinenNachbarn neu zu gestalten

Vor diesem Hintergrund ist drittens das Wagenburg-Denken der israelischen Regierung weiter verstärktworden. Die Koalition unter Premierminister Benjamin Netanjahu hat sich durch die Umbrüche in derRegion, die Stärkung des Einflusses der Hisbollah im Libanon, das iranische Atomprogramm gekoppeltmit der Perzeption eines gestiegenen iranischen Einfluss in der Region in ihrer Haltung bestärktgesehen, dass die Zeit nicht reif sei, für Friedensinitiativen oder um Frieden zu schließen – wie esdurchaus von Teilen der israelischen Linken, der Opposition des Zentrums (Kadima) sowie selbst ausdem Sicherheitsestablishment gefordert wird. Stattdessen hat die Regierung sich auf den Ausbau desmilitärischen Vorsprungs gegenüber den arabischen Nachbarn und dem Iran sowie eine Kampagnezur Verhinderung der Aufnahme Palästinas in die Vereinten Nationen konzentriert.

Im Sommer 2011 wurde die israelische Regierung innenpolitisch durch eine landesweiteProtestbewegung herausgefordert. Allerdings ging es den Protestierenden in allererster Linie umsoziale Gerechtigkeit, bezahlbaren Wohnraum und angemessene Lebenshaltungskosten – immerhinist Israel nach den USA das Land innerhalb der OECD, in dem die Einkommensunterschiede amgrößten sind. Und auch wenn die jungen Israelis durchaus durch den Arabischen Frühling inspiriertwaren, wie viele ihrer Plakate zeigten: weder stellte die israelische Protestbewegung denZusammenhang zwischen staatlichen Ausgaben für Bildung und Soziales auf der einen und den Kostenvon Besatzung und einer Politik militärischer Stärke auf der anderen Seite her, noch ermutigte sie ihreFührung, auf die arabischen Nachbarn zuzugehen. Letztlich bemühte sich die israelische Regierungnicht ernsthaft darum, den Umbruch zu nutzen, um auch ihre Beziehungen zu den sich neuformierenden arabischen Gesellschaften auf eine neue Grundlage zu stellen.

Palästinensisches Machtteilungsabkommen und der Weg vor dieVereinten Nationen

Viertens brachte der Arabische Frühling Bewegung in die Überwindung der innerpalästinensischenSpaltung. Anfang Mai 2011 unterzeichneten die beiden größten palästinensischen Gruppierungen,Hamas und Fatah, sowie kleinere PLO-Fraktionen nach etlichen gescheiterten Vermittlungsversuchenin Kairo ein entsprechendes Machtteilungsabkommen. Dieses spiegelte unter anderem die Einsichtder Führungen in Ramallah und Gaza-Stadt (bzw. Damaskus) wider, dass die Bevölkerungen in derWest Bank und im Gaza-Streifen nicht länger willens waren, die Unversöhnlichkeit der Kontrahentenund die Verfestigung zweier zunehmend autoritärer Systeme zu akzeptieren. Denn im Zentrum derdortigen Bürgerproteste Mitte März stand nicht, wie in anderen arabischen Staaten, die Forderungnach einem Sturz des Regimes, sondern nach einer Überwindung der innerpalästinensischenSpaltung. Diese Forderung kommt auch seit Jahren konsistent in Meinungsumfragen als eine derPrioritäten der Palästinenserinnen und Palästinenser zum Ausdruck.

Zudem hatten die Umwälzungen in der arabischen Welt auch indirekten Einfluss auf die beidenKontrahenten. Denn die regionalen Hauptverbündeten der beiden Gruppierungen waren geschwächtbzw. weggefallen: Das syrische Regime, der Hauptsponsor der Hamas, wankte und das Mubarak-Regime, der Hauptunterstützer der Fatah, war bereits abgelöst. Das Abkommen selbst war auch dasErgebnis einer zumindest vorübergehend unabhängigeren, selbstbewussteren und konstruktiverenägyptischen Außenpolitik – die weder eine der palästinensischen Gruppierungen bevorzugte noch US-amerikanische bzw. israelische Bedenken vornan stellte.

Zum Machtteilungsabkommen trug zudem der mangelnde Fortschritt im nahöstlichen Friedensprozessbei. Bereits seit dem Ende des ohnehin nur teilweisen israelischen Siedlungsbaumoratoriums im

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September 2010 hatten keine bilateralen Verhandlungen mehr stattgefunden. Die Obama-Reden zurarabischen Welt und zum Nahen Osten im State Departement und vor der AIPAC-Konferenz (American-Israel Public Affairs Committee) sowie die Rede Benjamin Netanjahus vor beiden Häusern des US-Kongresses (alle im Mai 2011) wurden in Israel im Sinne einer Bestätigung der unverbrüchlichenisraelisch-amerikanischen Freundschaft ganz überwiegend willkommen geheißen. Bei denPalästinensern wurde zwar positiv aufgenommen, dass Präsident Barack Obama auf zwei Staatenauf Basis der Grenzen von 1967 und einem vereinbartem Landtausch beharrte. Aber diepalästinensische Führung sah die Reden als Beleg, dass auch in Zukunft von der US-Administrationkeine aktive, konsistente und ausgewogene Vermittlung im Nahostkonflikt zu erwarten und dass mitder Netanjahu-Regierung eine verhandelte Friedensregelung unmöglich sei.

Sie konzentrierte ihre politischen Aktivitäten folglich darauf, über eine Vollmitgliedschaft in denVereinten Nationen internationale Unterstützung zu generieren und die eigene Verhandlungspositionzu verbessern. Dabei konnte sie sich zwar auf breite internationale Empathie sowie die Anerkennungder Fortschritte bei der Staats- und Institutionenbildung durch internationale Organisationen (IWF,Weltbank, VN) stützen. Allerdings war auch klar, dass eine Vollmitgliedschaft schon aufgrundmangelnder Unterstützung bzw. des angekündigten US-Vetos im Sicherheitsrat zum jetzigen Zeitpunktnicht zu erreichen war.

Ausblick

Das Zusammenwirken der Umbrüche in der Region mit dem Stillstand im Nahostfriedensprozess hatdazu geführt, dass sich der israelisch-arabische Konflikt weiter zugespitzt hat und von den israelisch-türkischen Spannungen überlagert wird. Israel ist nicht nur in der Region sondern auch internationalzunehmend isoliert, sieht man von der Unterstützung der USA und der Europäer ab. Die innenpolitischeZuspitzung in Staaten der Region, insbesondere in Syrien, könnte sich weiter konfliktverschärfendauswirkend. Nachdem es nicht gelungen ist, die palästinensische VN-Initiative konstruktiv zu wendenund damit eine konkrete Perspektive für ein Ende der israelischen Besatzung und palästinensischeUnabhängigkeit zu schaffen, ist auch das Risiko einer dritten Intifada gegeben. Diese könnte, selbstwenn sie in Form eines "zivilen Widerstands" begänne, schnell gewaltsam eskalieren – bis hin zueinem Krieg, der auch andere Nachbarstaaten Israels involviert. Eine solche Eskalation aber hättenegative Rückwirkungen nicht nur für den Umbau und die Stabilisierung freierer und partizipativerpolitischer Ordnungen in den Nachbarstaaten Israels sondern auch für die Beziehungen des Westenszu den Staaten der Region.

Die USA und die Europäer haben durch ihre Haltung in der Palästina-Frage, die in krassem Gegensatzzur beschworenen Unterstützung der arabischen Freiheitsbewegungen steht, schon jetzt weiter anGlaubwürdigkeit in der Region verloren. Ende September 2011 hat das sogenannte Nahost-Quartett(USA, EU, Russland und VN) israelisch-palästinensische Verhandlungen vorgeschlagen, die bis Ende2012 abgeschlossen werden sollen. Dies stellt die Europäer, angesichts des in den USA einsetzendenVorwahlkampfes, vor die Herausforderung, die Initiative zu ergreifen und Handlungsfähigkeit zubeweisen – wenn es ihnen denn ernst damit ist, ein endgültiges Aus für eine Zweistaatenregelung undeine regionale Konfliktregelung zu verhindern.

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Literaturhinweise

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Muriel Asseburg, Fatah-Hamas-Abkommen. Ein wichtiger Schritt zu einer Zwei-Staaten-Regelung,Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 4. Mai 2011 (Kurz gesagt) (http://www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt/fatah-hamas-abkommenzwei-staaten-regelung-in-nahost.html)

Giora Eiland, The Upheavals in the Middle East and Israel's Security, in: Strategic Assessment, 14(Juli 2011) 2, S. 7-14 (http://www.inss.org.il/upload/(FILE)1311766766.pdf)

Yaël Lerer, "Tel Aviv Rothschild-Boulevard. Israels Protestbewegung hat viel nachzuholen", in: LeMonde Diplomatique, 9. September 2011 (http://www.monde-diplomatique.de/pm/2011/09/09.mondeText1.artikel,a0041.idx,8)

Günter Seufert, Die Türkei auf Konfrontationskurs, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 19.September 2011 (Kurz gesagt) (http://www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt/die-tuerkei-im-mittelmeer.html)

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Die Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf dieregionale Rolle TeheransVon Dr. Walter Posch 2.11.2011ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.

Die arabischen Umbrüche haben den Einfluss Teherans in der Region verändert. Kämpftenfrüher vor allem Iran und Saudi-Arabien um regionalpolitische Hegemonie, tritt nun inzunehmenden Maße die Türkei in Erscheinung. Welche Rolle kann Teheran künftig spielen?

Die offiziellen iranischen Reaktionen auf den Ausbruch des Arabischen Frühlings, der Teheran genausoüberraschte wie den Westen, waren durchwegs positiv. Nach Teheraner Lesart bestätigen die Protesteund Aufstände in der arabischen Welt die eigene islamische Revolution von 1979, die alsErweckungsmoment für alle islamisch inspirierten Bewegungen der Welt aufgefasst wird. Allerdings:Im Gegensatz zur iranischen Revolution von 1979 spielten bei den Protesten des Jahres 2011Antiimperialismus und der Kampf gegen Israel keine Rolle. Die Kooperation mit dem Westen wurdesowohl in Ägypten als auch in Tunesien nach dem Umbruch weiter fortgeführt. Dieser Sachverhaltwurde in Teheran mit Sorge zur Kenntnis genommen, wie die zahlreichen iranischen Warnungenbelegen, die Revolutionen in diesen beiden Ländern könnten vom Westen manipuliert und verwässertwerden.

Auch die Vertreter der oppositionellen iranischen, sogenannten Grünen Bewegung wollten die Protestein den arabischen Staaten zur Untermauerung ihrer Sichtweise beanspruchen. Sie verglichen diesemit den Protesten des Jahres 2009 im Iran. Aber auch dieser Vergleich greift nicht ganz. Denn andersals in Tunesien und in Ägypten wandten sich die iranischen Protestierenden gegen einen umfassendenMacht- bzw. Regimewechsel; sie stellten die Rolle des Revolutionsführers nicht in Frage.

Die innenpolitischen Entwicklungen im Iran sind vom Arabischen Frühling nicht direkt betroffen. Anderssieht es jedoch mit der Stellung Irans in der Region vom Persischen Golf bis zur Levante (also denarabischen Staaten an der östlichen Mittelmeerküste) aus. Hier sind zum Teil bedeutendeVeränderungen zu erwarten.

Verschiebung der regionalen Machtbalance

Ein dreiviertel Jahr nach Beginn der Umbrüche in den arabischen Staaten zeichnet sich ab, dass diesedie strategischen Gewichte zuungunsten Irans verschoben haben. Das gilt nicht für die Position Iransim Irak und in Afghanistan. Denn dort dürfte der Einfluss der Islamischen Republik Iran dank derÖffnung beider Länder durch die US-geführten Interventionen langfristig, das heißt mindestens für diekommende Generation, gewährleistet sein. Doch in allen übrigen Arenen musste die IslamischeRepublik zum Teil gravierende Rückschläge hinnehmen. Teheran kann bestenfalls darauf hoffen, dassin Libyen, Tunesien, Jemen und Ägypten anti-westliche und pro-islamische Kräfte die Machtübernehmen und ihre Beziehungen zu Iran normalisieren.

Die größten Hoffnungen setzen die Iraner dabei auf Ägypten, das aus Teheraner Sicht seit Jahrzehntenreif für eine islamische Revolution ist. Das behutsame Auftauen der diplomatischen Eiszeit zwischenKairo und Teheran nach Ende der Mubarak-Ära wird als Vorbote einer möglichen strategischen Allianz

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gesehen. Daher stilisiert Teheran jeden Schritt, den Kairo in Richtung Normalisierung tut – wie zumBeispiel die Erlaubnis für iranische Kriegsschiffe, im Februar 2011 den Suezkanal zu passieren –,gleich zu einem großen strategischen Triumph hoch. Dabei wird Ägypten zwar auch in Zukunft Iranmit kleinen Gesten entgegenkommen, aber eben nur insoweit es seinen eigenen Interessen dient.Darüber hinaus dürfte eine aktivere Rolle Ägyptens in der Palästinafrage, wie sie sich zumindest unterdem ersten Nach-Mubarak-Außenminister abzuzeichnen schien, zwangsläufig zum BedeutungsverlustTeherans beitragen. Dieser würde noch weiter verstärkt, sollte es Ägypten gelingen, sich als arabische –und vielleicht auch als islamische – Macht mit Führungsanspruch auf der politische Bühne zu etablieren.

Besonders deutlich tritt die Verschiebung der Machtbalance im Verhältnis zu Saudi-Arabien zumVorschein. So liegt die Initiative im Konflikt zwischen den "revolutionären" Iranern und den "reaktionären" Saudis nun eindeutig auf Seiten letzterer. Denn mit der auf saudischen Druck hin erfolgten Interventiondes Golfkooperationsrats in Bahrain konnte Riad seinen Vormachtanspruch in der Golfregiongegenüber Teheran stärken. Diese Intervention ist der vorläufige Höhepunkt eines diplomatischen undpolitischen Maßnahmenbündels der Saudis, das die Verringerung iranischen Prestiges und dieEindämmung des Einflusses der Islamischen Republik zum Ziel hatte. So nahmen die Saudis, alsVerbündete Teherans die Wahlen im Irak (2005) und in den palästinensischen Gebieten (2006)gewannen, die vom jordanischen König Abdullah bereits 2004 ausgesprochene Warnung vor derEntstehung eines anti-westlichen "schiitischen Halbmondes" auf. Dieser Kampfbegriff sollte die vomIran dominierte Ablehnungsfront, die über den Irak bis ans Mittelmeer reicht und dort Syrien, dielibanesische Hisbollah und die palästinensische Hamas umfasst, bezeichnen und durch diekonfessionalistische Interpretation diskreditieren. Teherans Prestigegewinn wurde also negativbesetzt.

Im März 2011 wurde dann durch die von Saudi-Arabien angeführte Intervention verhindert, was alsAusweitung iranisch-schiitischen Einflusses auf Bahrain interpretiert wurde. Die Situation in Syrienwirkt sich gleich in mehrerer Hinsicht negativ für Teheran aus. Das säkulare Baath-Regime in Syrienist der wichtigste strategische Verbündete Irans. Seine Rolle in der Ablehnungsfront gegen Israel istfür Teheran auch ideologisch von Bedeutung. Ein zum Teil islamistisch inspirierter Aufstand gegen dasRegime steht im offenen Widerspruch zur Teheraner Weltsicht, wonach antiisraelische Regime in derRegion den Rückhalt der Bevölkerung genießen. Daraus erklärt sich die widersprüchlicheVorgehensweise der Iraner. So wurde die öffentliche Unterstützungserklärung für das Baath-Regimevon Revolutionsführer Ali Khamenei fast zeitgleich vom iranischen Außenminister und vom Präsidentenrelativiert.

Teheran sandte also konträre Signale aus, die das Regime in Damaskus irritierten, die syrischeOpposition nicht überzeugten und in der syrischen Bevölkerung auf Desinteresse stießen. Mit seinerursprünglich einseitigen Pro-Regime-Haltung nahm Teheran außerdem seinen wichtigsten regionalenVerbündeten, die libanesische Hisbollah, in die Pflicht und engte deren politischen Handlungsspielraumein. Das Resultat ist eine Politik in der Teheran allen Treueschwüren zum Trotz nun doch vorsichtigund schrittweise auf Distanz geht, gleichzeitig jedoch auf Reformen drängt und die logistische undfinanzielle Unterstützung für Damaskus aufrecht erhält.

Im Gegensatz dazu gewann die Türkei mit ihrer nachvollziehbaren und prinzipienfesten Position,energisch auf die Einhaltung der Menschenrechte und auf Reformen in Syrien zu drängen, nicht nurbei der syrischen Opposition, sondern auch international an Prestige – auch wenn sie letztlich nichtin der Lage war, die syrische Führung zum Einlenken zu bewegen. Dennoch ist zu erwarten, dassAnkaras regionale Position gestärkt wird. Denn sollte das Asad-Regime stürzen, würde die Positionder Türkei im regionalpolitischen Konkurrenzkampf mit Iran weiter gestärkt. Sollte das Regimeüberleben, so stünde Teheran doch nur auf Seiten einer isolierten und geschwächten Autokratie.

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Iranischer Führungsanspruch

Die Islamische Republik Iran steht mit ihrem regionalen Führungsanspruch in einemKonkurrenzverhältnis zu Saudi-Arabien – und in zunehmendem Maße zur Türkei. Der saudisch-iranische Gegensatz war jahrzehntelang der Hauptkonflikt, der die Golfregion zum Zentrum hatte undnach Afghanistan, in den Libanon und ab 2003 auch in den Irak hin ausstrahlte. Im Kern geht es dabeium zwei Fragen: erstens um den Führungsanspruch in der islamischen Welt und zweitens um dasAbstecken der jeweiligen politischen Einflusszonen.

Die Strategie der Islamischen Republik Iran, mit diesem Konkurrenzverhältnis umzugehen, beruht aufeiner ideologisch geprägten Überzeugung oder Vision, nach der die prowestlichen Regime der Regionentweder durch Wahlen oder durch Volksaufstände fallen werden. Neue islamisch geprägte Regime,die dem Volk und nicht dem Westen und Israel verpflichtet sind, würden dann die Macht ergreifen.Dadurch würden sich die geostrategischen Gewichte zugunsten Teherans verschieben, der Druck aufIsrael erhöhte sich und für die USA würde es schwieriger, ihre Präsenz in der Region zu rechtfertigen.Am Ende dieses Prozesses stünden der Abzug der USA und anderer fremder Mächte aus der Regionsowie eine "südafrikanische Lösung" für den israelisch-palästinensischen Konflikt, in der dieautochthone arabische Bevölkerung in Mandatspalästina den ihr zustehenden Anteil an der Machtbekäme. Dies würde zwangsläufig zum Ende der jüdischen Vorherrschaft in diesem Gebiet und damitzum Ende Israels führen. Gleichzeitig würde eine friedliche islamische Süd-Süd-Integration gefördert,in der Iran aufgrund seiner Bedeutung eine führende Rolle spielen würde.

Quasi in Vorwegnahme dieser strahlenden Zukunft stellt Iran den Führungsanspruch in der Region.So strebt Iran im Persischen Golf eine klassische nationalistisch geprägte Hegemonie an. Darüberhinaus versucht die Islamische Republik über ihre Unterstützung für die Sache der PalästinenserAnerkennung als Führungsmacht unter den Arabern zu erlangen und den strategischen Druck aufIsrael aufrecht zu erhalten bzw. zu erhöhen. Dem gleichen Ziel dient die Kooperation mit der Hisbollahund Syrien. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft (Irak, Irakisch-Kurdistan und Afghanistan) ist Iranbemüht zu verhindern, dass von dort gegen Teheraner Interessen vorgegangen wird. Das iranischeNuklearprogramm sowie die technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung derIslamischen Republik gemäß einer "20-Jahres-Strategie" dienen hauptsächlich dazu, diesenFührungsanspruch zu untermauern.

Damit aber betreibt Iran eine traditionelle Hegemonialpolitik, die im Widerspruch dazu steht, als Modellfür die arabische Welt dienen zu wollen. Und in der Tat: Nicht einmal die Aufständischen in Bahrainberiefen sich auf den Iran als Vorbild. Insgesamt hat nach den Protesten gegen die WahlAhmadinedschads im Jahr 2009 die Zustimmung für das iranische Regime unter jugendlichen Araberndramatisch abgenommen. Wenn junge Araber überhaupt nach einem politischen Vorbild suchen, dannwenden sie sich am ehesten in Richtung Türkei, nicht nach Teheran.

Ausblick

Generell ist also davon auszugehen, dass durch den Arabischen Frühling der Handlungsspielraumder Islamischen Republik eingeschränkt wird. Mittelfristig werden die iranischen Entscheidungsträgerdie Verschlechterung ihrer regionalen Position hinnehmen, obschon sie die neue Realität der eigenenÖffentlichkeit gegenüber herunterspielen, wie anlässlich der Bahrain-Intervention deutlich wurde.Gleichzeitig ist vor diesem Hintergrund eine Verhärtung der iranischen Position zu erwarten, etwa imAtomstreit oder im Irak. Die Absicht Teherans dürfte es vermutlich sein, auf Zeit zu spielen, um politischeFehler seiner Gegner ausnutzen zu können.

Teheran dürfte jedoch nur solange Zurückhaltung üben, wie es die Position der libanesischen Hisbollahund damit seine eigene Position in der Levante als gesichert beurteilt. Hierin liegt das größteGefahrenpotential: Sollte Syrien mit der libanesischen Hisbollah brechen und Teheran von seinenGegnern als schwach beurteilt werden, wird der internationale Druck auf die Hisbollah und ihreiranischen Unterstützer zunehmen. Realistischer Weise dürfte die Auseinandersetzung mit der

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Islamischen Republik unter der Schwelle eines Krieges ausgetragen werden. Zu erwarten ist eher eineKombination aus einer amerikanischen Isolierung Teherans, einer größeren regionalpolitischen Rolleder Türkei, einer Verhärtung der saudischen Position und israelischen Drucks auf die Hisbollah.

Teheran blickt dem mit einer gewissen Gelassenheit entgegen und versucht, sich diesem Druckentgegen zu stellen, indem es seine Kontakte zu sunnitischen Vertretern des politischen Islam in derganzen Region intensiviert. Dieser Schritt ist in zweierlei Hinsicht nachvollziehbar: zum einen, weilden Iranern keine politischen Alternativen offen stehen; zum anderen jedoch aufgrund der iranischenGewissheit, dass der politische Islam sich in der gesamten Region doch noch durchsetzen wird. Diestarke Konkurrenz von saudischer und türkischer Seite wird dabei in Kauf genommen. Die Europäerund die USA hingegen verschließen sich einem entsprechenden Dialog mit wichtigen islamistischenOrganisationen nach wie vor und werden deshalb, so hofft man in Teheran, auf mittlere bis längereSicht an Einfluss verlieren.

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Die Rolle der neuen Medien im Arabischen FrühlingVon Dr. Asiem El Difraoui 3.11.2011ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.

Blogs und Foren befeuerten die Umbrüche in der arabischen Welt, die neuen Medien wurdenzum Mittel der Selbstermächtigung. Dennoch: Die Revolution hat auf der Straße stattgefunden.

"Die Revolution hat auf der Straße stattgefunden, nicht im virtuellen Raum. Sie hat 800 Menschen dasLeben gekostet", sagt der junge Blogger Abdallah aus Kairo. Der Ausdruck "Facebook-Revolution" macht ihn fast wütend. Denn der Arabische Frühling hatte ganz reale politische und sozio-ökonomische Hintergründe, die zur Verzweiflung einer ganzen Generation führten. "Tahrir 2011" inÄgypten und die "Jasminrevolution" in Tunesien waren zudem nur möglich, weil die ägyptische unddie tunesische Armee sich gegen die Despoten wandten. Dennoch haben die neuen Medien bei denUmbrüchen eine entscheidende, wenn auch von Land zu Land unterschiedliche, Rolle gespielt.Facebook war anfänglich das wichtigste Medium zur Mobilisierung der Bevölkerung. Über Twitter undYouTube sendeten junge Araberinnen und Araber Informationen über Massenproteste um die Welt.Vor allem die symbiotische Vernetzung traditionellerer und neuer Medien war für die Umbrücheentscheidend. Das Zusammenspiel von TV, Internet und Mobiltelefonen veränderte die politischeKommunikation grundlegend und machte somit die Umstürze erst möglich.

Der "Revolutionssender" al-Jazeera und das Handy

Während das ägyptische Staatsfernsehen in einer fast surrealen Propagandainszenierung inmittendes Volksaufstandes Bilder eines angeblich leeren Tahrir-Platzes sendete, zeigte al-Jazeera dietatsächlichen Ereignisse. Der Sender aus Katar strahlte Bilder und Informationen aus, die ihn überTwitter und Facebook erreichten. Al-Jazeera bot darüber hinaus eine Vielzahl andererVernetzungsmöglichkeiten und Kanäle, auf denen ununterbrochen live Bericht erstattet wurde, wiePodcasts und RSS-Feeds, mit der Funktion eines Online-Nachrichtentickers. Al-Jazeeras Rolle inÄgypten als "Revolutions-TV" unterschied sich maßgeblich von der zurückhaltenden Berichterstattungdes Senders über die Revolte in Syrien und der fast vollständigen Ausblendung der Proteste und ihrerUnterdrückung in Katars Nachbarstaat Bahrain.

Im Übrigen waren in Ägypten Mobiltelefone ebenso wichtig wie al-Jazeera und die neuen Medien.Während vor dem Umbruch nur knapp ein Viertel der Bevölkerung über einen Internetzugang verfügte,besaßen mehr als zwei Drittel aller Ägypter ein Handy. So wurden auch Informationen über die Protesteper Telefon oder per Sammel-SMS verteilt. Darüber hinaus haben Smartphones, insbesondere durchihre Kamerafunktion und die Möglichkeit zu twittern, dabei geholfen, Informationen und Bilder zeitnahund weit zu verbreiten und dadurch Massen zu mobilisieren. Dies war für die Protestbewegungentscheidend – vor allem auch in kleineren Städten und auf dem Land.

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Tunesien "Error 404 – page not found"

Die Internetzensur war in Tunesien, wie auch in anderen Staaten der Region, etwa in Syrien, vor denUmbrüchen wesentlich strikter als in Ägypten. Die Webseiten von al-Jazeera, Amnesty International,Wikileaks, YouTube, Daily Motion sowie zahlreiche Facebook-Seiten wurden staatlicherseits blockiert.Die Fehlermeldung "Error 404 – page not found" erschien so häufig, dass Tunesier ihren unsichtbarenZensoren den Spitznamen "Ammar 404" gaben und zu einer virtuellen Person machten. Ammar istein beliebter tunesischer Vorname. Die ersten politischen Webseiten und insbesondere Blogs, wie "Nawaat" (auf deutsch: Kern), der 2004 gegründet wurde, kritisierten diese strikte Zensur und denMangel an Presse- und Redefreiheit. Die Blogger scheuten sich aber lange davor, das tunesischeRegime und vor allem den damaligen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali offen zu kritisieren.

Dies änderte sich erst im Dezember 2010 mit der Selbstverbrennung des jungen GemüsehändlersMohamed Bouazizi in der zentraltunesischen Kleinstadt Sidi Bouazid. Ab diesem Zeitpunkt berichtetenBlogger über die Massenproteste und gaben technische Hinweise zur Umgehung der Internetkontrolle.Tunesische Internetaktivisten stellten unter dem Titel TuniLeaks die von WikiLeaks veröffentlichtenUS-Depeschen über die Korruptheit des Regimes Ben Ali ins Netz. Die WikiLeaks-Depeschen löstendie "Jasminrevolution" mit aus, da sie das von vielen vermutete Ausmaß der Plünderung des Landesdurch den Ben Ali-Clan nun auch "objektiv" bestätigten.

Die Zahl der Internetaktivisten, Blogs und Foren, die am Sturz des Ben Ali-Regimes beteiligt waren,ist groß. Zusammen mit der internationalen Hacker-Bewegung "Anonymous" führten tunesischeAktivisten eine Art Cyber-Krieg: Sie hackten die Webseiten der Regierung und legten sie mit geballtenÜberlastungsattacken lahm. Es gelang ihnen auch, die Spionage- und Zensurprogramme derRegierung zu deaktivieren. Dabei wurden in einer Art Lauffeuer völlig unterschiedliche Strömungenspontan politisch im Netz aktiv. Das Engagement reichte von Frauenrechtlerinnen über Rap-Künstlerbis zu einer tunesischen Variante der Piratenpartei. Der Rap "Präsident der Republik" eines Sängersmit dem Pseudonym El Général wurde zur Hymne des tunesischen Aufstandes und mobilisierte dieJugend.

Ägypten: "Wir sind alle Khaled Said"

Die Erfahrungen der tunesischen Cyber-Aktivisten waren für die Umbrüche in Ägypten von großerBedeutung, der Sturz Ben Alis wirkte wie ein Zündfunken. Trotzdem unterscheidet sich der ägyptischeInternetaktivismus deutlich vom tunesischen. Die Mobilisierung durch das Internet ließ sich in Ägyptenvon langer Hand vorbereiten, da das autoritäre Regime von Hosni Mubarak mehr Freiraum ließ alsdas Ben Alis. Insbesondere hatte sich in Ägypten in den letzten Jahren, auch über das Internet hinaus,eine regimeunabhängige Medienlandschaft herausgebildet.

Eines der Schlüsselereignisse für eine breitere Mobilisierung der Massen war der Mord an dem BloggerKhalid Said. Im Juni 2010 prügelte ihn die ägyptische Polizei zu Tode, nachdem sie ihn vor einemInternetcafé verhaftet hatte. Im Web verbreitete Fotos des entstellten Leichnams lösten eine Welledes Entsetzens aus und führten schließlich zur Gründung der Facebook-Seite "Wir sind alle KhalidSaid". Der Verwalter der Seite, die zu einer der treibenden Kräfte des Umsturzes wurde, war derGoogle-Marketingchef für die Nahost-Region Wael Ghonim. Der 30-jährige wurde im Januar 2011tagelang verhaftet und misshandelt. Er ist heute eine der Ikonen der "Revolution".

Ebenfalls federführend bei der Mobilisierung war die Facebook-Gruppe "Jugend des 6. April". Siewurde 2008 von Aktivisten gegründet, unter ihnen auch ehemalige Mitglieder derDemokratiebewegung "Kifaya" (auf deutsch: genug). Der Name "6. April" erinnert an einen Streik vonTextilarbeitern im Jahr 2008, der blutig niedergeschlagen wurde. Die Facebook-Gruppe sammelteTausende von Mitgliedern und suchte Rat bei "Otpor", einer serbischen Jugendbewegung, die 2000maßgeblich am Sturz des Diktators Slobodan Milosevic beteiligt gewesen war, sowie bei der "Akademiedes Wandels", einem Think Tank zur Demokratieförderung in Katar. Gemeinsam entwickelten sieStrategien zum gewaltfreien Widerstand und zur Mobilisierung über die neuen Medien.

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Im Januar 2011 schlossen sich Mitglieder von "Wir sind alle Khalid Said", von der "Jugend des 6. April" und der "Kifaya"-Bewegung mit sieben weiteren Oppositionsgruppen in der "Koalition der Jugend fürdie ägyptische Revolte" zusammen und riefen zu einer Großkundgebung für den 25. Januar 2011 auf.Das Datum war insofern geschickt gewählt, als dass der Tag Nationalfeiertag zu Ehren der ägyptischenPolizei ist und damit weniger Polizisten als üblich im Einsatz waren. Vorab wurden über FacebookTipps für die Ausrüstung zum Schutz vor der erwarteten Polizeigewalt gegeben: von der Anfertigungvon Westen gegen Gummigeschosse bis hin zur Verwendung von Zwiebeln und Coca Cola gegenTränengas. Als es am ersten Protesttag zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Demonstrantenund Sicherheitskräften kam begann das bis dahin einmalige Zusammenspiel der Medien. Mit Handyswurden die Ereignisse gefilmt, über YouTube weltweit verbreitet und über al-Jazeera wieder in dieägyptischen Haushalte zurückgesendet. Twitterfeeds lieferten selbst aus ProvinzstädtenInformationen.

Auf der Höhe der Demonstrationen am 27. Januar schaltete die ägyptische Regierung das Internetkomplett ab. Auch al-Jazeeras Sendefrequenz auf dem ägyptischen Satelliten "Nilesat" wurde gesperrt.Trotzdem nützte die Kommunikationsblockade wenig. Google etwa stellte den Demonstranten eineNummer zur Verfügung, über die Videos und Texte weiterhin ins World Wide Web eingestellt werdenkonnten. Al-Jazeera wechselte einfach den Satelliten. Die Unterbrechung des Netzes führte auch nichtzu einer Verringerung der Demonstrationen. Im Gegenteil: Ägypterinnen und Ägypter, die die Ereignissevom Computer aus verfolgten, gingen, nachdem sie hier keine Informationen erhielten, selbst auf dieStraße, um sich zu informieren und zu demonstrieren. Außerdem ließ sich durch die Lahmlegung desNetzes und des Mobilfunks auch der Informationsfluss ins Ausland nicht verhindern. Denn Videos undTwitterfeeds wurden per Satellitentelefon oder Festnetz auf Server in anderen Ländern übertragen.

Medien als Instrumente der Selbstermächtigung?

Noch dauern die Umbrüche in der Region an, und es ist daher zu früh für ein abschließendes Fazitüber die Rolle der Medien. Trotzdem lassen sich einige vorläufige Schlüsse ziehen. "Als ich zum erstenMal meine Meinung frei im Internet äußern durfte, fühlte ich mich wie ein anderer Mensch. Ein ganzneues Gefühl, etwas bewirken zu können, kam auf – vor allem als ich gemerkt habe, dass ich nichtder einzige bin, der so denkt." Diese Aussage eines jungen Bloggers verweist auf eine der wichtigstenSchlussfolgerungen. Das Phänomen, das der junge Ägypter hier beschreibt, ist das derSelbstermächtigung. Menschen, die bisher nur passiv erlebten, wie über sie bestimmt wurde, wurdenallmählich zu Akteuren, und zwar über das Bewusstsein, sich äußern zu können und nicht alleine zusein. Damit halfen die neuen, nur schwer zu zensierenden Medien, jungen Araberinnen und Arabern,sich selbst als aktiv wahrzunehmen, als diejenigen, die Prozesse in Gang setzen und gestalten.

In der Tat können die neuen Medien eine Art dialektischen Prozess der Selbstermächtigung undErmächtigung fördern. Menschen, die sich im virtuellen Raum zusammenfinden und ihre Ansichtenteilen, werden zu einer sozialen Gruppe. Finden sie sich gemeinsam auf der Straße zu Protestenzusammen, wird dieser Prozess der Selbstermächtigung und der Identitätsbildung durch andereFaktoren wie Kollektiverlebnisse weiter verstärkt. Das Zusammenspiel verschiedener Medien und vorallem die Wechselwirkung zwischen virtuellem und realem Raum können dann zur tatsächlichenErmächtigung und zu realem Wandel führen. Personen, die ehemals nur Konsumenten von Medienwaren, werden, indem sie selbst Videos oder Handy-Filme drehen und Nachrichten verbreiten, zuProduzenten. Diese sogenannten "Prosumenten", also Menschen, die sowohl Produzenten als auchKonsumenten sind, machen durch ihre schiere Anzahl und eine extrem schnelle Kommunikation einevöllige Kontrolle durch den Staat unmöglich. Durch die Umgehung der Kontroll- undZensurmechanismen werden die Medien zu Instrumenten, die staatliche Gewalt und Missbrauchdenunzieren. Auch hierbei ist die Symbiose klassischer und neuer Medien entscheidend.

Trotzdem ist das Argument, dass neue Medien auch zu mehr staatlicher Kontrolle eingesetzt werdenkönnen, durch den Arabischen Frühling nicht widerlegt. Syrien etwa ist ein Beispiel dafür, wie Diktaturen

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sich schnell an die Entwicklung der Medien anpassen konnten. Am 8. Februar 2011 hob Damaskusnach mehr als drei Jahren die Sperrung von Facebook sowie von YouTube auf. Seither hat das Regimevon Bashar al-Assad diese neuen Medien selbst für Desinformations-Kampagnen sowie zurIdentifizierung von Oppositionellen genutzt.

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Der Arabische Frühling – das Ende al-Qaidas?Von Dr. Asiem El Difraoui 7.11.2011ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.

Massenproteste stürzten die Herrscher Tunesiens und Ägyptens, nicht Terror und Gewalt. Al-Qaida scheint damit ideologisch widerlegt, der Dschihadismus generell geschwächt. Asiem ElDifraoui mit einer Einschätzung.

Lange wirkte al-Qaida ratlos, wie sie auf die Umbrüche in der arabischen Welt reagieren sollte. Zunächstschwiegen die sonst so aktiven Propagandisten der Organisation zu den historischen Entwicklungen.Ihre Ideologie schien widerlegt: die Diktatoren Ägyptens und Tunesiens wurden nicht durchterroristische Aktivitäten und Selbstmordattentate gestürzt, sondern durch Massenproteste. Nicht al-Qaida mobilisierte die Massen, sondern eine eher weltlich orientierte Jugend. Die Liquidierung vonOsama Bin Laden durch ein US-Kommando im Mai 2011 und die anschließende Tötung hochrangigeral-Qaida-Kader haben die Organisation weiter geschwächt. So wurde im Oktober 2011 dercharismatische Herausgeber des englischsprachigen Internet-Magazins "Inspire", einem derPropagandainstrumente al-Qaidas, Anwar al-Awlaki, bei einem Drohnenangriff im Jemen getötet.

Auch sprachen sich ehemalige Jihadisten in Libyen und Ägypten erstmals für eine Teilnahme ampolitischen Prozess und für freie Wahlen aus, darunter ein frühere Anführer der "Libyschen IslamischenKampfgruppe" Abdel Hakim Belhadsch, der heute Vorsitzender des Militärrats in Tripolis ist. AbdelHakim al-Hisadi, ebenfalls Rebellenkommandeur und ehemaliger Jihadist erklärte sogar, das libyscheVolk stünde in der Schuld des Westens. Er revidierte somit öffentlich ein Feindbild und den Mythosvom Kampf der Kulturen. Die neue Freiheit bedeute das Ende al-Qaidas – dieser Ansicht ist OsamaRushdi, ein ehemaliger Sprecher der ägyptischen Organisation "Gamaa al-Islamiyya", die unteranderem von den USA und der EU als terroristische Organisation bezeichnet wird.

Der Arabische Frühling – ein Segen für den Jihad?

Al-Qaida versuchte dann auf den Zug der arabischen "Revolutionen" aufzuspringen. In einer erstenStellungnahme im März 2011 behauptete der heutige al-Qaida-Chef Aiman al-Zawahiri, dieRevolutionen seien das direkte Resultat des 11. September 2001. Denn nur wegen der Anschlägeseien die USA bereit gewesen, arabische Diktatoren wie Hosni Mubarak fallen zu lassen. Zawahiriforderte seitdem mehrmals die arabische Jugend auf, die Revolutionen bis zur Errichtung einesislamischen Staates fortzusetzen. "Inspire" bezeichnete in seiner im März 2011 erschienenen fünftenAusgabe die Umbrüche als einmalige Chance für den globalen Jihad.

Generell gelten unter islamistischen Strömungen die Vertreter des politischen Islam, wie dieMuslimbrüderschaft in Ägypten oder Ennahda in Tunesien, als die großen Gewinner der Umbrüche.Sie können auf jahrzehntealte Organisationen bauen und sind damit für den politischen Prozess undWahlen bestens gerüstet. Im Vergleich zu ihnen ist der Einfluss jihadistischer Gruppen hingegenmarginal.

Sind al-Qaida und der Jihadismus folglich am Ende? Zwar ist Bin Laden tot und al-Qaida organisatorischgeschwächt, aber die Ideologie des Jihad lebt weiter. Diese hat sich über die letzten dreißig Jahregefestigt – und dürfte auch in den kommenden Jahrzehnten eine Bedrohung bleiben. Lange bevor

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sich junge Revolutionäre die neuen Medien im arabischen Raum zur Mobilisierung der Massen undzum Sturz der Regime zunutze machten, war das Internet bereits das Hauptpropaganda-Forum derJihadisten. Hier findet sich ein Korpus von ideologischen Texten und Videos, die Jihad und Terrorismusrechtfertigen. Salafisten und Jihadisten haben eine Art geschlossenes Weltbild geschaffen, welchesimmer noch weltweit Anhänger findet.

Auch ergeben sich in arabischen Ländern, in Ländern der Sahelzone und am Horn von Afrika neueEntfaltungsmöglichkeiten für jihadistische und salafistische Gruppierungen. In einem Worst-Case-Szenario könnten ein politisches Vakuum, Instabilität und sozio-ökonomische Krisen den Jihadistenmassiven Zulauf verschaffen. So könnten auch neue jihadistische Hochburgen entstehen, eineNachwuchsgeneration von Terroristen herangezogen und somit die Kapazitäten für neue Anschläge,auch in Europa und den USA, geschaffen werden.

Der Arabische Frühling – der Anfang vom Ende al-Qaidas?

Letztlich haben die Reformprozesse in der arabischen Welt den Jihadismus aber geschwächt. Vorallem die jungen revolutionären Tunesier und Ägypter haben positive Vorbilder geschaffen. DieJugendlichen haben gezeigt, dass politischer Wandel sich durch überwiegend friedlicheMassenmobilisierung und nicht durch jihadistische Gewaltstrategien herbeiführen lässt. Führen dieTransformationsprozesse, wie erhofft, zu mehr Mitbestimmung, Rechtsstaatlichkeit und einernachhaltigen Verbesserung der sozio-ökonomischen Lage, wird jungen Muslimen vermutlich nochbewusster, dass Jihadisten außer Terror und Tod keinerlei gesellschaftliches oder politisches Programmzu bieten haben. Für große Mehrheiten in den arabischen Bevölkerungen bieten sie ohnehin keineattraktiven Alternativen zur demokratischen Regierungsform an.

Laut dem dritten Arab Youth Survey, einer Umfrage, die von Dezember 2010 bis Januar 2011 voneinem der größten Meinungsforschungsinstitute der Region in zehn arabischen Ländern durchgeführtwurde, wollen neunzig Prozent der Jugendlichen in stabilen Demokratien leben. Der Hauptwunschvon fast achtzig Prozent ist es, ohne Angst vor Terrorismus leben zu können. Ermutigend ist ebenfalls,dass in Ägypten Salafisten sowie ehemalige Jihadisten dabei sind, Parteien zu gründen. In Libyensind ehemalige Jihadisten bereits in den Transformationsprozess eingebunden. Durch die Einbindungin die Politik könnten sie zu einem dauerhaften Gewaltverzicht bewogen werden. Damit besteht dieeinmalige Chance, dass al-Qaida und andere Jihadisten zu einer Fußnote in der Geschichtsschreibungwerden.

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Die Türkei als Modell für die arabischen Staaten?Von Dr. Günter Seufert 16.11.2011Dr. phil. Günter Seufert arbeitet in der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen der SWP.

Im Schatten der arabischen Revolutionen präsentiert sich die Türkei als aufstrebendeRegionalmacht. Ihre politische Modernisierung ist deshalb auch für den Westen weiterhin einwichtiges Anliegen. Denn die Türkei will Vorbild sein für das neue Nordafrika.

Als die Bevölkerungen Tunesiens und Ägyptens Anfang 2011 im Namen von Freiheit und Demokratiesowie für ein besseres Leben auf die Straße gingen, konnten sie sich der Sympathien der Europäerund des Westens generell gewiss sein. Doch bald stellte sich in Europa auch Besorgnis ein: Besorgnisvor steigenden Migrantenzahlen und vor dem politischen Islam. Denn Gruppen, die sich im Namendes Islam zusammenfinden, gelten in allen arabischen Staaten als die größten und am bestenorganisierten politischen Bewegungen. "Wo führt das hin?" lautete die bange Frage. Beim Blick aufdie politischen Verhältnisse in Ländern mit einer Mehrheit von Muslimen stellte sich schnell heraus,dass im Nahen und Mittleren Osten nur die Türkei über eine wirtschaftliche, politische und säkulareOrdnung verfügt, die sowohl den eigenen Bürgern eine lebenswerte Perspektive bietet als auch aufKooperation mit Europa und "dem Westen" orientiert ist.

Kein Wunder, dass sehr schnell eine Diskussion darüber einsetzte, ob die Türkei ein "Modell" für diearabische Welt sein könnte. Tatsächlich begann die Debatte vom "Modell Türkei" im Westen, dochstritten bald auch die politischen Akteure in der arabischen Welt und in der Türkei selbst über denEinfluss und die Chancen des "türkischen Modells". Ein Blick darauf, wie diese Diskussion im Westen,in der Türkei und in den Ländern selbst geführt wird, gibt Aufschlüsse darüber, welche Rolle die Türkeiim Umbruch der Region wohl spielen wird, spielen soll oder überhaupt spielen kann.

Die europäisch-westliche Debatte

Die Angst vor dem politischen Islam und vor Migranten, die aus ihrer Heimat fliehen, weil es dort fürsie keine wirtschaftliche Perspektive gibt, lenkte in Europa das Augenmerk nahezu automatisch aufdie gemäßigte, muslimisch-konservative Regierung der Türkei und auf ihren wirtschaftlichen Erfolg.Bis zu 11 Prozent ist in den letzten Quartalen die Wirtschaft der Türkei gewachsen, und auch langfristigkann die Entwicklung sich sehen lassen. Von 2001 bis 2010 stieg das Pro-Kopf-Einkommen von 3 000auf 13 000 USD. In Sachen 'Politik und Islam' scheinen primär die grundsätzliche Wandlung wichtig,die der politische Islam in der Türkei durchgemacht hatte. Noch Mitte der 1990er Jahre hatten diepolitischen Vorläufer von Recep Tayyip Erdogan und Abdullah Gül, dem heutigen Ministerpräsidentenund Staatspräsidenten, Europa schlicht verteufelt. Erdogans und Güls damaliger Parteichef hatte auchdarauf bestanden, dass Muslime nach islamischen Rechtsvorschriften leben müssten undNichtmuslime nur Bürger zweiter Klasse seien.

Der Staat sollte damals nicht liberalisiert, sondern einfach erobert werden. Er sollte alle Menschen imSinne des Islam erziehen und auch die Wirtschaft kommandieren. Doch in der Türkei werden seit 1946Wahlen abgehalten (wenn auch nicht zu jederzeit demokratischen Maßstäben entsprechend), und derpolitische Islam muss sich dem offenen Wettbewerb stellen. Die Folge war, dass sich nach einer Phaseder Radikalisierung islamistische Positionen deutlich gemäßigt haben. Die Mehrheit der Bevölkerungwill keinen religiösen Kommandostaat, und eine neue Schicht von frommen Geschäftsleuten setzt auf

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Gewinn und nicht auf Wirtschaftsdirigismus. Aus Sicht Europas waren beide Entwicklungen fastrevolutionär: dass fromme Muslime für Demokratie optieren und dass sie statt "orientalischemFatalismus" wirtschaftliche Initiative zeigen.

Bis dahin hatten Demokraten in Europa sich in ihrer Haltung zur Türkei oft in einer Klemme befunden.Die Angst vor dem politischen Islam schien keinen anderen Ausweg zu lassen, als den autoritärenStaat zu stützen. Hinter diesem stand das Militär, das heißt vor allen Dingen säkulare Offiziere, dieähnlich wie in Ägypten auch die Angst des Westens vor dem Islam für die eigene Herrschaftinstrumentalisierten. Nach einer Reihe von Rückschlägen in Form von Staatsstreichen des Militärsgelang in der Türkei jedoch eine friedliche Machtverschiebung. Auch das, so meint man in Europa,spricht ganz entscheidend für das "türkische Modell".

Arabische Perspektiven

Früher war die Türkei in den arabischen Ländern wenig geachtet. Für Säkulare und Modernisiererunter den Arabern waren die Türken die Nachfahren der Osmanen, welche die arabische Weltjahrhundertelang schlecht regiert und sie daran gehindert hatten, am Fortschritt von Europa zupartizipieren. Für fromme Araber hingegen hatten die Türken sich unter Regie von StaatsgründerKemal Atatürk vom gemeinsamen Erbe - dem Islam - losgesagt, hatten Europa nachgeäfft und warendabei noch nicht einmal sehr erfolgreich gewesen. Noch im Jahre 2002 lag die Türkei beiMeinungsumfragen in der Region stets auf den unteren Rängen der Beliebtheitsskala. Im Jahr 2010dagegen war die Türkei - gleich nach Saudi-Arabien - das zweitbeliebteste Land der Region. ZweiDrittel der Befragten sagten, die Türkei sei eine Art Modell für das eigene Land und die Region. MehrAraber wollten ihre Ferien in Anatolien verbringen als in irgendeinem anderen Land des Nahen Ostens,und selbst das Misstrauen, mit dem fremden Investitionen generell begegnet wird, war gegenübertürkischen Investoren ausgesprochen niedrig.

In einem Punkt jedoch besteht ein großer Unterschied zwischen den Perspektiven in den arabischenLändern und in Europa. Die größte Zustimmung findet die Türkei in der arabischen Welt gerade fürden Strang ihrer Politik, welcher im Westen das meiste Stirnrunzeln auslöst: 75 % der Befragtenbegrüßen die entschlossene Politik der Türkei Israel gegenüber und wollen, dass sich Ankara imNahostkonflikt noch stärker auf Seiten der Palästinenser einbringt. Nicht nur der Mann auf der Straße,sondern auch arabische Intellektuelle loben die Türkei am meisten dafür, dass sie ihre Politik nichtmehr ausschließlich an westlichen Interessen ausrichtet. Die ersten Sympathiepunkte in der arabischenWelt holte sich Ankara 2003, als es sich weigerte den USA die Eröffnung einer zweiten Front gegenSaddam Hussein von der Türkei zu gestatten. Heute achtet man die Türkei dafür, dass sie sichwirtschaftlich und politisch generell größere Unabhängigkeit erkämpft hat. Als Modell für die Innenpolitikdagegen macht die Türkei ägyptischen Akteuren wahrscheinlich eben soviel Angst, wie sieBewunderung auslöst. Das gilt besonders für das ägyptische Militär, das nur mit Sorge darauf blickenkann, wie stark die Rolle des Militärs in der Türkei in den letzten Jahren beschnitten worden ist – unddass sich in der Türkei heute 15 Prozent alle Generäle in Untersuchungshaft befinden. Und das giltauch für viele Islamisten, die nicht bereit sind, ein säkulares Staatsmodell umzusetzen, sondern amIslam als Staatsreligion und an der Sharia als Grundlage oder Hauptquelle von Gesetzgebung undRechtsprechung festhalten wollen.

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Und die Türkei?

Schon vor dem Umbruch in den arabischen Staaten fand das Konzept von Außenminister AhmetDavutoglu, das die Türkei als neue Regionalmacht sieht, in der eigenen Bevölkerung viel Zuspruch.Das neue Selbstbewußtsein der Türkei kam primär durch Kritik an Israel, an den USA und an Europazum Ausdruck. In Umfragen wurden an erster Stelle Israel und die USA als die Länder genannt, dieder Türkei abweisend gegenüber stünden. Jahrzehntelang hatten die Türken sich nach Europaausgerichtet und sich dabei sehr oft zurückgesetzt gefühlt. Es schmeichelte ihnen deshalb, dass dieTürkei zum Zentrum "ihrer" Region werden sollte und dass man nicht mehr vor dem Westen kuschte.Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan griff in seinen Reden solche Gefühle immer wieder auf. InDamaskus und Riad, in Teheran und Sarajevo, zogen Davutoglu und er immer wieder die Grenzezwischen einem "Wir", bestehend aus den Türken und den Muslimen der Region, und den "Anderen", meistens den Europäern.

Am deutlichsten trat diese Haltung zu Anfang des libyschen Bürgerkriegs hervor. Die NATO und Europa,hieß es damals, verfolgten eine neokoloniale Politik aufgrund ausschließlich wirtschaftlicher Interessen.Erst als klar wurde, dass es mit Gaddafi nichts weiter zu verhandeln gab und sein Regime nichtüberleben würde, wechselte Ankara die Fronten. Der Fall Libyen zeigte wie unter der Lupe, dass dieTürkei - wie alle anderen Länder auch - die eigenen Interessen oben anstellt und dass der Westen gutdaran tut, Ankara frühzeitig in seine Politik zu integrieren, damit das Handeln der Türkei nichtkontraproduktiv ausfällt.

Am besten haben dies bisher die USA vermocht. Sie bieten der Türkei Unterstützung bei der Ausweitungihres Spielraums besonders im Irak, wo Ankara die Leerstelle füllen soll, die nach dem Abzug der USAdort zu entstehen droht. US-Amerika hilft außerdem beim Kampf gegen die PKK. Im Gegenzug setztAnkara den syrischen Diktatur Baschar Al-Assad weiter unter Druck, und schwächt damit gleichzeitigden Iran.

Die Türkei und Europa

Von einem solchen give and take sind die Türkei und die EU Lichtjahre entfernt. Zwar hat sich Erdoganin Tunis und in Kairo für eine säkulare Ordnung eingesetzt und damit der Debatte in Europa, wie wichtigdie Türkei für die Transformation des MENA-Region [Abkürzung für "Middle East & North Africa"; Anm.d. Red.] verwendet. Der Begriff bezeichnet die Region von Marokko bis zum Iran.ist, erneut Nahrunggegeben. Doch gleichzeitig streiten sich Ankara und Brüssel über Zypern, und der Beitritt der Türkeizur EU ist fraglicher denn je. Der Ärger darüber verhindert bislang eine vertiefte Kooperation. Nureinmal jährlich haben Davutoglu und Erdogan ein festes Rendezvous mit Catherine Ashton und StefanFüle, den außenpolitischen Spitzen der Union. Zwar redet man in der EU noch immer viel vom "türkischen Modell". Doch konkrete Aussagen darüber, wie man von und mit ihm profitieren könnte,gibt es wenig. Trotz Vorschlägen wie gemeinsamen Besuchen europäischer und türkischer Ministerin den MENA-Staaten, die zu gemeinsamen Programmen führen könnten, oder der Zusammenarbeitvon türkischen und europäischen Entwicklungshilfeministerien, ist bislang nichts konkretisiert worden.Wenn man die Dinge sich selbst überlässt, könnten aus leeren Phrasen schnell bittere Konkurrenzenwerden.

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Literatur

Mensur Akgün et al: Foreign Policy Perceptions in Turkey, TESEV, Istanbul 2010.

GMF, The German Marshall Fund of the United States: Turkey and the Arab Spring: Implications forTurkish Foreign Policy from a transatlantic Perspective, Washington 2011.

Heinz Kramer: Die neue Außenpolitik-Konzeption der Türkei, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin2010.

Hassan Nafaa: The 'Turkish Model' in the Mirror of the Arab Spring, in GMF 2011.

Günter Seufert: Foreign Policy Perceptions in Turkey: Comment on the Opinion Research, TESEV,Istanbul 2011.

Eduard Soler i Lecha: The EU, Turkey, and the Arab Spring, in GMF 2011.

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"Europa muss positiver auf die Umbrüche reagieren"Interview mit Volker PerthesVon Volker Perthes 9.2.2012Prof. Dr., geb. 1958; Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit und geschäftsführender Vorsitzenderder Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Ludwigkirchplatz 3 - 4, 10719 Berlin.E-Mail: [email protected]

Ende 2010 hat in Tunesien ein Aufstand begonnen, der kurz darauf fast den gesamtenarabischen Raum erfasste. Im Gespräch mit der bpb erläutert der Politikwissenschaftler VolkerPerthes die Situation in verschiedenen Ländern des Arabischen Frühlings, neueKräfteverhältnisse in der Region und die Rolle Europas.

Demonstranten auf dem Tahir-Platz in Kairo bei Protesten gegen den Obersten Militärrat. (© picture-alliance/dpa)

Herr Perthes, die Umbrüche quer durch die arabischen Staaten gehen derzeit ins zweite Jahrund differenzieren sich immer mehr aus. Lässt sich dennoch ein gemeinsamer Charakter derProteste feststellen?

Es gibt eine ganze Menge gemeinsamer Phänomene. Es gibt ähnliche Ungerechtigkeiten über diesich insbesondere die junge Generation beschwert. Die arabischen Länder sind zwar durchausunterschiedlich. Sie haben unterschiedliche Ressourcenausstattungen, unterschiedliche politischeGeschichte, unterschiedliche politische Kultur und insofern verarbeiten sie auch diese Welle des

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Protests unterschiedlich. Der eine große gemeinsame Faktor ist aber die Generation der 20- bis 35-jährigen, die zahlenmäßig größer ist als ihre Vorgängergeneration, aber weniger Chancen hat.

Also ein arabisches '68? – Oder eher ein arabisches '89?

Was die soziale Komposition angeht handelt es sich vielleicht tatsächlich um ein arabisches '68. DerVergleich ist nicht schlecht: Auch die '68er konnten ihren gesellschaftlichen Einfluss erst 20 bis 30Jahre später in politischen Einfluss umsetzen.

Welche Länder betrachten Sie hoffnungsvoll?

Tunesien hat die größten Chancen zu einer konsolidierten Demokratie zu werden. Auch die ChancenÄgyptens stehen gut. Allerdings in einem sehr viel komplizierteren Prozess. Und wenn Ägypten esschafft, dann wird sein Beispiel auf den Rest der arabischen Welt ausstrahlen.

Ägypten hat wegen seiner Lage, Bevölkerungszahl und Geschichte eine besondere Bedeutungin der Region. Das politische Spektrum nimmt in der laufenden Transformationen Konturen an.Welche gesellschaftlichen Gruppen sind am besten auf die neue Ordnung vorbereitet?

Das politische islamische Spektrum, also die Religiös-konservativen, war gut vorbereitet auf die jetztlaufenden politischen Prozesse, insbesondere auf Wahlen. Ich bin allerdings nicht sicher, ob sie letztlichgut vorbereitet sind auf Regierungsverantwortung und die damit verbundenen wirtschaftlichen undsozialen Herausforderungen.

Wie sieht es mit den jungen Menschen aus, die die Proteste getragen haben?

Die 2011er-Generation, wie ich sie nenne, ist auf viele politische Fragen, die sich in Ägypten stellen,gut vorbereitet. Aber noch nicht darauf, selber Verantwortung zu übernehmen. Bei den Wahlen sindja auch nur sehr wenige von ihnen gewählt worden. Sie haben am unmittelbaren Umbruchprozessgroßen Anteil gehabt, aber sie gehören noch nicht zu den politischen Gewinnern.

Und das Militär?

Das Militär hat eine wichtige Rolle gespielt bei den Umstürzen und es wird weiterhin wichtig bleiben,um Chaos zu verhindern. Es ist aber absolut nicht auf die Aufgabe vorbereitet, einen modernen Staatzu regieren. Das sollte auch nicht seine Aufgabe sein. Es ist auch nicht auf die Bedürfnisse einermodernen Ökonomie vorbereitet. In Ägypten sehen wir die Widersprüche ganz deutlich: das Militärweiß, dass es nicht gegen das Volk und nicht gegen die junge Generation regieren kann und will dasauch nicht. Es will keine Regierungsverantwortung übernehmen, aber es möchte gerne seinewirtschaftlichen und politischen Privilegien behalten. Dies spricht perspektivisch für ein längeresTauziehen zwischen Neugewählten und der alten militärischen Führung.

Mubarak misslang in Ägypten, was in Syrien im Jahre 2000 klappte: ein dynastischerMachtwechsel vom Vater auf den Sohn. Aber trotz des vergleichsweise jungen syrischenPräsidenten Baschar Al-Assad gleicht die Lage dort mittlerweile einem Bürgerkrieg.

Man sollte sich nicht täuschen lassen. Der Präsident ist jung, aber das Regime ist alt. Assad hat letztlichdie Strukturen übernommen, die unter seinem Vater errichtet worden sind. Und er hat es eben nichtgeschafft, zu einem Reformer zu werden, obwohl er alle Chancen gehabt hätte. Er hat sich entschieden,seine Macht auch militärisch zu verteidigen und im Zweifelsfall bis zum blutigen Ende zu kämpfen.Das liegt auch daran, dass er nicht sieht, dass er am Ende ist – entgegen der Einschätzung der Staatender Arabischen Liga und vieler Beobachter.

In Israel hat man zunächst mit Sorge auf die Veränderungen bei den Nachbarn Ägypten und

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Syrien geschaut.

Israel hat große Schwierigkeiten gehabt, sich auf diese Veränderung in seiner Umwelt einzustellen,zumal unter seiner derzeitigen Regierung. Man wusste auch in Israel, dass die Regierungsverhältnissein den arabischen Staaten nicht gut waren. Aber man hatte mit Mubarak in Ägypten, aber letztlich auchmit den Assads in Syrien relativ verlässliche Nachbarn. Mubarak war ein Partner; Assad war ein Gegner,aber man wusste ungefähr, was man voneinander erwarten konnte und hat sich darin ganz guteingerichtet. Jede Veränderung bringt Unsicherheit und führt insofern auch zu verstärkter Nervositätin Israel. Das hat man auch sehr deutlich an den ersten Reaktionen auf die beginnende Revolte inSyrien gemerkt. Mittlerweile, etwa ein Jahr später, stellt man sich auch in Israel auf ein Ende desAssad-Regimes ein. Man versucht, die aus israelischer Sicht positiven Seiten zu sehen, etwa eineSchwächung des iranischen Einflusses in der Region.

Werfen wir einen Blick auf die geopolitischen Machtveränderungen in der Region. Wer gewinntan Einfluss, wer verliert?

Iran wird regional an Einfluss verlieren. Das ist jetzt schon deutlich. Die iranische politische Führungschaut sehr besorgt nach Syrien. Sie sieht durchaus die Schwierigkeiten des Assad-Regimes. Undsie kann sich wahrscheinlich auch ausrechnen, dass das Assad-Regime früher oder später weichenmuss. Damit verlöre sie den einzigen wirklichen Verbündeten in der arabischen Welt und einenVorposten im östlichen Mittelmeer.

Gleichzeitig ist es so, dass man aus iranischer Sicht auch für Iran positive Zeichen in den arabischenRevolten zu sehen meint, insbesondere die Wahlsiege von islamistischen Kräften. Meine Einschätzungist, dass die Iraner sich hier täuschen. Selbst die Muslimbrüder in Ägypten, die dort die Wahlengewonnen haben, haben kein Interesse, sich an Iran zu orientieren. Vielmehr werden sie Iran gegenübersehr viel selbstbewusster und entspannter auftreten als das etwa das Mubarak-Regime getan hat,denn sie brauchen keine Angst vor iranischem ideologischen Einfluss haben.

Die Türkei hingegen scheint eine Art Vorbild für viele Menschen in Arabien zu werden...

Die Türkei ist ausgesprochen gut aufgestellt, was sogenannte Soft Power – sanfte Macht – angeht.Sie hat ein enormes Netzwerk an wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Kontakten und sie isttatsächlich Modell für verschiedene Gruppen. Zunächst einmal für die moderat-islamischen Parteienwie die Muslimbrüder oder die tunesische Nahda, die gerne wie die türkische Regierungspartei AKPwäre: eine religiöse, konservative, pragmatische Volkspartei.

Von der Türkei holen sich interessanterweise aber auch andere Gruppen Inspiration. Das gilt zum Teilfür die bürgerlich-liberalen Eliten, die das beeindruckende Wirtschaftswachstum in der Türkei sehen.Und sie sehen, dass sich trotz konservativ-religiös geprägter Regierung die säkularen Strukturen inder Türkei erhalten haben. Und die Türkei ist auch für einige der militärischen und bürokratischenEliten eine Art Orientierungspunkt. Hier schaut man auf den langsamen Übergang zur Demokratie seit1980, bei dem das Militär für lange Zeit noch eine Art Oberkontrolle über die Politik hatte. Insofern istdie Türkei Modell und Inspiration für ganz unterschiedliche Kreise. Sie hat großen Einfluss und siekann diesen Einfluss nutzen, wenn sie es nicht übertreibt: Große Teile der arabischen Gesellschaftlassen sich gerne von der Türkei inspirieren, aber wollen sich eben nicht von der Türkei regieren lassen.

Warum blieb es in Saudi-Arabien vergleichsweise ruhig?

Es hat auch in Saudi-Arabien Proteste gegeben. Die saudische Regierung hat sehr viel Geld in dieHand genommen, um der Bevölkerung den Protest gewissermaßen abzukaufen. Das von ihrgeschnürte finanzielle Paket entspricht etwa einem Drittel des saudischen Bruttosozialprodukts. Esumfasst soziale Programme, Hausbauprogramme, Renten, Lohnerhöhungen und neue Jobs –Investitionen, damit diese Proteste nicht anwachsen.

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Das Zweite, was man zur inneren Situation in Saudi-Arabien sagen muss: manche dersoziodemografischen Herausforderungen, die Ägypten und Tunesien bereits erlebt haben, stehenSaudi-Arabien noch bevor. Dort wächst die Generation, die in Tunesien, Ägypten oder Syrien dieRevolution oder Revolten getragen hat, gerade erst heran. Wir haben heute über hunderttausendsaudische Studierende im westlichen Ausland, ein Drittel davon Frauen. Die kommen irgendwannzurück nach Saudi-Arabien – mit neuen Erfahrungen und Ansprüchen.

Wie reagiert die Regierung auf die Ereignisse?

Geopolitisch bemüht sich Saudi-Arabien um regionale Legitimität, auch bei den Gesellschaften derTransformationsländer. Es hat eine relativ aktive Rolle eingenommen, auch im neuen Kampf um Syrien,der in der arabischen Welt tobt. Riad hat sich dort auf die Seite der Opposition gegen Assad gestellt.Was den eigenen engeren geopolitischen Umkreis angeht, wird es versuchen, die Monarchien imGolfkooperationsrat, also Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate plusJordanien zu konsolidieren und gegen ein aus saudischer Sicht zu schnellen oder zu abrupten Wandelzu schützen...

...und dabei möglicherweise zu Ägypten in Konkurrenz treten?

Es gibt hier Konkurrenzen mit Ägypten, das ist richtig. Die hat es immer wieder gegeben. Zwei großeMächte in der arabischen Welt, die zu unterschiedlichen Zeiten auch Führungsfunktionen oderTrendsetterfunktion gehabt haben. Ägypten kann wieder Trendsetter werden.

Und auch Saudi-Arabien wird seine Position als arabische Führungsmacht verfestigen, die es in derersten Dekade dieses Jahrhunderts eingenommen hat. Aber wir sehen, dass hier auch transnationaleBewegungen stattfinden, die sehr interessant zu beobachten sind: Die Salafiten, die ultra-konservativenIslamisten, die überraschenderweise viele Stimmen bei den ägyptischen Wahlen bekommen haben,werden aus Saudi-Arabien unterstützt. Insofern ist die Politik, die Saudi-Arabien in der Region betreibt,durchaus auch bei vielen gesellschaftlichen Eliten in den arabischen Staaten kontrovers und wirdkontrovers bleiben.

Sie haben von der Schönheit der Revolution in Tunesien und Ägypten gesprochen. Was meintenSie damit?

Das Schöne an der ägyptischen und tunesischen Revolution war, dass es tatsächlich eine friedlicheRevolte war. Die Regimes haben mit gewisser Gewalt reagiert, aber mit weniger Gewalt als man hätteerwarten können. Es waren recht "fröhliche" Revolten und Revolutionen, die auch Teile vonGesellschaften zusammengebracht haben, die traditionell nicht furchtbar viel miteinander zu tun gehabthatten, zum Beispiel Säkulare und Religiöse, Christen und Muslime. Diese Schönheit der erstenRevolution hat sich nicht in den späteren Revolten und Revolutionen gespiegelt, die in anderen Ländernstattgefunden haben oder noch stattfinden. In Jemen, in Syrien, auch in Bahrain sehen wir sehr vielgewaltsamere, blutigere Reaktionen der Regimes. In Syrien sehen wir, dass das Land in einenBürgerkrieg hineinschlittert und dass auch die Protestbewegung zunehmend zu einem militarisiertenAufstand wird.

Was kann Europa tun – mit seinem reichen Erfahrungsschatz bei Transformationen?

Da wo es gewollt wird, kann Europa seinen Erfahrungsschatz in den Dienst der arabischenTransformationen stellen. Europa hat einen Werkzeugkoffer, der eine ganze Reihe von Instrumentenenthält: Etwa Wahlbeobachtungen, Unterstützung beim Aufbau einer unabhängigen Justiz oder Hilfebei Gesetzgebungsverfahren für den Aufbau einer echten Marktwirtschaft. Vor allem aber kann es sichden Transformationsgesellschaften gegenüber offen präsentieren, nicht nur für Güter, sondern auchfür Menschen. Und so ein Stück weit Einfluss darauf nehmen, wie diese Gesellschaften sich gegenüber

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Europa aufstellen werden.

Wie bewerten Sie den Umgang in Europa mit den Ereignissen in der Nachbarregion?

In der Betrachtung dieser Revolten hat die Furcht vor den Risiken den europäischen Diskurs stärkerbestimmt als es nötig gewesen wäre. Jeder Umbruch birgt Risiken und Chancen. Die Risiken sindkurzfristiger, die Chancen eher langfristiger Natur. Ich hätte mir gewünscht, dass wir ähnlich positiv andie Umbrüche in der arabischen Welt herangehen wie vor 20 Jahren bei den Umbrüchen in Ost- undMitteleuropa. Trotz aller Probleme, trotz der Abstürze wie in Syrien: Wir sollten uns ein Stück weitdarüber freuen, dass aus der arabischen Welt, also gerade da, wo wir es wirklich nicht erwartet haben,Teile der Gesellschaften ganz aktiv „unsere“ Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürdeeinfordern und teilen.

Herr Perthes, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Alexander Matschke

Das Gespräch wurde am 23. Januar 2012 auf der Konferenz Bensberger Gespräche 2012 in BergischGladbach/Bensberg geführt.

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Stimmen aus der Region14.3.2012

In der arabischen Welt hat die "Straßenpolitik" eine lange Geschichte: Volksbewegungen haben sicherhoben, um sich kolonialer Herrschaft zu widersetzen wie in Syrien, dem Irak, Jordanien und demLibanon in den späten 1950er Jahren. Die "arabische Straße" vermittelt die Stimmung derGemeinschaft und die abweichenden Meinungen, die von unterschiedlichen Gruppen zum Ausdruckgebracht werden. Gruppen, die nur wenige oder keine wirksamen institutionellen Kanäle haben, umihren Unmut zu äußern, die aber momentan tief greifende Änderungen in der Politik der Region in dieWege leiten.

Die Autoren aus der Region erklären diesen Prozess, sie beschäftigen sich mit der Rolle der Armeeund des Westens und fordern hier Veränderungen. Denn für eine Rückgewinnung der Glaubwürdigkeitmüssen grundlegende Prinzipien wie politischer Pluralismus sowie Menschen- und Frauenrechteumgesetzt werden. Und sie müssen über die geschäftlichen Interessen gestellt werden.

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Revolutionen gegen Demokratie oder Revolutionenfür Demokratie?Von Hussein Yaakoub 21.3.2012ist ein libanesischer Autor und Forscher. Er schreibt regelmäßig für lokale und arabische Zeitungen und Magazine, einschließlichAl-Nahar, Al-Hayat, und der Webseite Al-Awan, und betreibt Forschungen für Menschenrechtsorganisationen. Zu seinenVeröffentlichungen gehören "On Modernity, Urbanity & Urban Dwellers" in einem Sammelband (2009) und das Buch "The Illusionof Civil Peace: The Distorted Border between Past and Present" (2012

In den vergangenen sechs Jahrzehnten kam es zum Sturz von Monarchien und der Gründungunabhängiger Staaten in der arabischen Welt. Dennoch hat es das politische Denken der Araberin dieser Zeit nicht geschafft, eine wirklich demokratische Renaissance zu entwickeln und zufördern, glaubt Hussein Yaakoub. Warum?

Anti-Regierungs-Proteste in Bahrain am Freitag, 25.11.2011. (© picture-alliance/AP)

Die Revolutionen, die durch Tunesien, Ägypten und Libyen gefegt sind und die wir gegenwärtig nochin Syrien, Bahrain und Jemen beobachten, haben jedermann überrascht: die herrschenden Parteien,die Oppositionsgruppen und Regierungen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene. DieseRevolutionen waren sogar für die Revolutionäre selbst eine Überraschung, auch wenn sie diejenigenwaren, die sie durch die Forderung nach friedlichen Protesten sowie nach politischen, wirtschaftlichenund sozialen Reformen mobilisiert haben. Als die Zahl der Protestierenden stieg und dasZusammenspiel zwischen verschieden Teilen der arabischen Bevölkerung zunahm, wurde darüberhinaus der Forderungsrahmen bis zum dem Punkt ausgedehnt, dass bis jetzt drei Führer von der

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Macht verdrängt wurden und eine sofortige Machtabgabe dieser Führer verlangt wurde - jetzt, undnicht erst morgen.

Der Fall dieser Persönlichkeiten war nicht nur das Ergebnis des Protests eines jungen Tunesiers, dersich nach seiner erniedrigenden Behandlung in einem Verwaltungszentrum lebendig verbrannte, under war nicht nur das Ergebnis der Kommunikation zwischen jungen Frauen und Männern über Facebookund Twitter. Vielmehr sind sie das Resultat der Tatsache, dass die Völker dieser Länder - jedes innerhalbdes Kontexts seiner eigenen Umstände und Bedingungen - ein tief greifendes Gefühl derUngerechtigkeit und Unterdrückung gehegt haben, das von ihren Diktatoren über lange Zeiten hinwegausgelöst wurde. Und sie litten unter größtem Elend, das durch die schlechte Regierungsführung unddie ungezügelte Korruption der herrschenden Klassen hervorgerufen wurde.

Diese Volksrevolutionen sind in der arabischen Welt bisher unbekannte Bewegungen für Demokratie- in den Revolutionen, die in den 1950ern und 1960ern über die Region hinweg fegten und nicht nachder politischen Denkweise der Araber, gemäß der das Problem der Demokratie aus verschiedenenGründen aus dem politisch "revolutionären" Wörterbuch gestrichen wurde. Doch die Frage derDemokratie wurde erneut aufgeworfen. In der Tat hat es das politische Denken der Araber in denvergangenen sechs Jahrzehnten nicht geschafft, eine wirklich demokratische Renaissance zuentwickeln und zu fördern. Daher ist es erforderlich, sich eingehend mit den Ursachen für das Fehlender Demokratie im politischen Denken der Araber während dieses Zeitraums zu befassen, in dem eszum Sturz von Monarchien kam und unabhängige Staaten in der arabischen Region gegründet wurden.

Ursprung und Zeitgenossenschaft

Trotz der Tiefgründigkeit der arabischen und islamischen Zivilisationen leben die Araber heute in einemZustand intellektueller Verdrängung und kultureller Unausgewogenheit und Abhängigkeit. Diearabische Lage heutzutage ist das problematische Ergebnis einer Verzahnung zwischenVergangenheit und Gegenwart; ein Ergebnis, das durch den Widerspruch von "Ursprung undZeitgenossenschaft" zusammengefasst werden kann. Dieser Widerspruch rührt unter anderem vonder Auffassung her, dass die arabische Vergangenheit besser ist als ihre Gegenwart und dass diearabische Vergangenheit aus religiösen Grundlagen und unter Bedingungen entstanden ist, die in derheutigen Welt schwer nachzubilden sind. Die Araber bleiben hin und her gerissen zwischenverschiedenen Polaritäten: der Vergangenheit und der Gegenwart; der religiösen und der weltlichen;der geistlichen und der säkularen; und den Idealen vom individuellen Nationalismus und panarabischenNationalismus.[1] Darüber hinaus spiegeln sich diese Polaritäten heute in Spannungen zwischenStammessystemen, Sektentum und Nationalismus wider.

Öffnet man das Buch arabischer intellektueller Politik, findet man drei Kapitel, von denen jedes in dreikleinere Abschnitte unterteilt ist. Ein Kapitel dieses "Buchs" ist islamisch, oder kann dem Islamzugeschrieben werden: das Kalifat, der Imam, das Prinzip Göttlicher Führung[2], und der Brauch vonal-Salaf al-Saleh[3]. Ohne Einigkeit unter den und innerhalb der islamischen Gruppen, Bewegungenund Regierungen erörtert es die Grundlagen, Systeme oder Regelungen für islamische Herrschaft undFührung. Das zweite Kapitel ist an den Westen angelehnt und liefert eine verdrehte Mischung ausliberalem, kapitalistischem, nationalistischem, feudalistischem und demokratischem Denken. Dasdritte Kapitel bedient sich schließlich eines sozialistischen Vorbilds: Sozialismus, Kommunismus,Revolution, Anarchie, Nihilismus und Atheismus. In unserem zeitgenössischen politischen Denkendrückt jedoch nichts unsere Identität als arabische Völker aus. Es spiegelt eher unsere Unfähigkeitwider Neuerungen einzuführen und etwas Eigenes für uns zu schaffen. Dieser Zustand hat einen Punkterreicht, an dem wir eine Gesellschaft ohne Identität geworden sind.

Eine Krise der Rechtmäßigkeit entstand in den arabischen Staaten der Ära nach der Unabhängigkeit,da sie nicht das Produkt einer natürlichen Entwicklung ihrer Gesellschaften und Gemeinschaften waren.Sie waren weder Nationalstaaten, weder die Erben eines Kalifaten, weder aus einemGesellschaftsvertrag entsprungene Staaten, noch wurden sie vom vorherrschenden marxistischen

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Denken geleitet. Stattdessen wurden sie aus kolonialistischen Betrachtungen und Interessengeschnitzt. Infolgedessen wurde die gesamte arabische Region zu einem Brutplatz für Ideen undTheorien, nach denen Gesellschaften und Gemeinden gestaltet wurden, ohne vorausgehendeErfahrung in Selbstverwaltung oder Selbstbestimmung zu haben. In vielen dieser Staaten entstandenBefreiungsbewegungen gegen den Kolonialismus und gegen die den Kolonialisten gegenüber loyalenheimischen Klassen, die von einem revolutionärem Eifer angetrieben wurden. Dieser Eifer war dasResultat einer Mischung aus nationalistischen, sozialistischen und religiösen Ideen.

Der Aufstieg der Nasser-Periode[4] stand zum Beispiel in Zusammenhang mit der Muslimbruderschaft.Die Verbindungen zur Muslimbruderschaft wurden jedoch dann zugunsten von nationalistischemDenken abgebrochen. Später wurde das nationalistische Denken in sozialistisches Denkenumgewandelt bzw. damit verschmolzen. Die Regime und Bewegungen, die in Ländern wie Syrien,Irak, Jemen und dem Sudan aufkamen, waren auch das Ergebnis einer Mischung aus nationalistischenund sozialistischen Ideologien, die Religion auf die eine oder andere Weise für sich nutzten. DieMonarchien von Marokko und Jordanien erlebten den Aufstieg politischer Bewegungen, die durchNationalismus, Sozialismus und den Islam motiviert waren.

Vertagte Demokratie

Die modernen arabischen Politikbewegungen in den 1950ern und 1960ern wurden vonBefreiungsideologien und Vorstellungen von Freiheit und Einigkeit dominiert. Die Vorstellung einerRevolution und der Aufstieg einer Republik fesselte die Gedanken der Massen. Das Ziel die Monarchienin der Region zu stürzen überschattete alle anderen Anliegen, da die arabischen Revolutionäre dieMonarchie als größtes Hindernis auf dem Weg zu Befreiung und Fortschritt betrachteten. Sieerkundeten nicht die Möglichkeit, dass Monarchien eigentlich für Fortschritte bei der Entwicklung undden Menschenrechten sorgen konnten - trotz der Tatsache, dass diese Regimes bereits mitausgeprägten konstitutionellen und parlamentarischen Zuständen vertraut waren und diese erlebthatten.

Die Revolutionäre setzten folglich Prioritäten und richteten ihre gesamte Aufmerksamkeit auf dieRevolution und das republikanische System, in der Annahme, dass die arabische "Nahda" (Wiedergeburt) auf keinem anderen Weg erreicht werden kann. Die Besessenheit mit dem Sturz vonRegimes nahm Überhand und übertraf jegliche Bedenken zur Bildung einer Demokratie. DieseIdeologie herrschte viele Jahre lang vor, während die arabischen Völker darauf warteten, dass die neugegründeten republikanischen und revolutionären Regimes ihre Hoffnungen und Erwartungen wahrmachen würden. Die ehemaligen Revolutionäre weigerten sich jedoch Alternativen zu ihren Regimesin Betracht zu ziehen und schenkten anderen Wegen zu Fortschritt und Befreiung keine Beachtung,sondern hielten sich an die durch revolutionäres und sozialistisches Denken vorgeschriebenen Pfade.

Der größte Fehler im arabischen politischen Denken war, dass es Freiheit, Fortschritt und Entwicklungin Konflikt und in Widerstreit mit Demokratie setzte - mit anderen Worten hieß es entweder Revolutionoder Demokratie. Im günstigsten Fall war Demokratie etwas, das zurückgestellt wurde bis die Regimesgestürzt und sozio-politische Emanzipation und wirtschaftliche Entwicklung erreicht worden waren.Tatsächlich löste die Mehrheit der revolutionären arabischen Regimes nach den Revolutionenumgehend bestehende politische Parteien auf und verhinderte Pluralismus, so dass ihreRevolutionsführer zu neuen Herrschern wurden. Währenddessen wurden die Menschen auf Gnadedieser neuen Herrscher in neue Untertanen gewandelt und Revolution und Demokratie wurden zuzwei feindlichen Polen, anstatt, dass die eine der anderen den Weg bereitet.

Einige arabische Denker waren sich der Gefahren von Revolutionen bewusst, die nichts weiter alsden Namen "Revolution" besaßen. Sie warnten vor neuen totalitären Ideologien, die sich in glänzende,attraktive Ideologien kleideten. Da sie jedoch aus unterschiedlichen Denkschulen stammten, hattensie keinen Erfolg bei der Kristallisation ihrer Ideen zu einem einheitlichen intellektuellen Projekt mitEinfluss.

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Ein anhaltender Zustand der Revolution

Die vorhergehende Erörterung stellt keinen Versuch dar, die Revolution und die Revolutionäreherabzustufen. Auch möchte sie nicht die Bürde einer ganzen Periode dem revolutionärem arabischenDenken auferlegen. Zweifellos haben einige Regimes positive Schritte unternommen, die einenFortschritt darstellten. Das Problem bestand darin, dass die politischen Akteure dieser Zeit "Revolution" als einen anhaltenden, kontinuierlichen Zustand behandelt haben. Sie unterschieden nicht zwischender Revolution als Mittel zum Sturz autoritärer und korrupter Regimes und der transformativen Phase,die auf eine Revolution folgen muss und die Ideen, Methoden und Verfahren erfordert, die nichtzwingend die gleichen sind, die auch für die Durchführung einer Revolution notwendig sind. EineRevolution ist ein außergewöhnlicher Zustand, der den Status Quo ändern soll, mit dem die Menschennicht länger zufrieden sind. Revolutionen machen sich die Unzufriedenheit des Volks zunutze, um diezu stürzen, die als Quelle des Leidens betrachtet werden. Aber Menschen können in einem Zustandandauernder Revolution weder leben noch Fortschritte machen.

Eine Revolution muss daher zwei Phasen durchlaufen: Zerstörung und Aufbau. Die Periode derZerstörung in einer Revolution ist der einfache Teil. Unsere früheren arabischen Revolutionen warenin dieser Hinsicht erfolgreich, da sie auf einen Militärputsch, die Ermordung eines Königs oder Anführersbeschränkt waren - nach denen die Revolution zu einem Erfolg erklärt wurde. Was wir als Revolutionenbezeichnen, waren in Wirklichkeit tatsächlich vorwiegend Staatsstreiche oder Militärverschwörungenund keine Revolutionen, denn manchmal waren sich die Menschen nicht einmal bewusst, dass eineRevolution stattgefunden hatte und merkten es erst, nachdem das alte Regime gestürzt und umgehenddurch ein neues ersetzt worden war.

Die früheren arabischen Revolutionen waren in ihrer ersten Phase erfolgreich, beim Prozess derZerstörung. Oft reichte schon die Besetzung von staatlichem Fernsehen und Radio, oder eine Kugelim Kopf eines korrupten Anführers - dem rechtsstehenden, reaktionären Agenten des Kolonialismusund der Quelle des Untergangs der Nation... usw. Dann folgte eine leidenschaftliche Rede, oder das,was der Revolutionsführer gerne als "erste Erklärung" an die Massen bezeichnet, in der die Revolutionals Erfolg deklariert wird.

Aber was geschieht danach? Viele der arabischen Revolutionsbewegungen servierten lediglich diealten Regimes ab. Dann thronten sie auf deren Ruinen, sangen die Parolen der Revolution - undglaubten, dass diese Parolen den Hunger der Leute stillen und sie aus ihrer Not befreien würden. Waswar mit der Wirtschaft, den Schulden, mit Bildung und Technologie? Zerstörung ist ein einfacherProzess. Er kann von einem verschleierten Offizier in der Armee ausgeführt werden. Es ist jedoch derAufbauprozess, der entscheidend ist, denn dieser erfordert viele Männer und Frauen, eine andereMentalität und unterschiedliche Methodiken.

Jahrzehnte lang wurden wir gezwungen mit wahnhaften und anmaßenden Diktatoren zu leben, diebehaupteten, dass nur sie Anspruch auf ihre Stellung haben, bloß weil sie ihr Volk in einer "Revolution" angeführt haben - so wie der ermordete Muammar Gaddafi, der sein Volk allein aus dem Grundabschlachtete, weil es mit seinen Protesten auf die Straße ging. Er weigerte sich zurückzutreten, weiler seiner Ansicht nach formal gesehen nicht der Präsident eines Staates war, sondern der Anführereiner "ewigen Revolution". Diejenigen, die Anspruch auf die Tugend erhoben haben Anführer einer "Revolution" gewesen zu sein, haben sich als die demagogischsten Herrscher erwiesen.

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Hindernisse auf dem Weg zur Demokratie im arabischen politischenDenken

Die oben diskutierte Abwesenheit der Demokratie im arabischen politischen Denken kann aufFolgendes zurückgeführt werden:

1) Das Fehlen eines arabischen Modells für eine demokratische Staatsführung, das als Quelle derInspiration bezeichnet und genutzt werden kann, trotz einiger Versuche eine Gemeinsamkeit zwischender Auffassung der islamischen Schura[5] und der Demokratie zu schaffen. Des Weiteren ist das vonder arabisch-islamischen Erbschaft übernommene Bild einer idealen Regierung das eines "gütigenDiktators" (wörtlich: "der gerechte Tyrann"), trotz der Tatsache, dass bestimmte arabische Länder vorder Unabhängigkeit konstitutionelle und parlamentarische Zustände erlebt haben.

2) Das Fehlen aufgeklärter demokratischer Denker in Positionen, in denen sie Einfluss aufEntscheidungsträger ausüben können, die in der Lage sind eine Vision zu entwickeln, diedemokratische Vorstellungen mit den einzigartigen sozio-kulturellem Eigenarten und Bedürfnissen derarabisch-islamischen Gesellschaften verbindet. Nicht einmal die Ideen der arabischen Nahda(Renaissance), der Denker zur Wende des 20. Jahrhunderts, wie z.B. Mohammed Abdo, Abd al-Rahman Kawakibi, Boulos Salameh, Taha Hussein und anderen, wurden ernsthaft umgesetzt,aufgebaut oder weiterentwickelt. Diese Ideen waren so fruchtbar und reichhaltig, dass sie zu dieserZeit den Kern eines kulturellen arabischen demokratischen Projekts hätten bilden können. Stattdessentrafen sie auf Widerstand eines Spektrums politischer Strömungen wie den Nationalisten, Säkularisten,religiösen Bewegungen und den Revolutionären.

3) Die Abwesenheit einer demokratischen, intellektuellen Elite, die als Katalysator auftreten und dieRichtung zu einer demokratischen Wandlung in der Gesellschaft vorgeben konnte. Einige Angehörigeder arabischen intellektuellen Elite bewegen sich in den Kreisen der Obrigkeit, während andere ihreBahnen mit denen ziehen, die die Gunst der Herrschenden verloren oder sich von ihnen distanzierthaben.

4) Das Fehlen einer demokratischen Kultur. Demokratie ist nicht nur eine Angelegenheit vonInstitutionen, sondern sie ist auch eine Kultur. In der arabischen Welt wurden die demokratischenInstitutionen vor dem demokratischen Denken gegründet. Hier finden wir den Gegensatz zwischender vorherrschenden Massenkultur - die religiös-fundamentalistisch, militant revolutionär oderautokratisch und diktatorisch sein kann - auf der einen Seite und einer demokratischen Kultur auf deranderen Seite.

5) Internationale Polaritäten sind politisch und ideologisch auf solch eine Art und Weise entstanden,dass viele arabische Akteure dazu übergegangen sind, Demokratie als Eigentum des westlichenImperialismus zu betrachten. Daher ist sie in ihren Augen Teil der westlichen imperialen Kultur und sienehmen deren Grundsätze und Regelungen und die Forderungen nach ihrer Anwendung als Teil derInvasion der westlichen Kultur wahr.

6) Es herrschte die weit verbreitete Ansicht, dass Demokratie durchweg eine Erfindung der bürgerlichenElite war - und immer noch ist -, die von einer reichen Minderheit stammt und von der MinderheitIntellektueller mit einer westlichen Bildung. Angesichts der unangenehmen Beziehung zwischen denarabischen Volksmassen und der arabischen Obrigkeit waren die Massen daher zurückhaltend undhaben von Anfang an vorsichtig auf den Gedanken einer Demokratie und die Befürworter derDemokratie reagiert.

7) Alles wurde mit der palästinensischen Sache und dem Zionismus in Verbindung gebracht, so dassautoritäre und korrupte Regimes in der Lage waren zu behaupten, dass nicht Armut, Analphabetismus,Menschenrechtsverletzungen und der Mangel an politischer Mitwirkung die unmittelbaren Problemesind, sondern eher die zionistische Bedrohung. Dementsprechend hat dieser Vorwand alleAnstrengungen erfordert, um geeint zu sein und sich auf die "Einheit" sowie die Befreiung Palästinas

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zu konzentrieren. Im Namen Palästinas wurden in der Tat Rechte und Freiheiten an sich gerissen,Gefängnisse haben sich stark vermehrt, Männer und Frauen wurden verfolgt, die Massen wurdenunwissender gemacht und die Armen wurden ärmer und die Reichen wurden reicher - das Resultatsieht so aus, dass weder Palästina befreit noch Demokratie erreicht wurde.

8) Die Identitätsfrage hat sich zu einer Konfliktangelegenheit entwickelt, vor allem, wenn es umnationalistische, pan-nationalistische, religiöse und universalistische Identitäten geht. Darüber hinauswurden in modernen arabischen Staaten keine Anstrengungen unternommen, um diese Identitätendurch die Ermittlung von Prioritäten unter einen Hut zu bringen, damit von einem Identitätskreis zumnächsten ein Übergang ohne die Entstehung von Spannungen und Konflikten geschaffen werden kann.

9) Revolutionäre und pan-nationalistische arabische Regimes haben eigentlich das genaue Gegenteilihrer Ideologie und Rhetorik erzeugt. Wenn diese Regimes von einer arabischen Einheit und derarabischen Nation sprachen, bestanden die Logik und die Gegebenheiten dieser Regimes nicht nurdarin, einen erbitterten, staatszentrierten Nationalismus durchzusetzen, sondern auchStammesdenken und sogar Sektentum. Die Konzepte der Nation und des Nationalismus wurden ineine Barriere umgewandelt, die jegliche unionistischen oder pan-nationalistischen Ausrichtungeneingrenzte.

10) Als Reaktion auf die eingebildete Bedrohung, die von den revolutionären Regimes vorgegebenwurde, haben sich traditionelle Regimes in sich selbst zurückgezogen und eine für sie einzigartigeIdentität geschaffen, die Religion, Tradition und historische Vermächtnisse nutzt und ausnutzt. Diearabischen Regimes daher in solche gespalten, die eine revolutionäre Legitimität verkünden (zumBeispiel Syrien) und solche, die auf eine religiöse Legitimität hindeuten (wie Saudi-Arabien).Unterdessen fehlen ihnen in Wirklichkeit all diese vermeintlichen Rechtmäßigkeiten, solange ihreVölker nicht frei sind in ihrer Entscheidung, wer sie regieren soll.

Fazit

Trotz der langen Jahre, die auf die Unabhängigkeit folgten, hatte das arabische politische Denkenkeinen Erfolg bei der Entwicklung einer Schule demokratischen Denkens, die als "arabisch" bezeichnetwerden kann und spezifische und definierte Züge hat. Später trat die Globalisierung auf die Bühne,um neben den Herausforderungen der Demokratisierung und Weiterentwicklung, die die arabischenStaaten noch nicht erfolgreich angehen konnten, noch eine weitere Herausforderung aufzuwerfen.

Im Kontext der gegenwärtigen Revolutionen, bei denen die arabischen Massen ihre Forderungen nachDemokratie und Freiheit zum Ausdruck gebracht haben, entstehen zahlreiche Fragen bezüglich derZukunft des arabischen politischen Denkens, darunter die, ob es in der Lage sein wird erfolgreich eindemokratisches Projekt zu entwickeln, das die Vorherrschaft, Tyrannei und leeren Behauptungen undForderungen vermeidet, die jahrzehntelang mit arabischen Regimes einhergingen. Das ist besonderswichtig, weil diese Revolutionen nicht durch Staatsstreiche oder das Militär zustande gekommen sind,sondern von unterdrückten arabischen Bevölkerungen in Gang gebracht wurden, die ihre Barriere ausAngst und Schweigen durchbrechen und sagen konnten: "Wir wollen nur Demokratie!"

Aber wird dieses Erlebnis Erfolg haben? Wir stehen vor einer Übergangsphase in der wir - wenn dierevoltierenden Massen Erfolg bei der Verbesserung der Regierungssysteme haben - Zeugen einerRenaissance werden könnten, einer Wiedergeburt und Erneuerung des arabischen politischenDenkens gestützt auf demokratische Grundsätze.

Der Text ist eine überarbeitete Version der englischen Originalausgabe, erschienen in PerspectivesMiddle East, Nr. 2, Mai 2011: "People's Power - The Arab World in Revolt" der Heinrich Böll Stiftung.

Fußnoten

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1. "Regionaler Nationalismus" oder "individueller Nationalismus" ("qutriyeh") stehen für die Richtungpolitischen Denkens, die als Teil des panarabischen Nationalismus entstand, aber ihre Visionarabischer Einheit auf das Konzept von "qutur" oder "qutriyeh" gründet. Laut Lisan Al-Arab, einerder angesehensten Quellen der arabischen Sprache, ist "qutur" eine "Seite" oder ein "Gebiet".Die Verfechter dieser politischen Denkrichtung bestätigten, dass die Regionen der arabischenWelt sich in ihren Eigenschaften unterscheiden und propagierten daher eine Regierungsform, diedie arabische Welt in verschiedene "aqtar" (Mehrzahl von "qutur") spalten würde, während unterdiesen "aqtar" eine allgemeine politische arabische Einheit beibehalten werden sollte. Genauergesagt förderte diese Strömung panarabischen Nationalismus das Bestreben nach einemGroßsyrien und wurde überwiegend von den syrischen und irakischen Baath-Regierungenvertreten. Im Gegensatz dazu fordert der traditionelle panarabische Nationalismus (qawmiyeh)eine vereinte arabische Nation, deren Territorium sich vom Atlantik bis hin zum Arabischen/Persischen Golf erstreckt.

2. "Göttliche Führung und Souveränität" ist das im Islam als "al-Hakimiya” bezeichnete Prinzip oderder Rechtsgrundsatz, den Gott den Menschen vorgetragen hat, d.h. die islamische Scharia oderdas Gesetz. Dieses Prinzip wird von bestimmten grundlegenden islamischen politischenDenkschulen genutzt, um zeitgemäße Regimes, Verfassungen und (Zivil-)gesetze alsblasphemisch zu verleugnen.

3. Al-Salaf al-Saleh: Die gerechten (oder frommen) Vorgänger bezieht sich auf die ersten dreiGenerationen der Muslime. Diese drei Generationen haben ihren Anfang bei den Gefährten(Sahaba) des Propheten Mohammed, ihren umittelbaren Nachfolgern (Tabi’in) und dann denNachfolgern der Tabi’in. Diese wurden wie folgt vom Propheten Mohammed gepriesen: "Die bestenMenschen sind meine Generation, dann diejenigen, die nach ihnen kommen und dann diejenigen,die nach ihnen kommen" [Bukhari und al-Muslim].

4. Gamal Abdel Nasser war von 1956 bis zu seinem Tod 1970 der zweite Präsident Ägyptens.Zusammen mit Muhammad Nagib, dem ersten Präsidenten, führte er die ägyptische Revolution1952 an, die die Monarchie von Ägypten und Sudan stürzte und ein neues Zeitalter derModernisierung und des Sozialismus in Ägypten einläutete, zusammen mit einem Vorrücken despanarabischen Nationalismus, zu dem auch ein kurzlebiges Bündnis mit Syrien gehörte.

5. Das Wort shura stellt den Titel des 42. Kapitels des Korans dar, in dem Gläubige dazu ermahntwerden ihre Angelegenheiten "im gemeinsamen Gespräch" zu regeln. In vielen muslimischenStaaten bezeichnet shura verschiedenartig einen Staatsrat, oder Berater des Herrschers, oderein Parlament (in modernen Zeiten) und - in bestimmten arabischen Staaten - ein Gericht mitZuständigkeit für Klagen von Bürgern und Beamten gegen die Regierung.

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Die arabische Straße in postislamistischen ZeitenVon Asef Bayat 15.3.2012ist Professor für Soziologie und Nahoststudien an der University of Illinois. Davor war er der Leiter des International Institute for theStudy of Islam in the Modern World (ISIM) und bekleidete die Professur für Gesellschaft und Kultur des modernen Nahen Ostensan der Universität Leiden. Zu seinen neuesten Büchern gehören "Making Islam Democratic: Social Movements and the Post-IslamistTurn" (2007), (zusammen mit Linda Herrera), "Being Young and Muslim: Cultural Politics in the Global South and North" (2010), und"Life as Politics: How Ordinary People Change the Middle East" (2010)

Revolutionen geschehen, wo wir sie nicht erwarten, meint Asef Bayat. Und wenn kollektiveUnzufriedenheit zu gemeinsamem Handeln führe, entwickle sich oft eine unvorhersehbareDynamik.

Der Volksaufstand in Tunesien und dann auch in anderen arabischen Ländern kam für vieleüberraschend - westliche Beobachter, die arabische Oberschicht und sogar diejenigen, die diesenbemerkenswerten Vorfall ausgelöst hatten. Die Überraschung scheint gerechtfertigt zu sein. Wie hätteman sich auch vorstellen können, dass eine Kampagne gewöhnlicher Araber in so kurzer Zeit Diktatorenstürzen würde, die seit Jahrzehnten über autoritäre Staaten geherrscht haben? Es handelt sich hierum eine Region, in der die Lebenserwartung von 'Präsidentschaften' einzig der 'ewigen' Herrschaftihrer Scheiche, Könige und Ayatollahs entspricht, die sich auf Öl und politische Rente verlassen(westlichen Schutz), um ihre Macht zu halten und die Völker zu unterjochen. Aber die Verwunderungüber die arabische Revolution hat noch einen anderen Ursprung - das gemeinsame Misstrauen unterder arabischen Oberschicht und deren Verbündeten von außerhalb gegenüber der so genannten"arabischen Straße" - diese wird aufgrund ihrer "gefährlichen Irrationalität" und "bedauernswertenTeilnahmslosigkeit" zugleich gefürchtet und bemitleidet.

Aber die Geschichte liefert uns ein komplexeres Bild. Weder "irrational" und zu Unruhen neigend, noch"teilnahmslos" und "erschöpft", vermittelt die arabische Straße die Stimmung der Gemeinschaft unddie abweichenden Meinungen, die von unterschiedlichen Anhängerschaften zum Ausdruck gebrachtwerden, die nur wenige oder keine wirksamen institutionellen Kanäle zur Äußerung ihrerUnzufriedenheit haben. Das Ergebnis ist eine Straßenpolitik, durch die Araber trotz allem Wegegefunden haben, um ihre Ansichten und Interessen auszudrücken. In den letzten Jahren hat sich diearabische Straße gewandelt. Mit neuen Mitwirkenden und Kommunikationsmitteln ist sie nun bereit,einige tief greifende Änderungen in der Politik der Region in die Wege zu leiten.

Die arabische Welt hat eine lange Geschichte dieser "Straßenpolitik" vorzuweisen. Es haben sichVolksbewegungen erhoben, um sich kolonialer Herrschaft zu widersetzen, wie in Syrien, dem Irak,Jordanien und dem Libanon in den späten 1950ern, nachdem Nasser den Suezkanal verstaatlichthatte. Der erfolglose dreiseitige Angriff von Großbritannien, Frankreich und Israel im Oktober 1956 zurRückgewinnung der Kontrolle über den Kanal verursachte eine Flut von Volksprotesten in arabischenLändern zugunsten von Ägypten. Die unruhigen Jahre im Anschluss an 1956 stellten wahrscheinlichdie letzte große panarabische Solidaritätsbewegung bis zur pro-palästinensischen Welle von 2002dar. Aber soziale Proteste von Arbeitern, Handwerkern, Frauen und Studenten für inländische sozialeEntwicklung, Bürgerrechte und politische Mitwirkung erklangen sogar weiterhin, als der arabischeStaat repressiver wurde. In den 1980ern kam es zu Wellen wilder Streiks und zu Straßenprotesten inMarokko, dem Sudan, dem Libanon, Tunesien, Jordanien und Ägypten gegen die Senkung derKonsumgütersubventionen, Preiserhöhungen, Lohnkürzungen und Kündigungen - Entwicklungen, diegrößtenteils mit den vom Internationalen Währungsfonds empfohlenen Strukturanpassungsprogrammenverbunden waren. In der Zwischenzeit spielte die anschwellende Studierendenschaft weiterhin

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Schlüsselrollen bei den Volksbewegungen, entweder unter den weltlich-nationalistischen und linkenKräften, oder unlängst auch unter dem Banner des Islamismus.

Die erste palästinensische Intifada (1987 - 1993), eine der grundlegendsten Basisbewegungen imNahen Osten während des vergangenen Jahrhunderts, vereinte die Forderung nachSelbstbestimmung mit demokratischer Regierung und der Rückforderung der individuellen undnationalen Würde. An dem Aufstand, der durch einen von einem israelischen LKW-Fahrer verursachtentödlichen Unfall ausgelöst wurde und vor dem Hintergrund einer jahrelangen Besetzung stattfand,beteiligte sich fast die gesamte palästinensische Bevölkerung, insbesondere Frauen und Kinder, dieauf gewaltfreie Methoden für den Widerstand gegen die Besetzung zurückgriffen, wie zum Beispielzivilen Ungehorsam, Streiks, Demonstrationen, Steuereinbehalt und Produktboykotte. Die Bewegungwurde hauptsächlich von den örtlichen (verglichen mit verbannten) Führern geleitet und baute zu ihrerUnterstützung auf Volkskomitees (z.B. für Frauen, Freiwilligenarbeit und medizinische Hilfe), währendsie als noch unausgereifte Institution für einen zukünftig unabhängigen palästinensischen Staat diente.Diese Intifada bleibt ein Vorbild und eine Inspiration für heutige Protestierende.

In den späten 1990ern und 2000ern entstand die nächste große Welle arabischer Straßenpolitik, dienoch heute andauert. Die arabische Straßenpolitik nahm als Reaktion auf Israels Übergriffe auf diepalästinensische Westbank und Gaza und auf die Anglo-US-Invasion in Afghanistan und den Irak eineausgeprägte panarabische Richtung an. Für kurze Zeit schienen die arabischen Staaten ihre festeKontrolle zu verlieren und in der Öffentlichkeit wurden immer mehr Oppositionsgruppen laut, sogarunter den "verwestlichten" und "apolitischen" Teilen der Bevölkerung. In Dutzenden arabischer Städtemarschierten Millionen auf, um gegen das zu demonstrieren, was sie als amerikanisch-israelischeBeherrschung der Region betrachteten. Diese gegen ausländische Kräfte gerichteten Kämpfegenossen manchmal die stillschweigende Zustimmung der arabischen Staaten, denn sie lenkten denDissens im Volk gegen ihre eigene repressive Herrschaft in andere Bahnen. Eine ganze Weile langschafften es die arabischen Staaten, die politische Klasse durch Verbreitung eines gemeinsamenDiskurses auf Grundlage von Nativismus, Religiosität und Anti-Zionismus zu neutralisieren, währendsie gleichzeitig jeden wirksamen Widerstand gegen ihre eigenen Regierungen einschränkten.

Allerdings scheint die Lage sich zu wandeln. Es gibt nun Anzeichen für eine neue arabische Straßemit postnationalistischen, postislamistischen Ansichten und neuen Mobilisierungsformen. DieDemokratiebewegung 2004 in Ägypten - mit der Kifaja ["Es ist genug"; Anm. d. Red.] im Mittelpunkt -mobilisierte tausende Berufstätige der Mittelklasse, Studenten, Lehrer, Richter, und Journalisten, dieein Ende des Notstandsgesetzes, die Freilassung politischer Gefangener, das Ende von Folter undein Ende der Präsidentschaft von Hosni Mubarak forderten. Diese Bewegung baute direkt auf denAktivitäten des Volkskomitees für Solidarität der palästinensischen Intifada auf, entschied sich für eineZusammenarbeit mit "Volkskräften" anstatt mit traditionellen Oppositionsparteien, brachte dieKampagne auf die Straßen anstatt sie von ihrem Hauptsitz aus zu übermitteln und konzentrierte sichauf inländische Angelegenheiten anstatt einfach auf internationale Forderungen.

Erst kürzlich führte die "Zedernrevolution", eine Basisbewegung von ungefähr 1,5 Millionen Libanesenaus allen gesellschaftlichen Schichten, die sinnvolle Souveränität, Demokratie und ein Endeausländischer Einmischung forderten, 2005 zum Rückzug syrischer Streitkräfte aus dem Libanon. Diegrüne Welle im Iran, eine breite Demokratiebewegung, die 2009 im Anschluss an die betrügerischenPräsidentschaftswahlen aufkam, hat als Auftakt für den heutigen arabischen Frühling gedient. Diesehaben sich alle insofern von der traditionellen arabischen Politik gelöst, dass sie einen neuenpostislamistischen und postideologischen Kampf darstellen, der die Anliegen nach nationaler Würdemit sozialer Gerechtigkeit und Demokratie vereint. Diese Bewegungen haben pluralistischeWählerschaften, verfolgen neue Mobilisierungsmethoden (wie z.B. Boykottkampagnen, Protestkunstund Cyber-Mobilisierung) und sind der traditionellen Parteipolitik überdrüssig.

Warum dieser Wandel? Zweifellos gibt es da den sich seit langer Zeit bildenden Jugendüberschussund die Verbreitung neuer Informationstechnologie (Internet, E-Mail, Facebook, YouTube, Twitter und

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vor allem Satellitenfernsehen wie Al-Jazeera). Frustrierte Jugendliche gehen nun schnell dazu über,diese neuen Ressourcen auszunutzen, um sich selbst Geltung zu verschaffen und andere zumobilisieren. Ägyptische Jugendliche nutzten zum Beispiel Facebook, um ungefähr 70.000 gebildeteJugendliche zu mobilisieren, die Redefreiheit und wirtschaftlichen Wohlstand forderten und gegenKorruption protestierten. Aktivisten organisierten erfolgreich Straßenproteste, Kundgebungen undstarteten noch eindrucksvoller einen Generalstreik am 6. April 2008 zugunsten der streikendenTextilarbeiter. Die Massendemonstration in Ägypten am 25. Januar 2010 und die in anderen arabischenLändern wurden vorwiegend von interneterfahrenen Jugendlichen über Facebook und Twitterorganisiert, die dann Protestbotschaften an andere Gruppen und die Straße weitergegeben haben.Die Methoden und Technologien der Mobilisierung spielten insbesondere beim tunesischen Aufstandeine entscheidende Rolle.

Aber hier geschieht mehr als nur die Nutzung von Informationstechnologie. Die soziale Strukturinnerhalb der Region hat sich rasant verändert. Es gibt eine wahre Explosion an Bildungseinrichtungenfür die Massen, wodurch mehr Alphabetisierung und Bildung zustande kommen und die Schicht dergebildeten Bevölkerung zunimmt. Gleichzeitig werden diese Gesellschaften immer schnellerstädtischer. Es leben weit mehr Menschen in den Städten als in den ländlichen Gebieten (geradeunterhalb von Mittel- und Osteuropa). Schleichend sickert die Urbanität in die traditionell ländlichenGesellschaften - es gibt moderne Arbeitsteilung, moderne Schulen, erweiterte Dienstleistungen,Elektrifizierung, und vor allem Kommunikationssysteme (Telefonleitungen, Autos, Straßen undMinibusse), die eine Raum-Zeit-Verdichtung zwischen den "ländlichen" und städtischen Weltenerzeugen. Die Grenze zwischen "städtisch" und "ländlich" verschwimmt immer mehr und ein großerTeil der "ländlichen" Bevölkerung ist im herkömmlichen Sinne nicht länger ländlich.

Doch eine entscheidende Veränderung ist das Aufkommen der "verarmten Mittelklasse" (mitbedeutenden politischen Auswirkungen) auf Kosten des Rückgangs der traditionelleren Klassen undihrer Bewegungen - in besonderem Maße Bauernorganisationen, genossenschaftliche Bewegungenund Gewerkschaften. Da Bauern vom Land in die Stadt gezogen sind oder ihr Land verloren habenund zu städtischen Tagelöhnern wurden, ist die soziale Basis der bäuerlichen und genossenschaftlichenBewegungen zerbröckelt. Die Schwächung des Wirtschaftspopulismus, die in engem Zusammenhangzur strukturellen Anpassung steht, hat zur Abnahme der Beschäftigungen im öffentlichen Sektor geführt,der den Kern des Gewerkschaftswesens gebildet hat. Durch Reformen, Stellenabbau, Privatisierungund Umsiedlungen hat die strukturelle Anpassung den gewerkschaftlich organisierten öffentlichenSektor untergraben, während neue Privatunternehmen in Verbindung mit internationalem Kapitalweitestgehend gewerkschaftsfrei bleiben. Obwohl die Staatsbürokratie gewichtig bleibt, sind ihreunterbezahlten Angestellten unorganisiert und ein Großteil von ihnen kann nur durch die Annahmeeines zweiten oder dritten Jobs im informellen Sektor überleben. Derzeit ist die Mehrheit der arabischenArbeitnehmerschaft selbstständig. Viele Lohnarbeiter sind in kleinen Unternehmen beschäftigt, indenen patriarchalische Verhältnisse vorherrschen. Durchschnittlich sind zwischen einem Drittel undder Hälfte der städtischen Arbeitnehmerschaft in dem ungeregelten, unorganisierten informellen Sektortätig. Aufgrund des Mangels an institutionellen Kanälen für ihre Forderungen werden die Straßen zuSchauplätzen für den Ausdruck ihrer Unzufriedenheit.

Und all dies geschieht vor dem Hintergrund wachsender Bildungseinrichtungen, insbesondereUniversitäten, die jährlich Hunderttausende Absolventen hervorbringen. Sie machen ihren Abschlussmit neuem Ansehen, neuen Informationen und Erwartungen. Viele von ihnen sind Kinder bequemerEltern oder traditioneller Landbewohner oder städtischer Armer. Aber diese neue Generationunterscheidet sich von ihren Eltern in der Perspektive, den Erfahrungen, der sozialen Stellung undden Erwartungen. Im Gegensatz zur Ära der postkolonialen Sozialisten und staatlichenModernisierungen, die Hochschulabsolventen als Gründer einer neuen Nation feierte, kann der aktuelleneoliberale Wandel den meisten von ihnen keinen wirtschaftlichen Status bieten, der zu ihrengehobenen Ansprüchen und globalen Träumen passt. Sie stellen die paradoxe Klasse der"mittelständischen Armen" mit höherer Bildung, selbst geschaffener Stellung, offeneren Weltansichtenund globalen Träumen dar, die trotzdem aufgrund von Arbeitslosigkeit und Armut dazu gezwungen

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sind an den Rändern der neoliberalen Wirtschaft als gelegentliche, schlecht bezahlte, statusniedrigeund gering qualifizierte Arbeiter (als Straßenverkäufer, Verkäufer, Boss Boys [Küchenhilfen] oderTaxifahrer) zu leben und in den überfüllten Elendsvierteln und informellen Siedlungen der arabischenStädte zu wohnen. In ihrer wirtschaftlichen Armut fantasieren sie von einer Stellung in der Wirtschaft,die ihre Erwartungen fordern - Arbeit in einem IT-Unternehmen, sichere Arbeitsplätze,Verbrauchsgewohnheiten der Mittelklasse und vielleicht eine Auswanderung in den Westen.

Die "mittelständischen Armen" sind nun das neue Proletariat des Nahen Ostens, die sich sehr vonihrem früheren Pendant unterscheiden - in ihrer Universitätsbildung, Weltkenntnis, den Erwartungen,die andere von ihnen haben, und dem starken Bewusstsein ihrer eigenen Benachteiligung. Die Politik,die diese Klasse in den 1980ern und 1990ern verfolgte, wurde im Islamismus als beeindruckendsteOpposition gegen die weltlichen undemokratischen Regierungen in der Region dargestellt. Doch derIslamismus selbst sah sich in den letzten Jahren einer Krise gegenüber, nicht zuletzt weil es ihmernsthaft an Demokratie mangelt. Mit dem Aufkommen postislamistischer Zustände im muslimischenNahen Osten scheinen die "mittelständischen Armen" eine andere, postislamistische Bahn zuverfolgen.

Der tunesische Aufstand löste zweifellos demokratische Revolutionen in der arabischen Welt aus. DieEreignisse in Tunesien verursachten anfangs Massenjubel unter den Menschen und eine tief greifendeBesorgnis unter den Machteliten der Region. Dann brachen Massenproteste und Aufstände in Ägypten,Algerien, Jordanien, Libyen, Bahrain und Jemen aus, während die Führer in der Zwickmühle saßenund nicht wussten, wie sie reagieren sollten. In Ägypten, Libyen und Jemen haben Revolutionen bereitsAutokratien gestürzt, während die Proteste in Syrien und Bahrain noch anhalten. Ob ähnliche Wegeauch in der restlichen Region beschritten werden oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, wie dieamtierenden Regierungen sich verhalten. Die harte Realität ist, dass gerade aufgrund der in einigenLändern stattgefundenen demokratischen Revolutionen, diese woanders zumindest auf kurze Sichtnicht zustande kommen werden. Dieses Paradoxon erinnert an das Alleinsein der bolschewistischenRevolution in Europa und die islamische Revolution im Nahen Osten. Diese Revolutionen regten zuähnlichen Bewegungen auf der ganzen Welt an, aber sie machten ihre herrschenden Staaten auchwachsamer, ähnliche Auswirkungen in ihren Hinterhöfen (durch Reformen oder Unterdrückung oderbeides) zu verhindern.

Auf lange Sicht betrachtet sind ihre Bemühungen aber vielleicht nicht ausreichend. Die strukturellenÄnderungen (die Bildungsentwicklung, die öffentliche Rolle der Frau, die städtische Ausdehnung, dieneuen Medien- und Informationszugänge, neben weit verbreiteter Ungleichheit und Korruption)machen diese autoritären Regierungen - ob es nun Saudi Arabien, der Iran, Syrien oder Jordanien ist- angreifbarer. Wenn Dissens durch mietsubventionierte Wohlfahrtsalmosen kontrolliert wird, entfachtjeder wirtschaftliche Abschwung und jeder Rückgang der Fürsorge höchstwahrscheinlich öffentlicheEmpörung. Außerdem stehen nicht nur Arbeitsplätze und sinkender materieller Wohlstand auf demSpiel; es geht genauso um die Würde der Menschen und das Streben nach menschlichen unddemokratischen Rechten. Wie wir in Tunesien eindrucksvoll gesehen haben, hat die Umwandlungkollektiven Dissenses in gemeinsames Handeln und eine anhaltende Kampagne für Veränderungenihre eigene faszinierende und oftmals unvorhersehbare Dynamik. Das erklärt, warum wir in diesemTeil der Welt immer wieder überrascht werden - Revolutionen geschehen, wo wir sie nicht erwarten;und sie kommen dort nicht zustande, wo wir sie erwarten würden. Wer hat schließlich vor einem Jahrden Duft von Jasmin in den Hinterstraßen von Tunesien wahrgenommen?

Die englische Version erschien in:Perspectives Middle East, Nr. 2, Mai 2011: "People's Power - The Arab World in Revolt" der HeinrichBöll Stiftung. Eine frühere Version dieses Textes erschien in Foreign Policy, Middle East Channel, 26.Januar 2011.

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Arabische Führer und westliche LänderTausch der Demokratie gegen Geschäftsinteressen Von Ibrahim Saif 21.3.2012ist ein jordanischer Wirtschaftswissenschaftler und Generalsekretär des Wirtschafts- und Sozialrats. Zu seinen Fachgebietengehören die Volkswirtschaft des Nahen Ostens sowie der internationale Handel und Strukturanpassungsprogramme Er schrieb "TheOil Boom in the GCC Counties: New Dynamics Old Challenges" (2009), und war Mitverfasser von "Status-Quo Camouflaged:Economic and Social Transformation in Egypt and Jordan" (2010). Er ist Mitglied des Carnegie Middle East Center, des EconomicResearch Forum und des Global Development Network.

Prinzipien wie politischer Pluralismus, Menschen- und Frauenrechte müssen übergeschäftliche Interessen gestellt werden. Denn die Geschäftsinteressen haben viel zu langedie Beziehungen zwischen dem Westen und den arabischen Herrschern dominiert, sagt IbrahimSaif. Ist der Westen bereit, zu lernen?

Der frühere libysche Machthaber Muammar al Gaddafi bei Empfängen mit Tony Blair (oben, v.l., 29.05.07), SilvioBerlusconi (16.11.09), Nicolas Sarkozy (25.07.07), Hugo Chavez (unten, v.l., 28.09.09), dem österreichischenRechtspopulisten Jörg Haider (18.04.04) und mit Gerhard Schröder (14.10.04). (© picture-alliance/AP)

Zu einer Zeit, in der man den Zusammenbruch arabischer Regimes erlebt - angefangen bei Tunesienund Ägypten, über den Untergang der Führer Ägyptens und Jemens, bis hin zu den sich derzeit inSyrien entfaltenden Ereignissen, einer beispiellosen Umstrukturierung in Jordanien, die eine Rückkehrzur konstitutionellen Monarchie fordert, und den Forderungen der Libanesen, das konfessionspolitischeSystem abzuschaffen, sowie den Rufen der Palästinenser die bestehende politische Spaltung zubeenden - kommen wichtige Fragen auf. Welchen Standpunkt nimmt der Westen (die VereinigtenStaaten und Europa) zu diesen Veränderungen ein, wessen Kernforderungen sind unbestreitbardemokratisch? In welchem Zusammenhang stehen diese Veränderungen mit den Handels- undGeschäftsbeziehungen und gemeinsamen Interessen von Ländern unter korrupten, autoritärenRegimes und in welchem mit den USA und Europa?

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Bis 2010 konnten arabische Regimes sich guter Beziehungen mit Brüssel und Washington rühmen.Politische und Menschenrechtsfragen waren auf den gemeinsamen Agenden quasi nicht vorhanden;bestenfalls wurden sie in Pressemeldungen und Berichten zu den arabischen Ländern erwähnt.Politischer Pluralismus und erhöhte Beteiligung waren alles andere als Kernpunkte und wurden häufigin den Hintergrund gedrängt, während wirtschaftliche Interessen und Investitionsmöglichkeiten dieBeziehungen beherrschten und formten.

Beziehungen bis in die jüngste Vergangenheit

Es gibt drei Möglichkeiten für den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Ländern. Dieeindeutigste sind Handels- und Investitionsbeziehungen, die auf den Umfang der Import- undExportgeschäfte zwischen den beteiligten Ländern hinauslaufen, und die im Wesentlichen denDienstleistungssektor umfassen: Finanztransaktionen, Tourismus, Versicherungen, Transport undweitere. Bei den meisten Ländern am Mittelmeerbecken macht der Dienstleistungssektor den größtenAnteil des Bruttoinlandsprodukts aus.

Zur zweiten Möglichkeit gehören Direktinvestitionen: Im Zeitraum von 2002 bis 2008 bis hin zumAusbruch des arabischen Frühlings kam es zu einem starken Anstieg bei der Größe ausländischerDirektinvestitionen, die in arabische Länder flossen - wobei Tunesien und Ägypten die Liste der Länderanführen, die das meiste Auslandskapital erhalten haben, ob nun aus ölreichen arabischen Ländernoder von westlichen Investoren. Diese Direktinvestitionen tragen zur Entwicklung gemeinsamerInteressen zwischen den betroffenen Parteien bei.

Die dritte Möglichkeit beinhaltet Beschäftigungen und deren Einschränkungen, hauptsächlich aufgrundvon Europas Anliegen den Migrationsfluss über seine Grenzen einzudämmen. Diese Herausforderunghat einen Großteil von Europas Wirtschafts- und Außenpolitik geprägt. Es war daher während derlibyschen Revolution nicht überraschend zu beobachten, dass Muammar al-Gaddafi Europa mitbeispiellosen Immigrationswellen drohte, um sein Regime an der Macht zu halten. Ob dies nunrealistisch war oder nicht, Gaddafis Drohungen erinnerten Europa vorbehaltlos an die von ihmerbrachten Dienste. Trotz Gaddafis weithin bekannter Unterdrückung seines Volkes, ließen seineAnstrengungen Libyen in den Schoß der Euro-mediterranen Partnerschaft zu manövrieren tatsächlichnie nach. Die Handelsbeziehungen zwischen Libyen und Italien oder Gaddafis Verbindung mit demehemaligen Premierminister Berlusconi zogen wenig Medienaufmerksamkeit auf sich. Solange derHandel zwischen den beiden Ländern reibungslos ablief und die Investitionsabkommen unterzeichnetwurden, standen politische und demokratische Fragen weiter unten auf der Prioritätenliste.

Wenig diskutiert sind die bilateralen Abkommen zwischen Geschäftsmännern der beiden Regionen,die direkte Auswirkungen auf die Politikgestaltung haben, denn diese sind schwerer festzustellen. Indiesem Zusammenhang kann man auf Waffengeschäfte zwischen den Vereinigten Staaten und Europaeinerseits und ölreichen Ländern andererseits hindeuten, die gewöhnlich von Aufruhr überKommissionen und mangelnde Transparenz begleitet werden. Das Abkommen zum Beispiel, das zurFreilassung von Abdel-Baset al-Megrahi, dem verurteilten Lockerbie-Bomber, führte, und dieVersprechen, die der verstorbene Gadaffi dem damaligen Premierminister Tony Blair gegeben zuhaben scheint, deuten darauf hin, dass die in der Öffentlichkeit hochgehaltenen Grundsätze hinterverschlossenen Türen über den Haufen geworfen werden. Bis heute ist immer noch unklar, wie diesesÜbereinkommen zustande kam, aber es wird angenommen, dass Geschäftsleute und Politiker beiderSeiten ein paralleles Abkommen besiegelten, das britischen Unternehmen wichtige Anteile an neuenund noch unerschlossenen Ölfeldern in Libyen garantieren sollte.

Derartige Beziehungen beschränkten sich natürlich nicht auf Libyen. Der Zusammenbruch von ZineEl Abidine Ben Alis Regime enthüllte das Ausmaß der Handels-, Investitions- und persönlichenBeziehungen zwischen Mitgliedern der französischen Herrschaftselite und Tunesiens abgesetzterRegierung. Größe und Ausmaß von Ben Alis Korruption waren den Männern und Frauen auf denStraßen Tunesiens klar. Der ehemalige Präsident hatte das Land zusammen mit seiner Frau und ihren

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Kumpanen als Privatunternehmen behandelt. Das ging so weiter, während das Land voninternationalen Finanzinstituten mit Bescheinigungen über die Unbedenklichkeit überhäuft wurde.Obwohl in Tunesien zügellose Korruption und Unterdrückung politischer und ziviler Freiheitenherrschten, flossen finanzielle Hilfen und Investitionen weiterhin. Das autoritäre Regierungssystemwar daher gefestigt und wurde anderen Ländern sogar als unumstrittene Möglichkeit zur Steigerungvon Exporten und wirtschaftlichem Wachstum verkauft. Infolgedessen gingen in den letzten Jahren50% der tunesischen Exporte an europäische Märkte und das Land zog eine große Anzahl europäischerInvestitionsfirmen an.

Eine ähnliche Szene spielte sich in Marokko ab. In Zusammenarbeit mit einer Reihe europäischerLänder wurde Tangers bekannter Hafen für über einer Milliarde US-Dollar in einen der größtenSchifffahrtskomplexe weltweit ausgebaut. Dies geschah trotz bedenklicher Zahlen bei den Indikatorenzur Einkommensverteilung, Armutsgrenzen und Arbeitslosigkeit. In einem Szenario, das sich auch ineiner Reihe anderer Länder wiederholte, haben Geschäftsleute Hand in Hand mit der Obrigkeitzusammengearbeitet, um die Wirtschaft zu beherrschen. Das Land und seine verschiedenen Apparatewerden von den Interessen der Geschäftsleute als Geiseln gehalten, die das Rechtssystem und dieGesetze zu ihrem Vorteil und dem ihrer Partner und Verbündeten zurechtgebogen haben. Abermalswar das für niemanden ein Geheimnis: das Freihandelsabkommen der USA mit Marokko 2004 enthieltkeine politischen oder sozialen Bedingungen, sondern konzentrierte sich einzig und allein auf dievoraussichtliche Größe des Handelsvolumens. Die USA unterzeichneten 2000 auch ein Abkommenmit Jordanien zu ähnlichen Bedingungen. Ein Freihandelsabkommen wurde 2004 ebenfalls zwischenBahrain und den USA geschlossen - trotz der Tatsache, dass sich viele Beobachter im Klaren überdie bedenklichen politischen Zustände in Bahrain waren, wo sogar die grundlegendsten Elemente derRechtsstaatlichkeit fehlen. Anscheinend war auch das nicht ausreichend, um den Abschluss desAbkommens zu verhindern.

Die Ereignisse in Syrien und die von EU-Ländern auferlegten Sanktionen gegen Damaskus in derzweiten Hälfte 2011 enthüllten das Ausmaß der Kooperation, die zwischen Europäern und demunterdrückenden syrischen Regime stattgefunden hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren EU-Länderdie größten Importeure von syrischem Öl. Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlandeerhielten ungefähr 90% der syrischen Ölexporte. Laut Schätzungen des IWF machten die Ölerträgein den Jahren von 2006-2010 zwischen 21% und 30% des gesamten Regierungseinkommens ausund beliefen sich auf 2,8 Milliarden $ in 2008 und 2,4 Milliarden $ in 2009. Das beweist, dass dieGeschäftsbeziehungen bis vor kurzem wichtiger waren als die autoritäre Natur des Regimes.

2009 feierte Ägypten seinen beträchtlichen Aufstieg im Ranking des Index für Verbesserung desInvestmentklimas, einer Auszeichnung, die von der Internationalen Finanz-Corporation (IFC) und derWeltbank auf Grundlage ihres Doing Business Report verliehen wird. Zu dieser Zeit erwähnte niemandhohe Arbeitslosenzahlen, Einkommensunterschiede oder die neuen Elendsviertel, die am Stadtrandvon Kairo aus dem Boden schossen. Die zügellose Korruption sorgte für keinerlei Stirnrunzeln. Alles,was mit Investition zu tun hatte, war heilig. Handel und Hilfsmittel flossen in einer eindeutig nichttragbarer Weise, doch die wenigen, die vor einer bevorstehenden Krise warnten, wurden misstrauischgemustert. Sie wurden auf der Grundlage angezweifelt, dass sie in ihrer Betrachtung und Analyse derwirtschaftlichen Kennzeichen keine "Objektivität" zeigten.

Im Allgemeinen haben westliche Länder keine Initiativen unterstützt, die eine Verbesserung derTransparenz und Nachvollziehbarkeit bei öffentlichen Ausgaben zum Ziel hatten. Laut Open BudgetInitiative Index1 waren ölreiche Länder am wenigsten entgegenkommend bei der Offenlegung vonEinzelheiten ihrer nationalen Budgets, wobei die meisten arabischen Länder in der unteren Hälfte derListe rangieren. Doch trotz alledem wurde kein Reform ausgeübt. Eher das Gegenteil war der Fall,denn der Westen zeigte - und zeigt noch immer - ungerechtfertigte Toleranz gegenüber der politischenUnterdrückung und dem Mangel einer guten Regierung in Empfängerländern. Unterdessen weisendie geschäftlichen Beziehungen (die sich am einfachsten messen lassen) beständiges Wachstum auf.Auch die finanzielle Hilfe, die den arabischen Ländern zur Verfügung gestellt wurde, sollte nicht

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vergessen werden. Unabhängig davon, ob diese Hilfe zur Unterstützung des nationalen Budgets, derMilitär- und Sicherheitsapparate, oder bestimmter Wirtschaftsgüter gewährt wurde, sie erweist sichals zuträglich für den Erhalt der autoritären politischen Regimes und ihrer verschiedenen Einrichtungen.Darüber hinaus haben internationale Finanzorganisationen wie der Internationale Währungsfonds unddie Weltbank viele der Politiken befürwortet, die zur Unzufriedenheit hinter den Protesten von 2011 indiesen Ländern geführt haben. Daher sind diese Organisationen in gewissem Maße (indirekt) für diegegenwärtige Krise und das späte Erwachen verantwortlich, auch wenn das nicht ihre Absicht war.

Spätes Erwachen

Mit dem Zusammenbruch von Präsident Ben Alis Regime wurden die Korruption in Tunesien, derschlechte Zustand des Sozialwesens und die hohen Arbeitslosenzahlen offensichtlich. Zu einerähnlichen Situation kam es in Ägypten beim Gespräch über das Einfrieren der Kapitalanlagen desabgesetzten Präsidenten Mubarak und seiner Familie. Was den besiegten Gaddafi und seinen innerenKreis anbelangt, so wurden die Vermögenswerte aus ihren amerikanischen Investitionen vonschätzungsweise 30 Milliarden US-Dollar bereits in den USA gesperrt, zusammen mit weiteren 10Millionen $ in Großbritannien und einer Millionen $ in Österreich. Während die Krise voranschritt,erfuhren wir, dass Gaddafis Investitionen in schweizerische Tankstellen sich auf über eine MilliardeUS-Dollar beliefen. Und die Berichte über angesammelte Reichtümer von Herrschern, die gestürztwurden und anderen, die sich derzeit massiven Legitimitätsproblemen gegenüber sehen, häufen sichweiter an.

Betrachten wir die geschäftlichen Beziehungen zwischen dem Westen und arabischen Ländern vordem Hintergrund schlechter Menschenrechtsbilanzen: Viele ölreiche Länder investieren ihre Ölerträgein amerikanische Staatsanleihen oder innerhalb von Europa. Infolgedessen werden schlechteMenschenrechtsbilanzen toleriert und übergangen, vorausgesetzt, dass die arabischen Führer dieStrategien des Westens in diesen Regionen befürworten. Mit Ausnahme des Iran und Syriens, denenstrenge Sanktionen auferlegt wurden, gibt es kein arabisches Land unter einer Finanz- oderWirtschaftsblockade. Ganz im Gegenteil, es gab immer ein Wettrennen zwischen westlichen Ländernüber die Unterzeichnung von Abkommen und Verträgen, ob nun mit Libyen oder Saudi-Arabien. Mitanderen Worten wurde der Zusammenhang zwischen Demokratie, der Optimierung öffentlicherAusgaben, Transparenz und der Verbreitung von Good Governance auf der einen Seite undausländischen Hilfen und Investitionen auf der anderen Seite erst von Bedeutung, als er genutzt wurde,um Regierungen zu schwächen und in Verruf zu bringen oder wenn Führer gegen westliche Interessenarbeiteten.

In letzter Zeit haben wir beobachtet, wie sich dieser Trend fortsetzt. Mit neuen Regierungen, die imZuge des arabischen Frühlings an die Macht kommen, wird das Schicksal frühererGeschäftsbeziehungen und zukünftiger Chancen auf Investitionen in ressourcenreiche Länder nichtlänger als selbstverständlich angesehen. Wir sehen, wie Regierungen sich wieder fangen, um dieWerte des arabischen Frühlings anzunehmen, der technische und finanzielle Hilfe fürÜbergangsregierungen verspricht. Im Mai 2011 sicherte der G8-Gipfel zu, aufkommenden Demokratienin den arabischen Regionen durch die Gründung der "Deauville-Partnerschaft" Unterstützungzukommen zu lassen. Laut Erklärung der G8 zum arabischen Frühling "wird die Deauville-Partnerschafteine wirtschaftliche Agenda ausarbeiten, die es Reformregierungen ermöglichen wird, die Hoffnungihrer Bevölkerungen auf starkes, umfassendes Wachstum zu erfüllen und ihnen einen freien unddemokratischen Ausgang der politischen Prozesse zu erleichtern, die derzeit in Bearbeitung sind." Wirfragen uns, ob eine solche Unterstützung mit jeder Menge Finanzierung und unternehmerischemVorhaben wirklich zu einer gesteigerten Demokratisierung und verbesserten Lebensstandards führenwird? In der Vergangenheit war das nicht der Fall, hat sich die Motivation im Westen seitdem geändert?

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Berechtigte Fragen

Die arabische Straße wundert sich oft über die westliche Unterstützung von Diktaturen. Weiß derWesten nichts von den Vermögenswerten und Investitionen der abgesetzten Präsidenten? Weiß derWesten nichts von deren misslungenen Leistungen bei der Durchsetzung von Entwicklung oder derFörderung von Menschenrechten? In Wirklichkeit ist es nicht schwer zu erraten, dass dieGeschäftsinteressen der Hauptanreiz für die Beziehung zwischen dem Westen und den Diktaturensind. Während es wichtig ist, den Prozess der Entscheidungsfindung im Westen nachzuvollziehen,erscheinen diese Prozesse unter Ein-Partei-Regierungen wie in Tunesien und Ägypten einfach genug.Die Allianz zwischen Geschäftsmännern und Politikern war in Abwesenheit echter Regel- undSteuermechanismen in den Fällen von Tunesien, Libyen und Ägypten offensichtlich.

Hier sind nur einige Beispiele: In Ägypten war der ehemalige Generalsekretär der früherenRegierungspartei, Ahmad Ezz, ein Geschäftsmann mit weitreichenden Kontakten inner- und außerhalbdes Landes. Als Eisen- und Stahl-Tycoon umging er häufig das Wettbewerbsrecht zum Erhalt seinesMonopols. Ezz unterzeichnete Abkommen mit seinen Partnern unter der Obhut und Schirmherrschaftder Regierung sowie der Geldgeber der "Entwicklung". Dies stellt die Geltung von Hilfsprogrammenin Frage, die letztendlich eine kleine Anzahl an Geschäftsleuten in Ländern stärken, deren wachsendesoziale Spannungen nicht anerkannt werden. In Tunesien ging die Situation über Korruption undZusicherung von Vereinbarungen hinaus. Tunesien wurde beinahe als nachzueiferndes Vorbildbetrachtet: unter autoritärer Herrschaft hatte es bei seinem Bruttoinlandsprodukt hohe Wachstumsratenerzielt. Die Ergebnisse wurden hoch gelobt, aber den sich schmälernden Freiheiten und der politischenAusgrenzung einiger Regionen und Bereiche der Gesellschaft wurde keine Beachtung geschenkt. Dasparadoxe ist, dass die Anzeichen ganz und gar innerhalb des Blickfelds von Beobachtern lagen; vieleAkademiker erörterten ausführlich wie Hilfsprogramme dazu beitragen die autoritären Herrscher ander Macht zu halten. Die Gleichung bevorzugte eindeutig das Bündnis von Politikern undGeschäftsleuten und hatte keine der beabsichtigten Auswirkungen auf andere Gesellschaftsbereiche.

Ein weiterer Aspekt, der sich in der Regel der Aufmerksamkeit entzieht, sind Geschäftsmänner, dieihre Regierung hinter den Kulissen aktiv beeinflussen und unter Druck setzen, umEntwicklungsprogramme zu beschleunigen und den Handelsaustausch sowie den Geldfluss zuerleichtern. Das erklärt den Zustrom von fast 70 Milliarden US-Dollar in ausländische Direktinvestitionenin einer Reihe arabischer Länder in 2009 und von 60 Milliarden in 2010. Der Handelsverkehr entwickeltsich eindeutig zu Europas Vorteil - bis auf den Ölmarkt.

Öl- und Petroleuminvestitionen lassen sich nicht als Hauptfaktoren bei der Bildung von Beziehungenzwischen westlichen Regierungen und arabischen Regimes abtun. In Algerien, EuropasHauptlieferanten für Flüssigerdgas, wurde der seit Anfang der 1990er verhängte Ausnahmezustanderst 2011 wieder aufgehoben. Dies war nicht die Folge des Drucks seitens westlicher Länder, sonderndes durch die Umstürze in der Region erweckten inländischen Drucks. Trotz der algerischenMilitärkontrolle der Hauptwirtschaftsadern und der im Land weit verbreiteten Korruption waren dieForderungen westlicher Regierungen nach Reformen befangen. Die gleiche Szene kann in Saudi-Arabien beobachtet werden, einem strategischen Verbündeten der USA. Selten hören wir von ansaudi-arabische Führer gerichteten Forderungen zur Umsetzung von Reformen in den Bereichenpolitischer und Frauenrechte - obwohl Frauenrechte ein Anliegen westlicher Regierungen sind undBehörden rege Lippenbekenntnisse abgegeben haben, was die Region im Ganzen angeht. Dies istein gutes Beispiel dafür, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird; auf der einen Seite stehen dieForderungen nach Demokratie und Pluralismus und auf der anderen Seite die Ignoranz gegenüberden Geschehnissen in diesen Ländern, in denen der Westen Interessen vertritt.

Es hat den Anschein, dass der Westen keine Absichten hat die offenkundige Lektion aus denEreignissen in Tunesien, Ägypten, Libyen und Jemen sowie vielen anderen arabischen Ländern zuziehen. Diese Lektion sollte lauten, dass Geschäftsinteressen keine Beziehungen ersetzen dürfen,die auf gemeinsamen politischen Interessen beruhen und frei von Korruption und Unterdrückung sind.Für eine Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit müssen grundlegende Prinzipien wie politischer

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Pluralismus sowie Menschen- und Frauenrechte über die geschäftlichen Interessen gestellt werden.Letztere haben viel zu lange auf Kosten der Menschen, in deren Namen alles unternommen wird, dieBeziehungen zwischen dem Westen und den arabischen Herrschern sowie deren Vertretern dominiert.

Der Text ist eine überarbeitete Version der englischen Originalausgabe, erschienen in PerspectivesMiddle East, Nr. 2, Mai 2011: "People's Power - The Arab World in Revolt" der Heinrich Böll Stiftung.

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Die Absicherung politischer HerrschaftDie Sicherheitsherrschaft arabischer Regimes und die Aussichten füreine DemokratisierungVon Mouin Rabbani 21.3.2012ist ein unabhängiger Nahostanalytiker und Experte für palästinensische Angelegenheiten und den Israelisch-Arabischen Konfliktund wohnt derzeit in Amman, Jordanien. Von 2002 bis 2008 war er Senior-Nahostanalytiker und Sonderberater für Palästina beider International Crisis Group. Früher war er Leiter für Palästina des Palestinian American Research Institute. Er ist ebenfallsMitherausgeber des Middle East Report und leitender Wissenschaftler am Institut für Palästina-Studien.

Die Armee ist während der Aufstände nur tätig geworden, um die eigene Macht zu erhalten, soMouin Rabbani. Er erkennt im arabischen Nationalstaat einen Polizeistaat: Denn auch dort, wogewählte Parlamente und andere Erscheinungsformen demokratischer Praxis zu finden seien,blieben diese den Anweisungen der Sicherheitseinrichtungen untergeordnet.

Die neuesten Entwicklungen in Syrien haben die Rolle des Militärs bei den Umstürzen in der Regionin den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Zu den interessanteren Erscheinungen der gegenwärtigenWelle an Aufständen und Protesten, die über die arabische Welt hinweg fegt, gehört jedoch dieallgemeine Abwesenheit bewaffneter Streitkräfte bei den Bemühungen der Regimes, dieInfragestellungen der autokratischen Herrschaft durch das Volk niederzuschlagen.

Wo leitende Offiziere eine wesentliche Rolle gespielt haben, wie zum Beispiel in Ägypten, Tunesienund Jemen, sind diese nur tätig geworden, um die Herrscher zu beseitigen, die sie ernannt hatten,anstatt sie zu schützen. Nicht weil sie dazu übergegangen sind die Politik und Interessen derexistierenden Herrscher abzulehnen, sondern vielmehr - in einem klassischen Akt desRegierungserhalts - trotz gemeinsamer Weltanschauung und der Tatsache, dass sie ein festerBestandteil umfangreicher Patronagenetzwerke bleiben, die über viele Jahrzehnte hinweg eingerichtetwurden.

Für diese Wirklichkeit gibt es keine einzige oder einfache Erklärung. Soweit wir eine Ansammlungungleicher Staatengebilde verallgemeinern können, hat dies jedoch viel mit dem Entwicklungsverlaufzu tun, den viele arabische Staaten seit Erlangung der Unabhängigkeit als Folge des Zweiten Weltkriegsgemeinsam haben.

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Militärputsche

Von den 1950ern bis zu den 1970ern waren tatsächliche oder versuchte Regierungswechsel einziemlich häufiges Phänomen innerhalb eines Großteils der arabischen Welt - natürlich im Vergleichzu den Jahrzehnten seitdem. Im starken Gegensatz zu den Massenbewegungen 2011 waren dieHauptakteure in den meisten Fällen bewaffnete Revolutionäre, die nationale Befreiungsbewegungenanführten, und Militäroffiziere, die über einen Militärputsch die Macht ergriffen. Mit der Zeit wurdedadurch eine Realität geschaffen, in der militärische Eliten entweder wirksam die Staatskontrolleinnehatten, oder aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen ausländische Widersacher und einheimischeRebellen enorm an Macht und Einfluss gewonnen hatten. Im Rahmen des Kalten Kriegs bemühtensich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion darüber hinaus darum das Militär zu stärken undbegünstigten Offiziere in ihren jeweiligen Klientelstaaten, was zusätzlich zu ihrer gestärkten Rolle inder Regierung und Entscheidungsfindung beitrug.

Als daher die Herrscher in Ägypten (1952), dem Irak (1958), Jemen (1962) und Libyen (1969) gestürztwurden, wurden sie ausnahmslos durch Militärherrscher ersetzt. Es ist ebenso aufschlussreich, dassdie Übernahme der Hegemonialmacht der Baath-Partei in Syrien 1963 von ihrem Militärausschussdurchgeführt wurde anstatt vom zivilen Flügel, und so eine Nachfolge von Militärdiktatoren zu Standebrachte. Der Aufstieg der Baath-Partei im Irak - erstmals in 1963 und dann erneut 1968 - wurde aufähnliche Weise von einem General angeführt, Ahmad Hasan al-Bakr.

Als der Staub der Umgestaltung nach der Unabhängigkeit begann sich zu legen, durchlief die Rolledes Militärs bedeutende Veränderungen. Am Ende der 1970er wurde praktisch jeder arabische Staatentweder von einem Offizier regiert, oder einem mit Orden behangenen Herrscher, der eine Reihe vonPutschversuchen und/oder bewaffneten Rebellionen überlebt hatte. Im akuten Bewusstsein - oftmalsaufgrund persönlicher Erfahrung -, dass eine Militärkarriere eine ausgezeichnete Ausgangspositionfür eine politische Führung darstellt, unternahmen Herrscher entschiedene und größtenteilserfolgreiche Anstrengungen ihre bewaffneten Streitkräfte auszuschalten, insbesondere dieOffizierskorps und Eliten unter ihnen, wie die Luftwaffe. Politische Tätigkeiten von Parteien innerhalbdes Militärs wurden daher verboten, Offizieren wurde es untersagt (unerlaubte) Parteizugehörigkeitenzu unterhalten und die Führungsränge wurden mit vertrauenswürdigen Partnern aufgefüllt, anstatt miterprobten Experten.

Gleichzeitig wurden arabische Regimes vermehrt autokratisch und beschränkt und in vielen Fällenwurde politische Hegemonie in einem noch viel größeren Ausmaß auf Stammes-, Familien-, Sekten-und/oder geografischer Basis ausgeübt. Obwohl es übermäßig vereinfachend wäre, Syrien unter denAssads als Sektenregime einer alawitischen Minderheit zu bezeichnen oder Saddams Irak als einTikriti-Regime, wurde die Baath-Partei in beiden Fällen zu wenig mehr als einem schmückendenPatronagenetzwerk herabgesetzt, einer bedeutungsvollen Rolle im politischen Leben beraubt.

Für solche Herrscher waren Armeen von Wehrpflichtigen, die eher die demografischen Gegebenheitender Gesellschaft widerspiegelten als die der herrschenden Elite, ebenso eine Bedrohung wie ein Mitteluneingeschränkter Kontrolle und sie wurden vor allem als unzuverlässig betrachtet, wenn es zurKonfrontation mit ausgedehntem einheimischen Widerstand kam. In diesem Sinne unterschieden sichdiese Regimes von Grund auf von der archetypischen lateinamerikanischen Militärjunta, oder den Ein-Partei-Staaten des sowjetischen Blocks. Für arabische Autokraten wurde zudem der Drang nachunangefochtener Autorität besonders akut, als sie sich ihrem Lebensabend näherten und begannenNachfolgepläne zu schmieden, die jegliche verfassungsmäßigen oder informellen Einschränkungenihrer Macht - einschließlich des Tods - zum vollkommenen Gespött machten.

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Nationale Sicherheit und Regimesicherheit

Obwohl die Bevölkerungskontrolle für arabische Regimes immer Priorität hatte, haben die obenaufgeführten Entwicklungen - sowie wachsende sozio-ökonomische Not und Ungleichheit als Folgeder Einführung neoliberaler Politik - zur beständigen Abnahme der Toleranzschwellen für Dissens undWiderstand gesorgt. Nationale Sicherheit war nicht mehr zu unterscheiden von Regimesicherheit,insbesondere mit dem Ende des Kalten Kriegs und den Anfängen arabisch-israelischer Normalisierung.Die Aufstellung von Prätorianergarden, die aus wichtigen Regimebefürwortern rekrutiert wurden, undvon Geheimdienst- und Polizeikräften mit umfassenden Befugnissen war natürlich nichts Neues, abererreichte Ausmaße, die sogar im Vergleich zu früheren Standards beispiellos waren.

Tatsächlich waren es in den letzten Jahrzehnten vor allen Dingen die Geheimdienste (mukhabarat),die zu Schiedsrichtern des politischen Lebens wurden und wiederum von Sonderpolizeieinheitenverstärkt wurden, wie zum Beispiel die kürzlich aufgelöste Staatssicherheitsabteilung in Tunesien undÄgyptens Ermittlungsdienst für Staatssicherheit. Letztendlich hat es eine spürbare Machtverschiebungvom Verteidigungsministerium hin zum Innenministerium gegeben.Militärische Eliten behalten selbstverständlich bedeutenden - insbesondere wirtschaftlichen - Einflussund bleiben in Verbindung mit den staatlichen Patronagenetzwerken. Aber ihre Rolle in der Regierungund Entscheidungsfindung hat im Verhältnis zu der des heimischen Sicherheitsapparats deutlichabgenommen. Wenn es 1970 noch der Verteidigungsminister und Generalstabschef waren, die zuden bekanntesten Persönlichkeiten gehörten, wurden ihre Sichtbarkeit und ihr öffentliches Auftreten2010 zum größten Teil vom Innenminister und Geheimdienstleiter übernommen.

Der Einfluss des traditionellen Oberkommandos hat zudem auch innerhalb der Streitkräfte einenverhältnismäßigen Rückgang erlitten, dieses Mal durch die Hände verschiedener nationaler,präsidialer, republikanischer und königlicher Garden. Solche Gruppierungen bestehen in der Regelaus zusammenhängenden Einheiten, die aus der engsten Anhängerschaft des Herrschers rekrutiertwurden, oft von dessen Söhnen oder anderen nahen Verwandten befehligt werden und enorme Vorteilein Bezug auf Ressourcen, Ausrüstung, Training und Privilegien genießen. Es sind diese Einheiten, dieoft die einzigen ernstzunehmenden Streitkräfte in verschiedenen arabischen Staaten bilden.

Die vorrangig Begünstigten dieser Verschiebungen sind einheimische Sicherheitseinrichtungen undverschiedene von ihnen hervorgebrachte Dienste. Da ihre Arbeitskräfte und Ressourcen auf noch nieda gewesene Stände in die Höhe geschossen sind, durchdringen sie praktisch jeden Aspekt desnationalen, zivilen und in vielen Fällen sogar des persönlichen Lebens. Sie hatten auch einen tiefgreifenden korrumpierenden Einfluss auf die Gesellschaft als Ganzes.Sie arbeiten gänzlich außerhalb des Gesetzes und haben freie Hand überall, jederzeit und mit jedemdas zu tun, was ihnen gefällt und sie tun dies ohne auch nur den Anschein - oder Vorwand - vonTransparenz oder Rechenschaft. Mit der Wahrung des Gesetzes und der Verordnung ihrer angeblichenraison d’être gewinnen einheimische Sicherheitsdienste ihre Macht genau aufgrund ihrer Lizenz zurGesetzlosigkeit.

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Der Polizeistaat: Sicherheitsdienste als politische Akteure

Während sie berechtigterweise berüchtigt sind für Folter, Verschwinden und die Verletzung quasi jedesRechts, das jemals festgeschrieben wurde, beschränken sich die Tätigkeiten von Sicherheitsdienstenfast nie auf die Verhaftung von Regimekritikern und das Umkrempeln von Oppositionsnetzwerken. MitLoyalität und Gehorsam anstatt Professionalität und Integrität als ihren Kriterien prüfen sie auch Richterund Generäle, ernennen Redakteure und Universitätsdekane, arrangieren Wahlen und bestimmen dieGesetzgebung, kontrollieren die Medien bis auf die Namen, regulieren politische Parteien undVerbände sowie nichtstaatliche Organisationen und verfassen sogar Freitagspredigten. Während siein einigen Staaten erdrückenden und sichtbaren Einfluss auf scheinbar triviale Aspekte des öffentlichenLebens ausüben, verhalten sie sich in anderen vergleichsweise unaufdringlich, haben aber dennochalles unter Kontrolle und arbeiten genauso mächtig wie die letzten Gebieter des Erlaubten und desVerbotenen. In der Praxis ist die mukhabarat auch der oberste Gerichtshof, Sprecher des Parlaments,Premierminister, Bürgermeister, Universitätspräsident, Chefredakteur und sogar oberster Geistlicher.

Letzten Endes ist keiner der Letzteren fähig den Empfehlungen der einheimischenSicherheitseinrichtungen zu widersprechen und im Amt zu bleiben, während sogar bewährte Autokratendie wohlüberlegten Meinungen ihrer Sicherheitschefs auf eigene Gefahr nicht beachten. Es scheint inder eigenen Natur des nationalen Sicherheitsstaates zu liegen, dass Nation, Staat und Bürger zuSpielbällen der Sicherheitseinrichtungen werden - deren Funktionen denen der Wählerschaft indemokratischen Gebilden nicht unähnlich sind.

Einheimische Sicherheitsdienste üben auch auf grundlegenderer Ebene einen tief greifendenkorrumpierenden Einfluss aus. Anstatt ihre Tätigkeiten auf die Überwachung, Infiltrierung undNeutralisierung echter oder vermeintlicher Bedrohungen für ihr Sicherheitsverständnis zubeschränken, bemühen sie sich - als politische Angelegenheit - jedes Lebewesen innerhalb ihresReichs anzuwerben, mit dem vordergründigen Zweck einer Domestizierung anstatt von Einsatzhilfe.In einer Region, in der Führungszeugnisse und Sicherheitsüberprüfungen in der Regel sogar für dieharmlosesten Bürokratieverfahren erforderlich sind - wie die Beantragung eines Passes oder einerGewerbegenehmigung, den Eintritt in den öffentlichen Dienst oder die Aufnahme in die Universität -sind Gelegenheiten für die Anwerbung überall vorhanden und werden bis aufs Äußerste ausgereizt.Die Methode der Gewinnung von mehr (üblicherweise wirklich wertlosen) Informationen über Kollegen,Freunde, Familie und Fremde als von einer Reihe an Supercomputern verarbeitet werden können,dient dazu die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass sie ständig ganz in der Nähe überwacht -und benachrichtigt - wird. Was die mukhabarat angeht, ist nur eine Bürgerschaft ausreichendvertrauenswürdig, die Verrat seitens der nächsten Verwandten, Freunde und Kollegen fürchtet.

Der arabische nationale Sicherheitsstaat in der arabischen Welt ist daher - ziemlich wörtlich - einPolizeistaat. Auch dort, wo gewählte Parlamente und andere Erscheinungsformen demokratischerPraxis zu finden sind, bleiben diese den Anweisungen der Sicherheitseinrichtungen untergeordnet.Diese Dienste arbeiten nicht unter Aufsicht der Regierung oder des Parlaments, sondern siebeaufsichtigen die exekutiven, legislativen und judikativen Autoritäten. Rechenschaft wird dermukhabarat gegenüber abgelegt und nicht von ihr selbst.

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Neugestaltung der arabischen Sicherheitsregimes: In- undausländische Prioritäten

Wie bei vielen anderen Eigenschaften des zeitgenössischen arabischen Staats spiegelt auch derAufstieg nationaler Sicherheitsdienste sowohl ausländische als auch heimische Prioritäten wider. Inder Tat hat der Westen im Allgemeinen arabische Staaten mit stabilen internen Sicherheitskräftengegenüber denen mit starkem Militär bevorzugt - und sich dementsprechend verhalten. Mit"Urteilssprechungen" als einem Beispiel unterhielt der Westen die engsten symbiotischen Beziehungenin der Regel mit der mukhabarat; wenn im 20. Jahrhundert die Generäle der Luftwaffe dieförderungswürdigen Männer waren, sind es im 21. Jahrhundert die nationalen Sicherheitschefs, wieÄgyptens Omar Suleiman und Mohammed Dahaln der Palästinensischen Autonomiebehörde, die zuden beliebten Partnern, Kontakten und politischen Nachfolgern gehören. Tatsächlich geben vonWikileaks veröffentlichte Diplomaten-Depeschen der USA Washingtons großen Respekt für Suleimanwieder und vergleichsweise Skepsis gegenüber Armeechef Feldmarschall Hussein Tantawi, der seitMubaraks Amtsenthebung Ägypten effektiv regiert hat. Der britische Offizier Ian Henderson, der inKenia während der Mau-Mau-Rebellion Berühmtheit erlangt und sich in den Jahren seit seinerRekrutierung durch Bahrains Royalisten zur Gewährleistung des heimischen"Friedens" denSpitznamen"Schlächter von Bahrain" verdient hat, ist in diesem breiteren Zusammenhang nicht mehrals ein besonders bösartiges und sichtbares Fallbeispiel.

Die Neugestaltung arabischer Sicherheitsregimes in den letzten Jahrzehnten hat sich ironischerweiseauch als Schwachpunkt bei den jüngsten Ereignissen erwiesen. Während Geheimdienste sehrgeschickt beim Niederknüppeln und Erpressen sein können und eine Schlüsselrolle bei derAusschaltung von Zellen und sogar Netzwerken spielen, sind sie einfach nicht dafür ausgerüstetMassenrebellionen niederzuschlagen. In Tunesien und später auch in Ägypten wurden sie im Grundevon einem Meer an Menschlichkeit überflutet und ihnen fehlten die Mittel, um das gesamte Land inein Gefängnis zu verwandeln. Die reguläre Armee – zu Recht darüber besorgt, dass ihr institutionellerZusammenhalt das erforderliche Blutbad nicht überleben könnte, sollte dem belagerten Herrscher zuHilfe kommen - weigerte sich aber in beiden Fällen auszurücken.

Auch wenn sie schwieriger aufzuzeigen ist, haben die Unflexibilität der nationalen Sicherheitsdiensteund ihre extreme Abneigung gegen Reformen jedweder Art dabei geholfen, ihre Untertanen auf einenrevolutionäreren Weg zu führen. Nationale Rebellionen haben die Eigenart die Rolle derSicherheitskräfte bei der Entscheidungsfindung zu stärken und (zumindest anfangs) die Autorität ihrerkompromisslosesten Elemente zu fördern. Zum Leidwesen von Ben Ali und Mubarak scheinenTunesien und Ägypten in dieser Hinsicht keine Ausnahmen gewesen zu sein.

Neue zivil-militärische Beziehungen oder Militärherrschaft?

Die ausschlaggebende Rolle des Militärs bei der Ermöglichung des Umbruchs (und in Ägypten auchbei dessen Kontrolle) kann, obwohl sie eher durch den Regimeerhalt als durch einen Regimewandelmotiviert ist, trotz alledem eine neue Ära der Militärherrschaft einführen. Zumindest hat die Kombinationaus militärischem Einfluss und Volksaufruhr den nationalen Sicherheitseinrichtungen einen schwerenSchlag verpasst, von dem sie sich wahrscheinlich nicht so schnell erholen werden.

Auf ähnliche Weise fiel im Jemen und in Libyen die Rolle der Verteidigung des Rechts ständigerAnführer auf ewige Herrschaft den Eliteeinheiten zu, während das reguläre Militär mit Massen vonÜberläufern geplagt war. Aber wie bei allen Mustern wäre es allzu einfach dies als Naturgesetz zubetrachten, das zwingend in der gesamten arabischen Welt wiederholt wird. In dieser Hinsicht stelltSyrien eine Ausnahme dar, mit der Begründung, dass der Militärapparat während einer knappeinjährigen Revolte nicht zersplittert ist. Bis jetzt scheint es aber noch keine allgemeine Mobilisierungder regulären Streitkräfte zur Unterdrückung des Aufstands gegeben zu haben und die steigende Zahlvon Überläufern - auch wenn sie sich zugegebenermaßen noch in Grenzen halten - weisen auf dieGefahren einer solchen Handlung hin. Eine weitere unbeantwortete Frage ist, ob die dem Regime

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auferlegten Belastungen durch die Kombination aus anhaltendem heimischem und externem Druckzu Putschversuchen führen oder führen werden.

Das Absetzen von Diktatoren ist wohl der einfache Teil. Die voraus liegenden Monate und Jahre haltenvielleicht noch weitere monumentale Kämpfe bereit, um sicherzustellen, dass ein Autokrat nicht durcheinen anderen ersetzt wird. In dieser Gleichung besteht die Nagelprobe nicht aus freien und gerechtenWahlen, denn diese können unter einer Reihe verfassungsrechtlicher Ausrichtungen abgehaltenwerden. Stattdessen wird im Reich des Sicherheitssektors die Zukunft der Region und ihrer einzelnenStaaten entschieden. Die wichtigsten Fragen sind, ob Kräfte wie die ägyptische mabahith(Ermittlungsdienst für Staatssicherheit) nicht einfach nur aufgelöst werden, sondern auch nicht in neuerGestalt wieder ins Leben gerufen werden; ob nationale Sicherheitslehren überarbeitet werden, um dienationale Sicherheit und nicht den Regimeerhalt in den Mittelpunkt zu stellen; und ob dieentsprechenden Dienste in wirklich rechenschaftspflichtige Organe auf Basis parlamentarischer undjuristischer Aufsicht umgewandelt werden.

Die wichtigste Schlacht wird sich jedoch wahrscheinlich um zivil-militärische Beziehungen drehen.Werden die bewaffneten Streitkräfte in der Lage sein, ihre neu gewonnene Macht und Geltung zuinstrumentalisieren, um noch einmal die Steuerung des Staatsschiffs zu übernehmen, oder werdensie erfolgreich in Instrumente umgewandelt, die von demokratisch gewählten oder anderweitigrepräsentativen Führerschaften gelenkt werden und ihnen unterstehen? Auch wenn es bei Weitemnoch zu früh ist, um vernünftig über diese Sache zu spekulieren, lässt der Fall Ägyptens - der für diegesamte Region von unumstrittener Bedeutung ist - vermuten, dass die, die Mubarak gestürzt haben,sich genau darüber im Klaren sind, was auf dem Spiel steht, und dass sie entschlossen sind ihren Fallvoranzutreiben. Nur wenn sie Erfolg haben, wird der Slogan"Das Volk und die Armee sind eins" vomWunsch zur Wirklichkeit werden.

Ihr Erfolg ist jedoch alles andere als sicher. Ägyptens Oberster Rat der Streitkräfte hat sich bei derAufrechterhaltung der Herrschaft des Militärs als äußerst nachgiebig erwiesen und konnte im Dezembereine Kombination aus brutaler Unterwerfung und parlamentarischen Wahlen einsetzen, umlawinenartigen Widerstand gegen seine anhaltende Kontrolle des Übergangs auszubremsen. Einwichtiger Grund dafür, dass er dies tun konnte, war, dass er die Unterstützung des organisiertestenElements der früheren Opposition für sich gewinnen konnte, die Muslimbruderschaft, die auf ihreIntegration in das politische System durch diese Wahlen fixiert war. Gleichermaßen haben Beobachterdarauf hingedeutet, dass das syrische Militär bei einer Verdrängung von Syriens Assad durch einenPutsch oder eine andauernde Militärkampagne von Regimegegnern eine ebenso einflussreiche Rollebei einem Übergang spielen wird.

Libyen, Bahrain und möglicherweise auch Syrien und Jemen stellen auf verschiedene Weisen einenweiteren entscheidenden Faktor der Debatte dar - die Gefahr eines ausländischen Militäreinsatzes.Die übermäßigen Kosten für Leib, Leben und Besitz, die in Libyen aufgrund der NATO-Kampagne füreinen Regimewechsel entstanden sind, haben Risse erzeugt, von denen sich die libysche Gesellschaftnicht so einfach erholen wird, und die sich vielleicht noch vertiefen. Eine ähnliche Schlussfolgerungscheint auf Bahrain zuzutreffen, dennoch werden beide zu Recht als marginal im Vergleich zu dembetrachtet, was sich in Syrien eventuell noch ereignen kann. Ist das gewünschte Resultat desUmwandlungsprozesses demokratische Selbstbestimmung, ist ein ausländischer Militäreinsatz einebesonders schlecht geeignete Methode dies zu erreichen.

Der Text ist eine überarbeitete Version der englischen Originalausgabe, erschienen in PerspectivesMiddle East, Nr. 2, Mai 2011: "People's Power - The Arab World in Revolt" der Heinrich Böll Stiftung.

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IndikatorentabelleVon Jan Busse 14.11.2011

Die Indikatorentabelle zeigt sozio-ökonomische, politische und gesellschaftliche Indikatorender Mitgliedstaaten der Arabischen Liga (und Deutschland im Vergleich).

Klicken Sie auf die Grafik, um das Bild zu öffnen. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Indikatoren_Arab_Liga.pdf)

Indikatorentabelle (PDF) (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Indikatoren_Arab_Liga.pdf)

Die arabische Welt ist von einer Vielfalt geprägt, die den meisten Leserinnen und Lesern nicht bewusstsein dürfte. Um über die einzelnen Textbeiträge hinaus auf einen Blick einen Vergleich zwischen denverschiedenen arabischen Ländern zu ermöglichen, gibt die Tabelle einen Überblick überdemographische, sozio-ökonomische und politische Indikatoren. So werden etwa, unter dendemographischen Faktoren, die konfessionellen Hauptgruppen in den jeweiligen Staaten dargestellt.Um über die sozio-ökonomische Situation Auskunft zu geben, werden Indikatoren unter anderem zuBruttoinlandsprodukt, Wachstum, menschlicher Entwicklung und Arbeitslosigkeit aufgenommen. Diepolitischen Indikatoren geben Aufschluss über politische Freiheiten und Teilhabe in den arabischenStaaten. Darüber hinaus enthält die Tabelle Informationen über die Verbreitung des Internet,Mobilfunknutzung und die Nutzung sozialer Netzwerke.

Die Tabelle gibt nicht nur Aufschluss über den Hintergrund, vor dem sich die derzeitigen Proteste in

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der arabischen Welt abspielen. Sie ermöglicht es auch, die Situation in den einzelnen arabischenStaaten miteinander in Beziehung zu setzen und aus dem Vergleich weiter führendeSchlussfolgerungen zu ziehen, zum Beispiel in Bezug auf die Voraussetzungen für eine politischeTransition. Insbesondere wird deutlich, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnenLändern hinsichtlich Einwohnerzahl, Bevölkerungsstruktur, wirtschaftlichen Wachstums und demEntwicklungsstand gibt. Auch die Investitionen in Humankapital und die Nutzung von Internet undsozialen Netzwerken unterscheiden sich deutlich. Da Internet und soziale Netzwerke in vielenarabischen Staaten nur in geringem Maße verbreitet sind, ist der Begriff der "Generation Facebook"eher irreführend. Allerdings wird auch deutlich: neben vielen Unterschieden teilen alle arabischenStaaten schlechte Bewertungen hinsichtlich politischer Freiheit und Partizipation.

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Chronologie des Arabischen Frühlings17.11.2011

Die systematische länderspezifische Chronologie ermöglicht einen Überblick über die entscheidendenEntwicklungen in den von den Protesten und Umbrüchen betroffenen arabischen Staaten, mitSchwerpunkt auf das erste Halbjahr 2011. Die Chronologie enthält eine Auswahl derjenigen arabischenStaaten, in denen sich in der ersten Jahreshälfte 2011 (bzw. für Tunesien seit Mitte Dezember 2010)relevante Proteste abgespielt haben bzw. in denen es zu Umbrüchen gekommen ist: Ägypten, Bahrain,Jemen, Jordanien, Kuwait, Libyen, Marokko, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien.

Die Chronologie ermöglicht den Vergleich der Ereignisse in unterschiedlichen arabischenLändern. Die Ereignisse werden je nach Akteur bzw. Akteursgruppe unterschieden: Regierung,Protestierende, regionale Akteure/internationale Gemeinschaft.

Im Zentrum der Chronologie steht eine Zeitleiste in Form einer vertikalen Achse, auf der die wichtigstenEreignisse dargestellt sind. Auf der linken Seite der Achse sind die entsprechenden Daten aufgelistet,auf der rechten Seite die konkreten Geschehnisse zusammengefasst. Die einzelnen Ereignisse werdenverschiedenfarbig dargestellt und zwar in Abhängigkeit davon, welche Akteure jeweils im Zentrumstehen. Dabei wird das Handeln der Regierung bzw. des Regimes blau dargestellt, das derProtestierenden rot, das der regionalen Akteure bzw. der internationalen Gemeinschaft braun).

Die Chronologie basiert auf der Auswertung einer Vielzahl von Presseartikeln und Agenturmeldungenund wurde von Länderexpertinnen und -experten geprüft. Pro Land werden rund 20 entscheidendeEntwicklungen und Weichenstellungen dargestellt.

Einen kurzen Überblick über die Intensität des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 finden Sie hier:Chronologie des Arabischen Frühlings (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Arab_Fruehling_Overview.pdf)

Zusammengestellt von: Jan Busse

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Ägypten17.11.2011

Die Proteste in Ägypten folgten rasch auf die revolutionären Unruhen in Tunesien. Widerstandregte sich vor allem gegen die 30-jährige Herrschaft von Machthaber Hossni Mubarak und diesoziale Situation im Land.

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Die Chronologie ermöglicht den Vergleich der Ereignisse in unterschiedlichen arabischenLändern. Die Ereignisse werden je nach Akteur bzw. Akteursgruppe unterschieden: Regierung,Protestierende, regionale Akteure/internationale Gemeinschaft.

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Bahrain17.11.2011

Der 14. Februar 2011 markiert den Beginn der Proteste im Golf-Staat. Truppenunterstützungdurch die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien sicherten die Macht des Königsund schlugen die Aufstände bis Anfang April nieder.

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Die Chronologie ermöglicht den Vergleich der Ereignisse in unterschiedlichen arabischenLändern. Die Ereignisse werden je nach Akteur bzw. Akteursgruppe unterschieden: Regierung,Protestierende, regionale Akteure/internationale Gemeinschaft.

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)

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Jemen17.11.2011

Anfang Februar 2011 organisieren Oppositionelle im Jemen Proteste und fordern nebenMaßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und Korruption einen Regimewechsel. Der langjährigeMachthaber Saleh reagiert zunächst mit einem Verzicht auf seine Kandidatur bei der nächstenPräsidentenwahl.

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Jordanien17.11.2011

Eine Welle des Unmuts schwappt Anfang Januar auch nach Jordanien. Dort richten sich dieDemonstrationen allerdings nicht gegen das Könighaus, sondern gegen steigende Preise unddie Regierung. Es folgen interne Spannunge zwischen Loyalisten und Refomern.

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Kuwait17.11.2011

Die Proteste in Kuwait richteten sich vor allem gegen das bestehende Staatsbürgerschaftsrechtim Golfstaat. Auf die Straße gingen Staatenlose - sie machen einen Großteil der kuwaitischenBevölkerung aus.

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Libyen17.11.2011

Auf Anti-Regierungsprotesten wächst rasch ein bewaffneter Kampf gegen das autokratischeRegime von Muamar al-Gaddafi. Ab dem 19. März startet eine NATO-geführte Militäroperationauf Grundlage einer UN-Resolution, die die Rebellentruppen unterstützen sollen.

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Marokko17.11.2011

Auf eine wachsende Protestbewegung reagiert das marokkanische Königshaus mit demVersprechenvon umfangreichen Änderungen der Verfassung. Am 1. Juli 2011 stimmen über 98Prozent der Wähler bei einem Referendum für die konstitutionellen Reformen.

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Saudi-Arabien17.11.2011

Nach der Selbstverbrennung eines 60-Jährigen beginnen im Januar auch in Saudi-ArabienUnruhen. Im März kündigt der saudische König dann Lokalwahlen an.

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Syrien17.11.2011

Nach der Verhaftung von 15 Kindern kommt es in Syrien immer wieder zu Protesten. Im Laufedes Jahres 2011 eskaliert die Lage immer wieder: In Hama sterben 100 Menschen im August,die Hafenstadt ltakia wird von Panzern, Kriegsschiffen und Bodentruppen angegriffen.

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Die Chronologie ermöglicht den Vergleich der Ereignisse in unterschiedlichen arabischenLändern. Die Ereignisse werden je nach Akteur bzw. Akteursgruppe unterschieden: Regierung,Protestierende, regionale Akteure/internationale Gemeinschaft.

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Tunesien17.11.2011

Die Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Mohammed Bouzizi stößt einelandesweite Protestwelle an, die schnell den gesamten arabischen Raum erfassen sollte. Dabeistellte sich Frankreich zu Beginn der Aufstände auf die Seite des alten Regimes des PräsidentenBen Ali.

Chronologie der Ereignisse in Tunesien. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Tunesien.pdf)

Die Chronologie ermöglicht den Vergleich der Ereignisse in unterschiedlichen arabischenLändern. Die Ereignisse werden je nach Akteur bzw. Akteursgruppe unterschieden: Regierung,Protestierende, regionale Akteure/internationale Gemeinschaft.

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Aktuelle Kurzbibliografie5.3.2008

Ob allgemeine Informationen zu den politischen Umbrüchen, Länderstudien oder die Sicht desWestens: In der aktuellen Kurzbibliografie finden Sie nützliche Wissensquellen und Dokumente zumArabischen Frühling.

Zusammengestellt von Jürgen Rogalski

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Allgemeinere Analysen und Kommentare zumArabischen Frühling

10.12.2011

Allgemeinere Analysen und Kommentare zum Arabischen Frühling

Monografien (nur Referenzen)

Ben-Jelloun, Tahar: Arabischer Frühling. vom Wiedererlangen der arabischen Würde, Berlin 2011.

Filiu, Jean-Pierre: The Arab revolution. ten lessons from the democratic uprising, London 2011.

Perthes, Volker: Der Aufstand. Die arabische Revolution und ihre Folgen, München 2011.

Schmid, Thomas (Hrsg.): Die arabische Revolution. demokratischer Aufbruch von Tunesien bis zumGolf, Berlin 2011.

Todd, Emmanuel: Frei! - Der arabische Frühling und was er für die Welt bedeutet, München 2011.

Aufsätze und Online-Publikationen

Asseburg, Muriel (Hrsg.): Proteste, Aufstände und Regimewandel in der arabischen Welt. Akteure,Herausforderungen, Implikationen und Handlungsoptionen, Berlin 2011, (SWP-Studie; S 27/2011).http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf (http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf)

Asseburg, Muriel: Die Verkrustung bricht auf. Proteste, Aufstände, Revolten in der arabischen Welt –In: Friedensgutachten (Berlin 2011), S. 32–47.

Asseburg, Muriel: Zur Anatomie der arabischen Proteste und Aufstände – In: Aus Politik undZeitgeschichte, 61 (26. September 2011) 39, S. 3–9.http://www.bpb.de/files/6XFUR3.pdf (http://www.bpb.de/files/6XFUR3.pdf)

Behr, Timo; Aaltola, Mika: The Arab uprising. causes, prospects and implications, Helsinki 2011, (UPIBriefing Paper; 76).http://www.fiia.fi/assets/publications/bp76.pdf (http://www.fiia.fi/assets/publications/bp76.pdf)

Coleman, Isobel: On the front lines of changes. women in the Arab uprisings, Washington/D.C. 2011,(POMED Policy Brief).http://pomed.org/wordpress/wp-content/uploads/2011/07/Policy-Brief_Coleman.pdf (http://pomed.org/wordpress/wp-content/uploads/2011/07/Policy-Brief_Coleman.pdf)

Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick, Berlin 2011, (Studie des Deutschen Orient-Instituts).http://www.deutsche-orient-stiftung.de/component/option,com_docman/task,doc_download/gid,110/lang,de/ (http://www.deutsche-orient-stiftung.de/component/option,com_docman/task,doc_download/gid,110/

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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 22.06.2021) 106

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lang,de/)

Game over. INAMO-Spezial, Berlin 2011.

Lange, Michael A.: Die Jugend und der demokratische Aufbruch in der arabischen Welt – In: KAS-Auslandsinformationen, 27 (2011) 5, S. 24–35.

People's power: the Arab World in revolt – In: Perspectives: Political Analysis and Commentary fromthe Middle East, (May 2011) 2, Special Issue, S. 7–286.http://www.boell-meo.org/downloads/02_Perspectives_ME_2011_The_Arab_World_in_Revolt.pdf (http://www.boell-meo.org/downloads/02_Perspectives_ME_2011_The_Arab_World_in_Revolt.pdf)

Perthes, Volker: Die skeptische Generation. arabischer Frühling, in: Qantara.de - Dialog mit derislamischen Welt, (05.09.2011), ca. 4 S.http://de.qantara.de/Die-skeptische-Generation/17071c17571i0p/index.html (http://de.qantara.de/Die-skeptische-Generation/17071c17571i0p/index.html)

Perthes, Volker: Über Nordafrika und den Nahen Osten hinaus: Implikationen der arabischen Umbrüchefür die internationale Politik – In: Proteste, Aufstände und Regimewandel in der arabischen Welt:Akteure, Herausforderungen, Implikationen und Handlungsoptionen / Muriel Asseburg (Hg.). StiftungWissenschaft und Politik. - Berlin, 2011. - (SWP-Studie; S 27/2011), S. 63–65.http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf (http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf)

Proteste, Revolutionen, Transformationen - die Arabische Welt im Umbruch = Protests, revolutionsand transformations - the Arab world in a period of upheaval, Berlin 2011, (Working Paper / Center forMiddle Eastern and North African Politics; No. 1).http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/international/vorderer-orient/publikation/Working_Paper_Series/wp_1.pdf (http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/international/vorderer-orient/publikation/Working_Paper_Series/wp_1.pdf)

Rabbani, Mouin: The Arab revolts. ten tentative observations – In: Perspectives: Political Analysis andCommentary from the Middle East, (May 2011) 2, Special issue, S. 10–13.http://boell-meo.org/downloads/Perspectives_02-01_Mouin_Rabbani.pdf (http://boell-meo.org/downloads/Perspectives_02-01_Mouin_Rabbani.pdf)

Revolution and political transformation in the Middle East, Vol. 1. agents of change, Washington/D.C.2011, (Viewpoints / Middle East Institute).http://www.mei.edu/LinkClick.aspx?fileticket=6QPsVRswO2E%3d&tabid=541 (http://www.mei.edu/LinkClick.aspx?fileticket=6QPsVRswO2E%3d&tabid=541)

Revolution and political transformation in the Middle East, vol. 2. government action and response,Washington/D.C. 2011, (Viewpoints / Middle East Institute).http://www.mei.edu/LinkClick.aspx?fileticket=iWxucTAIkf4%3D&tabid=541 (http://www.mei.edu/LinkClick.aspx?fileticket=iWxucTAIkf4%3D&tabid=541)

Seismic shift. understanding change in the Middle East, Washington/D.C. 2011, (Henry L. StimsonCenter).http://www.stimson.org/images/uploads/research-pdfs/Full_Pub_-_Seismic_Shift.pdf (http://www.stimson.org/images/uploads/research-pdfs/Full_Pub_-_Seismic_Shift.pdf)

The new Arab revolt, in: Foreign Affairs, 90 (May-June 2011) 3, S. 1–54.

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Länderspezifische Analysen und Kommentare10.12.2011

Informationen zu den arabischen Staaten im Umbruch - von Tunesien bis hin zu den Golfstaaten.

Tunesien

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Jorshi, Salah-Eddine: The political regime in Tunisia at a crossroads, o.O. 2011, (Arab Reform Brief; 45).http://www.arab-reform.net/IMG/pdf/ARB_45_Tunisia-_S-_Joshi-_Eng-_Formate.pdf (http://www.arab-reform.net/IMG/pdf/ARB_45_Tunisia-_S-_Joshi-_Eng-_Formate.pdf)

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Mattes, Hanspeter; Faath, Sigrid: Der Machtwechsel in Tunesien und politische Reformperspektivenin Nahost, Hamburg 2011, (GIGA Focus Nahost; 1/2011).http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf/gf_nahost_1101.pdf (http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf/gf_nahost_1101.pdf)

Melzer, Ralf: Tunesien in (post)revolutionärer Transformation. eine Momentaufnahme, Berlin 2011,(Perspektive / FES Tunesien).http://library.fes.de/pdf-files/iez/07815.pdf (http://library.fes.de/pdf-files/iez/07815.pdf)

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Libyen

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Ägypten

Monografie (nur Referenz)

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Aufsätze und Online-Publikationen

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Weitere Länder (Syrien, Jemen, Bahrain und Golfstaaten)

Syrien

Asseburg, Muriel; Wimmen, Heiko: Reformunfähigkeit in Damaskus? Baschar Al-Assad treibt Syrienimmer tiefer in die Krise, schreiben Muriel Asseburg und Heiko Wimmen. Statt mit Reformen speistdas Regime die Demonstranten mit leeren Versprechungen ab, Berlin 2011, (SWP Kurz gesagt;21.04.2011).http://www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt/leere-versprechungen-statt-echter-reformen.html (http://www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt/leere-versprechungen-statt-echter-reformen.html)

Bickel, Markus: Syriens verlässliche Feinde. Stabilitätsinteressen halten das Regime von Baschar al-Assad an der Macht, in: Internationale Politik / Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, 66(September-Oktober 2011) 5, S. 68–73.

Perthes, Volker: Aufstand gegen das Assad-Regime in Syrien. welche Unterstützung für dieProtestbewegung? – In: Qantara.de - Dialog mit der islamischen Welt, (10.10.2011), ca. 3 S.http://de.qantara.de/wcsite.php?wc_c=17472&wc_id=18002 (http://de.qantara.de/wcsite.php?wc_c=17472&wc_id=18002)

Popular protest in North Africa and the Middle East (VII). the Syrian regime's slow-motion suicide,Damascus 2011, (ICG Middle East/North Africa Report; N° 109).http://www.crisisgroup.org (http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/Middle%20East%20North%20Africa/Iraq%20Syria%20Lebanon/Syria/109%20Popular%20Protest%20in%20North%20Africa%20and%20the%20Middle%20East%20VII%20--%20The%20Syrian%20Regimes%20Slow-motion%20Suicide.pdf)

Salih, Yasin al-Hajj: A tense Syria in a changing Arab world – In: Perspectives: Political Analysis andCommentary from the Middle East, (May 2011) 2, Special issue, S. 170-179.http://www.lb.boell.org/downloads/Perspectives_02-25_Yassin_al-Haj_Salih.pdf (http://www.lb.boell.org/downloads/Perspectives_02-25_Yassin_al-Haj_Salih.pdf)http://www.lb.boell.org/downloads/Perspectives_02-25_Yassin_al-Haj_Salih.pdf

Sharp, Jeremy M.; Blanchard, Christopher M.: Unrest in Syria and U.S. sanctions against the Asadregime (Stand: 22.09.2011), Washington/D.C. 2011, (CRS Report for Congress; RL33487)http://fpc.state.gov/documents/organization/174252.pdf (http://fpc.state.gov/documents/organization/174252.pdf)

Wieland, Carsten: Asads verpasste Gelegenheiten – In: INAMO, 17 (Frühjahr 2011) 65, S. 52–56.

Wimmen, Heiko: Syrien. gefährliches Patt zwischen Regime und Opposition, Berlin 2011, (SWP-aktuell;35/2011).http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2011A35_wmm_ks.pdf (http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2011A35_wmm_ks.pdf)

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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 22.06.2021) 112

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Jemen

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Büchs, Annette: Der Jemen am Scheideweg. Demokratisierung oder Bürgerkrieg?, Hamburg 2011,(GIGA Focus Nahost; 6/2011).http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf/gf_nahost_1106.pdf (http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf/gf_nahost_1106.pdf)

Carapico, Sheila: No exit: Yemen's existential crisis, Washington/D.C. 2011, (Middle East Report Online;May 3, 2011).http://www.merip.org/mero/mero050311-1 (http://www.merip.org/mero/mero050311-1)

Glosemeyer, Iris: Der Jemen ohne Ali Abdallah Salih? – In: Proteste, Aufstände und Regimewandel inder arabischen Welt: Akteure, Herausforderungen, Implikationen und Handlungsoptionen / MurielAsseburg (Hg.). Stiftung Wissenschaft und Politik. - Berlin, 2011. - (SWP-Studie; S 27/2011), S. 27–29.http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf (http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf)

Hill, Ginny; Nonneman, Gerd: Yemen, Saudi Arabia and the Gulf States. elite politics, street protestsand regional diplomacy, London 2011, (Briefing Paper / Royal Institute of International Affairs).http://www.chathamhouse.org.uk/files/19237_0511yemen_gulfbp.pdf (http://www.chathamhouse.org.uk/files/19237_0511yemen_gulfbp.pdf)

Sakkaf, Nadia al-: Yemen´s revolution. the lack of public reasoning – In: Perspectives: Political Analysisand Commentary from the Middle East, (May 2011) 2, Special issue, S. 159–162.http://boell-meo.org/downloads/Perspectives_02-23_Nadia_Al-Sakkaf.pdf (http://boell-meo.org/downloads/Perspectives_02-23_Nadia_Al-Sakkaf.pdf)

Bahrain und Golfstaaten

Abdulla, Mostafa: Bahrain: change of the regime or changes within the regime? – In: Perspectives:Political Analysis and Commentary from the Middle East, (May 2011) 2, Special issue, S. 159–165.http://www.lb.boell.org/downloads/Perspectives_02-24_Mostafa_Abdulla.pdf (http://www.lb.boell.org/downloads/Perspectives_02-24_Mostafa_Abdulla.pdf)

Arab uprisings: the Saudi counter-revolution, Washington/D.C. 2011, (POMEPS Briefings; 5).http://www.pomeps.org/wp-content/uploads/2011/08/POMEPS_BriefBooklet5_SaudiArabia_web.pdf (http://www.pomeps.org/wp-content/uploads/2011/08/POMEPS_BriefBooklet5_SaudiArabia_web.pdf)

Jones, Toby Craig: Counterrevolution in the Gulf, Washington/D.C. April 15, 2011, (USIP Peace Brief,No. 89).http://www.usip.org/files/resources/PB%2089%20Counterrevolution%20in%20the%20Gulf.pdf (http://www.usip.org/files/resources/PB%2089%20Counterrevolution%20in%20the%20Gulf.pdf)

Louër, Laurence: A failed uprising in Bahrain, Paris 2011 (EUISS Opinion).http://www.iss.europa.eu/uploads/media/A_failed_uprising_in_Bahrain.pdf (http://www.iss.europa.eu/uploads/media/A_failed_uprising_in_Bahrain.pdf)

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Niethammer, Katja: Ruhe und Revolutionsversuche. die kleinen Golfmonarchien im ArabischenFrühling – In: Proteste, Aufstände und Regimewandel in der arabischen Welt: Akteure,Herausforderungen, Implikationen und Handlungsoptionen / Muriel Asseburg (Hg.). StiftungWissenschaft und Politik. - Berlin, 2011. - (SWP-Studie; S 27/2011), S. 14–16.http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf (http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf)

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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 22.06.2021) 114

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Der Arabische Frühling als Herausforderung für"westliche" Politik – Analysen und Dokumente

8.3.2007

Welche Bedeutung haben die Umbrüche in der arabischen Welt für die westlichen Staaten undden Nahost-Konflikt?

Deutschland und die Europäische Union

Aktuelle Dokumente

Eine neue Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel. gemeinsame Mitteilung an das EuropäischeParlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss derRegionen, Brüssel 2011, (Europäische Kommission).http://ec.europa.eu/world/enp/pdf/com_11_303_de.pdf (http://ec.europa.eu/world/enp/pdf/com_11_303_de.pdf)

Eine Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand.gemeinsame Mitteilung an den Europäischen Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- undSozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Brüssel 2011, (Europäische Kommission).http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/president/news/speeches-statements/pdf/20110308_de.pdf (http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/president/news/speeches-statements/pdf/20110308_de.pdf)

Neuausrichtung der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Antwort der Bundesregierung auf die KleineAnfrage ... der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 17/6577, Köln 2011, (Verhandlungendes Deutschen Bundestages: Drucksachen; 17-6696).http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/066/1706696.pdf (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/066/1706696.pdf)

Aufsätze und Online-Publikationen

Adebahr, Cornelius; Möller, Almut: Gesicht zeigen im arabischen Frühling. warum die EU einenSonderbeauftragten für Nordafrika braucht, Belin 2011, (DGAP-Analyse: kompakt; 2011, No. 5).http://www.dgap.org/wp-content/uploads/2011/06/2011-05_DGAPanakt_M%C3%B6ller-Adebahr_EUSB-Nordafrika_www.pdf (http://www.dgap.org/wp-content/uploads/2011/06/2011-05_DGAPanakt_M%C3%B6ller-Adebahr_EUSB-Nordafrika_www.pdf)

Asseburg, Muriel: Der Arabische Frühling. Herausforderung und Chance für die deutsche undeuropäische Politik, Berlin 2011 (SWP-Studie; S 17/2011).http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S17_ass_ks.pdf (http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S17_ass_ks.pdf)

Hanelt, Christian-Peter; Bauer, Michael: Arabien zwischen Revolution und Repression, Gütersloh 2011,(Bertelsmann-Stiftung / Spotlight Europe; 2011/03).

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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 22.06.2021) 115

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9.1.2012

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Issue Guide: The Arab Uprisings / Themendossier des Council on Foreign Relations (CFR)http://www.cfr.org/middle-east/issue-guide-arab-uprisings/p26265 (http://www.cfr.org/middle-east/issue-guide-arab-uprisings/p26265)

Mittelmeerländer / Regionalbüro der Friedrich Naumann Stiftung (FNS)http://www.freiheit.org/Mittelmeerlaender/610c161/index.html (http://ttp://www.freiheit.org/Mittelmeerlaender/610c161/index.html)

Naher Osten / Themenseite der Rosa Luxemburg Stiftung (RLS)http://www.rosalux.de/internationale-politik/thema/naher-osten/sprachen/2399/314.html (http://www.rosalux.de/internationale-politik/thema/naher-osten/sprachen/2399/314.html)

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Roundup of the major developments in the Middle East and North Africa - interactive map / CarnegieEndowment for International Peace (CEIP)http://carnegieendowment.org/publications/?fa=view&id=43665 (http://carnegieendowment.org/publications/?fa=view&id=43665)

Umbruch in der arabischen Welt - Kommt es zu weiteren Dominoeffekten? / Themendossier der StiftungWissenschaft und Politik (SWP)http://www.swp-berlin.org/de/swp-themendossiers/umbruch-in-der-arabischen-welt.html (http://www.swp-berlin.org/de/swp-themendossiers/umbruch-in-der-arabischen-welt.html)

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