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Die zweifelhafte Verlässlichkeit methodischer Haltegriffe in der Beratung; Dubious reliabilities of...

Date post: 25-Aug-2016
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Praxis HocHscHule Zusammenfassung: Der Beitrag liefert einen kritischen Blick auf die Beratungsausbildung. Da bei diskutiert er Beispiele aus der Praxis in Zusammenhang mit der Dynamik des zu beobacht enden standardisierungsprozesses in Praxis und ausbildung. Der standardisierungsprozess in der Beratung hat wesentliche methodische elemente hervorgebracht und definiert und dabei andere elemente ausgeklammert. in diesem Text wird nicht nur an einige verschüttete Beratungsdeter minanten erinnert, sondern darüber hinaus die unauflösbare Zusammengehörigkeit dieser beiden widersprüchlichen Determinanten: Der standardisierung und Qualitätsabsicherung einerseits und der einzigartigkeit der KlientBeraterBeziehung in der ihr eigenen Widersprüchlichkeit ande rerseits beschrieben. Die Konsequenzen einer Dialektik von autonomie und abhängigkeit, von methodischer Professionalität und professioneller Beziehung für die beraterische Praxis und Be ratungsausbildung beschreiben ein Dilemma der professionellen Beratungszunft. Schlüsselwörter: Beratung · Beratungsausbildung · standardisierung · BeraterKlientBeziehung Dubious reliabilities of methodological handholds in consultancy Abstract: standardization of consulting processes has generated methodical elements and defini tions. simultaneously other important elements of such consulting processes have been factored out. This paper tries to outline some of the vanished qualities of consulting, being covered up by standardization: The unique relationship that develops between clients and their consultants, the shared feeling of intimacy during a satisfying consulting process. Professional consulting has to combine both qualities: The standards, criteria of quality, methodological accuracy on one hand and the very unique and personal relationship between clients and consultants on the other hand. Thus, professional consluting means constantly being aware of balancing the contradiction of dependency and autonomy during consulting. Handling this dialectic relationship in praxis and apprenticeship prerequisites the quality of the craft. Keywords: consulting · consulting apprenticeship · standardization · consultantclientrelationship soz Passagen (2012) 4:131–146 Doi 10.1007/s1259201201062 Die zweifelhafte Verlässlichkeit methodischer Haltegriffe in der Beratung Karin Lackner © Vs Verlag für sozialwissenschaften 2012 Prof. Dr. K. lackner () institut für Psychologie, Fachbereich Humanwissenschaften, universität Kassel, arnoldBodestr. 10, 34109 Kassel, Deutschland eMail: karin.lackn[email protected]
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Praxis HocHscHule

Zusammenfassung: Der Beitrag liefert einen kritischen Blick auf die Beratungsausbildung. Da­bei diskutiert er Beispiele aus der Praxis in Zusammenhang mit der Dynamik des zu beobacht­enden standardisierungsprozesses in Praxis und ausbildung. Der standardisierungsprozess in der Beratung hat wesentliche methodische elemente hervorgebracht und definiert und dabei andere elemente ausgeklammert. in diesem Text wird nicht nur an einige verschüttete Beratungsdeter­minanten erinnert, sondern darüber hinaus die unauflösbare Zusammengehörigkeit dieser beiden widersprüchlichen Determinanten: Der standardisierung und Qualitätsabsicherung einerseits und der einzigartigkeit der Klient­Berater­Beziehung in der ihr eigenen Widersprüchlichkeit ande­rerseits beschrieben. Die Konsequenzen einer Dialektik von autonomie und abhängigkeit, von methodischer Professionalität und professioneller Beziehung für die beraterische Praxis und Be­ratungsausbildung beschreiben ein Dilemma der professionellen Beratungszunft.

Schlüsselwörter:  Beratung · Beratungsausbildung · standardisierung · Berater­Klient­Beziehung

Dubious reliabilities of methodological handholds in consultancy

Abstract:  standardization of consulting processes has generated methodical elements and defini­tions. simultaneously other important elements of such consulting processes have been factored out. This paper tries to outline some of the vanished qualities of consulting, being covered up by standardization: The unique relationship that develops between clients and their consultants, the shared feeling of intimacy during a satisfying consulting process. Professional consulting has to combine both qualities: The standards, criteria of quality, methodological accuracy on one hand and the very unique and personal relationship between clients and consultants on the other hand. Thus, professional consluting means constantly being aware of balancing the contradiction of dependency and autonomy during consulting. Handling this dialectic relationship in praxis and apprenticeship prerequisites the quality of the craft.

Keywords:  consulting · consulting apprenticeship · standardization · consultant­client­relationship

soz Passagen (2012) 4:131–146Doi 10.1007/s12592­012­0106­2

Die zweifelhafte Verlässlichkeit methodischer Haltegriffe in der Beratung

Karin Lackner

© Vs Verlag für sozialwissenschaften 2012

Prof. Dr. K. lackner ()institut für Psychologie, Fachbereich Humanwissenschaften, universität Kassel, arnold­Bode­str. 10, 34109 Kassel, Deutschlande­Mail: karin.lackner@uni­kassel.de

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1   „Beratung“ als Tätigkeitsfeld

andere bei dem zu unterstützen, was sie arbeitsweltlich tun, ist selbst zu einem arbeits­feld geworden. aus dem, was noch vor ungefähr siebzig Jahren ein Freundschaftsdienst gewesen sein mag, ist eine bezahlte Dienstleistung geworden. und mit der honorierten Dienstleistung wurde der anspruch an standards gestellt. seriös sollte die unterstüt­zung sein, uneigennützig, frei von egoistischen interessen oder gar Neid. Das Handeln braucht Methoden, ein repertoire von skills und Tools, braucht des weiteren settings und korrekte Vorgangsweisen, evaluationen und in Zahlen gegossene Berichte, For­schungsergebnisse über die richtigen interventionen und Wirkungen, Denkmodelle und theoretische unterfütterungen. sie alle sollen dem Nimbus der Beliebigkeit solcher beraterischer unterfangen entgegenwirken. Vorgegebene standards sollen die „guten“ Beraterinnen von unseriösen unterscheiden. Der gute rat einer vertrauten Person, die mitfühlende anteilnahme eines Freundes, die schulter ohne Namen, an der man sich ausweinen konnte – angebote einer zivilen Gesellschaft für Menschen, deren Berufe als Tätigkeit am Menschen angesehen werden: Kann eine so verantwortungsvolle „arbeit“ ungeschulten, unprofessionellen amateuren überlassen werden?

2012 wurde vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung eine stu­die veröffentlicht, deren Ziel es war, ein Kompetenzprofil für Beratende zu entwickeln. Das ergebnis dieser studie beschreibt und definiert einen orientierungsrahmen, der, wenn alle dort aufgelisteten Kompetenzkriterien erfüllt sind, einen Qualitätsstandard für Beraterinnen gewährleistet. in sechs Kategorien werden zwanzig Kompetenzen aufgelis­tet, alle beginnend mit „Beratende sind bereit, …“. (nfb et al. 2012) aus sicht der Bera­tenden sind es Bekenntnisse, die einzuhalten ich mich als Beraterin bereit erkläre. Die einhaltung der Gebote wird dem individuellen Gewissen der Beratenden verantwortet. Beratende Personen sind weitgehend selbst für die Qualität ihrer arbeit zuständig. Ver­fehlungen sind mit dem eigenen Gewissen zu verhandeln. Kundinnen sind dementspre­chend dieser Gewissensinstanz der Beratenden ausgeliefert. Für Beratung gibt es keine stiftung Warentest und keine Konsumentenschutzabteilung, wo ich gegebenenfalls als Kundin reklamieren könnte. Die betroffenen Personen, im Falle der Beratung sind es die Beraterinnen und ihre Klientinnen, sind aufgefordert, selbst die Frage nach dem Guten, nach dem Moralischen zustellen. (vgl. Heintel 1999) Dazu müssen sie, die Beraterinnen oder das aus Beraterinnen und Klientinnen bestehende Beratungssystem, sich zu sich selbst in Differenz setzen und reflektierend den Beratungsprozess qualitativ bewerten.

Manche Kundinnen vertrauen bei der auswahl ihrer Beraterinnen eher den standesver­tretungen und stellen sicher, dass der oder die Beraterin Mitglied einer solchen berufsver­einigenden instanz ist (als ob dadurch die einhaltung der zwanzig Gebote gewährleistet werden könnte). Berufsständische Gesellschaften können nur den ausbildungsstandard sicherstellen, den sie selbst definiert haben. Die Mitgliedschaft ist gebunden an diverse ausbildungsschritte und ­elemente, und/oder an die approbation durch von eben dieser Gesellschaft ausgewählte Mitglieder (z. B. lehrberater, lehrtrainer, lehrsupervisoren).

Fassen wir zusammen: es gibt indikatoren, die Qualitätskriterien festlegen und mit deren Hilfe der unkundige Klient Profis von scharlatanen unterscheiden kann. Beseelt von der erschaffung einer professionellen selbstkontrolle hat man einen standardisier­ten ausbildungskanon entwickelt, hat sich erfolgreich akademisch verankert, hat sich

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in einer Berufsvereinigung versammelt, die erfolgreich über die einhaltung der von ihr selbst aufgestellten Qualitätsstandards wacht. ethikkodices und ehrenräte zu deren Über­wachung wurden etabliert.

Weniger stringent ist diese standardisierung bei anderen Beratungsformaten gelungen, wie zum Beispiel bei coaching oder organisationsberatung. Das lässt einerseits mehr gestalterische Freiheiten zu, andererseits unterliegen diese Beratungsformate weniger Kontrollen. Dafür exponiert man sich stärker den entscheidungen des Marktes. Was gute oder schlechte Beratung ist, entscheidet der Klient – und der Klient entscheidet nicht immer nach den Qualitätsgesichtspunkten einer die standards hoch haltenden Gesell­schaft. Beraterinnen, supervisorinnen, coaches versuchen andere bei deren arbeitswelt­lichen Vorhaben zu unterstützen und zu begleiten.1

Die Beratungsleistung muss ethischen und moralischen Vorstellungen entsprechen, und dabei möglichst nicht in Frage stellen, um wessen oder welche Gesichtspunkte es sich gerade handelt. Welche interessen bedient der Beratermarkt? Die der Wirtschaft? oder jene der sozialen Gerechtigkeit? oder folgt das interesse einer gesamtgesellschaftspoli­tischen Hintergrundmusik? oder ist es dem jeweiligen Berater selbst überlassen, die ent­scheidung zu treffen, ob seine oder ihre unterstützende leistung ethisch zu vertreten ist? ein Zurück­Geworfen­sein auf das eigene Gewissen setzt eben dieses Gewissen voraus. Wo finden wir das in den Beraterinnen? eine moralisch­ethische Haltung reicht oft nicht aus, um als Berater seine Familie zu ernähren, da muss man unter umständen das eigene Gewissen schon mal dehnen oder ausblenden und „unsaubere“ aufträge annehmen.

in einer österreichischen Tageszeitung (der standard 11.01.2012) lese ich eine reportage über Bananen aus den Philippinen. Waldflächen auf der insel Minder­nao werden gerodet, um Bananenplantagen Platz zu machen. Die Felder werden von Flugzeugen aus mit Pestiziden besprüht. Die reichweite der Besprühung reicht weit über die Felder hinaus und verpestet luft, Wasser und Boden der umliegenden

1 ich gehöre selbst zu dieser Kategorie von Menschen, die ihr Geld damit verdienen, anderen in ihren arbeitsweltlichen Belangen für eine begrenzte Zeit zur Verfügung zu stehen. seit vielen Jahren bilde ich Menschen aus, die ebenfalls diesem Beruf nachgehen wollen. seit fünf Jahren tue ich dies im rahmen eines von mir entwickelten akademischen Programms. Neben allen internalisierten professionellen standards, die mein beraterisches Handeln determinieren, gibt es mittlerweile eine komprimierte sammlung von Gedanken, die sich in meinem beruflichen selbstverständnis breit machen und dieses Gefühl von einer selbstverständlich gewordenen Professionalität, denn ich bin, so sagt man, eine gute Beraterin, ein Profi dieser Zunft, unter­minieren. so frage ich mich: Warum bin ich professionell? Weil ich es lehrbuchmäßig kann, akademisch gebildet und theoretisch fit bin, weil ich über ein ausreichend umfangreiches inter­ventionsrepertoire verfüge und darüber hinaus immer weiß, was ich tue? Weil ich mich selbst und meine blinden Flecken kenne, aufgeklärt bin? Weil ich anerkanntes Mitglied in den ent­sprechenden Gesellschaften bin, die die Qualitätskriterien für meine Profession hüten wie den heiligen Gral? – oder bin ich gut, weil mir zur rechten Zeit die richtigen Worte und sätze ein­fallen, die mit keinem lehrbuchkapitel kompatibel sind und sich dort unter keinem der vielen spiegelstriche wiederfinden? Weil ich das außerprogrammmäßige gemacht habe? Weil ich es genossen habe, mit einem interessanten Gegenüber in ein philosophisches Gespräch einzutau­chen? Weil ich meine Tätigkeit nicht nur als Mitglied einer Zunft sehe, sondern als Kunst, sich auf ein abenteuer einzulassen, das die Kreativität der beteiligten Personen hervorbringt?

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Dörfer. Menschen erkranken an Krebs und sterben. Das Motto der Firma, die diese Plantagenwirtschaft betreibt heißt: „NNNN: The ethical choice“.

Würde ich dieses unternehmen beraten? Vielleicht, wenn mir diese reportage nicht in die Hände gefallen wäre. Vielleicht, wenn die existenzielle lage keine andere Wahl zulässt? Vielleicht, wenn die Beratung dieses Großkonzerns das Potential hat, mich berühmt und gefragt zu machen? Wie strapazierfähig ist mein moralisch­ethisches Kostüm?

in allen meinen ausbildungen kann ich mich nicht erinnern, dass mir jemand beige­bracht hätte, antworten auf diese Fragen zu finden.

2   Beratungsausbildung als Beziehungsarbeit

Die Qualität von Beratung soll personenunabhängig garantiert werden können, abstrakt im sinne der sache und Gründergenerationen überdauern, ohne den Gründergeist, der den standards innewohnt, zu verlieren. Mit anderen Worten, es werden ausbildungsricht­linien vorausgesetzt, die den Nachfolgegenerationen den richtigen Weg aufzeigen. Wer sich für diesen Weg entscheidet und die erforderlichen ausbildungsschritte erfolgreich im sinne der ausbildungsordnung absolviert hat, empfängt die Weihen der Gesellschaft und darf sich ein Mitglied nennen oder Mitgliedschaft beantragen – je nach statut der jeweiligen normsetzenden Gesellschaft. Für Kühl (2006) entsteht damit ein „Kettenbrief­system“ von Beratern und solchen die Beratungsfähigkeiten und ­fertigkeiten lehrend weitergeben. „es ist für neue Tätigkeitsfelder in personenzentrierten Dienstleistungen typisch, dass die Vorreiter dieser Tätigkeitsfelder ihr Geld nicht vorrangig durch arbeiten am Klienten verdienen, sondern durch die ausbildung von „Jüngern“. auch diese zweite Generation von Jüngern verdient ihr Geld dann häufig immer noch nicht vorrangig mit Klienten, sondern mit der ausbildung weiterer Jünger. aber wie beim Kettenbrieftrick von Jugendlichen in der schule oder bei aktienhaussen an der Börse muss auch die­ses „Kettenbriefsystem“ neuer Tätigkeitsfelder irgendwann in sich zusammenbrechen.“ (Kühl 2006, s. 11)

aus einer persönlichen abneigung gegenüber Kettenbriefen heraus finde ich die­sen Vergleich von Kühl (2006) zwar unangenehm, aber die Kernaussage ist dennoch bedenkenswert. Die Konzentration auf ausbildung und die entwicklung von Qualitäts­standards ist nicht zu leugnen. universitäten und deren einschlägige lehrstühle wurden bemüht, dieses ansinnen mit Hilfe von Forschungsprojekten möglichst zu unterstützen. in einem Punkt würde ich noch weiter gehen als Kühl (2006). Der sog zur ausbildung von Nachfolgerinnen untermauert auch die etablierung sogenannter Beratungsschulen. Die institutionalisierung eines Beratungsansatzes schafft nicht nur Marktvorteile, son­dern auch anerkennung auf einem intellektuellen Niveau. Vorreiter, Pioniere brauchen ihre Jünger, damit die idee nicht mit deren Pensionierung ausstirbt, sondern im sinne der Gründer weiter entwickelt, zur Theorie gehoben wird und damit zur Fundamentierung der schule beiträgt. Mit dem Wunsch, eine ausbildung bei NN machen zu wollen, hat der Kandidat auch das Bekenntnis zur Beratungsphilosophie der ausbildungsinstitution und ­organisation abgegeben.

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im rahmen meiner gruppendynamischen ausbildung mussten wir unser Verhält­nis zur ausbildenden institution beschreiben. Gruppendynamische ausbildung ist, wie die ausbildung zur supervision und zur Beratung auch, ein lernen nach dem „aufgeklärten Meisterprinzip“ (Heintel 1992). Die eigenen Beratungserfahrungen werden mit einem lehrberater, lehrsupervisor oder lehrtrainer reflektiert, evalu­iert und bewertet. letztlich entscheidet der ‚Meister‘ über meine Fort­ oder rück­schritte. Diese abhängigkeitssituation hat mich verleitet, aus der Beschreibung eine in ihrer Formulierung zugegebenermaßen etwas zynische abhandlung triangulier­ter abhängigkeiten und deren Widersprüche zu machen. Das hat mir nicht nur den berechtigten Zorn meiner Meister, sondern auch den meiner ausbildungsinstitution eingebracht und meine ausbildungszeit doch um einiges verlängert.

Das Beispiel habe ich deshalb gewählt, weil es eine emotionale Trotzhaltung beschreibt, die sich gegen die entmündigung von ausbildungswilligen durch vorgegebene standards richtet. inhaltlich beschreibt das Beispiel jedoch das Dilemma standardisierter ausbil­dungen für beratende Berufe von an am­Menschen­Tätigen.

Man könnte die ausbildungsstruktur für Beratung als Dreieck beschreiben. Die inten­sive arbeit mit den Meistern (lehrsupervisorinnen, lehrberaterinnen, lehrtrainerinnen) beschreibt eine ecke des Dreiecks. Die ausbildungsordnung der jeweiligen organisation die andere ecke. Die dritte ecke wird von dem ausbildungsanwärter besetzt. Wenn man nun die drei daraus entstehenden Beziehungen trianguliert, entsteht ein Dilemma. Die ausbildungsordnung sieht – um das Dilemma an einem Beispiel zu illustrieren – eine bestimmte anzahl von lehreinheiten (das können, je nach ausbildungsgegenstand stun­den, Tage oder Wochen sein) vor. Die Vorgabe ist abstrakt, unabhängig von den Personen. Die Verfasser solcher ausbildungsordnungen gehen davon aus, dass die definierte anzahl von einheiten die richtige ist und unterfüttern diese entscheidung mit erfahrung einer­seits und Forschungsergebnissen andererseits. anwärterinnen anerkennen diese ausbil­dungsordnung und orientieren sich an ihr.

in der gemeinsamen arbeit mit dem Meister stellt sich heraus, dass die ausbildungs­ordnung dem oder der anwärterin nicht gerecht wird. Meist sind es zu wenig einheiten. es ist in dem vorgegebenen rahmen nicht gelungen, ein für den Meister zufriedenstel­lendes ausbildungslevel zu erreichen. Der oder die anwärterin wird trotz erreichter cur­ricularer einheiten nicht für den nächsten ausbildungsschritt „freigegeben“. eine nicht gelungene lehrberatung mag viele Gründe haben. Da wären zunächst die fachlichen – die Kandidatin hat die erforderlichen leistungen nicht erbracht oder hat sich zu viele Fehler geleistet. es gibt aber auch noch andere Gründe für das Misslingen von lehrberatungen. es ist nicht gelungen, eine Beziehung zwischen anwärterin und lehrberaterin herzu­stellen, die eine fruchtbare lernatmosphäre ermöglicht hätte. eine der wesentlichen ele­mente eines erfolgreichen Beratungsprozesse ist meines erachtens eine für beide seiten zufriedenstellende entwicklung einer Berater­Klient­Beziehung. Das gilt auch für das lernen nach dem aufgeklärten Meisterprinzip. entwicklungsverläufe von Beziehungen verlaufen nicht linear und auch nicht immer nur in der positiven richtung. als lehr­beraterin erkenne ich einen lernerfolg auch daran, dass sich mein zunächst gefügiger und meine ratschläge dankbar annehmender Kandidat zu einem Bündel an Widerständen wandelt und versucht, mir zu beweisen, dass er oder sie es bereits besser kann und ich

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das Potential nicht erkennen würde. Für Widerstände dieser art gibt es eine reihe von Möglichkeiten, diese zum ausdruck zu bringen – im Widerstand sind Menschen bekann­termaßen besonders kreativ. in dieser eher unangenehmen Phase eines lernprozesses gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten: erste Möglichkeit, lehrberaterinnen stoßen derart renitente anwärter ab und erklären sie für unfähig. Zweite Möglichkeit (ziemlich beliebt unter ausbildungskandidatinnen), die anwärterinnen steigen aus dem lehrberatungspro­zess aus und suchen sich eine passendere lehrperson (bis zum nächsten Widerstand und so fort). Dritte Möglichkeit, die beiden bearbeiten den Widerstand. Die dritte lösung kann durchaus dazu führen, dass sich der lehrberatungsprozess in die länge zieht, wie obiges Beispiel auch belegt.

rein theoretisch erlaubt das Modell der ausbildungstriangulierung auch eine Koali­tion der lehrberaterinnen mit den anwärterinnen gegen die geltende ausbildungsord­nung – womit der organisation eine Kampfansage gemacht wird. Wer sitzt am längeren ast? Die organisation, dann wird man vermutlich seine Mitgliedschaft zurücklegen müs­sen; oder das Duo, vorausgesetzt es gibt genügend Verbündete im Hintergrund, dann wird die organisation ihre ausbildungsordnung reformieren müssen.

Fazit: Die entwicklung gelungener oder misslingender Beziehungen kann nicht ausschließlich in ein zahlenmäßig gefasstes curriculum gegossen werden. Beratungs­ausbildung ist ein emanzipatorischer Prozess und den hat keine standardisierung unter Kontrolle. ein gelungener emanzipationsprozess würde über das bloße einhalten von regeln und richtlinien hinausgehen. Der Gewinn eines solchen Prozesses liegt doch dia­lektisch gesehen in der Freiheit, die richtlinien dort anzuerkennen, wo sie brauchbar und sinnvoll erscheinen und den kreativen Prozess eines Beratungsgeschehens nicht bremsen oder einschränken.

3   Haltegriffe

ich habe seit Beginn meiner Beratungstätigkeit Dokumentationen und Designs von Beratungsprozessen gesammelt und archiviert. Nicht nur meine eigenen, sondern auch die von Kolleginnen, soweit ich dazu Zugang hatte und vor allem jene meiner lehrberaterinnen. Besonders am anfang habe ich mich an lehrbuchtexten festge­halten. Die leit­ und Merksätze, die Beispiele für interventionen, die spiegelstri­chartig aufgezählten zu beachtenden Punkte waren Haltegriffe in einer unsicheren situation, deren Hergang und ausgang nicht zu prognostizieren war. später habe ich dann eigene ideen und Designveränderungen dokumentiert und der samm­lung hinzugefügt. leichte abweichungen vom schema. Zunächst mit schlechtem Gewissen, etwas außerhalb der Norm getan zu haben, als ob man eine Übung ver­patzt hätte. im laufe der Zeit haben sich diese kreativen ausrutscher bewährt und sind als Bestandteile eines wachsenden repertoires in meine sammlung eingegan­gen. ich habe diese ordner gehütet, wie heilige Kühe. ich habe sie nicht hergezeigt. Das wäre in etwa so gewesen, als hätte ich fremden Menschen einen einblick in mein schlafzimmer erlaubt. es war mein gesammeltes repertoire, meine inter­ventions­ und Designschatzkiste. ich habe die Vorstellung damit verbunden, dass ich gegebenenfalls auf diese sammlung zurückgreifen kann. Je sicherer ich in dem

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Beratungs­Tun wurde, je mehr ich meinen eigenen Designkreationen und inter­ventionsintuitionen vertraut habe, umso weniger habe ich auf meine sammlungen zurückgegriffen. schließlich habe ich mich beim letzten umzug von der heiligen Kuh getrennt.

Qualitätskontrolle und ausbildungsstandardisierungen müssen den Kolleginnen und anwärterinnen zugänglich gemacht werden. irgendwie sollte es doch jede ausbildungs­institution, die etwas auf sich hält, schaffen, ihre Vorgaben in eine vermittelbare Form zu bringen. eine reine Mund­zu­Mund­Beatmung in der lehrberatung hätte dafür eine zu geringe reichweite. also machte man sich daran, lehrbücher und ratgeberbücher zu schreiben. ein Blick in die Bücherregale von einschlägigen Buchläden oder internet­seiten genügt, um die Fülle und Üppigkeit des angebotes zu erfassen. Natürlich gibt es auch dort bessere und schlechtere, niveauvollere und naive Darstellungen von Beratungs­prozessen. auch die einzelnen schulen ergreifen die Publikationsmöglichkeit, um ihre Besonderheiten und Vorzüge zur schau zu stellen. als lehrende in einem Masterstudien­gang für organisationsberatung, supervision und coaching gehört es zu den Verpflich­tungen, seriöse literaturhinweise zu geben. auch die studierenden dieses studiengangs müssen sich ihre Fertigkeiten zum Teil aus lehrbüchern aneignen. sie lernen, was gute Beratung ist in fünfzehn spiegelstrichen. Wie führt man ein gutes auftragsklärungsge­spräch – sieben spiegelstriche. Wie muss ein Mediationssetting gestaltet sein? – ebenfalls sieben spiegelstriche. Der Großteil der ratgeberliteratur zergliedert den Beratungspro­zess in einzelne voneinander durch Kapitel getrennte abschnitte: Das liest sich dann in etwa so: 1) einstieg gestalten, 2) aufwärmen, 3) Themenfindung, 4) Problembeschrei­bung, usw. auszubildende eigenen sich ein spiegelstrichgedächtnis an und wenn alles nach Plan läuft, dann haben sie im Zuge eines Beratungsprozesses alle Punkte abge­arbeitet, eine seriöse, fehlerlose Beratung durchgeführt. Macht gut Gelerntes eine gute Beratung aus? Hat die anwendung der genormten Tools den erwünschten effekt erzielt? oder ist das Problem aufgrund der präzisen Vorgangsweise gar nicht erkannt worden?

eine Kollegin bietet eine besondere art des coachings an. sie untersucht diese coa­chingvariante im rahmen ihrer Dissertation. ehemalige Teilnehmerinnen werden zu ihren erlebnissen während des coachingprozesses befragt und wie dieser sich in der beruflichen Praxis danach niederschlug. Die autorin fügt zwei Protokolle in ihre arbeit ein, die die inhalte zweier supervisionssitzungen wiedergeben, wel­che die autorin im rahmen ihrer arbeit selbst in anspruch genommen hat. ange­sichts eines derart komplexen und verwobenen Forschungsdesigns war ich positiv überrascht über diesen interventionsforschungsschritt. in der supervision wurde allerdings hautsächlich über die persönlichen erfahrungen der autorin mit diesem coachingkonzept gesprochen. ein Komfortthema für die supervisandin und eine Wiederholung dessen, was schon zuvor ausführlich auf zweihundert seiten darge­stellt wurde. Die identifikation der autorin mit der coachingmethode stand damit immerhin außer Zweifel. Die supervisorin hat sich lehrbuchmäßig verhalten und ist dem Gesprächsangebot ihrer supervisandin gefolgt. Das eigentlich Problematische an dem „Fall“ blieb unausgesprochen: Die rollenvielfalt der Dissertantin, die For­scherin, anbieterin, coach und ehefrau zugleich war. Die Widersprüchlichkeit und

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unverträglichkeit dieser unterschiedlichen rollen und die inneren Konflikte, die diese erzeugt haben müssten, blieben im unausgesprochenen verborgen. um diese spur zu entdecken, hätte sich die supervisorin aktiv in die logik des Forschungsge­schehens einschalten müssen. Wie auch immer, die supervisorin hat meines erach­tens das Wesentliche nicht erkannt und ihre Klientin geschont.

Das eben geschilderte Beispiel könnte, wenn man wollte, die supervisorin in ein schlech­tes licht stellen. Das sollte jedoch mit diesem Beispiel nicht zum ausdruck gebracht werden. Diese Wertung wäre dann genauso oberflächlich und vordergründig, wie das, was man ihr vorwerfen könnte. in dem supervisionsprozess fehlte etwas: Das erken­nen einer Problemlage, die die supervisandin im Hintergrund halten wollte. Woher sollte die supervisorin von dieser Problemlage wissen, wenn sie sich nicht selbst mit Wis­senschaft und den Gütekriterien einer „guten“ Wissenschaft auseinander gesetzt hätte? Beratungskompetenz braucht Bildung – allgemeinbildung. Beraterinnen müssen etwas von dem Metier verstehen, das sie beraten, um erkennen zu können inwieweit die logik des Klientensystems das Problem des Klienten determiniert. sie müssen Metaphern ent­schlüsseln können, wenn ein Klient sich beispielsweise mit einer mythologischen Figur vergleicht. sie müssen, so die aussage eines Kollegen, ein „unglaublich bunter Hund“ sein (aus: sternstunde Philosophie, 3 sat TV 27.06.2010). sie müssen in der lage sein, mit ihren Klientinnen in einen gemeinsamen Denkprozess einzusteigen, ein philosophi­sches Gespräch führen können.

4   Beratungsbeziehungen und Dilemmata

eine der sechs Kompetenzen aus oben zitierter studie betrifft die „Gestaltung von Bera­tungsprozessen“. im unterpunkt „schaffen einer tragfähigen Beziehung“ heißt es dann: „Beratende sind bereit und fähig, einen für den Beratungsgegenstand und den rahmen der Beratung angemessenen Beziehungsaufbau zu leisten und stabile rahmenbedingungen zu schaffen, und wirken darauf hin, dass die ratsuchenden aktiv und angstfrei mitarbei­ten“ (nfb et al. 2012). Die einhaltung dieses Gebotes wird weder durch standardisierte noch durch professionalisierte, noch durch qualitätsgesicherte, noch durch kollektivierte Bekenntnisse überprüft und gewährleistet werden können. Diese entscheidung können nur Beraterin und Klientin nach bestem Wissen und Gewissen treffen. Denn „jede profes­sionelle Beziehung birgt ein risiko: ein positiver ausgang kann nicht hundertprozentig garantiert werden. es kann sogar schief gehen mit schmerzhaften auswirkungen“ (Buer und siller 2004, s. 175).

4.1 Das Dilemma einer egalitären Beratungsbeziehung unter der Bedingung gegenseitiger abhängigkeiten

in Beratungsprozessen entstehen also Beziehungen. eines der 20 Gebote kompetenter Beratung fordert sogar das „schaffen einer tragfähigen Beziehung“. ich wage an dieser stelle zu behaupten, dass ein gelungener Beratungsprozess stark von dieser Beziehung geprägt ist. Für die Beratungsbeziehung hat sich ein Begriff etabliert: Wertschätzung.

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abgesehen davon, dass dieser Begriff zur Zeit inflationär gebraucht wird, meist appel­lativ an Beraterinnen gerichtet und meist dann, wenn Klientinnen meinen, Beraterinnen zurechtweisen zu müssen. am besten wird a priori ein wertschätzender umgang verein­bart und damit der spielraum einer noch unbekannten Beratungsbeziehung von vornhe­rein durch eine Verhaltensnorm eingegrenzt. Wertschätzungsappelle suggerieren zudem, dass es sich im Falle einer Beratung um ein symmetrisches Verhältnis zwischen Klientin und Beraterin handelt. „entsprechend ist die Berater­Klientenbeziehung im arbeitsbünd­nis als eine Form der Kooperation konstituiert, bei der Berater und Klient gemeinsam und kooperativ an der entwicklung der Problemlösung arbeiten.“ (Voß 2012, s. 45) im selben Text heißt es auch: „im Kontext von Beratung als Hilfe bei der Problembewältigung geht es um autonomie, die durch das Problem eingeschränkt ist. Fremde Hilfe bedroht diese autonomie zusätzlich, deshalb ist es wichtig, dass die Problemlösung in der Beratung kooperativ erfolgt.“ (Voß 2012, s. 44) Dieses Zitat beschreibt eine Quadratur des Kreises. eingeschränkte autonomie würde ja bedeuten, dass Klientinnen nicht in der lage sind, sich selbst (also autonom) zu steuern. sie brauchen im Berater einen steuermann, der ihnen für eine begrenzte Zeit das ruder aus der Hand nimmt, bis die selbststeuerungsfä­higkeit der Klientinnen wieder hergestellt ist. Während dieser Zeit ist das Kooperations­verhältnis asymmetrisch, „kooperativ“ heißt für die Klientinnen, sich in eine freiwillig gewählte abhängigkeit zu begeben und die steuerung des Beratungsprozesses der Bera­terin zu überlassen. Quasi eine regression auf Zeit. Dieses von Voß (2012) beschriebene ideal unterstellt eine egalität der beteiligten Personen, die in der Beratungsbeziehung nicht hergestellt werden kann. „Denn professionelle arbeit ist immer asymmetrisch.“ (Buer 2004, s. 177)

Hilfesuchende machen sich von Helfern abhängig. Beraterinnen ihrerseits sind solange von den Problemen ihrer Klientinnen abhängig, bis dieses bewältigt ist, und der Klient wieder ohne Hilfe laufen kann. Dann braucht es die Beraterinnen nicht mehr und sie müssen sich angesichts ihrer auftragslage neue Klientinnen suchen.

in solchen akquisitionsphasen sind Klientinnen Kundinnen, Beraterinnen anbieter. als anbieter sind Beraterinnen abhängig von potentiellen Klientinnen. „Dann wird sich zeigen, dass der Professionelle, der sich heute am Markt angesichts der unendlichen Kon­kurrenz etablieren will, darauf angewiesen ist, aufmerksamkeit zu erregen. und da die Kompetenz des anbieters einer personenbezogenen Dienstleistung erst im Vollzug spür­bar festgestellt werden kann, müssen vor dem Kauf Zeichen gesetzt werden, an denen der Kunde die Haltbarkeit des Qualitätsversprechens glaubwürdig ablesen kann. Diesem Zwang zur selbstinszenierung unterliegen gerade heute all diese professionellen Bezie­hungsberufe.“ (Buer 2004, s. 163) ist der Kontrakt dann unterschrieben, werden Kundin­nen zu Klientinnen. Das abhängigkeitsverhältnis dreht sich, denn der nunmehr Klient begibt sich mitsamt seines Problems in abhängigkeit von seinem Berater, hoffend, dass er oder sie die richtige Wahl getroffen hat. „als Klientinnen sollen sie dann nicht mehr weiterhin das angebot kritisch prüfen und alternativen abwägen. sie sollen jetzt ein arbeitsbündnis eingehen und sich vertrauensvoll auf das einlassen.“ (Buer 2004, s. 176) Beratung beginnt demnach mit einem Vertrauensvorschuss in eine Beziehung, die sich erst im laufe des Beratungsprozesses gestalten wird – oder nicht. Tatsächlich handelt es sich also bei Beratungsbeziehungen um wechselnde asymmetrische Verhältnisse, deren ausgeglichene Balance im Zuge des Beratungsprozesses erst hergestellt werden muss.

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Mit der akzeptanz der Beratungssituation geben Klientinnen autonomie auf. sie sind nicht mehr die alleinig Zuständigen für ihr Problem, sondern delegieren dieses an die Beratung. Manchen Klientinnen wäre es überhaupt am liebsten, wenn die Beraterin das Problem übernimmt, löst und die Klientin problemfrei aus der Beratung entlässt. einen solchen Beratungserfolg kauft man sich nicht ohne Nebenwirkungen. „Diese erfolgrei­che Hilfe hat nämlich zugleich, wenn keine Gegensteuer erfolgt, die abhängigkeit des Klienten von der expertise erhöht und festgeschrieben, ja verführt tendenziell den Klien­ten dazu, solche Hilfe in Zukunft verstärkt in anspruch zu nehmen und seine eigen­initiative entsprechend einzuschläfern.“ (oevermann 2009, s. 117) ein partizipatives arbeitsbündnis zwischen Klientinnen und Beraterinnen bewegt sich daher dialektisch im Widerspruch von Freiheit/unabhängigkeit und Freiheitsverlust/abhängigkeit. und, um die sache zusätzlich kompliziert zu machen, wechselseitig in der Bewegung vom Kun­den zum Klienten. autonomie, wenn man unter dem Begriff selbstgesetzgebung oder selbststeuerung versteht, wäre dann ein Zustand, der durch die Bewältigung wechsel­seitiger abhängigkeiten erst durch den Beratungsprozess hergestellt werden muss. (vgl. Buer 2004)

4.2 Beratungsflow

es existiert eine seite von Beratung, über die nicht geschrieben wird, die nicht mess­bar ist, die nicht mit den herkömmlichen Paradigmen von Wissenschaft kompatibel ist. Die schattenseiten einer systematisch aufbereiteten Profession, die Begleitmusik, die einzigartigkeit eines Beratungsprozesses, der nicht wiederholbar ist. Das, was in einem Beratungsprozess „schwingt“, was fasziniert, ist nicht wirklich beschreibbar und auch nicht in aufzählungen wiederzugeben. Dafür gibt es keine Kern­, leit­ und Merksätze. es sind Momente des augenblicks, in denen man „sinnlos glücklich“ (sternstunde Philo­sophie 2010) sein kann. Manche dieser unsagbaren und in einer Wissenschaftssprache unbeschreibbaren Phänomene finden ihren Niederschlag außerhalb standardisierter und anerkannter Beratungstätigkeiten, wie zum Beispiel in einem philosophischen Gespräch, in einer philosophischen Praxis.

Vor einigen Jahren habe ich im rahmen eines Forschungsprojektes interviews mit Hochleistungssportlerinnen durchgeführt. unter anderem hatte ich Gelegenheit mit einer olympia siegerin im Dressurreiten zu sprechen. es ging natürlich auch um die Frage – wie könnte es beim Thema leistungssport anders sein – des erfolges und der erfolgsrezepte. im obersten segment unter den letzten zehn Prozent der Besten kann man die leistung technisch und methodisch kaum mehr unterscheiden. oder, anders gesagt, die besten Zehn haben die Technik alle ‚drauf‘. Wie wird man dann olympia siegerin? in dieser Disziplin ist neben anderen relevanten Faktoren die Beziehung der reiter zu den Pferden entscheidend. Das aufeinander ein­ und abgestimmt sein. Das kann man üben, trainieren, kontrollieren. Das können alle. entscheidend für den sieg ist ein Moment – meine interviewpartnerin nannte es ein Gefühl –, wo es ‚stimmt‘. Warum und wieso, kann nicht beschrieben werden, denn es ist eben nur ein Gefühl. Der Versuch, durch Training dieses Gefühl wie­der herzustellen, ist nicht möglich. Jeder Versuch in diese richtung verhindert das

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Gefühl. Dafür würden eher Praktiken passen, wie des sich Hingebens, des darauf Vertrauens, dass sich das Gefühl einstellen wird. entspannen, statt bemühen, los­zulassen statt an der Technik festzuhalten. Dazu braucht es zunächst die sicherheit, das Handwerk zu beherrschen. Jemand, der nicht reiten kann, wird vergeblich nach dem Gefühl der Perfektion suchen, sondern eher bemüht sein, einigermaßen im sattel zu bleiben. erst wenn ich die Haltegriffe nicht mehr brauche, weil ich sie beherrsche, kann ich sie loslassen.

csikszentmihalyi (vgl. in allmer und schulz 1998) hat diesem Phänomen 1992 einen Namen gegeben: er nennt es „Flow“. es handelt sich um Momente, wo die anstrengung aufhört, anstrengend zu sein, wo es wie von selbst läuft, raum, Zeit und Bewegung ver­schmelzen. es ist hinterher nicht nachvollziehbar, wie es letztlich gelungen ist, es war einfach so. Für viele ein Grund, immer wieder zu versuchen, dieses Glücksmoment zu erleben. Der Flow setzt die Zeit außer Kraft. er gönnt uns das Verweilen im augenblick des Glücksgefühls, das wir erleben, wenn wir uns ganz auf eine sache konzentrieren, das schweben in einem Zustand, wo alle anderen Wahrnehmungen und empfindungen ausgegrenzt werden. Von allmer (1998) wird er beschrieben „als die absorbtion durch das Tun, als Verschmelzung zwischen Handeln und Bewußtsein. Der Zustand des gänz­lichen aufgehens im Handeln geht mit dem erleben einher, daß alles von selbst geschehe und ohne Beeinträchtigung negativer Gedanken in Fluß ist und bleibt. Durch die völlige Konzentration auf das Handeln verlieren die alltäglichen sorgen und selbstzweifel an Bedeutung und wird ein Zustand der selbstvergessenheit erreicht, der keinen raum läßt für selbstquälerische reflexionen.“ (allmer 1998, s. 85 f.)

ein ganz gewöhnlicher arbeitstag an der universität. Das Telefon läutet – wahr­scheinlich ein student, der einen aufschub für seine Hausarbeit braucht. am ande­ren ende der leitung meldet sich eine Frau, freundliche stimme, die mir erklärt, sie habe in der örtlichen Tageszeitung eine Kolumne über mich gelesen. Mir fällt die Kolumne wieder ein, Fragmente eines interviews mit Foto. Die weibliche stimme fragt, ob sie bei mir ein coaching machen könnte. ich bin erstaunt über dieses ansinnen, in den letzten Jahren habe ich kaum praktisch als coach gearbeitet. Nor­malerweise würde ich freundlich absagen. Tatsächlich habe ich keine Zeit für ein coaching. umso erstaunter bin ich über meine antwort. ich schlage der weiblichen stimme vor, uns zu treffen. Fachlich würde man sagen: erstgespräch. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, das war in diesem Moment nicht das Motiv. irgendetwas an dieser stimme hat mich neugierig gemacht. ich wollte diese Frau kennen lernen.Das erste Gespräch verlief dann auch ganz positiv. eine gegenseitige sympathie war nicht zu leugnen. es war klar, wir würden dieses coaching machen. Hätte ich meinen ausbildungskandidatinnen empfohlen, sich angesichts einer derartigen spontansympathie auf ein coaching einzulassen? ich denke nicht. Vermutlich hätte ich geraten, die Dame an eine Kollegin weiter zu empfehlen.Das coaching war erfolgreich, getragen von einer Vertrauensbeziehung. Die Gespräche waren intensiv, geistreich und ergiebig. Das gemeinsame Denken und szenarische eintauchen in berufliche alltagssituationen haben wir beide manchmal leidvoll aber auch lustvoll erlebt. Wir haben keine lehrbuchmäßige auftragsklä­

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rung, keine lehrbuchmäßige abschlussevaluation durchgeführt. Dererlei Techniken hätten die Qualität der Gespräche entwertet, den Flow verhindert.

in einer Beratung, die sich nicht mehr an methodischen Haltegriffen entlang hangelt, erle­ben Klientinnen und Beraterinnen manchmal diesen Flow. Die Klient­Berater­Beziehung ist so aufeinander abgestimmt, aufeinander einkalibriert, dass dieses gemeinsame erleben spürbar wird. Der raum, das setting und die struktur blenden sich in einen unwichtig gewordenen Hintergrund aus, die Zeit scheint ihren eigenen lauf zu nehmen. am ende der Beratungseinheit taucht man wie aus einer fernen entität wieder in die alltagsrealität ein – manchmal mit Bedauern, dass die Zeit dem Gefühl ein ende gesetzt hat. es sind die glücklichen Momente eines Beraterinnendaseins. ein erfolg, der nicht messbar ist.

Heruntergebrochen auf die Beziehungsebene besteht die Kunst von Beratung meines erachtens darin, sich einerseits auf die Beziehung einzulassen und andererseits genügend Distanz aufrecht erhalten zu können, um diese Beziehung nicht aus dem auge zu verlie­ren. ich bin quasi ganz authentisch dabei und gleichzeitig auch nicht. in diesem sinne sind Beratungstools Distanzmittel, die verhindern sollen, dass die beteiligten Personen sich so sehr in eine Beziehung hineinziehen lassen, dass sie miteinander konfluieren. Die leidenschaft des gemeinsamen Denkens, auf das man sich einlässt ohne miteinander zu verschmelzen, gibt der Beratung eine bestimmte Güte, wie kein Tool es vermag.

5   Fazit: Die zweifelhafte Verlässlichkeit methodischer Haltegriffe

Fassen wir zusammen. Wir haben einerseits Techniken, Methoden, Tools, skills für Beratung. Wir brauchen diese wie Haltegriffe für unser professionelles Handeln in der Beratung. Gleichzeitig behindern die Haltegriffe professionelles Handeln, wenn dadurch der Blick auf die Beziehungsgeschichte zwischen Beraterinnen und Klientinnen verloren geht. lasse ich zu sehr los, verliere ich den Halt. Greife ich zu fest zu, verliere ich den Kontakt zu meinem Gegenüber. Je mehr routine und Praxis ich mir aneigne, je profes­sioneller ich also werde, umso weniger muss ich mich meiner Haltegriffe bedienen: ich werde im sinne der lehrbücher unprofessionell.

5.1 Kann man Beratung studieren?

Wie lässt sich ein solcher Widerspruch in die ausbildung von Beraterinnen integrieren? Wenn wir einem dreidimensionalen Wissenschaftsbegriff2 folgen, so wird von einer akade­

2 Bei der wissenschaftlichen Behandlung des Beratungsthemas stößt man auf Grenzen des Wis­senschaftssystems. Betreibt man Beratung wissenschaftlich, findet man mit dem herkömmli­chen Verständnis von Wissenschaft, das sich methodisch und von ihrem selbstverständnis her an den Naturwissenschaften orientiert, nicht das auslangen. eine Wissenschaft, die Beratung und das damit einhergehende Professionalisierungsbedürfnis zu ihrem Forschungsgegenstand macht, kommt an ihre objektiven Grenzen. Wissenschaft, die sich mit lebendigem und sozialem befasst, wird versuchen, die Maßeinheiten wissenschaftlicher Gütekriterien, wie beispielsweise objektivität, Wiederholbarkeit, reliabilität und Validität zu überwinden. eine Verwissenschaft­lichung der Beratung führt daher notwendigerweise zu einer paradigmatischen Veränderung der

143Die zweifelhafte Verlässlichkeit methodischer Haltegriffe in der Beratung

mischen ausbildung verlangt, dass sie den Kriterien in allen drei Dimensionen entspricht. Das heißt, die ausbildung muss von einer wissenschaftlichen community anerkannt werden. Die dort vereinbarten standards müssen erfüllt werden. Diese standards drü­cken sich in zu absolvierenden semesterwochenstunden – heute würde man sagen in der anzahl der erworbenen credits aus. studiendauer, curricula und Prüfungsordnungen werden überprüft und durch die entsprechenden Gremien abgesegnet. Zusätzlich zu den institutionellen anforderungen seitens der universität werden akkreditierungsagenturen beauftragt, das Programm sowohl auf dessen Wissenschaftlichkeit als auch auf dessen Praxisrelevanz zu überprüfen. in spiegelstrichmanier werden Kompetenzen, lernfel­der, learning outcomes aufgelistet. studierende, die dieses Programm absolviert haben, können: ein auftragsgespräch führen, ein Beratungsdesign, eine Beratungsarchitektur erstellen, eine evaluation durchführen, und Vieles andere mehr. im Grund braucht hier nur wiederholt werden, was in den lehrbüchern und/oder in den ausbildungsordnungen der Gesellschaften steht. Wie aber kann ich messen, wie sich eine Beziehung zwischen Klient und Berater gestaltet? Messen ist ja schon deswegen schier unmöglich, weil sich die Beziehung ständig ändert. und würde sie gemessen werden, wäre sie eine andere Beziehung – nämlich eine, die gemessen wird und schon allein dadurch an authentizität und unbefangenheit verliert.

im sinne einer anwendungsorientierten Wissenschaftsdimensionen kann ich studie­renden die theoretischen Fundierungen beibringen, die Methoden, Tools und skills. ich kann die spiegelstrichartig aufgelisteten items abprüfen. aber habe ich damit Berate­rinnen ausgebildet? ich habe Haltegriffe vermittelt und bereit gestellt, studierende haben ein theoretisches Verständnis, manchmal auch ein über den Tellerrand hinausgehendes Verständnis der gesellschaftspolitischen Großwetterlage. aber können sie damit beraten, sich auf eine Beziehung einlassen, deren entwicklung nicht vorhersehbar und vorher­sagbar ist? Methoden, Theorien und Tools können auch nicht vorhersagen, mit welchen eigenen Gefühlslagen die/der Beraterin im Zuge der Beratungsbeziehung konfrontiert werden wird. Für jeden gibt es Themen, mit denen man nicht konfrontiert werden möchte und im Gespräch dann „abdreht“. solche Manöver beeinflussen den Beratungsprozess. Wer macht mich als zukünftige Beraterin mit solchen unangenehmen Themen bekannt? und, um nicht einseitig zu erscheinen, es sind nicht nur die unangenehmen Themen, die einen Beratungsprozess beeinträchtigen können. auch durchaus angenehme Gefühle, wie zum Beispiel Verliebtheit vermögen die Berater – Klient Beziehung zu verändern – vor allem dann, wenn im sinne professionellen Handelns diese Gefühle unterdrückt werden müssen.

Diese lernprozesse brauchen einen eigenen raum und ihre eigene Zeit. Das erfor­schen des eigenen ichs ist ein Prozess, der sich nicht an vorgegebene studiendauer oder credtis hält. eine einsicht muss oft Widerstände überwinden. Jeder hat so seine eigene auseinandersetzung mit Widerständen. Der eine länger, der andere kürzer. Dieses lernen

Wissenschaftswelt und erweitert den Wissenschaftsbegriff um eine dritte Dimension: Jene der reflexionswissenschaft, die prozessorientiert nicht dem kausalen Muster einer aristotelischen logik folgt. Die durch die gemeinsame reflexion im Beratungsprozess aufgelöste subjekt­ob­jekt Trennung macht Klientinnen zu selbstbeforscherinnen ihres eigenen Veränderungsprozes­ses und Beraterinnen zu Beteiligten an eben diesem Prozess. (vgl. lackner 2009)

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kann nur durch reflexion erfolgen, indem man sich auf eine Beziehung zum lehrberater, lehrsupervisor oder lehrtrainer einlässt. erfolge oder Misserfolge rangieren außerhalb und jenseits von Notenskalen. Beurteilungs­ und Zeitdruck verzögern den Prozess eher, als dass sie ihn beschleunigen. obwohl, nicht einmal diese aussage ist verallgemeinerbar. ich habe schon ausbildungskandidatinnen erlebt, wo der richtige Tritt zur richtigen Zeit an die richtige stelle eben das richtige war.

ausbildungskanidatinnen orientieren sich an ihren lehrberaterinnen. sie lernen am Modell, versuchen interventionsstrategien, Designs und Prozessgestaltung von lehr­beraterinnen zu übernehmen. Diese Modelle sind ebenso Haltegriffe in einer generell unsicheren Beratungssituation. Dieses Verhalten entspricht durchaus den standardisie­rungsansprüchen und der kettenbriefartigen Weitergabe von standards. aber mache ich damit ausbildungskandidatinnen nicht zu abziehbildern meiner Person? Das original wirkt aufgrund seiner oder ihrer Person, jenseits aller methodischen spitzfindigkeiten. Die Kopie des Modells kann niemals gelingen, denn die kopierende Person hat mit ziem­licher sicherheit eine andere Wirkung auf Klientinnen. Jede intervention wird demnach auch eine andere Wirkung haben. Für die ausbildung heißt das, jede Kandidatin muss ihren oder seinen eigenen stil finden. Dazu gehört auch, herauszufinden, was die eigenen Wirkungen auf Klientinnensysteme sind. Damit habe ich keine originalgetreue Kopie des ausbildners mehr. und damit entsprechen derart emanzipierte anwärterinnen auch nicht mehr hundertprozentig den normierenden Vorstellungen von Kontolleuren.

5.2 Beraterinnensprache

eine Begleiterscheinung von standardisierungs­ und ausbildungsprozessen ist die ent­wicklung einer eigenen sprache. so als wollte man sich mit dem speziellen sprachge­brauch von anderen unterscheiden. an ausbildungskandidatinnen kann man beobachten, mit welchem eifer sie sich diese Fachsprache aneignen und mit welchen – blickt man hinter die Kulissen solcher sprachkreationen – absurden Formulierungen operiert wird. sie drücken damit auch ihre Zugehörigkeit zu einem erlauchten Kreis von Beraterinnen aus, in den sie hineingewachsen sind. supervisorinnen unter sich wissen genau, was sie meinen, wenn sie von Prozessen reden: „Wieviele Prozesse hast du gemacht?“ und jeder insider weiß, dass damit keine Gerichtsverfahren gemeint sind. sprachkreationen werden ebenso zu standards wie spiegelstriche. Durch die Verschriftlichung solcher Begriffe entsteht eine Fachsprache, die dann genau wie die richtige Vorgangsweise bei einem supervisionsprozess, festgeschrieben und auswendig gelernt wird. Die Beratersprache vernebelt Begriffe. am Beispiel des Wortes „einladen“ wird dieser Vernebelungsprozess besonders deutlich. Wenn ich möchte, dass ein Klient etwas macht, dann lade ich ihn ein? ich meine nicht, dass es sich um eine einladung handelt, die der Klient ablehnen soll (was aber das Wort einladen impliziert). ich will, dass er das macht, was ich von ihm möchte. aber einladen klingt so unverbindlich, so freundlich, so vermeintlich offen, auch wenn alles das nicht zutrifft. (vgl. stöwer 2011)

Das Beherrschen der Fachsprache unterscheidet die Beraterinnen von den Klien­tinnen. es gibt den Beraterinnen ein gewissen Gefühl der Überlegenheit, die Vermittlung einer illusion, dass man Bescheid wüsste. Damit verbindet sich automatisch die schon erwähnte entmündigung der Klientinnen.

145Die zweifelhafte Verlässlichkeit methodischer Haltegriffe in der Beratung

in einer Fortbildung für supervisorinnen machen wir eine Übung. in Paaren auf­geteilt, tauchen wir gegenseitig in eine Problemzone des anderen ein und sollen diese eindrücke malerisch auf einem Blatt Papier festhalten. ich finde mich mit meiner Partnerin sehr schnell in einem kreativen Milieu wieder, wir erzählen, hören zu, malen. Der Zustand ist beglückend, die Welt rund um uns herum verflüchtigt sich in einen weit entfernten Hintergrund. Man könnte sagen, wir hatten einen Flow. unsere Bilder sind intensiv, farbig und flächig. als die Übung abgebrochen wird, setzen wir uns – vermutlich mit einem beseelten Gesichtsausdruck – wieder zurück in den Kreis. Die Magie des gemeinsamen eintauchens ist noch spürbar. eine Äußerung des supervisors „aha, Gegenübertragung“ zerstört den magischen Moment. Die Fachsprache hat mich nicht ohne Peinlichkeit wieder in die Wirklich­keit zurück geholt. ich war wieder die schülerin in einer Fortbildung, die asym­metrie war wieder hergestellt worden.

Durch den sprachgebrauch gelingt es den verschiedenen schulen, sich voneinander abzu­grenzen. auch wenn man die dahinter liegende Theorie nicht versteht, ist völlig klar, dass es sich um systemisches handelt, wenn von Kontingenz, selbstreferenzialität oder auto­poiesis die rede ist. Worte wie Widerstand, Übertragung und Gegenübertragung werden mit Psychoanalyse assoziiert, usw.

6   Epilog

eine den qualitativen standards entsprechende Beratung ist erst dann komplett, wenn sie ihre verlorenen elemente wieder findet und das unausgesprochene, das Nicht­Geschrie­bene in das Vordergründige integriert. Diese verborgenen seiten von Beratung richten sich gegen die methodische Korrektheit, gegen die spiegelstrichlisten, gegen die effi­ziente Praxis, gegen die flüchtige Begegnung, gegen den omnipotenten anspruch der Beraterinnen, gegen eine Beratersprache. Diese seite möchte sich auf eine Beziehung einlassen, deren Hergang und ausgang ungewiss ist, deren Gefühlslagen unberechenbar sind, wo sinnloses Glück ebenso möglich ist wir angeregtes gemeinsames Philosophie­ren. Diese seite möchte ausbildungsordnungen sprengen, Triangulierungen auflösen, Beratung individualisieren.

Das eine für sich ist genauso unmöglich, wie das andere. Wenn beide seiten die Güte einer Beratung ausmachen, dann gehört zu einer guten Beratung die akzeptanz und die Bearbeitung dieser Widersprüche.

Literatur

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allmer, H. (1998). „No risk – no fun“ – zur psychologischen erklärung von extrem­ und risiko­sportarten. in H. allmer & N. schulz (Hrsg.), Erlebnissport – Erlebnis Sport. Brennpunkte der Sportwissenschaft. st. augustin: academia.

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Buer, F., & siller, G. (Hrsg.). (2004). Die flexible Supervision. Herausforderungen – Konzepte­ Per­spektiven. Eine kritische Bestandsaufnahme. Wiesbaden: Vs Verlag für sozialwissenschaften.

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Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung (nfb), & Forschungsgruppe Bera­tungsqualität am institut für Bildungswissenschaft der ruprecht­Karls­universität Heidelberg. (Hrsg.). (2012). Beratungsqualität in Bildung, Beruf 6 Beschäftigung. Broschüre Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung. http://www.beratungsqualitaet.net/upload/Menu_inhalt­lich/Professionalitaet/broschuere_kompetenz.pdf. Zugegriffen: 9. Mai 2012.

Kühl, s. (2006). Die supervision auf dem Weg zur Profession? Organisationsberatung – Supervi­sion – Coaching, 1, 5–18.

lackner, K. (2009). Beratung – (k)eine Wissenschaft? in H. Möller & B. Hausinger (Hrsg.), Quo vadis Beratungswissenschaft? Wiesbaden: Verlag für sozialwissenschaften.

oevermann, u. (2009). Die Problematik der strukturlogik des arbeitsbündnisses und der Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung in einer professionalisierten Praxis von sozialarbeit. in r. Becker­lenz, s. Busse, G. ehlert, & s. Müller (Hrsg.), Professionalität in der Sozialen Arbeit (2. aufl). Wiesbaden: Vs Verlag für sozialwissenschaften.

stöwer, u. (2011). Ich lade Sie ein, in die Kloake zu springen – Beratersprache im historischen Kontext. unveröffentlichte Masterthesis, universität Kassel.

Voß, a. (2012). Die Organisation als Fall. Eine professionelle Analyse zur Klientenkonstitution in der Organisation. Berlin: Verlag Barbara Budrich.

Weitere Quellen

sternstunde Philosophie. (2010). Denken fürs leben – Philosophische Praxis. Martina Bernasconi und roland Neyerlin im Gespräch mit Norbert Bischofberger. 3 sat TV 27.06.2010, 11:00 uhr.


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