Die Psychologie der Entscheidung
Tilmann Betsch
M1, 812, Sprechstunde Di 15-16
Tel. 0361 – 737 – 1178
http://www.uni-erfurt.de/psychologie/prof/sozial/slehre/slehre.htm
Die präselektionale Phase: Informationssuche beim Entscheiden
Teil 1
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Generierung vonVerhaltensalternativen
Informationssuche
Bewertung und Entscheidung
Implementierung des gewählten Verhaltens
Identifikation eines Entscheidungsproblems
FEEDBACK
GEDÄCHNIS
Prä-selektionale Phase
Selektionale Phase
Post-selektionale Phase
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"Conceptually, the SEU model is a beautiful object deserving a prominent place in Plato's heaven of ideas. But vast difficulties make it impossible to employ it in any literal way in making actual human decisions"
Herbert Simon
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Herbert Simon1916-2001
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SEU als “Olympisches Modell”
• Alle möglichen Optionen müssen bekannt sein• Alle Konsequenzen müssen bekannt sein• Jede Konsequenz muss Nutzen und subjektiver
Eintrittwahrscheinlichkeit bewertbar sein• Der Entscheider muss in der Lage sein, die
kognitiven Operationen durchzuführen, die das Wert-Erwartungskalkül verlangt
SEU überfordert die Möglichkeiten des Menschen
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Simons Verhaltensmodell
• Bounded rationality– Mensch ist trotz seiner Beschränkungen zu klugen
Entscheidungen in der Lage ist, da er sonst im evolutionären Prozess nicht hätte bestehen können. Insofern könnten die Einschränkungen oder Begrenzungen denen unser Denken und Handeln unterliegt kein Nachteil, sondern geradezu einen Anpassungsvorteil darstellen.
• Mechanisms of bounded rationality– Umwelt: empty world – Motivation, Emotion, Lernen– Einfache Strategien der Infosuche und Entscheidung
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Eine Methode zur Erfassung der Informationssuche: Mouselab
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Bewerber Geschlecht Alter Studienfach Geburts-ort
Hobby Persönlich-keit
A
B
C
D
E
F
G
Beispiel 1: Mitbewohner WG
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Beispiel 2: Bewerber Instruktionspsychologie
Geschl. Alter Formale Qualifika-tion
Publikationen Internationale Zeitschriften
Drittmittel-einwerbung in Euro
Evaluation der Lehre(Note)
Wichtigkeit
Meyer
Schulz
Brenner
Wilken
Ranisch
Kolp
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Methoden der Messung
• Introspektion, Selbstberichte • Lautes Denken, Verbale Protokolle (Ericsson & Simon,
1980)
• Blickregistrierung• mouselab (Payne, Bettman & Johnson, 1988)
…
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Typen von Entscheidungsstrategien
• Nicht-analytische Strategien – Konsequenzen der Optionen werden nicht betrachtet
• Analytische Strategien – Konsequenzen der Optionen werden betrachtet
Kompensatorische vs nonkompensatorische Strategien
Optionszentriert vs attributszentriert
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Optionszentrierte Strategien
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Attributszentrierte Strategien
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Nicht-analytische Strategien
• random choice rule • recognition heuristic • compliance with convention • repeat-prior-choice rule / habitual heuristic• affect referral / attitude heuristic
Bildung impliziter Einstellungen zu Optionen (Betsch, Plessner, Schwieren & Gütig, 2001)
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Automatische Bildung von „Wertkonten“
• Enkodierung wertgeladener Information ist hinreichende Bedingung für Bildung impliziter Einstellungen (IE).
• Implizite Integration der Werte folgt einem gewichteten Summationsmodel.
• IE vermitteln sich über affektives System. Auf IE wird bei spontanen Urteilen und Entscheidungen zurückgegriffen (non-analytische Strategie).
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Methode
• Probanden enkodieren wertgeladene Information– Tageskursgewinne mehrerer Aktien über je 20 Tage
• Dual Task– Verhinderung expliziter Urteilsprozesse
• Informationsüberfrachtung: 80-140 Informationen– Verhinderung konkreter Erinnerung
• Variation der Summe der Werte– Summe der Tageskursgewinne der Aktien variiert
zwischen 300 und 700 DM
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Harpen +14 Schichau +50 Pittler +32 Autania +6
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Wie gut finden Sie Aktie „Pittler“?
sehr gut
sehr schlecht
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Aktie 300Aktie 400
Aktie 500Aktie 600
Aktie 700
50
55
60
65
70
75
80
85
90
Spontane Bewertung der Aktien
ExpliziteSchätzung der
Summe
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Analytische Strategien
• weighted additive rule • equal weight rule • satisficing rule • elimination by aspects • lexicographic rule (take the best)• majority of confirming dimensions
…
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Weighted Additive Rule (WADD)
• Kompensatorisch• Variante: Nutzenmaximierungsregel • Auf den Ablauf der Informationssuche übertragen
bedeutet dies, dass erst alle Konsequenzen zu einer Option gesucht und integriert werden, bevor zur nächsten übergegangen wird.
• Die Integration kann durch das bekannte lineare Prinzip beschrieben werden, wonach die gewichteten Werte der Konsequenzen aufsummiert werden.
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Equal Weight Rule (EWR)
• Einhorn & Hogarth (1975); Thorngate (1980)• Kompensatorisch• Hier werden die Gewichte ignoriert oder als
Konstante angenommen. • Summation der Werte für jede Option.
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Satisficing Rule
• Simon (1955) • Non-kompensatorisch• Die Reihenfolge der Prüfung der Optionen ist willkürlich.
Sind die Optionen vorgegeben wird meist mit der ersten in der Liste begonnen.
• Die Konsequenzen werden hinsichtlich eines Anspruchniveaus verglichen. Die erste Option, die alle Kriterien erfüllt, wird gewählt.
• Fällt der Wert einer Konsequenz unterhalb des Anspruchsniveaus wird die Option zurückgewiesen und die nächste betrachtet.
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Elimination by Aspects (EBA)
• Tversky (1972) • Non-kompensatorisch• Optionen werden schrittweise aussortiert bis eine übrig
bleibt. Man beginnt mit dem wichtigsten Attribut und vergleicht auf dieser Dimension alle verfügbaren Optionen hinsichtlich eines Anspruchsniveaus (Tversky spricht von einem cut-off level). Die Optionen, die das Kriterium verfehlen, werden aussortiert. Die verbleibenden Optionen werden auf dem zweitwichtigsten Attribut verglichen. Der Prozess wird über die nächsten Attribute (geordnet nach ihrer Wichtigkeit) so lange fortgesetzt, bis nur noch eine Option übrig bleibt. Dann wird die Informationssuche abgebrochen und die Option gewählt.
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Lexicographic Rule (LEX)
• Fishburn (1974) • Auch: take the best heuristic, Gigerenzer, Hoffrage &
Kleinbölting (1991) • Non-kompensatorisch• Es wird einfach die Option gewählt, die den besten Wert
auf dem wichtigsten Attribut hat. Weitere Attribute werden nur betrachtet, wenn es so genannte ties gibt, das heißt, dass der beste Wert mehr als einmal auftritt, also "Gleichstand" zwischen den besten Optionen herrscht.
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Majority of Confirming Dimensions
• Russo und Dosher (1983) • Non-kompensatorisch, Mischform aus options- und
attributszentrierter Strategie • Bei der Anwendung dieser Regel werden die Optionen
paarweise verglichen. Unabhängig von der Wichtigkeit der Attribute wird einfach gezählt, wie häufig die eine Option besser als die andere abschneidet. Der Verlierer wird nicht weiter betrachtet. Der Gewinner wird mit der nächsten Option verglichen. Der paarweise Vergleich wird solange fortgesetzt, bis die letzte Option inspiziert worden ist. Der Gewinner des letzten Vergleichs wird gewählt.
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Empirische Evidenz Payne, Bettman & Johnson (1988)
• Mouselab: 4 Optionen, 4 Attribute • UV1: Streuung der Wahrscheinlichkeiten [.20, .04, .07, .69] vs. [.22, .26, .24, .28] • UV2: Zeitlimit, kein Zl vs 15 sec (Exp1), 25 sec vs 15 sec (Exp. 2)• AV:
– Anzahl und Reihenfolge der geöffneten Boxen– Zeitdauer der Öffnung der Boxen– Entscheidungen erhoben– Maß für die Genauigkeit: Der Maximalwert auf diesem Index
würde aus einem idealen Entscheidungsverhalten resultieren bei dem die Person, immer die Option mit dem höchsten erwarteten Wert wählt.
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Ergebnisse (1)
• Kontextvariablen (Dispersion, Zeitdruck) beeinflussen systematisch die Informationssuche und die Entscheidungen– Optionszentrierte Suchen am häufigsten unter
geringem oder fehlendem Zeitlimit und bei geringer Dispersion
• Personen verwenden unterschiedliche Entscheidungsstrategien– Zeitlimit und hohe Dispersion begünstigen
Verwendung von LEX und EBA
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Ergebnisse (2)
• Genauigkeitsmaß: Zeitlimit reduziert anfänglich Genauigkeit. Spätere Entscheidungen unter Zeitlimit erreichen aber ein genauso hohes Maß an Genauigkeit, wie Entscheidungen die ohne Zeitbeschränkung gefällt wurden. Anpassung an Umweltgegebenheiten
• Menschen sind in der Lage, ihre Such- und Entscheidungsstrategien so zu wählen, dass sie kontextabhängig den Verarbeitungsaufwand reduzieren, aber gleichzeitig ein hohes Maß an Entscheidungsgenauigkeit erhalten.
Menschen sind adaptive Entscheider
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Welche Faktoren führen zur Verwendung bestimmter Strategien?
• Unklare Befundlage für eine Reihe von Faktoren, wie z.B. Motivation, Verantwortlichkeit, Anzahl der Alternativen
• Zeitlimits und Dispersion scheinen lexikographische Strategien zu begünstigen
• Aber: Bröder (2003) fand keine Evidenz für Zeitlimit sondern nur Effekt für Intelligenz
• Vermutung: Strategien werden bereichsspezifisch gelernt
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Kritik am Forschungsparadigma
• Kombinationsmöglichkeit von Strategien, offene Menge an Strategien Problem der eindeutigen Identifikation einer Strategie
• Informationserwerb ≠ Informationsintegration: Die Suche nach einer Information sagt noch nichts über ihre Nutzung.
• Verdeckte Boxen zwingen zu sequentieller Verarbeitung Forschungsartefakte?