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Die Last mit der Beweislast – gute Dokumentation immer wichtiger

Date post: 23-Dec-2016
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32 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2014; 66 (1) Deutscher Pflegetag 2014 Vor fast einem Jahr ist das neue Patientenrechtegesetz in Kraft getre- ten. Es gilt nur für Verträge, die eine medizinische Behandlung zum Gegenstand haben. Auf Verträge im Geltungsbereich des Gesetzes über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (WBVG) ist es nicht anwendbar. Dennoch haben die neuen Vorschriften erhebliche Auswirkungen auf die Pflegepraxis. Z iel des Gesetzgebers war die Schaf- fung transparenter gesetzlicher Regeln. Patienten sollten verlässli- che Informationen über ihre Rechte er- halten, um eigenverantwortlich und selbstbestimmt über ihre medizinische Behandlung entscheiden zu können. Novum – der Behandlungsvertrag Zu diesem Zweck wurde der Behand- lungsvertrag als neue Vertragsart im Bür- gerlichen Gesetzbuch geregelt. Durch den Behandlungsvertrag wird derjenige, wel- cher die medizinische Behandlung eines Patienten zusagt (Behandelnder) zur Lei- stung der versprochenen Behandlung, der andere Teil (Patient) zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, so- weit nicht ein Dritter zur Zahlung ver- pflichtet ist. Für die Pflege gelten weiter- hin die spezialgesetzlichen Regelungen zum Wohn- und Betreuungsvertrag. Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Be- ginn der Behandlung und, soweit erfor- derlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern. Dies umfasst die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwick- lung, die Therapie und die vor und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnah- men. Eine umfassende Information bein- haltet ferner, dass mit dem Patienten über Risiken und Chancen der Behandlung gesprochen wird. Stehen mehrere Be- handlungsmöglichkeiten zur Auswahl, die jedoch mit unterschiedlichen Bela- stungen, Risiken und Heilungschancen verbunden sind, muss auch darüber in- formiert werden. Das Gesetz sieht außerdem vor, dass der Arzt den Patienten auf dessen Nach- frage über erkennbare Behandlungsfehler zu informieren hat. Soweit dies zur Ab- wendung gesundheitlicher Gefahren er- forderlich ist, muss der Arzt sogar ohne konkrete Nachfrage informieren, selbst wenn er eigene Fehler offenbaren muss. Schließlich muss der Arzt über Kosten informieren, wenn er weiß, dass eine voll- ständige Übernahme der Behandlungs- kosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder sich nach den Umständen hinrei- chende Anhaltspunkte dafür ergeben. Eine Aufklärung über Kosten hat vor der Behandlung und schriftlich zu erfolgen. Auf die Information des Patienten darf nur in besonderen Ausnahmesituationen verzichtet werden, etwa, wenn es sich um einen Notfall handelt und die Behandlung nicht aufgeschoben werden kann. Darü- ber hinaus ist der Arzt dann von der Auf- klärungspflicht entbunden, wenn der Patient ausdrücklich darauf verzichtet. Mündliche Aufklärung ist ein Muss Ohne Einwilligung des Patienten stellt jede invasive medizinische Behandlung eine strafbare Körperverletzung dar. Da- her wird der Behandelnde nunmehr ge- setzlich verpflichtet, vor der Durchfüh- rung einer medizinischen Maßnahme dessen Einwilligung einzuholen. Der Behandelnde ist verpflichtet, den Pati- enten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie Notwen- digkeit, Dringlichkeit, Eignung und Er- folgsaussichten des Eingriffs im Hinblick auf die Diagnose oder Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlichen unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Aufklärung: Auf Alternativen hinweisen Die Aufklärung muss in einem persön- lichen Gespräch durch den Behandelnden selbst oder durch eine Person erfolgen, die dazu ausgebildet ist, die jeweilige Be- handlung durchführen zu können. Schriftliche Unterlagen können einbezo- gen werden, ersetzen aber kein Gespräch. Die Übergabe eines Informationsblattes an den Patienten reicht nicht aus. Schriftstücke, die der Patient im Zusam- menhang mit der Aufklärung oder Ein- willigung unterzeichnet, müssen ihm als Kopie ausgehändigt werden. Kann die Einwilligung nicht rechtzeitig eingeholt werden, ist auf den mutmaßlichen Willen des Patienten abzustellen. Bei Patienten, die aufgrund ihres Zustandes nicht in der Lage sind, die Tragweite ihrer Entschei- dung abzusehen, und daher nicht selbst einwilligen können, muss ein Vertreter nach vorheriger Aufklärung an ihrer Stel- le entscheiden, soweit nicht bereits eine Patientenverfügung die jeweilige Behand- lung gestattet oder untersagt. Als Vertre- ter kommt ein Bevollmächtigter oder ein Betreuer infrage. Das Gesetz räumt dem Patienten das einklagbare Recht ein, jederzeit seine voll- DOI: 10.1007/s00058-014-0123-y Neues Patientenrechtegesetz Die Last mit der Beweislast – gute Dokumentation immer wichtiger
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32 Heilberufe / Das P� egemagazin 2014; 66 (1)

Deutscher Pflegetag 2014

Vor fast einem Jahr ist das neue Patientenrechtegesetz in Kraft getre-ten. Es gilt nur für Verträge, die eine medizinische Behandlung zum Gegenstand haben. Auf Verträge im Geltungsbereich des Gesetzes über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (WBVG) ist es nicht anwendbar. Dennoch haben die neuen Vorschriften erhebliche Auswirkungen auf die Pflegepraxis.

Ziel des Gesetzgebers war die Schaf-fung transparenter gesetzlicher Regeln. Patienten sollten verlässli-

che Informationen über ihre Rechte er-halten, um eigenverantwortlich und selbstbestimmt über ihre medizinische Behandlung entscheiden zu können.

Novum – der Behandlungsvertrag Zu diesem Zweck wurde der Behand-lungsvertrag als neue Vertragsart im Bür-gerlichen Gesetzbuch geregelt. Durch den Behandlungsvertrag wird derjenige, wel-cher die medizinische Behandlung eines Patienten zusagt (Behandelnder) zur Lei-stung der versprochenen Behandlung, der andere Teil (Patient) zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, so-weit nicht ein Dritter zur Zahlung ver-pflichtet ist. Für die Pflege gelten weiter-hin die spezialgesetzlichen Regelungen zum Wohn- und Betreuungsvertrag.

Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Be-ginn der Behandlung und, soweit erfor-derlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern. Dies umfasst die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwick-lung, die Therapie und die vor und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnah-men. Eine umfassende Information bein-haltet ferner, dass mit dem Patienten über Risiken und Chancen der Behandlung gesprochen wird. Stehen mehrere Be-handlungsmöglichkeiten zur Auswahl, die

jedoch mit unterschiedlichen Bela-stungen, Risiken und Heilungschancen verbunden sind, muss auch darüber in-formiert werden.

Das Gesetz sieht außerdem vor, dass der Arzt den Patienten auf dessen Nach-frage über erkennbare Behandlungsfehler zu informieren hat. Soweit dies zur Ab-wendung gesundheitlicher Gefahren er-forderlich ist, muss der Arzt sogar ohne konkrete Nachfrage informieren, selbst wenn er eigene Fehler offenbaren muss.

Schließlich muss der Arzt über Kosten informieren, wenn er weiß, dass eine voll-ständige Übernahme der Behandlungs-kosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder sich nach den Umständen hinrei-chende Anhaltspunkte dafür ergeben. Eine Aufklärung über Kosten hat vor der Behandlung und schriftlich zu erfolgen.

Auf die Information des Patienten darf nur in besonderen Ausnahmesituationen verzichtet werden, etwa, wenn es sich um einen Notfall handelt und die Behandlung nicht aufgeschoben werden kann. Darü-ber hinaus ist der Arzt dann von der Auf-klärungspflicht entbunden, wenn der Patient ausdrücklich darauf verzichtet.

Mündliche Aufklärung ist ein MussOhne Einwilligung des Patienten stellt jede invasive medizinische Behandlung eine strafbare Körperverletzung dar. Da-her wird der Behandelnde nunmehr ge-setzlich verpflichtet, vor der Durchfüh-rung einer medizinischen Maßnahme

dessen Einwilligung einzuholen. Der Behandelnde ist verpflichtet, den Pati-enten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie Notwen-digkeit, Dringlichkeit, Eignung und Er-folgsaussichten des Eingriffs im Hinblick auf die Diagnose oder Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlichen unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.

Aufklärung: Auf Alternativen hinweisenDie Aufklärung muss in einem persön-lichen Gespräch durch den Behandelnden selbst oder durch eine Person erfolgen, die dazu ausgebildet ist, die jeweilige Be-handlung durchführen zu können. Schriftliche Unterlagen können einbezo-gen werden, ersetzen aber kein Gespräch. Die Übergabe eines Informationsblattes an den Patienten reicht nicht aus.

Schriftstücke, die der Patient im Zusam-menhang mit der Aufklärung oder Ein-willigung unterzeichnet, müssen ihm als Kopie ausgehändigt werden. Kann die Einwilligung nicht rechtzeitig eingeholt werden, ist auf den mutmaßlichen Willen des Patienten abzustellen. Bei Patienten, die aufgrund ihres Zustandes nicht in der Lage sind, die Tragweite ihrer Entschei-dung abzusehen, und daher nicht selbst einwilligen können, muss ein Vertreter nach vorheriger Aufklärung an ihrer Stel-le entscheiden, soweit nicht bereits eine Patientenverfügung die jeweilige Behand-lung gestattet oder untersagt. Als Vertre-ter kommt ein Bevollmächtigter oder ein Betreuer infrage.

Das Gesetz räumt dem Patienten das einklagbare Recht ein, jederzeit seine voll- D

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Neues Patientenrechtegesetz

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ständigen Behandlungsunterlagen einzu-sehen. Er darf darüber hinaus Abschriften aus der Patientenakte verlangen, das heißt, der Behandelnde muss auf Wunsch Un-terlagen kopieren oder sie ggf. auf einem Datenträger zur Verfügung stellen.

Stehen therapeutische Gründe entge-gen, kann der Behandelnde die Einsicht-nahme partiell oder vollständig verwei-gern. Ziel dieser Einschränkung ist der Schutz des Patienten vor Informationen über seine Person, die ihm erheblich scha-den könnten.

Mehr Schutz vor Manipulation von Patientenakten Letztlich ist der Behandelnde verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in un-mittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Die Dokumentation dient in erster Linie dem Zweck, durch die Aufzeichnung des Behandlungsgeschehens eine sachge-rechte therapeutische Weiterbehandlung zu gewährleisten und unnötige Doppel-untersuchungen zu vermeiden. Sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maß-nahmen und deren Ergebnisse sind auf-zuzeichnen, insbesondere Anamnesen, Diagnosen, Untersuchungen, Untersu-chungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklä-rungen. Auch Arztbriefe sind in die Pati-entenakte aufzunehmen.

Ganz gleich, welche Dokumentations-weise gewählt wird: wichtig ist, dass nach-trägliche Änderungen oder Ergänzungen in den Unterlagen stets mit Angabe des Datums gekennzeichnet werden müssen

und auch der ursprüngliche Inhalt wei-terhin erkennbar bleibt. Zum Schutz elek-tronisch geführter Patientenakten ist der Behandelnde verpflichtet, eine manipu-lationssichere Software zu verwenden.

Bei Behandlungsfehlern kann die Pati-entenakte ein wichtiges Beweismittel im Haftungsprozess darstellen.

Beweislastumkehr bei mangelnder BefähigungGrundsätzlich ist es zwar so, dass in einem gerichtlichen Verfahren jede Partei die für sie günstigen Tatbestandsmerkmale zu beweisen hat. Dabei befindet sich der Pa-tient jedoch häufig in Beweisnot, begrün-det durch seine fehlenden Kenntnisse über medizinische Behandlungen und ihre Auswirkungen. Seit langem trägt die Rechtsprechung diesem Umstand Rech-nung, indem sie Fallgruppen entwickelt hat, bei denen dem Patienten Beweiser-leichterungen zugute kommen. Teilweise kehrt sich die Beweislast sogar um. Der Patient muss dann nicht mehr beweisen, dass die fehlerhafte Behandlung Ursache für den erlittenen Gesundheitsschaden ist. Stattdessen geht das Gericht von die-sem Zusammenhang aus und der Arzt hat das Gegenteil zu beweisen. Das Patienten-rechtegesetz hat diese Rechtsprechungs-grundsätze nunmehr in das Bürgerliche Gesetzbuch übernommen.

Ein Fall, der zur Beweislastumkehr führt, ist die mangelhafte oder vollständig unterlassene Dokumentation. Wird ein wesentlicher Behandlungsschritt nicht dokumentiert, vermutet das Gericht, dass der Behandelnde diesen Schritt auch nicht unternommen hat.

Eine Beweislastumkehr erfolgt ferner bei voll beherrschbaren Risiken. Diese betreffen insbesondere die Organisation der Behandlung und die dafür eingesetz-ten Geräte und Hilfsmittel. So beispiels-weise die Einhaltung von Hygienestan-dards, die Sicherheit medizinisch-tech-nischer Geräte oder die Durchführung korrekter Dekubitusprophylaxe. Kommt es zu einer Gesundheitsverletzung, wird ein Behandlungsfehler vermutet.

Ebenso verhält es sich bei einem groben Behandlungsfehler. Ein solcher liegt vor, wenn der Behandelnde besonders schwer-wiegend gegen medizinische Standards verstoßen hat. Es muss sich um einen Fehler handeln, der einem ausgebildeten

Mediziner schlechterdings nicht unter-laufen darf.

Die Beweislast für Aufklärung und Ein-willigung trägt ebenfalls der Behandelnde. Grundsätzlich hat er zu beweisen, dass der Patient oder dessen Vertreter ord-nungsgemäß aufgeklärt wurde. Ist dazu nichts dokumentiert, wird vermutet, dass es keine Aufklärung und folglich keine wirksame Einwilligung gab.

Schließlich erfolgt eine Beweislastum-kehr bei mangelnder Befähigung des Be-handelnden. Dies betrifft insbesondere Behandelnde, die sich noch in der Aus-bildung befinden oder unerfahrene Be-rufsanfänger sind. Steht die fehlende Be-fähigung fest und kommt es zu einem Gesundheitsschaden beim Patienten, vermutet das Gericht, dass die fehlende Eignung Ursache dafür ist.

Sämtliche vorgenannten Fallgruppen sind auf die Pflege übertragbar.

▶ Das Patientenrechtegesetz bringt Transparenz und klare Regeln für das Verhältnis von Patienten zu ihrem Be-handler. Die Grundsätze waren durch langjährige Rechtsprechung bereits ausgestaltet und wurden jetzt nor-miert. Sofern nicht schon im WBVG enthalten, können die Regelungen auf die Pflege übertragen werden.

▶ Beweiserleichterungen und Beweis- lastumkehr spielen auch in Haft-pflichtprozessen über Pflegefehler eine große Rolle. Mit Ausnahme von Befunderhebungsfehlern kommen alle Fallkonstellationen des Patienten-rechtegesetzes auch in der Pflege vor. Die Rechtsprechung wird in Zukunft entsprechende Parallelen ziehen.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E

Deutscher P�egetag

Am 25. Januar 2014 steht die Patientensicher-heit im Fokus des Deutschen Pflegetags. Kommen Sie in diesem Rahmen mit Rechts-anwalt Stephan Kreuels ins Gespräch, der die Auswirkungen des Patientenrechtegesetzes auf den Pflegealltag erläutern wird.

www.deutscher-pflegetag.de

RA Stephan KreuelsFachanwalt für Strafrecht Lehrbeauftragter Fachhoch-schule Münster; Herausge-ber „Pflegen ohne Risiko“ Coerdeplatz 12 48147 Münster


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