Die Diskussion des status prelationis
im Gutachten
‚De paupertate Christi et apostolorum‘
des Durandus von St. Pourçain
Christoph Burdich
Die Diskussion des status prelationis
im Gutachten ‚De paupertate Christi et apostolorum‘
des Durandus von St. Pourçain
Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten
Staatsprüfung, dem Landesprüfungsamt für Erste
Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen vorgelegt
von:
Christoph Burdich
Köln, den 9.3.2015
Prof. Dr. Karl Ubl
Universität zu Köln
Historisches Institut
Abteilung für Mittelalterliche Geschichte
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 3
I Die Vollkommenheit des status prelationis 10
I.1 Der status prelationis als status perfectionis 10
I.2 Die Vollkommenheit des status prelationis im Vergleich
zur Vollkommenheit des status religionis 16
II Der Besitz des status prelationis – eine Legitimation 26
III Rekurs auf den Prälatenstand in den Argumenten gegen das
franziskanische Konzept apostolischer Armut 33
IV Vergleich zwischen Durandus‘ Standpunkt und den Positionen
anderer Autoren zum status prelationis in der Debatte über die
apostolische Armut (1322/23) 41
V Vergleich zwischen der Position zum status prelatorum et rectorum
in Durandus‘ Sentenzenkommentar und der Argumentation in
De paupertate Christi et apostolorum 54
Fazit 63
Quellen- und Literaturverzeichnis 69
1. Abkürzungen 69
2. Quellen 69 a) Handschriften 69 b) Gedruckte Quellen 69
3. Literatur 71
Erklärung zum Verfassen der Arbeit 76
3
Einleitung
Als falsch und als Wurzel eines überaus gefährlichen Irrtums bezeichnet der
dominikanische Theologe Durandus von St. Pourçain (1270/75-1334)1 in seinem
Gutachten ‚De paupertate Christi et Apostolorum‘ die Ansicht, Christus und die Apostel
hätten nichts persönlich oder in Gemeinschaft besessen, sondern nur einen usus facti,
einen faktischen Gebrauch von alltäglichen Dingen wie Nahrungsmitteln, Kleidung
und Geld, gehabt.2 Ein solches Verständnis der apostolischen Armut sei nämlich der
Grund, warum einige nicht näher genannte Personen bestreiten, dass der Papst und
die Prälaten dem Vorbild der Apostel folgen. Dadurch werde den Inhabern
kirchlicher Autorität und Amtsgewalt die Grundlage ihrer Legitimität entzogen. Weil
Durandus, zum damaligen Zeitpunkt selbst Bischof von Le Puy-en-Velay, aber
keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kirchenführung hat, dient ihm der
Prälatenstand, zu dem er auch den Papst zählt, als Einwand gegen die These, Christus
und die Apostel hätten auf jeglichen Besitz verzichtet und lediglich einen usus facti
ausgeübt.3
Das Gutachten ‚De paupertate Christi et Apostolorum‘ entstand im Kontext des
sogenannten ‚Theoretischen Armutsstreits‘, der in den Zwanziger- und
Dreißigerjahren des 14. Jahrhunderts über die Frage geführt wurde, ob Jesus und die
Apostel keinerlei persönlichen oder kollektiven Besitz gehabt hatten.4 Die Minoriten
waren von der totalen Besitzlosigkeit Christi und der Apostel überzeugt.5 Sie
1 Überblick über Durandus‘ Leben geben beispielsweise Joseph Koch: Durandus de S. Porciano.
Forschungen zum Streit um Thomas von Aquin zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Erster Teil: Literaturgeschichtliche Grundlegung (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen 26), Münster i. W. 1927, S. 396-436 und Isabel Iribarren: Durandus of St Pourçain. A Dominican Theologian in the Shadow of Aquinas, Oxford 2005, S. 1-9.
2 Durandus von St. Pourçain: De paupertate Christi et apostolorum, q. 1 (ed. Miethke (1993), S. 183): „Dicere autem quod in hiis, que habuerunt, non habuerunt nisi solum usum facti et nihil dominii seu proprietatis, non est adeo clare hereticum, quia scriptura sacra de hoc non loquitur pro vel contra. Puto tamen quod sit falsum et radix erroris periculosissimi, qui apud aliquos insurrexerit, videlicet quod potestas et auctoritas ecclesie, quam Christus commisit Petro et apostolis non manet apud papam nec apud prelatos pro eo, quod non sunt succesores (sic!) eorum, quia, ut dicunt, non imitantur vitam Christi et apostolorum nihil habendo in proprio vel communi.“
3 Ulrich Horst: Evangelische Armut und Kirche. Thomas von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, NF 1), Berlin 1992, S. 209f.; ders.: Evangelische Armut und päpstliches Lehramt: Minoritentheologen im Konflikt mit Papst Johannes XXII. (1316-34)(Münchener Kirchenhistorische Studien 8), München 1996, S. 130.
4 Für einen Überblick über den ‚theoretischen Armutsstreit‘ siehe Jürgen Miethke: Der „theoretische Armutstreit“ im 14. Jahrhundert. Papst und Franziskanerorden im Konflikt um die Armut, in: Heinz-Dieter Heimann [u.a.](Hgg.): Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Paderborn [u.a.] 2012, S. 243-284.
5 Ebd., S. 267; Jens Röhrkasten: Theorie und Praxis der Armut im mittelalterlichen Franziskanerorden, in: Heinz-Dieter Heimann [u.a.](Hgg.): Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Paderborn [u.a.] 2012, S. 347-366, bes. S. 347f. u. 350.
4
vertraten damit diejenige Position, die aus Durandus‘ Sicht wegen ihrer gefährlichen
ekklesiologischen Konsequenzen abzulehnen ist.6 Sich selbst sah der
Franziskanerorden als Gemeinschaft, die gemäß dem Beispiel der Apostel auf jegliche
Form von Eigentum (proprietas) oder Besitzrecht (dominium) verzichtet.7 Ihrem eigenen
Verständnis zufolge entsprachen die Minoriten dem apostolischen Vorbild
‚extremster Armut‘ (altissima paupertas), indem sie zeitliche Güter nur im Sinne eines
‚einfachen faktischen Gebrauchs‘ (simplex usus facti) nutzten, ohne sie
eigentumsrechtlich zu besitzen.8 Um den Angehörigen des Minoritenordens ein
Leben in persönlicher und kollektiver Besitzlosigkeit zu ermöglichen, übernahm seit
der Bulle Ordinem vestrum Innozenz‘ IV. von 1254 der Papst stellvertretend das
dominium über die temporalia, die von den Franziskanern genutzt wurden.9 Johannes
XXII. distanzierte sich jedoch anlässlich eines Ketzereiprozesses, in dem 1321 von
einem Inquisitor Zweifel an der Richtigkeit der minoritischen Auffassung von
apostolischer Armut geäußert worden waren, vom Kurs seiner Vorgänger.10 Zunächst
hob der Papst am 26. März 1322 durch seine Dekretale Quia nonnumquam das Verbot
auf, die Bulle Exiit qui seminat (1279) zu kommentieren.11 In Exiit hatte Nikolaus III.
nämlich festgelegt, dass der Verzicht auf persönlichen und gemeinschaftlichen Besitz
durch das Wort und Vorbild Christi als Weg zur Vollkommenheit aufgezeigt worden
sei.12 Um eine endgültige Klärung der Frage nach dem Besitz Christi und der Apostel
herbeizuführen, bat Johannes XXII. im Frühjahr 1322 zahlreiche Bischöfe und
Theologen um eine Antwort auf die Streitfrage.13 Nachdem zunächst im März
6 Vgl. Anm. 3. 7 Janet Coleman: Property and Poverty, in: James Henderson Burns (Hg.): The Cambridge History
of Medieval Political Thought c. 350-c. 1450, Cambridge 1988, S. 607-648, hier S. 635f. 8 Ebd.; Jürgen Miethke: Paradiesischer Zustand – Apostolisches Zeitalter – Franziskanische Armut.
Religiöses Selbstverständnis, Zeitkritik und Gesellschaftstheorie im 14. Jahrhundert, in: Franz J. Felten/Nikolas Jaspert (Hgg.): Vita Religiosa im Mittelalter. FS Kasper Elm (Berliner Historische Studien 31, Ordensstudien XIII), Berlin 1999, S. 501-532, bes. S. 513f. Die Frage, wie eingeschränkt oder freizügig der tatächliche Gebrauch von Gütern gehandhabt werden sollte, war im Franziskanerorden umstritten, wie unter anderem die Debatte beweist, die ungefähr zwischen 1279 und 1318 über den usus pauper geführt wurde; siehe hierzu David Burr: Olivi and the Franciscan Poverty. The Origins of the Usus Pauper Controversy, Philadelphia 1989.
9 Miethke: Paradiesischer Zustand (1999), S. 515. 10 Miethke: Armutsstreit (2012), S. 265f. 11 Malcolm D. Lambert: Franciscan Poverty. The Doctrine of the Absolute Poverty of Christ and the
Apostles in the Franciscan Order 1210-1323, rev. and expand. ed., New York 1998, S. 243f. 12 Ebd., S. 151; Exiit qui seminat, § Porro (Corpus Iuris Canonici 2, ed. Friedberg (1881), Sp. 1112):
„...abdicatio proprietatis huiusmodi omnium rerum non tam in speciali, quam etiam in communi propter Deum meritoria est et sancta, quam et Christus viam perfectionis ostendens, verbo docuit et exemplo firmavit, quamque primi fundatores militantis ecclesie, prout ab ipso fonte hauserant, volentes perfecte vivere, per doctrinae ac vitae exempla in eos derivarunt.“
13 Jürgen Miethke: Das Votum De paupertate Christi et apostolorum des Durandus von Sancto Porciano im theoretischen Armutsstreit. Eine dominikanische Position in der Diskussion um die franziskanische Armut (1322/3), in: Stuart Jenks/Jürgen Sarnowsky/Marie-Luise Laudage (Hgg.): Vera Lux Historiae. Studien zu mittelalterlichen Quellen. FS Dietrich Kurze, Köln 1993, S. 149-196, hier S. 154-158.
5
mündliche Beiträge zu der Debatte vor dem Konsistorium vorgetragen worden
waren, legten viele Experten – darunter auch Durandus als episcopus Aniciensis – auf
päpstlichen Wunsch ihre Positionen in schriftlicher Form dar. Die Abhandlung des
Bischofs aus dem Dominikanerorden und 65 Stellungnahmen anderer Autoren
wurden im Codex Vat. lat. 3740 gesammelt.14 Mit Hilfe dieses Manuskripts
informierte sich der Papst über die Argumente der verschiedenen Gutachter, wie
Marginalien aus der Hand Johannes‘ XXII. belegen.15 Die Randbemerkungen zu
Durandus‘ Votum lassen darauf schließen, dass sich der Papst eingehend mit diesem
Beitrag beschäftigt hat.16
Nach Ansicht Jürgen Miethkes war Johannes XXII. nicht an einer ergebnisoffenen
Diskussion über die Armut Christi und der Apostel interessiert.17 Stattdessen dienten
die Debatte an der Kurie und die theologischen Gutachten der Vorbereitung der
Dekretalen, durch die der Papst das franziskanische Armutskonzept widerlegen
wollte.18 Die Bulle Cum inter nonnullos vom 12. November 1323, in der Johannes XXII.
die franziskanische Armutsauffassung als Häresie deklarierte, bildet Miethke zufolge
den sicheren terminus ante quem für die Entstehung von Durandus‘ Votum.19 Gian
Luca Potestà nimmt zwar an, dass bereits die Promulgation der Dekretale Ad
conditorem canonum (8. Dezember 1322) den Abschluss der Phase markierte, in welcher
der Papst die Gutachter um ihre Meinungen ersuchte.20 Er räumt jedoch ein, dass
auch danach noch Beiträge Eingang in den Codex Vat. lat. 3740 fanden. Der jüngste
Beitrag in der Handschrift wird nämlich auf den Zeitraum zwischen Frühjahr und
Sommer 1323 datiert.21
14 Für eine detaillierte Beschreibung des Codex und eine Auflistung der enthaltenen Texte siehe Louis
Duval-Arnould: Les conseils remis à Jean XXII sur le problème de la pauvreté du Christ et des apôtres (Ms. Vat. lat. 3740), in: Miscellanea Bibliothecae Apostolicae Vaticanae III (Studi e Testi 333), Città del Vaticano 1989, S. 121-201.
15 Identifizierung der Handschrift Johannes’ XXII. durch Anneliese Maier: Annotazioni autografe di Giovanni XXII in codici vaticani, in: RSCI 6 (1952), S. 317-332, hier S. 319-322 (danach abgedruckt in: dies.: Ausgehendes Mittelalter. Gesammelte Aufsätze zur Geistesgeschichte des 14. Jahrhunderts, Bd. II (Storia e Letteratura. Raccolta di Studi e Testi 105), Roma 1967, S. 81-96, hier S. 84-86).
16 Ebd.; Horst: Armut und Kirche (1992), S. 207; Miethke: Votum (1993), S. 161, Anm. 50. 17 Miethke: Votum (1993), S. 155. 18 Ebd., S. 157 u. 159. 19 Louis Duval-Arnould: La Constitution „Cum inter nonnullos“ de Jean XXII sur la pauvreté du Christ
et des Apôtres: Rédaction préparatoire et rédaction définitive, in: AFH 77 (1984), S. 406-420, hier S. 419f.
20 Gian Luca Potestà: Ubertino da Casale e la altissima paupertas, tra Giovanni XXII e Ludovico il Bavaro, in: Oliviana (online) 4 (2012) <URL: http://oliviana.revues.org/471> (abgerufen am 18.02.2015), §9. Potestà bezieht sich hier auf die erste Fassung der Bulle.
21 Louis Duval-Arnould: Élaboration d’un document pontifical: les travaux préparatoires à la constitution apostolique Cum inter nonnullos (12 novembre 1323), in: Aux origines de l’état moderne. Le fonctionnement administratif de la papauté d’Avignon. Actes de la table ronde d’Avignon, 23-24 janvier 1988, Roma 1990, S. 385-409, hier S. 401, bes. Anm. 47; Potestà: Ubertino (2012), §10, Anm. 15.
6
Das eingangs zitierte Argument des Durandus, dass Christus und die Apostel über
gemeinschaftliche Habe verfügten, weil andernfalls die Autorität der Prälaten infrage
gestellt würde, folgt einem Muster, das in der damaligen Auseinandersetzung
verbreitet war. Wie Andrea Tabarroni aufzeigt, zogen die verschiedenen
Konfliktparteien in der Debatte vielfach von einer zeitgenössischen Lebensform, die
sie als Realisierung des apostolischen Ideals betrachteten, Rückschlüsse auf Jesus und
seine Begleiter.22 Im Zuge einer argumentativen ‚Inversion‘ wurden die
unterschiedlichen zeitgenössischen Konzepte einer Apostelnachfolge gewissermaßen
zu ‚Vorbildern ihres Vorbildes‘.23
Der Stand der Prälaten fungiert im Gutachten des Durandus nicht nur als Beleg
dafür, dass Christus und die Apostel gemeinschaftlich etwas besaßen. Im zweiten Teil
von De paupertate Christi et apostolorum setzt sich der dominikanische Autor mit der
Frage auseinander, ob der Verzicht auf jeglichen persönlichen und
gemeinschaftlichen Besitz einen höheren Grad an Vollkommenheit konstituiere als
jede andere Lebensform. Eine zentrale Stellung nimmt dabei der Beweis ein, dass
religiöse Orden durch keine Form der Armut die Vollkommenheit des status
prelationis24 erreichen können. Durandus‘ Argumentation wurde in groben Zügen
bereits von Ulrich Horst skizziert.25 Es fehlt jedoch bislang eine ausführliche Analyse
der Position, die der Bischof von Le Puy in seinem Votum zum Prälatenstand
einnimmt.
Eine solche Untersuchung des status prelationis im Gutachten De paupertate Christi et
apostolorum ist Ziel der vorliegenden Arbeit. Für diese Studie wird einerseits analysiert,
wie Durandus die Vollkommenheit des Prälatenstandes beweist (Kapitel I.2) und
dessen Besitz legitimiert (Kapitel II). Andererseits ist herauszuarbeiten, inwiefern der
Autor auf den status prelationis rekurriert, um dadurch franziskanische Argumente zu
entkräften (Kapitel III). Zuvor muss jedoch geklärt werden, was in dem Votum unter
dem status prelationis zu verstehen ist (Kapitel I.1). Die Analyse von Durandus‘
Standpunkt wird durch die ideengeschichtliche Fragestellung begleitet, inwiefern der
Autor Argumente nutzte, die zuvor schon in anderen historischen Kontexten
verwendet worden waren. Horst stellte bereits fest, dass sich das Gutachten eng an
22 Andrea Tabarroni: Paupertas Christi et Apostolorum. L’ideale francescano in discussione (1322-
1324)(Istituto Storico Italiano per il Medio Evo, Nuovi Studi Storici 5), Roma 1990, S. 42, Anm. 48 u. S. 51, Anm. 65.
23 Ebd. 24 Für lateinische Termini wird nach Möglichkeit die Schreibweise der jeweils zitierten Quelle
beibehalten. Im Folgenden ist daher beispielsweise je nach Autor vom status prelationis oder vom status praelationis die Rede.
25 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210.
7
der Vollkommenheitslehre und Ekklesiologie des Thomas von Aquin orientiert.26
Auch Jürgen Miethke bemerkt, dass der Bischof von Le Puy in seinem Votum auf
Argumente zurückgriff, die Thomas in seinen Auseinandersetzungen mit Autoren aus
dem Weltklerus und aus dem Minoritenorden gebraucht hatte.27 Welche Parallelen
zwischen Durandus‘ Standpunkt zum status prelationis und Thomas‘ Schriften
bestehen, wurde aber bislang noch nicht im Detail aufgezeigt.
Tabarroni betont, dass die Kritik an den minoritischen Armutskonzeptionen um 1322
in der Tradition weltgeistlicher Polemik stand, die sich seit Mitte des 13. Jahrhunderts
gegen die Bettelorden und besonders gegen die Franziskaner richtete.28 Die
Berührungspunkte zwischen den Positionen, die Autoren aus dem Weltklerus
unterstützten, und Durandus‘ Argumentation zum status prelationis sind jedoch bis jetzt
nicht hinreichend erforscht. In die hier angestrebte Untersuchung werden diejenigen
Quästionen aus den Quodlibeta der Weltgeistlichen Heinrich von Gent und Gottfried
von Fontaines einbezogen, die sich mit der Vollkommenheit des Prälatenstandes
befassen.
Die Studie erhebt nicht den Anspruch, alle Quellen zu ermitteln, die der Bischof von
Le Puy für die Anfertigung seines Votums nutzte.29 Stattdessen sollen durch die
Identifikation argumentativer Ähnlichkeiten ideengeschichtliche Kontinuitäten
sichtbar werden. Zugleich ist bei der Suche nach Parallelen aber zu berücksichtigen,
dass sich sowohl Thomas als auch Heinrich und Gottfried jeweils in einer
historischen Situation zum status praelationis äußerten, die sich deutlich vom
Entstehungskontext des Gutachtens De paupertate Christi et apostolorum unterschied.
Thomas und die beiden genannten Weltgeistlichen entwickelten ihre Positionen zum
Prälatenstand unter dem Eindruck des Konfliktes zwischen Mendikanten und
Weltklerus, der ab dem Pariser Bettelordenstreit (ab 1252) in einer Serie von
Auseinandersetzungen ausgetragen wurde.30 Gegenstand des Streites, der in einer
Vielzahl von Streitschriften, Traktaten und Quästionen seinen Niederschlag fand,
waren zunächst die Pastoralprivilegien der Bettelorden und deren Status an der
26 Ebd. 27 Miethke: Votum (1993), S. 161. 28 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 31. 29 Interessant wäre beispielsweise ein Vergleich zwischen Durandus‘ Text und den Quodlibeta des
Weltgeistlichen Jean de Pouilly. Eine solche Gegenüberstellung kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht vorgenommen werden, da die relevanten Quästionen aus dem Werk des Jean de Pouilly noch nicht ediert sind.
30 Eine knappe Zusammenfassung des Streitverlaufs im 13. Jahrhundert bietet Clifford Hugh Lawrence: The Friars. The Impact of the Early Mendicant Movement on Western Society, London – New York 1994, S. 152-161. Für einen chronologischen Überblick über bedeutende Quellen zu dem Konflikt siehe Yves M.-J. Congar: Aspects ecclésiologiques de la querelle entre mendiants et séculiers dans la seconde moitié du XIIIe siècle et le début du XIVe, in: AHDLMA 28 (1961), S. 35-151, hier S. 45-52.
8
Universität von Paris. Darüber hinaus wurde aber auch das grundsätzliche Problem
diskutiert, ob der Prälatenstand oder der Stand der Religiosen vollkommener sei als
der jeweils andere status.31 Die Seite der Weltkleriker sprach dem status praelationis32
größere Vollkommenheit zu als den Bettelorden und bestritt, dass die Bettelorden
einen Stand der Vollkommenheit (status perfectionis) bilden.33 In dieser Tradition stehen
die Äußerungen Heinrichs und Gottfrieds zum Prälatenstand aus den Achtziger- und
Neunzigerjahren des 13. Jahrhunderts.34 Zuvor hatte Thomas in seinen Schriften auf
ältere weltgeistliche Kritik an den Bettelorden reagiert.35 Wie im Verlauf der Arbeit
noch näher zu erläutern ist, formulierte Thomas seine Ansichten über das Verhältnis
zwischen Prälatenstand und status religionis aber auch in Abgrenzung zu
franziskanischen Überzeugungen.36 Thomas‘ Vollkommenheitslehre stieß daher auf
den Widerspruch minoritischer Theologen und wurde zum Objekt einer erbitterten
Debatte zwischen Dominikanern und Franziskanern, die als ‚Korrektorienstreit‘
bekannt ist.37
Nach der Analyse von Durandus‘ Argumentation wird untersucht, welche Positionen
andere Gutachter in der Debatte der Jahre 1322/23 zum status prelationis einnahmen
(Kapitel IV). Der Vergleich zwischen dem Standpunkt, der in De paupertate Christi et
apostolorum vertreten wird, und den Auffassungen anderer Autoren soll zentrale
Gemeinsamkeiten und Unterschiede hervortreten lassen. Dies erlaubt erstens eine
Einordnung von Durandus‘ Ansicht über den Prälatenstand in den Kontext der
Debatte über die apostolische Armut. Die Gegenüberstellung der Texte ist zweitens
auch deshalb erforderlich, weil in den Voten teilweise Anzeichen einer Beeinflussung
durch andere Gutachten zu finden sind. So führt Patrick Nold insgesamt drei
Textstellen an, in denen der Bischof von Le Puy die Dicta des franziskanischen
Kardinals Bertrand de la Tour zu widerlegen scheint.38 Interdependenzen dieser Art
31 Kurt Schleyer: Disputes scolastiques sur les états de perfection, in: RTAM 10 (1938), S. 279-293,
hier S. 279f. 32 Was die weltgeistlichen Autoren unter dem status praelationis verstanden, ist im Folgenden noch
näher zu erläutern. Siehe hierzu Kap. I.1, S. 13. 33 Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), S. 54 u. 58f. 34 Schleyer: Disputes scolastiques (1938), bes. S. 286f. u. 289. 35 Ludwig Hödl: Die Theologische Diskussion des Heinrich von Gent († 1293) über die thomasische
Lehre vom vollkommenen christlichen Leben (Quodl. XII 28-29), in: Willehad Paul Eckert (Hg.): Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption. Studien und Texte (Walberberger Studien, Philosophische Reihe 5), Mainz 1974, S. 470-487, hier S. 472-474.
36 Ebd.; Ulrich Horst: Evangelische Armut und Kirche. Ein Konfliktfeld in der scholastischen Theologie des 13. Jahrhunderts, in: Jan A. Aertsen/Andreas Speer (Hgg.): Geistesleben im 13. Jahrhundert (Miscellanea Mediaevalia 27), Berlin – New York 2000, S. 308-320, hier S. 312f.
37 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 177-189. 38 Patrick Nold: Pope John XXII and his Franciscan Cardinal. Bertrand de la Tour and the Apostolic
Poverty Controversy, Oxford 2003, S. 87, Anm. 73. Nold identifiziert drei solcher Textstellen, wie aus seinem Apparat zur Edition von Bertrands Dicta hervorgeht, vgl. ebd., S. 182, Anm. 41; S. 190, Anm. 95 u. 96. Siehe hierzu unten, Kap. IV, S. 43, Anm. 267.
9
sind möglich, da die verschiedenen Voten der Kardinäle, Bischöfe und Theologen
nicht alle zeitgleich verfasst und beim Papst eingereicht wurden. Nach Ansicht Nolds
zirkulierten während der Debatte der Jahre 1322/23 Meinungen und zentrale
Argumente in mündlicher und schriftlicher Form, sodass die Gutachter in ihren
Texten teilweise aufeinander Bezug nehmen konnten.39 Vor diesem Hintergrund
betrachtet Nold die Sammlung an Expertenmeinungen, die im Codex Vat. Lat. 3740
überliefert ist, nicht als historische Momentaufnahme, sondern als „series of frames, each
slightly different from the last“, die Prozesse gegenseitiger Beeinflussung und auch
individueller Neupositionierung innerhalb der Debatte widerspiegele.40 In der
vorliegenden Studie werden nur Voten aus Codex Vat. lat. 3740 berücksichtigt, die
den status prelationis behandeln. Die Auswahl der hier untersuchten Gutachten
konzentriert sich zudem auf edierte Texte. Im Rahmen des Vergleichs wird jedoch
auch auf einige nicht edierte Voten Bezug genommen, die in der Fachliteratur über
den ‚Theoretischen Armutsstreit‘ bereits erforscht worden sind.
Durandus hebt die Vollkommenheit des Prälatenstandes nicht nur in seinem
Gutachten, sondern auch in der dritten Redaktion seines Sentenzenkommentars
hervor. In der zweiten Quästion von In III Sent. (Red. C), d. 35 bezeichnet der
Dominikaner die vita activa der Prälaten als Lebensform, die edler und vollkommener
ist als jede Form der vita contemplativa im Diesseits.41 Joseph Koch erkannte bereits
eine ‚enge Berührung‘ zwischen den Argumentationen im Votum und in der
genannten Quästion aus Durandus‘ vierbändigem Hauptwerk.42 Er nahm jedoch
keinen ausführlichen Vergleich der entsprechenden Textstellen vor. Daher werden im
letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit (Kapitel V) die Beweisführungen im
Sentenzenkommentar und im Gutachten einander gegenübergestellt, um
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu ermitteln. Dieser Vergleich gibt zugleich
Aufschluss darüber, wie sich die Position, die Durandus in seinem Votum zum status
prelationis einnimmt, entwickelte.
39 Nold: Pope John XXII (2003), S. 86f. 40 Ebd., S. 90. 41 Koch: Durandus (1927), S. 419f.; Guy Guldentops: Struggling with Authority. Durand of Saint-
Pourçain on the Origin of Power and on Obedience to the Pope, in: Kent Emery, Jr./William J. Courtenay/Stephen M. Metzger (Hgg.): Philosophy and Theology in the Studia of the Religious Orders and at the Papal and Royal Courts (Rencontres de Philosophie médiévale 15), Turnhout 2012, S. 107-138, hier S. 134, Anm. 84.
42 Koch: Durandus (1927), S. 420.
10
I Die Vollkommenheit des status prelationis
I.1 Der status prelationis als status perfectionis
Die Vollkommenheit des Prälatenstandes zeigt Durandus im Kontext der Frage auf,
ob derjenige, der sowohl persönlich als auch in Gemeinschaft mit anderen besitzlos
ist, einen höheren Grad an Vollkommenheit innehabe als derjenige, der
gemeinschaftlich etwas besitzt.43 Der Aufbau von Durandus‘ Argumentation ist hier
knapp darzustellen, um die Äußerungen des Autors zur Vollkommenheit des
Prälatenstandes in ihrem Zusammenhang verstehen zu können.
Durandus gliedert seine Antwort auf die Frage in drei Schritte. Zunächst differenziert
er zwischen perfectio personalis, der persönlichen Vollkommenheit, und perfectio status,
der Vollkommenheit des Standes, den eine Person innehat. Anschließend bestimmt
er, was für die beiden Vollkommenheitstypen konstitutiv ist. In einem dritten Schritt
widmet er sich der oben genannten Hauptfrage, ob Personen ohne kollektiven Besitz
größere Vollkommenheit zukommt als solchen, die in Gemeinschaft etwas besitzen.
Als erstes konstatiert Durandus, dass der Mensch die höchste Stufe persönlicher
Vollkommenheit erreicht, wenn er mit seinem Intellekt Gott betrachtet und ihn mit
seinem Willen liebt.44 Im Diesseits bleiben den Menschen die unverhüllte
Gottesbetrachtung und die vollkommene Gottesliebe verwehrt, sodass die perfectio in
via nie an die perfectio patrie, die Vollkommenheit im Jenseits, heranreichen wird.45
Persönliche Vollkommenheit eines Christen im gegenwärtigen Leben besteht für
Durandus in den Habitus und Akten der Tugenden, vor allem im Habitus und Akt
der caritas.46 Mit dieser Definition steht der Autor eindeutig in der Tradition des
Thomas von Aquin,47 worauf Horst bereits hinwies.48 Aus der Bestimmung der
perfectio personalis als caritas und als deren Ausübung folgt implizit, dass die Frage nach
Besitz und Besitzlosigkeit für die persönliche Vollkommenheit des Individuums nicht
43 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 183-194). 44 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 184): „Et ideo summa perfectio hominis consistit in actu intellectus
contemplantis deum et in actu voluntatis diligentis ipsum secundum habitus utrique actui congruentes, et secundum differentiam perfectionis dictorum actuum.“
45 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 184): „Est differentia perfectionis personalis propter quod, cum in patria sit contemplatio clara et dilectio perfecta excludens omne impedimentum ex parte creature, quod in via esse non potest. [...] Ex quo manifeste apparet, quod perfectio personalis vie non attingit ad perfectionem patrie.“
46 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 184): „Nihilominus tamen perfectio Christiane vite in presenti consistit, ut dictum est, in habitibus virtutum et in earum actibus, maxime tamen consistit in habitu et actu caritatis, que in via preeminet ceteris virtutibus.“
47 Thomas von Aquin: S.th. II-II, q. 184, a. 2 (ed. Caramello (1952), S. 797): „Respondeo dicendum quod, sicut dictum est, perfectio Christianae vitae in caritate consistit.“
48 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210.
11
entscheidend ist.49 Deshalb braucht Durandus im dritten Abschnitt seiner responsio das
Verhältnis zwischen Besitz und Vollkommenheit nicht mehr allgemein zu
untersuchen. Stattdessen fragt er präziser, ob der Verzicht auf gemeinschaftlichen
Besitz zu einem Stand führe, der vollkommener ist als derjenige status, den man mit
gemeinschaftlichem Besitz erreichen könne.50 Bevor sich Durandus aber dieser Frage
widmet, definiert er die perfectio status und erläutert ihr Verhältnis zur perfectio personalis.
Als Stand der Vollkommenheit (status perfectionis) versteht Durandus eine Lebensweise,
die gewisse Verpflichtungen umfasst, um entweder leichter Vollkommenheit für die
eigene Person zu erwerben oder Vollkommenheit unter anderen Menschen zu
verbreiten.51 Ähnlich wie Thomas und zahlreiche andere Autoren, darunter
beispielsweise Gottfried von Fontaines oder der Franziskaner Johannes Pecham,52
unterscheidet Durandus zwei status perfectionis. Den einen dieser beiden Stände,
nämlich den status perfectionis acquirende et conservande, bildet der status religionis, also der
Stand derjenigen, die einem Orden (religio) angehören.53 Der andere Stand der
Vollkommenheit, der status perfectionis in alios diffundende, ist der status prelationis.54 Bevor
näher erläutert werden kann, aufgrund welcher Verpflichtungen die beiden Stände bei
Durandus als status perfectionis gelten, ist zunächst zu klären, was der Begriff ‚status
prelationis‘55 in dem Votum bedeutet.
49 Ebd. 50 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „De tertio principaliter quesito, videlicet utrum nihil habere
in proprio vel in communi faciat statum perfectiorem, quam aliquid in communi...“ 51 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „...status perfectionis…non est aliud quam certus modus
vivendi, per quem aliquis se obligat ad aliqua, que sunt supererogationis, ut perfectionem sibi facilius acquirat vel in alios diffundat.“
52 Thomas von Aquin: Super Evangelium S. Matthaei lectura, c. 19 (ed. Cai (1951), Nr. 1594, S. 244): „Status perfectionis duplex est, praelatorum et religiosorum; sed aequivoce, quia status religiosorum est ad acquirendum perfectionem; unde isti dictum est: Si vis esse perfectus, et si vis ad perfectionis statum venire. Status autem praelationis non est ad acquirendum sibi, sed ad habitam communicandam...“ Vgl. Thomas: S.th. II-II, q. 186, a. 3, ad 5 (S. 820); Gottfried von Fontaines: Quodlibet V, q. 16 (ed. Wulf/Hoffmans (1914)(Les Philosophes Belges, Textes et Études 3), S. 76): „Et ideo bene dicitur quod status praelatorum est status perfectionis non acquirendae, sed exercendae, quia illi statui repugnat quod in ipso ab imperfecto perfectio acquiratur, immo exigit iam perfectum et potentem perfecte operari. Status autem religionis dicitur perfectionis acquirendae, quia bene sustinet imperfectum qui in illo perfectionem possit acquirere.“ Johannes Pecham: Quaestio de perfectione evangelica, §96 (S. 164, Z. 17-20): „Amplius status praelationis est status perfectionis exercendae, non est status perfectionis acquirendae, quia primo debet esse virtutibus plenus, ut Gregorius, quam officium suscipiat pastorale.“ Vgl. Nold: Pope John XXII (2003), S. 48; vgl. außerdem die Gutachten im ‚Theoretischen Armutsstreit‘, die in Kap. IV, S. 41-54 beleuchtet werden.
53 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „...status non dicitur perfectus, nisi quia ordinatur ad perfectionem acquirendam sibi et conservandam, ut est status religionis, vel diffundendam aliis, ut est status prelationis.“
54 Ebd. 55 Teilweise verwendet Durandus auch den Terminus ‚status prelatorum‘, der als Synonym zu ‚status
prelationis‘ zu begreifen ist; siehe z.B. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186).
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Prelatio bezeichnet in einem allgemeinen Sinne die hierarchische Überordnung einer
Person über eine andere.56 In diesem Verständnis wird der Begriff beispielsweise in
einer Quästio von Durandus’ Sentenzenkommentar gebraucht, die der Autor später
in seinem Traktat De origine iurisdictionum verarbeitete.57 Auf die kirchliche Hierarchie
bezogen meint prelatio bei Durandus die Überordnung einer geistlichen
Führungsperson über die ihm untergebenen Personen (subditi).58 Eine solche prelatio
haben nach Auffassung des dominikanischen Theologen beispielsweise in einer
Ordensgemeinschaft Ordensobere wie Äbte über Religiose59 oder in einer Diözese
Bischöfe60 über die Gläubigen des jeweiligen Bistums inne. Dies entspricht der
geläufigsten Verwendungsweise des Begriffs ‚prelati‘ im Spätmittelalter als
Bezeichnung für Kardiäle, Erzbischöfe, Bischöfe und männliche Ordensobere.61
Unter dem Begriff ‚status prelationis‘ ist in dem Votum der Bischofsstand62
beziehungsweise die bischofsähnliche Stellung der Apostel63 zu verstehen. Zwar fehlt
eine explizite Gleichsetzung zwischen status prelationis und status episcopalis. Die
Erklärung, inwiefern der status prelationis als status perfectionis in alios diffundende
aufzufassen ist, behandelt jedoch, wie sich zeigen wird, nur den Episkopat.64 Auch an
anderen Textstellen bezieht sich der Terminus ‚status prelationis‘ – dies belegt der
jeweilige Kontext – eindeutig auf die Bischöfe oder die Apostel, die gemäß Durandus‘
56 Vgl. Guldentops: Struggling with Authority (2012), S. 107, Anm. 3. Auf ähnliche Weise versteht
Kenneth Pennington: Pope and Bishops. The Papal Monarchy in the Twelfth and Thirteenth Centuries, Philadelphia 1984, S. 178 den Begriff als ‚authority‘. Davon unterscheidet sich die Auffassung von John Finnis: Aquinas. Moral, Political, and Legal Theory, Oxford 1998, S. 220, Anm. 4, der ‚praelatio’ als ‚government’ wiedergibt.
57 Durandus: In II Sent. (Red. C), d. 44, q. 2 (ed. a Martimbos, Venedig 1571, fol. 206ra-b). Zum Verhältnis zwischen dem Sentenzenkommentar und De origine iurisdictionum siehe Guldentops: Struggling with Authority (2012), S. 111f.
58 Vgl. die allgemeinen Ausführungen zum Verständnis des Terminus ‚praelatio‘ in der scholastischen Theologie bei Rainer Zeyen: Die theologische Disputation des Johannes Polliaco zur kirchlichen Verfassung (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie 64), Frankfurt a. M. – Bern 1976, S. 58.
59 Durandus: In II Sent. (Red. C), d. 44, qq. 4-5 (fol. 207rb-208rb); vgl. Guldentops: Struggling with Authority (2012), S. 118-120.
60 Vgl. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185); siehe unten, S. 14. 61 Martin Heale: Introduction, in: ders. (Hg.): The Prelate in England and Europe, 1300-1560, York
2014, S. 1-14, hier S. 2. 62 Die – letztendlich nicht plausible – Hypothese, dass sich der Begriff ‚status prelationis‘ in dem
Gutachten nicht nur auf Angehörige des Bischofsstandes, sondern auch auf niedere Geistliche oder Ordensobere bezieht, wird in der Forschung nicht diskutiert. Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210 setzt in seinen Erläuterungen zu Durandus‘ Standpunkt beispielweise stillschweigend voraus, dass der status prelationis identisch mit dem Stand der Bischöfe ist.
63 Vgl. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192); siehe unten, Kap. II, S. 31f. 64 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „Episcopi autem obligant se non solum ad ea, que sunt de
necessitate sue salutis, sed etiam ad habendam curam de salute subditorum predicando, corrigendo, sacramenta salutis ministrando, et si necesse sit, vitam suam pro salute subditorum exponendo. Et ideo dicuntur esse in statu perfectionis in alios diffundende.“
13
Verständnis Vorgänger des modernen Bischofsstandes sind.65 Dagegen geht aus
keiner Textpassage hervor, dass nach Meinung des Autors auch niedere Geistliche
dem ‚status prelationis‘ als einem der zwei ‚status perfectionis‘ angehören. Ähnlich verhält
es sich mit dem Begriff ‚prelati‘. Durandus verwendet den Terminus nachweislich für
Angehörige des Episkopats,66 während es keinen Hinweis darauf gibt, dass in dem
Gutachten auch Geistliche ohne bischöflichen Rang zu den Prälaten gezählt werden.
Im Gegensatz dazu differenzieren andere Autoren, wie beispielsweise Heinrich von
Gent oder Gottfried von Fontaines, zwischen höheren Prälaten, den Bischöfen, und
niederen Prälaten, worunter sie sacerdotes parochiales oder curati, also mit der Seelsorge
(cura animarum) betraute Priester verstehen.67 Als Vertreter des Weltklerus rechnen
Heinrich und Gottfried alle Prälaten dem status praelationis zu.68 Thomas von Aquin ist
dagegen der Ansicht, dass der Terminus ‚praelatus‘ nicht notwendigerweise
Zugehörigkeit zum status praelati als Stand der Vollkommenheit impliziert.69 Kuraten
(presbyteri curati) und Erzdiakone (archidiaconi) werden von Thomas zwar als Prälaten
bezeichnet,70 sie sind seiner Auffassung nach aber nicht Teil eines der beiden status
perfectionis. Die niederen Weltgeistlichen können sich Thomas zufolge nicht in einem
Stand der Vollkommenheit befinden, weil sie anders als Bischöfe und Religiose an
kein ewiges Gelübde gebunden sind.71
Die Verpflichtung zu einer bestimmten Lebensweise bildet auch in der oben
genannten Definition, die Durandus für den status perfectionis wählt, das konstitutive
Element für jeden der beiden Stände der Vollkommenheit.72 Hierin zeigt sich, dass
die Position, die der Bischof von Le Puy zu den status perfectionis vertritt, eng an
Thomas‘ Lehre von den Ständen der Vollkommenheit angelehnt ist, worauf bereits
65 Durandus: De paupertate, qq. 1-2 (S. 183, 186f., 190f. u. 192). Dass Durandus die Bischöfe als
Nachfolger der Apostel sieht, wird deutlich in De paupertate, q. 2 (S. 187): „Apostolis enim, quorum locum tenent episcopi...“
66 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 179). 67 Heinrich von Gent: Quodlibet XII, q. 29 (ed. Decorte (1987)(Henrici de Gandavo Opera omnia 16),
S. 193, Z. 8-19); Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 72); vgl. zu diesen Unterscheidungen auch Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), S. 84, Hödl: Theologische Diskussion (1974), S. 480f. und Zeyen: Theologische Disputation (1976), S. 68f.
68 Siehe vorherige Anm. 69 Thomas: Super Matt. lectura, c. 19 (Nr. 1595f., S. 244): „Item est aliud esse praelatum, et in statu
praelati. Numquid in statu perfectionis sunt sacerdotes plebei, vel curati? Dico quod non sunt in statu, quia non faciunt statum.
70 Thomas: S.th. II-II, q. 184, a. 6 (S. 801f). 71 Ebd.: „Non enim obligantur (sc. presbyteri et archidiaconi) ex hoc ipso vinculo perpetui voti ad hoc
quod curam animarum retineant, sed possunt eam deserere: [...] potest aliquis archidiaconatum vel parochiam dimittere et simplicem praebendam accipere sine cura. Quod nullo modo liceret si esset in statu perfectionis [...]. Episcopi autem, quia sunt in statu perfectionis, non nisi auctoritate summi pontificis, ad quem etiam pertinet in votis perpetuis dispensare, possunt episcopalem curam deserere [...]. Unde manifestum est quod non omnes praelati sunt in statu perfectionis, sed soli episcopi.“
72 Siehe S. 11, Anm. 51.
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Horst aufmerksam machte.73 Die Differenzierung, die Thomas zwischen dem ‚Prälat
Sein‘ und dem status prelationis vornimmt, fehlt in De paupertate Christi et apostolorum
allerdings. Die Problematik eines weit gefassten Prälatenbegriffs, mit der sich Thomas
in seinen Ausführungen zu den status perfectionis auseinandersetzt, wird somit
übergangen. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass Durandus in dem Votum den
Begriff ‚prelati‘ wie den Terminus ‚status prelationis‘ nur auf die Bischöfe bezieht.
Unbestreitbar ist, dass der Autor in seinem Gutachten mit den genannten
Bezeichnungen zuallererst den Episkopat assoziiert.
Der Vergleich zwischen Inhalt und Ausrichtung der unterschiedlichen
Verpflichtungen, denen Religiose einerseits und der Episkopat andererseits
unterliegen, lässt die Besonderheit des status prelationis hervortreten. Nach Auffassung
des Autors geloben die Angehörigen des status religionis, Genüssen wie der Ehe und
dem Eigentum zu entsagen, um dadurch leichter Vollkommenheit zu erlangen.74
Bischöfe tragen dagegen anders als Ordensleute nicht nur für das eigene Seelenheil,
sondern auch für die Seelen der Anderen Sorge.75 Diese Verpflichtung umfasst
Predigt, Zurechtweisung der Gläubigen, Spendung der Sakramente und im äußersten
Notfall den Einsatz des eigenen Lebens. In der Gegenüberstellung und der
Bestimmung des Prälatenstandes als Stand, der Vollkommenheit unter den
Mitmenschen verbreitet, deutet sich bereits an, dass die prelati für Durandus einen
vollkommeneren Stand einnehmen als die Religiosen, die nur für sich selbst
Vollkommenheit erwerben müssen. Durandus erklärt das hierarchische Verhältnis,
das zwischen den beiden Status hinsichtlich der unterschiedlichen Größe ihrer
Vollkommenheit besteht, aber erst,76 nachdem er die Beziehung zwischen perfectio
personalis und perfectio status dargestellt hat. Das Verhältnis zwischen diesen beiden
perfectiones ist hier zu beleuchten, um zu ermitteln, in welchem Sinne die Angehörigen
des status prelationis als vollkommen gelten.
Durandus zufolge ist es möglich, dass eine Person nur eine der beiden perfectiones ohne
die andere besitzt, was die Verschiedenheit von persönlicher Vollkommenheit und
73 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210. 74 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „...religiosi obligant se ad abstinendum a quibusdam licitis,
puta a matrimonio et ut non habeant proprium. [...] religiosi, qui se obligant ad continentiam et paupertatem, sunt in statu, quo possunt facilius et cum paucioribus impedimentis perfectionem acquirere, et ideo sunt in statu perfectionis acquirende et conservande.“
75 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „Episcopi autem obligant se non solum ad ea, que sunt de necessitate sue salutis, sed etiam ad habendam curam de salute subditorum predicando, corrigendo, sacramenta salutis ministrando, et si necesse sit, vitam suam pro salute subditorum exponendo. Et ideo dicuntur esse in statu perfectionis in alios diffundende.“
76 Siehe hierzu das folgende Kap. I.2, S. 16-26.
15
der Vollkommenheit des Standes beweist.77 Nach Durandus‘ Ansicht bewirkt allein
die perfectio personalis, dass ein Mensch vollkommen und gut ist.78 Ohne sie könne kein
Mensch, auch wenn er den Status der Vollkommenheit innehätte, vollkommen sein.
Begründet wird dies damit, dass die perfectio personalis ‚Vollkommenheit im eigentlichen
Sinne und schlechthin‘ ist (perfectio formalis et simpliciter).79 Fälle, in denen die
Lebensführung einer Person lediglich einem der beiden Vollkommenheitstypen
enspricht, verdeutlicht Durandus zum einen am Beispiel Abrahams und zahlreicher
Heiliger des Alten und Neuen Testaments, die im Sinne der perfectio personalis
vollkommen waren, sich jedoch nicht im Status der Vollkommenheit befanden.80
Zum anderen wird der umgekehrte Fall durch ‚schlechte‘ Bischöfe und Ordensleute
repräsentiert.81 Diese haben Durandus zufolge zwar jeweils einen der status perfectionis
inne; ihnen fehlt aber die entscheidende perfectio personalis, ohne die sie, wie dargelegt,
unvollkommen sind. Die beiden Fälle – mali episcopi und mali religiosi ohne
Vollkommenheit einerseits und Personen, die vollkommen sind, ohne sich im status
perfectionis zu befinden, andererseits – werden auch bei Thomas als Einwand gegen die
Identität von Vollkommenheit und dem Stand der Vollkommenheit angeführt.82
Durandus veranschaulicht das Verhältnis zwischen perfectio personalis und dem status
perfectionis in Analogie zur Gesundheit. Persönliche Vollkommenheit sei wie die
‚Gesundheit im eigentlichen Sinne und schlechthin‘ (sanitas formalis et simpliciter), die
allein bewirke, dass ein Lebewesen gesund sei.83 Den status perfectionis dagegen
vergleicht Durandus im Falle der Religiosen mit einer Medizin oder Diät und im
Hinblick auf den Prälatenstand mit der Heilkunst.84 Der status von Religiosen, die
77 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 183): „Contingit etiam aliquem esse in statu perfectionis, qui tamen
non est perfectus perfectione personali. Et contrario contingit aliquem esse perfectum perfectione personali, qui tamen non est in statu perfecto. [...] Quare necessarium est dicere, quod alia sit perfectio persone et alia perfectio status.“ Vgl. Thomas von Aquin: De perfectione spiritualis vitae, c. 18 (Opera omnia 41, B 90, Z. 48-51): „Unde patet quosdam perfectos quidem esse, qui tamen perfectionis statum non habent; alios vero perfectionis quidem statum habere, sed perfectos non esse.“
78 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „Patet ergo, in quo consistit perfectio persone, que sola reddit hominem perfectum et bonum, et sine qua nullus est perfectus aut bonus, etiam si sit in statu perfecto, quia hec est perfectio formalis et simpliciter.“
79 Ebd. 80 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 183): „Similiter Abraham fuit valde perfectus perfectione personali,
et tamen non fuit in statu perfectionis. Et idem est de multis sanctis veteris et novi testamenti.“ 81 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 183): „Verbi gratia: secundum omnes status prelationis et status
religionis sunt status perfectionis, et tamen contingit aliquos episcopos et aliquos religiosos non esse perfectos perfectione personali, sicut sunt mali episcopi et mali religiosi.“
82 Thomas: S.th. II-II, q. 184, a. 4, sed contra (S. 799): „Sed contra est quod aliqui sunt in statu perfectionis qui omnino caritate et gratia carent, sicut mali episcopi aut mali religiosi. Ergo videtur quod e contrario aliqui habent perfectionem vitae qui tamen non habent perfectionis statum.“
83 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „Sicut sanitas animalis est sanitas formalis et simpliciter, propter quod, sicut nihil dicitur sanum nisi animal, in quo est adequatio humorum, que est sanitas formaliter et essentialiter,...“
84 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „…sicut vanum et insipientissimum est, quod infirmus, in quo non est sanitas formaliter, glorietur de medicina aut dieta, que non dicuntur sana, nisi quia
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hinsichtlich ihrer Tugenden unvollkommen sind,85 entspreche in seiner Nichtigkeit
einer Diät oder Medizin, die nicht der Gesundheit des Patienten diene. Ebenso sei der
Stand unvollkommener Bischöfe der Heilkunst eines Arztes vergleichbar, der für die
eigene Gesundheit nicht sorge.86 Durandus beurteilt es deshalb als eitel und töricht,
wenn sich Personen ihres status rühmen, ohne persönliche Vollkommenheit zu
besitzen.
I.2 Die Vollkommenheit des status prelationis im Vergleich zur
Vollkommenheit des status religionis
Nachdem Durandus das Verhältnis zwischen persönlicher Vollkommenheit und der
Vollkommenheit des status dargelegt hat, wendet er sich der oben bereits genannten
Frage zu, ob die in Gemeinschaft gelebte Besitzlosigkeit einen vollkommeneren Stand
konstituiere, als es gemeinschaftlicher Besitz vermöge. Die Beantwortung dieser
Frage zergliedert er in zwei Schritte. Erstens untersucht er das Verhältnis zwischen
den beiden status perfectionis, dem Stand der Religiosen und dem Stand der Prälaten,
hinsichtlich ihrer Vollkommenheit. Zweitens befasst sich Durandus mit der Frage, ob
Personen durch den Verzicht auf gemeinschaftlichen Besitz größere Vollkommenheit
zuteilwird als Angehörigen desselben Standes, die etwas in Gemeinschaft besitzen.
Als Antwort auf die erste Teilfrage hält Durandus fest, dass keine Form der Armut
einem Stand mehr Vollkommenheit verleihen könne, als der Prälatenstand besitzt.87
Diese These, die einschließt, dass auch der status, den die Minoriten einnehmen, nicht
vollkommener sein könne als der status praelationis, sucht Durandus durch vier
Argumente zu beweisen.
ordinantur ad sanitatem acquirendam et conservandam, aut quod medicus infirmus, qui se ipsum non curat, glorietur de arte medicine, per quam dicit se alios scire curare…“
85 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185f.): „…sic vanum et insipientissimum est, quod religiosus, qui non est perfectus perfectione personalif secundum virtutes et actus virtutum, tum glorietur de statu perfectionis, qui non dicitur perfectus, nisi quia est quedam via seu modus vivendi propter perfectionem personalem acquirendam et conservandam.“
86 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „Et similiter vanum et insipientissimum est, quod episcopus, qui non est perfectus in se, glorietur de statu prelationis, qui non dicitur perfectus, nisi quia ordinatur ad perfectionem in alios diffundendam.“
87 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „In primo casu absolute dicendum est, quod nulla paupertas, in quocumque gradu sit, sive nihil habendo in proprio, prout est in omni religione, sive nihil habendo neque in proprio neque in communi, prout quidam dicunt esse in religione fratrum minorum, potest facere statum religionis esse magis perfectum vel eque sicut est status prelationis.“
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Als erstes Argument führt er an, dass derjenige Stand vollkommener sei als andere,
der auf vornehmere Art und Weise auf die Vollkommenheit hingeordnet sei.88 Dies
treffe auf den Prälatenstand zu, da er anderen Vollkommenheit einflöße und so das
tätige Prinzip verkörpere, welches vornehmer sei als das rezeptive und passive.89
Damit hat der Bischof von Le Puy dargelegt, dass auch der status, in dem sich die
Minoriten befinden, nicht vollkommener ist als der Stand der Prälaten.
Als Gewährsleute dafür, dass dem Aktiven gegenüber dem Passiven größere
Vornehmheit zukomme, betrachtet Durandus namentlich nicht näher genannte
Philosophen und Heilige, womit Aristoteles und Augustinus gemeint sind.90
Außerdem weist die Argumentation, dass der aktive status prelationis vollkommener sei
als der passive Stand der Religiosen, Nähe zu einer Unterscheidung auf, die durch die
Rezeption von De ecclesiastica hierarchia des Dionysius Pseudo-Areopagita beeinflusst
ist.91 Während des 13. Jahrhunderts hatten sowohl Weltgeistliche wie Wilhelm von St.
Amour92 als auch Thomas von Aquin93 unter Berufung auf Dionysius94 eine
Gegenüberstellung vorgenommen zwischen einem übergeordneten Stand, der andere
Menschen vervollkommnet, und einem untergeordneten Stand der Mönche, dessen
Ziel die eigene Vollkommenheit ist.95 Vertreter des Weltklerus verwendeten diese
Dichotomie im Kontext des sogenannten ‚Bettelordenstreites‘ und in den
nachfolgenden Auseinandersetzungen mit den Mendikanten. Sie rechneten die
Bettelorden dem ordo perficiendorum, dem Stand derjenigen, die vervollkommnet
werden müssen, zu und entkräfteten dadurch den Vollkommenheitsanspruch der
Mendikanten.96
88 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „Primo sic: quia ille status est perfectior, qui nobilius
ordinatur ad perfectionem, ut patet ex dictis.“ 89 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „Sed status prelationis nobilius ordinatur ad perfectionem
quam status religionis, ergo est perfectior. Minor probatur, quia ad effectum nobilius ordinatur agens quam patiens tam secundum philosophos quam secundum sanctos. Sed ad perfectionem ordinatur status prelatorum per modum agentis et influentis, status autem religiosorum per modum pacientis et recipientis, ut similiter patet ex dictis. Ergo etc.“
90 Auctoritates Aristotelis 6.150 (ed. Hamesse (1974), S. 187): „Agens est nobilius et honorabilius passo...“, basierend auf Aristoteles: De anima III, 5 (430a18-19, ed. Ross (1956), S. 72); Aurelius Augustinus: De Genesi ad litteram XII, 16 (ed. Zycha (1894)(CSEL 28,1), S. 402, Z. 7-8): „omni enim modo praestantior est qui facit ea re, de qua aliquid facit.“ Vgl. das Augustinus-Zitat bei Thomas, S. 18, Anm. 99.
91 Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), S. 58f. 92 Wilhelm von St. Amour: Tractatus brevis de periculis novissimorum temporum, c. 2 (ed. Bierbaum (1920),
S. 12f.). 93 Thomas: De perfectione, c. 20 (B 92, Z. 26-35). Siehe unten, S. 18, Anm. 97. 94 Dionysius Pseudo-Areopagita: De ecclesiastica hierarchia, c. 5, I, §7 (PG 3 (1857), Sp. 507f.; Dionysiaca
(1937), S. 1344f.); c. 6, I, §3, III, §1 (PG 3 (1857), Sp. 531-534; Dionysiaca (1937), S. 1383-1391.) 95 Während Wilhelm von St. Amour (siehe Anm. 92) zwischen ordo perficientium und ordo perficiendorum
unterscheidet, wird das Begriffspaar bei Thomas aus den Termini ‚ordo perfectivus‘ und ‚ordo perfectorum‘ gebildet (siehe unten, S. 18, Anm. 97). Vgl. Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), S. 58f.
96 Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), ebd.; Zeyen: Theologische Disputation (1976) S. 61f.
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Thomas von Aquin begründet mit Hilfe von Zitaten aus De ecclesiastica hierarchia, dass
der Bischofsstand (episcopalis status) größere Vollkommenheit besitzt als jede mögliche
Ordensgemeinschaft.97 Gestützt auf die Autorität von Dionysius Pseudo-Areopagita
leitet Thomas aus dem Grundsatz, das Aktive sei vornehmer als das Passive, die
gleiche Schlussfolgerung ab wie Durandus98: Als diejenigen, die andere zur
Vollkommenheit führen, verkörpern die Bischöfe nach Thomas das aktive Prinzip.99
Deshalb seien sie vollkommener als die Religiosen, da diese nur das passive Prinzip
vertreten. Durch diesen Standpunkt distanzierte sich Thomas von der radikalen
Position einiger Franziskaner wie Thomas von York.100 Diese waren nämlich der
Ansicht, der status derjenigen, die in völliger persönlicher und gemeinschaftlicher
Besitzlosigkeit leben, sei vollkommener als jeder andere status, der den Besitz von
temporalia einschließt.101 Indem Thomas von Aquin betonte, dass der episcopalis status
trotz seiner temporalia vollkommener sei als der status religionis,102 verließ er nach
Auffassung Hödls und Horsts die Front, die Dominikaner und Franziskaner zuvor
gemeinsam gegen den Standpunkt der Weltgeistlichen gebildet hatten.103
Ähnlich wie Durandus verwiesen zuvor auch die Weltkleriker Heinrich von Gent und
Gottfried von Fontaines auf das Prinzip, das Tätige sei vollkommener als das Passive,
um aufzuzeigen, dass der Stand der Prälaten größere Vollkommenheit besitze als der
Stand der Religiosen.104 Wie oben erläutert, erstreckt sich die Bedeutung des
97 Thomas: De perfectione, c. 20 (B 92, Z. 26-35): „Dionysius enim dicit in 5 cap. Ecclesiasticae
ierarchiae, quod ordo episcoporum est perfectivus; et in 6 cap. dicit ordinem monachorum esse ordinem perfectorum. Manifestum est autem maiorem perfectionem requiri ad hoc quod aliquis perfectionem aliis tribuat, quam ad hoc quod aliquis in se ipso perfectus sit; sicut maius est posse calefacere quam calere, et omnis causa potior est effectu. Relinquitur ergo episcopalem statum maioris perfectionis esse quam statum cuiuscumque religionis.“
98 Wie in Kap. I.1, S. 12-14 erläutert, bezieht sich Durandus in seinem Votum mit dem Terminus ‚status prelationis‘ vor allem auf den Bischofsstand. Insofern sind Durandus‘ Ausführungen zum Stand der Prälaten mit der Position vergleichbar, die Thomas zum episcopalis status entwickelt.
99 Thomas: S.th. II-II, 184, a. 7 (S. 803): „Respondeo dicendum quod, sicut Augustinus dicit, XII super Gen. ad Litt., semper agens praestantius est patiente. In genere autem perfectionis, episcopi, secundum Dionysium, se habent ut perfectores, religiosi autem ut perfecti, quorum unum pertinet ad actionem, alterum autem ad passionem. Unde manifestum est quod status perfectionis potius est in episcopis quam in religiosis.“ Vgl. q. 185, a. 1, ad 2 (S. 807).
100 Horst: Armut und Kirche (2000), S. 313. 101 Thomas von York: Manus que contra Omnipotentem tenditur, c. III (ed. Bierbaum (1920), S. 48): „...sed
quod status iste, uidelicet mundo renuntiantium et nichil omnino retinentium, sit perfectior omni statu, qui aliquod temporale sibi retinuit...“ Siehe hierzu Max Bierbaum: Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris. Texte und Untersuchungen zum literarischen Armuts- und Exemtionsstreit des 13. Jahrhunderts (1255-1272)(Franziskanische Studien, 2. Beiheft), Münster i. W. 1920, S. 279.
102 Vgl. oben, Anm. 97. 103 Hödl: Theologische Diskussion (1974), S. 471; Horst: Armut und Kirche (2000), S. 312f. 104 Heinrich von Gent: Quodl. XII, q. 29 (S. 198, Z. 16-20): „E contra autem omnium aliorum est ab
illis (sc. praelatis) purgari, doceri et perfici – dico quantum est de genere status -, et ideo tanto perfectior et maior est status illorum super status aliorum, quantum illa in agendo perfectiora sunt quam alia tria in patiendo. Perfectius enim est docere quam doceri, et sic de aliis.“ Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 76): „Constat ergo quod status praelati requirit hominem perfectiorem et secundum intellectum et secundum affectum quam status religionis. Nam maior perfectio requiritur ad hoc
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Terminus ‚praelati‘ jedoch nach dem Verständnis der beiden weltgeistlichen Autoren –
anders als bei Durandus – explizit auch auf praelati minores, die Kuraten oder
Pfarrseelsorger.105 Heinrich und Gottfried vertreten somit die Position, dass außer
den Bischöfen auch allen anderen Priestern, denen die Seelsorge über eine Gemeinde
obliegt, größere Vollkommenheit zukomme als den Religiosen. Sie ergreifen dadurch
in der Auseinandersetzung zwischen Weltgeistlichen und Bettelorden entschieden
Partei für die Seite des Weltklerus.106 In De paupertate Christi et apostolorum wird die
Vollkommenheit einfacher Priester dagegen überhaupt nicht thematisiert.
Durandus‘ zweites Argument besteht aus der Schlussfolgerung, dass der status
prelationis vollkommener sei als der status religionis, weil er vollkommenere Personen
erfordere.107 Der Autor begründet dies, indem er behauptet, dass Bischöfe nicht nur
frei von Vergehen sein müssen wie Religiose, sondern dass der status prelationis auch
eine perfekte Kenntnis der Heiligen Schrift voraussetzt.108 Dieses Wissen sei nötig,
um als ‚Hirte‘ der Kirche die anvertraute ‚Herde‘ durch Zeugnisse des Glaubens und
der guten Sitten fördern und sie mit Hilfe von Beispielen (exempla) vor dem negativen
Einfluss von Häretikern schützen zu können.109 Dabei gebraucht Durandus für die
heretici das Bild von Wölfen, die durch ihre Bisse die Herde des Hirten zu verletzen
drohen. Auch im Kontext der Frage, ob Häretiker zu tolerieren seien, die Durandus
in der dritten Redaktion seines Sentenzenkommentars erörtert, werden heretici als
Wölfe bezeichnet.110 Dort erklärt der Autor es zu einer Aufgabe der Prälaten,
Häretiker von der ‚Herde der Gläubigen‘ fernzuhalten. Er greift damit, wie
Guldentops zeigt, ein Argument von Thomas auf.111
quod aliquis aliis perfectionem tribuat, quam ad hoc, quod aliquis in statu salutis existens perfectionem sibi acquirat vel etiam in seipso perfectus sit, sicut etiam omne agens, secundum quod huiusmodi, perfectius est patiente.“
105 Vgl. oben, Kap. I.1, S. 13. 106 Zeyen: Theologische Disputation, S. 162-164. 107 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „Secundo sic: ille status est perfectior, qui requirit personam
magis perfectam, sed status prelatorum est huiusmodi respectu status religionis, ergo est magis perfectus.“
108 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „…quia oportet episcopum non solum esse sine crimine, quod tamen sufficit religioso, sed esse perfectum in scientia sacre scripture...“
109 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „...quia cum sit pastor ecclesie sibi commisse, ad eum pertinet ex statu suo oves suas nutrire documentis fidei et morum et exemplis defendere contra insidias et morsus luporum, scilicet hereticorum, quod non potest fieri sine competente scientia sacre scripture.“
110 Durandus: In IV Sent., d. 13, q. 5 (§4, fol. 327ra): „In contrarium arguitur, quia lupi sunt arcendi a grege officio pastorum, set heretici sunt lupi, ut dicitur Act. 20. ergo debent arceri a grege fidelium officio Prelatorum, qui sunt pastores Ecclesie.“
111 Guy Guldentops: Durandus of St. Pourçain’s legitimization of religious (in)tolerance, in: Alessandro Musco/Carla Compagno/Salvatore D'Agostino/Giuliana Musotto (Hgg.): Universalità della Ragione. Pluralità delle Filosofie nel Medioevo. XII Congresso Internazionale di Filosofia Medievale, Palermo, 17-22 settembre 2007, Vol. II.2: Comunicazioni: Latina (Biblioteca dell'Officina di Studi Medievali, 14.II.2), Palermo 2012, S. 639-649, hier S. 641; Thomas von Aquin: Scriptum super Sententiis IV, d. 13, q. 2, a. 3, sed contra 2 (ed. Moos (1947), IV, S. 569).
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Durandus‘ zweites Argument ist in ähnlicher Form auch bei Heinrich zu finden.112
Gottfried bezieht das Argument in seiner Quästion zunächst auf den status
episcopalis113 und anschließend wie Heinrich auf den status praelatorum insgesamt, also
auch auf Pfarrpriester.114 Für die These, der Prälatenstand verlange vollkommenere
Personen als der Stand der Religiosen, führt Gottfried mehrere Belege an, die in De
paupertate Christi et apostolorum jeweils den Kern eines eigenen Arguments bilden.
Erstens rekurriert er auf den Grundsatz, das aktive Prinzip sei vollkommener als das
passive, den Durandus, wie oben erläutert, in seinem ersten Argument nutzt.115
Zweitens verweist der Weltgeistliche auf die besonderen intellektuellen
Anforderungen, welche die Seelsorge an den Prälatenstand stellt.116 Zur Erfüllung
ihrer seelsorgerischen Aufgaben benötigen Gottfried zufolge alle praelati, Bischöfe wie
Pfarrpriester, Wissen, welches die Religiosen nicht – oder zumindest nicht in so
vollendeter Form – besitzen müssen.117 Hierin zeigt sich eine Parallele zu Durandus‘
zweitem Argument. Drittens sieht Gottfried in der vollkommenen Nächstenliebe, die
der Prälatenstand im Gegenstaz zum Stand der Religiosen erfordert, eine Begründung
dafür, dass die praelati vollkommener sein müssen als die Religiosen.118 Einer
ähnlichen Beweisführung bedient sich Durandus in seinem dritten Argument, das
unten noch ausführlich zu analysieren ist.
Wie Durandus‘ zweites Argument unterstreicht auch Thomas, dass Bischöfe anders
als Religiose hinreichend vollkommen sein müssen, um andere Menschen zur
112 Heinrich: Quodl. XII, q. 29 (S. 193, Z. 5-9): „Status ille est perfectior qui requirit quod in ipso
exerceantur opera perfectiora, et qui requirit habere in se personas perfectiores ad exercendum illa opera, quia correspondetia debet esse inter statum et existentes in statu. Status autem praelatorum est huiusmodi respectu status religiosorum, et hoc tam in minoribus praelatis quam in maioribus...“
113 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 75): „Nam ideo videtur status episcoporum perfectior quia etiam perfectiorem hominem requirit quam status religionis. Ille enim status est perfectior qui per se requirit hominem perfectiorem. Quia ergo status episcoporum requirit hominem perfectiorem quam status religionis, qui per se non requirit perfectos esse omnes qui vere religiosi sunt, quod requirit status episcoporum, ideo status episcoporum dicitur status perfectior statu religiosorum.“
114 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 83): „Et quia status ille qui requirit homines sic perfectos quod etiam ad ipsos pertinet aliquos perficere est perfectior quam status ille qui non exigit primo et per se perfectos, sed perficiendos et compatitur imperfectos; ideo, ut dictum est, status praelatorum est simpliciter perfectior quam status religiosorum.“
115 Siehe oben, S. 18, Anm. 104. 116 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 83)„…praelatus debet esse perfectior [...] quantum ad intellectum et
speculationem, quia etiam alios habet instruere in spiritualibus et deviantes dirigere et errores corrigere et etiam ad ardua in speculatione elevare. Ideo status praelatorum est simpliciter perfectior statu religiosorum in quantum, ut dictum est, status praelationis reqirit hominem multo perfectiorem quam status religionis.“
117 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 76): „Nunc autem ad hoc quod aliquis convenienter possit esse praelatus, non solum episcopus sed sacerdos parochialis, requiritur quod scientia sit instructus [...]. Ad religiosum etiam bonum et sufficientem, secundum quod huiusmodi, non requiritur hoc, saltem ita perfecte; immo potest dici quis servare religionem sufficienter ad salutem, etiam si non sit multum instructus scientia…“
118 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 83): „Quia enim quantum ad affectum praelatus debet esse perfectior, utpote perfectiorem caritatem habens, quia in quantum talis, prae ceteris debet esse promptus et paratus ad exponendum se morti pro salute proximorum.“ vgl. außerdem Gottfrieds Ausführungen zum Bischofsstand in Quodl. V, q. 16 (S. 75).
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Vollkommenheit führen zu können.119 Wer die Bischofswürde empfange, übernehme
ein magisterium spirituale, welches im Gegensatz zum status religionis Vollkommenheit
voraussetze.120 Die Begründung, die Gottfried und Durandus liefern, dass der
Prälatenstand größere Vollkommenheit erfordere als der status religionis, weil Prälaten
über die für die Seelsorge nötige scientia verfügen müssten, fehlt bei Thomas aber.
Durandus‘ drittes Argument greift die Definition der perfectio personalis wieder auf, die
der Autor im zweiten Abschnitt von Quästion 2 seines Gutachtens gibt. Wie
dargelegt, versteht Durandus in Anlehnung an Thomas unter der persönlichen
Vollkommenheit im Diesseits, durch die allein ein Mensch im gegenwärtigen Leben
vollkommen ist, caritas und deren Ausübung.121 Dementsprechend definiert Durandus
nun in seinem dritten Argument für die größere Vollkommenheit des Prälatenstandes
das Werk höchster Liebe als Werk höchster Vollkommenheit (opus summe
perfectionis).122 Nach Durandus besteht das opus summe caritatis – und damit auch das
opus summe perfectionis – darin, zum Heil der Anderen das eigene Leben zu lassen, was
mit Joh 15, 13 begründet wird.123 Folglich seien die Bischöfe zum Werk höchster
Vollkommenheit verpflichtet, da sie – anders als Ordensleute – im Notfall ihr Leben
für die ihnen anvertrauten Gläubigen hingeben müssten.124 Daraus schließt
Durandus, dass der episcopalis status der vollkommenste Stand sei, weil gemäß der
ersten Prämisse derjenige Status die höchste Vollkommenheit innehat, der zum opus
summe perfectionis verpflichtet.125 Der Aufopferung für die Mitchristen als Werk
höchster Vollkommenheit kann aus Durandus‘ Sicht nichts gleichkommen. Deshalb
seien auch Religiose, die nichts persönlich oder in Gemeinschaft besitzen, wie es die
119 Thomas: S.th. II-II, q. 185, a. 1, ad 2 (S. 807): „Et huius differentiae ratio est quia, secundum
Dionysium, perfectio pertinet active ad episcopum, sicut ad perfectorem, ad monachum autem passive, sicut ad perfectum. Requiritur autem quod sit perfectus aliquis ad hoc quod possit alios ad perfectionem adducere, quod non praeexigitur ab eo qui debet ad perfectionem adduci.“
120 Thomas: De perfectione, c. 22 (B 95, Z. 47-51): „Est etiam et aliud attendendum, quod religionis status perfectionem non praesupponit, sed ad perfectionem inducit; pontificalis autem dignitas perfectionem praesupponit: qui enim pontificatus honorem suscipit, spirituale magisterium assumit“
121 Siehe oben, Kap. I.1, S. 10, Anm. 46. 122 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „…opus summe perfectionis est opus summe caritatis, quia
in caritate et in eius actu potissime consistit perfectio, ut declaratum est supra.“ 123 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186f.): „Sed opus summe caritatis est exponere vitam suam pro
salute aliorum secundum illud Joh. 15°: Maiorem caritatem nemo habet, quam ut animam ponat quis pro amicis suis.“
124 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Ad hec autem obligantur episcopi pro suis subditis et ex suo statu, et non religiosi ratione status, ergo status episcopalis obligat ad opus summe perfectionis, et sic est summe perfectus,...“
125 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „...ille status est summe perfectus, per quem aliquis obligatur ad opus summe perfectionis. Sed status episcopalis est huiusmodi. Ergo etc.“
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Minoriten für sich in Anspruch nehmen, nicht so vollkommen wie Bischöfe, obwohl
zum status episcopalis eine Fülle von zeitlichen Gütern gehöre.126
Auf eben diesen Schluss hin sind die allgemeinen Ausführungen zur Vollkommenheit
und zu den beiden status perfectionis in den ersten zwei Abschnitten der responsio von
Quästion 2 ausgerichtet. Durch die Bestimmung der perfectio personalis als caritas im
zweiten Abschnitt zeichnete sich bereits ab, dass Besitzlosigkeit aus Durandus‘
Perspektive kein essentieller Bestandteil von Vollkommenheit ist. Durandus‘ drittes
Argument legt nun dar, dass durch die Armutsform der Minoriten keine perfectio status
konstituiert wird, die an die Vollkommenheit des Prälatenstandes heranreichen
könnte. Diese Beweisführung antwortet anders als die beiden vorangegangenen
Argumente direkt auf die zentrale Fragestellung, ob ein status durch den Verzicht auf
gemeinschaftlichen Besitz vollkommener sei als ein Stand, der Besitz in Gemeinschaft
erlaubt. Sie bildet den Kern von Durandus‘ Argumentation zu der ersten Teilfrage,
bei der die beiden verschiedenen status perfectionis, der Prälatenstand und der Stand der
Religiosen, einander gegenübergestellt werden. Die zweite Teilfrage, ob
gemeinschaftliche Besitzlosigkeit Vertretern eines der beiden status größere
Vollkommenheit verleihe als Angehörigen desselben Standes, die etwas in
Gemeinschaft besitzen,127 bleibt an dieser Stelle zunächst noch offen. Durandus
widmet sich ihr erst, nachdem er zuvor durch weitere Argumente belegt hat, dass der
status prelationis vollkommener ist als der status religionis.
Das dritte Argument des Bischofs von Le Puy weist Ähnlichkeit zu einer der
Begründungen auf, die Thomas in De perfectione spiritualis vitae für die größere
Vollkommenheit des episcopalis status liefert.128 Die Verpflichtung der Bischöfe, das
eigene Leben für andere einzusetzen, übertreffe die Gelübde der religiosi. Das gleiche
Argument gebraucht Heinrich, um darzulegen, dass Prälaten vollkommener sind als
Religiose.129 Dabei ist jedoch abermals zu berücksichtigen, dass Heinrich in der hier
zitierten Quästion anders als Durandus ausdrücklich auch die Kuraten unter dem
126 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „…propter quod nullus status religionis quantumcumque
nihil habentis in proprio vel communi potest equiparari perfectioni status episcopalis quantumcumque habundantis in bonis temporalibus mobilibus vel immobilibus.“
127 Siehe hierzu Kap. II, S. 26-29. 128 Thomas: De perfectione, c. 20 (B 92, Z. 33-42): „Relinquitur ergo episcopalem statum maioris
perfectionis esse quam statum cuiuscumque religionis. Idem autem apparet, si quis consideret ea ad quae utrique obligantur. [...] quibus (sc. iis ad quae religiosi obligantur) multo est amplius et difficilius pro salute aliorum vitam ponere, ad quod, sicut dictum est, episcopi obligantur.“
129 Heinrich: Quodl. XII, q. 29 (S. 240, Z. 46-51): „...quidquid quidem religiosus habet in se ex animi devotione aut ex voto quocumque, quanto amplius est et difficilius pro salute aliorum vitam ponere, ad quod pro tempore praelati obligantur, quam temporalia dimittere et castimoniam servare. Et ideo omnino perfectior illis iudicandus est (sc. praelatus) non solum sicut in se perfectus existens, sed sicut exemplo et facto aliis perfectionem tribuens.“
23
Begriff ‚praelati‘ subsumiert.130 Außerdem ähnelt das dritte Argument in De paupertate
Christi et apostolorum, wie bereits angedeutet, einem Element aus Gottfrieds Beweis,
dass der gesamte Prälatenstand einschließlich der Pfarrpriester vollkommenere
Personen erfordert als der Stand der Religiosen und daher vollkommener ist.131
In Durandus‘ viertem Argument wird die These, dass der Bischofsstand132 gegenüber
dem Stand der Religiosen größere Vollkommenheit besitze, durch eine Analogie zum
Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler begründet. Ausgehend von dem aus Lk 6, 40
entlehnten Grundsatz, der Jünger sei nicht über dem Meister, bestimmt Durandus
zunächst das Modell der Meisterschaft als Überordnung eines vollkommenen
Meisters über einen unvollkommenen Schüler.133 Dieser gelange, wenn er in den
Stand des Meisters übertrete, in einen vollkommeneren Status.134 Nach diesen
Vorannahmen setzt Durandus den Stand der Lehrer (status doctorum) mit dem
Bischofsstand gleich, was er damit rechtfertigt, dass der Episkopat in der Nachfolge
der Apostel steht.135 Alle übrigen innerkirchlichen Stände, also auch den status
religionis, ordnet der dominikanische Autor dagegen dem Stand der Jünger oder
Schüler (status discipulorum) zu. Aus dieser Dichotomie folgt für Durandus, dass sich
die Bischöfe in einem erhabeneren und vollkommeneren Stand befinden als die
religiosi und alle übrigen Gläubigen.136
Vor Durandus rekurrierten bereits Thomas und Heinrich auf das Verhältnis zwischen
Meister und Schüler, um daraus durch Analogieschluss abzuleiten, dass der
Prälatenstand137 größere Vollkommenheit besitze als der Stand der Religiosen.138 Die
übergeordnete Stellung des status praelatorum rechtfertigen die beiden Autoren
130 Heinrich: Quodl. XII, q. 29 (S. 193, Z. 16-19). 131 Siehe oben, S. 20, Anm. 118. 132 Wie Durandus in seinem dritten Argument statt des Terminus ‚status prelationis‘ den Begriff ‚status
episcopalis‘ gebraucht, so verwendet er nun den Begriff ‚status episcoporum‘. 133 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „...status doctorum est perfectior statu discipulorum
secundum illud Luc. 6°: Non est discipulus super magistrum. Minus dicit et plus significat, quasi diceret: discipulus debet subesse magistro tamquam imperfectus sub perfecto.“
134 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Sed quando de statu discipuli transit ad statum magistri, tunc est in statu perfectiori. Unde ibidem subditur: Perfectus autem erit, si sit sicut magister eius.“
135 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Status autem episcoporum est status doctorum. Apostolis enim, quorum locum tenent episcopi, dixit Jhesus Math. ultimo: Ite, docete omnes gentes! Omnis autem alius status est status discipulorum.“
136 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Ergo status episcoporum est sublimior et perfectior omni alio statu, et ideo de iure communi omnes subsunt episcopos, tam religiosi quam alii.“
137 Zum unterschiedlichen Verständnis des Terminus ‚status praelatorum‘ siehe Kap. I.1, S. 12-14. 138 Thomas: Super Matt. lectura, c. 19 (Nr. 1594, S. 244): „Unde talis est differentia inter perfectionem
religiosorum et praelatorum, qualis inter discipulum et magistrum. [...] dato quod uterque faciat quantum ad eum pertinet, et bene utatur officio suo, dico quod non est comparatio, nisi sicut inter discipulum et magistrum: unde in statu perfectiori est praelatus...“ Heinrich: Quodl. XII, q. 29 (S. 224, Z. 67-69): „Status praelatorum se habet ad statum religiosorum sicut status magistrorum ad statum discipulorum. Magister autem debet esse perfectior discipulo. Nemo enim debet esse magister qui non fuerit ante discipulus.“
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allerdings in diesem argumentativen Zusammenhang nicht wie Durandus durch die
Apostelnachfolge.
Dass der status episcoporum als status doctorum fungiert, rechtfertigt Durandus mit dem
Lehrauftrag, der an die Apostel ergangen sei und deshalb auch für deren Erben, die
Bischöfe, gelte.139 Wie in dem eingangs zitierten Argument gegen die absolute
Besitzlosigkeit der Apostel, welches der Autor am Ende von Quästion 1 seines
Votums verwendet,140 bleibt auch hier die Annahme, dass die Angehörigen des
Episkopats legitime Nachfolger der Apostel sind, eine unbewiesene Voraussetzung.
Nach dem vierten Argument folgt in dem Gutachten ein weiterer Beweis für die
größere Vollkommenheit des status prelationis, der von Durandus aber nicht als eigenes
Argument mitgezählt wird und bei Horst keine Erwähnung findet. Durandus hebt
zunächst hervor, dass der Papst Angehöriger des status episcopalis sei, obwohl er,
legitimiert durch Lk 22, innerhalb des Bischofskollegiums eine Vorrangstellung
einnehme.141 Anschließend konstatiert der Autor, dass es nach kirchlicher Lehre
keinen vollkommeneren Stand in der Kirche geben könne als denjenigen des vicarius
Christi, also des Papstes.142 Daraus schließt Durandus, dass die Vollkommenheit des
status prelationis, dem der Stellvertreter Christi angehört, für den status religionis
grundsätzlich unerreichbar bleibt.143 Dabei ist für den Autor unerheblich, zu welchem
Grad an Armut sich ein Orden jeweils verpflichtet, weil religiosi die geringere
Vollkommenheit ihres Standes durch Besitzlosigkeit keinesfalls kompensieren
können.
Formal betrachtet ist das Argument zwar logisch nicht schlüssig, weil die zweite
Prämisse lediglich ausschließt, dass es in der Kirche einen status gebe, der
vollkommener sei als derjenige des Papstes. Der Untersatz besagt dagegen nicht, dass
kein innerkirchlicher status dem Stand des vicarius Christi in seiner Vollkommenheit
gleichkommen könne. Eben dies wird in der Konklusion allerdings vorausgesetzt.
Gleichwohl verdient das Argument deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil in ihm
die Vollkommenheit des Papstes als Beweismittel genutzt wird. Diese
139 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Apostolis enim, quorum locum tenent episcopi, dixit Jhesus
Math. ultimo: Ite, docete omnes gentes!“ 140 Vgl. Einleitung, S. 3, Anm. 2; siehe außerdem unten, Kap. III, S. 33. 141 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Nec dominus papa, cui omnes subsunt, ex hoc, quod papa
est, habet alium statum quam episcopalem quamvis habeat inter episcopos tamquam inter fratres superioritatem, sicut dixit Christus Petro: Tu aliquando conversus confirma fratres tuos! Luc, 22°.“
142 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Temerarium autem est et a doctrina ecclesiastica alienum, quod in ecclesia Christi sit status perfectior statu vicarii Christi, qui tamen est episcopus et episcopum se vocat.“
143 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Et sic patet, quod nulla paupertas, in quocumque gradu sit, potest facere quod status religionis sit eque perfectus sicut status prelationis.“
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Argumentationsweise war im historischen Kontext der Debatte über die Armut
Christi und der Apostel aus mehreren Gründen vorteilhaft.
Erstens verhieß eine Argumentation, die darauf aufbaute, dass es in der Kirche keinen
vollkommeneren Stand gebe als denjenigen des Papstes, Aussicht auf die Gunst des
Adressaten, Johannes‘ XXII. Falls Durandus danach strebte, innerhalb der
kirchlichen Hierarchie weiter aufzusteigen, war er vermutlich sehr daran interessiert,
das Wohlwollen des Papstes zu gewinnen. Tatsächlich bestand die Chance, dass sich
kuriale Gutachtertätigkeit karriereförderlich auswirkte.144 Durandus selbst hatte,
bevor er die Bischofsweihe erhielt, das Amt des lector in curia Romana, eines
Fachgutachters am päpstlichen Hof in Avignon, innegehabt.145 Zweitens ist die
Entscheidung, die Vollkommenheit des Papstes argumentativ zu nutzen, strategisch
günstig, weil dieses Argument von den Verteidigern der minoritischen
Armutsauffassung in der historischen Diskussion schwerlich angegriffen werden
konnte. Da die Debatte vom Papst angestoßen worden war und von diesem geleitet
wurde, wäre Opposition gegen die Prämisse, es gebe in der Kirche keinen
vollkommeneren Stand als den Papst, gefährlich gewesen.
Drittens war der Verweis auf den Papst insofern geschickt, als das Papsttum in der
Legitimation der franziskanischen Armutskonzeption eine zentrale Funktion
übernahm. So kam insbesondere der Bulle Exiit qui seminat Nikolaus‘ III. bei der
Verteidigung der minoritischen Auffassung von apostolischer Armut eine
Schlüsselrolle zu.146 Außerdem fungierte der Papst, wie eingangs erläutert,
stellvertretend für den Minoritenorden als Besitzer derjenigen Güter, von denen die
Franziskaner Gebrauch machten.147 Freilich äußert sich Durandus selbst im
Zusammenhang mit dem genannten Argument nicht zu der großen Bedeutung des
Papsttums für den Minoritenorden.
Die Analyse der Beweisführung, warum keine religio die Vollkommenheit des status
prelationis erreichen kann, zeigt, dass der Bischof von Le Puy größenteils148 auf
Argumentationsmuster zurückgriff, die im Jahrhundert davor bereits bei Thomas von
Aquin, Heinrich von Gent oder Gottfried von Fontaines Verwendung gefunden
hatten. Auf Basis der Untersuchungsergebnisse lässt sich unter anderem die These
Horsts und Miethkes bekräftigen, Durandus‘ Argumentation sei stark durch die
144 Miethke: Votum (1993), S. 162f. 145 Ebd. 146 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 33f. 147 Siehe oben, Einleitung, S. 4. 148 Eine Ausnahme stellt das Argument dar, in dem Durandus auf den status des Papstes als
vollkommensten Stand in der Kirche rekurriert.
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Position des Thomas von Aquin beeinflusst.149 Zugleich wird durch die Analyse
deutlich, dass der Bischof von Le Puy in einigen Ansichten mit den Standpunkten
Heinrichs und Gottfrieds übereinstimmt, obwohl den Ausführungen der beiden
weltgeistlichen Autoren ein Verständnis des Prälatenstandes zugrunde liegt, das weiter
gefasst ist als sein eigenes.
II Der Besitz des status prelationis – eine Legitimation
Im Anschluss an die Feststellung, dass der Prälatenstand grundsätzlich vollkommener
ist als der Stand der Religiosen, wendet sich Durandus der Frage zu, ob persönliche
und gemeinschaftliche Besitzlosigkeit den Vertretern eines der beiden status perfectionis
mehr Vollkommenheit verleiht als Angehörigen desselben Standes, denen in
Gemeinschaft mit anderen etwas gehört. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung
ist von Interesse, ob nach Durandus‘ Auffassung den prelati, die auf den Besitz
jeglicher temporalia verzichten, mehr Vollkommenheit zukommt als Prälaten mit
gemeinschaftlichem Besitz.
Der Autor bestreitet, dass völlig besitzlose Prälaten vollkommener seien als diejenigen
Mitglieder des status prelationis, die in Gemeinschaft mit anderen zeitliche Güter
besitzen.150 Zuvor hat er bereits aufgezeigt, dass eine religio, die sich zu völliger
Besitzlosigkeit verpflichtet, nicht vollkommener ist als Orden mit
Gemeinschaftsbesitz.151 Die Argumente, die zu diesem Ergebnis führen, gelten nach
Durandus‘ Ansicht analog auch für das Verhältnis zwischen Prälaten mit und ohne
gemeinschaftliche Güter.152 Weil aber die vom Autor angeführten Belege vor allem
auf die besitzrechtliche Situation des Franziskanerordens zugeschnitten sind, genügt
es hier, nur die wichtigsten Punkte seiner Beweisführung zusammenzufassen.
Durandus hebt unter anderem hervor, dass Besitzlosigkeit nur dann zu
Vollkommenheit führen könnte, falls sie dem Menschen die Lust auf temporalia und
die unruhige Sorge (sollicitudo) nähme, die von den geistlichen Gütern (spiritualia)
149 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210; Miethke: Votum (1993), S. 161; vgl. oben, Einleitung, S.
6f. 150 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190): „Per easdem rationes patet, quod si unus prelatus nihil habeat
in proprio vel communi, alius autem habeat aliqua in communi, primus non est propter hoc in perfectiore statu quam secundus.“
151 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189f.). 152 Siehe Anm. 150.
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ablenkt.153 Nach Auffassung des Autors sind aber formal besitzlose Religiose wie die
Minoriten nicht von der sollicitudo oder der Liebe zu irdischem Besitz befreit, weil sie
zeitliche Güter gebrauchen und selbstständig über diese verfügen. Ähnlich wie
Durandus argumentiert Papst Johannes XXII. in der zweiten Redaktion154 seiner
Bulle Ad conditorum canonum.155 In der ersten Redaktion der Dekretale war der Papst in
seiner Kritik am franziskanischen Armutsmodell sogar noch einen Schritt weiter
gegangen als Durandus. Er behauptete dort nämlich, dass die unruhige Sorge um
zeitliche Güter unter den Minoriten sogar noch verbreiteter sei als bei Bettelorden mit
gemeinschaftlichem Besitz.156 Ad conditorum canonum wird in dem Gutachten des
Bischofs von Le Puy nicht erwähnt, was ein Indiz dafür sein könnte, dass Durandus
noch keine Kenntnis von der Bulle hatte, als er sein Votum verfasste. Ein solches
argumentum ex silentio hat jedoch keinesfalls den Rang eines Beweises.
In minoritischen Texten finden sich Positionen, die sich von Durandus‘ Standpunkt
zur sollicitudo völlig besitzloser religiosi deutlich unterscheiden. So vertrat das
franziskanische Generalkapitel von Perugia im Juni 1322 in seiner offiziellen Reaktion
auf die Fragestellung des Papstes die Ansicht, die allerhöchste und vollkommenste
Armut, die Verzicht auf persönliche und kollektive Besitztümer bedeute, schließe eine
‚größere‘ Sorge um temporalia aus.157 Der minoritische Kardinal Bertrand de la Tour
153 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „...quia renunciare temporalibus non facit ad perfectionem,
nisi inquantum per talem renunciationem tollitur sollicitudo mentem distrahens a spiritualibus et amor alliciens ad temporalia. Sed per talem renunciationem, qualis dicta est, nihil predictorum tollitur vel minuitur plus quam in aliis religionibus habentibus aliquid in communi. Ergo talis renunciato (sic!) non auget perfectionem in aliquo.“ Siehe hierzu Horst: Armut und Kirche (1992), S. 211f.
154 Die zweite Redaktion wurde unter dem Datum der ersten Redaktion, dem 8. Dezember 1322, promulgiert. Die tatsächliche Veröffentlichung der überarbeiteten Bulle fand Miethke zufolge bald nach dem 14. Januar 1323 statt, dem Tag, an dem der franziskanische Ordensprokurator Bonagratia von Bergamo gegen die erste Fassung protestiert hatte. Siehe hierzu Miethke: Armutsstreit (2012), S. 269f.; vgl. Eva Luise Wittneben: Bonagratia von Bergamo. Franziskanerjurist und Wortführer seines Ordens im Streit mit Papst Johannes XXII. (Studies in Medieval and Reformation Thought 90), Leiden – Boston 2003, S. 158f.
155 Ad conditorem canonum (Extravagantes Iohannis XXII, ed. Tarrant (1983), Nr. 18, S. 233, Z. 51-57): „…restat, quod si sollicitudo eadem post expropriacionem huiusmodi, que ante ipsam inerat, perseueret, ad perfeccionem huiusmodi talis expropriacio ualeat nil conferre. Constat autem quod post ordinacionem predictam non fuerunt in acquirendis ac conseruandis bonis predictis in iudicio et extra minus soliciti quam ante illam fuerant fratres ipsi quamque sint religiosi mendicantes alii habentes aliqua in communi.“ Siehe zur Argumentation des Papstes Wittneben: Bonagratia (2003), S. 191.
156 Ad conditorum canonum (Bullarium Franciscanum 5, ed. Eubel, S. 236a in nota): „Constat autem, quod fratres dicti ordinis post factam retentionem dicti dominii non minus, sed satis amplius quam ante ipsam in acquirendis bonis ipsis ac conservandis tam in iudicio quam extra fuerunt solliciti, quam sint religiosi alii mendicantes solliciti, habentes aliqua in communi, prout haec nota magistra rerum experientia cunctis recte considerantibus evidentius manifestat.“
157 Manifest von Perugia (Annales Minorum 6, ed. Wadding (1733), Nr. 55, S. 399): „Probatio minoris, quia perfectissima et altissima paupertas est illa, quae excludit majorem sollicitudinem temporalem, et animam liberiorem facit ab omni affectione rei temporalis. [...] Sed paupertas illa, qua nihil habetur in speciali, ex se et essentialiter, et ex intrinseca ratione sui, magis excludit sollicitudinem hujusmodi, quia bona temporalia etiam in communi habita, mentes possidentium illaqueant, et afficiunt aliquo modo, et suos possessores reddunt etiam suos possessores timidos et sollicitos, ne
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legte in seinem Gutachten sogar dar, dass die Lossagung vom Besitz, die Christus den
Aposteln befahl, jegliche sollicitudo um weltlichen Besitz aufhebe.158 Demnach war der
bloße Gebrauch zeitlicher Güter, den der Minoritenorden nach eigener Auffassung
gemäß dem apostolischen Vorbild praktizierte, frei von der Sorge um temporalia und
dadurch kein Hindernis für den status perfectionis.159
Gegen die These, eine religio ohne jeglichen Besitz sei vollkommener als eine religio mit
Gemeinschaftsbesitz, wendet Durandus außerdem ein, dass die Vollkommenheit
einer Person nicht vom wandelbaren Willen eines anderen abhängen könne.160 Genau
dies geschehe aber, wenn man, wie es das franziskanische Armutskonzept vorsieht,
vom Eigentum eines anderen Menschen Gebrauch mache, der stellvertretend als
Besitzer der jeweiligen Güter fungiert.161
Wie diese Argumente im Einzelnen auf den hypothetischen Fall eines Prälaten
übertragen werden können, der weder persönlich noch in Gemeinschaft etwas besitzt,
erläutert Durandus nicht. Stattdessen legt er, gestützt auf Bibelzitate und
Bestimmungen des kanonischen Rechts, dar, dass die Mitglieder des status prelationis
notwendigerweise zeitliche Güter besitzen müssen.
Erstens werde gemäß dem Apostel Paulus von Bischöfen Gastfreundschaft verlangt,
die ohne Besitz nicht aufrechtzuerhalten wäre.162 Zweitens gehöre es nach dem
Auftrag „Weide meine Schafe und meine Lämmer!“ aus dem Johannesevangelium zum
Hirtenamt der Prälaten, für die ihnen anvertrauten Gemeindemitglieder nicht nur
durch Predigt und Vorbild, sondern auch durch materielle Hilfe zu sorgen.163 Dies
aber setze Kirchenbesitz voraus. Das Argument ähnelt stark einer Textpassage in
talia bona communia perdantur aut diminuantur: aut super haec aliqua eis injuria inferatur.“ Siehe hierzu Lambert: Franciscan Poverty (1998), S. 246; Wittneben: Bonagratia (2003), S. 113f. Es handelt sich bei dem Dokument um die längere von zwei Stellungnahmen des Generalkapitels.
158 Bertrand: Dicta Domini Bertrandi Cardinalis de Turre (ed. Nold (2003), S. 186): „…Nolite possidere [...] pracepit eis Christus ut essent expediti ab omni cura et solicitudine omni ubi nulla possessio. Res enim pluribus modis habetur scilicet quantum ad proprietatem et quantum ad usum.“
159 Bertrand: Dicta (S. 187): „…habere temporalia, quantum ad dominium ac prorietatem [...] repugnat illi statui de cuius ratione est nihil habere in speciali, uel in communi, quia res possessa fortius diligitur quantum est de se et magis afficit habentis animum quam non possessa, et annexam habet curam et solicitudinem que per se loquendo tali repugnat statui. Usus autem rerum temporalium presens et cotidianus non repugnat tali statui, nisi esset excessiuua et superfluus.“
160 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190): „Item inconveniens est, quod perfectio alicuius dependeat ex mutabili voluntate alterius.“
161 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190): „Sed si perfectionis est habere in rebus temporalibus solum usum facti proprietate et dominio remanentibus apud alium, cum voluntas cuiuslibet hominis sit mutabilis, tunc talis perfectio dependebit ex eius mutabili voluntate.“
162 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190f.): „Immo videtur esse contra rationem status episcopalis, prout ipsum describit apostolus Ia ad Thi. 3°, et ad Thi. 1° capitulo, nihil habere. Utrobique enim dicit, quod oportet episcopum esse hospitalem. Si autem episcopus non habeat hospicium nec necessaria pro hospicio, qualiter poterit hospitalitatem aliis exhibere? Non apparet possibile.“
163 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Item, Christus committens principatum ecclesie beato Petro Iohannis ultimo, dixit ei ter: Pasce oves meas et agnos meos!, quia prelatus debet pascere subditos verbo, exemplo et temporali subsidio, quod fieri non posset quantum ad tertium, si ecclesia nihil haberet.“
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Thomas‘ De perfectione spiritualis vitae. Dort wird betont, dass Bischöfe die Gläubigen
ihrer Diözese in Notsituationen durch die temporalia, über die sie verfügen,
unterstützen müssen.164
Drittens belegt Durandus durch Bestimmungen des kanonischen Rechts, dass die
Versorgung des gesamten Klerus – und damit auch der Prälaten – in ausreichendem
Umfang sichergestellt sein müsse.165 Zudem beweise der Erste Korintherbrief, dass
die Apostel, in deren Nachfolge die Prälaten stehen, das Recht hatten, für ihre
Predigertätigkeit temporalia als Lebensunterhalt zu erhalten.166 Durandus leitet daraus
ab, dass die Angehörigen des status prelationis von den Gläubigen, die ihnen
untergeben sind, mit materiellen Gütern versorgt werden müssen.167 Darüber hinaus
argumentiert er auf Basis der Glossa ordinaria zu Paulus‘ Erstem Timotheus-Brief, dass
den Prälaten als ‚guten Priestern‘ unter anderem ‚irdische Ehre‘ (honor terrenus)
zustehe.168 Unter honor terrenus versteht der Autor dabei auch Besitz.
Aus dem Gesagten wird deutlich, dass sich die Argumentation nicht auf eine
Begründung beschränkt, warum Mitgliedern des status prelationis der Besitz von
temporalia gestattet ist. Vielmehr läuft die Beweisführung auf den Schluss hinaus, dass
völlige Besitzlosigkeit der perfectio und Würde (decentia) des Prälatenstandes
zuwiderlaufe.169 Ohne Besitz könnten prelati erstens ihren Pflichten nicht
nachkommen, was zum Verlust ihres Vollkommenheitsstatus führen würde. Zweitens
entbehrte der status prelationis ohne den honor terrenus, der in den zeitlichen Gütern zum
Ausdruck kommt, seiner decentia.
Durandus‘ Position ähnelt dem Standpunkt, den Gottfried von Fontaines im Kontext
der Auseinandersetzungen zwischen Bettelorden und Weltgeistlichen vertreten hatte.
Die Vollkommenheit des Bischofsstandes könne durch den Besitz von temporalia
nicht geschmälert werden.170 Andernfalls wären die Bischöfe unvollkommen, da sie
164 Thomas: De perfectione, c. 20 (B 92, Z. 47-50): „Tenentur enim episcopi bona temporalia quae
habent, in necessitate suis subditis exhibere, quos pascere debent non solum verbo et exemplo, sed etiam temporali subsidio.“ Vgl. auch Thomas: S.th. II-II, q. 186, a. 3, ad 5 (S. 820).
165 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191). Verweis auf die entsprechenden Regelungen des Kirchenrechts bei Miethke: Votum, S. 191, Anm. 121-123.
166 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Beatus etiam Paulus [...] I ad Cor. 9° probat quod sibi et ceteris apostolis seminantibus spiritualia debebantur temporalia ad sustentationem.“
167 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Unde de iure naturali et divino statui prelatorum annexum est debitum habendi sustentationem competentem a suis subditis.“
168 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Unde super illud Ia ad Thi. 5° Qui bene presunt presbyteri duplici honore digni habeantur, maxime qui laborant in verbo et doctrina, dicit glossa boni dispensatores non solum honore sublimi prevenire debent, sed et terreno, ut non contristentur indigentia sumptuum.“
169 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Ex quibus omnibus videtur, quod contra perfectionem et decentiam status prelationis est nihil habere saltem in communi de bonis ecclesie.“
170 Gottfried: Quodlibet XII, q. 20 (ed. Hoffmans (1932)(Les Philosophes Belges, Textes et Études 5,1-2), S. 162f.): „Similiter etiam, cum episcopi nunc possideant bona ecclesiae in magna abundantia quae sunt bona communia et clericorum pro eorum sustentatione et etiam communium pauperum ad subveniendum eorum necessitati, nec illis episcopus potest renuntiare, sed illa debet fideliter
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aufgrund ihres Standes den Kirchengütern nicht entsagen dürfen, sondern diese für
den Unterhalt der Kleriker und als Hilfe für die Armen verwenden müssen.171 Wie
Durandus‘ Gutachten ist Gottfrieds Argumentation insbesondere gegen den
Vollkommenheitsanspruch des Minoritenordens gerichtet.172 Der Autor betont
entschieden, dass es in der Kirche keinen vollkommeneren Stand gebe als denjenigen
der Apostel und ihrer Nachfolger, der Bischöfe.173
Der Vergleich zwischen Durandus‘ Votum und dem Gutachten des dominikanischen
Generalmagisters Hervaeus Natalis zeigt, dass die beiden Dominikaner in ihrer
Rechtfertigung, warum Prälaten auf den Besitz zeitlicher Güter nicht verzichten
müssen, unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die kompromisslose These des
Durandus, völlige Besitzlosigkeit stehe im Widerspruch zur Vollkommenheit des
Prälatenstandes, fehlt bei Hervaeus. Stattdessen legt der Generalsuperior des
Dominikanerordens dar, dass die praelati über den gemeinschaftlichen Besitz der
Kirche hinaus auch persönliches Eigentum besitzen dürfen, ohne dadurch ihre
Vollkommenheit zu verlieren.174 Die perfectio eines status werde nur durch dasjenige
aufgehoben, was den Pflichten des jeweiligen Standes zuwiderläuft. Da keine der
Aufgaben, denen sich die praelati verschreiben, den Verzicht auf persönliches
Eigentum voraussetze, verringere sich die Vollkommenheit des Prälatenstandes durch
den Besitz eigener temporalia nicht. Eine vergleichbare Argumentation, die speziell den
persönlichen Besitz der Prälaten verteidigt, ist in Durandus‘ Gutachten nicht zu
finden.
Hervaeus ist außerdem der Auffassung, dass ein Prälat, der zusätzlich zur Erfüllung
seiner Pflichten auf persönlichen Besitz verzichtet,175 einen vollkommeneren Status
einnimmt als seine Standesgenossen.176 Auch diese Position wird im Votum des
Bischofs von Le Puy nicht vertreten. Der Generalsuperior der Dominikaner
dispensare, in nullo etiam derogat perfectioni status episcoporum talium bonorum possessio, alioquin sequeretur quod episcopus non posset esse perfectus.“
171 Ebd. 172 Gottfried: Quodl. XII, q. 20 (S. 157): „Est ergo dicendum quod non est status perfectior statu
apostolorum et praelatorum, loquendo de statu qui dicitur status perfectionis [...]. Licet ergo apostoli non observaverint huiusmodi paupertatem quam dicunt se fratres minores servare omnino tali modo sicut dicunt fratres huiusmodi se servare, quia hoc non patitur status praelatorum, [...] ex hoc tamen non arguitur minor perfectio status ipsorum.“
173 Ebd. 174 Hervaeus Natalis: De paupertate Christi et apostolorum (ed. Sikes (1937-1938), S. 275f., Z. 38-12). 175 Hervaeus spricht hier nicht von einem völlig besitzlosen Prälaten. In einer vorangegangenen
Textstelle des Votums hat er nämlich bereits, gegen die Position der Minoriten gerichtet, dargelegt, dass sich legitimer Gebrauch (usus licitus) und Besitzrecht (dominium) zumindest bei Gütern, die konsumiert werden, nicht trennen lässt; vgl. Hervaeus: De paupertate (S. 242, Z. 12f.). Wenigstens über ein Minimum an Besitz müsste daher auch derjenige Prälat verfügen, der den temporalia entsagt.
176 Hervaeus: De paupertate (S. 276, Z. 25-27): „…abdicatio temporalium addita ad statum praelationis facit statum comprehendentem utrumque magis perfectum quam si comprehendat alterum tantum.“
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begründet seine These damit, dass derjenige, der den zeitlichen Gütern entsagt und
sich insbesondere von seinem persönlichen Eigentum trennt, leichter die eigene
Vollkommenheit erreichen und bewahren könne.177 Als Mittel zur Beförderung der
Vollkommenheit vergrößert der Verzicht auf temporalia nach Hervaeus‘ Verständnis
die Vollkommenheit des status praelationis.178
Der Standpunkt, den Durandus in seinem Votum zum Besitz der Prälaten einnimmt,
unterscheidet sich von Hervaeus‘ Ansicht. Zwar erklärt der Bischof von Le Puy, wie
dargelegt, nur die Trennung vom gemeinschaftlichen Besitz ausdrücklich als
unvereinbar mit dem Amt der prelati.179 Er schließt also nicht explizit aus, dass ein
Prälat auf persönliches Eigentum verzichten könnte. Durandus betont jedoch, dass
Reichtum genauso wie Armut ein Instrument sein könne, das der perfectio eines
Standes dient.180 Ob Reichtum und Armut die Vollkommenheit befördern oder
hemmen, hängt nach Meinung des Autors von ihrem jeweiligen Nutzen für die Werke
ab, zu denen sich ein Stand verpflichtet.181 Da das Votum die zentrale Bedeutung der
temporalia für die Aufgaben des Prälatenstandes unterstreicht, steht außer Frage, dass
Reichtümer aus Durandus‘ Sicht ein Mittel darstellen, welches bei richtigem Einsatz
die Vollkommenheit des status prelationis begünstigt. Per se führt Besitz jedoch
ebensowenig wie Armut zur Vollkommenheit, die – Durandus hat dies im zweiten
Abschnitt der Quästion 2 bereits erläutert182 – in den Habitus und in den Akten der
Tugenden, insbesondere in denjenigen der caritas, besteht.183
Nachdem Durandus allgemein festgestellt hat, dass zeitliche Güter je nach Aufgabe
des jeweiligen Standes hinderlich oder nützlich für die perfectio sein können, erläutert
er konkret, inwiefern in der Frühzeit der Kirche die Umstände von Zeit und Ort über
die Notwendigkeit von Immobilienbesitz (possessiones immobiles) für den status prelationis
entschieden. Zur Zeit Christi und der Apostel habe der Prälatenstand das Ziel
177 Hervaeus: De paupertate (S. 276, Z. 18-20): „...abdicatio temporalium, praecipue quantum ad
dominium in proprio, reddit hominem magis aptum ad perfectum perfectionis...“ 178 Hervaeus: De paupertate (S. 276, Z. 22-25): „...illud quod instrumentaliter reddit hominem magis
aptum ad perfectionem conservandam et promovendam additum alicui statui facit statum quantum est de se magis perfectum...“
179 Vgl. S. 29, Anm. 169. 180 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Possunt tamen esse instrumenta vel impedimenta
perfectionis tam in religiosis quam in prelatis.“ 181 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Cum enim quilibet predictorum statuum dedicatur sit cultui
divino ad exercendum aliqua opera, quibus intendit ex caritate dei et proximi, sicut paupertas et divitie promovent vel impediunt debitum exercicium talium operum, sic promovent vel impediunt perfectionem illius status.“
182 Vgl. Kap. I.1, S. 10f. 183 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „…paupertas vel divitiarum abundantia non facit per se ad
perfectionem, que essentialiter consistit in virtutibus et actibus virtutum.“
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verfolgt, Juden und Heiden durch die Predigt des Evangeliums zu bekehren.184 Diese
Tätigkeit erforderte nach Durandus‘ Meinung, dass die Apostel als prelati der ersten
Generation nicht fest an einen Ort gebunden waren.185 Weil die Bewegungsfreiheit
der Apostel durch den Besitz von Gebäuden und Land eingeschränkt worden wäre,
habe der Prälatenstand zu dieser Zeit nicht über Immobilien verfügt.186 Das
Aufgabenfeld des status prelationis erweiterte sich jedoch Durandus zufolge noch zu
Lebzeiten der Apostel insofern, als nun in bereits christianisierten Gebieten der
Glaube und die Sitten der Gläubigen gestärkt und neue Gemeindemitglieder
hinzugewonnen werden mussten.187 Zu diesem Zweck setzten die Apostel Bischöfe
ein, um selbst zu Missionsreisen in andere Regionen aufzubrechen.188 Durandus ist
überzeugt, dass die Bischöfe ohne ausreichenden Besitz an beweglichen und
unbeweglichen Gütern ihr Amt nicht hätten ausüben können.189 Aus Sicht des Autors
war somit der Immobilienbesitz, der die Apostel an der Ausführung ihres
Bekehrungsauftrags gehindert hätte, im Falle der Bischöfe Voraussetzung dafür, die
Vollkommenheit des status prelationis erreichen zu können.190 Da die Berufung der
ersten Bischöfe durch die Apostel Durandus zufolge den Ursprung der Kirche
bildet,191 lässt sich indirekt auch der Besitz des zeitgenössischen Prälatenstandes auf
eine apostolische Gründung zurückführen.
184 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „Opus autem status prelationis pro tempore Christi et
apostolorum fuit conversio iudeorum et gentium ad fidem Christi per predicationem evangelii,...“ 185 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „…et ideo pro illo tempore, quo debebant per totum
mundum discurrere, ut in omnem terram exiret sonus predicationis eorum, non expediebat, quod haberent possessiones immobiles, domos vel agros. Fuissent enim tunc ad impedimentum cursus predicationis retinendo eos affectu vel effectu in certo loco.“
186 Ebd. 187 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „Consequenter autem adhuc viventibus apostolis incepit
ecclesia habere aliquas possessiones immobiles, et sic expediebat, quia ecclesia non solum erat fundanda per conversionem infidelium ad fidem, sed etiam nutrienda et multiplicanda. Propter quod, postquam apostoli converterant aliquam regionem seu civitatem ad fidem, ipsis transeuntibus ad alias convertendas necesse fuit, quod constituerent episcopos super iam conversos ad confirmandum eos in fide et moribus, et ad attrahendum alios.“
188 Ebd. 189 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „Et sicut apostolis, qui habebant per totum mundum
discurrere predicando, fuissent possessiones immobiles ad impedimentum, sic episcopis per eos constitutis in certis locis fuisset ad impedimentum sui officii et ad imperfectionem status sue prelationis, nisi habuissent tam in bonis immobilibus quam mobilibus sufficientiam victus et vestitus.“
190 Ebd. 191 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „Et sic ex tunc processit ecclesia fundamentum habens ex
prima institutione apostolica.“
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III Rekurs auf den Prälatenstand in den Argumenten gegen das
franziskanische Konzept apostolischer Armut
In den beiden vorangegangenen Kapiteln über die Vollkommenheit und den Besitz
des Prälatenstandes wurden Textpassagen aus Durandus‘ Votum beleuchtet, in denen
der status prelationis selbst im Zentrum des Interesses steht. Nun ist zu untersuchen,
wie der Autor in einigen Argumenten gegen die minoritische Armutskonzeption oder
deren Verteidigung auf die prelati Bezug nimmt. Wie eingangs aufgezeigt, hebt
Durandus beispielsweise hervor, dass die Prälaten und der Papst nicht dem
evangelischen Ideal gerecht würden, falls die Armut Christi und der Apostel
tatsächlich, der franziskanischen Auffassung entsprechend, als totale Besitzlosigkeit
zu verstehen wäre.192 Die Lebensweise der prelati, die aus Sicht des Autors
rechtmäßige Nachfolger der Apostel sind, wird durch die oben skizzierte
argumentative ‚Inversion‘ zu einem Beleg dafür, dass auch das apostolische Vorbild
der Prälaten nicht auf jeglichen Besitz verzichtete.193 Durandus verfolgt in dieser
Textstelle eindeutig das Ziel, das minoritische Armutsverständnis zu diskreditieren.
Überspitzt behauptet er, die franziskanische Position, Christus und die Apostel hätten
weder persönlich noch gemeinschaftlich etwas besessen, sondern nur einen usus facti
ausgeübt, führe zur Aufhebung der bestehenden kirchlichen Hierarchie. Zwar
gelangten im Laufe der langen Diskussion über die franziskanische Armut tatsächlich
einige Denker zu dem Schluss, dass der zeitgenössische Episkopat wegen seines
Besitzes nicht in jeder Hinsicht in der Nachfolge der Apostel stehe.194 Dies bedeutete
jedoch, wie im nächsten Kapitel zu zeigen ist, nicht zwangsläufig, dass die Stellung
der prelati in der Kirche verworfen wurde. Die Argumentatiosstrategie des Bischofs
von Le Puy ähnelt nach Ansicht Tabarronis dem Verhalten einiger Zensoren, die sehr
bemüht waren, in Schriften, die unter Häresieverdacht standen, Beweise für eine
Delegitimation der bestehenden kirchlichen Ordnung zu entdecken.195 In Durandus‘
Darstellung erscheint die franziskanische Armutsauffassung, die für sich allein
genommen aus Perspektive des dominikanischen Theologen nicht eindeutig häretisch
ist,196 unter ekklesiologischen Gesichtspunkten als Gefahr.197
192 Siehe Einleitung, S. 3, Anm. 2. 193 Siehe Einleitung, S. 6, Anm. 22. 194 Siehe hierzu Kap. IV, S. 45-53. 195 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 16f. u. 53. 196 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 183): „Dicere autem quod in hiis, que habuerunt, non habuerunt
nisi solum usum facti et nihil dominii seu proprietatis, non est adeo clare hereticum, quia scriptura sacra de hoc non loquitur pro vel contra.“
197 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 209f.
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Ein ähnliches Argument nutzt Durandus als Einwand gegen den Versuch, aus
Anweisungen Jesu in den Evangelien abzuleiten, dass die Apostel weder persönlich
noch in Gemeinschaft etwas besessen hätten.198 Zunächst erläutert er, dass die
Apostel an den entsprechenden Stellen des Neuen Testaments, auf die sich die
Franziskaner zur Legitimierung der eigenen Armutskonzeption berufen, nur in ihrer
Funktion als ‚Prälaten‘199 angesprochen werden.200 Die Aufforderungen, die Christus
an die Apostel richtet, bezögen sich nämlich auf eine bevorstehende Predigertätigkeit,
die den prelati grundsätzlich durch ihr Amt zustehe, den Religiosen dagegen nur nach
vorheriger Beauftragung durch die Prälaten gestattet sei.201 Als prelati können die
Apostel aber aus Sicht des Autors nicht dazu verpflichtet gewesen sein, auf jeglichen
Besitz zu verzichten.202 Andernfalls würden die Apostelnachfolger – sowohl die
Prälaten zu Durandus‘ Zeit als auch zahlreiche Heilige, die in der Geschichte des
Christentums das Bischofsamt ausübten – durch ihre kirchlichen Güter gegen ein
Gebot Christi verstoßen.203 Die betreffenden Vorgaben (precepta) sind für Durandus
also nicht als notwendige Verpflichtungen (necessariae obligationes) aufzufassen, sondern
als lehrhafte Beispiele (documenta).204
Durch eine ähnliche Argumentation begründet Thomas von Aquin, warum aus den
Anweisungen Jesu im Evangelium nicht zu folgern sei, dass Bischöfe in völliger
Besitzlosigkeit leben müssten.205 Als Beleg werden auch bei Thomas viele
198 Vgl. beispielsweise Bonaventura: Apologia Pauperum, c. 7, §9-12 (Opera Omnia 8 (1898), S. 275f.);
Bonagratia de Bergamo: Tractatus de Christi et apostolorum paupertate (ed. Oliger (1929), S. 491f.); Bertrand: Dicta (S. 184).
199 Aus dem Textzusammenhang wird erkennbar, dass unter dem Terminus ‚prelati‘, der hier für die Apostel gewählt wird, die Inhaber eines bischofsähnlichen Standes zu verstehen sind. Durandus bezeichnet die Bischöfe nämlich als Nachfolger der Apostel; siehe unten, Anm. 202. Vgl. oben, Kap. I.1, S. 12f.
200 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 179): „Item omnia illa fuerunt dicta apostolis non ut religiosis, sed ut prelatis, quia dictum fuit eis, quando mittebantur ad predicandum. Predicare autem competit prelatis ex officio, religiosis autem non, nisi voluntaria commissione prelatorum.“
201 Auf welche kirchenrechtliche Bestimmung sich Durandus hier genau bezieht, ist nicht ersichtlich. Das Recht der Mendikanten, ohne Erlaubnis durch den örtlichen Klerus predigen zu dürfen, das in der Bulle Ad fructus uberes (1281) verbürgt gewesen war, hatte in der Bulle Super cathedram (1311) Einschränkungen erfahren. In Super cathedram wird jedoch nicht bestimmt, dass die Angehörigen der Bettelorden allgemein nur dann predigen durften, wenn sie zuvor von einem Prälaten eine entsprechende Lizenz erhalten hatten. Für einen knappen Überblick über die wechselvolle Geschichte des mendikantischen Predigtrechts in der Frühzeit der Bettelorden siehe Lawrence: Friars (1994), S. 152-161.
202 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 179): „Si ergo omina illa essent sub precepto dicta apostolis, cum in locum eorum episcopi successerunt, sequeretur, quod episcopi ad omina illa tenerentur ex precepto, quod est dampnare non solum modernos prelatos, sed etiam antiquos sanctos, sicut Augustinum, Ambrosium, Ilarium, Gregorium et multos alios, qui bona communia ecclesie possederunt et ea laudabiliter pro se et aliis dispensaverunt.“
203 Ebd.; siehe hierzu Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 130. 204 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 178): „Frequenter etiam nomen precepti ponitur in evangeliis
magis pro documento quam pro necessaria obligatione,…“ 205 Thomas: De perfectione, c. 21 (B 94, Z. 138-149): „ Posset autem alicui videri quod episcopi teneantur
ut hanc perfectionem de abiiciendis divitiis habeant non solum in praeparatione animi, sed etiam in exercitio actus. Dominus enim apostolis mandavit, ut dicitur Matth. X, 9: nolite possidere aurum neque
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Bischofsgestalten der Kirchengeschichte angeführt, deren Heiligkeit unbestritten sei,
obwohl sie nicht auf Besitz verzichtet hätten.206
An anderer Stelle nutzt Durandus die historische Realität, dass Angehörige des
Franziskanerordens in den Bischofsstand aufgenommen wurden, als Einwand gegen
die Armutskonzeption der Minoriten. Das Argument beginnt mit der hypothetischen
Annahme, das franziskanische Gelübde, weder persönlich noch in Gemeinschaft
etwas zu besitzen, sondern nur einen usus facti auszuüben, sei statthaft und tatsächlich
erfüllbar.207 Unter dieser Voraussetzung dürften Minoriten nicht Bischof werden, weil
zum status episcopalis gemeinschaftlicher Besitz gehöre.208 Andernfalls würde ein
Franziskaner, der in den Bischofsstand tritt, sein Armutsgelübde brechen.209 Daraus
folgt für den Autor, dass den Angehörigen des Minoritenordens nur durch eine
spezielle päpstliche Dispens die Übernahme des Bischofsamtes ermöglicht werden
könnte.210 Allein der Papst sei nämlich berechtigt, eine Person von den zentralen
Gelübden ihres Ordens zu entbinden.
Ob der Inhaber des Petrusstuhls tatsächlich nach kanonischem Recht vom
Armutsgelübde hätte dispensieren können, war umstritten.211 Der Liber Extra
Gregors IX. betont ausdrücklich, dass nicht einmal der Papst einen Mönch vom
Gelübde der Armut befreien könne.212 Die Glossa ordinaria des Bernard von Parma zu
der Dekretalensammlung bekräftigt dies, verweist allerdings auf die Möglichkeit des
Papstes, den monastischen Status einer Person aufzuheben.213 Anzeichen dafür, dass
Päpste in dem von Durandus beschriebenen Sinne eine Dispens vom Armutsgelübde
erteilten, sind nicht erkennbar.214 Die unausgesprochene Pointe des Argumentes
argentum, neque pecuniam in zonis vestris; non peram in via, neque duas tunicas, neque calceamenta, neque virgam; episcopi autem successores apostolorum sunt. Tenentur ergo ad haec mandata apostolis facta. Sed manifestum est id quod concluditur, verum non esse.“
206 Thomas: De perfectione, c. 22 (B 94, Z. 149-163): „Fuerunt enim multi in Ecclesia episcopi, de quorum sanctitate dubitari non potest, qui hoc non observaverunt, sicut Athanasius, Hilarius et alii plurimi. [...] Et ideo non est credendum, id quod a sanctis viris communiter agitur, contra divinum praeceptum esse.“ Vgl. außerdem Hervaeus: De paupertate (S. 275, Z. 21-30).
207 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 188): „Sed dato, quod sit possibile et licitum vovere nihil habere in proprio vel communi de rebus temporalibus quibuscumque quantum ad proprietatem et dominium, sed solum habere simplicem usum facti,...“
208 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 188f.): „...voventibus tamen se nihil habituros isto modo non liceret transire ad statum, in quo aliquid habeatur in communi, [...]. Sed in statu episcopali habetur aliquid in communi...“ Vgl. De paupertate (S. 190f.); siehe oben, Kap. II, S. 28f.
209 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „...alioquin essent transgressores voti sui.“ 210 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „Ergo talibus religiosis voventibus se nihil habituros non licet
transire ad statum episcopalem, nisi ex certa scientia et rationabili causa dispensetur cum eis per dominum papam, qui solus potest in votis principalibus religionis dispensare.“
211 Verweis auf diese Kontroverse bei Bernard von Parma: Glossa ordinaria, Liber extra 3.35.6 (Decretales D. Gregorii papae IX. suae integritati una cum glossis restitutae, Rom 1582, Sp. 1297), s.v. abdicatio proprietatis.
212 Liber extra 3.35.6 (Corpus Iuris Canonici 2, ed. Friedberg (1881), Sp. 600). 213 Siehe Anm. 211. 214 In der Forschung ist die Problematik mendikantischer Bischöfe ausführlich behandelt worden. Ein
Hinweis darauf, dass Päpste im 13. oder 14. Jahrhundert vom Armutsgelübde dispensierten, ist
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besteht somit darin, dass Minoriten die Bischofswürde empfingen, ohne zuvor von
ihrem Armutsgelübde befreit worden zu sein. Nach Meinung des Dominikaners
hätten diese franziskanischen Bischöfe gegen ihr votum verstoßen, falls das Gelübde,
in totaler persönlicher und kollektiver Besitzlosigkeit zu leben, wirklich realisierbar
und statthaft wäre. Gerade die Erfüllbarkeit des minoritischen Armutsgelübdes
bestreitet der Autor freilich.215
Die Strategie, die Durandus hier wählt, um die juristische Inkonsistenz der
franziskanischen Position aufzuzeigen, ist im Kontext der Debatte über die
apostolische Armut raffiniert. Unter den Gutachtern, die den Standpunkt der
Minoriten verteidigten, befanden sich nämlich mehrere franziskanische Bischöfe und
Kardinäle.216 Deren Autorität in der Streitfrage wird durch Durandus‘ Einwand
indirekt untergraben. Darüber hinaus unterstreicht die kanonistische Argumentation
die außerordentliche Machtfülle des Papstes, an den das Votum adressiert ist.
Zur Absicherung seiner Argumentation sucht Durandus, den möglichen Einwand zu
widerlegen, dass Minoriten ihr Armutsgelübde gar nicht brechen müssten, wenn sie
das Bischofsamt übernähmen.217 Von franziskanischen Autoren wurde nämlich
bisweilen behauptet, dass Prälaten gar nicht Eigentümer der ihnen anvertrauten
Kirchengüter seien, sondern diese nur verwalteten. Eine derartige Position vertreten
beispielsweise Bertrand de la Tour218 und Bonagratia von Bergamo, der
Ordensprokurator der Minoriten.219 Woher genau Durandus das franziskanische
dort aber nicht zu finden; vgl. Paul Remy Oliger: Les évêques réguliers. Recherche sur leur condition juridique depuis les origines du monachisme jusqu’a la fin du Moyen-Âge, Paris – Louvain 1958; Williell R. Thomson: Friars in the Cathedral. The First Franciscan Bishops 1226-1261, Toronto 1975; Diego Quaglioni: Riflessi ecclesiologici e canonistici dell’ascesa dei frati alle cattedre vescovili, in: Dal pulpito alla cattedra. I Vescovi degli ordini mendicanti nel ‘200 e nel primo ‘300. Atti del XXVII Convegno internazionale. Assisi, 14-16 ottobre 1999, Spoleto 2000, S. 349-375.
215 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 188). 216 Auf das Gutachten des minoritischen Kardinals Bertrand de la Tour wurde bereits mehrfach
hingewiesen; siehe oben, Einleitung, S. 8 und Kap. II, S. 27f. 217 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „Et si dicatur quod immo, quia episcopus est solum
dispensator bonorum ecclesie et nullum dominium habet in eis, esse autem merum dispensatorem bonorum ecclesie non est contrarium seu repugnans voto, quo quis vovet nihil habere in proprio vel communi de dominio seu proprietate rei, non valet, quia licet dominium et proprietas talium non sit episcopi, sed ecclesie...“
218 Bertrand: Dicta (S. 189): „Adhuc tertio notandum quod potestas dispensandi temporalia non uidetur repugnare illi statui de cuius ratione est nichil habere in speciali uel in communi quantum ad proprietatem quia potestas dispensandi nullam dat proprietatem dispensanti in rebus que dispensantur per eum. Aliter prelati qui dispensant bona ecclesie haberent in eis dominium et proprietatem quod non est uerum secundum iura.“
219 Bonagratia: De paupertate (S. 325): „Tertio modo dicitur quis habere res, cum earum habet administrationem, sicut prelatus habet administrationem rerum ecclesiasticarum vel dispensationem. Sicut aliquando habet religiosus dispensator seu executor constitutus ad aliqua bona pauperibus dispensanda et eroganda, vel cum quis habet sibi res per aliquem commendatas seu depositas. Et tunc in hiis non habet dominium nec proprietatem.“ Der Begriff ‚prelatus‘ wird hier in einem weiteren Sinne gebraucht als in Durandus‘ Votum. Er bezieht sich nämlich an dieser Stelle auch auf Ordensobere. Der Schluss, zu dem Bonagratia gelangt, dass prelati kein dominium und
37
Argument kannte, lässt sich jedoch nicht rekonstruieren. Er entkräftet den Einwand,
indem er festhält, dass Kirchengüter gemeinschaftlicher Besitz aller Kirchendiener
(ministri ecclesie) seien, unter denen die Bischöfe den höchsten Rang innehätten.220
Dabei betrachtet Durandus Bischöfe nicht als Verwalter, die außerhalb der
Gemeinschaft stehen.221 Vielmehr bildeten Bischöfe gemeinsam mit den übrigen
ministri ecclesie einen Leib (corpus) und verkörperten dessen Haupt. Daraus schließt
Durandus, dass Bischöfe in Gemeinschaft mit allen anderen Kirchendienern ihrer
Diözese kirchliche Güter besitzen.222
Vor Durandus nutzte bereits Gottfried von Fontaines den Fall der Religiosen, die in
den Bischofsstand erhoben werden, für die eigene Argumentation.223 Anders als im
Gutachten des Dominikaners dient der Hinweis darauf, dass Ordensleute ohne
Dispens die Bischofswürde empfangen, in Gottfrieds Quodlibeta nicht in erster Linie
dazu, die problematischen Implikationen des franziskanischen Armutskonzeptes
sichtbar werden zu lassen. Stattdessen verfolgt Gottfried primär das Ziel, darzulegen,
dass der Prälatenstand größere Vollkommenheit innehat als der Stand der
Religiosen.224 Basis von Gottfrieds Argumentation bildet dabei die Annahme, dass
nach allgemeiner Rechtsauffassung nur der Aufstieg von einer niedrigeren zu einer
höheren Vollkommenheitsstufe, nicht aber der Abstieg in umgekehrter Richtung
erlaubt sei.225 Nur eine besondere Dispens ermöglicht nach Gottfrieds Verständnis
den Übergang von einem vollkommeneren zu einem weniger vollkommenen Stand.
Damit steht für den Autor fest, dass der status praelatorum vollkommener ist als der
status religiosorum, denn eine derartige Dispensation ist für Bischöfe, die in einen Orden
eintreten, erforderlich, nicht aber für Religiose, die in den Bischofstand gelangen.226
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Art und Weise, wie Durandus in seiner
Erwiderung auf ein franziskanisches Standardargument den Besitz des
Prälatenstandes legitimiert. Um dies zu erläutern, muss die betreffende
keine proprietas besitzen, gilt aber für die prelati allgemein und damit auch für Angehörige des Bischofsstandes.
220 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „…tamen talia bona sunt communia servitoribus ecclesie, et ad hoc sunt ecclesie collata, ut ex eis sustententur ministri, qui ecclesie deserviunt, inter quos precipuus et principalis est episcopus.“
221 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „...quia episcopus non est solum dispensator extraneus, sed est unum corpus cum ceteris ministris. Ipse tamen est caput et ceteri sunt membra.“
222 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „Et ideo habet aliquid in communi, sicut ceteri ministri illius ecclesie.“
223 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 72 u. 82); Quodl. XII, q. 20 (S. 155f.) 224 Ebd. 225 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 72): „Hoc autem est de iure communi quod de statu inferiori et minus
perfecto possit aliquis transire ad maiorem et perfectiorem, non autem e converso...“ 226 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 72): „Et quidem hoc communiter supponitur quantum ad maiores
praelatos, scilicet episcopos, quod sunt in statu perfectiori quam religiosi. [...] Hoc etiam patet per hoc quod non est aliquis status religiosorum, quantaecumque perfectionis existat, quin de illo fiat transitus sine dispensatione speciali ad statum episcoporum; non autem e converso.“
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Argumentation, die unter Minoriten weit verbreitet war, kurz umrissen werden. Der
Franziskanerorden stand vor der Herausforderung, Bibelzitate, die nahelegen, dass
Christus und die Apostel Besitz hatten, mit der eigenen Armutsauffassung in
Einklang zu bringen.227 In dieser Hinsicht besonders erklärungsbedürftig waren
Stellen im Johannesevangelium, an denen von den loculi, anscheinend einer Art
gemeinsamer Jüngerkasse, die Rede ist.228 Der franziskanische Theologe Bonaventura
lieferte mehrere unterschiedliche Begründungen, warum Jesus und seine Begleiter
über loculi verfügt hätten.229 Darunter findet sich auch die Erklärung, Christus habe
sich durch den Besitz der loculi auf die Stufe der Schwachen und Unvollkommenen
hinabbegeben, ohne die eigene Vollkommenheit zu verlieren.230 Nach Bonaventura
war dieses ‚Hinabsteigen‘ zu denjenigen, die nicht fähig sind, auf Geld zu verzichten,
ein Akt der Tröstung und der Nächstenliebe.231 Das ‚condescensio-Modell‘ wurde im
Minoritenorden breit rezipiert und fand als einzige der verschiedenen Deutungen, die
Bonaventura für den Besitz der loculi gegeben hatte, Eingang in die Bulle Exiit qui
seminat des Papstes Nikolaus III.232 Diese Dekretale fungierte, wie bereits erwähnt, in
der Debatte um 1322/23 als eine der wichtigsten Stützen zur Legitimation des
franziskanischen Armutskonzeptes.233
Durandus führt die Deutung des loculi-Besitzes, die in der Dekretale Exiit zu finden
ist, nicht auf Bonaventura, sondern auf die Glossa ordinaria zur Bibel zurück. Für die
condescensio Christi gibt er zwei alternative Interpretationen, von denen nur die zweite
für die vorliegende Untersuchung von Interesse ist. Gemäß dieser zweiten Erklärung
sind mit den Schwachen (infirmi), derentwegen Jesus loculi besaß, nicht diejenigen
gemeint, die sich im Besitz von Geld befinden.234 Stattdessen beziehe sich der
Terminus ‚infirmitas‘ auf Personen, die Anstoß daran nehmen, dass die ‚prelati‘ als
227 Wittneben: Bonagratia (2003), S. 114f. 228 Joh 12,6; 13,29. 229 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 161f.; Wittneben: Bonagratia (2003), S. 115. 230 Bonaventura: Apologia, c. 1, §10f. (S. 238b-239a): „...ipsa condescensio Christi, qua Christus
membris condescendebat infirmis et imperfectis, ex sublimitate procedebat perfectissimae caritatis. Sicut enim humanam assumendo naturam, in nostris quidem factus est humilis, sed in propriis permansit excelsus; sic ex summae caritatis dignatione ad actus quosdam nostrae imbecilliati et imperfection conformes deprimitur et a summae perfectionis rectitudine non curvatur.“ Siehe dazu Wittneben: Bonagratia (2003), S. 115.
231 Bonaventura: Apologia, c. 7, §35 (S. 284a): „Unde et huiusmodi actus, scilicet habere loculos, in Christo respectu infirmorum fuit condescensivus, ad consolandum scilicet eos qui propriis loculis carere non volunt...“ Vgl. Horst: Armut und Kirche (1992), S. 161.
232 Wittneben: Bonagratia (2003), S. 116; Tabarroni: Paupertas (1990), S. 27 u. 38f.; Exiit qui seminat, § Porro (Corpus Iuris Canonici 2, ed. Emil Friedberg, Leipzig 1879, Sp. 1112): „...sic Iesus Christus, cuius perfecta sunt opera, in suis actibus viam perfectionis exercuit, quod interdum infirmorum imperfectionibus condescendens, et viam perfectionis extolleret, et imperfectorum infirmas semitas non damnaret; sic infirmorum personam Christus suscepit in loculis...“
233 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 33f. 234 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 193): „Et sic patet, quod glossa non loquitur de infirmitate, que
sonat imperfectionem status habentium loculos,…“
39
‚Diener Gottes‘ finanzielle Mittel besitzen und diese zu ihrem Lebensunterhalt
nutzen.235 In dieser Hinsicht ist die condescensio Christi also für Durandus eine
pädagogische Maßnahme, durch die mögliche Kritiker der Prälaten zurechtgewiesen
werden sollen.
Bonaventura schreibt dem loculi-Besitz Christi in ähnlicher Weise eine pädagogische
Funktion zu. Durch das Vorbild Jesu werde den Häretikern demonstriert, dass
Geldbesitz nicht generell als Sünde zu betrachten sei.236 Anders als bei Durandus ist
diese Deutung allgemein formuliert und richtet sich nicht speziell gegen die Kritiker
des Prälatenstandes. Nach Meinung Bonaventuras zeigt das Beispiel der loculi, über
die Christus verfügte, außerdem den praelati, dass die Kirchengüter zur Versorgung
des Klerus und zur Unterstützung der Armen zu verwenden sind.237 Die temporalia der
Kirche dürften dagegen nicht wie Privateigentum gebraucht werden.238 Dieser
spezielle Aspekt der loculi-Interpretation, die Belehrung der Prälaten, wird in
Durandus‘ Gutachten nicht behandelt.
Die Argumentation des dominikanischen Bischofs zeigt, wie sehr das condescensio-
Modell, welches in der Dekretale Exiit unterstützt wird, Vertreter des status prelationis
herausforderte. Aus Rücksicht auf den Prälatenstand deutete das franziskanische
Generalkapitel in der Langfassung des Manifests von Perugia den Besitz der loculi
anders, als es Nikolaus III. in seiner Bulle getan hatte.239 Das Dokument versteht den
Geldbesitz Jesu nicht als actus condescensivus, sondern als ‚Verwaltung für andere‘
(dispensatio pro aliis).240 Dadurch, dass Christus und die Apostel in dem Manifest als
meri et nudi administratores bezeichnet werden, erscheinen sie als Vorgänger der
Prälaten, die den kirchlichen Besitz – gemäß einer unter Franziskanern verbreiteten
235 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 193): „…sed loquitur de infirmitate illorum, qui possent
scandalizari, cum viderent servos dei seu prelatos loculos habere.“ Durandus‘ Argumentation stützt sich an dieser Stelle auf ein Zitat aus Aurelius Augustinus: De sermone domini in monte II, 17, 57 (ed. Mutzenbecher (1967)(CCSL 35), S. 150 Z. 1266-1279; S. 152f., Z. 1315-1318); vgl. Miethke: Votum (1993), S. 193, Anm. 135. Durch die Formulierung ‚servos dei seu prelatos‘ drückt Durandus aus, dass unter den ‚Dienern Gottes‘, von denen Augustinus spricht, speziell die Prälaten zu verstehen seien.
236 Bonaventura: Apologia, c. 7, §36 (S. 284a): „Respectu autem impiorum fuit actus commonitorius, primo quidem ad refellendum haereticos, qui loculos reprobant et detestantur. [...] Unde et loculos habebat, ut doceret, non esse peccatum loculos habere.“
237 Bonaventura: Apologia, c. 7, § 38 (S. 284b): „Quantum autem ad modum dispensandi forma fuit perfectionis in Ecclesiae praelatis, ut exemplo Christi ecclesiastica bona dispensent ad sustentationem ministrorum Ecclesiae et ad pauperum relevandas miserias.“ Vgl. dazu Horst: Armut und Kirche (1992), S. 161f.
238 Bonaventura: Apologia, c. 7, § 38 (S. 285). 239 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 36 u. 39; Lambert: Franciscan Poverty (1998), S. 247; Wittneben:
Bonagratia (2003), S. 116. 240 Manifest von Perugia (Annales Minorum 6, ed. Wadding (1733), Nr. 55, S. 400): „...Apostoli non
faciebant hoc ut domini, sed ut meri et nudi administratores talium: et pro seipsis solum simplicem facti usum habentes: Et eodem modo respondemus ad instantiam de loculis, et ad omnes auctoritates de hoc loquentes: scilicet quod Apostoli habuerunt tantum usum pro seipsis in loculis: dispensationem autem pro aliis.“
40
Sichtweise241 – nur verwalten und nicht besitzen. Diese Veränderung der
Interpretation führen Tabarroni, Lambert und Wittneben darauf zurück, dass die
Führung der Minoriten bestrebt war, in der für den eigenen Orden schwierigen
politischen Situation möglichst wenig Kritik wie diejenige des Durandus
hervorzurufen.242
Auf ähnliche Weise wie der Bischof von Le Puy erklärt auch Hervaeus Natalis den
Besitz der loculi. Im Gegensatz zu Durandus setzt er sich dabei jedoch nicht mit dem
condescensio-Modell auseinander. Jesus habe, ohne es selbst zu benötigen, Geld
besessen, um den zukünftigen Prälaten der Kirche ein Beispiel zu geben.243 Nach dem
Beispiel Christi und der Apostel dürften deren Nachfolger, die praelati, ihren
Lebensunterhalt von den Personen empfangen, deren Seelsorge sie übernehmen.244
Anders als Durandus behauptet der Generalmagister der Dominikaner nicht explizit,
dem Geldbesitz Christi habe der Zweck zugrunde gelegen, potentielle Kritik am
Besitz der Prälaten zu entkräften. Stattdessen ist die Erkenntnis, dass praelati wie ihr
apostolisches Vorbild das Lebensnotwendige von den Gläubigen erhalten, bei
Hervaeus Teil eines Zirkelschlusses. Weil die Prälaten – zumindest in Gemeinschaft –
ein Besitzrecht (ius) an den temporalia haben, die sie zum Lebensunterhalt benötigen,
können nach Ansicht des Autors auch Jesus und seine Begleiter nicht ohne ein
solches ius ausgekommen sein.245 Damit macht Hervaeus von der argumentativen
‚Inversion‘ Gebrauch, die, wie oben dargelegt, bei Durandus mehrfach zu finden
ist.246
241 Zu dieser Position und zu Durandus‘ Gegenmeinung siehe oben, S. 36f. 242 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 36 u. 39; Lambert: Franciscan Poverty (1998), S. 247; Wittneben:
Bonagratia (2003), S. 116. 243 Hervaeus: De paupertate (S. 291, Z. 26-28): „…Christus habuit loculos non propter propriam
necessitatem cum necessaria vitae posset habere per ministeria angelorum; sed hoc fecit ut daret exemplum futuris praelatis...“ Hervaeus bezieht sich hier wie Durandus (siehe oben, S. 39, Anm. 235) auf Augustinus: De serm. dom. II, 17, 57 (S. 150-153); vgl. die entsprechende Angabe in der Edition von Jeffrey Garret Sikes, Hervaeus: De paupertate (S. 291, Anm. 4).
244 Hervaeus: De paupertate (S. 291, Z. 28-32): „...sicut ipse (sc. Christus) [...] portabat loculos et accipiebat necessaria vitae ab hiis quibus praedicabat; ita etiam praelati, successores apostolorum, quibus incumbit ex officio ministrare spiritualia, acciperent ab hiis quibus ministrarent, necessaria vitae;…“
245 Hervaeus Natalis: De paupertate (S. 291, Z. 32-33): „...sed praelati, successores apostolorum, habent ius in talibus, saltem in communi, ergo etc.“
246 Siehe oben, Einleitung, S. 6 und Kap. III, S. 33f.
41
IV Vergleich zwischen Durandus‘ Standpunkt und den Positionen
anderer Autoren zum status prelationis in der Debatte über die
apostolische Armut (1322/23)
Zwei Gründe machen den Vergleich zwischen Durandus‘ Votum und anderen
Texten, die in den Jahren 1322/23 als Beitrag zu der Debatte über die Armut Christi
und der Apostel verfasst wurden, für die vorliegende Untersuchung erforderlich.
Erstens lässt sich die Bedeutung von Durandus‘ Position zum ‚status prelationis‘ und
dessen Vollkommenheit nur einschätzen, wenn sie im Kontext der Stellungnahmen
anderer Autoren beleuchtet wird. Zweitens ist zu überprüfen, ob zwischen Durandus‘
Ansicht und den Standpunkten zum Prälatenstand, die in anderen Gutachten
vertreten wurden, direkte Bezüge bestehen.
In den Vergleich müssen nur diejenigen Voten einbezogen werden, die den
Prälatenstand und seine Vollkommenheit behandeln. Daher sind die Gutachten der
beiden Dominikaner Augustinus Kažotić und Raimundus Bequin für die
Untersuchung nicht relevant, weil ihre Autoren im Zusammenhang mit der
apostolischen Armut den status prelationis nicht berücksichtigen.247 Ebenfalls wird der
‚Tractatus de Christi et apostolorum paupertate‘ des Bonagratia von Bergamo, der gemäß
Wittnebens Datierungsversuch im Spätsommer oder Herbst 1322 entstand,248 hier
nicht näher beleuchtet. Bonagratia schränkt nämlich die Frage nach der Armut Christi
und der Apostel durch zwei Präzisierungen so ein, dass er sich mit dem Prälatenstand
in seiner Abhandlung nicht eingehend befassen muss.249
Besondere Aufmerksamkeit liegt bei dem Vergleich erstens auf der Frage, ob in dem
jeweiligen Text wie bei Durandus zur Erklärung des status perfectionis die
Unterscheidung zwischen status perfectionis acquirende et conservande und status perfectionis in
alios diffundende herangezogen wird. Diese Differenzierung findet sich, wie oben
dargestellt, in leichter terminologischer Abweichung bereits bei Thomas von Aquin
und vielen weiteren Autoren aus verschiedenen kirchlichen Gruppierungen.250
Zweitens ist zu ermitteln, ob der jeweilige Autor einem der beiden status perfectionis
eine höhere Vollkommenheitsstufe zuschreibt als dem anderen.
247 Augustinus Kažotić: Dicta fratris Augustini Episcopi Zagabriensis (ed. Ciampi (1956), S. 148-158);
Ulrich Horst: Raimundus Bequin OP und seine Disputation “De paupertate Christi et apostolorum“ aus dem Jahr 1322, in: AFP 64 (1994), S. 101-118, hier: S. 108.
248 Wittneben: Bonagratia (2003), S. 123f. 249 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 40f.; Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 36f.; Wittneben:
Bonagratia (2003), S. 125-127. 250 Siehe oben, Kap. I.1, S. 11, Anm. 52.
42
Hervaeus Natalis differenziert ähnlich wie Durandus zwischen dem status religionis als
status perfectionis acquirendae und dem status praelationis als status perfectionis exercendae.251 Er
übernimmt diese Unterscheidung, wie er selbst hervorhebt, aus der Summa theologiae
des Thomas von Aquin.252 Um Missverständnissen vorzubeugen, erläutert Hervaeus,
dass auch Religiose Werke der Vollkommenheit ‚ausüben‘ (exercere), sich im
Unterschied zu den Prälaten aber nicht in einem Stand befinden, der darauf
ausgerichtet ist, durch Akte der ‚Reinigung‘, ‚Erleuchtung‘ und der
‚Vervollkommnung‘253 die Vollkommenheit der Mitmenschen herbeizuführen.254 Weil
der Autor eine andere Argumentationsstrategie als Durandus wählt, vergleicht er die
beiden status perfectionis nicht hinsichtlich ihrer Vollkommenheit miteinander. In einem
von Hervaeus widerlegten Argument gegen den Besitz des Prälatenstandes findet sich
jedoch die Behauptung, der status praelationis sei nach Meinung aller vollkommener als
der status religionis.255 Während der Autor andere Bestandteile des Argumentes
entkräftet, bleibt die These von der größeren Vollkommenheit des Prälatenstandes
gänzlich unkommentiert. Dies spricht dafür, dass Hervaeus den status praelationis
tatsächlich für den vollkommeneren Stand hält, dessen perfectio status, wie bereits
dargelegt, nicht einmal durch den Besitz von persönlichem Eigentum geschmälert
wird.256
Das Begriffspaar ‚status perfectionis acquirende – status perfectionis exercende‘ wird in der
Debatte der Jahre 1322/23 nicht nur von Kritikern, sondern auch von Unterstützern
des minoritischen Armutsverständnisses verwendet. Die franziskanischen Kardinäle
Bertrand de la Tour und Vital du Four machen von dieser Terminologie in den
Langfassungen ihrer Gutachten Gebrauch.257 Darüber hinaus findet sich die
Unterscheidung der beiden status perfectionis auch schon in Bertrands Compendiosa
resumptio dictorum.258 Bei den Compendiose resumptiones handelt es sich um kürzere
251 Hervaeus: De paupertate (S. 269, Z. 36-38): „Quantum ad secundum, quod quidam dicunt quod
status religionis est status perfectionis acquirendae; status vero praelationis est status perfectionis exercendae,…“
252 Hervaeus: De paupertate (S. 269, Z. 38f.); vgl. Thomas: S.th., II-II, q. 185, a. 1, ad 2 (S. 807); q. 186, a. 3, ad 5 (S. 820).
253 Im Verweis auf die Akte purgare, illuminare und perficere als Aufgabe der Prälaten greift Hervaeus weitverbreitetes ekklesiologisches Gedankengut auf, welches Konzepte des Dionysius Pseudo-Areopagita rezipiert; vgl. die entsprechende Angabe in der Edition von Jeffrey Garret Sikes, Hervaeus: De paupertate (S. 270, Anm. 1).
254 Hervaeus Natalis: De paupertate (S. 270, Z. 9-17). 255 Hervaeus Natalis: De paupertate (S. 275, Z. 11f.): „Minor etiam conceditur ab omnibus et quantum
ad hoc quod status praelatorum est perfectior quam status religiosorum.“ 256 Siehe oben, Kap. II, S. 30, Anm. 174. 257 Nold: Pope John XXII (2003), S. 81f. Im Falle Vitals sind die betreffenden Begriffe in der ersten
Additio zur Langfassung des Gutachtens zu finden. 258 Ebd., u. S. 48; Felice Tocco: La quistione della povertà nel secolo XIV secondo nuovi documenti
(Nuova Biblioteca di Letteratura, Storia ed Arte 5), Napoli 1910, S. 28; Patrick Gauchat: Cardinal Bertrand de Turre Ord. Min. his participation in the theoretical controversy concerning the poverty
43
franziskanische Stellungnahmen zu der Frage des Papstes, die im zweiten Abschnitt
des Codex Vat. lat. 3740 überliefert sind.259 Nach Ansicht Nolds fassen die
Compendiose resumptiones die mündlichen Äußerungen zusammen, durch die der
jeweilige Experte seine Meinung vor dem Konsistorium darlegte.260 Wenn – wie im
Falle Bertrands und Vitals – einem Gutachter sowohl eine Compendiosa resumptio als
auch eine Langfassung zugeschrieben wird, nimmt Nold jeweils an, dass die kürzere
der beiden Versionen vor der längeren entstand.261 Dadurch wendet er sich gegen die
ältere Sichtweise Toccos, der zufolge die Compendiose resumptiones Zusammenfassungen
längerer Gutachten sind.262
Außer Bertrand differenziert kein anderer Minorit in seiner Compendiosa resumptio
zwischen dem status perfectionis acquirende und dem status perfectionis exercende.263 Daher
kommt Bertrands Position, falls die Compendiose resumptiones tatsächlich, wie Nold
annimmt,264 Zusammenfassungen mündlicher Stellungnahmen darstellen und vor den
längeren Gutachten entstanden, besondere Bedeutung zu. Nold vermutet, dass Vital
du Four von Bertrand beeinflusst wurde, als er die Unterscheidung der beiden status
perfectionis in die erste Additio zur Langfassung seines Gutachtens aufnahm.265
Bertrands Ansicht zu den status perfectionis ist nicht nur wegen ihrer Sonderstellung
unter den Compendiose resumptiones und wegen des Einflusses, den sie möglicherweise
auf Vital du Four ausübte, für eine Gegenüberstellung mit Durandus‘ Standpunkt
interessant. Die beiden Positionen müssen vor allem deshalb miteinander verglichen
werden, weil der dominikanische Bischof – wie eingangs erwähnt266 – die Dicta domini
Bertrandi Cardinalis de Turre, also die Langfassung von Bertrands Votum, an insgesamt
drei Stellen zu zitieren oder zu widerlegen scheint.267 Freilich bezieht sich keine dieser
Textpassagen auf den status prelationis. Eines der drei Bertrand-Zitate kann nicht aus
der Compendiosa resumptio stammen, weil die fragliche Textstelle nur in der längeren
of Christ and the Apostels under Pope John XXII (Diss. Fribourg, Schweiz), [Città del Vaticano] 1930, S. 83, Anm. 3. Gauchat unterscheidet zwar, wie Nold bemerkt, nicht zwischen der Compendiosa resumptio und den Dicta Domini Bertrandis. Es wird jedoch ersichtlich, dass er sich auf die Compendiosa resumptio bezieht. Für den betreffenden Abschnitt, in dem Bertrand die beiden status perfectionis erläutert, siehe Bertrand Compendiosa resumptio dictorum domini B. de Turre Cardinalis (ed. Tocco (1910), S. 67).
259 Nold: Pope John XXII (2003), S. 34f. 260 Nold: Pope John XXII (2003), S. 40-42. 261 Nold: Pope John XXII (2003), S. 36 u. 43f. 262 Tocco: La quistione (1910), S. 17f.; Duval-Arnould: Élaboration (1990), S. 396 bezieht nicht
deutlich Stellung zu diesem Problem, wenn er die Compendiose resumptiones als ‚exposés‘ beschreibt, in denen der Inhalt der längeren Gutachten aufgegriffen werde.
263 Gauchat: Cardinal Bertrand (1930), S. 83, Anm. 3; Nold: Pope John XXII (2003), S. 48. 264 Siehe oben, Anm. 260. 265 Nold: Pope John XXII (2003), S. 83f. 266 Siehe Einleitung, S. 8, Anm. 38. 267 Nold: Pope John XXII (2003), S. 182, Anm. 41, u. S. 190, Anm. 95f. mit Verweis auf die
entsprechenden Textstellen bei Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 171f. u. 180).
44
Version zu finden ist. Demnach müssten Durandus entweder die Dicta des
franziskanischen Kardinals oder eine andere, nicht überlieferte Version des
Gutachtens vorgelegen haben.268 Im Folgenden wird daher nur Bertrands längerer
Beitrag mit Durandus‘ Votum verglichen.
In dem Abschnitt, der die Unterscheidung zwischen status religionis und status prelationis
enthält, variiert der Text der Dicta nur ganz leicht gegenüber dem Wortlaut der
Compendiosa resumptio. Einige erläuternde Zusätze und Präzisierungen bewirken jedoch,
dass Bertrand seine Position in den Dicta mit größerer Entschiedenheit vertritt als in
der Kurzfassung.269
Bertrand differenziert zwischen status perfectionis acquirende und status perfectionis exercende,
um erklären, dass sowohl Religiose als auch Prälaten sich in einem Stand der
Vollkommenheit befinden, den vor ihnen Christus und die Apostel innehatten. Beide
Stände, status religionis und status prelationis, seien in jeweils anderer Hinsicht status
perfectionis, während Christus und seine Begleiter die Vollkommenheit beider Stände in
sich vereinten.270 Jeder der beiden status perfectionis muss den apostolischen Vorbildern
lediglich in den Aspekten nacheifern, die zur inhärenten Bestimmung (intrinseca ratio)
des jeweiligen Standes gehören.271 Der Autor untermauert seine These durch ein
drastisches Bild: Die prelati dürften ausschließlich zu Fuß gehen und keine Schuhe
tragen, wenn der status perfectionis exercende das apostolische Vorbild in jeder Hinsicht
befolgen müsste.272
Den Verzicht auf Besitz verlangt Bertrand zufolge nur die intrinseca ratio des status
religionis, nicht aber diejenige des status prelationis.273 Der franziskanische Kardinal
begründet dies damit, dass Vollkommenheit ‚wesentlich‘ (essentialiter) nicht in der
Armut, sondern in der caritas besteht.274 Besitzlosigkeit stelle nur ein probates Mittel
268 Nold: Pope John XXII (2003), S. 86. 269 Nold: Pope John XXII (2003), S. 64f. 270 Bertrand: Dicta (S. 183): „Primum est quod status Christi et apostolorum fuit status perfectissimus
in se supereminenter continens quicquid perfectionis potest esse in aliquo alio statu perfectionis.[...] Secundum quod in ecclesia sponsa Dei sunt duo status perfectionis diuersarum rationum quorum unus non est de ratione alterius, nec, e conuerso, nec ea que sunt de ratione unius, inquantum status est sunt de ratione alterius...“
271 Bertrand: Dicta (S. 183): „Uterque autem istorum statuum quantum ad id quod est perfectionis fuit in Christo et apostolis supereminenter ut est dictum nec oportet quod aliquis istorum statuum Christum et apostolos in omnibus imitetur nisi solum in illis que sunt de sui ratione intrinseca.“
272 Bertrand: Dicta (S. 183): „Aliter prelati tenerentur peditare et incedere discalciati et ad alia huiusmodi que Christus et apostoli fecerunt.“
273 Bertrand: Dicta (S. 183): „Unde abdicatio rerum non est de intrinseca ratione perfectionis, sed solum de intrinseca ratione status perfectionis acquirende. Alius autem status est perfectionis exercende et status prelationis de cuius intrinseca ratione non est paupertas nec abdicatio rerum nec in proprio nec in communi.“
274 Bertrand: Dicta (S. 183): „Et de ratione intrinseca huius status (sc. status perfectionis acquirende) est paupertas seu abdicatio rerum non quod in istis consistat perfectio essentialiter que consistit in caritate de qua dicit apostolus ad Col. iii (14) quod est uinculum perfectionis sed quia sinit (sic!) instrumentum conuenientissimum acquirendi perfectionem.“
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dar, um Vollkommenheit zu erreichen. Bertrands Standpunkt, Armut gehöre nicht
zum Wesen der Vollkommenheit, ist untypisch für eine franziskanische Position.275
Die Interpretation der Besitzlosigkeit als ‚instrumentum‘ weist dagegen Nähe zu dem
Armutsverständnis auf, welches Durandus276 und andere dominikanischer Gutachter
in Anknüpfung an die Vollkommenheitslehre des Thomas von Aquin vertreten.277
Wörtlich spricht der franziskanische Kardinal von ‚paupertas seu abdicatio rerum‘. Diese
Begriffe sind so allgemein formuliert, dass sich ihre Bedeutung nicht nur auf das
spezielle Armutskonzept des Minoritenordens erstreckt, sondern auch auf die
Armutsgelübde anderer Orden beziehen lässt. Nolds Behauptung, Bertrand verstehe
den Terminus vor allem im franziskanischen Sinne als Verzicht auf jeglichen Besitz,
sei er persönlich oder gemeinschaftlich, ist jedoch plausibel.278 Die Position des
minoritischen Kardinals, Christus und die Apostel hätten im Sinne eines dominium
oder einer proprietas weder persönlich noch in Gemeinschaft etwas gehabt,279 ist ein
Indiz dafür, dass aus Sicht des Autors innerhalb des status religionis am meisten die
franziskanische Armutsform dem apostolischen Ideal entspricht.
Weil die prelati nicht durch die intrinseca ratio ihres Standes zu gemeinschaftlicher oder
persönlicher Besitzlosigkeit verpflichtet sind, können sie nach Bertrands Meinung
Kirchengüter und sogar Privateigentum besitzen, ohne dass ihre Vollkommenheit
dadurch geschädigt würde.280 Statt Armut verlangt die intrinseca ratio des status
perfectionis exercende von den Prälaten, dass sie die oben erwähnten hierarchischen Akte
der ‚Reinigung‘, ‚Erleuchtung‘ und ‚Vervollkommnung‘ ausüben, wie Bertrand mit
Verweis auf Dionysius Pseudo-Areopagita darlegt.281 Diese Aufgaben gehören
wiederum nicht zur intrinseca ratio des status religionis.
Die Unterscheidung und Bestimmung der beiden status perfectionis in Bertrands Dicta
ähnelt zwar der Position, die Durandus in seinem Gutachten einnimmt. Anders als
der Dominikaner enthält sich Bertrand jedoch eines Urteils, in welchem Verhältnis
die Vollkommenheit des status perfectionis und die Vollkommenheit des status religionis
275 Nold: Pope John XXII (2003), S. 50f. 276 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210; ders.: Armut und Lehramt (1996), S. 130f. Vgl. oben,
Kap. I.1, S. 10 u. Kap. II, S. 31. 277 Nold: Pope John XXII (2003), S. 51. 278 Nold: Pope John XXII (2003), S. 49. 279 Bertrand: Dicta (S. 187): „Ergo sequitur quod, per se loquendo et secundum rationem sui status,
nichil umquam habuerunt (sc. Christus et apostoli), nec in speciali, nec in communi, quantum ad dominium ac proprietatem.“
280 Bertrand: Dicta (S. 183): „Unde sicut sine detrimento perfectionis possunt prelati possidere bona communia ecclesie sicut dicit Prosper XII q. in capitulo Expedit. Ita puto quod possunt possidere res proprias, quia nulla rerum abdicatio est de ratione intrinseca huius status…“
281 Bertrand: Dicta (S. 183): „…nulla rerum abdicatio est de ratione intrinseca huius status sed tamen exercere uel posse exercere ierarchicos actus qui sunt purgare, illuminare et perficere secundum Dyonisium.“ Siehe hierzu Nold: Pope John XXII (2003), S. 49.
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zueinander stehen.282 Weder definiert er wie Durandus den status prelationis283 als
vollkommeneren Stand noch behauptet er wie der anonyme Verfasser des Traktats De
perfectione statuum aus dem frühen 14. Jahrhundert, der Minoritenorden habe größere
Vollkommenheit inne als die Prälaten.284 Auch hütet sich der franziskanische
Kardinal, die herausgehobene Stellung der prelati innerhalb der Kirche dadurch zu
relativieren, dass er dem status religionis die gleiche Vollkommenheitsstufe zuspricht
wie dem status prelationis.285
Eine Synthese der Bestimmungen, die Bertrand für jeden der beiden status perfectionis
gibt, liefe auf den Schluss hinaus, dass Prälaten, die dem Franziskanerorden
angehören, der Vollkommenheit Christi und der Apostel am nächsten kommen.
Verfolgt man nämlich die Ansätze des Autors weiter, dann entsprechen prelati aus
dem Ordo Fratrum Minorum dem Ideal der Apostel sowohl durch ihre völlige
Besitzlosigkeit als auch durch die Ausübung der hierarchischen Akte, die dem
Prälatenamt vorbehalten sind. Dass franziskanische Prälaten trotz ihrem Verzicht auf
Eigentum über kirchliche Güter verfügen, stellt in Bertrands Konzept, wie oben
erläutert,286 keinen Verstoß gegen das Gelübde zur vollkommenen Armut dar. Die
Angehörigen des status prelationis sind nach Meinung des Autors nur Verwalter, nicht
aber Besitzer der jeweiligen temporalia.
Nold ist der Ansicht, dass Bertrand bewusst darauf verzichtete, die Vereinbarkeit der
beiden verschiedenen status perfectionis in der Person eines franziskanischen Prälaten
aufzuzeigen.287 Wie Nold vermutet, hat der Autor diejenigen prelati, die dem
Minoritenorden angehören, deshalb nicht als höchste Erfüllung des apostolischen
Vorbildes dargestellt, weil ein solcher Standpunkt in der Debatte keinen Erfolg
versprochen hätte.288 Bertrand deutet jedoch indirekt an, dass der status prelationis mit
der Beschränkung zu einem Leben in Armut verbunden werden könne. Der
franziskanische Kardinal betont durch die einschränkende Formulierung ‚per se
loquendo‘, dass die intrinseca ratio des Prälatenstandes nicht im eigentlichen Sinne den
Verzicht auf persönlichen oder gemeinschaftlichen Besitz umfasst.289 Dies legt nahe,
dass sich die Bestimmung des status prelationis in der tatsächlichen Praxis durchaus mit
282 Gauchat: Cardinal Bertrand (1930), S. 85. 283 Siehe oben, Kap. I.2, S. 16-26. 284 Horst: Armut und Lehramt (1996), S.70-72; Roberto Lambertini: La povertà pensata. Evoluzione
storica della definizione dell’identità minoritica da Bonaventura ad Ockham (Collana di storia medievale), Modena 2000, S. 163f.; Nold: Pope John XXII (2003), S. 49f.
285 Nold: Pope John XXII (2003), S. 49. 286 Siehe oben, Kap. III, S. 36, Anm. 218. 287 Nold: Pope John XXII (2003), S. 65. 288 Ebd. 289 Bertrand: Dicta (S. 183): „...in ratione intrinseca sui status non includitur, per se loquendo, nec
habere in proprio uel communi nec non habere...“
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Besitzlosigkeit kombinieren lässt. Wie Bertrand selbst feststellt, können Prälaten auf
Besitz verzichten, ohne dass dadurch ihre Vollkommenheit gemindert würde.290
Auch ohne direkten Verweis auf die franziskanischen Mitglieder des Prälatenstandes
dürfte es für zeitgenössische Leser des Gutachtens nahegelegen haben, ausgehend
von Bertrands Ausführungen über die Kombination beider status perfectionis in Gestalt
eines minoritischen prelatus nachzudenken. Besonders die Tatsache, dass der Verfasser
des Gutachtens selbst franziskanischer Kardinal war, konnte Anstoß zu solchen
Überlegungen geben. Dass dem Typus des franziskanischen Prälaten als Spezialfall in
der Diskussion besondere Aufmerksamkeit zuteilwurde, beweist das oben
untersuchte Argument des Durandus, in welchem die Vereinbarkeit des minoritischen
Armutsideals mit der Übernahme des Bischofsamtes infrage gestellt wird.291 Wie
dargelegt, greift Durandus‘ Einwand das Selbstverständnis minoritischer Bischöfe an
und schwächt dadurch die Position Bertrands und anderer franziskanische Mitglieder
des Episkopats, die sich an der Debatte beteiligten. Eine eindeutige Bezugnahme auf
den Standpunkt Bertrands zu dem Verhältnis zwischen status prelationis und status
religionis ist im Votum des dominikanischen Bischofs allerdings nicht feststellbar.
Die Gutachten der Minoriten Vital du Four und Arnaud Royard sind bislang noch
nicht ediert. Daher wird hier nur kurz auf die Forschungsergebnisse Horsts und
Nolds verwiesen.292 Wie oben erwähnt, greift der Bischof von Albano, Vital du Four,
in der ersten Additio zu seinen Dicta die Unterscheidung zwischen den beiden status
perfectionis auf, die in seiner Compendiosa resumptio nicht zu finden ist.293 Der
franziskanische Kardinal hebt hervor, dass der status prelationis ‚in einem absoluten
und einfachen Sinne‘ vollkommener sei als der Stand der Religiosen.294 Diese Position
ähnelt der Auffassung, die Durandus in seinem Votum vertritt.295 Anders als der
dominikanische Bischof schränkt Vital aber seine These durch den Zusatz ‚simpliciter et
absolute loquendo‘ ein, der darauf schließen lässt, dass der Prälatenstand nicht in jeder
Hinsicht vollkommener ist als der status religionis. Der Minorit verdeutlicht das
Verhältnis zwischen den beiden status perfectionis durch eine Analogie: Der Mensch sei
schlechthin vollkommener als ein Vogel, obwohl in der Vollkommenheit der Vögel
290 Bertrand: Dicta (S. 183): „...sine detrimento enim sue perfectionis, possunt (sc. prelati) habere et non
habere.“ 291 Siehe oben, Kap. III, S. 35-37. 292 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 31-34; Nold: Pope John XXII (2003), S. 81-84. 293 Siehe oben, S. 43. 294 Nold: Pope John XXII (2003), S. 81, Anm. 62 mit Verweis auf Vital du Four: Additio 1, in: Vat. lat.
3740, fol. 31rb: „Ad primum respondeo quod simpliciter et absolute loquendo status prelationis est perfectior quam status religionis.“
295 Vgl. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186); siehe oben, S. 16, Anm. 87.
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die Flugfähigkeit inbegriffen sei, die der menschlichen perfectio fehle.296 In diesem Bild
steht der Mensch für den status prelationis, während der Vogel und die Eigenschaft,
fliegen zu können, dem status religionis und dessen Besitzlosigkeit entsprechen. Wie
Durandus297 betont Vital ausdrücklich, dass der Stand der Religiosen trotz seiner
Armut nicht vollkommener ist als der Prälatenstand.298 Aus Vitals Perspektive erklärt
die Verschiedenheit der beiden Stände, warum der status prelationis größere
Vollkommenheit besitzt als der status religionis, obwohl er nicht die Armut einschließt,
die wesentlich zur perfectio der Religiosen gehört.299
Im Gegensatz zum status religionis erfordert der status prelationis Vital zufolge Personen,
die Vollkommenheit nicht erst erlangen müssen, sondern diese bereits besitzen und
gegenüber den ihnen untergebenen Gläubigen ausüben.300 Hierin weist Vitals
Standpunkt entfernte Ähnlichkeit zu Durandus‘ Position auf. Wie oben erläutert, legt
Durandus in seinem zweiten Argument dar, dass der Prälatenstand vollkommener sei
als der Stand der Religiosen, weil er vollkommenere Personen voraussetze.301 Ein
ausführlicher Vergleich zwischen den Gutachten der beiden Autoren könnte
Aufschluss über weitere mögliche Gemeinsamkeiten oder signifikante Unterschiede
geben. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann eine solche vertiefte Untersuchung
jedoch nicht realisiert werden.
Nach Meinung Vitals waren die beiden status perfectionis in Christus und den Aposteln
vereint.302 Die strikte Unterscheidung der beiden Stände bewirkt, wie Horst
konstatiert, dass die Bischöfe in der Kirche die Stellung der Apostel innehaben,
obwohl sie nicht an ein Leben in Armut gebunden sind.303 Auf diese Weise gelingt es
Vital – ähnlich wie Bertrand –, an der eigenen, minoritischen Auffassung
apostolischer Armut festzuhalten, ohne die Legitimität der bestehenden kirchlichen
Hierarchie infrage stellen zu müssen.304
296 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 33f., Anm. 27 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat.
3740, fol. 32va: „Constat enim, quod homo est perfectior ave simpliciter, et tamen de perfectione avis est, quod possit volare et tamen non de perfectione hominis.“
297 Vgl. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186); siehe oben, S. 16, Anm. 87. 298 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 33f., Anm. 27 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat.
3740, fol. 32va: „...patet, quod dato quod paupertas sit essentialiter de statu religionis, non propter hoc sequitur, quod status religionis sit perfectior quam status prelationis, quia status distincti <sunt>, et non oportet, quod illud, quod est perfectionis in aliquo minus perfecto, sit perfectionis in alio magis perfecto.“
299 Ebd. 300 Nold: Pope John XXII (2003), S. 82, Anm 63 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat. 3740, fol.
31va: „Status uero prelationis de natura sua requirit in prelato perfectionem non quidem acquirendam sed iam acquisitam et perfectam et in subditis excercendam...“
301 Siehe oben, Kap. I.2, S. 19. 302 Nold: Pope John XXII (2003), S. 82, Anm. 65. 303 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 33f. 304 Ebd.
49
Durandus‘ Kritik an den franziskanischen Armutsvorstellungen setzt, wie oben
herausgestellt wurde, unter anderem an der Frage der Vereinbarkeit von
minoritischem Armutsgelübde und Bischofsamt an. Religiose, die zu vollkommener
Besitzlosigkeit verpflichtet seien, könnten nicht in den Bischofsstand treten, weil sie
andernfalls – ohne päpstliche Dispens – gegen die Regel ihres Ordens verstößen.305
Vital diskutiert das Problem, wie sich Bischofsamt und das Ideal apostolischer Armut
in Einklang bringen lassen, in Bezug auf Heiligengestalten, die im Laufe ihres Lebens
in den Episkopat aufgenommen wurden.306 Die beiden Lösungsversuche, die der
franziskanische Kardinal formuliert, folgen unterschiedlichen Strategien. Zum einen
vertritt Vital die Auffassung, dass Bischöfe die Kirchengüter ohne ein dominium oder
eine proprietas, also ohne jegliches Besitz- und Eigentumsrecht, verwalten, weshalb die
Ausübung des Bischofsamtes in Einklang mit dem Armutsgelübde der Apostel
stehe.307 Diese Ansicht wird bei Durandus, wie oben erläutert, ausdrücklich
abgelehnt.308 Zum anderen konstatiert Vital, dass für die betreffenden Heiligen, die in
den Bischofsstand erhoben werden, das Gebot völliger Armut gar nicht gelte.309 Er
begründet dies damit, dass die Apostel auf einzigartige Weise zugleich
‚vollkommenste Religiose‘ und ‚vollkommenste Prälaten‘ gewesen seien, Heilige aber
nicht in jedem Aspekt dem apostolischen Vorbild entsprechen müssten.310 Ob
Minoriten durch Eintritt in den Bischofsstand gegen ihr Armutsgelübde verstoßen,
die Frage, die hinter Durandus‘ Einwand steht, wird dabei nicht eigens erörtert.
Der Erzbischof von Salerno, Arnaud Royard, der wie Bertrand und Vital ebenfalls
dem Minoritenorden angehörte, unterscheidet in seinen Dicta zwischen den ersten
Prälaten und ihren Nachfolgern.311 Nach Meinung Arnauds hatten die primi prelati in
der Geschichte der Kirche sowohl die perfectio religionis als auch die perfectio prelationis
inne, während die folgenden Prälatengenerationen nur die Vollkommenheit der
305 Siehe oben, Kap. III, S. 35. 306 Nold: Pope John XXII (2003), S. 82f. Nold nennt in diesem Zusammenhang den Heiligen Martin
von Tour als Beispiel. 307 Nold: Pope John XXII (2003), S. 83, Anm. 66 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat. 3740,
fol. 32va-b: „...non fuerunt istorum preceptorum trangressores quia sicut ostensum est habere facultates ecclesie adminisirandum et dispensandum pauperibus absque eorum dominio et proprietate sicut omnes episcopi et habuerunt predicti sancti non repugnat uoto paupertatis apostolorum...“
308 Siehe oben, Kap. III, S. 36f. 309 Nold: Pope John XXII (2003), S. 82f., Anm. 65 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat. 3740,
fol. 32Vb: „...predicti sancti non fuerunt illorum preceptorum transgressores quia non obligabantur ad seruandum omnes perfectiones quas seruauerunt apostoli quia eorum perfectiones ut dixi supra que fuerunt in eis in suo summo et modo unicissimo in nullo uno statu ecclesie adunari sed per status uarios diuiduntur. Nec etiam obliabantur ad illas quia erant successores apostolorum, qui simul fuerunt perfectissimi religiosi et perfectissimi prelati, qui non succedunt apostolis in omnibus...“
310 Ebd. 311 Nold: Pope John XXII (2003), S. 84.
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prelatio besitzen.312 Durandus dagegen behauptet nicht, die ersten Prälaten hätten die
perfectio religionis innegehabt. Im Gegensatz zu dem dominikanischen Bischof ist
Arnaud überzeugt, dass den primi prelati – anders als ihren Nachfolgern – keinerlei
Besitz gehörte.313 In Durandus‘ Gutachten wird zwar dargelegt, dass der
Prälatenstand zur Zeit Christi und der Apostel über keinen Immobilienbesitz
verfügte.314 Aus Sicht des Dominikaners besaßen die prelati in dieser Frühphase der
Kirche aber bewegliche Güter, die für das Leben oder die Predigttätigkeit unerlässlich
waren.315 Einig sind sich Arnaud und Durandus darin, dass die Prälaten ihrer Zeit ein
dominium über zeitliche Güter oder auch Eigentum (proprietas) an diesen haben
können, ohne dass ihre perfectio dadurch gemindert würde.316
Zum Abschluss des Vergleichs zwischen Durandus‘ Votum und den Gutachten
anderer Autoren wird im Folgenden die Position von Ubertino da Casale untersucht.
Ubertino gehörte der Gruppierung der ‚Spiritualen‘317 an, demjenigen Lager innerhalb
des Ordo Fratrum Minorum, das in Abgrenzung zur Mehrheit der Ordensmitglieder und
zur Führung des Ordens für eine wörtliche Befolgung des Armutsgelübdes und für
radikale Armut in der Lebenspraxis eintrat.318 Anhänger spiritualer Positionen
kritisierten, dass vielfach die juristische Konstruktion missbraucht werde, der zufolge
der Papst stellvertretend für den Minoritenorden als Besitzer von dessen temporalia
fungierte.319 Sie warfen ihren Mitbrüdern vor, lediglich de jure ein Leben in völliger
Besitzlosigkeit zu führen, de facto aber dem apostolischen Armutsideal nicht mehr
gerecht zu werden. Stattdessen propagierten sie, nicht nur in rechtlichem Sinne ohne
Besitz auszukommen, sondern auch den faktischen Gebrauch zeitlicher Dinge auf ein
unverzichtbares Minimum zu reduzieren. Dieser eingeschränkte Gebrauch erhielt die
312 Ebd., Anm. 67 mit Verweis auf Arnaud Royard: Dicta, in: Vat. lat. 3740, fol. 53ra: „Una sit ecclesia
diuersi tamen sunt modi uiuendi. Et alium modum tenerunt primi prelati et alium successores quia in primis fuit perfectio religionis et prelationis … sequentes autem prelati succedunt in perfectione prelationis...“
313 Nold: Pope John XXII (2003), S. 84. 314 Siehe oben, Kap. II, S. 32, Anm. 185. 315 Ebd.; vgl. Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 179): „Nec fuit dictum quod non portarent illa, que erant
necessaria, ut indumenta, aut predicationi expedientia, sicut beatus Barnabas portabat evangelium beati Mathei, sed solum quod non portarent ea, que eos aliqualiter possent retrahere...“
316 Nold: Pope John XXII (2003), S. 84, Anm. 67 mit Verweis auf Arnaud Royard: Dicta, in: Vat. lat. 3740, fol. 53ra: „...cuius (sc. prelationis) status non est imperfectior propter hoc quod habent proprietatem et dominium temporalium quia status prelationis non includit...“ Vgl. oben, S. 29.
317 Zur Problematik dieses Begriffs siehe David Burr: The spiritual Franciscans. From protest to persecution in the century after Saint Francis, University Park, PA 2001, S. vii-ix u. 307.
318 Charles T. Davis: Ubertino da Casale and his Conception of altissima paupertas, in: Studi medievali 3. Ser. 22 (1981), S. 1-56, hier S. 1.
319 Ebd., S. 30; David Burr: Effects of the Spiritual Franciscan Controversy on the Mendicant Ideal, in: Donald S. Prudlo (Hg.): The Origin, Development, and Refinement of Medieval Religious Mendicancies (Brill’s Companions to the Christian Tradition 24), Leiden – Boston 2011, S. 277-305, hier S. 277.
51
Bezeichnung ‚usus pauper‘.320 Das Konzept des ‚usus pauper‘ wurde insbesondere durch
den franziskanischen Theologen und Spiritualen Johannes Petrus Olivi geprägt. Es
bildet den Kern der Position, die Ubertino im ‚Theoretischen Armutsstreit‘ vertrat.321
Ubertino, der 1317 mit Unterstützung seines Schutzherren, des Kardinals Napoleon
Orsini, Aufnahme in den Benediktinerorden gefunden hatte, um einer Bestrafung
durch die franziskanische Ordensführung zu entgehen,322 werden ingesamt drei
Beiträge zu der Debatte des Jahres 1322/23 zugeschrieben.323 Der erste dieser Texte
wird in der Forschung als Zusammenfassung dessen betrachtet, was Ubertino
mündlich vor dem Konsistorium darlegte.324 Hier ist aber diejenige Stellungnahme
Ubertinos mit Durandus‘ Votum zu vergleichen, die wie das Gutachten des
Dominikaners Eingang in den Codex Vat. lat. 3740 erhielt. Dieser Beitrag, der nach
seinen Anfangsworten ‚Reducendo igitur ad brevitatem‘ genannt wird, greift Grundzüge
von Ubertinos zweitem Text, dem zwischen März und Dezember 1322 entstandenen
Tractatus de altissima paupertate Christi et apostolorum eius et virorum apostolicorum, auf.325 Er
enthält darüber hinaus aber auch noch einige Erweiterungen.326
In Reducendo igitur ad brevitatem unterstützt Ubertino wie in den beiden anderen Texten
überraschenderweise nicht die Seite des Minoritenordens.327 Im Gegensatz zu den
franziskanischen Autoren, deren Positionen in der vorliegenden Arbeit mit Durandus‘
Gutachten verglichen wurden, ist der Benediktiner der Ansicht, dass Christus und die
Apostel nicht gänzlich ohne dominium lebten.328 Über lebensnotwendige Güter, die
durch Gebrauch verbraucht werden, müssen Jesus und seine Begleiter nach Ansicht
Ubertinos ein dominium gehabt haben.329 Auf das Recht, einen Anspruch auf temporalia
vor Gericht geltend zu machen, hätten Christus und die Apostel allerdings
verzichtet.330 Der Fokus liegt in den Texten des Benediktiners jedoch nicht auf der
besitzrechtlichen Stellung Christi und seiner Begleiter.331 Stattdessen ist für den Autor
320 Burr: Olivi (1989), S. x-xi; Miethke: Paradiesischer Zustand (1999), S. 516. 321 Davis: Ubertino (1981), S. 37; Tabarroni: Paupertas (1990), S. 67. 322 Davis: Ubertino (1981), S. 3; Potestà: Ubertino (2012), §5. 323 Davis: Ubertino (1981), S. 7-37; Potestà: Ubertino (2012), §6-11. 324 Potestà: Ubertino (2012), §7. 325 Potestà: Ubertino (2012), §10f. 326 Ebd. 327 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 34f. 328 Ebd.; Davis: Ubertino (1981), S. 36; Lambert: Franciscan Poverty (1998), S. 255. 329 Ubertino da Casale: Reducendo igitur ad brevitatem (ed. Davis (1981), S. 45, Z. 36-45); vgl. Tabarroni:
Paupertas (1990), S. 6. 330 Ubertino: Reducendo (S. 43, Z. 9-12); vgl. Davis: Ubertino (1981), S. 34; Horst: Armut und Lehramt
(1996), S. 34. 331 Burr: Spiritual Franciscans (2001), S. 269.
52
entscheidend, dass der tatsächliche Gebrauch, den die Apostel ausübten, über den
usus pauper nicht hinausging.332
Davis nimmt an, dass Ubertino durch seine Stellungnahme den Papst für den Kern
der spiritualen Ansichten, das Konzept des usus pauper, gewinnen wollte.333 Um
weniger Angriffsfläche zu bieten, musste sich der Benediktiner deutlich von einigen
Positionen distanzieren, die aus Sicht Johannes‘ XXII. problematisch erscheinen
konnten. Unter anderem stand er – ähnlich wie auch Bertrand, Vital und Arnaud –
vor der Herausforderung, die eigene Auffassung von der evangelischen Armut mit
der Legitimation des Prälatenstandes durch Apostelnachfolge in Einklang zu bringen.
Genau dieses Problem bildet einen der Hauptkritikpunkte des Durandus an den
minoritischen Armutsvorstellungen.334
Ubertino reagiert auf die Problematik, indem er – wie die oben genannten
minoritischen Gutachter – zwischen den beiden status perfectionis unterscheidet.335 Die
Apostel hatten einerseits als Prälaten und Pastore den status perfectionis exercende inne,
andererseits bildeten sie das Vorbild des status perfectionis acquirende, des status
religionis.336 Die Bischöfe sind nach Ubertinos Ansicht nur im Sinne des status
perfectionis exercende Nachfolger der Apostel, nicht aber im Sinne des status perfectionis
acquirende, weshalb sie nicht zur Armut und zum usus pauper verpflichtet sind.337
Dennoch sei der Bischofsstand nicht weniger vollkommen als der Stand der
Religiosen, denn er besitze als status perfectionis exercende schlechthin größere
Vollkommenheit als der status perfectionis acquirende.338 Ubertino verweist in diesem
Zusammenhang darauf, dass bei den Angehörigen des status prelationis ein gewisses
Maß an Vollkommenheit vorausgesetzt werde.339 Außerdem dürften die temporalia,
über die der Prälatenstand verfügt, nur zum Nutzen der Kirche und nicht zur
Befriedigung persönlicher Begierden verwendet werden.
332 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 67. 333 Davis: Ubertino (1981), S. 37f. 334 Siehe oben, Einleitung, S. 3 und Kap. III, S. 33f. 335 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 35. Die Unterscheidung findet sich bereits in Ubertinos
mündlichem Beitrag zu der Diskussion, wie Davis: Ubertino (1981), S. 8f., Tabarroni: Paupertas (1990), S. 66, Burr: Spiritual Franciscans (2001), S. 268 und Potestà: Ubertino (2012), § 8 darlegen.
336 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 376-378): „Ad rem autem dico, quod apostoli fuerunt in statu perfectionis exercende in quantum fuerunt pastores et prelati. Sed ultra hoc docuerunt exemplo vite statum religionis et perfectionis acquirende.“
337 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 378-383): „Episcopi autem sunt eorum successores, quantum ad statum prelationis et perfectionis exercende, non autem quantum ad statum religionis et perfectionis acquirende, et ideo non oportet eos voto obligari ad paupertatem talem, que est unum de pertinentibus essentialiter ad religionem, et per consequens nec ad usum pauperem talem.“
338 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 383-385): „Nec tamen sequitur, quod sint in statu imperfectiori quam illi religiosi, quia status perfectionis exercende est simpliciter perfectior statu religionis et perfectionis acquirende;...“
339 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 386-388): „...nam supponit (sc. status perfectionis exercende) illam perfectionem iam in eis acquisitam ad minus de congruo, et dispositionem temporalium potius pro utilitate et necessitate ecclesie recipere, non pro satianda cupiditate...“
53
In der Unterscheidung der zwei status perfectionis, die in der Gestalt der Apostel geeint
waren, weist Ubertinos Position Ähnlichkeit zu den oben analysierten Standpunkten
minoritischer Gutachter auf. Zu einer möglichen Kombinierbarkeit von status
perfectionis exercende und status perfectionis acquirende innerhalb der zeitgenössischen
Kirche äußert sich der Autor nicht.
Die positive Begründung, warum der Prälatenstand vollkommener sei als der Stand
der Religiosen, ist bei weitem nicht so ausführlich wie in Durandus‘ Votum.
Stattdessen argumentiert Ubertino vor allem ex negativo. Wäre der status perfectionis
acquirende durch seine verpflichtende Armut vollkommener als der status perfectionis
exercende, dann besäßen diejenigen Religiosen, die wie die Minoriten auf jeglichen
persönlichen oder gemeinschaftlichen Besitz verzichten, größere Vollkommenheit als
der Papst.340 Dadurch entstünde aus Ubertinos Sicht eine brisante Konstellation.
Erstens würde der Inhaber des Petrusstuhls unvollkommen, indem er stellvertretend
als Besitzer derjenigen Güter fungiert, die von den Franziskanern genutzt werden.341
Zweitens befände sich der Papst nicht in einem vollkommeneren Stand als alle
anderen.342 Weil Ubertino diese Schlussfolgerungen für falsch hält, lehnt er auch die
Prämisse ab, die Vollkommenheit des status perfectionis acquirende sei größer als diejenige
des status perfectionis exercende.
Die zweite der beiden negativen Konsequenzen, auf die Ubertino verweist, dient auch
in Durandus‘ Votum als Argument gegen die These, der status religionis sei
vollkommener als der Bischofsstand.343 Dagegen fehlt bei Durandus die erste
Schlussfolgerung Ubertinos, der Papst würde dadurch, dass er das ius und das
dominium über die von Franziskanern genutzten temporalia auf sich überträgt,
unvollkommen. An anderer Stelle erwähnt der dominikanische Bischof allerdings die
Funktion des Papstes als stellvertretender Besitzer.344
Die Argumentationsweise der beiden Autoren, die sich auf die päpstliche
Vollkommenheit stützt, erscheint, wie oben dargelegt, im historischen Kontext
340 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 390-393): „Si enim diceretur oppositum, scilicet quod status
paupertatis et perfectionis acquirende sit perfectior statu perfectionis exercende, tunc sequeretur, quod abdicantes temporalia, maxime in proprio et in communi, essent in perfectiori statu simpliciter quam papa...“
341 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 393-396): „…papa, qui ius et dominium rerum abdicatum per eos in se transfert,…sic ipse tale ius et dominium in se transferendo se faceret imperfectum, ac per hoc male et defective ageret tale ius et dominium in se transferendo vel recipiendo.“
342 Ubertino: Reducendo (S. 55f., Z. 397-400): „Et ulterius sequeretur, quod papa non esset in statu perfectiori simpliciter quam alii quicunque, precipue non episcopi; quod est omnino absurdum dicere, cum ipse ex ipso statu papali ponitur dux, rector, gubernator, pastor, perfector et perfectius omnium aliorum.“
343 Siehe oben, Kap. I.2, S. 24. 344 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190).
54
raffiniert.345 Zum einen war nicht zu erwarten, dass ein derartiger Standpunkt in der
laufenden Debatte wiederlegt würde – zumindest nicht innerhalb der Diskussion, die
an der Kurie stattfand. Zum anderen zielte die besondere Betonung der päpstlichen
Superiorität, die sowohl in Durandus‘ als auch in Ubertinos Gutachten zu finden ist,
auf das Wohlwollen des Adressaten, Papst Johannes‘ XXII., ab. Die Parallele
zwischen den beiden Autoren belegt, dass die Unterstützer unterschiedlicher
Positionen teilweise auf die gleichen Argumente zurückgriffen.
V Vergleich zwischen der Position zum status prelatorum et
rectorum in Durandus‘ Sentenzenkommentar und der
Argumentation in De paupertate Christi et apostolorum
Kochs Beobachtung, dass die Argumentationen zum Prälatenstand in De paupertate
Christi et apostolorum und in der zweiten Quästion von In III Sent. (Red. C), d. 35
einander ‚eng berühren‘,346 gibt Anlass, die entsprechenden Textstellen ausführlicher
zu vergleichen. Dafür muss zunächst kurz der Kontext skizziert werden, in welchem
Durandus innerhalb seines Sentenzenkommentars die Vollkommenheit des
Prälatenstandes diskutiert. Grundsätzlich ist bei dem Vergleich zu berücksichtigen,
dass Durandus‘ Votum und der Sentenzenkommentar verschiedenen Textgattungen
angehören, was einige der Unterschiede in der Argumentation erklärt. Das Gutachten
wurde aus einem konkreten historischen Anlass verfasst, nämlich auf Bitten des
Papstes, der Expertenmeinungen zu einer theologischen, aber mit brisanten
politischen Konsequenzen verbundenen Frage anhören wollte.347 Durandus‘
Sentenzenkommentar ist dagegen ein vierbändiges Kompendium scholastischer
Quästionen, das in thematischer Ordnung zentrale Fragen aus den verschiedenen
Unterdisziplinen der Theologie behandelt.348 Der systematische Aufbau von Werken
dieser Textgattung orientierte sich an den zwischen 1155 und 1158 entstandenen
Sentenzen des Petrus Lombardus. Zwischen 1250 und 1320 erlebte die Gattung
jedoch insofern einen Transformationsprozess, als sich die Quästionen in den
Sentenzenkommentaren der Theologen thematisch und strukturell immer weiter von
345 Siehe oben, Kap. I.2, S. 24f. 346 Koch: Durandus (1927), S. 419f.; siehe oben, Einleitung, S. 9. 347 Siehe oben, Einleitung, S. 4f. 348 Zur Gattung des Sentenzenkommentars siehe Ruedi Imbach/Thomas Ricklin: Art.
‚Sentenzenkommentare‘, in: Lexikon des Mittelalters 7 (1995), Sp. 1767-1769.
55
der ursprünglichen Form einer Lombardus-Exegese entfernten.349 Im beginnenden
14. Jahrhundert maßen Magister der Theologie dem literarischen Genre des
Sentenzenkommentars große Bedeutung bei, was sich unter anderem darin zeigt, dass
sie ihre Werke dieses Typs oft mehrfach überarbeiteten.350 Durandus‘
Sentenzenkommentar existiert in drei verschiedenen Redaktionen (A, B und C),
wobei für jede dieser Fassungen wiederum zwischen verschiedenen
Entwicklungsstadien differenziert werden kann.351 Im Kontext der vorliegenden
Untersuchung zu einer Quästion aus Buch III, das bislang noch nicht kritisch ediert
wurde, ist aber nur zwischen den Redaktionen B und C zu unterscheiden. Für das
dritte Buch überliefert nämlich keine Handschrift die Fassung A.352
Die zweite Quästion von In III Sent., d. 35 in der Fassung C, in der sich Durandus zu
der Vollkommenheit des status prelatorum et rectorum353 äußert, behandelt die Frage, ob
das kontemplative oder das aktive Leben besser sei.354 Es handelt sich dabei um eine
sehr traditionsreiche Fragestellung,355 deren Genealogie im Rahmen dieser Arbeit
nicht untersucht werden kann. Im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen
Weltklerus und Bettelorden besaß dieses Thema auch eine politische Dimension, weil
man die Lebensform der Weltgeistlichen der vita activa zurechnete, das
mendikantische Lebensideal dagegen unter dem Oberbegriff der vita contemplativa
subsumierte.356
Durandus differenziert in seiner responsio zwischen zwei verschiedenen Bedeutungen
von vita activa. Das tätige Leben der ersten Art ist auf die Mäßigung der eigenen
349 Russell L. Friedman: The Sentences Commentary, 1250-1320. General Trends, the Impact of the
Religious Orders, and the Test Case of Predestination, in: Gillian Rosemary Evans (Hg.): Mediaeval Commentaries on the Sentences of Peter Lombard. Current Research, Leiden – Boston – Köln 2002, S. 41-128, hier S. 84-100.
350 Ebd., S. 42 u. 127; Andreas Speer: The Durandus Projekt at the Thomas Institute: The Status Quaestionis, in: ders. [u.a.](Hgg.): Durand of Saint-Pourçain and His Sentences Commentary. Historical, Philosophical, and Theological Issues (RTPM Bibliotheca 9), Leuven – Paris – Walpole, MA 2014, S. 58.
351 Fiorella Retucci: Einleitung, in: dies./Massimo Perrone (Hgg.): Durandi de Sancto Porciano Scriptum super IV libros Sententiarum. Buch II, dd. 22-38 (RTPM Bibliotheca 10.2.3), Leuven – Paris – Walpole, MA 2013, S. 15*f.
352 Thomas Käppeli: Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi, vol. I, Roma 1970, S. 341; Thomas Jeschke: Deus ut tentus vel visus. Die Debatte um die Seligkeit im Reflexiven Akt (ca. 1293-1320)(Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 104), Leiden – Boston 2011, S. 279.
353 Das Verständnis des Begriffs ‚praelati‘ erstreckt sich in dieser Quästion vermutlich nicht nur auf den Bischofsstand, der nicht explizit genannt wird. Welche Geistlichen im Einzelnen unter dem Terminus zusammengefasst werden, lässt sich jedoch aus dem Textkontext nicht erschließen.
354 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§ 8, fol. 277rb). 355 Christian Trottmann: Art. ‚Vita activa/vita contemplativa‘, in: Historisches Wörterbuch der
Philosophie 11 (2001), Sp. 1071-1075. 356 Pasquale Porro: La (parziale) rivincita di Marta. Vita attiva e vita contemplativa in Enrico di Gand,
in: Christian Trottmann (Hg.): Vie active et vie contemplative au Moyen Âge et au seuil de la Renaissance. Actes des rencontres internationales tenues à Rome, les 17 et 18 juin 2005, e à Tours, les 26-28 octobre 2006 (Collection de l’École française de Rome 423), Rome 2009, S. 155-172, hier S. 165f.
56
Leidenschaften und auf die Kontrolle der eigenen Handlungen ausgerichtet.357 Unter
der vita activa des zweiten Typs versteht der dominikanische Theologe dagegen die
Lebensform eines Menschen, der sowohl im Sinne der vita activa als auch im Sinne der
vita contemplativa gut ist und sich bemüht, die Gutheit (bonitas) an andere
weiterzugeben.358 Während das tätige Leben in der ersten Bedeutung weniger edel ist
als das kontemplative Leben,359 sieht der Autor in der vita activa der zweiten Art eine
Lebensform, die edler und vollkommener ist als jede mögliche Variante der vita
contemplativa im Diesseits.360 Als einziges Beispiel für das tätige Leben, das in sich die
Gutheit der vita activa und der vita contemplativa vereint und die Verbreitung der bonitas
unter den Mitmenschen zum Ziel hat, nennt Durandus die Lebensform des status
prelatorum et rectorum.361 Indem die vita activa der Prälaten die vita contemplativa übertrifft,
die ihrerseits Vorrang vor allen anderen Arten des tätigen Lebens hat, ist sie die
vollkommenste und edelste Lebensform der Menschen in ihrer irdischen Existenz.362
An die These, die vita activa der Prälaten und ‚Lenker‘ sei vollkommener als jede Art
der vita contemplativa im Diesseits, knüpft ein dreifacher Beweis an. Dieser soll nun
näher mit den Argumenten verglichen werden, mit deren Hilfe Durandus in De
paupertate Christi et apostolorum aufzeigt, dass die Vollkommenheit des status prelationis
größer ist als diejenige des status religionis. Koch hatte seinerzeit lediglich die
Definition, die Durandus in dem Gutachten für den status prelationis als status perfectionis
gibt, als Parallele zur Beweisführung innerhalb des Sentenzenkommentars
angeführt.363 Auf die eigentliche Argumentation, mit deren Hilfe der Bischof von Le
Puy darlegt, dass der Prälatenstand vollkommener ist als der Stand der Religiosen,
ging Koch nicht ein. Daher sind im Folgenden die einzelnen Argumente im
Sentenzenkommentar sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu der
entsprechenden Textstelle in dem Votum näher zu beleuchten. Zuvor werden die
beiden Texte jedoch einander in einer Synopse gegenübergestellt, wobei Fettdruck
exakte wörtliche Übereinstimmungen kennzeichnet.
357 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§5, fol. 277ra): „Vno modo dicitur uita actiua per quam
homo intendit passionibus moderandis in seipso, et actibus regulandis.“ 358 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§5, fol. 277ra): „Alio modo dicitur uita illa per quam
homo existens in seipso bonus nititur difundere bonitatem in alios.“ 359 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§§6f., fol. 377ra-377rb). 360 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§8, fol. 277rb): „Si autem loquamur de uita actiua, que
non consistit solum in moderando proprias passiones, et regulando actiones proprias, sed consistit in hoc, quod homo bonus in seipso existens secundum utranque uitam iam dictam nititur bonitatem in alios diffundere, sicut exigit status prelatorum et rectorum. Sic dicendum est quod talis uita actiua est nobilior et perfectior quam quecunque contemplatiua huius uite.“ Vgl. Koch: Durandus (1927), S. 419f.
361 Siehe vorherige Anm. 362 Guldentops: Struggling with Authority (2012), S. 134, Anm. 84. 363 Koch: Durandus (1927), S. 420f., Anm. 17.
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Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§ 8, fol. 277rb):
Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186f.):
A) Primo, quia illa uita est perfectior et nobilior que nobilius ordinatur ad perfectionem. Sed uita actiua predicto modo accepta nobilius ordinatur ad perfectionem quam uita contemplatiua, ergo est nobilior et perfectior. Minor probatur, quia ad effectum nobilius ordinatur agens quam patiens, tam secundum Philosophos quam secundum sanctos, sed ad perfectionem ordinatur talis uita actiua per modum agentis et influentis, omnis autem (Martimbos: aut est) alia uita ordinatur ad perfectionem per modum patientis et in se recipientis, ergo talis uita actiua est simpliciter perfectior et nobilior quam quecunque alia.
Primo sic: quia ille status est perfectior, qui nobilius ordinatur ad perfectionem, ut patet ex dictis. Sed status prelationis nobilius ordinatur ad perfectionem quam status religionis, ergo est perfectior. Minor probatur, quia ad effectum nobilius ordinatur agens quam patiens tam secundum philosophos quam secundum sanctos. Sed ad perfectionem ordinatur status prelatorum per modum agentis et influentis, status autem religiosorum per modum pacientis et recipientis, ut similiter patet ex dictis. Ergo etc.
B) Secundo sic, illa uita est perfectior que supponit personam magis perfectam. Sed uita actiua predicto mode accepta supponit personam magis perfectam quam quecunque alia uita, ergo est perfectior et nobilior. Minor probatur, quia talis uita actiua presupponit quantum est ex conditione sua personam perfectam in uita contemplatiua et actiua singulari, ut dicit Greg. in Pastor. quod rector debet esse actione precipuus et pre cunctis contemplatione suspensus. Nulla autem alia uita supponit sic perfectam personam, ergo talis uita actiua est perfectior et nobilior quam uita contemplatiua.
Secundo sic: ille status est perfectior, qui requirit personam magis perfectam, sed status prelatorum est huiusmodi respectu status religionis, ergo est magis perfectus. Maior patet, sed minor probatur: quia oportet episcopum non solum esse sine crimine, quod tamen sufficit religioso, sed esse perfectum in scientia sacre scripture, quia cum sit pastor ecclesie sibi commisse, ad eum pertinet ex statu suo oves suas nutrire documentis fidei et morum et exemplis defendere contra insidias et morsus luporum, scilicet hereticorum, quod non potest fieri sine competente scientia sacre scripture. Quod tamen non requiritur in religioso, ergo etc. Unde apostolus ad Thi. 1° capitulo: Oportet episcopum sine crimine esse <…> amplectentem eum, qui secundum doctrinam est, fidelem sermonem, ut potens sit exhortari in doctrina sana et eos, qui contradicunt, arguere.
C) [fehlt] Tertio sic: ille status est summe perfectus, per quem aliquis obligatur ad opus summe perfectionis. Sed status episcopalis est huiusmodi. Ergo etc. Probatio minoris: opus summe perfectionis est opus summe caritatis, quia in caritate et in eius actu potissime consistit perfectio, ut declaratum est supra. Sed opus summe caritatis est exponere vitam suam pro salute aliorum secundum illud Joh. 15°: Maiorem caritatem nemo habet, quam ut animam ponat quis pro amicis suis. Ad hec autem obligantur episcopi pro suis subditis et ex suo statu, et non religiosi ratione status, ergo status episcopalis obligat ad opus summe perfectionis, et sic est summe perfectus, propter quod nullus status religionis quantumcumque nihil habentis in proprio vel communi potest equiparari perfectioni status episcopalis quantumcumque habundantis in bonis temporalibus mobilibus vel immobilibus.
58
D) Tertio sic, status doctorum est perfectior et nobilior quam status discipulorum, secundum illud Luc. 6. Non est discipulus supra magistrum: ubi minus dicit et plus significat, quasi diceret discipulus debet esse sub magistro, sicut imperfectus sub perfecto. Sed uita actiua qualis dicta est, est uita docentium et regentium alios, uita autem aliorum est uita discipulorum, siue sint contemplatiui siue actiui, ergo talis uita actiua est nobilior et perfectior quam uita contemplatiua uel actiua singularis.
Quarto sic: status doctorum est perfectior statu discipulorum secundum illud Luc. 6°: Non est discipulus super magistrum. Minus dicit et plus significat, quasi diceret : discipulus debet subesse magistro tamquam imperfectus sub perfecto. Sed quando de statu discipuli transit ad statum magistri, tunc est in statu perfectiori. Unde ibidem subditur: Perfectus autem erit, si sit sicut magister eius. Status autem episcoporum est status doctorum. Apostolis enim, quorum locum tenent episcopi, dixit Jhesus Math. Ultimo : Ite, docete omnes gentes! Omnis autem alius status est status discipulorum. Ergo status episcoporum est sublimior et perfectior omni alio statu, et ideo de iure communi omnes subsunt episcopoi, tam religiosi quam alii.
E) [fehlt] Nec dominus papa, cui omnes subsunt, ex hoc, quod papa est, habet alium statum quam episcopalem quamvis habeat inter episcopos tamquam inter fratres superioritatem, sicut dixit Christus Petro: Tu aliquando conversus confirma fratres tuos! Luc, 22°. Temerarium autem est et a doctrina ecclesiastica alienum, quod in ecclesia Christi sit status perfectior statu vicarii Christi, qui tamen est episcopus et episcopum se vocat. Et sic patet, quod nulla paupertas, in quocumque gradu sit, potest facere quod status religionis sit eque perfectus sicut status prelationis.
Die Gegenüberstellung der beiden Texte führt zu einem interessanten Befund. Die
drei Argumente aus dem Sentenzenkommentar weisen nicht nur deutliche Parallelen
zum Votum auf. Es besteht zum Teil sogar wörtliche Übereinstimmung zwischen
Gutachten und Sentenzenkommentar. Dies geht deutlich über die ‚Berührung‘ hinaus,
die Koch zwischen Votum und In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 konstatiert hatte.364
Um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Textstellen
hervortreten zu lassen, werden die Argumente aus dem Sentenzenkommentar und ihr
Verhältnis zur Beweisführung im Votum nun einzeln beleuchtet.
Das erste der drei Argumente besagt, dass die vita activa der prelati und rectores
vollkommener ist als die vita contemplativa, weil sie sich in edlerer Weise auf die
Vollkommenheit richtet. Dieser Beweis entspricht teils wörtlich dem ersten
Argument im Gutachten.365 Der einzige größere Unterschied besteht darin, dass im
Sentenzenkommentar an Stelle des Gegensatzpaares ‚status prelationis – status religionis‘
die vita activa der Prälaten und die vita contemplativa einander gegenübergestellt werden.
Im zweiten Argument innerhalb der Textpassage aus In III Sent., d. 35, q. 2 konstatiert
Durandus, dass die vita activa der prelati vollkommener sei als die vita contemplativa, weil
sie eine vollkommenere Person voraussetze. Dieses Argument gleicht in seinem Kern
364 Siehe oben, Einleitung, S. 9. 365 Siehe den Textvergleich auf S. 57, Abschnitt A).
59
dem zweiten Argument in De paupertate Christi et apostolorum.366 Auch hier ist der
Wortlaut zum Teil identisch. Die Begründung der Prämisse, für die Lebensform der
Prälaten werde größere Vollkommenheit benötigt als für das kontemplative Leben,
unterscheidet sich jedoch von der Beweisführung im Gutachten. Dort dient die
perfekte Kenntnis der Heiligen Schrift, die Prälaten, nicht aber Religiose besitzen
müssen, als Beweismittel dafür, dass der status prelationis vollkommenere Personen
erfordert als der status religionis.367 Dagegen stützt sich die Argumentation im
Sentenzenkommentar auf ein Zitat aus der Regula pastoralis Gregors des Großen.368
Der ‚Lenker‘ (rector) müsse durch Tat (actio) hervorragen und gegenüber allen anderen
durch Kontemplation (contemplatio) erhaben sein. Weil nach Durandus‘ Überzeugung
keine andere Lebensform derart vollkommene Personen erfordert, ist die vita activa
des status prelatorum et rectorum vollkommener und edler als die vita contemplativa.369
Zu dem Argument, welches im Votum an dritter Stelle steht, fehlt eine Entsprechung
im Sentenzenkommentar.370 Im Gegensatz dazu sind das vierte Argument des
Gutachtens und das dritte Argument in der responsio zu In III Sent., d. 35, q. 2 in ihren
Grundzügen identisch.371 Durandus nimmt jeweils zunächst an, dass der Stand der
Lehrer größere Vollkommenheit besitzt als der Stand der Schüler. Hinsichtlich dieser
ersten Prämisse stimmen die beiden Texte miteinander wörtlich überein. Freilich fällt
im Sentenzenkommentar der Beweis, warum Meister vollkommener sind als Schüler,
kürzer aus als im Votum. Durch die zweite Prämisse wird in dem Kommentar die vita
activa der Prälaten mit der ‚Lebensform der Lehrer und Lenker‘ (vita docentium et
regentium) gleichgesetzt. Entsprechend hält Durandus in De paupertate Christi et
apostolorum fest, dass der status episcoporum der status doctorum sei. Als Beleg für diese
These führt der dominikanische Autor in seinem Gutachten an, dass die Bischöfe in
der Nachfolge der Apostel stehen. Eine Parallele zu dieser Begründung existiert im
Sentenzenkommentar nicht. Die Konklusion, die aus den Prämissen folgt, ist in
beiden Texten strukturell gleich. Im Votum gelangt Durandus zu dem Schluss, dass
der status episcoporum jeden anderen Stand – und somit auch den status religiosorum – an
Vollkommenheit übertreffe. In der hier untersuchten Quästion aus In III Sent., d. 35
konstatiert der Autor am Ende des dritten Arguments, dass die vita activa der prelati
366 Siehe den Textvergleich auf S. 57, Abschnitt B). 367 Siehe oben, Kap. I.2, S. 19. 368 Gregor der Große: Regula pastoralis II, c. 1 (ed. Rommel (1992)(SC 381), S. 174, Z. 7-10): „Sit ergo
(sc. pastor), necesse est, cogitatione mundus, actione praecipuus, discretus in silentio, utilis in uerbo, singulis compassione proximus, prae cunctis contemplatione suspensus...“
369 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§ 8, fol. 277rb): „Nulla autem alia uita supponit sic perfectam personam, ergo talis uita actiua est perfectior et nobilior quam uita contemplatiua.“
370 Siehe den Textvergleich auf S. 57, Abschnitt C). 371 Siehe den Textvergleich auf S. 58, Abschnitt D).
60
edler und vollkommener sei als die übrigen Lebensformen, die vita contemplativa und
diejenige vita activa, die sich auf das Individuum bezieht.372 Für das fünfte Argument
im Gutachten, der status episcopalis sei vollkommener als der status religionis, weil ihm
der Papst angehöre, lässt sich im Sentenzenkommentar kein Äquivalent finden.373
Wie oben dargelegt, weist dieses Argument einen besonderen Adressatenbezug auf,
für den es in dem Sentenzenkommentar keine Veranlassung gibt.374
Die auffällige Parallele zwischen den beiden Textpassagen aus In III Sent., d. 35 und
De paupertate Christi et apostolorum, die bis hin zur wörtlichen Übereinstimmung reicht,
gibt Anlass zu der Vermutung, dass Durandus einen der beiden Texte unter dem
Einfluss des anderen verfasste. Um zu beantworten, welche der beiden Schriften
Vorlage der anderen gewesen sein könnte, ist zu klären, ab wann der Autor mit Hilfe
der drei genannten Argumente seine Position zum status prelatorum et rectorum in dem
Sentenzenkommentar begründete.
Die hier untersuchte Textstelle aus In III Sent., in der die vita activa der Prälaten als
vollkommenste und edelste Lebensform dargestellt wird, ist nur in der letzten
Redaktion des Sentenzenkommentars zu finden. Auf Basis von Codex Clm 26 309,
der als Textzeuge für die Fassung B gilt, erkannte bereits Koch, dass Durandus in der
zweiten Redaktion eine andere Ansicht über das hierarchische Verhältnis zwischen
vita activa und vita contemplativa vertritt als in Fassung C.375 In Redaktion B wird
nämlich dargelegt, dass schlechthin und absolut gesehen das kontemplative Leben
besser sei als das tätige Leben.376 Die Konsultation weiterer Handschriften mit dem
Text der zweiten Redaktion bestätigt Kochs Beobachtung.377 In keinem der
untersuchten Manuskripte wird behauptet, dass die vita activa der Prälaten
vollkommener sei als die vita contemplativa. Anders als in Redaktion C betrachtet
Durandus die Lebensform des status prelatorum et rectorum in Fassung B nicht als einen
speziellen Typus der vita activa. Der Inhalt der Fassung A in der Frage nach dem
Verhältnis zwischen vita activa und vita contemplativa lässt sich nicht ermitteln, weil die
372 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§ 8, fol. 277rb): „...ergo talis uita actiua est nobilior et
perfectior quam uita contemplatiua uel actiua singularis.“ 373 Siehe den Textvergleich auf S. 58, Abschnitt E). 374 Vgl. oben, Kap. I.2, S. 24f. 375 Koch: Durandus (1927), S. 419, Anm. 14. 376 Ebd. 377 Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde der Inhalt der fraglichen Quästion Vtrum vita
contemplativa sit nobilior quam activa vel econverso in den folgenden Handschriften überprüft: Auxerre, Bibliothèque municipale, Ms. 26, fol. 121rb-va; Melk, Stiftsbibliothek, Codex Mellicensis 234, fol. 130ra-131ra; Napoli, Biblioteca Nazionale ‘Vittorio Emanuele III’, Ms. XIII A, fol. 54ra-va; Venezia, Biblioteca Nazionale Marciana, Cod. Lat. Z. 104, fol. 65rb-65vb.
61
erste Redaktion des dritten Buchs, wie oben erwähnt, nicht in den Handschriften
überliefert ist.378
Als terminus a quo für die Entstehung von C sieht die Forschung seit Koch das Jahr
1317, weil Durandus in der letzten Redaktion seines Sentenzenkommentars das erste
Quodlibet des Johannes von Neapel zitiert, welches auf Weihnachten 1315 oder Ostern
1316 datiert wird.379 1317 ist zugleich das Jahr, in welchem Durandus in den
Bischofsstand trat. Damit unterstand er nicht mehr der Jurisdiktion des
Dominikanerordens und konnte in der Fassung C ungehindert Ansichten vertreten,
die zuvor mehrfach auf den Widerstand der Ordensoberen gestoßen waren.380 Nach
Koch ist die Tatsache, dass Durandus von der Redaktion B zu Redaktion C seine
Meinung in der Frage nach dem Verhältnis zwischen vita activa und vita contemplativa
änderte, eben darauf zurückzuführen, dass der Autor ab 1317 nicht länger als
Religioser lebte, sondern die verantwortungsvollere Aufgabe des Episkopats zu
erfüllen hatte.381 Die Prägung durch die Herausforderungen des Bischofsamtes habe
ihn dazu bewogen, in Redaktion C der vita activa des Prälatenstandes den Vorrang vor
der vita contemplativa einzuräumen. Zu welchem Zeitpunkt die Fassung ihre endgültige
Form erhielt, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Koch nahm an, dass Durandus bis
1325 die Redaktion C der ersten drei Bücher vollendete, weil er in Buch IV auf sein
Bischofsamt in Meaux Bezug nimmt, welches er 1326 übernahm.382 Dieser
Datierungsversuch lässt sich jedoch, wie Chris Schabel, Russell L. Friedmann und
Irene Balcoyiannopoulou betonen, nur aufrechterhalten, falls man annimmt, dass
Durandus erst die Bücher I-III überarbeitete, bevor er sich dem vierten Buch
zuwandte.383 Teilweise wird in der Forschung das Jahr 1327 als terminus ante quem für
die Vollendung der gesamten Redaktion C gesehen, weil Bernardus Lombardus in
diesem Jahr seine Sentenzenvorlesung in Paris hielt und in der überlieferten Version
seines Kommentars auf den Inhalt von Durandus‘ Fassung C Bezug nimmt.384
378 Koch: Durandus (1927), S. 419, Anm. 14 war überzeugt mit Hilfe von Durandus-Zitaten bei Petrus
de Palude die Position ermitteln zu können, die Durandus in der Redaktion A vertreten hatte; vgl. ebd., S. 22. Er kam zu dem Schluss, dass der Dominikaner wie in Fassung B dem kontemplativen Leben den Vorrang vor dem aktiven Leben einräumte. Erhebliche Zweifel an der Rekonstruktionsmethode Kochs erheben jedoch Chris Schabel/Russell L. Friedmann/Irene Balcoyiannopoulou: Peter of Palude and the Parisian reaction to Durand of St Pourçain on future contingents, in: AFP 71 (2001), S. 183-300, hier S. 200.
379 Koch: Durandus (1927), S. 75f. 380 Schabel/Friedmann/Balcoyiannopoulou: Peter of Palude (2001), S. 195; Thomas Jeschke/Fiorella
Retucci/Guy Guldentops/Andreas Speer: Durandus von St. Pourçain und sein Sentenzenkommentar. Eine kritische Edition der A- und B-Redaktion, in: Bulletin de Philosophie médiévale 51 (2009), S. 113-143, hier S. 117f.
381 Koch: Durandus (1927), S. 419. 382 Koch: Durandus (1927), S. 76. 383 Schabel/Friedmann/Balcoyiannopoulou: Peter of Palude (2001), S. 196. 384 Koch: Durandus (1927), S. 76; Jeschke/Retucci/Guldentops/Speer: Durandus (2009), S. 117f.
62
Grundlage dieses Datierungsansatzes ist allerdings die Prämisse, dass Bernardus
Lombardus wenig oder gar keine Zeit zwischen der Vorlesung und der endgültigen
Ausarbeitung seines scriptum verstreichen ließ, was nicht gesichert ist.385 Als sichersten
terminus ante quem für die Erstellung der Redaktion C führen Schabel, Friedman und
Balcoyiannopoulou das Todesjahr des Autors, 1334, an.386
Für das Verhältnis zwischen dem Votum und der Redaktion C ergibt sich aus der
Datierungsproblematik, dass jeder der beiden Texte bezüglich der oben analysierten
Argumente Vorlage des anderen gewesen sein kann. Gemäß einer ersten Hypothese
konnte Durandus, als er zwischen März 1322 und vor der Promulgation von Cum inter
nonnullos im November 1323, möglicherweise sogar schon vor der ersten
Veröffentlichung von Ad conditorem canonum im Dezember 1322 das Votum im
Armutsstreit anfertigte,387 bereits auf Quästion 2 aus der Fassung C von In III Sent., d.
35 zurückgreifen. Diesem Erklärungsversuch zufolge hätte ähnlich wie bei der
Entstehung von Durandus‘ Traktat De origine iurisdictionum eine Quästion aus dem
Sentenzenkommentar im Zuge einer aktuellen Debatte als Vorlage für einen
separaten Text gedient.388 Nach einer zweiten Hypothese wäre die Entwicklung in
umgekehrter Richtung verlaufen: Durandus entnahm bei der Überarbeitung von In III
Sent., d. 35 Argumente aus De paupertate Christi et apostolorum und verwendete sie in
leicht veränderter Form in der Redaktion C seines Sentenzenkommentars. Eine
endgültige Entscheidung zwischen den beiden Hypothesen kann hier nicht getroffen
werden. Für den ersten Deutungsansatz könnte allerdings die Tatsache sprechen, dass
sich in dem Gutachten mehr Argumente finden als in dem Sentenzenkommentar. Es
ist leicht erklärbar, dass Durandus zu den drei Argumenten aus der Redaktion C in
seinem Votum weitere hinzufügte. Dagegen stellt sich angesichts der zweiten
Hypothese die Frage, warum der Autor aus mehreren Argumenten in dem Gutachten
nur drei auswählte und dabei unter anderem auf das eindrucksvolle Argument
verzichtete, Bischöfe seien dazu verpflichtet, im Notfall für die ihnen untergebenen
Gläubigen das Leben zu geben.389
385 Schabel/Friedmann/Balcoyiannopoulou: Peter of Palude (2001), S. 196. 386 Ebd. 387 Siehe oben, Einleitung, S. 5. 388 Zum Verhältnis zwischen dem Sentenzenkommentar und De origine iurisdictionum siehe Guldentops:
Struggling with Authority (2012), S. 111f.; siehe oben, S. 12, Anm. 57. 389 Siehe den Textvergleich, S. 57, Abschnitt C). Das Fehlen des Argumentes im Sentenzenkommentar
könnte allerdings auch darauf zurückzuführen sein, dass es sich möglicherweise aus Sicht des Bischofs von Le Puy nicht auf alle Angehörigen des status prelatorum et rectorum übertragen ließ.
63
Fazit
Der status prelationis ist in dem Gutachten De paupertate Christi et apostolorum des
Durandus von St. Pourçain in mehrfacher Hinsicht von zentraler Bedeutung. Um
dies untersuchen zu können, wurde in der vorliegenden Arbeit zunächst geklärt, dass
in dem Votum unter dem status prelationis der Stand der Bischöfe beziehungsweise der
bischofsähnliche Stand zu verstehen ist, den nach Durandus‘ Auffassung die Apostel
als Vorgänger des Episkopats innegehabt hatten.390 Die Verwendungsweise des
Begriffes ‚prelati‘ legt nahe, dass der Autor auch diesen Terminus in dem Gutachten
nur auf die Vertreter des Bischofsstandes bezieht. Darin unterscheidet sich der
Bischof von Le Puy von anderen Autoren, wie Thomas von Aquin, Heinrich von
Gent oder Gottfried von Fontaines, die zu den praelati auch Erzdiakone und mit der
Seelsorge betraute Priester, sogenannte Kuraten, rechnen und diese in Abgrenzung zu
den Bischöfen als niedere Prälaten bezeichnen. Durandus begreift den status prelationis
in Tradition zu Thomas als einen von zwei status perfectionis. Den Terminus ‚status
perfectionis‘ definiert er als eine Lebensweise, die Verpflichtungen umfasst, um
entweder leichter individuelle Vollkommenheit zu erwerben oder Vollkommenheit
unter den Mitmenschen zu verbreiten. Im Gegensatz zu dem anderen Stand der
Vollkommenheit, dem status religionis, obliegt dem Prälatenstand als status perfectionis in
alios diffundende die Aufgabe, für das Seelenheil der untergebenen Gläubigen Sorge zu
tragen. Durandus betont, dass die Zugehörigkeit zu einem der beiden status perfectionis
noch keine Vollkommenheit im eigentlichen Sinne impliziert. Vollkommenheit an
sich ist nämlich nach Auffassung des Bischofs von Le Puy nur die persönliche
Vollkommenheit (perfectio personalis), die in den Habitus und Akten der Tugenden,
insbesondere in denjenigen der caritas besteht.
Die große Bedeutung des status prelationis in dem Gutachten zeigt sich unter anderem
darin, dass Durandus in Quästion 2 seines Votums durch insgesamt fünf Argumente
ausführlich darlegt, warum der Prälatenstand vollkommener ist als der Stand der
Religiosen.391 Diese Beweisführung ist einerseits funktional eingebunden in die
Beantwortung der übergeordneten Frage, ob der Verzicht auf jegliche
gemeinschaftliche und persönliche Habe, wie ihn die franziskanische
Armutskonzeption vorsah, gegenüber Personen mit kollektivem Besitz einen Vorteil
im Sinne eines höheren Grades an Vollkommenheit verschafft. Der dominikanische
Autor war dabei erkennbar bestrebt, minoritische Vollkommenheitsansprüche zu
390 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. I.1, S. 10-16. 391 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. I.2, S. 16-26.
64
entkräften. Andererseits ist die umfangreiche Argumentation zugunsten der
Vollkommenheit des status prelationis aber auch Durandus‘ Interesse geschuldet, den
Vorrang des eigenen Standes vor dem Stand der Religiosen und zugleich auch vor
allen übrigen Gläubigen zu demonstrieren. In den Ausführungen zum status prelationis
als status perfectionis in alios diffundende offenbart sich das Selbstbewusstsein des Autors
als Prälat.
Auch die Tatsache, dass Durandus ausgiebig den Besitz des Prälatenstandes
diskutiert, ist ein Beleg für die große Bedeutung, die dem status prelationis in dem
Votum zukommt.392 Der Autor gelangt zu dem Schluss, dass die Aufgaben des
Prälatenstandes notwendigerweise kirchlichen Besitz erfordern. Nach Durandus‘
Verständnis besitzen die prelati gemeinschaftlich mit allen übrigen Kirchendienern die
temporalia der Kirche. Diese Ansicht unterscheidet sich von der Auffassung vieler
Minoriten, dass Prälaten die kirchlichen Güter nur verwalten, aber nicht deren
Besitzer sind. Der Vergleich von Durandus‘ Position mit dem Standpunkt des
Hervaeus Natalis zeigt, dass der Bischof von Le Puy den Besitz der Prälaten mit
größerer Vehemenz verteidigt als der dominikanische Generalmagister. Hinter
Durandus‘ Beweis, dass der Prälatenstand seiner Bestimmung nicht ohne jeglichen
Besitz gerecht werden kann, steht wie bei der Gegenüberstellung der beiden status
perfectionis ein zweifaches Anliegen. Zum einen widerlegt das Ergebnis der
Argumentation endgültig die Hypothese, dass prelati durch den Verzicht auf jede
Form des Besitzes größere Vollkommenheit erreichen können als Vertreter des
gleichen Standes, die etwas in Gemeinschaft mit anderen besitzen. Damit hat der
Bischof von Le Puy einen weiteren Beleg für die Nutzlosigkeit der franziskanischen
Armutskonzeption erbracht. Zum anderen ist der Autor bestrebt, den Besitz des
eigenen Standes zu rechtfertigen.
Zugleich argumentiert Durandus aber stets in der festen Überzeugung, dass die prelati
legitime Nachfolger der Apostel sind und zu Recht in Gemeinschaft mit dem übrigen
Klerus die Güter der Kirche besitzen. Ausgehend von diesen Grundannahmen kann
der Bischof von Le Puy den status prelationis argumentativ als Referenzpunkt nutzen,
wenn er in seinem Votum auf franziskanische Positionen reagiert.393 Erstens macht er
mehrfach Gebrauch von der argumentativen ‚Inversion‘394, bei der, wie Tabarroni
erläutert, von einer zeitgenössischen Form christlichen Lebens auf das apostolische
‚Vorbild‘ geschlossen wird. Weil die Prälaten in Gemeinschaft mit anderen
392 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. II, S. 26-32. 393 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. III, S. 33-40. 394 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 42, Anm. 48 u. S. 51, Anm. 65. Siehe oben, Einleitung, S. 6.
65
Kirchendienern Güter besitzen, steht für Durandus fest, dass auch die Apostel als
erste Vertreter des ‚status prelationis‘ in der Kirchengeschichte nicht gänzlich ohne
dominium oder proprietas lebten. Mit Hilfe des gleichen Argumentationsmusters
begründet Durandus, dass diverse an die Apostel gerichtete Aufforderungen Jesu, die
im Sinne eines totalen Besitzverbotes verstanden werden könnten, nicht als
Vorschriften zu begreifen seien. Zweitens erhebt der Dominikaner auf Grundlage
seiner Annahme, dass mit dem Bischofsstand gemeinschaftlicher Besitz verbunden
ist, Zweifel gegenüber der Vereinbarkeit des minoritischen Armutsgelübdes und der
Zugehörigkeit zum episcopalis status. Er wirft dadurch franziskanischen Bischöfen
Inkonsequenz vor und stellt damit indirekt auch die Autorität derjenigen Gutachter
im Armutsstreit infrage, die dem Episkopat angehören, aber dem Minoritenorden
entstammen. Drittens stützt sich auch Durandus‘ Interpretation der loculi, über die
Christus und die Apostel einigen Bibelstellen zufolge verfügten, auf die Überzeugung,
dass die Prälaten Nachfolger der Apostel sind und ihr Besitz legitim ist. Der Bischof
von Le Puy behauptet, dass Christus durch die loculi potentielle Kritik an den
finanziellen Mitteln des Klerus und insbesondere des Prälatenstandes entkräften
wollte. Dagegen verwahrt sich der Autor mit großer Bestimmtheit dagegen, dass
unter den Unvollkommenen, zu deren Trost Christus die loculi besessen habe,
diejenigen zu verstehen seien, die sich wie die Prälaten im Besitz kirchlicher Güter
befinden.
Der Vergleich mit anderen im Codex Vat. lat. 3740 überlieferten Gutachten zeigt,
dass auch andere Autoren in ihren Stellungnahmen zu der Frage der apostolischen
Armut die Differenzierung zwischen status prelationis und status religionis als den beiden
status perfectionis verwenden.395 Durandus‘ ausführliche Darlegung, warum der Stand
der Prälaten vollkommener ist als der Stand der Religiosen stellt jedoch eine
Ausnahme dar. Dass der Generalsuperior der Dominikaner Hervaeus Natalis die
Auffassung vertrat, dem Prälatenstand komme größere Vollkommenheit zu als dem
status religionis, kann nur indirekt erschlossen werden. Der franziskanische Kardinal
Bertrand de la Tour äußert sich nicht zu dieser Frage. Vital du Four, ebenfalls
Kardinal und Angehöriger des Minoritenordens, ist zwar der Ansicht, der status
prelationis sei schlechthin und absolut betrachtet vollkommener als der status religionis.
Auch bei Ubertino da Casale, der ursprünglich dem Franziskanerorden angehört
hatte, wird dem status prelationis größere Vollkommenheit zugesprochen als dem Stand
der Religiosen. Aber eine umfassende Begründung wie diejenige, die Durandus gibt,
ist in keinem der anderen Gutachten zu finden. Hinsichtlich der Frage nach dem 395 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. IV, S. 41-54.
66
apostolischen Vorbild des Prälatenstandes unterscheiden sich die Positionen der
minoritischen Autoren Bertrand, Vital und Arnaud Royard deutlich von dem
Standpunkt, den der Bischof von Le Puy in seinem Votum einnimmt. Anders als
Durandus sind die Vertreter des Franziskanerordens der Meinung, in der Gestalt der
Apostel seien auf ideale Weise der status prelationis und totale Besitzlosigkeit
miteinander vereint gewesen. Die Apostelnachfolge der Prälaten impliziert aber aus
Sicht der minoritischen Gutachter nicht die Verpflichtung, auf jeglichen Besitz zu
verzichten. Folglich sind die Angehörigen des status prelationis für die franziskanischen
Autoren nicht in jeder Hinsicht Nachfolger der Apostel. Dies widerspricht dem
Verständnis des Prälatenstandes, das Durandus vertritt. Darüber hinaus deuten
Bertrand und Vital an, dass sich die Zugehörigkeit zum status prelationis und ein Leben
ohne dominium oder proprietas nach apostolischem Vorbild nicht ausschließen.
Durandus bestreitet dagegen, dass der Prälatenstand mit dem minoritischen
Anspruch, auf jeglichen gemeinschaftlichen und persönlichen Besitz zu verzichten, in
Einklang zu bringen ist.396 Der Vergleich zwischen den Positionen von Durandus und
Ubertino zeigt eine interessante Übereinstimmung.397 Beide Autoren nutzen den
Verweis auf die Vollkommenheit des Papstes als Beleg dafür, dass der Stand der
Religiosen nicht vollkommener sein kann als der Prälatenstand, dem der Inhaber des
apostolischen Stuhls angehört. Diese Argumentationsstrategie war durch ihren Bezug
zum Adressaten der Gutachten, dem Papst, in der historischen Situation raffiniert.
Die große Wertschätzung des dominikanischen Theologen für den Prälatenstand ist,
wie Koch aufzeigte, erst für die Zeit bezeugt, zu der Durandus bereits Bischof war.398
In der Redaktion C seines Sentenzenkommentars, deren terminus a quo das Jahr 1317
bildet, bestimmte Durandus anders als in Redaktion B die vita activa des status
prelatorum et rectorum als vollkommenste und edelste Lebensform. Koch schloss daraus,
dass der Autor unter dem Einfluss des neuen Amtes die in Fassung B vertretene
Meinung, das kontemplative Leben sei besser als das aktive Leben, revidierte.399 Die
drei Argumente, mit deren Hilfe Durandus in Buch III der Redaktion C begründet,
warum die vita activa der Prälaten edler und vollkommener ist als die vita contemplativa
im Diesseits, finden sich in ähnlicher Form, zum Teil aber sogar in wörtlicher
Übereinstimmung in der Beweisführung des Gutachtens.400 Koch hatte seinerseits
festgestellt, dass sich das Votum und die Redaktion C in der Darstellung des
396 Siehe hierzu Kap. II, S. 28f. u. Kap. III, S. 35-37. 397 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. IV, S. 53f. 398 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. V, S. 60. 399 Koch: Durandus (1927), S. 419f. 400 Siehe hierzu Kap. V, S. 57-60.
67
Prälatenstandes und seiner Superiorität gegenüber der Lebensweise der Religiosen
‚eng berühren‘.401 Auf die Argumente innerhalb des Gutachtens, die auch in der
Fassung C des Sentenzenkommentars genutzt werden, ging Koch allerdings gar nicht
ein. Das tatsächliche Ausmaß der Überschneidung zwischen den Argumentationen in
den beiden Texten, erkannte er daher nicht. Die auffällige Parallele zwischen dem
Votum und der Redaktion C des Sentenzenkommentars legt die Vermutung nahe,
dass der Autor einen der beiden Texte als Vorlage für den anderen gebrauchte. In
welchem der beiden Werke Durandus die Argumente zuerst verwendete, lässt sich in
der vorliegenden Arbeit jedoch nicht klären. Der frühste Zeitpunkt, der in der
Forschung als terminus ante quem für die Fertigstellung von Buch III in der Fassung C
angenommen wird, ist nämlich das Jahr 1326.402 Die Entstehung von De paupertate
Christi et apostolorum von 1322/23 fällt somit in den Zeitraum, in dem der Autor an der
Redaktion C seines Sentenzenkommentars arbeitete. Sollte Durandus die letzte
Fassung des Kommentars vor dem Gutachten verfasst und die drei Argumente aus In
III Sent., d. 35, q. 2 in sein Votum übernommen haben, wäre dies ein weiteres Beispiel
dafür, dass der dominikanische Theologe Elemente aus seinem Sentenzenkommentar
in Einzelschriften erneut verwendete.
Die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit könnten Anlass zu weiteren
Forschungsstudien geben. Durandus hat sich 1329 im Kontext eines Konfliktes
zwischen französischen Baronen und Prälaten noch einmal in einer Schrift mit dem
Stand der prelati auseinandergesetzt.403 In De origine iurisdictionum rechtfertigt er, dass
die Prälaten neben der geistlichen auch über weltliche Macht verfügen.404 Ein
ausführlicher Vergleich zwischen der Position, die der Autor in dem Traktat vertritt,
und dem im Votum geäußerten Standpunkt könnte einen wichtigen Beitrag dazu
leisten, die Bedeutung des status prelationis im Gesamtwerk des dominikanischen
Theologen zu ermitteln. Um Durandus‘ Auffassung vom Prälatenstand und ihre
Entwicklung zu rekonstruieren, müssen außerdem weitere Textstellen aus den
verschiedenen Redaktionsstufen des Sentenzenkommentars in die Untersuchung
einbezogen werden. Daneben stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die
theoretischen Ansichten über den status prelationis, die in dem Votum und den übrigen
Schriften des Dominikaners vertreten werden, und Durandus‘ Amtsführung als
Bischof zueinander standen. Erste Ansätze zur Klärung dieser Frage finden sich bei
401 Koch: Durandus (1927), S. 420. 402 Koch: Durandus (1927), S. 76. 403 Jürgen Miethke: Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham,
durchges. u. korr. Studienausgabe, Tübingen 2008, S. 198f. u. 202f. 404 Ebd.
68
Koch, der dabei unter anderem auf den Streit des Bischofs mit dem Domkapitel von
Le Puy eingeht.405
Die Analyse des Gutachtens zeigt, dass Durandus bei der Diskussion des
Prälatenstandes vielfach Argumente aufgreift, die vor ihm in ähnlicher Form bereits
Thomas von Aquin oder die Weltkleriker Heinrich von Gent und Gottfried von
Fontaines verwendet hatten. Zum einen bestätigt sich im Detail die allgemeine
Beobachtung Horsts und Miethkes, der Autor orientiere sich in seiner Argumentation
eng an Thomas.406 Zum anderen belegt die Untersuchung, dass Durandus‘ Position
partielle Übereinstimmung mit weltgeistlichen Standpunkten aufweist, wobei
gleichzeitig zentrale Unterschiede in der Auffassung des status prelationis erkennbar
werden. Mit der Suche nach Parallelen zwischen dem Votum des Bischofs von Le
Puy und den Texten weiterer weltgeistlicher Autoren könnten die
ideengeschichtlichen Forschungen dieser Arbeit fortgesetzt werden. Wünschenswert
wäre beispielsweise eine gründliche Gegenüberstellung des Gutachtens mit den
Schriften des Gerhard von Abbeville oder des Jean de Pouilly (Johannes de Polliaco).
Ein weiteres Anliegen zukünftiger Studien könnte darin bestehen, die Darstellung des
Prälatenstandes in De paupertate Christi et apostolorum mit Voten und Traktaten zur
Frage nach der apostolischen Armut zu vergleichen, die im Rahmen der vorliegenden
Arbeit nicht berücksichtigt werden konnten. Ziel eines derartigen
Forschungsvorhabens wäre es, Durandus‘ Standpunkt zum status prelationis noch
besser im Kontext des ‚Theoretischen Armutsstreits‘ verorten zu können.
405 Koch: Durandus (1927), S. 420-422. 406 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210; Miethke: Votum (1993), S. 161; vgl. oben, Einleitung, S.
6f.
69
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Erklärung zum Verfassen der Arbeit
Ich versichere, dass ich die schriftliche Hausarbeit – einschließlich beigefügter
Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen – selbstständig verfasst und keine
anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen der
Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen sind,
habe ich in jedem Fall unter der Angabe der Quelle deutlich als Entlehnung kenntlich
gemacht.
Köln, den 9.3.2015
Christoph Burdich