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Die Lady und der Mord

Date post: 04-Jan-2017
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Chicago Band 18

Die Lady und der Mord

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Die wilden Zwanziger. In den USA herrscht Prohibition, doch eine ›tro­cken gelegte‹ Nation konsumiert mehr Alkohol als jemals zuvor. Für den Nachschub sorgen gut organisierte Gangsterbanden, gegen die die Polizei einen vergeblichen Kampf führt. Nicht zuletzt, weil auch sie oft mit am Alkoholschmuggel verdient. Die Sitten sind rau und ein Men­schenleben zählt wenig, wenn es um viele Dollars geht. Die Gangster­bosse unterhalten ihre Privatarmeen von Killern und leben selbst wie Könige.

In Chicago versucht der Privatdetektiv Pat Connor, nicht zwischen die Fronten zu geraten und trotzdem der Gerechtigkeit Geltung zu ver­schaffen. Um aber in diesem Haifischbecken zu überleben, muss man selbst auch die Zähne zeigen.

*

»Mister Connor?«, hörte ich eine zaghafte Stimme dicht neben mir. »Mister Connor?«

Da ich meinem Alkoholspiegel nach zu urteilen einen verdammt harten Tag hinter mich gebracht hatte, beschloss ich, mich nicht ange­sprochen zu fühlen. Wer auch immer mich in Dunkys Speakeasy be­suchen wollte, sollte es besser am nächsten Tag noch einmal versu­chen. Denn ich hatte nicht vor, mich so schnell wieder aus meiner hochprozentigen Gesellschaft zu verabschieden. Außerdem konzent­rierte ich mich völlig auf das Glas, das vor mir auf Dunkys fein säuber­lich polierter Holztheke stand und ich hielt es in diesem Moment für mehr als angebracht, meine Haltung nicht zu verändern.

»Sind Sie sicher, dass dies der Mann ist, den ich suche?« »Ja, Ma'am, wenn Sie Pat Connor meinen, haben Sie ihn gefun­

den«, brummte Dunky. »Vielleicht machen Sie ihm einen Kaffee?«, schlug die Stimme vor. »Ein Bourbon wäre zurzeit die bessere Medizin, Lady«, lachte

Dunky rau. »Dann geben Sie ihm einen. Bitte!« Ich registrierte, wie Dunky ein volles Glas auf die Theke stellte.

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»Mister Connor, ich muss Sie dringend sprechen! Bitte hören Sie mich an!«

»Mmh«, war das Einzige, was ich zu sagen hatte. »Ihre Sekretärin meinte, dass ich Sie hier finden würde.« Diese verfluchte Betty!, schoss es mir durch den Kopf. Wofür be­

zahlte ich dieses Weibsbild eigentlich? Damit sie mir nach Feierabend irgendwelche Klienten auf den Hals hetzte? Bei nächster Gelegenheit würde ich mir die junge Dame ordentlich zur Brust nehmen.

»Ich flehe Sie an, Mister Connor! Ich habe keine Mühen gescheut, Sie zu finden.«

»Kommen Sie morgen in mein Büro«, quetschte ich zwischen den Zähnen hervor, ohne mich zu rühren und tastete nach dem Glas vor mir.

»Bitte, es ist wirklich dringend. Schicken Sie mich jetzt nicht wie­der weg. Sie müssen mir einfach zuhören!«

»Ich muss gar nichts, Lady. Nur sterben«, knurrte ich. Was bildete sich diese Frau eigentlich ein?

»Ich verlange ja nicht, dass Sie umsonst für mich arbeiten, Mister Connor. Ich übernehme Ihre Rechnung und darüber hinaus gebe ich Ihnen einen Vorschuss von, sagen wir: zweihundertfünfzig Dollar.«

Dieses nette Sümmchen verändert die Lage natürlich schlagartig. Pat!, meldete mein Gehirn und gab meinen Muskeln den Befehl, sich in Bewegung zu setzen. Schwerfällig richtete ich mich auf und als ich mich umwandte, blickte ich in das Gesicht eines Engels.

*

»Ich wusste doch, dass Sie ein Mann mit Vernunft sind, Mister Con­nor«, meinte die unbekannte Schönheit und blätterte mit ihrer be­handschuhten Hand zwei Franklins und einen Grant auf den Tresen. Während Dunky, der sich offensichtlich nicht von dieser Szene losrei­ßen konnte, anerkennend pfiff, griff ich lässig nach den Scheinen und ließ sie in meiner Jacketttasche verschwinden.

»Sie haben sich noch gar nicht vorgestellt, Lady. Mit wem habe ich das unbeschreibliche Vergnügen?«, wollte ich wissen und zündete

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mir eine Lucky an. Da ich mich inzwischen mit der Situation abgefun­den hatte, zu dieser späten Stunde einen neuen Auftrag an Land ge­zogen zu haben, nahm ich mir die Zeit, die Schönheit neben mir ge­nauer zu betrachten. Sie hatte feuerrotes Haar, das golden schimmer­te und ihr wellig bis auf die Schultern fiel und trug ein hellgraues Kos­tüm mit dazu passenden weißen Lederhandschuhen, die sie sich gera­de von den Fingern zupfte. Ihre smaragdgrünen Augen bildeten einen starken Kontrast zu ihren karmesinroten Lippen, die genau auf den Ton ihres Haares abgestimmt waren. Soweit ich zurückdenken konnte, war ich noch nie in meinem Leben einer solch atemberaubenden Frau begegnet. In diesem Moment wünschte ich, wir hätten uns unter an­deren Umständen kennen gelernt. Doch diesen Gedanken wischte ich sofort wieder weg, indem ich mich andächtig in die Betrachtung des rothaarigen Engels vertiefte.

»Ich bin Vivian Ward«, antwortete sie, setzte sich neben mich an den Tresen und bestellte einen Gin.

»Ward, Ward, Ward, der Name kommt mir irgendwie bekannt vor«, überlegte ich laut und musterte unverhohlen ihre Kurven.

»Sie haben sicher von der Ermordung meines Mannes gehört«, entgegnete sie tonlos und zündete sich ebenfalls eine Lucky Strike an, die in einer aus Elfenbein geschnitzten Zigarettenspitze steckte.

»Franklin Ward, der Bankdirektor, der vor ein paar Tagen erschos­sen in seinem Büro aufgefunden wurde?«

»Richtig.« »Hab davon gelesen. Nach einer trauernden Witwe sehen Sie al­

lerdings nicht gerade aus«, meinte ich, denn mir war nicht entgangen, dass die Dame, die ich auf Anfang dreißig schätzte, ihre wohlgeform­ten Beine übereinander geschlagen hatte und mir nun ihre schlanken Fesseln präsentierte.

»Ich bezahle Sie nicht dafür, Vermutungen über meine Befindlich­keiten anzustellen, Mister Connor!«, entgegnete Vivian Ward scharf und blitzte mich wütend an. Das Grün ihrer Augen schien sich für ei­nen kurzen Moment dunkler zu färben.

»Ich spreche nur aus, was ich sehe«, entgegnete ich, zuckte mit den Schultern und hielt ihrem Blick stand.

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Bevor sie weiter sprach, veränderte sich plötzlich ihre Miene. Die harten Züge verwandelten sich in einen verletzten Gesichtsausdruck und ich glaubte, ein Schimmern in ihren Augenwinkeln auszumachen.

»Hören Sie, Mister Connor, ich bin nicht gekommen, um mich mit Ihnen über meine in der Tat miserable Ehe zu unterhalten. Ich habe gerade ganz andere Sorgen.«

»Wie lautet also Ihr Auftrag?«, entgegnete ich knapp, denn mir stand der Sinn nicht nach Gefühlsduseleien, da konnte die Bezahlung noch so gut sein.

»Es geht um meinen Bruder Ted«, antwortete Mrs. Ward und ver­sank in tiefes Schweigen.

»Also schön, was ist mit Ihrem Ted?«, drängte ich und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Theke. Ich hatte Besseres zu tun, als meine grauen Zellen mit Rätselraten zu überstrapazieren.

»Er wird beschuldigt, meinen Mann umgebracht zu haben«, kam es leise vom benachbarten Barhocker.

»Na, das ist ja interessant. Hat er es getan?« »Natürlich nicht!«, fuhr Vivian mich an und ihre Lippen bebten.

»Darum bin ich ja hier, Mister Connor. Ted ist unschuldig, er hat Franklin nicht getötet!«

»Nun beruhigen Sie sich wieder, Mistress Ward. In meinem Beruf muss man natürlich immer alle Fakten kennen. Böse Überraschungen kann ich bei meinen Fällen absolut nicht gebrauchen. Was veranlasst Sie also zu der Vermutung, dass ihr Bruder nichts mit dem Tod Ihres Gatten zu tun hat?«

»Das ist keine Vermutung, sondern eine Tatsache! Ted kann kei­ner Fliege etwas zuleide tun.«

»Oh, lassen Sie es sich von einem Mann meines Faches gesagt sein: Das ist ein weit verbreiteter Irrtum und hat rein gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun, Lady, da muss ich Sie leider enttäuschen.«

»Bei allem Respekt, Mister Connor: Das mag vielleicht auf die un­zähligen Ganoven zutreffen, mit denen Sie es in Ihrer bisherigen Lauf­bahn zu tun hatten, aber Ted ist nicht einer von denen, die sich hinter einer schönen Fassade verstecken müssen.«

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Ich überging diesen Seitenhieb und erkundigte mich stattdessen: »Angenommen, Ihr Bruder ist tatsächlich unschuldig, stellt sich mir folgende Frage: Warum wurde er dann eingebuchtet?«

»Die Polizei hat ihn neben der Leiche entdeckt, mit der Tatwaffe in der Hand.«

»Können Sie das noch mal wiederholen, Mistress Ward? Ich glau­be, das muss ich mir wirklich notieren. Ihr Bruder wurde verhaftet, weil er neben der Leiche kniete, die Hand noch am Abzug? Das nenne ich in der Tat schlampige Polizeiarbeit.«

»Hören Sie auf mit den Witzen!«, zischte sie und bedachte mich aufs Neue mit einem funkelnden Blick. »Ted ist und bleibt unschuldig. Und Sie haben die Aufgabe, dies zu beweisen. Das ist alles, was ich von Ihnen verlange.«

»Jetzt belieben Sie aber zu scherzen, Mistress Ward. Wie haben Sie sich das eigentlich vorgestellt?«

»Ihnen wird schon etwas einfallen«, ließ sich die Dame trotzig vernehmen und widmete sich ihrem Gin.

»Wie reizend. Und für diese Information haben Sie sich extra hier­her bemüht? Das hätte auch noch bis morgen früh warten können, meinen Sie nicht?«

»Zeit ist ein kostbares Gut, Mister Connor und Ted verfügt nicht über viel davon, wenn Sie ihm nicht helfen.«

»Was Sie nicht sagen.« »Ihm droht die Todesstrafe«, entgegnete Mrs. Ward und sah mich

eindringlich an. »Seine Verhandlung ist in zehn Tagen. Mister Mathew, unser Anwalt, hat mir heute Nachmittag deutlich zu verstehen gege­ben, dass die Chancen für meinen Bruder schlecht stehen. Wenn die Verteidigung vor Gericht keine Beweise beibringen kann, dass er mei­nen Mann nicht ermordet hat, wird Ted zum Tode verurteilt. Ihm blie­ben also nur noch wenige Tage.« Ihr letzter Satz war nur noch ein lei­ses Flüstern.

»Und da haben Sie sich gedacht, Sie beauftragen einen Schnüff­ler, der die nötigen Beweismittel aus seinem Hut zaubert. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir auch gleich den wahren Täter liefern würden. Das würde die Angelegenheit um einiges vereinfachen.«

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»Ich meine es ernst, Mister Connor, Sie sind meine letzte Hoff­nung! Wenn Sie den Auftrag nicht annehmen, ist Teddy verloren.«

Ich leerte mein Glas Bourbon und dachte nach. Meine Zuversicht hielt sich stark in Grenzen, dass ich Ted davor bewahren konnte, auf Staatskosten wie ein Hähnchen gegrillt zu werden. Andererseits hatte ich bereits gewichtige Argumente in meiner Jacketttasche verstaut und ich war eigentlich nicht bereit, mich wieder von den Dollarnoten zu trennen. Im Grunde genommen hatte ich nicht viel zu verlieren, außer dass Leben eines Mannes, dessen Schwester mich gerade mit ihren tiefgrünen Augen fixierte.

»Sie haben gewonnen«, entgegnete ich. »Ich kümmere mich um die Sache. Aber auf einem Punkt bestehe ich: Kreuzen Sie nie wieder in dieser Bar auf, schon gar nicht um diese Uhrzeit. Haben Sie mich verstanden? Eine Dame Ihrer Klasse sollte ihre Abende eindeutig an­ders verbringen. Sie haben doch bestimmt ein hübsches Hobby. Sti­cken oder Klavierspielen stünde Ihnen in jedem Fall hervorragend zu Gesicht.«

»Ich kann sehr gut allein auf mich aufpassen, Mister Connor«, er­widerte Vivian Ward spitz.

Sie war schlagfertig, das musste ich ihr lassen. Außerdem schien die Anspannung aus ihrem Körper zu weichen, was sie nur noch att­raktiver erscheinen ließ.

»Wie Sie meinen. Dann kommen wir zum Geschäftlichen. Ich ver­lange 40 Dollar pro Tag plus Spesen.«

»In Ordnung. Sagen Sie einfach Bescheid, wie viel Geld Sie benö­tigen.«

»Der Vorschuss sollte fürs Erste genügen, Sie hören dann von mir.«

»Dann sind wir uns also einig?«, fragte Mrs. Ward und schenkte mir ein Lächeln, das mein Herz schneller schlagen ließ.

»Sieht ganz so aus, Lady«, erwiderte ich und bestellte uns bei Dunky die nächste Runde.

*

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hätte ich mich am liebsten gleich einsargen lassen. Der Kater, der mich quälte, hätte ohne Weite­res eine ganze Armee außer Gefecht setzen können. Vorsichtig öffnete ich die Augen, um sie mit schmerzerfüllter Miene gleich wieder zu schließen. Das Tageslicht, das durch die Lamellen der Jalousie fiel und ein gleißendes Streifenmuster auf meinem Kopfkissen bildete, hätte mich fast mein Augenlicht gekostet. Stöhnend drehte ich mich zur Sei­te und bedeckte mein Gesicht mit der Hand. Wie hatte ich nur so ab­stürzen können?, versuchte ich mich an den gestrigen Abend zu erin­nern. Vage stieg das Bild einer rothaarigen Schönheit aus meinem Un­terbewusstsein auf und formte nach einer Weile das Gesicht von Vivian Ward. Jetzt fiel es mir wieder ein: Ich hatte einen neuen Auftrag. Der Gedanke daran vergrößerte schlagartig mein Selbstmitleid. Da ich un­bedingt etwas gegen meine hämmernden Kopfschmerzen unterneh­men musste, zwang ich mich dazu aufzustehen. Blind tastete ich mich zum Badezimmer und gönnte mir eine Hand voll kaltes Wasser, das ich mir ins Gesicht spritzte, sowie zwei Aspirin. Nachdem ich mich eini­germaßen hergerichtet hatte, sodass ich mich wieder unter Menschen trauen konnte, fuhr ich in mein Büro.

»Na, die Nacht wieder durchgemacht?«, flötete Betty Meyer, mei­ne Sekretärin, zur Begrüßung. »Hat Mistress Ward Sie gestern noch auftreiben können?«, fuhr sie fort, ohne meine Antwort abzuwarten.

»Allerdings, Betty. Darüber unterhalten wir uns noch«, versuchte ich meiner Stimme einen drohenden Unterton zu verleihen.

Betty setzte ihre Unschuldsmiene auf und blickte mich erwar­tungsvoll an.

»Was?«, blaffte ich und ließ mich schwer auf meinen Schreibtisch­stuhl fallen.

»Haben Sie den Auftrag, Pat, oder nicht? Als Ihre Angestellte darf ich wohl erwarten, dass Sie mir diese Information nicht vorenthalten.«

»Schon gut, schon gut, Betty. Fangen Sie jetzt bloß nicht an, mich über meine so genannten Pflichten aufzuklären. Machen Sie sich lieber nützlich und vereinbaren Sie im Chicago House of Corrections einen Besuchstermin mit Ted Barker.«

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»Ist das der Bruder von Mistress Ward?«, erkundigte sich Betty und griff zum Hörer, um sich mit dem staatlichen Gefängnis verbinden zu lassen.

»Ja, ja, nun machen Sie schon, ich habe nicht ewig Zeit.«

*

Zwei Stunden später fand ich mich in einer dürftig ausgestatteten Zelle wieder, die für Besuche von Anwälten und Familienangehörigen der Gefangenen zur Verfügung stand. Das Chicago House of Corrections hatte seine besten Jahre bereits hinter sich und ich stellte mir die Fra­ge, wann die Grundmauern des alten Kastens wohl einstürzen würden. Lange würde es sicher nicht mehr dauern, denn das Staatsgefängnis war hoffnungslos überfüllt.

Meine Laune hatte inzwischen den absoluten Nullpunkt erreicht, da ich auf dem Weg zum Besucherraum langwierige Sicherheitskon­trollen über mich hatte ergehen lassen müssen, die mir fast den letz­ten Nerv geraubt hätten. Der Bruder meiner neuen Klientin trug auch nicht gerade dazu bei, dass sich mein Gemütszustand verbesserte. Wie ein Geist war Ted Barker auf der Bildfläche erschienen und hatte sich mit schlurfenden Schritten mir gegenüber an einen schäbigen Tisch gesetzt, dessen Oberfläche von hässlichen Rissen überzogen war. Er trug die übliche graue Gefängniskleidung und seine Hand- und Fußge­lenke zierten stabile Eisenfesseln, die bei jeder seiner Bewegungen ein schepperndes Konzert veranstalteten. Zu meiner Verwunderung war Ted deutlich jünger, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich hätte nicht damit gerechnet, einem Halbstarken zu begegnen, dessen erste Rasur kaum mehr als ein paar Monate zurückliegen durfte.

»Ted, wie alt bist du?«, wollte ich als Erstes wissen, bevor ich mir die haarsträubende Geschichte seiner Verhaftung anhörte.

»Im nächsten Monat werde ich 22«, erwiderte er, ohne mich an­zusehen und musste im nächsten Moment schlucken, da ihm aufzuge­hen schien, dass er diesen Geburtstag möglicherweise in der Todeszel­le zubringen würde.

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»Für dein Alter siehst du verdammt jung aus, Ted«, stellte ich fest und musterte sein blasses Gesicht, in das ihm rotblonde Strähnen fie­len.

»Sind Sie vom Gericht?« »Nein, Kleiner, mein Name ist Pat Connor und ich bin Privatdetek­

tiv. Deine Schwester Vivian hat mir den Auftrag gegeben, dich vor dem heißen Stuhl zu bewahren.«

Ted riss seine wässrig-grünen Augen auf und starrte mich entsetzt an. Die Ähnlichkeit mit seiner Schwester war nicht zu übersehen.

»Na, wir werden das Kind schon schaukeln, Teddy«, beruhigte ich den Jungen wieder. In diesem Moment fiel mir ein, dass Vivian ihren Bruder ebenfalls so genannt hatte. Sein jugendliches Aussehen schrie förmlich danach, dass man ihm einen niedlichen Kosenamen verpass­te.

»Ich habe Angst«, flüsterte Teddy und senkte den Blick. »Nun mal ganz langsam, noch bist du am Leben und in der glück­

lichen Lage, mir deine Version der Geschichte zu erzählen.« »Da gibt es nicht viel zu berichten, Mister Connor. Franklin war

bereits tot, als ich ihn fand.« »Und warum zur Hölle hattest du die Tatwaffe in der Hand, als die

Polizei dich entdeckte?« »Ich kann mich nicht mehr genau erinnern«, erwiderte Teddy ver­

zweifelt. »Das solltest du aber, wenn ich dir helfen soll.« »Ich glaube«, begann Ted stockend, »ich stand unter Schock. Wer

rechnet denn schon damit, eine Leiche zu finden? Wahrscheinlich habe ich nachsehen wollen, ob Franklin tatsächlich tot ist. Und dann fiel mir die Waffe in die Hände.«

»Und du bist ganz sicher, dass du ihn nicht selbst umgelegt hast, Kleiner? Jetzt hast du die einmalige Gelegenheit, dir deinen Kummer von der Seele zu reden. Das hilft ungemein.«

»Franklin war ein Schwein!«, stieß der Junge plötzlich hervor und ballte die Fäuste, was ein heftiges Kettengerassel zur Folge hatte. »Er hat es nicht anders verdient! Er hat Vivian geschlagen, wissen Sie? Und jetzt ist es ein für alle Mal vorbei.«

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»Na, es geht doch, Teddy«, sagte ich freundlich. »Wo hattest du die Kanone her?«

»Oh, nein, verstehen Sie mich nicht falsch, Mister, ich habe Frank­lin nicht ermordet, auch wenn ich ihm oft genug den Tod gewünscht habe.«

»Ist das dein letztes Wort?«, erwiderte ich leicht gereizt. Entweder sagte der Bengel tatsächlich die Wahrheit oder er war ein verdammt guter Schauspieler.

»Selbstverständlich, ich schwöre es beim Leben meiner Schwes­ter.«

Wenn Ted in seiner Bewegungsfreiheit nicht so eingeschränkt ge­wesen wäre, dachte ich grimmig, hätte er sicher die Hand auf die Brust gelegt als Zeichen seiner Aufrichtigkeit.

»Also gut, was hattest du dann um diese späte Uhrzeit im Büro des Bankdirektors zu suchen? Wenn ich mich recht erinnere, wurde Ward nach Dienstschluss erschossen, richtig?«

»Ja, das stimmt. Er hatte mich an diesem Tag um neun Uhr a­bends zu sich bestellt.«

»Warum?«, hakte ich sofort nach. »Den Grund hat er mir nicht genannt. Ich bin einfach zu ihm ge­

gangen. Wenn ich geahnt hätte, was mich erwartet, wäre ich zu Hause geblieben.«

»Das ist nun mal nicht mehr zu ändern, Kleiner. Fällt dir sonst noch irgendetwas ein, was uns weiterbringen könnte?«

»Nein, nicht, dass ich wüsste. Ich habe der Polizei bereits alles ge­sagt, was ich weiß, aber niemand glaubt mir.«

»Ist ja auch kein Kunststück, Ted. Aber zurück zum Wesentlichen: Hatte Mister Ward irgendwelche Feinde? Jemand, der ihm ans Leder wollte?«

»Nein, außer mir fällt mir niemand ein«, entgegnete er und rang sich ein schwaches Lächeln ab.

In diesem Moment wusste ich, dass der Junge mich nicht angelo­gen hatte. Der Mörder von Franklin Ward war weiter auf freiem Fuß und wenn ich ihn nicht bald auftrieb, würde Teddy ihm ein unbe­zahlbares Abschiedsgeschenk machen.

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*

Zwanzig Minuten später saß ich in meinem Plymouth und fuhr zurück in Richtung Business District. Von einem Münzapparat im Chicago House of Corrections aus hatte ich mich mit dem Anwalt der Wards verabredet, der bereits mit meinem Besuch gerechnet hatte und es kaum abwarten konnte, sich mit mir zu treffen. Mister Mathew unter­hielt eine großzügig ausgestattete Kanzlei am East Washington Boule­vard, wie ich kurz darauf feststellen konnte. Eine ältere Dame in einem schwarzen Tweed-Kostüm nahm mich in Empfang und führte mich in das Büro des Anwalts. Sie hatte graue Haare, die streng zu einem Dutt zurückgekämmt waren und trug eine runde Nickelbrille, die auf ihrer Hakennase balancierte. So resolut die Sekretärin wirkte, so aufgelöst erschien dagegen ihr Arbeitgeber. Mathew kam mir mit ausgestreckter Hand entgegen und lachte nervös, als ich die Tür hinter mir schloss.

»Wie schön Sie zu sehen, Mister Connor!«, begrüßte mich der un­tersetzte Advokat, der in einem dunkelblauen Zweireiher steckte und nur noch wenige Haare sein Eigen nennen konnte, als würden wir uns seit Ewigkeiten kennen. Seine schwitzenden Finger schlossen sich um meine Rechte und zu allem Überfluss machte ich auch noch Be­kanntschaft mit seiner anderen Hand, die sich wie ein nasser Wasch­lappen darüber legte. »Mistress Ward hat mich bereits darüber in­formiert, dass Sie sich dieses schwierigen Falles annehmen.«

Ich ignorierte Mathews Kommentar und nahm, nachdem ich mei­nen Hut abgenommen hatte, in einem der braunen Ledersessel Platz, die vor dem wuchtigen Mahagonischreibtisch gruppiert waren. Wäh­rend ich es mir in dem Sessel bequem machte, blieb Mathew unschlüs­sig im Raum stehen wie ein Dienstbote, der verlegen auf Trinkgeld wartete.

»Setzen Sie sich doch, Mister Mathew, dann ist es nicht so unge­mütlich, wenn wir uns unterhalten«, meinte ich und deutete mit einer einladenden Geste auf Mathews Schreibtischstuhl. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie der Kerl sich wohl vor Gericht anstellen würde. In diesem Moment keimte echtes Mitgefühl für Ted in mir auf.

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»Natürlich, natürlich, Mister Connor, Sie haben vollkommen Recht«, entgegnete Mathew und ließ sich seufzend darauf nieder.

»Mistress Ward sieht ihren Bruder bereits auf dem heißen Stuhl. Ich frage mich, was Sie in dieser Angelegenheit bereits unternommen haben. Ich bin sicher, dass Sie sich nicht über das Honorar beklagen können, das sie Ihnen zahlt.«

»Oh«, brachte Mathew mühsam hervor und sein Lächeln gefror zu einer grotesken Grimasse.

»Sie können sich wieder entspannen«, entgegnete ich. »Ich weiß immer gerne, worauf ich mich einlasse.«

»Ich verstehe«, sagte der Anwalt und lehnte sich steif zurück. »Nun, um es auf den Punkt zu bringen: Die Chancen für Ted stehen äußerst schlecht. Ich werde auf Freispruch plädieren, aber die Beweis­last gegen den Jungen ist leider mehr als erdrückend.«

»Sie meinen also, Ted hat keine Chance?« Mathew nickte langsam und starrte auf seine Hände. »Haben Sie irgendeine Vermutung, wer Ward getötet haben könn­

te?«, wollte ich wissen, obwohl ich mir die Antwort bereits denken konnte.

»Da bin ich leider vollkommen überfragt. Ich habe mir über diesen Punkt bereits den Kopf zerbrochen und schließlich Mistress Ward dazu geraten, einen Privatdetektiv zu engagieren, da ich mit meinem Latein am Ende bin.«

»Was können Sie mir über die Wards erzählen? Irgendwelche Lei­chen im Keller?«

»Mister Connor, ich bitte Sie! Selbst wenn es irgendwelche Famili­engeheimnisse gäbe, von denen ich wüsste, sehe ich mich nicht in der Position, Ihnen diese preiszugeben.« Ich bereute bereits, dass ich Ma­thew persönlich aufgesucht hatte und war im Begriff aufzustehen und das Weite zu suchen.

»Wie Sie meinen, Mister Mathew. Wenn Sie mich dann entschuldi­gen würden, ich habe noch zu tun.«

»Nein, nein, um Gottes willen, so habe ich das doch nicht ge­meint!«

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»Dann legen Sie mal los. Es ist sicher auch in Ihrem Interesse, wenn ich bei meinen Ermittlungen so viel wie möglich über die Wards erfahre«, erwiderte ich und ließ mich wieder in den Ledersessel fallen.

»Über die Wards gibt es meines Erachtens nichts Negatives zu be­richten. Vivian und Franklin waren seit acht Jahren verheiratet und sind kinderlos geblieben. Soweit ich weiß, haben sie eine vorbildliche Ehe geführt.«

»Da ist mir anderes zu Ohren gekommen«, unterbrach ich den An­walt, der mir daraufhin einen konsternierten Blick zuwarf.

»Was wollen Sie damit andeuten?«, wollte er wissen und tupfte sich mit einem blütenweißen Stofftaschentuch die Stirn ab, auf der sich glänzende Schweißperlen gebildet hatten.

»Wie mir zu Ohren gekommen ist, soll Ward seine Frau nicht ge­rade mit Samthandschuhen angefasst haben.«

»Die Polizei sieht in diesem hässlichen Gerücht Teds Motiv für den Mord«, entgegnete der Anwalt in einem fast weinerlichen Ton. »Ich kann mir das allerdings beim besten Willen nicht vorstellen.«

»Dem werde ich bei Gelegenheit noch auf den Grund gehen«, nahm ich mir vor und konnte bei dem Gedanken an Vivian Ward nicht verhindern, dass sich meine Mundwinkel nach oben schoben. »Kom­men wir zu einem weiteren Punkt, der mich brennend interessiert: Wie steht es um die finanziellen Verhältnisse der Wards?«

»Meine Mandantin ist Alleinerbin des Ward-Vermögens. Sie hat nicht nur eine schmucke Villa samt Grundstück am Rande der Stadt geerbt, sondern auch Wertpapiere und Bargeld in Höhe von insgesamt zwei Millionen Dollar.«

»Dann hat sie wohl für den Rest ihres Lebens ausgesorgt«, nickte ich anerkennend. Kein Wunder, dass sie die Scheinchen am Vorabend so leicht aus der Hand gegeben hatte. Vielleicht sollte ich meine Hono­rarvorstellungen noch einmal überdenken, sinnierte ich, doch darüber würde ich mir später den Kopf zerbrechen.

»Ja, so kann man es ausdrücken.« »Was ist mit Ted? Wie passt er ins Bild? Ich hatte den Eindruck,

dass Mistress Ward sehr an ihrem Bruder hängt.«

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»Sie sind ein guter Beobachter, Mister Connor. Vivian Ward ist keine Frau, die sich in Sentimentalitäten verliert. Sie steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden, aber wenn es um ihren Teddy geht, ver­steht sie keinen Spaß.«

»Wie darf ich das verstehen?« »Nun, die beiden verbindet ein schweres Schicksal. Als Ted gerade

einmal sechs Jahre alt war, sind die Eltern bei einem schweren Au­tounfall ums Leben gekommen. Seit dieser Zeit hat Mistress Ward sich fast wie eine Mutter um ihren Bruder gekümmert. Ich erinnere mich noch gut daran, als Ted vor zwei Jahren fast wegen Diebstahls ins Ge­fängnis gewandert wäre. Sie hat ihn davor bewahrt, indem sie ihren Mann dazu gebracht hat, alle seine Beziehungen spielen zu lassen.«

Wie sie das wohl angestellt hatte?, schoss es mir durch den Kopf. Wenn Vivian in ihrer Ehe nicht besonders glücklich gewesen war, musste ihr die Bitte umso schwerer gefallen sein.

»Franklin hat in dieser Sache nicht nur den Geschädigten«, fuhr Mathew fort, »sondern auch ein paar Herren von der Polizei mit einer nicht unbeträchtlichen Summe davon überzeugen können, die Anzeige zurückzunehmen und den Fall gänzlich aus den Akten zu entfernen.«

»Dann hatte Ward also doch keine so weiße Weste.« Damit wurde er erpressbar, dachte ich. Allerdings hätte ein Mann in seiner Position sich nicht mit solchen Lappalien die Hände verbrannt. Ward hatte si­cher alle nötigen Vorkehrungen getroffen, dass ihm diese Sache nicht den guten Ruf ruinierte. Selbst wenn er unter Druck gesetzt worden war, konnte ich mir kaum vorstellen, dass ein Erpresser die eigene Geldquelle trockengelegt hätte.

»In diesem Fall wäre Ward wohl eher als Wohltäter in die Ge­schichte eingegangen denn als Verbrecher.«

»Da muss ich Ihnen ausnahmsweise Recht geben, Mathew«, ent­gegnete ich und erntete damit einen freudig überraschten Ge­sichtsausdruck.

»Ich kann nicht leugnen, dass ich mir über diesen Punkt auch schon so meine Gedanken gemacht habe«, ereiferte der Anwalt sich. »Aber...«

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»Jetzt halten Sie mal die Luft an«, unterbrach ich Mathew un­wirsch und stand auf.

Er rang nach Atem und wollte etwas entgegnen, aber ich kam ihm zuvor: »Ich habe mich schon lange nicht mehr so gut unterhalten, aber ich habe Ihre kostbare Zeit lang genug in Anspruch genommen. Halte Sie nur von der Arbeit ab. Wenn mir noch etwas einfallen sollte, das zu fragen sich lohnt, hoffe ich darauf, dass Sie mich nicht im Re­gen stehen lassen. Ich zähle auf Sie, Mister Mathew!«, schloss ich, setzte meinen Hut auf und verschwand durch die Tür.

*

Anwälte waren mir schon immer suspekt gewesen, dachte ich grim­mig, als ich die Kanzlei wieder verlassen hatte. Wie hatte es Mathew nur so weit bringen können? Und weshalb um alles in der Welt durfte er so ein engelsgleiches Geschöpf wie Vivian Ward zu seinen Klien­tinnen zählen? Ich beruhigte mich gleich wieder, denn im Grunde ge­nommen durfte ich mich nicht beklagen. Immerhin durfte auch ich Vivian zu meinen Klientinnen zählen, sodass ich eine Begegnung mit solch einer jämmerlichen Gestalt wie Mathew gerne in Kauf nahm. Ich beschloss, mir erst mal ein ordentliches Frühstück zu gönnen, bevor ich mir weiter die Zähne an diesem Fall ausbiss, der meiner nüchter­nen Einschätzung nach kein gutes Ende nehmen würde.

Nachdem ich mir in Henry's Diner eine riesige Portion Harn and Eggs einverleibt und diese mit ein paar Tassen heißem Kaffee herun­tergespült hatte, angelte ich in meiner Hosentasche nach ein paar Ni­ckel und setzte mich in Richtung des Münzfernsprechers in Bewegung, der direkt neben dem Tresen hing. Ich ließ eine der Fünf-Cent-Münzen in den Schlitz des Apparates gleiten und während ich mich mit Captain Morgan C. Hollyfield, dem Leiter der Mordkommission, verbinden ließ, zündete ich mir eine Lucky an, den Hörer zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt.

»Chicago Police Department, Captain Hollyfield.« »Guten Morgen, Hollyfield, wie läuft das Geschäft?«, meldete ich

mich und inhalierte hörbar den Rauch.

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»Sind Sie das etwa, Connor? Was haben Sie dieses Mal ausgefres­sen?«, entgegnete der Captain grimmig, den ein plötzlicher Hustenan­fall schüttelte.

»Haben Sie sich erkältet, Hollyfield? Versuchen Sie es mal mit ei­nem Schuss Rum in Ihrer warmen Milch. Wirkt Wunder.«

»Doktor Connor, was würde ich nur ohne Ihre unvergleichlichen Ratschläge machen? Nun sagen Sie schon, was Ihnen auf dem Herzen liegt«, herrschte er mich an. Ich hörte durch den Hörer, wie seine Fin­ger ungeduldig auf der Schreibtischplatte trommelten.

»Ich hätte gerne ein paar Auskünfte über den Ward-Mord«, er­widerte ich und stieß den Rauch geräuschvoll wieder aus.

»Hängen Sie sich etwa an die Sache dran, Connor?« »Sieht ganz so aus.« »Lassen Sie mich raten: Sie hatten bereits das Vergnügen mit der

reizenden Witwe des Ermordeten. Vivian Ward ist eine Lady, die eine Nummer zu groß für Sie ist. Verbrennen Sie sich nur nicht die Finger an ihr. Das ist mein ganz persönlicher Rat an Sie, Connor und der kos­tet Sie noch nicht mal einen lumpigen Dollar.«

»Mmh.« »Im Ernst, lassen Sie die Finger von der Sache. Ich möchte keine

Klagen in dieser Richtung hören - weder von Ihnen noch von Mistress Ward. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«

»Sind Sie fertig, Captain? Dann verrate ich Ihnen ein Geheimnis: Ted Ward hat es nicht getan. Ich habe eben im Staatsgefängnis mit ihm gesprochen.«

»Na, dann ist ja alles klar, Connor. Ich lasse den Jungen laufen und mache für heute Feierabend.«

»Keine schlechte Idee«, lachte ich mit der Lucky zwischen den Lippen.

»Glauben Sie, ich habe ganz den Verstand verloren, Connor? Ted ist unser Mann und er wird verurteilt werden. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«

»Ich gebe ja zu, dass der Junge in eine ziemlich unangenehme Lage geraten ist.«

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»Ted hat uns die Tatwaffe förmlich auf einem Silbertablett ser­viert«, unterbrach mich der Captain ungehalten. »Wenn alle Mörder so dämlich wären, hätten wir tatsächlich bald nicht mehr viel zu tun.«

»Aber gerade dieser Umstand sollte Sie stutzig machen, Hollyfield. Ted ist nicht auf den Kopf gefallen. Warum hätte er nach dem Mord noch am Tatort bleiben sollen? Das ergibt keinen Sinn.«

»Ich sehe schon, Vivian Ward hat Sie bereits ganz schön um den Finger gewickelt. Für mich ist die Sache eindeutig: Ted hat Ward er­schossen, weil er es nicht länger mit ansehen konnte, wie der Schwa­ger seine geliebte Schwester behandelt hat. Die drei haben unter ei­nem Dach gewohnt, bevor es passiert ist. Da hat Ted also einiges von den Eheproblemen der beiden mitbekommen. Seine Wut hat sich schließlich so weit gesteigert, dass ihm der Kragen geplatzt ist. Er hat sich eine Kanone besorgt, ist in die Bank spaziert und hat abgedrückt, als er Ward vor der Mündung hatte. Und dann war er wahrscheinlich so perplex, dass er vergessen hat, die Kurve zu kratzen. Er ist eben noch grün hinter den Ohren, davon konnten Sie sich ja heute selbst überzeugen«, schloss der Captain mit einem zufriedenen Schnaufen.

»Wer hat Ihnen eigentlich die Geschichte mit der problematischen Ehe gesteckt?«, wollte ich wissen und erwähnte nicht, dass Vivian die­sen Punkt nicht bestritten hatte.

»Da mussten wir nicht lange fragen. Die Freunde der Wards ha­ben sich in dieser Hinsicht ausführlich genug geäußert. Es war die Re­de von anhaltenden Meinungsverschiedenheiten. Die Hausangestellten wurden noch etwas deutlicher. Es war von heftigen Auseinanderset­zungen die Rede.«

»Verstehe«, meinte ich und steckte mir die nächste Lucky an. »Wer hat Ward gefunden?«

»Henderson. Ist noch nicht lang bei der Truppe, macht seine Sa­che aber gut.«

»Wie sieht er das Ganze?« »Der Mord lässt keinen Raum für Spekulationen. Henderson hat

den Schuss gehört, ist in die Bank gestürmt und hat Ted Barker gefun­den, der über dem Toten kniete, die Waffe noch in der Hand.«

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»Er sagte, er habe die Kanone nur aufgehoben. Ward sei zu die­sem Zeitpunkt bereits tot gewesen.«

»Papperlapapp! Sie glauben doch nicht solche Märchen, ich bitte Sie, Connor! Der Junge hat einfach die Nerven verloren, das ist alles. Außerdem dürfen Sie bei Ihrem heldenhaften Rettungsversuch die Tatsache nicht außer Acht lassen, dass nur Fingerabdrücke von Ted auf der Waffe gefunden worden sind.«

»Jemand anderes hätte die Waffe abwischen und dann am Tatort zurücklassen können.«

»In dieser kurzen Zeit? Das möchte ich doch stark bezweifeln. Henderson war sofort zur Stelle. Er hat an diesem Abend niemanden anderen gesehen außer Ted. Es sei denn, Sie wollen mir weismachen, der wahre Mörder hat sich in Luft aufgelöst und den armen Jungen seinem Schicksal überlassen.«

»So was soll vorkommen«, scherzte ich. »Sie haben wohl heute Morgen einen Clown gefrühstückt.« »So ähnlich«, entgegnete ich und hatte unweigerlich das Bild von

Mathew vor Augen. »Hören Sie, Connor, blasen Sie die Sache ab. Noch ist es nicht zu

spät. Machen Sie von mir aus ein paar Tage Urlaub oder was Ihnen sonst noch Schönes einfällt. Alles andere ist reine Zeitverschwen­dung.«

»Ich werde bei passender Gelegenheit darauf zurückkommen.« Damit verabschiedeten wir uns und ich hängte den Hörer zurück

in die Gabel. Hollyfield schien sich seiner Sache verdammt sicher zu sein. Alle Indizien sprachen eindeutig gegen Ted, daran gab es absolut keinen Zweifel. Doch irgendwo gab es einen Haken. Einen Haken mit den Ausmaßen eines Schiffsankers. Mir war klar, dass es wenig Sinn machen würde, mir Henderson vorzuknöpfen. Er würde mir nicht mehr erzählen, als ich bereits von Hollyfield zu hören bekommen hatte. Sei­ne Version würde nur unwesentlich von der des Captains abweichen, so viel stand fest. Um das Chicago Police Department konnte ich also fürs erste einen Bogen machen. Aber ich wusste bereits, welche Quelle ich als Nächstes anzapfen würde.

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*

Als Brendon Smith in mein Gesichtsfeld getrabt kam, verbesserte sich meine Laune schlagartig. Brendon war nicht nur Redakteur bei der Chicago Tribune und wusste damit über so ziemlich jedes wichtige oder unwichtige Ereignis in der Stadt Bescheid, er war auch ein Freund meines Vaters gewesen, der mich nach dem Tod meiner Eltern unter seine Fittiche genommen hatte.

Nach dem Gespräch mit Captain Hollyfield hatte ich mich direkt mit der Zeitung verbinden lassen und mich wenig später mit Brendon verabredet. Da meine Zeit knapp bemessen war und Brendon wie im­mer in Arbeit erstickte, hatten wir uns darauf geeinigt, uns nur auf ei­nen Drink in Henry's Steak Diner zu treffen, das in der Nähe des Chi­cago Tribune Building an der Ecke East Illinois/North Rush Street lag.

»Wie ich dir schon am Telefon gesagt habe, kann ich nicht lange bleiben, Pat«, begrüßte er mich und ließ sich schnaubend an meinem Tisch nieder. »Ich muss gleich wieder los.«

»Kein Problem. Ich will dich auch nicht lange aufhalten. Was weißt du über die Wards?«, kam ich direkt zur Sache.

»Du meinst den Bankdirektor, der vor ein paar Tagen umgelegt worden ist?«

»Genau den«, erwiderte ich und bestellte mit einer Handbewe­gung zwei Tassen Kaffee. So viel Zeit musste sein.

»Das Übliche: Reicher Schnösel mit Villa, einem Prachtstück von Wagen, einer jüngeren Ehefrau und einer noch jüngeren Geliebten. Gar kein so übles Leben, wäre der Kerl jetzt nicht tot.«

»Ward hatte eine Geliebte?«, hakte ich nach. »Nicht, dass so et­was nicht vorkommen würde, aber ich höre zum ersten Mal davon. Woher hast du diese Information?«

»Einer meiner Jungs hat Ward vor ein paar Monaten zufällig in ei­nem Club draußen in Sugar Grove gesehen. In Begleitung einer jungen Dame, die eindeutig nicht sein angetrautes Weib gewesen ist.«

Der Kaffee kam und wir leerten die Tassen in einem Zug.

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»Hört, hört«, pfiff ich durch die Zähne und bestellte die nächste Runde. »Warum habt ihr die Geschichte nicht an die große Glocke ge­hängt? Das wäre doch ein gefundenes Fressen gewesen.«

»Gut möglich, aber zum einen hätte niemand was davon gehabt, wenn wir die Story gebracht hätten, zum anderen hatte er genügend Geld, um zu verhindern, dass seine schmutzige Wäsche in aller Öffent­lichkeit gewaschen wird, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Sicher. Was weißt du über den Mord?« »Nur, dass der Schwager - wie hieß der Kerl doch gleich?« »Ted Barker.« »Ja, richtig. Dass dieser Ted Barker bis über beide Ohren in der

Sache drinsteckt.« »Er sitzt nicht nur tief in der Tinte, sondern schon bald auf dem

heißen Stuhl, Brendon.« »Was hast du überhaupt damit zu schaffen?« In knappen Worten schilderte ich ihm den Stand der Dinge und

sparte dabei nicht die Stelle aus, wie Vivian Ward mich bei Dunky auf­gelesen hatte, um mich zu engagieren. Brendon lachte laut auf, dass es seinen massigen Oberkörper schüttelte und schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Kaffeetassen klapperten und erregten damit Auf­merksamkeit an den Nachbartischen. Mit gespielter Reue hob Brendon beide Pranken und schenkte den anderen Gästen ein entwaffnendes Grinsen.

»Du hast offensichtlich ein Händchen für solche extravaganten Auftritte«, amüsierte er sich.

»Wem sagst du das?« »Und nun hast du einen Auftrag am Hals, der dir zwar Geld, aber

sicher keinen Ruhm einbringen wird«, fuhr Brendon unbeirrt fort. »Du redest ja schon fast wie Hollyfield.«

»Der gute Captain liegt mit seinen Schlussfolgerungen manchmal gar nicht so falsch, Pat.«

»Diesen Vortrag hatte ich heute schon - vielen Dank, Brendon«, winkte ich ab. »Ich hänge mich an die Geliebte, das ist die erste brauchbare Spur. Du weißt nicht zufällig, wie die Lady heißt?«

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»Ich bin zwar allwissend, aber so allwissend nun auch wieder nicht.«

»Dacht' ich's mir.« »Nur so viel kann ich dir sagen: Die Dame soll gar nicht so übel

ausgesehen haben. Ich hörte in dieser Hinsicht Worte wie ›blond‹ und ›kurvenreich‹.«

»Nicht schlecht.« »Ich wünsch dir in jedem Fall viel Glück«, erwiderte Brendon in

Aufbruchstimmung und hievte seine zweihundert Pfund Lebendgewicht schwerfällig von seinem Platz.

»Danke, kann ich gebrauchen. Wir sehen uns«, rief ich ihm hin­terher, aber Brendon war bereits außer Hörweite.

*

Ward hatte also eine Geliebte, dachte ich auf der Fahrt zurück in mein Büro. Ob Vivian davon gewusst hatte? Im Zweifelsfall half die Beant­wortung dieser Frage auch nicht weiter. In der Detektei angekommen, stellte ich fest, dass Betty bereits Feierabend gemacht hatte. Doch offensichtlich hatte sie den Vormittag nicht nur damit verbracht, sich, wie es ihre Art war, ausgiebigst ihrer Nagelpflege zu widmen und Lö­cher in die Luft zu starren. Neben meinem Anruf hatte sie mindestens ein weiteres Telefonat entgegengenommen, denn auf meinem Schreib­tisch lag ein weißes Stück Papier mit der Notiz, dass Vivian Ward mich so schnell wie möglich zu sehen wünschte. Darunter hatte Betty die Adresse vermerkt. Sosehr mir dieser Gedanke auch gefiel, hatte ich nicht vor, den Nachmittag in trauter Zweisamkeit mit meiner schönen Klientin zu verbringen. Das musste warten.

Ohne meinen Hut abzulegen griff ich zum Hörer und ließ mich mit der Ward-Villa verbinden. Da Vivian offenbar nicht so schnell mit mei­ner Rückmeldung gerechnet hatte, hatte sie sich auf den Weg ins Ge­fängnis gemacht, um ihren Bruder zu besuchen, wie mir der Butler mit sonorer Stimme mitteilte.

Ich ließ ausrichten, dass Vivian frühestens am nächsten Tag mit meinem Besuch rechnen durfte, legte auf, steckte den Zettel ein und

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machte mich gleich wieder auf den Weg, um einen Blick auf das ehe­malige Wirkungsfeld des Bankdirektors zu werfen. Vielleicht hatte ich ja Glück und würde die Gelegenheit bekommen, mich mit Wards Sek­retärin zu unterhalten, die hoffentlich andere Arbeitszeiten hatte als meine liebe Betty.

Ich hatte Glück, denn nur eine Stunde später konnte ich im zwei­ten Stock der Union Trust Bank Laura Moreno auf dem Flur abfangen, die dort mit blassem Gesicht und einer silbernen Kanne, in der ich ausnahmsweise echten Kaffee vermutete, entlang eilte. Sie war An­fang zwanzig und sah mit ihrem pechschwarzen Haar, das sie zu ei­nem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte und dem messerscharf gerade geschnittenen Pony, der den Blick auf ein Paar stahlblaue Au­gen freiließ, umwerfend aus.

Franklin Ward hatte sich zu Lebzeiten wahrlich nicht darüber be­klagen können, nicht von den schönsten Frauen der Stadt umgeben zu sein, musste ich anerkennend zugeben. Vielleicht sollte ich doch noch das Metier wechseln, zog ich ernsthaft in Erwägung.

»Man sagte mir, dass ich Sie hier finden kann. Hätten Sie vielleicht eine Minute für mich, Kindchen?«

Die Kleine blieb stehen und blickte mich mit großen Augen an. »Mein Name ist Pat Connor, private Ermittlungen«, stellte ich mich

vor. »Ich beschäftige mich mit dem Mord an Ihrem ehemaligen Chef.« »Wer hat Sie beauftragt? Wenn es Mistress Ward war, haben Sie

den Weg umsonst gemacht«, entgegnete sie unerwartet heftig. Ich sah, dass ihre Hände zitterten.

»Wer mich engagiert hat, tut nichts zur Sache. Ich weiß nur, dass Ted Barker nicht für Wards Tod verantwortlich ist«, entgegnete ich und nahm ihr die Kaffeekanne ab. »Ich möchte mich nur einen Augen­blick ungestört mit Ihnen unterhalten, das ist alles.«

»Also schön, kommen Sie mit.« Ich nickte stumm und folgte Laura Moreno in einen Raum, der

sich als Vorzimmer zu Wards Büro entpuppte. Da die Tür zum Neben­raum halb offen stand, hatte ich einen guten Blick auf das Zimmer, in dem Ward das Licht ausgegangen war.

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»Sie haben es weit gebracht, Miss«, konnte ich mir nicht verknei­fen zu sagen, während ich mich unverhohlen umsah.

»Sie können hier Platz nehmen, Mister Connor«, war Laura More­nos einziger Kommentar, während sie auf eine Sitzgruppe deutete, die aus zwei Polstersesseln und einem winzigen Glastisch bestand. »Die Kaffeekanne können Sie dort abstellen. Möchten Sie vielleicht eine Tasse?«

»Nein, danke«, erwiderte ich, nachdem ich ihrer Aufforderung nachgekommen war.

Die Kleine setzte sich mir gegenüber und schlug die Beine überei­nander.

»Wie kann ich Ihnen weiterhelfen? Ich habe nicht viel Zeit. Der plötzliche Tod von Mister Ward hat uns hier alle aus der Bahn gewor­fen, wie Sie sich sicher vorstellen können. Fassen Sie sich also bitte kurz.«

»Was können Sie mir über Ward erzählen?« »Nun, Mister Ward war ein vorbildlicher Chef, immer zuvorkom­

mend. Er war nie ausfallend oder hat sich ungehalten gegenüber sei­nen Mitarbeitern verhalten. Im Gegenteil, er war ein großzügiger Mensch, der von allen geschätzt wurde. Ich habe gerne für ihn gear­beitet, das können Sie mir glauben.«

Ob Betty in meiner Abwesenheit auch so über mich redete? Wohl kaum, selbst dann nicht, wenn ich derjenige gewesen wäre, der ins Gras gebissen hätte.

»Wussten Sie, dass Ward eine Geliebte hatte?«, ließ ich die Bom­be platzen und wartete mit Spannung auf Laura Morenos Reaktion.

Die Miene der Kiemen verriet für einen kurzen Augenblick echte Überraschung. Sie zog die Augenbrauen hoch, gewann aber gleich wieder die Kontrolle über ihre Gesichtszüge. Ich stellte mir die Frage, ob sie selbst möglicherweise nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch das Bett mit Ward geteilt hatte.

»Wie kommen Sie auf einen solchen Gedanken, Mister Connor?«, antwortete sie mit einer Gegenfrage.

»Ich sehe keinen Grund, weshalb ich Ihnen meine Quellen preis­geben sollte, Schätzchen. Wissen Sie nun etwas darüber oder nicht?«

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»Ich möchte es einmal so ausdrücken: Wenn tatsächlich etwas an der Sache dran sein sollte«, entgegnete Laura Moreno und beugte sich verschwörerisch auf ihrem Sessel nach vorne, »dann hätte ich es Mis­ter Ward nicht verdenken können!«

»Sprechen Sie nur weiter«, entgegnete ich ungerührt. »Vivian Ward ist eine Schlange!«, stieß sie hervor, während sich

ihre blassen Wangen röteten. »Aber, aber, Miss Moreno, warum dieser plötzliche Gefühlsaus­

bruch?« »Pah, wenn Sie wüssten! Mistress Ward hat ihren Mann verab­

scheut. Nie war ihr irgendetwas gut genug. Immer hatte sie etwas an ihm auszusetzen. Dabei hat sich Mister Ward alle Mühe gegeben, sie zufrieden zu stellen.«

»Ich habe gehört, dass Ward nicht zimperlich war, was seine Frau anbelangte. Er soll sie geschlagen haben.«

»Hat sie Ihnen das erzählt? Glauben Sie ihr kein Wort!« »Manche sehen das offenbar anders. Dem Chicago Police Depart­

ment liegen Aussagen vor, dass die beiden sich oft lautstark gestritten haben.«

»Und wenn schon, sie hat es nicht anders verdient, wenn Sie mich fragen«, entgegnete Wards Sekretärin trotzig und zog einen filmreifen Schmollmund.

»Und das aus dem Munde einer Frau«, lächelte ich. »Ach, kommen Sie mir bloß nicht so. Ich weiß, wovon ich spre­

che.« Was hatten nur alle gegen Vivian Ward?, ging es mir durch den

Kopf. Sollte ich am Ende der Einzige sein, der etwas für die Lady übrig hatte?

»Haben Sie für Ward auch persönliche Dinge geregelt? Termine vereinbart? Besorgungen gemacht?«, lenkte ich das Gespräch wieder in die richtigen Bahnen.

»Selbstverständlich. Ich habe neben den üblichen geschäftlichen Obliegenheiten auch Aufträge privater Natur erledigt.«

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»Ich habe gehört, dass Ward in den letzten Monaten in Sugar Grove gesehen worden ist. In irgendeinem noblen Club. Wissen Sie etwas darüber?«

»Lassen Sie mich nachdenken«, sagte sie und zog die Stirn kraus. »Ja, ich erinnere mich dunkel an eine Verabredung in Sugar Grove, allerdings hat es sich dabei um ein Geschäftsessen gehandelt. Warten Sie, ich kann das für Sie überprüfen.«

»Dafür werde ich Ihnen ewig dankbar sein«, grinste ich und be­obachtete, wie die Kleine sich von ihrem Platz erhob und mit leicht fe­dernden Schritten auf ihren Schreibtisch zusteuerte. Dabei wippte ihr Pferdeschwanz neckisch hin und her. Was für ein Mädchen!

»Was gäbe ich nicht alles dafür, wenn Sie meine Sekretärin wä­ren«, bemerkte ich.

»Schlagen Sie sich das gleich mal wieder aus dem Kopf, Mister Connor«, erwiderte sie, während sie eine Schreibtischschublade auf­zog, aus der sie einen in Leder gebundenen Kalender hervorholte.

»Wieso?«, gab ich mich unschuldig und ließ die Kleine, die nun wieder zur Sitzgruppe zurückgekehrt war, keine Sekunde aus den Au­gen.

»Das können Sie sich nicht leisten«, erwiderte sie mit einem rei­zenden Lächeln und setzte sich wieder.

»Na, das war aber gar nicht nett von Ihnen, Laura.« »Soll ich nun für Sie nachschlagen, wo sich Mister Ward angeblich

mit seiner Geliebten getroffen haben könnte, oder haben Sie bereits das Interesse verloren?«

»Wo denken Sie hin, ich brenne förmlich darauf, dieses Geheimnis von Ihren Lippen zu lesen. Dieser Punkt steht gleich nach Ihrer Ein­stellung in meiner Detektei ganz oben auf meiner persönlichen Wunschliste.«

»Sie sind ja ein richtiger Spaßvogel.« »Was Sie nicht sagen, Schätzchen«, meinte ich und fixierte den

Terminkalender, der auf ihrem Schoß ruhte. »Keine Sorge, ich finde es schon. Dauert nur eine Sekunde«, sag­

te Laura und konzentrierte sich auf den Kalender. Sie blätterte ein paar

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Wochen zurück und begann, die Seiten mit dem Finger abzufahren. Nach einer Weile hielt sie inne und starrte auf einen Eintrag.

»Das ist es: Hier, sehen Sie«, rief sie und hielt mir die betreffende Seite unter die Nase. »Vor fast genau vier Monaten hatte Mister Ward ein Meeting im Slide Club. Ich hatte an diesem Abend einen Tisch für ihn reserviert. Jetzt fällt es mir wieder ein. Er sagte, er wolle sich mit einem alten Schulfreund treffen, mit dem er etwas Geschäftliches zu besprechen habe.«

»Das wird es sein. Sie sind ein Goldstück, Laura! Der alte Schul­freund war allerdings eine Blondine mit einem nicht zu verachtenden Vorbau, wie mir zu Ohren gekommen ist.«

»Das geht mich nichts an. Und selbst wenn etwas an der Sache dran sein sollte, kann ich es Mister Ward nicht verdenken.«

»Ja, ja, ich weiß, Sie kennen keine Sünde und Vivian Ward gehört auf den Scheiterhaufen«, entgegnete ich und stand auf. »Sollten Sie es sich doch noch anders überlegen: Meine Tür steht Ihnen jederzeit offen.«

»Träumen Sie weiter!«, rief mir Laura Moreno hinterher, als ich bereits wieder auf dem Flur und auf dem Weg nach unten war.

*

Es dämmerte bereits, als ich meinen Plymouth noch am gleichen Tag in Richtung Sugar Grove chauffierte. Diesen unscheinbaren Ort weit außerhalb der Stadt hatte sich Ward also als Liebesnest auserkoren, in das er sich mit seinem blonden Häschen zurückgezogen hatte. Da ich ein gutes Stück Fahrt vor mir hatte, beschloss ich, das Seitenfenster zu öffnen und an der Dezimierung meines Lucky Strike-Vorrats zu ar­beiten.

Nachdem ich die Außenbezirke von Chicago hinter mir gelassen hatte, folgte ich der Plank Road, die mich geradewegs aus Windy City hinausführte. Für einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass sich ein dunkler Lincoln an mich gehängt hatte. Ich behielt den Rück­spiegel im Auge, doch nach einer halben Meile war der Wagen wieder verschwunden und tauchte nicht wieder auf.

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Irgendwann passierte ich Naperville und erreichte kurz darauf Au­rora, wo ich den Fox River überquerte, der sich gemächlich das Fluss­bett entlang wälzte. Von dort aus war es nicht mehr weit bis Sugar Grove. Ich holperte eine schmale Landstraße entlang und erreichte kurz darauf mein Ziel. Ich musste mich nicht lange durchfragen, um den Slide Club ausfindig zu machen, denn neben ein paar herunterge­kommenen Absteigen hatte Sugar Grove nicht viel zu bieten. Nachdem ich mich noch einmal vergewissert hatte, dass mir niemand gefolgt war, parkte ich meinen Plymouth in einer Seitenstraße der Chelsea Road und schlenderte zum Slide Club, der, wie ich bald feststellen soll­te, mehr einer drittklassigen Vergnügungsanstalt glich als einem Etab­lissement, in das sich ein Bankdirektor verirrt hätte.

Ich schob mich an dem Gorilla vorbei, der die Tür des Clubs be­wachte und fand mich in einem schmalen Flur wieder, der eine Gar­derobe beherbergte. Hinter dem Tresen stand eine mollige Blondine, die vor einem Vierteljahrhundert sicher einmal eine attraktive Erschei­nung gewesen war.

Ich warf ihr meinen Hut zu und trat durch einen schweren Samt­vorhang hindurch in den eigentlichen Club, der in ein schummriges Licht getaucht war. Vor mir erstreckte sich ein verrauchter Raum mit ein paar Tischen, die sich vor einer kleinen Bühne drängten. Darauf malträtierte ein mittelmäßiger Pianist, der in einem schäbigen Frack steckte, mit theatralischer Gestik gnadenlos ein Klavier, das entweder seinen Meister noch nicht gefunden hatte oder schlicht und ergreifend nicht richtig gestimmt war.

Auf einen Blick sah ich, dass der Slide Club nur spärlich besucht war. Ich schätzte, dass es nicht an der Uhrzeit lag, weshalb die meis­ten Tische leer geblieben waren. Nur weiter hinten konnte ich auf der linken Seite eine Hand voll abgerissener Gestalten ausmachen, die an der Bar lehnten.

An der gegenüberliegenden Wand reihte sich eine Nische an die andere, von denen jede über eine lauschige Sitzecke mit roten Pols­tern verfügte. Meine Vorstellung von einer heißen Affäre, die Ward in diese Provinzstadt verschlagen hatte, löste sich schlagartig in Luft auf.

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Selbst ich konnte, wenn ich gewollt hätte, mir etwas bedeutend An­sehnlicheres leisten.

»Was darf's denn sein?«, begrüßte mich der stabil gebaute Bar­mann gelangweilt, als ich mich zwischen den Tischen, die jeweils von einer kleinen Lampe mit rotem Schirm verunstaltet wurden, hindurch zur Theke vorgekämpft hatte.

»Ein Bourbon wäre fürs Erste nicht schlecht«, antwortete ich und klopfte mir eine Lucky aus der Zigarettenpackung. Ich betete, dass der Fusel in diesem Laden nicht so schlecht schmeckte, wie die Einrichtung aussah.

Nach dem dritten Whiskey, der meine Hoffnungen nicht ent­täuschte, hatte ich mich im Slide Club so weit akklimatisiert, dass ich mich meiner eigentlichen Aufgabe zuwenden konnte. Schließlich hatte ich den weiten Weg nicht gemacht, um mir noch länger die Ohren mit der Kakophonie zu verderben, die der Pianist nach wie vor auf dem Klavier produzierte.

»Ich hatte gehofft, heute Abend einen alten Freund hier anzutref­fen. Ich fürchte, der Mistkerl hat mich versetzt«, eröffnete ich meine Fragerunde.

»Mir kommen die Tränen«, knurrte der Barmann und wandte sich einer Kellnerin mit blondem Bubikopf zu, die auf die nächste Ladung Getränke wartete und sich an einer Zigarette festhielt.

»Warum denn so eilig? Ich muss ihn wirklich dringend sprechen, es geht um sein Mädchen«, ließ ich nicht locker und legte einen Hamil­ton auf die abgenutzte Theke.

»Ich hab' keine Zeit für solche Spielchen«, blaffte mich der Typ an und drehte mir abrupt den Rücken zu.

»Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen, Mister«, schaltete sich die Kellnerin ein und schickte eine Qualmwolke in meine Richtung. Sie griff nach dem Zehn-Dollar-Schein und ließ ihn lächelnd in ihrem Ausschnitt verschwinden.

»Warum nicht, Schätzchen«, entgegnete ich. »Ich suche Franklin. Franklin Ward, um genau zu sein.« Ihrer Miene nach zu urteilen war die Nachricht vom plötzlichen Tod des Bankdirektors noch nicht bis in dieses Kaff vorgedrungen. Damit war ich für den Moment zumindest

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klar im Vorteil. Andererseits verspürte ich wenig Lust, derjenige zu sein, der früher oder später die Nachricht vom Ableben Wards zu über­bringen hatte.

»Was ist mit Franklin?«, wollte die Kellnerin wissen. »Ich habe ihn seit mindestens zwei, drei Wochen nicht mehr hier im Club gesehen.«

Volltreffer - Brendon Smiths Tipp war Gold wert gewesen! Jetzt musste ich nur noch aus der Kleinen herausbekommen, mit wem sich Ward hier getroffen hatte.

»Ich versuche selbst seit ein paar Tagen ihn auf zutreiben«, log ich. »Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass ich ihn heute Abend hier treffen würde.«

»Normalerweise ist Franklin mindestens einmal im Monat hier. Vielleicht weiß Kitty ja, wo er steckt.«

»Kitty?« »Steh hier nicht so rum, Mona, fürs Plaudern wirst du nicht be­

zahlt!«, unterbrach der Barmann, der anscheinend jedes Wort mit an­gehört hatte, unsere nette Unterhaltung.

»Die Pflicht ruft«, säuselte Mona und verdrehte dabei die Augen. »Setz endlich deinen Hintern in Bewegung oder soll ich dir etwa

Beine machen?« »Reg dich ab, Ray, du bekommst sonst noch einen Herzinfarkt.«

Damit schnappte sich die Blondine das Tablett und stolzierte davon. Bevor ich den ungehobelten Klotz hinter der Theke verfluchen konnte, drehte sich Mona noch einmal zu mir um und meinte: »Sie können Kitty gar nicht verfehlen, sie hat gleich ihren Auftritt.«

Sieh an, Ward hatte sich also ein Tingeltangel-Girl angelacht. »Sagen Sie ihr, dass ich sie sprechen will«, rief ich Mona hinter­

her. Um die Zeit totzuschlagen, bestellte ich noch einen Bourbon, den

mir Ray mit Widerwillen vorsetzte. Nach zwei weiteren Runden und ein paar Luckies wurde meine Geduld schließlich belohnt, denn der Kla­vierspieler setzte für einen Augenblick aus, um den Höhepunkt des Abends anzukündigen: »Ladies and Gentlemen, begrüßen Sie mit mir eine der vielversprechendsten Sängerinnen unserer Tage. Wie jeden

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Abend wird sie ihr Publikum mit ihrer unvergleichlichen Stimme ver­zaubern. Applaus für Miss Kitty!«

Während der Folterknecht sich wieder an sein Instrument begab, setzte mäßiger Beifall ein, der sich auch nicht verstärkte, als Kitty auf die Bühne rauschte und sich vor dem Mikrofon aufbaute. Sie trug ein langes, mit silbernen Pailletten besetztes Kleid und dazu passende schwarze Seidenhandschuhe, die ihr bis zum Ellenbogen reichten. Ihr blondes Haar war kurz geschnitten und zu einer Wasserwelle frisiert, sodass es sich eng an ihren Kopf schmiegte. Kitty war stark ge­schminkt und ich vermutete, dass sich unter den vielen Schichten Make-up ein junges Gesicht verbarg. Ihr Vortrag, der folgte, war zwar anrührend, doch nüchtern betrachtet gerade mal Durchschnitt. Sie würde es nie auf die großen Bühnen Chicagos schaffen, so viel stand fest. Nach drei Liedern verzog sie sich wieder von der wackligen Bühne und überließ die Gäste dem Frack am Klavier.

Nach einer halben Ewigkeit kreuzte Mona neben mir auf und flüs­terte mir halblaut zu: »Kitty will Sie sehen, Sie Glückspilz. In einer hal­ben Stunde macht sie Feierabend und erwartet Sie dann am Hinter­ausgang.«

Ich drückte der Kellnerin einen weiteren Hamilton in die Hand, den sie wie den ersten mit einem Lächeln auf den Lippen in ihrem Aus­schnitt verschwinden ließ. Dann eilte sie wieder davon, denn sie hatte offenbar keine Lust, sich noch mal mit dem Barkeeper anzulegen. Ich bestellte einen weiteren Bourbon und vertrieb mir die nächsten zwan­zig Minuten damit, meine letzten Luckies zu rauchen. Dann stand ich auf, knallte ein paar Dollar auf den Tresen und strebte Richtung Hin­terausgang, nicht ohne vorher meinen Hut an der Garderobe aufge­lesen zu haben.

Der gesalzene Fausthieb, der mich drei Sekunden später ohne Vorwarnung in der Magengegend traf, als ich aus dem Hinterausgang des Slide Club trat, ließ mich schlagartig nüchtern werden. Ich krümm­te mich vor Schmerzen, riss jedoch sofort die Arme hoch, um nicht noch einen Haken dieser Art einstecken zu müssen. Im Augenwinkel sah ich, dass ich es nicht nur mit einem, sondern gleich mit drei An­greifern zu tun hatte.

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In einem von ihnen erkannte ich den Barkeeper wieder, der sich mit einem gefährlichen Knurren auf mich stürzte, während die anderen beiden mich in die Zange nahmen. Ich bereute sofort, dass ich zu mei­nem abendlichen Ausflug aufs Land nicht meinen 38er Smith & Wes­son mitgenommen hatte. Mit aller Kraft bäumte ich mich auf und ver­setzte dem Schrank zu meiner Linken einen Schwinger.

Der Kerl stöhnte laut auf und sackte zur Seite weg. Zu spät konnte ich allerdings auf Ray reagieren, den ich mit einem Fußtritt zu bremsen versuchte. Ich trat ins Leere und konnte nicht verhindern, dass der Barmann mir mit voller Wucht seinen massigen Ellenbogen ans Kinn rammte.

»Wir sehen es hier nicht gerne, dass unsere Damen belästigt wer­den!«, zischte Ray und ließ einen weiteren Kinnhaken folgen. »Au­ßerdem gefällt mir dein Gesicht nicht. Du stellst eindeutig zu viele Fra­gen!«

Ich schnappte nach Luft und spürte, wie mir Blut in den Mund schoss. Beim nächsten Treffer, den der Barmann direkt zwischen mei­nen Augen landete, knickten mir die Knie ein und ich ging zu Boden. Als Letztes bekam ich noch mit, wie Ray und der andere Typ meinen schlaffen Körper mit einer Salve Schläge und Tritte bedachten, bevor mir endgültig das Licht ausging.

*

»Was haben die nur mit Ihnen angestellt?«, hörte ich wie durch eine Nebelwand eine weibliche Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam.

Ich versuchte die Augen zu öffnen, ließ es aber gleich wieder blei­ben, da mich ein heftiger Schmerz durchzuckte. Stöhnend drehte ich meinen Kopf zur Seite und stellte zu meiner Freude fest, dass ich mich nicht mehr in dem düsteren Hinterhof zum Slide Club befand, sondern irgendwo im Inneren eines Hauses. Ein barmherziger Samariter hatte es tatsächlich geschafft, meinen geschundenen Körper auf ein Sofa zu betten.

»Wie geht es ihm?«, meldete sich eine andere Stimme zu Wort. »Soll ich einen Arzt holen?«

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»Nur über meine Leiche«, brachte ich mühsam hervor und ver­suchte dabei, den metallischen Geschmack auf der Zunge loszuwer­den, indem ich mehrmals schluckte. »Es geht schon wieder.« Wenn ich mich noch immer in Sugar Grove aufhielt, ratterte es in meinem lädier­ten Schädel, wollte ich mich auf gar keinen Fall der Behandlung eines ortsansässigen Quacksalbers unterziehen. An den jetzigen Blessuren hatte ich bereits meine Freude.

»Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, aus welchem Grund Ray so ausgerastet ist«, meldete die erste Stimme sich wieder zu Wort.

»Wir sollten ihm etwas Eis besorgen.« »Und etwas zu trinken«, ergänzte ich im Flüsterton und dachte

dabei nicht an ein Glas Wasser. In Erwartung eines Drinks war mein nächster Versuch, die Augen

zu öffnen, von größerem Erfolg gekrönt. Zumindest gelang es mir, das rechte Lid aufzuklappen. Mein linkes Auge war dagegen so ange­schwollen, dass es sich keinen Inch bewegte. Verschwommen tauchte ein Gesicht über mir auf, das mir vollkommen fremd war, wenn ich meinem Erinnerungsvermögen noch trauen konnte.

»Wo zur Hölle bin ich?«, stöhnte ich, während das Gesicht wieder verschwand.

»Wir haben Sie aus der Nähe des Slide Club fortgeschafft«, kam es von der anderen Seite des Raumes. Das musste Kitty sein, reimte ich mir zusammen. Deshalb war mir die Stimme, die vorhin noch von einem schiefen Klavier begleitet worden war, gerade auch so bekannt vorgekommen.

»Ray hätte Sie noch umgebracht«, fuhr die Sängerin mit bebender Stimme fort, »wenn ich ihn nicht zurückgehalten hätte. Bobby hat Sie dann mit seinem Wagen zu uns nach Hause gefahren.«

»Bobby?« »Der Türsteher. Bobby schuldete mir noch einen Gefallen, deshalb

hat er Sie aus Rays Reichweite gebracht.« »Hier, nehmen Sie das.« Damit schob sich das fremde Gesicht

wieder in mein Blickfeld. Es gehörte einer Brünetten, die mich aufmun­ternd anlächelte und mir einen Eisbeutel vor die Nase hielt.

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Ich streckte die Hand danach aus und presste mir das Eis auf das geschwollene Auge. Sofort verzog ich das Gesicht und biss die Zähne zusammen. Nach mehreren Anläufen gelang es mir etwas später, mich aufzurichten, sodass ich den Kräuterlikör entgegennehmen konnte, den die Kleine mir reizenderweise reichte. Ich nippte erst vorsichtig an dem Fusel, um ihn dann in einem Zug die Kehle hinunterzustürzen.

»Ich heiße übrigens Susan«, stellte sich die Brünette vor. »Hocherfreut«, krächzte ich und gab ihr das Glas zurück. »Ich hoffe sehr, es war kein Fehler, dass ich Sie mit zu uns nach

Hause genommen habe«, sagte Kitty. Sie stand mit dem Rücken zu uns am Fenster und hatte noch das gleiche Abendkleid am Leib, das sie bei ihrem Auftritt getragen hatte. Neu war nur eine Stola, die sie sich um ihre schmalen Schultern gelegt hatte.

»Das hoffe ich auch, Kitty«, entgegnete ich mürrisch. Mir war wie­der eingefallen, warum ich nach Sugar Grove gefahren war und es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Tränen fließen würden.

»Susan, Schätzchen, würden Sie uns mal für einen Augenblick al­lein lassen?«

»Ich verstehe nicht...« »Tun Sie uns einfach den Gefallen, Liebes. Ich habe nämlich nicht

vor, in diesem hübschen Apartment Wurzeln zu schlagen.« »Aber...«, setzte Susan an, während Kitty sich langsam umwandte

und ihre Freundin mit wütenden Augen anfunkelte. Wortlos verließ die Kleine den Raum und schlug die Tür heftig hin­

ter sich zu. Da ich meine Knochen so weit wieder sortiert hatte, setzte ich mich vollständig auf und musterte erst das Zimmer, in dem ich aufgewacht war und dann Miss Kitty, die sich gerade auf einen Sessel gegenüber dem Sofa sinken ließ.

»Hat Franklin Sie zu mir geschickt?«, überzog ein Hoffnungs­schimmer ihr Gesicht. Offensichtlich ahnte sie noch nicht, dass ich kei­ne guten Nachrichten für sie hatte. Das Unglück nimmt seinen Lauf, stöhnte ich innerlich. Ich hustete und entgegnete so ruhig wie mög­lich: »Ward ist tot, Kitty.«

In Sekundenbruchteilen verlor das Starlet seine Fassung: Kittys Hand flog zu ihrem Mund und mit weit aufgerissenen Augen unter­

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drückte sie einen Schrei. Ich sah, dass unter ihrem Make-up jede Far­be aus ihrem Gesicht wich. Ihre Brust hob und senkte sich heftig und sie rang nach Luft, dass ich schon fürchtete, sie fiele jede Sekunde in Ohnmacht. Als hätte ich nicht schon genug Ärger am Hals.

Widerstrebend schälte ich mich aus den Polstern und machte ei­nen Schritt auf Kitty zu. Im gleichen Augenblick sprang sie auf und stürzte sich schluchzend auf mich. Ich fing sie ab, aber anstatt sich wieder zu beruhigen, legte die Kleine jetzt erst richtig los. Sie versuch­te sich aus meinem Griff zu winden und trommelte mit ihren kleinen Fäusten auf meinen Brustkorb.

»Reißen Sie sich zusammen, Kitty«, keuchte ich und versuchte, ih­re Arme zu fassen zu bekommen.

»Sie elender Mistkerl«, schrie sie hysterisch und schlug immer wil­der auf mich ein.

Da es mir langsam reichte und Kitty nicht die geringsten Anstalten machte, ihrem Gefühlsausbruch Herr zu werden, packte ich grob ihren Arm und verpasste ihr mit der Rechten eine schallende Ohrfeige. Sie taumelte zurück, stieß gegen den Sessel und landete unsanft auf dem Polster. Hasserfüllt starrte sie mich an, während ihre Lippen sich zu ei­nem schmalen Strich formten und Tränen über ihre Wangen rannen, die hässliche Make-up-Schlieren hinterließen.

In diesem Moment wurde die Tür plötzlich aufgerissen. Susan, die offensichtlich von unserem Lärm aufgescheucht worden war, stürmte ins Zimmer und fixierte erst mich und dann ihre aufgelöste Freundin.

»Dauert noch 'nen Moment«, versuchte ich sie loszuwerden, da ich bereits mit Kitty vollauf beschäftigt war. »Sie bekommen Ihren Auf­tritt noch.«

Ohne ein Wort verschwand die Kleine wieder und war dieses Mal so rücksichtsvoll, nicht die Tür hinter sich zuzuschlagen.

»Bevor Sie noch auf falsche Gedanken kommen, Kitty: Ich habe Ihren Geliebten nicht umgelegt«, ließ ich sie kurz darauf wissen und nahm wieder auf dem Sofa Platz.

»Franklin wurde ermordet?«, heulte sie auf. »So ist es. Deswegen bin ich ja hier«, entgegnete ich und schil­

derte ihr die Umstände, indem ich nur das Notwendigste von mir gab.

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»Mich wundert nur, dass Sie noch keinen Wind von der Geschichte be­kommen haben. Hätte nicht gedacht, dass Sugar Grove derart hinter­wäldlerisch ist.«

»Sie haben ja keine Ahnung!«, stieß Kitty hervor, um im nächsten Moment in düsteres Schweigen zu versinken. Meine Abreibung hatte sie offensichtlich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

»Wie lange hatten Sie schon ein Verhältnis mit Ward?«, wollte ich wissen.

»Etwa ein halbes Jahr«, flüsterte Kitty und senkte den Blick. So gefällst du mir schon viel besser, dachte ich.

»Wussten Sie, dass er verheiratet war?« »Natürlich«, entgegnete sie bitter und fuhr sich mit dem Handrü­

cken übers Gesicht. »Und Sie haben keinen Gedanken daran verschwendet, dass der

feine Herr nicht mehr im Sude Club aufgetaucht ist, um Ihrer engels­gleichen Stimme zu lauschen?«

»Sie verstehen rein gar nichts«, antwortete sie bissig. »Dann klären Sie mich doch mal auf, Kitty.« »Franklin wollte mich heiraten«, erwiderte sie. Erneut schüttelte

sie ein tiefes Schluchzen. »Er meinte, in absehbarer Zeit müssten wir uns keine Sorgen mehr über die Zukunft machen. Im Gegenteil: Frank­lin hat immer damit geprahlt, dass ich bald in Geld baden könnte.«

Jetzt wurde die Sache interessant. Denn Ward hatte sicher nicht vorgehabt, sein neues Leben mit ein paar Dollarnoten aus seinem Sparstrumpf zu bestreiten.

»Deshalb kam es mir auch nicht ungewöhnlich vor, dass er mich in den letzten Tagen nicht mehr besucht hat«, fuhr Kitty fort. »Schließ­lich hat er gesagt, ich müsse mich nur ein bisschen gedulden.«

»Wann war das?« »Vor ungefähr zweieinhalb Wochen«, erwiderte sie matt.

*

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Ich rechnete nach: Kurz darauf hatte Ward bereits den Löffel abgeben müssen. Und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dies Zufall gewesen sein sollte.

»Das war auch das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe«, fuhr sie unter einem neuen Schwall Tränen fort.

»Sie haben nicht zufällig eine Ahnung, was Ward damit gemeint haben könnte?«

Kitty schüttelte langsam den Kopf und schluchzte: »Franklin wollte mich hier rausholen, verstehen Sie? Ich dachte: Bald bin ich hier weg, dann muss ich nicht mehr in diesem heruntergekommenen Club sin­gen.«

»Tja, Kindchen, daraus wird wohl nichts«, erwiderte ich, worauf­hin Kitty in noch heftigeres Schluchzen ausbrach.

»Ist ja gut. Neues Spiel, neues Glück. Sie finden schon irgend-wann jemanden«, versuchte ich sie zu beruhigen, denn die Tränen einer Frau waren Gift für meinen bereits angeschlagenen Denkapparat. Kitty scherte sich allerdings wenig darum. Wovon zum Teufel hatte Ward gesprochen?, grübelte ich und versuchte, Kittys Geheul zu igno­rieren. Im Endeffekt, kam ich zu dem Schluss, blieben nur zwei Mög­lichkeiten: Entweder war tatsächlich etwas an der Geschichte dran oder Ward hatte seiner jungen Geliebten die üblichen Lügen aufge­tischt, die ein reicher älterer Herr nun mal benutzte, um junges Fleisch weich zu klopfen.

»Denken Sie nach, Kitty! Irgendeinen Anhaltspunkt muss es schließlich geben.«

»Aber ich habe doch keine Ahnung, Mister Connor! Erst sagen Sie mir, Franklin sei tot, ja sogar ermordet worden und dann quälen Sie mich auch noch mit solchen Fragen, die ich beim besten Willen nicht beantworten kann.«

»Nun reißen Sie sich gefälligst zusammen, Schätzchen! Ich mache das hier auch nicht zum Vergnügen. Außerdem wollen Sie doch be­stimmt erfahren, wer Ihren reizenden Bankdirektor auf dem Gewissen hat.«

»Natürlich«, hauchte sie.

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»Dann sind wir uns also einig. Ich frage Sie noch einmal: Hat sich Ward in den letzten Monaten in irgendeiner Weise anders verhalten als sonst?«

Kitty reagierte mit einem Kopfschütteln. »Hatte er vielleicht mit jemandem Kontakt, der Ihnen nicht be­

kannt war?« »Von seinem Leben in Chicago weiß ich so gut wie nichts. Wir ha­

ben uns nur in Sugar Grove getroffen.« »Und da haben Sie die Zeit sicher anders genutzt, kann ich mir

vorstellen, als über geschäftliche Dinge zu plaudern, nicht wahr?« Kitty errötete und wandte sich empört von mir ab. »Sie brauchen nichts weiter sagen, ich weiß es bereits. Machen

wir uns also nichts vor.« »Hören Sie auf damit!« »Ich verschwinde auf der Stelle, wenn Sie endlich den Mund auf­

machen, Herzchen!«, knurrte ich. »Es liegt ganz bei Ihnen.« Meine Gastgeberin zog undamenhaft die Nase hoch. Dann stand

sie plötzlich auf und bezog wieder ihren Platz am Fenster. Gerade in dem Moment, als ich kurz davor war, meinen Abstecher nach Sugar Grove für reine Zeitverschwendung zu halten und drauf und dran war, so schnell wie möglich aus diesem gottverlassenen Nest zu verschwin­den, sagte Kitty: »Vielleicht war da doch etwas, das von Bedeutung sein könnte. Ich habe mir damals nichts dabei gedacht, aber je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir.«

»Nun spucken Sie's schon aus!« »An einem Abend hatte ich plötzlich Franklins Jackett in der Hand.

Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe, aber...« »Sparen Sie sich diesen Teil und kommen Sie zum Wesentlichen!« »Ich habe eine Notiz in seinem Portemonnaie gefunden.« Ich wusste schon, warum ich mir keine Geliebte zugelegt hatte.

Frauen bedeuteten entweder Ärger oder richtig großen Ärger. »Was stand darauf?«, wollte ich wissen und überging die Frage,

warum Kitty Wards Anzug gefilzt hatte. »Ein Name.«

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»Mit Buchstaben, nehme ich an. Wären Sie vielleicht so gütig und verraten mir auch die Reihenfolge?«

»Lassen Sie mich überlegen. Ich glaube, der Name lautete Alvar­do. So etwas in der Art. Vielleicht war es auch Alvarado, da bin ich mir nicht ganz sicher.«

»Und weiter? Sonst stand nichts dabei? Ein Vorname zum Bei­spiel?«

»Nein. Oder doch! Ich erinnere mich an eine Initiale, ja, ich bin fast überzeugt, dass es ›S. Alvarado‹ hieß. Und daneben eine Telefon­nummer. Danach brauchen Sie jedoch erst gar nicht zu fragen. Die bekomme ich beim besten Willen nicht mehr zusammen.«

»Wer hätte das gedacht«, meinte ich und stand auf. Aber immer­hin hatte ich nun etwas, mit dem ich arbeiten konnte. Wer immer die­ser Alvarado war, er durfte sich auf meinen Besuch gefasst machen.

»Was haben Sie jetzt vor?« »Mir wird schon was einfallen, Kitty. Zerbrechen Sie sich darüber

mal nicht Ihr hübsches Köpfchen.« »Aber Sie werden doch an mich denken, oder?«, flüsterte Kitty

und drehte sich wieder zu mir um. In ihren Augen lag ein Ausdruck der Verzweiflung. Oder Hoffnung. Oder beides zusammen. »Ich meine, wenn es vorbei ist.«

Es war Zeit zu gehen. Je früher, desto besser. »Danke, ich finde selbst hinaus«, antwortete ich und ließ Kitty oh­

ne ein weiteres Wort in ihrem Apartment zurück.

*

Die Rückfahrt war eine elende Quälerei. Auf einem Auge halb blind, die holprige Straße schickte schmerzende Stiche durch meinen Körper und die Erschöpfung versuchte beständig in den Schlaf zu fliehen. Als ich endlich die Lichter von Chicago zu sehen bekam, beschloss ich, Vivian Ward einen spontanen Besuch abzustatten. Eigentlich war ich nicht in der Verfassung dazu, aber manche Dinge vertragen einfach keinen Aufschub.

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Es musste zwar bereits weit nach Mitternacht sein, aber auf den Schönheitsschlaf der Lady konnte ich keine Rücksicht nehmen. Ich fischte Bettys Notiz mit der Adresse der Wards aus meinem Jackett und bog eine halbe Stunde später in die entsprechende Straße ein, die in fahles Mondlicht getaucht war. Langsam ließ ich meinen Plymouth den Gehweg entlang rollen, bis ich die richtige Hausnummer ausfindig gemacht hatte.

Brendon Smith hatte nicht übertrieben, die Wards hatten ihr Ver­mögen in der Tat sehr gut angelegt. Die weiß gestrichene, zweistöcki­ge Villa entsprach mit ihrer ausladenden Treppe, die auf eine von Mar­morsäulen eingerahmte Veranda führte, durchaus den Ansprüchen der Oberen Zehntausend. Ich hielt an, stellte den Motor ab und quälte mich aus dem Wagen.

Das Haus, hinter dem sich aller Wahrscheinlichkeit nach eine nicht minder ansehnliche Gartenanlage erstreckte, lag in tiefster Dunkelheit. Langsam, mit vorsichtigen Schritten, schlich ich die Treppenstufen hinauf und drückte auf die messingfarbene Klingel. Nichts rührte sich. Ich versuchte es noch einmal und schlug zusätzlich mit der Faust ge­gen den Holzrahmen. In der Ferne bellte irgendein gottverlassener Köter.

Nach dem fünften Klingeln, ich war schon überzeugt, dass das Vö­gelchen ausgeflogen war, flammte hinter einem der Fenster im Erdge­schoss ein Licht auf. Ich hörte, wie ein Schlüssel umgedreht wurde. Als die Tür sich endlich öffnete, verschlug es mir den Atem: Vor mir stand in voller Größe Vivian Ward, die noch schöner war, als ich sie in Erin­nerung gehabt hatte.

Sie trug einen dunkelgrünen knöchellangen Hausmantel aus dün­ner Seide, der wie ein Wasserfall ihre Figur umspielte. Bei jeder Bewe­gung schimmerte es und reflektierte das sanfte Licht der Deckenlam­pe. Hinter ihr konnte ich eine Wendeltreppe ausmachen und links da­von ein weitläufiges Wohnzimmer, dessen Boden mit Marmor ausge­legt und mit schweren Läufern bedeckt war.

»Ich hoffe, es gibt einen guten Grund, weshalb Sie mich um diese Uhrzeit um meinen Schlaf bringen, Mister Connor«, ergriff Vivian als Erste das Wort.

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Sie hatte die Arme um den Oberkörper geschlungen und schien zu frieren. Ihr verschlafener Gesichtsausdruck verriet, dass ich sie tat­sächlich aus dem Bett geholt hatte.

»Mmh«, brummte ich nur und schob mich an ihr vorbei. Dabei streifte ich ihren Arm und konnte die Wärme ihres Körpers spüren. In diesem Augenblick konnte ich mir plötzlich etwas Besseres vorstellen, als Vivian von meinem Abstecher nach Sugar Grove zu berichten.

»Wie sehen Sie überhaupt aus?«, war ihre nächste Frage, die ich ebenfalls überging, während ich meinen Hut abnahm und geradewegs auf die helle Sitzgruppe zusteuerte, die großzügig im Raum verteilt war. Über mein lädiertes Gesicht wollte ich mir momentan keine Ge­danken machen. Ich ließ mich auf die nächstbeste Couch fallen und vertrieb damit eine weiße Perserkatze, die mit einem spitzen Miauen und hochgestelltem Fell die Flucht vor mir ergriff. Mit einer unwahr­scheinlichen Geschwindigkeit schlug das Mistvieh einen Haken, um dann im Nebenzimmer zu verschwinden.

»Was für eine nette Begrüßung«, sagte ich und legte die Beine hoch.

»Sie gehören nicht gerade zu der feinfühligen Sorte Mensch, o­der?«, entgegnete Vivian leicht gereizt, ohne sich von der Stelle zu rühren.

»Ihr lästiger Hausgenosse wird schon wieder auftauchen. Spre­chen wir lieber über den Umstand, dass Ihr werter Gatte ein Verhältnis mit einer mittelmäßigen Nachtclub-Sängerin hatte. Wussten Sie darü­ber Bescheid, Vivian? Und versuchen Sie erst gar nicht, mir irgendet­was vorzumachen, verstanden?«

»Natürlich wusste ich es«, entgegnete sie ohne zu zögern. »Möch­ten Sie vielleicht einen Drink? Bourbon war doch das Getränk Ihrer Wahl, nicht wahr?«

Ich nickte und sah zu, wie Vivian zu einer Anrichte aus Kirsch­baumholz ging, der sie eine Kristallkaraffe und zwei dazu passende Gläser entnahm. Damit kehrte sie zurück und schenkte uns im Stehen ein. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie barfuss war.

»Sie haben es also gewusst«, griff ich den Faden wieder auf, nachdem ich ihr eines der Gläser abgenommen hatte. »Und da haben

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Sie sich gedacht, dass dieses unwesentliche Detail für meine Ermitt­lungen nicht von Bedeutung sei, oder wie darf ich das verstehen?«

»Mister Connor, ich habe Sie nicht engagiert, damit Sie mir mitten in der Nacht irgendwelche unsinnigen Vorhaltungen machen und schon gar nicht, dass Sie mir die Seitensprünge meines Gatten auflis­ten«, erwiderte Vivian ungerührt und ließ sich auf dem gegenüberlie­genden Sofa nieder. Dabei lehnte sie sich gegen ein großes Kissen, das an der Seite steckte und zog ihre schlanken Beine an. Sie sah aus wie hingegossen und ich merkte widerwillig, wie mir zusehends wär­mer wurde.

»Darüber entscheide ich immer noch selbst«, begann ich wütend zu werden. Nichtsdestoweniger blieb mein Blick an ihr hängen und ich begann darüber zu spekulieren, was Vivian wohl unter ihrem Haus­mantel trug.

»Ich konnte ja nicht ahnen, dass Sie sich für die schmutzige Wä­sche meines Mannes interessieren«, entgegnete Vivian leicht belustigt und nahm einen Schluck Whiskey. »Aber im Ernst: Ich habe nicht mit Ihnen darüber gesprochen, weil es Sie erstens rein gar nichts angeht und ich zweitens nicht dachte, dass dies von Bedeutung sei. Ich will nur, dass Teddy so schnell wie möglich aus diesem furchtbaren Ge­fängnis herauskommt. Das ist alles.«

»Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass Sie Teddy mit Ihren Mätzchen wertvolle Zeit gekostet haben, Lady. Hätte ich früher davon erfahren, säße ich jetzt nicht bei Ihnen, sondern bei einem gewissen Alvarado oder Alvardo im Wohnzimmer.«

Vivians Miene verdunkelte sich und ich befürchtete bereits, sie würde jeden Moment die Nerven verlieren. Nicht schon wieder! Kittys Vorstellung hatte meinen Bedarf an derartigen Ausbrüchen bereits für heute gedeckt. Doch als würde Vivian ahnen, was sich gerade in mei­nem Kopf abspielte, riss sie sich zusammen und entgegnete eisig: »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«

»Nun, die Geliebte Ihres Mannes hat mir erzählt, dass Franklin mit ihr durchbrennen wollte.«

Zu meiner Überraschung zeichnete sich auf Vivians Gesicht ein müdes Lächeln ab.

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»Sprechen Sie nur weiter, Mister Connor.« »Sie meinte, dass er irgendeine große Sache am Laufen hatte und

sie bald von hier fort gegangen wären.« »So, das sagte die Dame also«, lachte sie auf. »Ich weiß nicht, was daran so amüsant sein soll«, ärgerte ich

mich. »Dafür gibt es eine einfache, aber logische Erklärung: Franklin

hätte mich niemals verlassen«, erwiderte Vivian, dieses Mal ohne eine Spur von Ironie oder Hass.

»Was macht Sie da so sicher?«, erkundigte ich mich und hielt das geleerte Kristallglas zur Kühlung an mein geschwollenes Auge.

»Waren Sie jemals verheiratet?« »Nein, das blieb mir zum Glück bislang erspart.« »Dann wissen Sie auch nicht, wovon ich spreche.« »Ich beneide Sie keineswegs um diese Erfahrung«, konterte ich

und schenkte Vivian ein breites Grinsen. »Damals fing alles so wunderbar an«, ließ sie sich nicht beirren,

»als ich Franklin kennen gelernt habe. Ich glaubte sofort an Liebe auf den ersten Blick und mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass sich jemals etwas zwischen Franklin und mir ändern könnte.«

»Alles ist vergänglich.« »Da muss ich Ihnen ausnahmsweise einmal zustimmen«, erwider­

te Vivian und stellte ihr Glas neben dem Sofa auf einem der Persertep­piche ab. »Jedenfalls hat sich unsere Ehe ganz langsam, ja fast schlei­chend verändert. Und dann fing Franklin an, mich zu schlagen. Er hat sich zwar danach immer bei mir entschuldigt und schob seine Wut­anfälle, die er schon bei der geringsten Kleinigkeit bekam, auf den Al­kohol, den er in rauen Mengen zu trinken pflegte. Aber bei jedem Streit wurde es schlimmer. Sie machen sich vielleicht keinerlei Vor­stellung davon, aber es war die Hölle.«

Ich ersparte mir einen Kommentar und fragte stattdessen: »Und was veranlagst Sie nun zu der gewagten Behauptung, Franklin hätte Sie nicht sitzen gelassen?« Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, wel­cher Teufel Ward geritten hatte, Vivian mit einer drittklassigen Sänge­rin zu betrügen, aber irgendeinen Grund hatte es ja offensichtlich da­

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für gegeben. Mit dem lebenden Beweis hatte ich schließlich bereits Bekanntschaft gemacht.

»Dazu war er zu feige. Aber was noch viel schwerer wiegt: Ein Mann in seiner Position kann sich keine Skandale dieser Art erlauben.«

»Die nächtlichen Auseinandersetzungen mit Ihnen hat er sich aber offensichtlich erlaubt«, wandte ich sofort ein, denn ich hatte Captain Hollyfields Worte noch genau im Ohr.

»Ach, so etwas soll in den besten Familien vorkommen. Eine Scheidung hätte für Franklin einen weit größeren Schaden bedeutet. Es wäre sozusagen sein gesellschaftlicher Tod gewesen.«

Und erst recht für dich, meine Liebe, dachte ich, behielt es aber für mich.

»Das haben Sie aber nett ausgedrückt«, konnte ich mir dagegen nicht verkneifen.

»Ich wusste von seiner Geliebten und er hat mich im Gegenzug dafür in Ruhe gelassen. Das war so etwas wie eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen uns.«

»Wie reizend. Sie wollen mir aber doch sicher nicht weismachen, dass Sie auf Dauer mit diesem Arrangement glücklich geworden wä­ren.«

»Was bedeutet schon Glück, Mister Connor? Franklin hat mir alles geboten, was ich brauche. Sehen Sie sich doch nur hier um«, erklärte Vivian gelangweilt und deutete mit der Hand auf die luxuriöse Innen­einrichtung. »In diesem Haus ist alles perfekt.« Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Außerdem hat er sich immer um Teddy ge­kümmert. Das habe ich Franklin hoch angerechnet.«

»Jetzt werden Sie nicht gleich sentimental, Vivian. Kommen wir lieber darauf zurück, dass Ihr Mann ein paar Wochen vor seinem Tod Kontakt zu diesem Kerl hatte, von dem Kitty gesprochen hat.«

»Ein hübscher Name für eine Geliebte, finden Sie nicht?«, entgeg­nete Vivian belustigt und stützte den Kopf in ihrer Hand ab. »Mit Ihrer Information kann ich allerdings überhaupt nichts anfangen. Ich kenne keine Person, die auch nur im Entferntesten so heißt. Vielleicht ist es ja auch gar kein Mann, dem Sie da auf der Spur sind. Ist Ihnen denn

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noch nicht in den Sinn gekommen, dass Franklin vielleicht nicht nur eine Liebschaft hatte?«

»Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich, Mistress Ward. Sie sollten es lieber mir überlassen, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind.«

»Ich verstehe, Mister Connor«, reagierte Vivian empört. »Dann macht es Ihnen auch sicher nichts aus, mein Haus wieder zu verlassen und mir nicht länger meine Zeit zu stehlen.«

»Wie Sie meinen, Teuerste. Für heute war ich bereits lange genug in weiblicher Gesellschaft«, stimmte ich ihr mürrisch zu und schraubte mich ächzend aus der Couch hoch. »Sie hören von mir. Und sollte Ih­nen doch noch etwas zu diesem Alvarado einfallen, lassen Sie es mich wissen.«

»Ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden: Sie jagen einem Phantom hinterher!«, brach es ohne Vorwarnung aus Vivian hervor. Sie war aufgesprungen und funkelte mich wütend an. »Wissen Sie was, Mister Connor? Langsam glaube ich, dass ich einen Fehler begangen habe, Sie zu beauftragen.«

»Ich höre wohl nicht richtig, Vivian«, erwiderte ich und trat ihr ei­nen Schritt entgegen.

»Was haben Sie denn bisher erreicht? Was?, frage ich Sie. Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie tatsächlich glauben, es sei auch nur ein Körnchen Wahrheit an Kittys Geschichte. Ich bitte Sie! Und für so eine haben Sie sich auch noch auseinander nehmen lassen. Sie sind mir vielleicht ein Held, schauen Sie sich doch nur mal im Spie­gel an!«

»Passen Sie auf, was Sie sagen«, warnte ich Vivian. Was zur Hölle war auf einmal in dieses Weibsbild gefahren?

»Ich denke ja gar nicht daran. Sie können von mir aus den Vor­schuss behalten, den ich Ihnen gegeben habe, aber ich empfehle Ih­nen, sich zukünftig besser mit Dingen zu beschäftigen, die eher Ihrer Kragenweite entsprechen.«

»Sie gehen eindeutig zu weit, Lady!« »Verschwinden Sie endlich, Sie sind gefeuert, falls Sie es noch

nicht mitbekommen haben!«

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»Jetzt verstehe ich auch, weshalb sich Franklin nach einer ande­ren Frau umgesehen hat. Mit Ihnen hält man es ja keine zwanzig Mi­nuten am Stück aus«, knurrte ich und steuerte auf den Ausgang zu.

»Unterstehen Sie sich, Connor!« »Ich habe mir lange genug Ihre Geschichten angehört«, blaffte

ich, die Hand bereits an der Klinke. Und ohne mich umzudrehen fügte ich hinzu: »Die können Sie ab sofort einem anderen erzäh...«

Weiter kam ich nicht, denn im selben Augenblick traf mich etwas Hartes am Hinterkopf, das klirrend zu Boden ging. Wutentbrannt griff ich an die schmerzende Stelle und wirbelte herum. Dicht vor mir stand Vivian. Ihr Gesicht war kreidebleich und vor Zorn entstellt. Ich stürzte auf sie zu und trat dabei auf die Reste des Kristallglases, das Vivian in meine Richtung geschleudert hatte. Die Scherben knirschten unter meinen Schuhen. Vivian hatte sich ebenfalls in Bewegung gesetzt und rannte schreiend hinter das linke Sofa. Ich holte sie ein und bekam sie am Arm zu fassen, als sie das zweite Sofa fast erreicht hatte.

»Lassen Sie mich sofort los, Sie elender Mistkerl!«, kreischte sie und versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien. Doch ich dachte nicht im Traum daran, das Teufelsweib auch nur eine Sekunde loszu­lassen. Ich wollte ihr keine Gelegenheit mehr dazu geben, mir weiteres Interieur hinterher zu schleudern.

»Ich hasse Sie!«, schrie Vivian und drehte sich abrupt um. Gerade noch rechtzeitig konnte ich ihrer Rechten ausweichen, die

auf mich zuflog. Ich packte Vivian grob an beiden Handgelenken und drängte sie keuchend vorwärts, bis sie an die Couch stieß. Sie verlor das Gleichgewicht, fiel rücklings auf das Polster und riss mich mit sich. Sie stöhnte auf, da mein Gewicht ihr fast den Atem nahm. Doch statt mich weiter zu attackieren, blieb sie liegen und starrte mich aus ihren grünen Augen an. Während ich mein Gesicht senkte, atmete sie heftig und ihre Brüste pressten sich an meinen Oberkörper.

Den Kuss, der folgte, erwiderte sie im nächsten Moment mit einer solchen Heftigkeit, dass ich bereits fürchtete, sie würde mir die Zunge abreißen. Ich löste mich von ihr und nahm ihren Kopf zwischen beide Hände, ohne meine Position zu verändern. Langsam beugte ich mich

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erneut über sie. Vivian schloss die Augen, ihre halb geöffneten Lippen erwarteten mich bereits.

Der nächste Kuss war leidenschaftlicher als der erste und schmeckte nach mehr. Ohne mich von ihren Lippen zu lösen, hob ich sie auf und trug sie Richtung Wendeltreppe. Irgendwo da oben würde ich schon das Wardsche Schlafgemach finden.

*

Der nächste Tag begann in meinen Augen wesentlich angenehmer als der gestrige Morgen, auch wenn ich jeden einzelnen Knochen im Leib spürte und nicht gerade behaupten konnte, in der letzten Nacht genü­gend Schlaf bekommen zu haben. Ich war gegen neun aufgebrochen und hatte Vivian süß träumend in ihrer großen Villa zurückgelassen.

Nach einem kurzen Abstecher zu meinem Apartment, bei dem ich mich rasiert und einen anderen Anzug angezogen hatte, war ich in mein Büro gefahren. Nach einem überaus aufschlussreichen Telefonat mit Captain Hollyfield hatte ich mich gleich wieder in meinen Plymouth geworfen und war zu einer Adresse auf der South-Side gefahren.

Ich hatte meinen Wagen ein Stück entfernt geparkt und während ich darauf wartete, dass Alvarado auf der Bildfläche erscheinen würde, dachte ich über das nach, was Hollyfield mir über den Burschen erzählt hatte. Salvatore Alvarado, so sein voller Name, war der jüngere Bruder von Giovanni Alvarado, einer kleinen Nummer aus den Reihen des ita­lienischen Syndikats von Benito ›Il Cardinale‹ Rigobello, der die Hälfte aller illegalen Geschäfte in Chicago kontrollierte. Ward hatte also kurz vor seinem Tod Kontakte zur Unterwelt unterhalten, so viel stand je­denfalls fest.

Aber warum hatte er sich dann mit so einem unbedeutenden Licht wie Alvarado abgegeben? Wenn Kitty die Wahrheit gesagt und Ward tatsächlich vorgehabt hatte, mit ihr durchzubrennen, waren die Alva­rados sicher die falsche Adresse, um einen großen Coup zu landen.

Vor nicht allzu langer Zeit, hatte der Captain hinter vorgehaltener Hand verraten, waren die beiden dem Chicago Police Department bei einer Razzia ins Netz gegangen. Da den Alvarado-Brüdern jedoch

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nichts nachzuweisen gewesen war, hatte man sie wieder laufen lassen. Gerissen schienen die beiden zu sein, aber für meinen Geschmack nicht gerissen genug, um Kitty in einem Haufen Dollars baden zu las­sen.

Da ich jedoch nichts anderes in der Hand hatte, blieb mir keine Wahl, als auf Salvatore zu warten, den Hollyfield mir als einen schmächtigen Kerl von höchstens zwanzig beschrieben hatte, dessen linke Wange ein hässlicher Schmiss zierte. In Erwartung eines ereignis­losen Vormittags machte ich es mir in meinem Sitz bequem und schob meinen Hut tief in die Stirn. Für die wenigen Passanten, die um diese Uhrzeit die Straße bevölkerten, mochte es so aussehen, als hätte ich ein kleines Nickerchen eingelegt.

Meine Aufmerksamkeit hätte allerdings in Wahrheit nicht größer sein können. Gerade als ich mir die Zeit damit versüßen wollte, die Er­eignisse der vergangenen Nacht Revue passieren zu lassen, tat sich et­was in dem Hauseingang, dem meine ganze Aufmerksamkeit galt. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete ich, wie Salvatore Alvarado das schäbige Gebäude verließ und mit erhobener Hand nach einem Taxi pfiff.

Der Bursche war nicht nur schmächtig, sondern auch mindestens einen guten Kopf kleiner als ich. Die Narbe auf seiner Wange war nicht zu übersehen und neben einem braunen Tweed-Anzug trug der Mak­karoni in Kleinformat eine grüne Filzkappe auf dem Schädel, die ihm viel zu groß war. Muss wohl mein Glückstag sein, dachte ich und häng­te mich an das Taxi, in das Alvarado gerade gesprungen war.

Während der Fahrt, die uns durch den Loop hindurchführte, hielt ich ausreichend Abstand, sodass ich sicher war, dass der Zwerg meine Anwesenheit nicht bemerkt haben konnte. Eine gute Dreiviertelstunde später bog das Taxi in den East Walton Place ein. Die Fahrt endete zu meinem Erstaunen vor dem Drake Hotel, einer der nobelsten Ad­ressen, die Chicago zurzeit zu bieten hatte.

Dieses Nobeletablissement mit mehreren hundert Zimmern war zwar erst vor ein paar Jahren aus der Erde gestampft worden, aber über mangelnde Kundschaft aus den besten Kreisen konnte sich das Drake wahrlich nicht beklagen. Nachdenklich kratzte ich mich am Hin­

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terkopf und zuckte sofort zusammen, als ich die Stelle berührte, die Vivian gestern so empfindlich getroffen hatte.

Fluchend überholte ich das Fahrzeug und sah im Rückspiegel, wie Alvarado ausstieg, dem Fahrer durchs Seitenfenster bezahlte und dann im Eingang des Hotels verschwand. Sofort bremste ich ab und parkte den Plymouth wenige Yards weiter am Straßenrand.

Im Laufschritt hielt ich auf das Hotel zu und betrat kurz darauf die Lobby, die vor Prunk nur so strotzte: Die Eingangshalle verfügte über hohe holzgetäfelte Wände und einen dunkelroten Teppichboden, der durch einen blauen Läufer ergänzt wurde. In dessen Mitte stand ein runder Marmortisch, auf dem eine riesige Vase platziert worden war. Das Blumenarrangement darin war mehr als üppig und verbreitete ei­nen schweren Duft. Mächtige Kristalllüster hingen von der Decke und klimperten leicht im Luftzug, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel.

Was für ein überflüssiger Plunder, dachte ich und sah gerade noch rechtzeitig, wie Alvarado in den Lift stieg, der in der fünften Etage ei­nen Stopp einlegte. Ich nahm den zweiten Aufzug und nannte dem Liftboy in Livree mein Ziel, der meinem Wunsch mit überschwänglicher Gestik nachkam. Als ich auf den Flur trat, war von dem italienischen Zwerg nichts mehr zu sehen. Verdammt!, fluchte ich und trabte den Gang entlang. Nach einer knappen Viertelstunde hatte ich die gesamte Etage abgeklappert, ohne eine Spur von Alvarado auszumachen. Ich beschloss, meine Suche am Ausgangspunkt fortzusetzen und kehrte daher zum Aufzug zurück.

Dabei hätte ich fast den kleinen Italiener über den Haufen ge­rannt, der in diesem Moment aus Zimmer 513 trat. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich einen Blick auf den Bewohner werfen, bevor dieser die Tür hinter sich schloss. Der Mann war in den Fünfzigern, schätzte ich und brachte mindestens dreihundert Pfund auf die Waage. Ich tippte entschuldigend an meinen Hut und ließ den Winzling passie­ren, der mich allerdings keines Blickes würdigte. Im Augenwinkel re­gistrierte ich, dass ihm eine Laus über die Leber gelaufen sein musste, denn Alvarado stapfte wütend davon.

Als er wieder im Lift verschwunden war, überlegte ich kurz, ob ich ihm folgen sollte, entschied mich jedoch dazu, stattdessen den Gast

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unter die Lupe zu nehmen, der ihn derart zur Weißglut gebracht hatte. Ohne Eile kehrte ich in die Lobby zurück.

*

»Hey, Sanders, altes Haus«, begrüßte ich den Portier des Drake, den ich noch aus meiner Zeit als Polizist kannte. »Hast wohl noch nicht genug von diesem Luxusschuppen, was?«

William Sanders wandte sich zu mir um und auf seinem faltigen Gesicht, das von schneeweißen Haaren eingerahmt war, zeichnete sich ein gequältes Lächeln ab.

»Lang nicht mehr gesehen, Pat. Ich hoffe, du bringst uns keinen Ärger ins Haus?«

»Wo denkst du hin? Ich möchte dich nur um einen kleinen Gefal­len bitten.«

»Bitte nicht schon wieder! Das letzte Mal, als du das gesagt hast, hätte mich dieser Gefallen fast meinen Job gekostet.«

»Lassen wir die Vergangenheit ruhen, Sanders. Es ist wirklich wichtig, das Leben eines Jungen hängt daran«, entgegnete ich und steckte meinem alten Freund einen Jackson in die Jacketttasche.

»Aber nur noch dieses eine Mal, Pat. Ich weiß auch nicht, warum ich mich immer wieder auf dich einlasse. Aber ich nehme an, du wür­dest eh so lange nicht locker lassen, bis du deinen Willen bekommen hast.«

»Da hast du vollkommen Recht«, entgegnete ich. »Du kannst mir sicher verraten, wie der schwergewichtige Gast aus Nummer 513 heißt.«

»Eine Sekunde«, erwiderte Sanders und klemmte sich seinen Mo­nokel ins rechte Auge. Dann blätterten seine zittrigen Hände in einem großen Buch, das aufgeschlagen auf dem Tresen der Rezeption lag. Als er den richtigen Eintrag gefunden hatte, fuhr er, immer noch tief über den Folianten gebeugt, fort: »Ach, ja, das ist Monsieur Adalbert Aimeé.«

»Du weißt nicht zufällig, was der Franzose hier verloren hat? We­gen des Essens ist er sicher nicht in der Stadt.«

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»Nein, darüber hat er sich nicht geäußert. Was hast du denn auch anderes erwartet?«

»Seit wann ist dieser Aimée denn im Drake?« »Seit etwa drei Wochen.« Also vor dem bedauerlichen Ableben von Franklin Ward, dachte

ich. Aber wenn Aimee etwas mit dem Mord zu tun hatte, warum hatte er dann die Stadt nicht längst wieder verlassen? Genauso gut war es natürlich auch möglich, dass er nichts mit der Sache zu tun hatte. Die Angelegenheit wurde immer undurchsichtiger, was mir überhaupt nicht passte.

»Was hat der Dicke denn die ganze Zeit über so getrieben?«, woll­te ich wissen.

»Soweit ich es mitbekommen habe, hat er sich ein paar Mal durch die Stadt kutschieren lassen. Er ist drei-, viermal ins Theater gegangen und hat wohl auch ein paar Mal einen Abstecher ins Blue Bayou ge­macht.«

Immerhin hatte der Franzose Geschmack und offenbar genügend Kleingeld, sich nicht nur diese Luxus-Absteige leisten zu können, son­dern auch den Besuch eines Nachtclubs, der an Exklusivität kaum zu überbieten war. Alles in allem war diese magere Ausbeute jedoch nicht gerade das, was ich hatte hören wollen. Ich kam also nicht umhin, mir ein eigenes Bild von dem Koloss zu machen und erklärte dem Portier daher mein Vorhaben.

»Das ist nicht dein Ernst, Pat!«, antwortete Sanders, als ich geen­det hatte. »Wie stellst du dir das vor?«

»Na, ganz einfach: Ich mache es mir in eurer prächtigen Lobby gemütlich. Wenn der Kerl sein Zimmer verlässt, schau ich mich da mal ein bisschen um und dann verschwinde ich wieder, Ehrenwort!«

»Dein Ehrenwort kannst du dir an den Hut stecken. Aber du hast gewonnen«, seufzte Sanders und schüttelte resigniert den Kopf.

Ich ließ den Portier mit seinen dunklen Ahnungen allein und nahm auf einem zierlichen Sofa Platz, von wo aus ich einen guten Blick auf die Aufzüge hatte. Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, lustlos in der Chicago Tribune und anderen Zeitungen herumzublät­tern, die in der Vorhalle auslagen. Dann tauchte endlich der dicke

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Franzose auf. Er war makellos gekleidet und wälzte sich auf einen Spazierstock gestützt aus dem Drake.

Ich verlor keine Zeit und schnappte mir Aimeés Zimmerschlüssel, den Sanders mir mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck über die Theke schob. Wenig später stand ich bereits in Nummer 513. Das Zimmer wirkte so, als sei es gar nicht bewohnt.

Aimeé musste ein Mann sein, der einen außerordentlichen Sinn für Ordnung hatte, dachte ich und begann, den Raum systematisch zu durchsuchen. Da mein Besuch unbemerkt bleiben sollte, verzichtete ich darauf, die Flasche Whiskey anzurühren, die ich hinter dem Polster eines Sessels fand.

Bis auf einen ledernen Schrankkoffer, der eine Unmenge an Klei­dung enthielt, gab es nichts, was es zu filzen lohnte. Nach einer ge­schlagenen Viertelstunde ging ich ins Badezimmer, das ich bereits dreimal inspiziert hatte. Entnervt ließ ich mich auf den Toilettensitz fallen und starrte auf den gekachelten Fußboden, den Kopf in beide Hände gestützt.

Nach einer Weile richtete ich mich schwerfällig wieder auf, um mich aus dem Staub zu machen. Denn es war nur eine Frage der Zeit, wann der fette Franzose in sein Zimmer zurückkehren würde. Als ich bereits im Türrahmen stand, stutzte ich plötzlich. Irgendetwas hatte gerade meine Aufmerksamkeit erregt, doch sosehr ich mir das Hirn zermarterte, ich kam nicht drauf.

Ich kehrte daher zur Toilette zurück und ließ mich noch einmal da­rauf nieder. Mein Blick schweifte über die Badewanne, die von gol­denen Löwenpranken getragen wurde, über die Fußbodenkacheln bis hin zum Waschbecken. Dort verharrte ich. Was zur Hölle stimmte nicht damit?, fragte ich mich. Als ich im nächsten Augenblick den Kopf schief legte, wusste ich, was mich eben so irritiert hatte.

Unter dem Waschbeckenrand ragte ein winziges Stück Papier her­vor. Ich griff danach und hielt bald darauf einen eierschalenfarbenen Briefumschlag in Händen, den der Franzose dort mit einem Klebestrei­fen befestigt hatte. Auf dem dicken Kuvert stand nichts geschrieben. Ich drehte es um und stellte fest, dass die Lasche nicht zugeklebt, sondern nur in den Umschlag gesteckt worden war.

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Vorsichtig öffnete ich ihn und traute meinen Augen kaum, als ich erkannte, was sich darin befand. Donnerwetter!, schoss es mir beim Anblick des Geldbündels durch den Kopf. Aimeé hatte auf diese Weise sechs Riesen in seinem Zimmer versteckt. Was wollte er mit so viel Geld? Und warum deponierte er es nicht im Hotelsafe? Nachdenklich platzierte ich den Umschlag wieder unter dem Waschbecken. Dann sah ich zu, dass ich davonkam. In die Hotellobby zurückgekehrt übergab ich Sanders den Zimmerschlüssel und nahm dem Portier das Verspre­chen ab, mich über die Aktivitäten seines französischen Gastes auf dem Laufenden zu halten.

*

»Wo haben Sie denn so lange gesteckt?«, nahm mich meine Sekre­tärin in Empfang, als ich eine halbe Stunde später wieder mein Büro betrat. Am Morgen war mir offensichtlich entgangen, dass Betty gar nicht an ihrem Platz gesessen hatte.

»Ich befinde mich mitten in einem Fall, den ich, wenn mich nicht alles täuscht, Ihnen zu verdanken habe«, erwiderte ich gut gelaunt.

Betty verzog das Gesicht und musterte mich scharf. Dann sagte sie: »Ich traue Ihnen kein bisschen über den Weg, Pat Connor. Sie sind doch nicht ohne Grund so überaus freundlich zu mir. Was wollen Sie von mir?«

»Ich? Sie irren sich, meine Liebe, ich hatte da an nichts Besonde­res gedacht, wenn Sie das meinen. Ich erwarte lediglich, dass Sie ab und zu den Hörer abnehmen, um meine Telefonate entgegenzuneh­men.«

»Hören Sie endlich auf, mich auf den Arm zu nehmen!«, schnaub­te Betty.

»Beruhigen Sie sich wieder. Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen heute bereits Ihren Wochenlohn auszahle und noch einen Zehner drauflege?«, erwiderte ich und blätterte ihr die Dollarnoten auf ihren Schreibtisch.

»Kein Haken?«, fragte sie und griff nach dem Geld. »Kein Haken. Gibt es irgendetwas Neues?«

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»Ach, ja, das hätte ich in der Aufregung fast vergessen: Vivian Ward hat angerufen. Sie klang so, als hätten Sie sich gestern nicht ordentlich von ihr verabschiedet.«

Heute Morgen würde die Sache eher treffen, dachte ich. »Hat sie gesagt, was sie wollte?« »Nein, nicht wirklich, damit hat sie hinterm Berg gehalten. Sie

meinte nur, dass es dringend sei und sie Sie so schnell wie möglich sehen will. In ihrem Haus.«

Ich konnte mir fast denken, wo der Hase lang lief und ich hatte nichts gegen ein weiteres Schäferstündchen mit der jungen Witwe ein­zuwenden. Nur den Teil, der lautes Gezeter und fliegende Gläser bein­haltete, konnten wir von mir aus überspringen.

»Ich werde mich gleich auf den Weg machen, Betty. Aber vorher habe ich noch einen Auftrag für Sie, Schätzchen. Sagt Ihnen der Name Adalbert Aimeé etwas?«

Betty schüttelte den Kopf und sah mich erwartungsvoll an. »Der Kerl ist im Drake Hotel abgestiegen und seit etwa drei Wo­

chen in der Stadt. Finden Sie raus, was er hier zu suchen hat und wo­mit er seine Brötchen verdient. Je schneller, desto besser. Er könnte eventuell in den Ward-Mord verstrickt sein.«

»Verstehe. Sollte ich sonst noch etwas wissen?« »Nein, außer dass Aimeé vor Geld stinkt und über eine imposante

Figur verfügt.«

*

»Oh, Pat, du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich in den letzten Stunden ohne dich durchgemacht habe!«, empfing mich Vivian wenig später aufgelöst an ihrer Haustür. Sie hatte den grünen Hausmantel gegen ein weißes eng geschnittenes Kleid eingetauscht. Ihr rotes Haar fiel in perfekten Wellen über ihre Schultern.

»Du hattest offenbar schon lange keinen Herrenbesuch mehr, Schatz«, erwiderte ich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Aber davon spreche ich doch gar nicht«, sagte sie und deutete mit der Hand auf das Innere des Hauses.

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Ich trat ein und erfasste sofort das Chaos, das in der Ward-Villa Einzug gehalten hatte: Alle Möbel waren verrückt worden und standen nun kreuz und quer im Wohnzimmer herum. Die Polster der beiden Sofas waren aufgeschlitzt, sodass die Füllung hässlich daraus hervor­quoll.

»Da hat jemand ganze Arbeit geleistet«, stellte ich trocken fest. »Oben sieht es noch schlimmer aus«, meinte Vivian und lehnte

sich an mich. »Wie konnte das passieren?« »Ich weiß es nicht, Pat«, entgegnete sie mit zitternder Stimme.

»Lloyd, mein Butler, hat mich gegen elf in die Stadt gefahren, damit ich ein paar Besorgungen machen konnte. Wir sind etwa zwei Stunden später zurückgekehrt und haben das Haus in diesem Zustand vorge­funden. Irgendjemand hat am helllichten Tag die Tür aufgebrochen und innerhalb kürzester Zeit alles verwüstet.«

»Das ist nicht zu übersehen.« »Wer macht denn so etwas?« Die wichtigere Frage lautete: Warum hatte sich jemand die Mühe

gemacht, das ganze Haus auf den Kopf zu stellen? Damit würde ich mich später beschäftigen, beschloss ich und fragte stattdessen: »Kannst du schon abschätzen, ob irgendetwas von deinen Kostbar­keiten fehlt?«

»Nein, soweit ich das beurteilen kann, nicht. Lloyd kümmert sich gerade um das obere Stockwerk. Auch ihm ist bisher nicht aufgefallen, dass etwas gestohlen wurde.«

Das kam mir in der Tat mehr als seltsam vor. Denn wer immer in die Ward-Villa eingebrochen war, hatte es anscheinend nicht nötig ge­habt, wenigstens ein paar der wertvollen Antiquitäten, die überall he­rumstanden, mitgehen zu lassen. Aber was hatte der Eindringling hier sonst verloren? Und noch viel wichtiger: Hatte er gefunden, was er suchte?

»Hast du irgendeine Ahnung, wer dafür verantwortlich sein könn­te?«

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»Meinst du nicht, darüber hätte ich mir nicht schon längst den Kopf zerbrochen?«, antwortete Vivian. Tränen schimmerten in ihren grünen Augen. »Ich habe Angst, Pat.«

»Beruhige dich, Kindchen, das wird schon wieder. Du solltest dei­nem Butler das Aufräumen überlassen und den Einbruch der Polizei melden. Und dann pack deine Sachen, du kommst heute Nacht mit zu mir. Wir werden uns die Zeit schon irgendwie vertreiben, nicht wahr, mein Engel?«

*

Am nächsten Morgen stand ich früh auf, denn ich war neugierig, was Betty über Monsieur Aimée herausbekommen hatte. Da Vivian zu Hau­se nach dem Rechten sehen wollte, hatte ich sie dort abgesetzt und war nun unterwegs zu meinem Büro. Kurz davor kamen auf der Mon­roe Street mehrere Zeitungsjungen am Straßenrand in mein Blickfeld, die aus vollem Hals die neuesten Schlagzeilen brüllten und dabei mit der aktuellen Ausgabe der Chicago Tribune herumfuchtelten. Ich hatte die Knirpse bereits passiert, als ich eine Vollbremsung machte, den Rückwärtsgang einlegte und wie der Teufel zurückraste. Als ich mich wieder auf Höhe der Zeitungsjungen befand, traute ich meinen Augen und Ohren kaum. Ich bremste erneut, sprang aus dem Plymouth und entriss einem der Jungen eine Zeitung.

»Sir, das macht drei Cent«, piepste der Kleine. Ich überflog die Titelseite und zerknüllte wütend das Blatt. »Sir? Das macht drei Cent, bitte, Sir!« »Ja, ja, ist ja schon gut«, schnauzte ich, drückte dem Jungen ei­

nen Quarter in die Hand, ohne auf das Rückgeld zu warten und klemmte mich, die Zeitung noch in der Faust, wieder hinters Steuer.

»Danke, Sir, danke! Gott schütze Sie!«, rief mir der Kleine freude­strahlend hinterher.

Ich scherte mich nicht darum, sondern wendete und fuhr mit Voll­gas in die Richtung, aus der ich gekommen war. In mein Büro konnte ich später noch gehen, denn jemand hatte mir offensichtlich nicht die

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ganze Wahrheit gesagt. Und dieser Jemand durfte sich nun auf meinen Besuch gefasst machen, den er nicht so schnell vergessen würde.

Eine Dreiviertelstunde später hatte ich mein Ziel erreicht. Mein Är­ger war noch nicht verraucht, sodass ich in der geeigneten Laune war, diesem freien Lauf zu lassen.

»Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, mich so auf den Arm zu nehmen?«, brüllte ich und schleuderte Ted Barker die neueste Aus­gabe der Chicago Tribune, die durch meinen Wutanfall stark gelitten hatte, ins bleiche Gesicht. Seit meinem letzten Besuch im Chicago House of Corrections hatte sich Teddy nur unwesentlich verändert. Im Gegensatz zum letzten Mal wirkte er allerdings nicht so lethargisch, sondern schien nun regelrecht Angst vor mir zu haben.

»Ich... ich weiß nicht, wovon Sie überhaupt sprechen, Mister!«, stotterte Teddy und sah mich entsetzt an.

»Hör gefälligst auf mit dem Theater, bevor ich mich vergesse!«, schrie ich und schob mein Gesicht gefährlich nahe vor Teddys, die Arme auf dem Tisch aufgestützt, an dem der Junge Platz genommen hatte.

»Aber...« »Ein Wort und du brauchst erst gar nicht darauf zu warten, dass

sie dich auf den elektrischen Stuhl setzen, hast du das begriffen?« »Ja«, antwortete er. Ted zitterte am ganzen Leib und schnappte

wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft. »Krieg dich wieder ein und sag mir lieber, wie ich das hier zu ver­

stehen habe«, knurrte ich und deutete auf das Titelblatt der Chicago Tribune.

Der Junge warf einen Blick darauf und schloss dann gequält die Augen.

»Was? Bist du jetzt ganz verstummt?« »Also gut, ich habe davon gewusst«, flüsterte Ted. Er hatte die

Augen wieder geöffnet und sah mich nun unverwandt an. »Das dachte ich mir, du kleine Ratte. Mich würde nur brennend in­

teressieren, weshalb du deine Klappe nicht schon vor zwei Tagen auf­gemacht hast?«

»Ich war verwirrt.«

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»Verwirrt? Ich glaube, ich höre nicht richtig, junger Mann«, zisch­te ich und griff nach der Zeitung.

»Ich hatte keine Ahnung, dass diese Geschichte irgendetwas mit meinem Fall zu tun hat, ehrlich, das müssen Sie mir glauben, Mister Connor!«

»Hier steht es schwarz auf weiß, Teddy: ›Rätselhafter Millionen­raub - Seit dem gestrigen Abend werden die auf 25 Millionen Dollar geschätzten Schmuckstücke, die einen Teil der niederländischen Kron­juwelen darstellen, vermisst. Die wertvollen Unikate, darunter ein mit Diamanten und Rubinen besetztes Diadem, waren in den Tresorräu­men der Union Trust Bank eingelagert, da sie ab dem kommenden Wochenende im Art Institute of Chicago ausgestellt werden sollten. Der genaue Zeitpunkt des Diebstahls ist nach bisherigen Erkenntnissen unbekannt. Die Polizei tappt im Dunkeln. Wie wir jedoch aus gut un­terrichteter Quelle erfahren haben, geht die Polizei davon aus, dass nur ein oder mehrere Täter aus dem Umfeld der Bank für den Dieb­stahl in Frage kommen. Damit erscheint auf einmal der Mord an dem Bankdirektor Franklin Ward, der seinem Schwager Ted Barker zur Last gelegt wird, in einem ganz anderen Licht. Handelt es sich bei dieser Tat vielleicht um eine Auseinandersetzung um die Beute?‹ Und so wei­ter und so weiter. Und du willst mir erzählen, da gäbe es keine Verbin­dung?«

»Sie haben ja Recht, Mister, aber was hätte es mir schon genutzt, wenn alle Welt erfahren hätte, dass ich in die Angelegenheit verwickelt gewesen bin?«

»Du und deine Schwester, ihr seid aus dem gleichen Holz ge­schnitten«, stöhnte ich und setzte mich Teddy gegenüber an den Tisch. »Warum seid ihr beide nur so dumm und lasst mich nur die Hälfte von dem wissen, was wirklich wichtig ist?«

»Bitte verstehen Sie mich doch«, jammerte Teddy. »Erspar mir deine Ausflüchte, Junge, die Sache ist jetzt auch nicht

mehr zu ändern. Aber wenn du mir noch mal wichtige Fakten unter­schlägst, kannst du selbst zusehen, wie du hier wieder raus kommst. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

»Ja, Sir.«

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»Gut, dann fangen wir noch mal bei Adam und Eva an: Was kannst du mir über den Juwelenraub erzählen? Und wie tief hat Frank­lin Ward in der Sache mit dringesteckt?«

»Sehr tief, glaube ich.« »Du sollst nicht glauben, du sollst mir sagen, was du darüber

weißt!«, schnauzte ich Ted an. »Ein paar Tage vor Franklins Tod hat er mich zu sich gerufen und

mir gesagt, ich könnte mir ein paar Mäuse verdienen, wenn ich es ge­schickt anstellen würde.«

»Du hast mir doch beim letzten Besuch weisgemacht, dass du Franklin gehasst hast.«

»Das stimmt auch. Aber gegen ein bisschen Geld hatte ich ja nichts einzuwenden. Da hätten Sie sich doch sicherlich nicht anders verhalten, Mister Connor?«

Ich ignorierte die Frage und trommelte ungeduldig mit den Fin­gern auf den Tisch.

»Jedenfalls meinte Franklin«, fuhr der Junge fort, »ich müsste nur einen Botengang für ihn erledigen und dafür bekäme ich so viel Geld, dass ich mir eine eigene Wohnung hätte leisten können. Meine Schwester hat sich zwar immer gut um mich gekümmert, aber ich wollte endlich auf eigenen Beinen stehen. Nicht mehr abhängig sein von ihr oder Franklin, verstehen Sie?«

»Durchaus. Und weiter? Das ist ja wohl noch nicht alles, oder?«, knurrte ich.

»Franklin hat mich in die Sache eingeweiht.« »Warum hätte er ein solches Risiko eingehen sollen?«, hakte ich

nach. »Ich schuldete ihm was. Deshalb vielleicht. Er konnte sicher sein,

dass ich ihn nicht verpfeifen würde. Und schließlich wollte er mich ja auch an der Beute beteiligen.«

»Wusstest du auch davon, dass Franklin deine Schwester verlas­sen wollte?«

»Ja, deshalb habe ich auch zugestimmt. Die beiden waren nicht füreinander geschaffen, das hatte ich Ihnen ja schon erzählt. Und die Aussicht, dass ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen würde

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- ein nettes Sümmchen und die Freiheit meiner Schwester - hat mich nur noch mehr gereizt, Franklin zu helfen.«

Klang logisch. »Und wie lautete der genaue Plan? Ward müsste doch klar gewe­

sen sein, dass er die Kronjuwelen nicht einfach so verkaufen konnte.« »Franklin hatte Kontakte zum italienischen Syndikat.« »Du meinst Rigobellos Leute?« »Ja. Er hat mir gesagt, dass er bereits einen Interessenten an der

Hand habe, der sehr gut für die Schmuckstücke bezahlen würde.« Monsieur Aimée!, schoss es mir durch den Kopf. Langsam fügten

sich die Puzzleteile zusammen. »Waren die Juwelen an dem Tag noch in der Bank, als Ward um­

gelegt wurde?« »Sicher, ich sollte sie an diesem Abend abholen.« Vielleicht ist irgendetwas schief gelaufen, grübelte ich. Aber das

erklärte immer noch nicht, weshalb Ward ermordet worden war. »Und du weißt natürlich nicht, wo die Klunker jetzt sind?« Teddy schüttelte den Kopf. Wenn der Junge keinen blassen

Schimmer hatte, dann möglicherweise auch nicht der Rigobello-Clan. Das würde auch erklären, warum die ganze Ward-Villa auf den Kopf gestellt worden war. Und warum der dicke Franzose noch in der Stadt war, zählte ich eins und eins zusammen. Vorausgesetzt natürlich, ich lag mit meiner Theorie richtig.

»Ich hoffe nur, dass dich dein Schweigen nicht tatsächlich das Le­ben kostet. Deine Verhandlung ist in sieben Tagen, wenn ich mich recht erinnere. Die Zeit läuft - tick, tack, Teddy, tick, tack...«, verab­schiedete ich mich.

*

Als ich in mein Büro zurückkehrte, erwartete Betty Meyer mich schon ungeduldig.

»Ich habe die Informationen, die Sie verlangt haben, Pat«, plap­perte sie übereifrig drauflos, bevor ich mich setzen konnte.

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»Lassen Sie mich raten, Schätzchen«, erwiderte ich und blieb ste­hen. »Monsieur Aimée ist irgendein reicher Schnösel, der sich für sol­che Nichtigkeiten wie Kunst und Kultur interessiert. Vielleicht ist er ein leidenschaftlicher Sammler seltener Antiquitäten aller Art. Vielleicht ist er auch ein Kunsthändler, der sich auf wertvolle Unikate spezialisiert hat.«

»Ja«, blieb meiner Sekretärin der Mund offen stehen. »Aber wo­her wissen Sie das?«

»Ich bin auch nicht ganz auf den Kopf gefallen. Außerdem drehe ich nicht nur Däumchen, wenn Sie mir nicht gerade über die Schultern schauen. Entgegen Ihrer Auffassung tue ich auch etwas für mein Ho­norar.«

Betty lächelte mich unsicher an, sagte aber nichts mehr. Ich ging zu meinem Schreibtisch, zog eine Schublade auf und nahm einen Schluck aus meiner eisernen Ration. Dann griff ich nach meinem 38er Smith & Wesson und überprüfte die Trommel.

»Was haben Sie vor, Pat?«, wollte Betty wissen. »Das werden Sie schon früh genug erfahren.« Damit verschwand ich wieder und machte mich eilig auf den Weg

zur South-Side. Anderthalb Stunden später war es mir gelungen, mich an Salvato­

re Alvarado, den zu klein geratenen Italiener, zu hängen. Dieses Mal hatte ich ihn nicht allein, sondern in Begleitung seines älteren Bruders angetroffen, der immerhin mit einer größeren Statur gesegnet war.

Die Brüder unternahmen mit Giovanni hinterm Steuer eines dun­kelblauen Dodge eine ausgedehnte Spazierfahrt durch die halbe Stadt. Es sah ganz danach aus, als würden die beiden Makkaronis ihre üb­liche Runde zur Eintreibung von Schutzgeldern machen.

Nach einer halben Ewigkeit wurde meine Geduld, die nur noch an einem seidenen Faden hing, endlich belohnt. Ich beobachtete, wie Giovanni sich von seinem Bruder verabschiedete und ohne ihn weiter­fuhr. Salvatore Alvarado betrat ein Café in der Nähe des Pulaski Park. Ich entschied, dass die Zeit gekommen war, mich näher mit dem Mak­karoni zu befassen. Nachdem ich den Plymouth geparkt hatte, ging ich ohne Eile zu dem Cafe, das Salvatore für sein Kaffeekränzchen aus­

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erkoren hatte. Ich trat ein und schlenderte die Tischreihen entlang. Bevor ich mich an Alvarados Tisch ihm gegenüber auf einen Stuhl fal­len ließ, hatte ich mir vom Nebentisch eine weiße Stoffserviette ge­schnappt.

»Was für ein herrlicher Tag!«, begrüßte ich den Zwerg, der gera­de an einem Espresso nippte. Ich hatte meinen 38er Smith & Wesson aus dem Schulterhalfter hervorgezogen und ihn unter der Serviette verstaut. Um sicherzugehen, dass Alvarado meinen Freund nicht über­sehen würde, lüftete ich das Tuch für eine Sekunde, damit der Italie­ner einen Blick darauf werfen konnte.

»Was wollen Sie, Mann?«, fragte er. Sein Gesicht war vor Zorn rot angelaufen, was den hässlichen Schmiss auf seiner Wange nicht vor­teilhafter erscheinen ließ.

»Ein paar Informationen, wenn es recht ist«, erwiderte ich gelas­sen.

»Ich wüsste nicht, was ich Ihnen zu sagen hätte.« »Nicht? Da würden mir gleich mehrere Dinge gleichzeitig einfallen.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Wo sind die Juwelen?« »Wovon sprechen Sie überhaupt?«, knurrte der Spaghettifresser. »Das weißt du ganz genau, Alvarado.« Als er seinen Namen hörte, vergrößerte sich sein Zorn exponen­

tiell. »Lass dir ruhig Zeit, mein Lieber. Ich könnte ewig so mit dir in

diesem entzückenden Café sitzen, Junge.« »Ich habe keinen blassen Schimmer.« »Das ist wirklich sehr schade. Ich frage mich nur gerade, wer

wohl deine Überreste vom Tisch kratzen wird, wenn ich dir eine Kugel verpasse. Vielleicht die hübsche Kellnerin dort drüben?«

»Hören Sie auf mit dem Scheiß! Ich weiß es wirklich nicht«, zisch­te Alvarado und lockerte seine Krawatte. Offensichtlich wurde es ihm auf seinem Stühlchen ein wenig zu eng.

»Fühlst du dich nicht wohl, Kleiner? Na schön, weil ich heute mei­nen großzügigen Tag habe, gebe ich dir noch ein wenig Bedenkzeit. Inzwischen hast du Gelegenheit, dir über eine weitere, nicht weniger

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interessante Frage Gedanken zu machen: Wer von euch Brüdern hat Franklin Ward umgelegt?«

»Den Bankdirektor? Sie lesen wohl keine Zeitung, was? Den Typen hat das Chicago Police Department doch längst hochgenommen.«

»Mein lieber Freund, glaubst du, ich würde meine Zeit mit dir ver­schwenden, wenn ich überzeugt wäre, dass die Bullen den Richtigen eingebuchtet haben?«

»Na und? Das ist nicht mein Problem. Ich habe langsam die Nase voll von Ihren Spielchen!«

»Vielleicht sollte ich mich etwas klarer ausdrücken, damit wir uns besser verstehen: Ich interessiere mich nicht für die Klunker«, sagte ich und dachte: Zumindest noch nicht. »Das Einzige, was mich wirklich weiterbringen würde, wäre die Antwort auf meine zweite Frage.«

»Also gut«, entspannte sich der Makkaroni etwas. »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«

»Das wird doch wohl nicht alles sein, oder? Entweder du strengst endlich deine grauen Zellen an oder ich erzähle deinem Boss, dass er dich besser aus dem Verkehr ziehen sollte.«

»Sie können mir überhaupt nicht drohen, Mister!«, wurde der kleine Kerl plötzlich wieder aufmüpfig. Wie ein Flummi sprang er von seinem Platz und funkelte mich wütend an. Ich ließ mich von dieser Vorstellung wenig beeindrucken, denn Alvarado war im Stehen kaum größer als ich auf meinem Stuhl.

»Und ob ich das kann«, entgegnete ich ruhig und bedeutete ihm, sich wieder hinzusetzen. »Dein Boss möchte sicher nicht hören, dass ich euren Kuhhandel eins, zwei, drei zum Platzen bringen kann. Ein Anruf genügt und Monsieur Aimée hat das Land schneller verlassen, als du deinen Espresso geleert hast.«

»Das würden Sie nicht wagen!«, blaffte Alvarado und war im Be­griff, erneut von seinem Sitz und mir an die Gurgel zu springen.

»Sachte, sachte, Kleiner«, entgegnete ich und deutete mit mei­nem Kinn auf die Serviette neben mir. »Im Grunde genommen ziehen wir doch beide am selben Strang. Du wirst nie wieder etwas von mir hören, wenn ich bekommen habe, was ich will. Wie es dann weiter­geht, liegt ganz in deinen Händen.«

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Alvarado starrte mich an. Ich sah, wie ihm Schweißperlen auf die Stirn traten und nahm an, dass er sich in seinem kleinen Schädel ge­rade seine Chancen ausrechnete, heil wieder aus diesem Schlamassel herauszukommen. Schließlich entgegnete er: »Na schön. Ich drücke es mal so aus: Das Syndikat hat Ihren Bankdirektor nicht aus dem Weg geräumt. Dazu bestand gar kein Anlass. War nicht unser Stil. Wir kön­nen es uns nämlich nicht leisten, eine derart stümperhafte Arbeit abzu­liefern. Da gibt es sauberere Methoden.«

»Wie meinst du das?« »Nehmen wir mal an, der Kerl, der bereits im Kittchen ist, hat tat­

sächlich nichts damit zu tun. Dann muss es ja wohl noch jemanden ge­ben, der in dieser Nacht in der Bank gewesen ist.«

»Darauf wäre ich von selbst nicht gekommen. Du bist ja ein ganz helles Köpfchen.«

»Halten Sie die Klappe! Wenn der eine Kerl es nicht war, dann war es eben ein anderer Idiot, der seine Waffe am Tatort liegen gelassen hat. Solch ein Schnitzer würde keinem Profi passieren. So einer wäre selbst bald ein toter Mann.«

»Vielleicht ist der Mörder gestört worden.« »Das spielt doch gar keine Rolle. Selbst wenn es so gewesen ist,

hätte er die Knarre ja nur einzustecken brauchen, oder?« Da hatte der Zwerg ausnahmsweise Recht. Ich war in einer Sack­

gasse gelandet, aus der ich so schnell wie möglich wieder raus wollte. »Ich verlasse dich jetzt wieder, Kleiner«, verabschiedete ich mich.

Ich stand auf und bewegte mich langsam rückwärts Richtung Aus­gang, ohne das Kerlchen aus den Augen zu lassen. Die Serviette nahm ich als Souvenir mit. »War nett, mit dir zu plaudern. Beim nächsten Mal spendierst du mir aber einen Kaffee, Salvatore. Wo sind denn nur deine guten Manieren geblieben?«

»Pah, sollten wir uns jemals wieder sehen, Mister, werde ich der­jenige sein, der eine Kanone auf Sie richtet!«

*

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Ich war mehr als angefressen, nachdem ich das italienische Narbenge­sicht sich selbst überlassen hatte und beschloss daher, bei Dunky vor­beizuschauen. Ich brauchte unbedingt etwas Hochprozentiges und ein paar Luckies, um meinen Denkapparat wieder auf Vordermann zu bringen.

»Willst du 'nen Drink oder soll ich dir gleich einen Arzt bestellen?«, wollte Dunky wissen, als ich wenig später in seiner Bar aufschlug.

»Ein Bourbon würde fürs Erste reichen«, entgegnete ich matt und zündete mir eine Zigarette an.

»Was macht denn die Rothaarige?«, erkundigte er sich und stellte ein Glas vor mir auf die Theke.

»Seit wann interessierst du dich für meine Fälle?« »Ich interessiere mich nicht für deine Fälle«, knurrte Dunky, »son­

dern für Frauen ihres Kalibers. Solche Schönheiten verirren sich nur selten in meine gute Stube.«

»Ich fürchte, Vivian wird hier so schnell nicht wieder aufkreuzen, Dunky. Da muss ich dich enttäuschen.«

»Wir sind also bereits beim Vornamen angelangt. Du hast doch nichts mit der Dame angefangen, Pat?«

»Und wenn schon?« »Du lässt auch keine Gelegenheit aus, was?« »Man lebt schließlich nur einmal.« Das Gleiche galt auch für Ted Barker. Nur mit dem Unterschied,

dass er wahrscheinlich nicht mehr lange etwas von seinem Leben hat­te. Im Grunde genommen war ich in den letzten Tagen kein Stück wei­tergekommen. Die millionenschweren Klunker des niederländischen Königshauses waren verschollen und niemand schien zu wissen, wer sich die Dinger unter den Nagel gerissen hatte.

Noch nicht einmal Rigobellos Leute und das wollte schon was hei­ßen, dachte ich grimmig. Und was noch viel schlimmer war: Der Mör­der von Franklin Ward lief immer noch frei herum. Als wenn das noch nicht genug gewesen wäre, hatte ich auch noch eine jähzornige Ge­liebte am Hals, die nicht davor zurückschrecken würde, mir die Augen auszukratzen, wenn ich nicht bald einen Weg finden würde, ihren Bru­der von seinen unschönen Hand- und Fußfesseln zu befreien.

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Nach dem dritten Bourbon war ich so weit wieder auf der Höhe, um einzugehen, dass mir nichts anderes übrig blieb, als die ganze Ge­schichte noch mal von vorne aufzurollen. Obwohl ich der Union Trust Bank bereits einen Besuch abgestattet hatte, konnte es nicht schaden, erneut dort aufzukreuzen. Bis zum Morgengrauen trank ich auf diese glorreiche Idee, die den letzten Strohhalm darstellte, nach dem ich inmitten dieses gewaltigen Orkans noch greifen konnte.

*

Den darauf folgenden Tag hatte ich damit zugebracht, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Zwischenzeitlich hatte Vivian versucht, mich in meinem Büro zu erreichen, aber ich hatte nicht zurückgerufen, um mir ihre Vorwürfe zu ersparen, die sie sicher auf Lager hatte. Das Ergebnis meiner Ermittlungen war mehr als niederschmetternd gewesen, ob­wohl ich mir einige Angestellte der Union Trust Bank und Bewohner der umliegenden Häuser vorgenommen hatte.

Niemand hatte mir einen brauchbaren Hinweis auf den Mörder lie­fern können. Da die meisten von ihnen sich bereits einer Befragung durch das Chicago Police Department hatten unterziehen müssen, war mein Besuch mit besonderer Herzlichkeit gewürdigt worden. Einzig und allein ein Mütterchen aus einem der Mietshäuser schräg gegen­über der Bank hatte meinen Besuch zum Anlass genommen, mir ihre halbe Lebensgeschichte zu erzählen.

Ich hätte die gute Frau fast zum Teufel gejagt, wenn sie mir nicht zwischen ihrem Vortrag über ihre entbehrungsreiche Jugend und der Episode von ihrer ersten Fahrt mit einem Zug verraten hätte, dass einer ihrer Nachbarn am Abend des Mordes auf Geschäftsreise gegan­gen war und heute im Laufe des Tages zurückkehren würde.

Ich hatte die gesprächige Schachtel nicht zuletzt mit einem Jack­son von meinen redlichen Absichten überzeugen und sie dazu überre­den können, mich mit dem Zweitschlüssel in die Wohnung des besag­ten Nachbarn hineinzulassen, der seinen Lebensunterhalt offensichtlich damit bestritt, weiße Leinwände mit Farbe zu verschönern.

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Seit einer halben Stunde saß ich nun zwischen windschiefen Staf­feleien und Hunderten von Farbtöpfen, die kreuz und quer auf dem schäbigen Holzboden verteilt waren und wartete auf den Meister höchstpersönlich. Die Dachstube war winzig und mehr eine Rumpel­kammer als ein Atelier.

In der Luft hing schwer der Geruch von Farbe und Verdünnungs­mitteln, die mich mit Sicherheit den Verstand gekostet hätten, hätte ich mich noch ein paar Stündchen länger in diesem Loch aufgehalten. Als ich hörte, wie ein Schlüssel im Schloss der Eingangstür umgedreht wurde, erhob ich mich von einem wackeligen Holzschemel, der mir als Sitz gedient hatte.

»Mister Farrell, richtig?«, hustete ich und trat auf den Maler zu, dem daraufhin fast sein Zigarillo aus dem Gesicht gefallen wäre. Er war ungefähr in meinem Alter, kräftig gebaut und hatte dichtes hell­braunes Haar. Über seinem Anzug trug er einen grauen Trenchcoat, der ihm um die Beine flatterte. Der schwarze Hut auf seinem Kopf war leicht verbeult und saß ihm weit im Nacken. Seine Wangen waren ge­rötet und er strotzte nur so vor Gesundheit.

»Wie zum Teufel sind Sie hier hineingekommen?«, polterte er und ließ links und rechts neben sich zwei große Koffer fallen. Unter dem linken Arm klemmte eine Staffelei, die er offenbar noch nicht loswer­den wollte.

»Miss O'Hara war so freundlich.« »Wer sind Sie überhaupt und was haben Sie in meinem Atelier

verloren?« Ich ersparte mir einen Kommentar zu den Räumlichkeiten und

kam gleich zum Punkt: »Mein Name ist Connor, private Ermittlungen. Ich weiß nicht, ob Sie bereits von der Sache gehört haben. Aber an dem Abend, an dem Sie die Stadt verlassen haben, ist Franklin Ward, der Direktor der Union Trust Bank, in seinem Büro erschossen worden. Das Chicago Police Department ist davon überzeugt, den Mörder be­reits hochgenommen zu haben, aber ich bin da gänzlich anderer Mei­nung.«

»Ein Mord in unserer Straße?«

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»Sie haben es erfasst. Für lange Erklärungen habe ich allerdings keine Zeit, Mister Farrell. Daher wäre es nur zu gütig von Ihnen, wenn Sie sich an den betreffenden Abend erinnern und mir verraten könn­ten, ob Ihnen vor Ihrer Abreise etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist.«

»Ich versuche es«, erwiderte Farrell und stellte endlich die Staffe­lei ab, die immer noch unter seinem Arm eingeklemmt gewesen war. »Wenn ich mich recht entsinne, gab es da tatsächlich etwas.«

»Bin ganz Ohr.« »Während meiner Abwesenheit habe ich nichts von diesem Mord

mitbekommen. In den letzten Tagen habe ich mich in Detroit auf­gehalten. Ich war in der glücklichen Lage, dort in einer kleinen Galerie einen Teil meiner Werke auszustellen. An dem besagten Abend war ich gerade auf dem Sprung, als mir ein kleines Missgeschick unterlaufen ist.«

Was kommt jetzt?, stöhnte ich innerlich. Meine Miene blieb dage­gen unbewegt.

»Ich war gerade dabei, den Koffer, in dem ich die Leinwände für meine Ausstellung verstaut hatte, auf die Straße zu stellen. Das Ding ist recht unhandlich und ich hatte so meine Probleme damit«, fuhr Farrell jetzt ganz gesprächig fort.

»Aha.« »Jedenfalls bin ich damit fast aus der Haustür gefallen. Ich hätte

mich beinahe lang gelegt, wenn da nicht dieser Ford gewesen wäre.« »Wovon zum Teufel sprechen Sie eigentlich?«, wurde ich langsam

ungeduldig. »Ich will damit ausdrücken, dass der Wagen, der direkt vor unse­

rer Tür geparkt hat, meinen Sturz aufgehalten hat«, knurrte Farrell. »Und weiter?«, wollte ich wissen und bereute bereits, dass ich der

alten Schachtel einen Zwanziger in den Rachen geworfen hatte, nur um mich ungestört mit diesem pinselschwingenden Hohlkopf unterhal­ten zu können.

»Na, dabei hat der Rückspiegel dran glauben müssen.« »Was Sie nicht sagen. Wie war's, wenn Sie langsam zum Punkt

kämen?«

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»Ich bin wieder zurück ins Haus, um mir das Kennzeichen des Fahrzeugs zu notieren.«

»Wozu der Aufwand?« »Ich hatte vor, nach meiner Rückkehr mit dem Besitzer des Wa­

gens Kontakt aufzunehmen, um den Schaden zu begleichen«, entgeg­nete der Künstler leicht gereizt.

»Was für eine ehrliche Haut Sie sind, Mister Farrell! Sie verdienen meine uneingeschränkte Hochachtung.«

»Hören Sie auf, mich auf den Arm zu nehmen!«, wurde der Maler ärgerlich.

»Beruhigen Sie sich wieder. Was ist dann passiert?«, fragte ich ar­tig.

»Als ich wieder auf dem Weg nach unten war, hörte ich, wie der Wagen mit quietschenden Reifen davongerast ist. Auf der Straße an­gekommen war weit und breit nichts mehr von dem Ford zu sehen. Ich habe mich zwar gewundert, aber nicht mehr länger darüber nachge­dacht, da ich meinen Zug nicht verpassen durfte.«

»Um wie viel Uhr war das?«, wollte ich mich rückversichern. »So gegen zehn vor neun.« Um neun war Ted in Wards Büro aufgekreuzt, die Zeit stimmte al­

so. »Woher wissen Sie das so genau?« »Ich habe auf die Uhr gesehen«, gab er mit entwaffnender

Schlichtheit zurück. »Haben Sie nun das gottverdammte Kennzeichen oder nicht?«,

war die alles entscheidende Frage. »Was hatten Sie denn gedacht?«, entgegnete der Maler und

kramte nach seiner Brieftasche, die er daraufhin umständlich durch­suchte. Als er den Zettel endlich gefunden hatte, hielt er ihn mir tri­umphierend vor die Nase. Seine Wangen glühten noch mehr als eben.

»Sie sind ja doch zu etwas zu gebrauchen, Mister Farrell«, grinste ich und schnappte mir das Stück Papier.

*

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Page 72: Die Lady und der Mord

Zurück in meinem Büro klemmte ich mich hinter das Telefon. Zum Glück hatte Betty schon Feierabend gemacht, denn ich war nicht scharf darauf, dass sie das nun folgende Gespräch mit anhörte.

Wenn man so lange wie ich im Geschäft ist, gibt es immer ein paar Leute, die einem einen Gefallen schuldig sind. Oder denen ich mal einen Gefallen getan habe. Dazu gehörte auch eine nicht mehr ganz so junge Lady bei der Stadtverwaltung. Sie war hocherfreut von mir zu hören.

»Hallo Phyllis.« »Hallo Pat«, hauchte sie ins Telefon. Jetzt war erst einmal Süßholzraspeln angesagt. Ich zwang mich

dazu meiner Stimme einen schmachtenden Ton zu geben, indem ich vor meinem geistigen Auge Vivian heraufbeschwor. Es klappte ganz gut, zumindest gut genug, um Phyllis zu einem kleinen Liebesdienst zu bewegen. Ich nannte ihr die Zulassungsnummer des Fords, erfand eine haarsträubende Geschichte von einem Unfall mit Fahrerflucht und sie war bereit, mir die nötigen Informationen über den Halter des Fahrzeugs zu besorgen.

»Bis gleich, Pat«, schmachtete sie zum Abschied ins Telefon. Vier Lucky Strikes und zwei kleine Bourbon aus meiner Notreserve

- die auch wieder einmal nachgefüllt werden musste - später klingelte mein Telefon.

»Hallo Pat.« Die Stimme war eine Verheißung, wenn man nicht wusste, aus welchem Mund sie kam.

»Hallo Phyllis«, versuchte ich ihren Tonfall zu imitieren. Als es mir zu bunt wurde, kürzte ich das Gespräch gnadenlos ab.

»Phyllis, den Namen und die Adresse. Ich arbeite an einem Fall, der keinen Aufschub duldet.«

»Terry Cantrell, 284, North Aberdeen.« »Das hast du sehr gut gemacht, Phvllis«, lobte ich sie. »Wann höre ich wieder von dir? Vielleicht können wir ja mal wie­

der...« »Ich melde mich bei dir, Phyllis«, versprach ich und wusste, dass

dies genau dann sein würde, wenn ich mal wieder ihre Hilfe brauchte.

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*

»Eine falsche Bewegung oder ich puste dir das Gehirn weg, Cantrell!«, quetschte ich durch die Zähne, als ich dem Mann meinen 38er an die Schläfe presste, den ich für den Mörder von Franklin Ward hielt.

Die letzten anderthalb Stunden hatte ich damit zugebracht, mir meine Knochen auf der Rückbank des Fords zu ruinieren, den Cantrell vor dem Haus in der North Aberdeen geparkt hatte. Gerade hatte der Kerl, der ohne weiteres als Preisboxer durchgegangen wäre, sich auf den Fahrersitz fallen gelassen und war im Begriff gewesen, den Motor anzulassen.

»Wer zur Hölle...«, setzte der Schrank an. Er hatte eine Alkohol­fahne, die bis zum anderen Ufer des Lake Michigan reichte. Ich moch­te Cantrell zwar körperlich unterlegen sein, aber im Gegensatz zu ihm hatte ich meine fünf Sinne noch beisammen.

»Du redest nur, wenn du gefragt wirst, verstanden? Kann sonst sehr unangenehm für dich werden!«, bellte ich.

Cantrell stieß hörbar die Luft aus. Über den Rückspiegel sah ich, wie es in seinem Schädel arbeitete.

»Wir machen jetzt eine kleine Spazierfahrt, also leg endlich den Gang ein.«

»Was willst du von mir?«, brach es aus Cantrell hervor, nachdem ich ihn aus dem Stadtzentrum gelotst hatte. Ich hatte zwar noch keine bestimmte Vorstellung davon, wohin uns die Spritztour führen sollte, aber zwei Dinge waren sonnenklar: Erstens wollte ich ihn in eine ruhi­gere Gegend schaffen, damit ich mir seiner ungeteilten Aufmerksam­keit sicher sein konnte. Und zweitens war der Kerl wenigstens so lange beschäftigt, wie er den Wagen fuhr.

»Halt's Maul, ich stelle hier die Fragen!«, blaffte ich und presste ihm mein Eisen noch fester an die Schläfe. »Mich würde zum Beispiel brennend interessieren, warum du Franklin Ward umgelegt hast?«

»Wovon sprichst du überhaupt, Mann?« »Versuch nicht, mich zu verarschen, Cantrell! Es gibt einen Zeu­

gen, der dich in der Mordnacht in der Nähe der Bank gesehen hat«, herrschte ich ihn an.

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»So ein Schwachsinn!« »Ich warne dich. Entweder du redest Klartext oder ich leg dich

gleich um!« Genau in dem Moment, als der Klotz zu einer Antwort ansetzen

wollte, zerriss eine heftige Explosion das Heck des Wagens. Der Ford machte einen unschönen Satz nach vorne und erst jetzt realisierte ich, dass ein Cadillac unsere Stoßstange geküsst hatte. Wir haben Besuch!, fluchte ich. Da ich mich die letzten zwanzig Minuten so sehr auf mei­nen Chauffeur vor mir konzentriert hatte, war mir der Cadillac, der uns sicher schon seit längerem gefolgt war, überhaupt nicht aufgefallen.

»Gib Gas!«, brüllte ich und warf abwechselnd einen Blick nach vorne und wieder zurück in Richtung Heckscheibe.

Cantrell legte sich mächtig ins Zeug, um den Wagen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Der Ford schlingerte jedoch seit dem Aufprall über die Fahrbahn, sodass ich heftig auf der Rückbank hin und her geschleudert wurde. Ächzend versuchte ich, nicht das Gleichgewicht zu verlieren und Cantrell währenddessen weiterhin in Schach zu halten. Erneut holte der Caddy auf und verpasste uns den nächsten Stoß. Wer zur Hölle hatte sich da an uns gehängt?, dachte ich fieberhaft nach. Wer wusste von meinem Auftrag? Und wer hatte Interesse daran, mich oder Cantrell oder gleich uns beide zusammen kaltzumachen? Die Erkenntnis traf mich eine Sekunde später wie ein Blitzschlag. Ich ver­wettete meinen Kopf darauf, dass die Alvarado-Brüder uns auf den Fersen waren. Niemand sonst hätte wissen können, was ich vorhatte. Wahrscheinlich hatte der italienische Zwerg mich seit meinem Überra­schungsbesuch im Café beschattet. Sollte die Missgeburt doch zur Höl­le fahren! Zu allem Überfluss hatten wir bereits die belebteren Gegen-den Chicagos hinter uns gelassen. Wenn mir nicht bald etwas Schlaues einfiel, würde die Fahrt nicht nur mit einem verbeulten Ford enden.

»Was jetzt?«, brüllte Cantrell, dem offensichtlich noch so viel Auf­fassungsgabe geblieben war zu verstehen, dass ich im Moment sein einziger Freund war.

»Wir müssen hier verschwinden und zwar ziemlich zügig!« Doch dazu kam es nicht mehr. Einer der Alvarado-Brüder ließ ei­

nen Kugelhagel aus seiner Tommy-Gun auf uns herabprasseln. Sofort

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tauchte ich in die Deckung ab und bekam noch mit, wie sich kurz da­rauf die Hinterreifen des Wagens verabschiedeten. Mit einem heftigen Knall platzte das Gummi und der Ford sackte nach unten ab. Dann legte sich die Karre mit kreischenden Felgen quer und überschlug sich in der nächsten Sekunde.

*

Als ich wieder zu mir kam, hätte ich mir gewünscht, nicht so früh auf­gewacht zu sein. Mein Schädel dröhnte und ich hatte das Gefühl, als hätte ich mich drei Wochen am Stück nicht mehr von Dunkys Theke wegbewegt. Ich öffnete die Augen halb und registrierte, dass sich mein Aufenthaltsort deutlich von dem unterschied, an den ich mich als Letztes erinnern konnte. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf zur Seite.

Wenige Inches von mir entfernt konnte ich Cantrell ausmachen, der gefesselt auf einem Stuhl saß. Ihn schien es noch übler erwischt zu haben als mich, denn sein Kopf hing schlaff auf seiner Brust. Eine große Platzwunde klaffte auf seiner Stirn und ich konnte in diesem Au­genblick nicht erkennen, ob der Kerl überhaupt noch atmete. Ich ver­suchte mich zu bewegen, wurde jedoch gebremst, da mich ein heftiger Schmerz durchzuckte. Erst jetzt ging mir auf, dass ich ebenfalls gefes­selt war.

»Verdammt!«, fluchte ich leise vor mich hin und begann, mich nä­her mit meinen Fesseln zu beschäftigen.

Offensichtlich hatte man uns in irgendeinen Schuppen geschafft und uns durch ein paar Seile an Hand- und Fußgelenken bewegungs­unfähig gemacht. Niemand außer uns schien sich momentan hier auf­zuhalten. In einiger Entfernung konnte ich jedoch Stimmen hören, wir waren also nicht allein. Plötzlich stöhnte Cantrell laut auf. In ihm steck­te also doch noch ein Fünkchen Leben.

»Kannst du dich bewegen?«, zischte ich, doch mein Nachbar ließ statt einer Antwort nur ein weiteres Stöhnen folgen.

Cantrell konnte ich abschreiben, ich musste also selbst zusehen, wie ich mit der Situation fertig wurde. Während ich mich bemühte, meinen Schmerzen keine Beachtung zu schenken, machte ich mich

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daran, meine Fesseln loszuwerden. Immer wieder bewegte ich meine Hände hin und her und versuchte mit letzter Kraft, sie aus den Seilen zu winden.

Nach zehn Minuten hatten die Teufelsdinger sich zwar etwas ge­lockert, aber ich war weit davon entfernt, sie ganz abstreifen zu kön­nen. Zu allem Überfluss hörte ich, wie die Stimmen sich langsam, aber sicher näherten. Ich zerrte immer heftiger an den Fesseln. Als die Schuppentür aufflog, erstarrte ich im selben Moment und machte kei­nen Mucks mehr.

»Was machen wir mit ihnen?«, erkannte ich die Stimme von Sal­vatore Alvarado.

»Zuerst müssen wir sie zum Reden bringen, dann kannst du sie umlegen.«

»Mit Vergnügen.« Das kann ich mir denken, du mieser kleiner Feigling!, knurrte ich

innerlich. Wenn ich dich jemals in die Finger bekommen sollte, mache ich dich noch einen Kopf kleiner und dann sollte nicht mehr viel von dir übrig sein, Makkaroni!

»Ich informiere den Boss. Lass die beiden nicht aus den Augen, verstanden?«

»Alles klar«, entgegnete Salvatore Alvarado und ich hörte, wie sein Bruder wieder aus dem Schuppen stapfte.

Wenn ich hier lebend rauskommen wollte, hatte ich nur diese eine Chance.

»He, Makkaroni«, stöhnte ich leise und ließ meinen Kopf auf mei­ner Brust hin und her rollen.

Da Salvatore mich anscheinend nicht gehört hatte, wiederholte ich das Spiel.

»Hatte ich dir nicht gesagt, dass ein Wiedersehen mit mir böse enden würde?«, meinte der Zwerg mit einem höhnischen Grinsen.

»Wo bin ich?«, gab ich mich benommen. »Das kann dir ganz egal sein, Pat Connor, diese Hütte wird das

Letzte sein, was du in deinem Leben zu Gesicht bekommen wirst.«

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Sieh an, der Kleine hatte ja seine Hausaufgaben gemacht. Ich stöhnte noch einmal und warf dann gequält den Kopf zurück, um mein Kinn gleich wieder auf die Brust fallen zu lassen.

»Ich... ich... weiß, wo die Juwelen sind«, lallte ich. Salvatore kam näher. »Was hast du gesagt?« »... die Juwelen«, keuchte ich. »Du weißt, wo die Juwelen sind?« »Mmh... ja.« »Mach endlich dein Maul auf!«, blaffte mich der Zwerg an und trat

mir vors Schienbein. Ich biss mir auf die Lippen und tat so, als hätte ich den Schmerz

gar nicht gespürt. Stattdessen gab ich noch einmal mein Kopfrollen zum Besten und murmelte unverständliches Zeug vor mich hin.

»Ich versteh dich nicht, Mann!«, brüllte Salvatore und trat noch näher.

Als sein kleines Gesicht nur noch wenige Inches von meiner Na­senspitze entfernt war, riss ich meinen Schädel zurück und verpasste dem Kerl dann mit aller Wucht einen Kopfstoß. Salvatore ruderte kurz mit seinen schmächtigen Armen und stürzte daraufhin japsend zu Bo­den. Obwohl die Fußfesseln noch stramm saßen, gelang es mir, mich auf die Zehenspitzen zu stellen.

Das Gewicht nach vorne verlagernd sprang ich blitzschnell auf und warf mich samt Stuhl, der mir noch am Hintern klebte, auf den Mak­karoni. Derart überrascht von meinem unerwarteten Angriff gelang es ihm nicht mehr rechtzeitig, sich zur Seite zu rollen. Ich landete schwer auf dem Italiener und rammte ihm dabei die Schulter in den Brustkorb. Salvatore keuchte und rang nach Atem.

Dann wälzte ich mich weiter nach vorne und drückte dem zap­pelnden Zwerg mit dem Oberarm endgültig die Luft ab. Als die Miss­geburt keinen Ton mehr von sich gab, ließ ich von Salvatore ab und sah zu, dass ich die Seile loswurde. Als ich es endlich geschafft hatte, lauschte ich in die Dämmerung. Um sicherzugehen, dass der andere Bruder nicht gleich auftauchte, schlich ich zur Schuppentür und spähte vorsichtig nach draußen.

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Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen und ich be­schloss, mich schleunigst aus dem Staub zu machen. Bevor ich mich endgültig von der Hütte verabschieden wollte, hatte ich allerdings noch eine Rechnung zu begleichen.

*

»Wach auf, Cantrell, wir haben nicht ewig Zeit!« Ich hatte mich vor meinem unfreiwilligen Begleiter aufgebaut und

schlug ihm mit der flachen Hand kräftig ins Gesicht. In meinem Ho­senbund steckte Alvarados Kanone.

»Ich bring dich um, Mann!«, knurrte der Kerl, als er wieder zu sich gekommen war. Cantrell war zwar noch nicht ganz fit, aber seine Dro­hung war eindeutig.

»Halt dich bedeckt und hör mir gut zu! Ich hab den einen der bei­den Brüder außer Gefecht gesetzt und es wird nicht mehr lange dau­ern, bis der andere wieder hier aufkreuzt. Du hast also ungefähr zwei Sekunden, die Ohren zu spitzen und dich zu entscheiden: Entweder du rückst endlich damit raus, warum du Ward umgelegt hast und wo die Klunker sind. Oder ich lass dich hier sitzen und verdufte ohne dich. Wenn der Kleine dort drüben aufwacht, wird er sicher nicht erfreut darüber sein, dass ich nicht mehr da bin. Außerdem wird auch er wis­sen wollen, wo du die Kronjuwelen versteckt hast und nicht eher lo­cker lassen, bis du's ihm gesagt hast. Hab gehört, dass die Italiener nicht gerade zimperlich mit Jungs wie dir umgehen.«

Cantrell hustete Blut und versuchte sich zu bewegen. Schmerzer­füllt verzog er seine Visage und sagte schließlich: »Also schön. Ich weiß zwar nicht, was du für ein Irrer bist, aber: Ich habe Ward kalt­gemacht. Von irgendwelchen Klunkern weiß ich allerdings nichts. War nicht Teil meines Auftrags, Mann.«

Ich starrte Cantrell an, der erwartungsvoll zurückblickte. »Was ist jetzt? Machst du mich nun los oder hast du es dir anders

überlegt?«, blaffte er. Langsam wurde es ihm zu ungemütlich hier.

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»Über die Juwelen unterhalten wir uns später«, entgegnete ich nur, griff nach der Kanone und zog Cantrell den Schaft über den Schä­del.

*

»Mister Connor, wann verraten Sie mir endlich, was das Ganze soll?«, nahm mich Mathew an der Tür zu seiner Kanzlei in Empfang. »Und ausgerechnet noch um diese Uhrzeit.«

Ich hatte es irgendwie geschafft, den bewusstlosen Cantrell von seinem Stuhl zu binden und ihn aus dem Schuppen zu schleppen. Ob­wohl ich dem Schrank gut eins übergezogen hatte, wollte ich kein Ri­siko eingehen und hatte beschlossen, ihn weiterhin gefesselt zu las­sen. Ich hatte mir den Caddy ausgeliehen, den Giovanni Alvarado mir freundlicherweise überlassen hatte, nachdem ich ihn vor dem Schup­pen abgefangen und ihm vorübergehend die Lichter mit einem ge­zielten Schlag auf den Solarplexus ausgepustet hatte.

»Ich habe Ihnen doch bereits am Telefon gesagt, dass ich ein Pa­ket für Sie habe«, erwiderte ich und schob Cantrell vor mir her, der in­zwischen wieder bei Bewusstsein war und nun unwillig in das Büro des Anwalts stolperte.

»Wen haben Sie denn da mitgebracht?«, wollte der Schnösel wis­sen und stierte nervös auf den unbekannten Besucher.

»Darf ich vorstellen: Das ist der Mörder von Franklin Ward. Glück­liche Umstände haben mir dazu verholfen, ihn heute Abend mitzubrin­gen.«

»Wir müssen die Polizei verständigen!«, nahm Mathews Stimme einen schrillen Ton an. Theatralisch griff er sich mit der Hand an den Kragen und ich dachte in diesem Augenblick, dass er sich seit unserer letzten Begegnung kaum verändert hatte. Der Unterschied bestand nur darin, dass er mir jetzt nur noch mehr auf die Nerven ging.

»Du mieses Drecksschwein!«, brüllte Cantrell, dem seine neue Be­kanntschaft nicht zu passen schien. Er versuchte sich von mir loszurei­ßen, doch der Lauf von Alvarados Knarre in seinem Rücken ließ ihn sofort wieder ruhiger werden.

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»Was haben Sie sich denn dabei gedacht?«, kam es kläglich aus Mathews Richtung.

»Mister, ich verdiene mein Geld damit, für andere Leute Ermittlun­gen anzustellen und in der Regel erfülle ich meine Aufträge auch. Sie und Vivian Ward wollten, dass ich den wahren Mörder von Franklin finde. Und hier ist er.«

Der Winkeladvokat schnappte nach Luft und tastete in der Jackett­tasche vergeblich nach seinem Taschentuch.

»Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie sich das anders vorgestellt hatten, Mathew. Ich weiß genau, was ich tue und Sie sollten schleunigst zu der gleichen Auffassung gelangen, dass dies die einzige Möglichkeit ist, Ted aus dem Staatsgefängnis zu bekommen.«

»Aber...« »Aber, aber, aber!«, schnitt ich der Trauergestalt das Wort ab.

»Haben Sie einen besseren Plan? Ein Geständnis ist vor Gericht doch mehr als Gold wert, nicht?«

»Geständnis?«, echoten Cantrell und Mathew gleichzeitig. »Sie haben richtig gehört, Herrschaften«, entgegnete ich. Und in

Richtung des Schrankes: »Du unterzeichnest ein Geständnis. Mister Mathew wird so freundlich sein, die Angelegenheit zu bezeugen und zu beglaubigen. Haben Sie mal was zu schreiben?«

Mathew setzte sich unsicher in Bewegung und kehrte mit einem leeren Blatt Papier und einem Füller zurück.

»So, Cantrell. Schreiben Sie: ›Hiermit erkläre ich aus freien Stü­cken‹«, diktierte ich und stieß ihm die Knarre dabei noch heftiger in den Rücken, »›dass ich Franklin Ward getötet habe.‹«

»Das ist doch nicht Ihr Ernst, Mister Connor!«, protestierte Ma­thew. »Als Anwalt kann ich diese Vorgehensweise keineswegs guthei­ßen. Ich...«

»Schnauze!«, fuhr ich ihm über den Mund. »Was sind Sie eigent­lich für ein mieser Verteidiger?«

Mathew verstummte und schloss für einen Moment resigniert die Augen.

»Ich weigere mich, dieses Geständnis zu unterzeichnen!«, mel­dete sich Cantrell wieder zu Wort.

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»Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben, Anwalt!« »Ich liefere mich doch nicht selbst ans Messer. Für wie dumm

hältst du mich eigentlich, Mann?« »Okay, da ist was dran, Cantrell. Du hast ja doch noch einen Fun­

ken Verstand in deinem Schädel. Ich schlage dir also einen Deal vor: Du unterschreibst den verdammten Wisch und dann kannst du von mir aus von hier verschwinden.«

Wenn Cantrell auf den Handel einging, hatte ich meinen Job erle­digt. Der Rest war Aufgabe des Police Department. Wenn er dagegen nicht unterschrieb, hatte ich ein Problem. Ich hätte Cantrell gleich bei den Bullen abliefern können, aber letzten Endes hatten wir nichts ge­gen ihn in der Hand. Vor Gericht würde Aussage gegen Aussage ste­hen und Ted Barker hätte nach wie vor schlechte Karten.

»Das können Sie nicht machen!«, jaulte Mathew auf. »Sie sehen doch, dass ich es kann. Was ist jetzt, Cantrell?« »Von mir aus, das Ding ist eh nichts wert.« »Das werden wir ja sehen.« Cantrell langte erneut nach dem Fül­

ler und setzte seine krakelige Unterschrift unter das Schriftstück. »Zufrieden?« Ich warf einen Blick auf das Papier und antwortete: »Wie schön,

dass wir uns einig geworden sind. War 'ne schwere Geburt, aber jetzt sind ja alle zufrieden. Nicht wahr, Mathew?«

Der Anwalt verdrehte die Augen und nahm das Dokument an sich. »Und wann nimmst du mir endlich diese verdammten Dinger

ab?«, kläffte Cantrell und deutete mit seinem Kinn in Richtung seiner Fesseln.

»Wenn du mir verrätst, wer dir den Auftrag gegeben hat.« »Woher soll ich das wissen? Sind uns ja nie begegnet.« »Erzähl das deiner Großmutter, Cantrell. Ich kann dich immer

noch zum Chicago Police Department schleifen, wenn du nicht lang­sam spurst!«

»Ich schwöre, ich habe keine Ahnung!«, wurde der Hitman plötz­lich nervös. »Ich weiß nur, dass es eine Frau gewesen ist.«

*

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Page 82: Die Lady und der Mord

Eine Stunde später stand ich vor der Ward-Villa. Vivian schien an die­sem Abend nicht mehr mit mir gerechnet zu haben, öffnete aber be­reits nach dem ersten Klingeln die Tür.

»Was ist denn mit dir passiert?« »Teddy wird freikommen, Vivian«, entgegnete ich und trat ins

Haus. »Oh Pat, das ist ja wunderbar«, strahlte sie und warf sich an mei­

nen Hals. Sie trug wieder den unwiderstehlichen Hausmantel, in dem sie mich schon vor ein paar Tagen empfangen hatte. Ihr Körper press­te sich an meinen und ich konnte riechen, dass ihr Haar nach Honig duftete. »Küss mich!«

Ich tat ihr den Gefallen. »Willst du gar nicht wissen, wie ich das angestellt habe?«, mur­

melte ich abwesend. »Doch, doch, Pat, du musst mir alles erzählen!«, erwiderte sie und

versuchte, mich in Richtung Couch zu ziehen. Ich hielt sie zurück und registrierte, dass das Innere des Hauses wieder perfekt hergerichtet war. Seit dem Einbruch hatten Vivian und ihr Butler offensichtlich gan­ze Arbeit geleistet, um alle Spuren des ungebetenen Besuchs zu besei­tigen.

»Sieht aus wie vorher.« »Ja, ich mag es nicht, wenn Unordnung herrscht. Komm schon,

setz dich endlich mit mir hin!« »Warte.« »Was hast du denn plötzlich, Pat? Stimmt was nicht?« »Eine ganze Menge stimmt hier nicht.« »Wie meinst du das?« »Seit wann wusstest du von den Juwelen, Vivian?«, fragte ich und

blickte die Frau in meinem Arm unverwandt an. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Darling.« »Das weißt du ganz genau«, entgegnete ich scharf und verstärkte

meinen Griff. »Was soll das, Pat? Lass mich los, du tust mir ja weh!«

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Page 83: Die Lady und der Mord

»Hattest du von vorneherein geplant, deinen Mann umbringen zu lassen?«

»Du bist ja verrückt!« »Ich war nie klarer als in dieser Sekunde, Schätzchen.« »Das ist doch nicht dein Ernst. Ich habe nichts mit dem Mord zu

tun.« »Bist du dir da ganz sicher?« »Natürlich. Weshalb hätte ich so etwas Dummes tun sollen?« »Ganz einfach«, erwiderte ich mit rauer Stimme. »Erstens bist du

auf diese Weise sehr elegant deinen verhassten Ehemann losgewor­den. Zweitens hast du ein Vermögen geerbt und drittens musstest du die Juwelen auch nicht mehr mit irgendjemandem teilen.«

»Pat, du nimmst mich auf den Arm, nicht?«, lachte Vivian plötzlich laut auf und drängte sich wieder an mich, sodass ich ihre festen Brüste spürte. »Ich habe dich durchschaut, du kannst endlich aufhören mit deinen albernen Späßen.«

»Da irrst du dich gewaltig, Liebling.« »Du fantasierst ja!«, erwiderte Vivian heftig. Leichter Ärger

schwang nun in ihrer Stimme mit. »Das kannst du der Polizei erzählen.« »Aber Pat!«, rief sie und zum ersten Mal wurde ihr klar, dass ich

es todernst meinte. »Irgendwann hast du spitzbekommen, dass Franklin vorhatte, die

Juwelen aus seiner Bank mitgehen zu lassen.« Vivian schwieg. Ihre Miene verriet keinerlei Gemütsregung. »Unterbrich mich, wenn ich falsch liege«, fuhr ich ungerührt fort.

»Du hast dir gedacht, wenn du die Sache selbst in die Hand nimmst, wärst du mit einem Schlag all deine Probleme los.«

Vivian sagte immer noch nichts, sondern starrte mich nur an. »Das war ein gefährliches Spiel, auf das du dich da eingelassen

hast. Niemand ist auf deiner Seite, Schätzchen, du stehst ganz allein da, wenn alles vorbei ist. Ich frage mich, ob du bereits Kontakt zu die­sem fetten Franzosen aufgenommen hast. Wie war gleich sein Name? Du kannst mir sicher auf die Sprünge helfen.«

Sie schwieg.

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Page 84: Die Lady und der Mord

»Ach, ja, wie konnte ich das vergessen: Monsieur Aimée ist sein Name. Eine wirklich imposante Erscheinung. Und offenbar nicht unbe­tucht. Hast du ihn schon in seinem Hotelzimmer beglückt? Oder woll­test du damit noch warten, bis du mich abserviert hast?«

»Wag es nicht, so mit mir zu sprechen!«, zischte Vivian. »Meine Liebe, das interessiert mich eigentlich überhaupt nicht.

Viel interessanter wäre doch die Frage, ob du Teddy hättest über die Klinge springen lassen.«

Zum ersten Mal blitzte Hass aus Vivians Gesichtszügen hervor. Sie riss sich jedoch gleich wieder zusammen und rang sich ein Lächeln ab.

»Ich glaube, du hattest einen harten Tag heute, Liebling. Wie wär's, wenn du dich ein wenig ausruhst und wir reden morgen dar­über.«

»Vivian, hör endlich auf mit dem Theater, es ist vorbei!« »Du elender Mistkerl, scher dich zum Teufel!«, kreischte sie plötz­

lich und versuchte, sich von mir loszureißen. »Ich denke gar nicht daran. Du wirst dafür bezahlen, Vivian.« »Du kannst mir gar nichts anhaben!«, schrie sie und bäumte sich

noch heftiger auf. »Da wird Cantrell anderer Meinung sein.« »Wer soll das sein?«, keuchte Vivian. »Der Mann, den du engagiert hast, um deinen Mann umzulegen.« »So ein Schwachsinn!« »Ich habe ein schriftliches Geständnis von ihm, dass er Franklin

ermordet hat.« »Na und? Was geht mich das an?«, tobte sie. »Selbst wenn er es

war, heißt das noch lange nicht, dass ich etwas damit zu tun habe.« »Cantrell hatte kein Motiv, Vivian. Er wusste noch nicht mal was

von den Klunkern«, lachte ich auf. »Du hast uns alle die ganze Zeit an der Nase herumgeführt. Selbst Rigobellos Leute hast du reingelegt. Aber mit einem hattest du nicht gerechnet: Dass dein geliebter Bruder von Franklins Plan wusste. Dein Mann hatte ihn in der Mordnacht zu sich bestellt, um die Juwelen wegzuschaffen. Du hattest dagegen ganz andere Pläne. Teddy war einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, kann man sagen. Das war der einzige Haken an deinem genialen

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Plan. Wenn Teddy nicht dort gewesen wäre, hättest du mich gar nicht anheuern brauchen, stimmt's? Du hast Ted so sehr geliebt, dass dich dieser Luxus nun selbst ins Kittchen bringen wird. Arme kleine Vivian, mir kommen fast die Tränen.«

»Verschon mich mit deinen wilden Theorien. Ich glaube, du soll­test jetzt besser gehen.«

»Keine schlechte Idee. Ich begleite dich, Liebling.« »Wovon redest du?«, keimte ein Hoffnungsschimmer in Vivian auf.

»Du kannst es dir überlegen. Wir lassen einfach alles hinter uns und verschwinden aus Chicago.«

»Ein anderes Mal vielleicht. Jetzt haben wir erst mal eine Verabre­dung mit einem alten Freund von mir. Captain Hollyfield erwartet uns draußen schon.«

Ende

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