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Die Tumorbiologie von Kopf-Hals-Tumoren; Tumor biology of head and neck cancer;

Date post: 23-Dec-2016
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Onkologe 2014 · 20:130–138 DOI 10.1007/s00761-013-2585-y Online publiziert: 1. Februar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 I. Tinhofer-Keilholz Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie, Universitätsklinikum Charité Berlin, Charité Campus Mitte Die Tumorbiologie   von Kopf-Hals-Tumoren Einleitung Die Bezeichnung Plattenepithelkarzinom des Kopf-Hals-Bereichs (HNSCC) fasst Tumore aus fünf unterschiedlichen ana- tomischen Bereichen zusammen: Mund- höhle, Oropharynx, Nasopharynx, Hypo- pharynx und Larynx. Die Ergebnisse von molekularen Untersuchungen der letz- ten Jahre weisen darauf hin, dass die gro- ße Heterogenität im klinischen Verhalten und der Prognose von Plattenepithelkar- zinomen des Kopf-Hals-Bereichs nicht al- lein auf ihre unterschiedliche Lokalisation zurückzuführen ist, sondern dass vor al- lem die molekularen Eigenheiten der Tu- more die klinische Präsentation und den klinischen Verlauf der Erkrankung beein- flussen. Unmäßiger Konsum von Tabak und Alkohol stellen die größten Risikofakto- ren bei der Entstehung von HNSCC dar. Das Risiko an einem HNSCC zu erkran- ken ist bei schweren Rauchern oder alko- holabhängigen Individuen 3- bis 9-fach erhöht, bei kombinierter Noxenexposi- tion steigt das Risiko sogar um den Fak- tor 100 [1]. Eine signifikante Erhöhung der Mutationshäufigkeit in der kodieren- den Sequenz von TP53, einem wichtigen Tumorsuppressor-Gen, im Tumorgewebe von Patienten mit bekannter langjähriger Tabak- und Alkoholhistorie spricht dafür, dass die Inaktivierung von p53, dem Gen- produkts von TP53 eine wichtige Rolle bei der Tabak- und möglicherweise auch bei der alkoholvermittelten Entstehung des HNSCC spielt. Die Infektion mit einem Hochrisiko- stamm aus der Gruppe der humanen Pa- pillomaviren (meist HPV-16) spielt eben- falls eine wichtige Rolle bei der Entste- hung des HNSCC. Dies trifft vor allem auf Karzinome im Bereich des Oropha- rynx zu [2]. Durch den virusvermittelten Funktionsverlust von zellulären Protei- nen fallen in der betroffenen Epithelzelle wichtige Kontrollmechanismen von Zell- wachstum, DNA-Reparatur und Apopto- se aus, was wiederum die maligne Trans- formation beschleunigen kann. Alle genannten Faktoren haben einen bedeutenden Einfluss auf das biologi- sche Verhalten der Karzinome. Bis da- to werden in der klinischen Praxis das TNM-Klassifizierungssystem sowie pa- thologische Risikofaktoren zur Progno- se des Krankheitsverlaufs und zur The- rapieplanung herangezogen. Immer wie- der beobachtet man jedoch bei Patien- ten, bei denen die Erstdiagnose im glei- chen Stadium der Erkrankung gestellt wurde, erhebliche Unterschiede im The- rapieansprechen und dem klinischen Ver- lauf. Dies legt nahe, dass ein optimiertes Klassifizierungssystem neben den klassi- schen Parametern auch die molekularen Eigenheiten von Tumoren berücksichti- gen sollte. Im Folgenden sollen die wich- tigsten molekularen Parameter bespro- chen werden, welche die Tumorprognose entscheidend beeinflussen können. Des- weiteren sollen neue molekulare Ziele für die Therapie des HNSCC (. Tab. 1) dis- kutiert werden. Molekulare Mechanismen der HNSCC-Karzinogenese Bei der Karzinogenese des HNSCC spielt vermutlich die sog. Feldkanzerisierung eine wichtige Rolle. Dieser Begriff wur- de erstmals 1953 von Slaughter et al. [3] für das Schleimhautepithel der Mund- höhle eingeführt, um die Entstehung von multiplen Tumoren und lokal rezidivie- renden Karzinomen zu erklären. Da- von abgeleitet existieren mehrere Theo- rien, wie Feldkanzerisierung entsteht und inwieweit dieses Phänomen die Re- zidiv- und Heilungsrate des HNSCC be- einflussen kann. Die meisten Modelle ge- hen davon aus, dass sich in einem Gebiet („Feld“) mindestens eine Stammzelle be- findet, in der im Verlauf der Karzinoge- nese Mutationen bzw. genetischen Ver- änderungen auftreten. Diese mutierten Stammzellen unterliegen nicht mehr der physiologischen Kontrolle des Zellwachs- tums und vermehren sich deshalb schnel- ler als nichtveränderte Zellen. Durch die rasche Expansion kommt es zu einer lo- kalen Ausbreitung und zur Ausbildung von Konglomeraten der mutierten Zel- len. Die Expansion geht zu Lasten des ge- sunden Gewebes. Parallel zu diesem Vor- gang kommt es zu weiteren genetischen Veränderungen und Mutationen in diesen präneoplastischen Arealen, beispielswei- se durch anhaltenden Tabak- oder Alko- holkonsum, schlechte Mundhygiene, und damit einhergehend chronischer Entzün- dung. Man nimmt an, dass die veränder- ten Zellen sich in unterschiedlichen „Rei- festadien“ befinden und wie ein Minen- feld ein ganzes Areal besetzen können. Je höher die Anzahl der veränderten Zellen, desto höher auch die karzinogene Potenz. Im Folgenden werden genetische Verän- derungen beschrieben, die im Zuge der Feldkanzerisierung in Mundhöhle und Rachen auftreten können. Als einer der häufigsten genetischen Veränderungen in frühen hyperplas- tischen/dysplastischen Läsionen der Mundschleimhaut wurde der Verlust von Leitthema 130 | Der Onkologe 2 · 2014
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Onkologe 2014 · 20:130–138DOI 10.1007/s00761-013-2585-yOnline publiziert: 1. Februar 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

I. Tinhofer-KeilholzKlinik für Radioonkologie und Strahlentherapie, Universitätsklinikum Charité Berlin, Charité Campus Mitte

Die Tumorbiologie  von Kopf-Hals-Tumoren

Einleitung

Die Bezeichnung Plattenepithelkarzinom des Kopf-Hals-Bereichs (HNSCC) fasst Tumore aus fünf unterschiedlichen ana-tomischen Bereichen zusammen: Mund-höhle, Oropharynx, Nasopharynx, Hypo-pharynx und Larynx. Die Ergebnisse von molekularen Untersuchungen der letz-ten Jahre weisen darauf hin, dass die gro-ße Heterogenität im klinischen Verhalten und der Prognose von Plattenepithelkar-zinomen des Kopf-Hals-Bereichs nicht al-lein auf ihre unterschiedliche Lokalisation zurückzuführen ist, sondern dass vor al-lem die molekularen Eigenheiten der Tu-more die klinische Präsentation und den klinischen Verlauf der Erkrankung beein-flussen.

Unmäßiger Konsum von Tabak und Alkohol stellen die größten Risikofakto-ren bei der Entstehung von HNSCC dar. Das Risiko an einem HNSCC zu erkran-ken ist bei schweren Rauchern oder alko-holabhängigen Individuen 3- bis 9-fach erhöht, bei kombinierter Noxenexposi-tion steigt das Risiko sogar um den Fak-tor 100 [1]. Eine signifikante Erhöhung der Mutationshäufigkeit in der kodieren-den Sequenz von TP53, einem wichtigen Tumorsuppressor-Gen, im Tumorgewebe von Patienten mit bekannter langjähriger Tabak- und Alkoholhistorie spricht dafür, dass die Inaktivierung von p53, dem Gen-produkts von TP53 eine wichtige Rolle bei der Tabak- und möglicherweise auch bei der alkoholvermittelten Entstehung des HNSCC spielt.

Die Infektion mit einem Hochrisiko-stamm aus der Gruppe der humanen Pa-pillomaviren (meist HPV-16) spielt eben-falls eine wichtige Rolle bei der Entste-

hung des HNSCC. Dies trifft vor allem auf Karzinome im Bereich des Oropha-rynx zu [2]. Durch den virusvermittelten Funktionsverlust von zellulären Protei-nen fallen in der betroffenen Epithelzelle wichtige Kontrollmechanismen von Zell-wachstum, DNA-Reparatur und Apopto-se aus, was wiederum die maligne Trans-formation beschleunigen kann.

Alle genannten Faktoren haben einen bedeutenden Einfluss auf das biologi-sche Verhalten der Karzinome. Bis da-to werden in der klinischen Praxis das TNM-Klassifizierungssystem sowie pa-thologische Risikofaktoren zur Progno-se des Krankheitsverlaufs und zur The-rapieplanung herangezogen. Immer wie-der beobachtet man jedoch bei Patien-ten, bei denen die Erstdiagnose im glei-chen Stadium der Erkrankung gestellt wurde, erhebliche Unterschiede im The-rapieansprechen und dem klinischen Ver-lauf. Dies legt nahe, dass ein optimiertes Klassifizierungssystem neben den klassi-schen Parametern auch die molekularen Eigenheiten von Tumoren berücksichti-gen sollte. Im Folgenden sollen die wich-tigsten molekularen Parameter bespro-chen werden, welche die Tumorprognose entscheidend beeinflussen können. Des-weiteren sollen neue molekulare Ziele für die Therapie des HNSCC (. Tab. 1) dis-kutiert werden.

Molekulare Mechanismen der HNSCC-Karzinogenese

Bei der Karzinogenese des HNSCC spielt vermutlich die sog. Feldkanzerisierung eine wichtige Rolle. Dieser Begriff wur-de erstmals 1953 von Slaughter et al. [3] für das Schleimhautepithel der Mund-

höhle eingeführt, um die Entstehung von multiplen Tumoren und lokal rezidivie-renden Karzinomen zu erklären. Da-von abgeleitet existieren mehrere Theo-rien, wie Feldkanzerisierung entsteht und inwieweit dieses Phänomen die Re-zidiv- und Heilungsrate des HNSCC be-einflussen kann. Die meisten Modelle ge-hen davon aus, dass sich in einem Gebiet („Feld“) mindestens eine Stammzelle be-findet, in der im Verlauf der Karzinoge-nese Mutationen bzw. genetischen Ver-änderungen auftreten. Diese mutierten Stammzellen unterliegen nicht mehr der physiologischen Kontrolle des Zellwachs-tums und vermehren sich deshalb schnel-ler als nichtveränderte Zellen. Durch die rasche Expansion kommt es zu einer lo-kalen Ausbreitung und zur Ausbildung von Konglomeraten der mutierten Zel-len. Die Expansion geht zu Lasten des ge-sunden Gewebes. Parallel zu diesem Vor-gang kommt es zu weiteren genetischen Veränderungen und Mutationen in diesen präneoplastischen Arealen, beispielswei-se durch anhaltenden Tabak- oder Alko-holkonsum, schlechte Mundhygiene, und damit einhergehend chronischer Entzün-dung. Man nimmt an, dass die veränder-ten Zellen sich in unterschiedlichen „Rei-festadien“ befinden und wie ein Minen-feld ein ganzes Areal besetzen können. Je höher die Anzahl der veränderten Zellen, desto höher auch die karzinogene Potenz. Im Folgenden werden genetische Verän-derungen beschrieben, die im Zuge der Feldkanzerisierung in Mundhöhle und Rachen auftreten können.

Als einer der häufigsten genetischen Veränderungen in frühen hyperplas-tischen/dysplastischen Läsionen der Mundschleimhaut wurde der Verlust von

Leitthema

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einem der beiden Allele an multiplen Re-gionen auf dem Chromosom 3p und von 9p21 beschrieben [4]. Nachdem diese chromosomalen Abschnitte Tumorsup-pressorgene enthalten, wie FHIT auf 3p14 und p16Ink4a auf 9p21, können die Ver-luste dieser Genabschnitte die anschlie-ßende maligne Transformation wesent-lich beeinflussen. Diese Theorie wird von der Beobachtung unterstützt, dass orale Leukoplakien mit Deletionen in den chro-mosomalen Bereichen 3p14 und 9p21 ein signifikant höheres Risiko zur Transfor-mation in ein invasives Karzinom aufwei-

sen [5]. Ein weiteres frühes Ereignis in der Karzinogenese des HNSCC stellt die Re-aktivierung der Telomerase dar. Dadurch wird das Überleben von Zellen mit gene-tischen Abnormalitäten verlängert, wo-durch die Anhäufung von weiteren gene-tischen Veränderungen ermöglicht wird.

Das Tumorsuppressorgen TP53 gehört zu den am häufigsten mutierten Genen bei HNSCC, wobei die Häufigkeit beim etablierten Karzinom in Abhängigkeit der Zusammensetzung der untersuchten Ko-horte und des eingesetzten Testverfahrens zwischen 50 und 90% liegen kann [6, 7, 8, 9]. Der Verlust von funktionellem p53 durch Mutation von TP53 tritt früh in der Karzinogenese auf. Eine aktuelle Studie von Van der Vorst und Kollegen unter-stützt die Hypothese, dass die Verände-rungen von TP53 im Rahmen der oben beschriebenen Feldkanzerisierung statt-finden. Die Autoren konnten mit dem sog. FASAY-Assay („functional analysis of separated alleles in yeast„) p53-Mutatio-nen und -Deletionen nicht nur im Tumor-gewebe, sondern auch in der umgeben-den Mukosa nachweisen [9]. Dabei stell-te nicht nur der p53-Mutationsstatus des Tumorgewebes, sondern auch jener der normalen Mukosa einen prognostischen Parameter für das rezidivfreie Überleben dar [9]. In drei Studien bei Patienten mit HNSCC konnten p53-Mutationen im Tu-morgewebe, die zu einem Funktionsver-lust des p53-Proteins führen, mit Resis-tenz gegenüber Radiotherapie und Radio-chemotherapie assoziiert werden [6, 7].

Auch die Genamplifikationen und die Hochregulation der Proteinexpression von spezifischen Genprodukten werden häufig in frühen Stadien der Karzinogene-se des HNSCC nachgewiesen. Die Über-expression des Rezeptors für den epider-malen Wachstumsfaktor (EGFR) und seines physiologischen Liganden, dem transformierenden Wachstumsfaktor-α (TGF-α), wurde als wichtiger Bestand-teil der Feldkanzerisierung und Prädis-position des Schleimhautepithels zu dys-reguliertem Wachstum identifiziert. Im Vergleich von Patienten mit HNSCC mit einer Kontrollgruppe von Patienten oh-ne Krebserkrankung und ohne Tabak-/Alkoholhistorie konnte eine signifikante Erhöhung von TGF-α mRNA-Transkrip-ten um den Faktor 5 und von EGFR-Tran-

skripten um den Faktor 29 in 95% respek-tive 91% der histologisch „normalen“ Mu-kosaproben nachgewiesen werden.

Aktuelle Studien, welche sich der neu-en Technologie des „Next Generation Sequencing„ (NGS) bedienten und da-bei die komplette kodierende genomi-sche DNA-Sequenz von HNSCC-Tumo-ren untersuchten, ergaben ein sehr kom-plexes Bild der genomischen Veränderun-gen des HNSCC [8, 10, 11]. Neben den zu-vor beschriebenen, relativ häufigen Muta-tionen in TP53 und p16Ink4a finden sich eine Vielzahl von weiteren Mutationen und Deletionen, die aber zumeist in we-niger als 5–10% der Karzinome gefunden werden. Bei der Zuordnung dieser Mu-tationen zu zellulären Signalnetzwerken fällt jedoch auf, dass besonders zwei Sig-nalwege von häufigen genetischen Verän-derungen betroffen sind: es handelt sich dabei um Phoshatidylinositol-3-Kinase (PI3K) und NOTCH-1. Ihre Bedeutung als treibende Läsionen der Tumorprogres-sion und therapeutische Zielmoleküle soll deshalb ebenfalls besprochen werden.

Das humane Papillomavirus (HPV)

Eine Vielzahl von Studien konnten in den letzten Jahren bestätigen, dass der HPV-Status einen der wichtigsten prognosti-schen Faktoren für das Plattenepithelkar-zinom des Oropharynx darstellt [12, 13, 14]. Obwohl die Prognose für das Gesamt-überleben von Patienten mit HPV-asso-ziierten Karzinomen unabhängig von der Behandlungsmodalität insgesamt günstig ist, besteht hier die klinische Herausfor-derung, die Therapie hinsichtlich der the-rapieassoziierten Spättoxizität sowie der Verhinderung der Fernmetastasierung zu verbessern, ohne die exzellente loka-le Kontrollrate dieser Karzinome zu kom-promittieren.

Die Karzinogenese des HPV-assoziier-ten HNSCC wird durch zwei transformie-rende virale Onkogene, E6 und E7 voran-getrieben. E6 bildet einen Komplex mit der E3-Ubiquitin-Ligase, welche die Ubi-quitinierung und den proteasomalen Ab-bau von p53 vermittelt. E7 führt in ähn-licher Weise das Retinoblastomaprotein dem Abbau im Proteasom zu. Durch die-se Inaktivierung dieser zwei wichtigen

Tab. 1  Molekulare Ziele für die Therapie des HNSCC. (Adaptiert nach Quelle: NCI Clinical Trial Register, www.cancer.gov/clinical trials)

Ziel Hemmstoff Substanz-klasse

HPV Peptid-Vakzine (p16)

Vakzine

DNA-Vakzine (E6)

Ribavirin Virostatikum

EGFR Cetuximab Monoklonale AntikörperCetuGex

Panitumumab

Nimotuzumab

MEHD7945A

Afatinib TKI

Erlotinib

Gefitinib

Lapatinib

Dacomitinib

MET Golvatinib (E7050)

Multi-TKI

PI3K/AKT/mTOR

GSK2636771 Multi-Kinase-inhibitorenBKM120

Temsirolimus

Everolimus

Rapamycin

HDAC Vorinostat  

COX-2 Celecoxib  

VEGFR Bevacizumab Monoklonale Antikörper

Axitinib Multi-TKI

Sorafenib

Src/Abl Dasatinib Multi-TKI

Hypoxie Nimorazol Hypoxiemo-dulatorenTirapazamin

DNA-Repa-ratur

Olaparib PARP-Inhibi-torenVeliparib

TKI Tyrosinkinaseinhibitoren, PARP poly-ADP-Ribo-se-Polymerase

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Leitthema

Tumorsuppressorproteine kommt es zum unkontrollierten zellulären Wachstum, zur Deregulation der DNA-Reparatur und zur Hemmung des programmierten Zell-tods. Alle diese Veränderungen führen zu einer Selektion von Zellen mit instabilem Genom. Die funktionelle Hemmung von

p53 durch E6 verringert jedoch den Selek-tionsdruck zur Entstehung von p53-Muta-tionen. Deshalb ist es nicht überraschend, dass HPV-assoziierte Karzinome in der Regel einen p53-Wildtypgenotyp aufwei-sen [8]. Desweiteren scheint dieser Me-chanismus der p53-Inaktivierung weni-

ger dramatische Folgen für die Aufrecht-erhaltung der genomischen Integrität zu bedeuten. In der Tat weisen HPV + Kar-zinome eine signifikant geringere Muta-tionsrate in kodierenden DNA-Abschnit-ten auf [8].

Zusammenfassung · Abstract

Onkologe 2014 · 20:130–138   DOI 10.1007/s00761-013-2585-y© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

I. Tinhofer-KeilholzDie Tumorbiologie von Kopf-Hals-Tumoren

ZusammenfassungHintergrund.  Trotz signifikanten Fortschrit-ten in der multimodalen Behandlung des Plattenepithelkarzinoms des Kopf-Hals-Be-reichs (HNSCC) liegt die 5-Jahres-Überle-benrate von Patienten mit dieser Erkran-kung im Bereich von 40–50%. Ein umfassen-des Verständnis der Biologie dieser Karzino-me und den zellulären Mechanismen von Tu-morprogression, Therapieresistenz und Me-tastasierung kann zu neuen Therapieansät-zen und zur Verbesserung des klinischen Ver-laufs führen.Fragestellung.  Beschreibung der moleku-laren Mechanismen, welche bei der Entste-hung und Progression des HNSCC eine wich-tige Rolle spielen. Zusammenfassung der ak-tuellen Strategien zur zielgerichteten mole-kularen Therapie des Kopf-Hals-Karzinoms.Material und Methode.  Literaturrecherche zu molekularen Untersuchungen bei HNSCC, Diskussion von Zusammenhängen zwischen molekularen Charakteristika und klinischem 

Verlauf der Erkrankung, Erfassung von neuen zielgerichteten Therapieansätzen.Ergebnisse.  Das Plattenepithelkarzinom des Kopf-Hals-Bereichs ist eine äußerst heteroge-ne Neoplasie. Mutationen in Tumorsuppres-sorgenen wie TP53 und p16Ink4, Aktivierung des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR), Hyperaktivität von PI3K/AKT/mTOR-Signalwegen sowie Störungen in der DNA-Reparatur gehören zu den häufigsten mole-kularen Veränderungen, welche die Tumor-biologie und den klinischen Verlauf signifi-kant beeinflussen. Die erfolgreichste zielge-richtete Therapie des HNSCC in Kombination mit Strahlentherapie oder Chemotherapie ist bis dato die Blockade des EGFR, der einen der wichtigsten Modulatoren von Tumorpro-gression und Therapieresistenz darstellt. Als weitere zielgerichtete Therapeutika befinden sich Inhibitoren von PI3K/AKT, mTOR, PARP, COX und hypoxieassoziierten Faktoren in der (prä-)klinischen Entwicklung. Die Erkenntnis, 

dass HPV-assoziierte Kopf-Hals-Karzinome eine biologisch und klinisch distinkte Grup-pe darstellen, hat zur Entwicklung von HPV-spezifischen Therapiekonzepten geführt. Vali-dierte prädiktive Biomarker für Resistenz oder Sensitivität gegenüber zielgerichteter Be-handlung als Monotherapie oder in Kombi-nation mit Strahlen- und Chemotherapie feh-len noch zur Gänze.Diskussion.  Zur Verbesserung der Therapie des HNSCC sind eine verstärkte translationa-le Forschung der molekularen Mechanismen von Tumorprogression und Therapieresistenz sowie die Entwicklung von neuen zielgerich-teten Therapien und korrespondierenden Biomarkern erforderlich.

SchlüsselwörterKopf-/Halstumoren · Plattenepithelkarzinom · Tumorbiologie · Therapeutische Zielstrukturen · Inhibitoren

Tumor biology of head and neck cancer

AbstractBackground.  Despite significant improve-ments in the multimodal treatment of squa-mous cell carcinoma in the head and neck re-gion (HNSCC) the 5-year overall survival rate remains in the range of 40–50%. A detailed understanding of tumor biology and cellular mechanisms of tumor progression, treatment resistance and metastasis can lead to novel therapeutic approaches for improvement of clinical outcome.Objective.  Description of the most impor-tant molecular mechanisms involved in car-cinogenesis and progression of HNSCC and summary of current and novel strategies of targeted molecular therapy of HNSCC.Material and methods.  This article presents a comprehensive literature research focus-ing on studies on tumor biology, prognostic and predictive biomarkers of HNSCC, discus-sion of established correlations between mo-lecular characteristics and clinical outcome 

and collation of novel therapeutic strategies in development.Results.  The HNSCC can be considered a very heterogeneous neoplasm. Mutations in tumor suppressor genes, such as TP53 and p16Ink4, activation of epidermal growth fac-tor receptor (EGFR), hyperactivity of the PI3K/AKT/mTOR signaling pathway as well as aber-rations in DNA repair belong to the most fre-quent molecular changes which significant-ly influence tumor biology and clinical out-come. Currently, the most successful target-ed treatment of HNSCC is blocking of EGFR, one of the most important modulators of tu-mor progression and treatment resistance. Other molecular agents in (pre) clinical de-velopment are inhibitors of PI3K/AKT, mTOR, PARP, COX and hypoxia-associated factors. The knowledge of oropharyngeal carcinoma associated with human papillomavirus (HPV) representing a biologically and clinically dis-

tinct group,  has led to the development of HPV-specific treatment concepts. Validated predictive biomarkers for resistance or sensi-tivity to targeted treatment alone or in com-bination with radiotherapy and chemothera-py are still missing.Discussion.  For improvement in treatment of HNSCC a further increase in translation-al research efforts on the molecular mecha-nisms of tumor progression and treatment resistance are essential. The results from such studies will build the basis for the develop-ment of novel targeted therapies and corre-sponding biomarkers.

KeywordsHead and neck neoplasms · Carcinoma, squamous cell · Tumor biology · Therapeutic targets · Inhibitors

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Nachdem E6 und E7 nur in virusbe-fallenen Wirtszellen exprimiert werden und eine kontinuierliche Expression für den transformierten Phänotyp essentiell ist, stellen diese Proteine in der Tat ein at-traktives molekulares Ziel dar. Durch das Fehlen einer intrinsischen Enzymaktivi-tät oder DNA-Bindung von E6 und E7 ist jedoch deren spezifische Hemmung schwierig. Ein möglicher Ansatz wäre, die Bindung von E6 oder E7 an die E3-Ubiquitin-Ligase zu unterbinden. Die Su-che nach kleinmolekularen Hemmstof-fen dieser Bindung durch den Einsatz von 3-D-strukturbasierten Screenings ist bis dato nicht über den präklinischen An-satz hinausgekommen. Ein weiterer An-satz wäre, das Ubiquitin-Proteasom-Sys-tem (UPS) der Wirtszellen zu blockieren. Bortezomib, ein direkter Hemmstoff der katalytischen 20S-Einheit des Proteasoms zeigte in Kombination mit Docetaxel eine nur geringe Aktivität bei rezidivierenden/metastasierten Karzinomen, allerdings wurden in dieser Studie fast ausschließ-lich Patienten mit HPV-negativen Karzi-nomen eingeschlossen [15]. Eine Phase-I-Studie zur Behandlung des lokal fortge-schrittenen Kopf-Hals-Karzinoms mit der Kombination von Bortezomib mit Cetu-ximab und Bestrahlung musste frühzeitig abgebrochen werden, da 5 von 6 Patien-ten mit HPV-positiven Oropharynxkarzi-nomen innerhalb eines Jahres ein Tumor-rezidiv erlitten [16]. Bortezomib scheint den Abbau von EGFR zu hemmen und in dieser Weise das EGFR-vermittelte Über-lebenssignal von Karzinomzellen zu ver-stärken. Dies könnte eine mögliche mo-lekulare Ursache für das unerwarte-te schlechte Abschneiden der getesteten Kombinationstherapie sein.

Die therapeutische Impfung von Pa-tienten mit einem HPV-assoziierten Kar-zinom könnte ebenfalls einen attraktiven Ansatz darstellen. Im Tiermodell konn-te durch die Applikation von radioaktiv markierten Antikörpern gegen E6 oder durch Impfung mit E6/E7-DNA-Vakzi-nen eine komplette Tumorregression er-reicht werden. Drei Phase-I-Studien und eine Phase-I/II-Studie sind aktuell im Stu-dienregister des nationalen Krebsinstituts der USA (NCI) eingetragen, in welchen Impfstrategien bei Patienten mit HPV-po-

sitiven Karzinom evaluiert werden; weite-re Studien sind in Planung.

Der epidermale Wachstums-faktorrezeptor (EGFR)

EGFR gehört zur ErbB/HER-Familie von membranständigen Rezeptortyrosinkina-sen. Nach Bindung eines seiner physiolo-gischen Liganden (EGF, TGF-α, Amphi-regulin, etc.) an EGFR kommt es in der betroffenen Zelle zu einer komplexen Si-gnalübertragung, wodurch wichtige zel-luläre Stellgrößen von Zellwachstum und Zell überleben, Angiogenese, Invasion und Metastasierung aktiviert werden. Da-zu gehören unter anderem die Proteine Ras, Raf, MAPK, PI3K/AKT, STAT und Src. Hyperaktivierung von EGFR durch erhöhte Proteinexpression oder Genam-plifikation wird in der Mehrzahl von HNSCC beobachtet und konnte in einer Reihe von Untersuchungen mit einem ag-gressiveren Verlauf der Erkrankung und geringerer Wirksamkeit der Therapie as-soziiert werden [17, 18]. Die Blockade des EGFR mit monoklonalen Antikörpern stellt die erste molekulare Therapie des HNSCC dar. Der chimäre murine/huma-ne Antikörper Cetuximab erhielt als erster molekularer Hemmstoff die Zulassung für die Anwendung in Kombination mit Ra-diotherapie beim lokal fortgeschrittenen Kopf-Hals-HNSCC und mit Platinum/5-Fluorouracil im rezidivierten/metasta-sierten Setting. Trotz signifikanter Verbes-serung des Gesamtüberlebens durch den Einsatz von blockierenden EGFR-Anti-körpern fehlen bis heute in großen Stu-dien validierte Biomarker zur Identifizie-rung von Patienten, die besonders von der therapeutischen EGFR-Blockade profitie-ren.

Im Gegensatz zum kolorektalen Kar-zinom, bei dem ein signifikanter Zusam-menhang zwischen dem Auftreten von EGFR-Mutationen und der Wirksamkeit von Cetuximab gezeigt werden konn-te, gibt es diesen Zusammenhang beim HNSCC nicht. Zu den Resistenzmecha-nismen gegenüber EGFR-Inhibitoren, welche für das HNSCC beschrieben wur-den, gehört jedoch die Expression einer Deletionsvariante des EGFR (EGFRvIII, [19]). Durch die Deletion von Exon 2–7 kommt es in dieser Rezeptorvariante zu

einer Konformationsänderung, welche zu einer konstitutiv-aktiven Konfigura-tion des Rezeptors führt. Der Anteil von EGFRvIII-positiven HNSCC schwankt in Abhängigkeit der Studienpopulationen zwischen 0 und 42%. Die Affinität von Cetuximab zu EGFRvIII ist gering und es ist daher nicht überraschend, dass die Ex-pression von EGFRvIII mit einer schlech-ten Wirksamkeit von Cetuximab assozi-iert werden konnte [20].

Als weitere Mechanismen der Resis-tenz gegenüber EGFR-Blockade wur-den beschrieben: die Überexpression von EGFR-Liganden [20] oder alterna-tiven Rezeptortyrosinkinasen aus der ErbB/HER-Familie [21], eine Amplifika-tion von c-MET sowie die Aktivierung von IGF1R. Nachdem Tumorzellen meist mehrere dieser Mechanismen benutzen, um Resistenz zu entwickeln, ist die The-rapie mit einem einzelnen Hemmstoff keine adäquate Strategie, um Therapiere-sistenzen zu überkommen. Deshalb wer-den zurzeit vor allem Kombinationsthera-pien von verschiedenen Inhibitoren von Rezeptortyrosinkinasen klinisch erprobt.

Die Dedifferenzierung von einem epit-helialen zu einem mesenchymalen Zell-phänotyp ist ein weiterer, häufig beob-achteter Resistenzmechanismus gegen-über EGFR-Blockade bei HNSCC. Bei der sog. epithelial-mesenchymalen Transition (EMT) verlieren Tumorzellen ihre epithe-liale Polarität und entwickeln Eigenschaf-ten, die zu invasivem Wachstum und Me-tastasierung führen. Nachdem EMT zu-gleich mit einem stammzellähnlichen Phänotyp assoziiert ist und Stammzel-len im Allgemeinen wesentlich resisten-ter gegenüber Bestrahlung und zytotoxi-scher/statischer Therapie sind, wurden in der Vergangenheit jene molekularen Sig-nalwege, welche den Prozess der EMT re-gulieren, im Detail charakterisiert. Da-bei konnte ein Zusammenhang zwischen EMT und einer verringerten Wirksam-keit der EGFR-Blockade etabliert [22] und drei erfolgversprechende Wirkstof-fe zur vorbeugenden Behandlung die-ser Resistenz identifiziert werden: Salino-mycin, ein Polyether-Antibiotikum mit spezifischer Wirksamkeit in mesenchy-malen, stammzellähnlichen Tumorzel-len [23]; Vorinostat, ein Histon-Deacety-lasehemmer mit blockierender Wirkung

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Leitthema

auf die EMT [24]; Dasatanib, ein Src/Abl-Inhibitor mit resensitierender Wirkung in cetuximabresistenten HNSCC-Zellen [25]. Für eine effektive Umsetzung die-ser und anderer Ansätze in die klinische Anwendung wird es notwendig sein, dia-gnostische Tests zur genauen Identifizie-rung der molekularen Ursachen der Re-sistenz gegenüber der EGFR-Blockade zu entwickeln.

Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K)

Die PI3K setzt sich aus zwei regulato-rischen Untereinheiten zusammen: die p85-Untereinheit wird von dem Gen mit der Bezeichnung PIK3R und die p110-Untereinheit von PI3KCA kodiert. PI3K dient der Signalweiterleitung von Rezep-tortyrosinkinasen wie EGFR und c-MET, wodurch extrazelluläre Signale zu einer Steigerung des Zellwachstum oder Zell-überlebens führen können. Die vorher er-wähnten exombasierten Sequenzierstu-dien ergaben eine Häufigkeit von aktivie-renden Mutationen in PI3KCA in 6–8% der untersuchten Fälle [8, 10, 11]. Desweite-ren finden sich häufig auch Mutationen in anderen Komponenten des PI3K-Signal-wegs, sodass von seiner Aktivierung in bis zu 30% der HNSCC-Karzinome ausgegan-gen werden muss [10]. Eine Reihe von spe-zifischen PI3K-Inhibitoren ist in klinischer Entwicklung. Nachdem die Aktivität von mTOR durch PI3K positiv reguliert wird, wird zudem auch der Einsatz von mTOR-Inhibitoren sowohl im neoadjuvanten Set-ting der Primärtherapie als auch beim re-zidivierenden/metastasierten HNSCC im Rahmen von klinischen Studien unter-sucht. Es gibt Hinweise, dass aktivierende Mutationen im PI3K/AKT/mTOR-Signal-weg einen prädiktiven Biomarker für die präferentielle Wirksamkeit dieser mole-kularen Therapeutika darstellen könnten.

TP53

Mutationen in TP53 sind die häufigsten genetischen Alterationen beim HNSCC. TP53 kodiert für das Tumorsuppressor-protein p53, welches eine wichtige Rol-le bei der Aufrechterhaltung der genomi-schen Integrität einnimmt. Es reguliert den Zellzyklusarrest nach DNA-Schädi-

gung, die DNA-Reparatur sowie den pro-grammiertem Zelltod bei Irreparabilität der DNA-Schäden. Die meisten Mutatio-nen in TP53 führen zu einem Funktions-verlust des p53-Proteins, wenn dabei die kodierenden Regionen für die DNA-Bin-dung und Tetramerisierung des Proteins betroffen sind, die für die Tumorsuppres-sorfunktion von p53 essentiell sind.

In Anbetracht der Bedeutung von p53 bei der Elimination von Zellen mit Ge-nomveränderungen wurde in der Vergan-genheit intensiv untersucht, ob die Wie-derherstellung der Wildtyp-Funktionen von p53 durch pharmakologische Inter-vention oder Gentransfer eine effektive therapeutische Strategie darstellen könn-te. Für den niedermolekularen Wirkstoff PRIMA-1 konnte eine präferentielle Bin-dung an die veränderte tertiäre Struktur von mutierten p53-Proteinen nachgewie-sen werden. In präklinischen Modellen führt die Behandlung von Karzinomzel-len mit mutiertem p53 in der Tat zu einer partiellen Rekonstitution der Wildtyp-Funktionen von p53, wodurch in Folge Apoptose ausgelöst wird [26]. Die Kombi-nation von PRIMA-1 mit Cisplatin, 5-Flu-orouracil, Erlotinib oder Paclitaxel ver-stärkt den Effekt der zytotoxischen Be-handlung [27].

NOTCH-1

Mutationen in NOTCH-1 wurde ebenfalls im Rahmen von Genomsequenzierstu-dien in ca. 15% aller HNSCC-Fälle gefun-den [8, 11]. Notch ist ein membranständi-ger Rezeptor, der im Rahmen der Zelldif-ferenzierung eine wesentliche Rolle spielt. Die Wirkweise von Notch ist abhängig vom zellulären und gewebsspezifischen Hintergrund. Während in Leukämien der T- und B-Zellreihe Notch als Onkogen wirkt und aktivierende Notch-Mutatio-nen eine wichtige Rolle bei der Leukämo-genese zu spielen scheinen, treten im Lau-fe der Entstehung der chronisch myeloi-den Leukämie häufig inaktivierende Mu-tationen von Notch auf, weshalb bei letz-terer Erkrankung die Funktion von Notch als Tumorsuppressor eher wahrscheinlich ist. Bei HNSCC werden vor allem solche Mutationen und Deletionen in NOTCH-1 gefunden, welche zu einem funktionellen Ausfall des Proteins führen. Ein weiterer

Hinweis für eine Tumorsuppressorfunk-tion von Notch bei HNSCC ist die Beob-achtung, dass der Verlust von NOTCH-1 in experimentellen Tiermodellen die Ent-stehung von epithelialen Tumoren fördert [28]. Inwieweit Notch ein therapeutisches Ziel bei HNSCC darstellen könnte, muss in weiteren Studien zur detaillierten Eva-luierung seiner Rolle bei dieser Erkran-kung untersucht werden.

Molekulare Mechanismen der DNA-Reparatur

Die Schädigung der DNA durch Bestrah-lung und/oder Behandlung mit Cispla-tin ist ein wesentlicher Wirkmechanis-mus der Therapie des HNSCC. Die zellu-lären Mechanismen der DNA-Reparatur sind vielfältig und unterliegen einer kom-plexen Regulation. Die erhöhte Aktivität einzelner Regelkreise der DNA-Reparatur, wie der sog. Nukleotidexzisionsreparatur oder der homologen Rekombinations-reparatur kann zur intrinsischen Resis-tenz gegenüber DNA-schädigender The-rapie führen. So konnte die erhöhte Akti-vität von ERCC1, dem umsatzlimitieren-den Enzym bei der Reparatur von cispla-tinvermittelten DNA-Schäden mit einer verringerten Sensitivität gegen adjuvante Radiotherapie und cisplatinbasierte Ra-diochemotherapie assoziiert werden [29, 30]. Auch für das DNA-Reparatur enzym XPF, das bei einem genetischen, vererb-ten Defekt für das Krankheitsbild der Xe-roderma pigmentosum verantwortlich ist, konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer erhöhten Expression und der verringerten Sensitivität gegen adju-vante Radio(chemo)therapie nachgewie-sen werden [31].

Durch den Ausfall der homologen Re-kombinationsreparatur, z. B. durch Gen-defekte in dem BRCA-Gen können Tu-morzellen anfälliger für zusätzliche the-rapeutische Hemmung von spezifischen Mechanismen der DNA-Reparatur wer-den. Diese erhöhte Empfindlichkeit wird als synthetische Letalität bezeich-net und stellt eine Achillessehne solcher Karzinome dar. Diese Tumore sind be-sonders empfindlich gegenüber Inhibi-toren der poly-ADP-Ribose-Polymerase (PARP). Zumindest in präklinischen Mo-dellen konnte durch die Kombination von

136 |  Der Onkologe 2 · 2014

Leitthema

PARP-Inhibitoren mit Bestrahlung eine synergistische Antitumorwirkung nach-gewiesen werden [32].

Hypoxieassoziierte Faktoren

Eine gute Versorgung des Tumorgewe-bes mit Sauerstoff ist eine wichtige Vor-aussetzung für die effektive Wirksamkeit der Strahlentherapie, da bei der Bestrah-lung Sauerstoffradikale entstehen, wel-che ursächlich mit der DNA-schädigen-den Wirkung der Bestrahlung in Zusam-menhang stehen. Durch Hypoxie wird zu-dem in Tumorzellen die Hochregulation von überlebensfördernden Faktoren, wie z. B. dem hypoxieinduzierbaren Faktor 1α (HIF-1a) ausgelöst. Diese hypoxieasso-ziierten Faktoren haben eine protektive Wirkung in Stresssituationen wie der Ex-position gegenüber ionisierender Strah-lung oder Chemotherapie. Die Signalwe-ge, die unter hypoxischen Beding ungen aktiviert werden, unterstützen das Über-leben der Tumorzellen, stimulieren die Sekretion von angiogenen Faktoren wie dem vaskulären-endothelialen Wachs-tumsfaktor (VEGF) und hemmen die zy-tostatische und zytotoxische Wirkung der Radio(chemo)therapie.

Bis dato wurden eine Vielzahl von the-rapeutischen Konzepten getestet, die zur Verminderung der Hypoxie und damit einhergehender Radioresistenz führen, wie z. B. die hyperbare Oxygenierung, bei der medizinisch reiner Sauerstoff unter einem erhöhten Umgebungsdruck für de-finierte Zeiträume und Intervalle durch Einatmung vor der Strahlentherapie bei Patienten zur Anwendung kommt, oder der Einsatz von hypoxischen Radiosensi-tizern (z. B. Nimerazol) und hypoxischen Zellgiften (z. B. Tirapazamin). Die meis-ten dieser Ansätze zeigten bisher in großen klinischen Phase-III-Studien keine signifi-kante Verbesserung der Radio(chemo)the-rapie des HNSCC und haben daher bisher keinen Eingang in die klinische Routine gefunden. Eine Ausnahme stellt Nimera-zol dar, das in Dänemark bereits für die Behandlung des HNSCC in Kombination mit Strahlentherapie zugelassen ist.

In den letzten Jahren wurden hypo-xische Tumoren vor allem von der DA-HANCA-Studiengruppe auf molekularer Ebene umfassend charakterisiert. Dabei

konnten Gensignaturen erarbeitet wer-den, die eine Vorhersage der Wirksam-keit von hypoxischen Radiosensitizern er-lauben [33]. Die Integration solcher prä-diktiver hypoxieassoziierter Biomarker in klinische Studien von hypoxischen Radio-sensitizern verspricht eine erfolgreiche-re Entwicklung dieses Therapieoptimie-rungskonzepts in der Zukunft.

Fazit für die Praxis

F  Plattenepithelkarzinome des Kopf-Hals-Bereichs stellen nicht nur bezüg-lich ihres klinisch/pathologischen Er-scheinungsbilds, sondern auch auf molekularer Ebene eine extrem hete-rogene Gruppe von Neoplasien dar.

F  Eine verstärkte translationale For-schung bei HNSCC hat in den letzten Jahren zu einem signifikanten Zuge-winn in unserem Verständnis der Bio-logie dieser Karzinome geführt. Ex-tensive molekulare Untersuchungen mittels NGS haben zudem geneti-sche Veränderungen identifiziert, die durch bereits in der klinischen Ent-wicklung befindliche molekulare The-rapeutika gezielt angegriffen werden könnten.

F  Die große molekulare Heterogenität von HNSCC erfordert für die Therapie dieser Karzinome einen individuali-sierten Ansatz.

F  Trotz einer Vielzahl von molekularen Therapeutika mit potentieller Wirk-samkeit beim HNSCC fehlen bis da-to validierte Biomarker zur optimalen Patientenstratifizierung.

Korrespondenzadresse

PD Dr. I. Tinhofer-KeilholzKlinik für Radioonkologie und Strahlentherapie, Universitätsklinikum Charité Berlin, Charité Campus MitteCharitéplatz 1, 10117 [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  I. Tinhofer-Keilholz gibt an, dass kein Interessenskonflikt besteht.   Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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J. Hacker (Hrsg.)Nova acta LeopoldinaNachhaltigkeit in der WissenschaftStuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesell-schaft  2013, 128 S., 20 Abb., 1 Tab.,  (ISBN 978-3-8047-3188-2), 21.95 EUR

Dieser kleine Band der Deutschen Akade-

mie der Naturforscher Leopoldina gibt die 

Vorträge und Ergebnisse eines eintägigen 

Workshops der Akademie wider, welcher 

mit 16 führenden Wissenschaftlern als Vor-

tragende oder Moderatoren im November 

2012 in Berlin stattfand. Die Beiträge gliedern 

sich in drei Teile: Erforschung der Nachhaltig-

keit, nachhaltig forschen und nachhaltige 

Forschung. Das Zitat „Das Wissen muss dem 

kausalen Ausmaß unseres Handelns größen-

gleich sein!“ verdeutlicht die Verantwortung 

der Forschung in unserem technologischem 

Zeitalter und gibt den Hinweis, dass dieser 

Band für die Forschungsstrategie einer jeden 

Wissenschaftsdisziplin den philosophischen 

Rahmen absteckt, und somit auf ein breites 

Interesse stoßen sollte.

Die einleitenden Überlegungen begründen 

die Betonung der Nachhaltigkeit (sustaina-

bility) mit dem Eintritt in eine geologische 

Epoche des „Anthropozän“, in der die Ver-

änderungen in der Natur „Mensch-dominiert“ 

bewirkt sind. Auf den ersten Blick mag dies 

für die Medizin nicht primär bedeutend sein. 

Betroffen von dieser „großen Transformation“ 

ist aber die Wissenschaft als Ganzes.

An vielen Punkten wird von den einzelnen 

Autoren die dominante Ökonomisierung der 

Wissenschaft analysiert, Fehlentwicklungen 

aufgezeigt und Lösungsvorschläge vor-

getragen. Ein Aspekt ist das Spannungsfeld 

zwischen Grundlagenforschung und ange-

wandter Forschung. Es wird analysiert, dass 

angewandte Forschung einen Beitrag zum 

fundamentalen Verständnis leisten kann. Spä-

testens hier wird deutlich, dass dies auch für 

den Forschenden in der Medizin interessant 

ist: schneller technischer Fortschritt, rasanter 

Erkenntnisgewinn in der Molekulartechno-

logie, Gentechnik, Nanotechnik, funktional-

bezogene Individualmedizin. Ein weiterer 

Beitrag betont die Notwendigkeit des diskur-

siven Wissenstransfers (nachhaltige Transfor-

mationsprozesse) und die damit verbundene 

Überzeugungsarbeit, neue Ergebnisse auch 

berufspolitisch und gesellschaftspolitisch 

wirksam werden zu lassen. Hierfür sind eige-

Buchbesprechungen

ne Kompetenzstrukturen für die Aus- und 

Weiterbildung gefragt, welche die Fähigkei-

ten und das Wissen weitergeben.

Die klaren analytischen Aussagen und Folge-

rungen sind höchst aufschlussreich und inte-

ressant. Die einzelnen Beiträge ergänzen sich 

gegenseitig und spiegeln ein abgerundetes 

Bild gegenwärtiger und zukunftsorientierter 

Forschungsphilosophie wider.

Der vorliegende Band der „Leopoldina“ ist 

für Entscheidungsträger bei der Planung und 

Führung von Forschungsprojekten zu emp-

fehlen. Auch für die Arbeit in den Vorständen 

wissenschaftlicher und berufspolitischer 

Organisationen und in Herausgebergremien 

ist das Werk vorteilhaft, sowie für die Leser 

wissenschaftlicher Zeitschriften als Akteure 

außerhalb des genuin wissenschaftlichen 

Umfeldes.

L. Beyer (Jena)

138 |  Der Onkologe 2 · 2014


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