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Die Behandlung des Passivs in den Übungsgrammatiken für ...

Date post: 31-Dec-2016
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DIE BEHANDLUNG DES PASSIVS IN DEN ÜBUNGSGRAMMATIKEN FÜR DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. EINE ANALYSE UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DER TEXTUELLEN PERSPEKTIVE. DANIELA SORRENTINO 0. Einleitung p. 416 1. Die Textebene als Ausgangspunkt bei der Vermittlung des Passivs im DaF-Grammatikunterricht p. 418 2. Das Passiv in den Übungsgrammatiken für Deutsch als Fremdsprache p. 421 2.1 Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache für Fortgeschrittene p. 422 2.2 Grammatik mit Sinn und Verstand p. 427 2.3 Fazit p. 431 3. Überlegungen zu einer textsorten- und situationsorientierten Gestaltung von Grammatikübungen zum Passiv p. 432 3.1 Auswahl der Texte zum Einstieg in die Behandlung des Passivs p. 432 3.2 Übungsgestaltung p. 435 4. Schlussbemerkung p. 440
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DIE BEHANDLUNG DES PASSIVS IN DEN

ÜBUNGSGRAMMATIKEN FÜR DEUTSCH ALS

FREMDSPRACHE. EINE ANALYSE UNTER

BERÜCKSICHTIGUNG DER TEXTUELLEN PERSPEKTIVE.

DANIELA SORRENTINO

0. Einleitung p. 416

1. Die Textebene als Ausgangspunkt bei der Vermittlung des Passivs im DaF-Grammatikunterricht p. 418 2. Das Passiv in den Übungsgrammatiken für Deutsch als Fremdsprache p. 421 2.1 Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache für Fortgeschrittene p. 422 2.2 Grammatik mit Sinn und Verstand p. 427 2.3 Fazit p. 431 3. Überlegungen zu einer textsorten- und situationsorientierten Gestaltung von Grammatikübungen zum Passiv p. 432

3.1 Auswahl der Texte zum Einstieg in die Behandlung des Passivs p. 432 3.2 Übungsgestaltung p. 435 4. Schlussbemerkung p. 440

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0. Einleitung

Die Debatte um den Stellenwert der Grammatik im Unterricht

Deutsch als Fremdsprache hat lange Zeit die wissenschaftliche

Diskussion in diesem Bereich dirigiert. Seit Anfang der 90er

Jahre sind insbesondere Fragen wie „Wie viel Grammatik braucht

der Mensch?“ und „Welche Grammatik brauchen Lehrer und

Schüler?“ in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt und haben

vielerorts große Aufmerksamkeit erregt (vgl. Harden/Marsh

1993; Helbig 1992; Hessky 1995; Ulrich 2001; Völzing 1995).

Aus der Auseinandersetzung mit diesem Thema hat sich ein

weitgehender Konsens darüber gebildet, dass die Grammatik im

Unterricht nicht um ihrer selbst willen betrieben werden und dass

Sprachwissen allein nicht das Ziel des Fremdsprachenunterrichts

sein darf. Vielmehr soll Grammatik vor allem dazu dienen, den

Spracherwerbsprozess zu unterstützen und die Lerner zu

befähigen, sprachlich zu handeln und zu kommunizieren:

„Grammatik spielt stets eine dienende Rolle: sie soll

Kommunikation im umfassenden Sinne ermöglichen“ (Götze

1993: 5). Insbesondere wird in letzter Zeit ausdrücklich dafür

plädiert, eine kommunikativ-funktionale Grammatik im DaF-

Unterricht zu vermitteln, die die Lerner für einen text-, situations-

und intentionsspezifischen Einsatz grammatischer Mittel

sensibilisiert und ihnen konkrete Hilfestellungen für die reale

Sprachverwendung und die adäquate Rezeption und Produktion

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schriftlicher und mündlicher Texte bietet (vgl. Kühn 1999).

In aktuellen DaF-Übungsgrammatiken und Lehrwerken sowie in

der alltäglichen Unterrichtspraxis wird infolgedessen eine

allgemeine Einbeziehung von Texten als authentischen Belegen

von „Sprache in Funktion“ bei der Grammatikvermittlung sowohl

in der Präsentations- als auch in der Übungsphase gefordert (vgl.

Thurmair 2004).

Im vorliegenden Beitrag wird untersucht, inwiefern die Textebene

tatsächlich bei der Grammatikvermittlung eingezogen wird. Dies

soll am Beispiel der Analyse der didaktischen Behandlung des

Passivs in zwei Übungsgrammatiken für Deutsch als

Fremdsprache geschehen,1 die in ihrer Konzeption beabsichtigen,

die deutsche Grammatik „in zusammenhängenden Texten oder in

einem geschlossenen Kontext“2

Die dabei aufgestellte Hypothese ist, dass eine textzentrierte

kommunikationsorientierte Grammatikvermittlung auch in solchen

DaF-Übungsgrammatiken, die sich als textuell orientiert vorgeben,

bisher noch lückenhaft erfolgt. Stattdessen wird meist traditionelle

Grammatik am Text geübt und keine wirkliche praxisorientierte

Sprachreflexion betrieben. Im Anschluss an die Analyse werden

zu behandeln.

1 Übungsgrammatiken machen grammatische Strukturen explizit, indem sie eine Sprachbeschreibung für didaktische Zwecke enthalten und diese auf unterschiedliche Art trainieren. Sie können als Zusatzmaterial im Fremdsprachenunterricht dienen oder von den Lernern für das individuelle Lernen verwendet werden. Als Gegenstand der grammatisch-didaktischen Diskussion ist ihnen in letzter Zeit zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt worden (vgl. Hennig 2001; Ivancic 2003; Kühn 2004). 2 Hall/Scheiner (1997: 3).

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einige Überlegungen zu einer textsorten- und

situationsorientierten Gestaltung von Grammatikübungen zum

Passiv dargelegt.

1. Die Textebene als Ausgangspunkt bei der Vermittlung des

Passivs im DaF-Grammatikunterricht.

Das Passiv stellt eines jener grammatischen Phänomene dar, die

sich in didaktischer Hinsicht satzübergreifend am Sinnvollsten

behandeln lassen.

Der Vorteil einer ganzheitlichen, vom Text ausgehenden

Betrachtung im Unterricht ist die wesentlich anschaulichere

Möglichkeit der Darstellung der Funktion des Passivs als

„agensabgewandte Form des verbalen Geschehens“ (Götze 1996:

137)3

Wichtige Aussagen, die die Wissenschaft dazu gemacht hat, sind

zum Beispiel:

.

- Die Agensaussparung kann durch bestimmte Textsorten

besonders aus den technisch-industriellen oder

naturwissenschaftlich-medizinischen Bereichen bedingt sein,

da in diesen die Darstellung eines Prozesses oder des

Ergebnisses eines Vorgangs im Vordergrund steht.

3 Dabei muss zwischen dem werden-Passiv, das als prozessual und agensabgewandt zu charakterisieren ist, und dem sein-Passiv, das als nicht-prozessual und agensabgewandt verstanden werden kann, unterschieden werden (vgl. Helbig/Kempter 1997: 9-42).

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- Sie kann auch darin begründet sein, dass der Handelnde

unwichtig ist, weil er allgemein bekannt ist und durch

institutionalisierte Handlungen determiniert wird (vgl.

Weinrich 2003: 166-167).

- Die Agensaussparung kann durch textuelle Momente bedingt

sein, wenn das entweder im vorausgehenden oder

nachfolgenden Text (anaphorische bzw. kataphorische Ellipse)

in irgendeiner Form erwähnt ist oder schon aus dem jeweiligen

Kontext hervorgeht.

- Dem Sprecher/Schreiber ist das Agens unbekannt oder man

möchte es bewusst verschweigen. Agensellipsen treten

deswegen oft in Nachrichten über Delikte und Verbrechen,

deren Täter noch nicht bekannt ist, sowie in Äußerungen von

Politikern, Pressesprechern und in anderen öffentlichen

Kundgebungen auf. Dabei stellt das Passiv ein Mittel des

Euphemismus und „des Verbergens der Wahrheit“ (Götze

1999: 87) dar: Niemand soll als schuldig oder verantwortlich

bezeichnet werden und man wählt daher eine sprachliche

Struktur, die die Angabe des Handelnden bewusst ausblendet.

- Das Passiv übt eine textkonstitutive Funktion aus: Es hilft dem

Sprecher/Schreiber, die Mitteilungsperspektive gemäß seiner

Absichten zu entwickeln, indem es ermöglicht, Thema-Rhema-

Beziehungen innerhalb eines Textes auszudrücken.

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- Es hängt oft von dem Informationsprofil eines Textes ab, ob an

einer bestimmten Textstelle das Passiv oder das Aktiv

verwendet wird. Dazu ein Beispiel im folgenden

Textausschnitt aus dem Roman Ansichten eines Clowns:

[...] ich hatte am ersten Abend schon eine Schlägerei mit

einem Schwachsinnigen ... Ich wurde nicht nur ganz schön

zusammengeschlagen ..., ich bekam auch eine schwere

Gelbsucht (Böll 1997: 108).

Durch das Passiv (Ich wurde… zusammengeschlagen...) entsteht

eine Verbalklammer, in der der inhaltlich wichtige Teil des

Prädikats als rhematische Information mit dem größten

Mitteilungswert in die semantisch intensive Nachverb-Position

gebracht wird und als verbales Gefüge ohne Nennung des Agens

betont wird.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Passiv keine bloße

‚lethargische‘ (Weinrich 2003: 155) Umkehrung des Aktivs

darstellt, wie oft in der traditionelle Grammatik beschrieben.

Stattdessen kann es je nach Kontext, Textsorte und

Mitteilungsabsicht sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen, die

im Aktiv nicht möglich wären.

Für den fremdsprachlichen Sprachunterricht leuchtet die wichtige

Rolle ein, die dem Kontext und der jeweiligen Textsorte für die

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Erschließung der Funktion passivischer Strukturen zukommt.

Übungen zum Problem der Passivformen des Deutschen sollten

folglich nur in Verbindung mit dafür charakteristischen

Textsorten und unter Beachtung der Verwendungsbedingungen

im jeweiligen Text erfolgen.

2. Das Passiv in den Übungsgrammatiken für Deutsch als

Fremdsprache

In den meisten DaF-Übungsgrammatiken wird das Passiv als ein

rein satzgrammatisches verbmorphologisches Phänomen ohne

Bezugnahme auf die Textebene behandelt. Die Erklärungen

liefern sporadische Informationen über die Funktion des Passivs

und die jeweiligen Motive für die Aussparung des Agens.4

In den Übungsteilen herrschen vor allem traditionelle

formbezogene Transformationsübungen vor, bei denen der Lerner

„überhaupt nicht nachdenken muss“ (Börner 2000: 1) und die

darin bestehen, einzelne isolierte Sätze vom Aktiv ins Passiv

umzuformulieren.

Diese Vorgehensweise im Umgang mit dem Passiv und darüber

hinaus mit Grammatik im Allgemeinen sollte der Vergangenheit

der Sprachdidaktik angehören, da dabei nicht die Frage nach der

4 Zur Behandlung des Passivs in DaF-Übungsgrammatiken vgl. Thurmair (2004: 91-92), Leirbukt (2004: 267-293).

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Funktion eines sprachlichen Mittels im Mittelpunkt seht, sondern

lediglich dessen Form. In Götzes Worten gesagt: „Übungen wie

‚Setzen Sie ins Passiv‘ sind rein formaler Natur und verschaffen

allenfalls die Befriedigung bei Lehrenden und Lernenden, in die

deutsche Grammatik eingetaucht zu sein. In Wahrheit ist das alles

Sprachstroh, Sprachgebrauch ist etwas anderes“ (Götze 1996:

137).

Dieses ‚etwas Andere‘ bei der Darstellung der deutschen

Grammatik scheinen die Übungsgrammatik DaF für

Fortgeschrittene von Karin Hall/Barbara Scheiner und die

Grammatik mit Sinn und Verstand von Wolfgang Rug/Andreas

Tomaszewski zu versprechen, die im folgenden näher analysiert

werden. Im Vordergrund der Untersuchung steht die Frage nach

dem Einbezug der textuellen Perspektive bei Einführung und

Einübung des Passivs. Es wird dabei keine umfassende Analyse,

sondern lediglich die Diskussion einiger ausgewählten Beispiele

angestrebt, die hinsichtlich der Überprüfung der aufgestellten

Hypothese relevant erscheinen.

2.1 Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache für

Fortgeschrittene

Diese Übungsgrammatik setzt sich zum Ziel, „die Schwierigkeiten

der deutschen Grammatik möglichst in zusammenhängenden

Texten oder in einem geschlossenen Kontext, zumindest aber in

Sinneinheiten, zu üben, um die Beschäftigung mit grammatischen

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Fragen durch thematisch orientierte Übungen interessanter zu

machen“ (Hall/Scheiner: 3). Gemäß Vorwort scheint sie also den

Anspruch zu erheben, einige Anregungen zu einer textorientierten

Behandlung grammatischer Strukturen geben zu wollen.

Tatsächlich wird hier das Passiv an authentischen Textsorten

eingeführt, wie beispielsweise anhand einer Beschreibung von

Arbeitsvorgängen und Produktionsverfahren, einem

Anweisungstext, einem Gesetzestext und einer wissenschaftlichen

Beschreibung. Mittels einer Gegenüberstellung mit Texten, die im

Aktiv stehen, werden die Lerner auf die Tatsache aufmerksam

gemacht, dass das Passiv überwiegend in solchen Texten und

Textsorten verwendet wird, in denen „Vorgänge und nicht

Handelnde im Mittelpunkt einer Aussage stehen“ (Hall/Scheiner:

61).

Die unterschiedlichen Gründe für die jeweilige Verwendung von

Aktiv und Passiv in den eingeführten Textsorten, ebenso wie die

jeweiligen Motive für die Aussparung des Agens in den

verschiedenen Textabschnitten im Passiv werden jedoch den

Lernern vorenthalten. Es wird später nur beiläufig und anhand

einzelner Beispielsätze erwähnt, dass das Agens meist

unbezeichnet bleibt, wenn es „in einem bestimmten

Zusammenhang selbstverständlich bekannt oder unwichtig ist“

(Hall/Scheiner: 62).

Die meisten darauf folgenden Übungen dienen hauptsächlich der

Automatisierung der korrekten Umformulierung von Aktiv ins

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Passiv und umgekehrt, die mittels satzbezogener Einsetz-,

Formations- und Transformationsübungen geschieht, welche

thematisch miteinander verbunden sind. Dadurch wird jedoch

nicht immer auf authentische Verwendungsmöglichkeiten der

jeweiligen sprachlichen Strukturen verwiesen.

So wird beispielsweise die passivische Feldvariante mit dem

Pronomen es als Subjekt ausschließlich aus einer morphologischen

Perspektive eingeführt:

Es erscheint nur am Anfang eines Hauptsatzes und wird,

wenn immer möglich, durch ein anderes Satzglied ersetzt. ….

In Passivsätzen mit einem Subjekt im Plural steht das finite

Verb im Plural, auch wenn der Satz mit es beginnt. In

Passivsätzen mit einem Subjekt im Singular und in

Passivsätzen mit es als einzigem Subjekt steht das finite Verb

immer im Singular (Hall/Scheiner: 64-65).

Darauf folgen eine Übung, in der die Lerner wahlweise wird oder

werden in einzelnen Sätzen einsetzen müssen, und eine Art

Produktionsübung, in denen Sätze mit es am Satzanfang zum

Thema der Besonderheiten der Deutschen und von Deutschland

gebildet werden sollen.

Obwohl den Lernern Kreativität in Bezug auf den Inhalt

eingeräumt wird, indem sie eigene Sätze produzieren dürfen, zielt

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die Spracharbeit ausschließlich auf die Beherrschung der

sprachlichen Struktur ab, ohne die kommunikativ bedingte

Verwendung dieser passivischen Variante zu berücksichtigen.5

Der einzige vorgeschlagene Übungstyp, der dazu dient, sprachliche

Strukturen am Text zu erarbeiten, ist die Umformung von

einzelnen Sätzen vom Aktiv ins Passiv.

Übungsanweisungen wie:

• Beschreiben Sie in Passivsätzen die Probleme der

Trinkwasserversorgung (Hall/Scheiner: 66).

• Gestalten Sie den Text abwechslungsreich, indem Sie,

wenn möglich Passivsätze bilden (Hall/Scheiner: 70)

können bei den Lernern Missverständnisse auf der Ebene des

Sprachbewusstseins verursachen: es wird ihnen nämlich

suggeriert, dass Passiv und Aktiv beliebige Varianten sind, die

man synonymisch in jedem Text gebrauchen kann.

Dies leitet über zur Frage nach der effektiven Authentizität und

Textsortenzugehörigkeit der ausgewählten Texte. So enthält der

5 Es wäre zum Beispiel sinnvoll, den Lernern mittels einer Erklärung des Rekurses auf den Platzhalter es in Verbindung mit der Perspektive der Thema-Rhema-Gliederung zu erläutern, dass es + Passiv dem Sprecher/Schreiber erlaubt, kommunikativ relevante Elemente an das Ende des Satzes in eine rhematische Stellung zu schieben.

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Text Glasklare Sache (Hall/Scheiner: 77) eine detaillierte

Schilderung der Altglasverarbeitung. Ob es sich dabei um einen

Zeitungsartikel bzw. die Beschreibung eines Verfahrens handelt,

ist nicht zu erschließen. Die Tatsache, dass darin 20 Sätze mit

dem unpersönlichen man vorkommen, lässt Zweifel über die

Authentizität des Textes entstehen.

Eine analoge Beobachtung gilt für folgende, zum Thema

Passivumschreibungen aufgeführte, Übungsanweisung: „Erzählen

Sie das folgende Märchen in Sätzen mit lassen + Infinitiv“. Als

Modell dafür wird u.a. folgendes Sprachmaterial angegeben:

Aschenputtel ließ zu,

1. dass sie wie eine Küchenmagd behandelt wurde

2. dass ihr alle schweren Arbeiten aufgebürdet wurden

3. dass ihr alle schönen Kleider weggenommen wurden

(Hall/Scheiner: 85-86)

Hierbei wird der Ausgangstext der Textsorte Märchen mit

sprachlichen Mitteln in die Form - dass-Sätze plus Passiv

umformuliert. Das Resultat sind befremdliche Sätze, deren

Struktur für diese Textsorte untypisch ist. Die Anweisung, diese

schon „strapazierte“ Textsorte in Sätzen mit lassen + Infinitiv zu

erzählen, zielt lediglich auf die formale Beherrschung der

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Passivvariante ab und führt als Übungsergebnis ebenso wenig zu

einem authentisch wirkenden Text. Es entsteht lediglich eine

Ansammlung einzelner Sätze, die thematisch miteinander

verbunden sind.

Es drängt sich der Zweifel auf, ob die Lerner durch solche

Übungen tatsächlich dazu befähigt werden, „das Gelernte aktiv

anzuwenden“ (Hall/Scheiner: 3) und es für die angemessene

Produktion eigener Texte zu gebrauchen.

2.2 Grammatik mit Sinn und Verstand

Die Grammatik mit Sinn und Verstand ist funktional strukturiert

und geht von den kommunikativen Grundfunktionen

menschlichen Seins zu deren sprachlichen

Ausdrucksmöglichkeiten über. Dabei ist die grammatische Form

der jeweiligen sprachlichen Mittel den Funktionen der

sprachlichen Äußerung (nach dem onomasiologischen Prinzip)

untergeordnet. Dies wird schon aus dem Inhaltsverzeichnis

ersichtlich. Dort findet man nicht die klassische

sprachsystematische Einteilung in Artikel, Nomen, Verb, usw.,

sondern inhaltlich orientierte Überschriften: das Kapitel zum

Konjunktiv ist beispielsweise mit dem bildhaften Titel Wenn ich

ein Vöglein wäre? überschrieben.

Das Kapitel zum Passiv wird durch eine amüsante Illustration

eingeführt: Ein Löwe und eine Gazelle sitzen am Tisch mit einer

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Speisekarte in der Hand. Der Löwe sieht die Gazelle drohend an.

Darunter steht die Überschrift Vom Fressen und Gefressen

werden. Hier wird das Passiv in einem witzigen, bildhaften

Kontext eingeführt, der einen lockeren Bezug zum

grammatischen Thema herstellt. Damit werden die Lerner ganz

im Sinne der Autoren „mit Sinn und Verstand“ angesprochen.

Auf der folgenden Seite werden verschiedene Präsentationstexte

überwiegend literarischen Charakters dargestellt, die Aktiv-

beziehungsweise Passivstrukturen enthalten (Rug/Tomaszewski:

36). Die Texte werden jedoch nicht kommentiert und es ist unklar,

wie man sie behandeln soll.

In dem darauf folgenden Teil Grammatik im Kasten werden die

Begriffe Aktiv und Passiv anhand einzelner kommentierter

Beispiele erläutert:

In Aktivsätzen sieht man besonders, wer etwas tut, wer in

Aktion ist…in Passivsätzen sieht man besonders, was passiert,

was geschehen ist…der Vorgang, der Prozess werden

beschrieben; wer etwas tut oder getan hat, erscheint auf den

ersten Blick nicht so wichtig (Rug/Tomaszewski: 37).

Daran anschließend werden nicht nur die Formen des Passivs,

sondern auch einige seiner Funktionen erläutert wie z. B.

Betonung des Geschehens, Beschreibung der Normen, Bezug auf

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die Perspektive des Opfers (Rug/Tomaszewski: 38).

Mit dem Hinweis auf die Fokussierung auf das Geschehen und auf

die Agensabgewandtheit des werden-Passivs sind dabei “schon

wichtige kommunikative Momente angesprochen“ (Leirbukt 2004:

277).

Interessant erscheint in dieser Hinsicht die Übung 1, die auf die

Gründe hinweist, die sich bei Passivsätzen für die Aussparung des

Agens anführen lassen. Unter jedem Satz im Passiv steht jeweils

eine Erläuterung zur Nicht-Nennung des Agens

(Rug/Tomaszewski: 38).

Dabei werden sowohl textuelle Faktoren wie anaphorische Ellipse

als auch situative Momente wie die Unbekanntheit des Agens oder

die Absicht, es unbenannt zu lassen mitberücksichtigt (vgl.

Leirbukt 2004: 277).

In dem restlichen Übungsteil herrschen hauptsächlich

formalgrammatisch orientierte Aufgaben vor, die aus

satzbezogenen Transformationsübungen vom Aktiv ins Passiv

ohne Bezug auf Texte bestehen. Dies gilt insbesondere auch für

passivische Varianten, die als konkurrierende Ausdrucksweisen zu

modalen Passivsätzen mit müssen, sollen, können, dürfen

dargestellt werden, ohne Hinweise zu ihrem effektiven Gebrauch

in bestimmten Textsorten zu liefern, für die sie typischer als

andere Passivformen erscheinen (Rug/Tomaszewski: 43).

Aus isolierten Transformationsübungen von einer Passivvariante

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in die andere entstehen oft Sätze, die künstlich wirken. Beispiel:

„Seine Formulierungen konnten sehr missverstanden sein“ als

mögliche Umformung des Ausgangssatzes „Seine

Formulierungen waren sehr missverständlich“

(Rug/Tomaszewski: 42).

Es werden des Weiteren semantische Nuancierungen hergestellt.

Bei der Beschreibung der Agensangabe werden beispielsweise

die Präpositionen von und durch eingeführt sowie die als typisch

für die Schriftsprache bezeichneten Präpositionen seitens, mittels,

mithilfe, aufgrund (Rug/Tomaszewski: 40). Durch den Austausch

solcher Präpositionen entstehen semantische Verschiebungen in

kausaler (aufgrund) und instrumentaler (mittels, mithilfe)

Richtung, die dem Lerner jedoch nicht erläutert werden.6

Der fehlende Textsortenbezug und die damit verbundene

mangelhafte Arbeit am Text werden mithilfe sogenannter

integrierter Stilübungen im letzten Teil des Kapitels kompensiert.

Hier ist der Versuch bemerkbar, den Lernern anhand von

authentischen Texten ein Gefühl dafür zu vermitteln, wann es

angemessen erscheint, etwas im Passiv zu formulieren. So werden

zum Beispiel in der Übung 18 drei Texte präsentiert, die Sätze im

Aktiv und Passiv enthalten; die Lerner werden dann aufgefordert,

sich über den Grund der Verwendung beider Strukturen im Text

Überlegungen zu machen (Rug/Tomaszewski: 45). In der Übung

6 Zu der Semantik der Präpositionen bei der Agensangabe siehe Leirbukt (2004: 276).

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19 müssen sie in Gruppenarbeit Sätze vergleichen, die sich auf die

gleiche Situation beziehen, darunter die angemessene

Ausdrucksweise finden und ihre Wahl begründen. Interessant ist

auch die letzte Übung, die unter dem Titel Passiv in Texten Bezug

auf bereits eingeführte Texte nimmt und die Lerner auffordert,

eine Paradiesgeschichte von Helme Heine, die im Aktiv steht, ins

Passiv umzuwandeln. Anregend ist dabei die Aufforderung zur

Diskussion in Gruppenarbeit über die passende Textform und die

Hauptunterschiede „im Stil“ zwischen Ausgangstext und

Endprodukt (Rug/Tomaszewski: 45).

Es handelt sich jedoch hauptsächlich um literarische Texte, die

nicht den vielfältigen situationstypischen Gebrauch des Passivs

demonstrieren können. Sachliche Textsorten treten nur am Rande

auf.

2.3 Fazit

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in den

analysierten Übungsgrammatiken die Forderung, dem Text als

zentraler Einheit der Sprache eine größere Aufmerksamkeit bei

der Grammatikvermittlung zu widmen (vgl. Engel 1990), nur

teilweise erfüllt wird. Das Passiv wird den Lernenden anhand

authentischer Texte in dafür charakteristischen

Verwendungszusammenhängen vorgestellt. Im Übungsteil

herrschen jedoch vorwiegend kontextlose, reproduktive und

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satzbezogene Übungsformen vor, die hauptsächlich auf die

formale Automatisierung des sprachlichen Phänomens abzielen.

3. Überlegungen zu einer textsorten- und

situationsorientierten Gestaltung von Grammatikübungen

zum Passiv

Aus der oben durchgeführten Untersuchung lassen sich zwei

Forderungen in Bezug auf den Umgang mit dem Passiv im DaF-

Unterricht ableiten, die eine stärkere Berücksichtigung

kommunikativer und textueller Begebenheiten abzielen:

- Einführung in das Passiv anhand derjenigen Textsorten, die

Passivformen mit hoher Frequenz aufweisen und deren

jeweilige Funktion am Text veranschaulichen;

- Situative Einbettung7

und textsortenzentrierte

Übungsgestaltung.

3.1 Auswahl der Texte zum Einstieg in die Behandlung des

Passivs

Das Passiv und relative Umschreibungen können im DaF-

Unterricht an vielfältigen Textsorten veranschaulicht werden.

Texttypologien, die in Betracht kommen, sind zum Beispiel:

7 Dabei wird auf den Begriff des situativen Grammatikunterrichts von Boettcher/Sitta (1978) hingewiesen, bei dem Sprache im Rahmen ihrer kontextuellen Wirkungsabsicht und realen Wirkungsweise erarbeitet wird.

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- instruktive Texte wie Gebrauchanweisungen, Beipackzettel,

Kochrezepte, Gesetzestexte;

- argumentative Texte wie wissenschaftliche Abhandlungen

und politische Reden;

- deskriptive Texte wie Nachrichten und Berichte. (vgl.

Weinrich 2003: 166-167)

- Auch narrative Texte können oft Passivformen enthalten.

Man vergleiche die folgende Stelle aus der anonymen

Erzählung eines Traums:8

Ich saß in etwas dunklem. [...] ich konnte mir einfach nicht

erklären, wo ich war. […] Ich bemerkte wie von mir etwas

geöffnet wurde. Dann kam eine riesige Pfote herein und ich

schnupperte daran. Wenig später wurde ich auf irgendetwas

abgesetzt. [...] ich wurde hart weg geschoben und flog in die

Ecke meines Käfigs. Ich wurde hochgehoben, und auf den

Rücken gedreht und dort festgehalten.

(

http://www.witzeforum.de/ftopic3411.html)

Einstiegstexte sollten nicht isoliert und ohne

Bearbeitungshinweise stehen. Lerner sollten dazu aufgefordert

werden, die Funktion zu ergreifen, die die passivische Struktur im

8 Vgl. dazu Thurmair (2004: 96).

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jeweiligen Text ausübt. In der Traumerzählung nimmt zum

Beispiel das Subjekt eine passivische Haltung ein: es steht

handlungsunfähig im Mittelpunkt des Geschehens und schildert

mittels des Passivs die auf ihn einwirkenden Ereignisse.

Folgende Hausordnung eines Hotels weist überwiegend Formen

mit der passivischen Variante sein + zu + Infinitiv auf:

Reinigung

• Haus und Grundstück sind in einem sauberen und reinen

Zustand zu erhalten

• Der im Haushalt anfallende Müll darf nur in die dafür

vorgesehenen Mülltonnen und Container entsorgt werden. Auf

eine konsequente Trennung des Mülls

. Nach einem vom Vermieter aufgestellten

Reinigungsplan müssen die Mieter abwechselnd Flure,

Treppen, Fenster und Dachbodenräume, Zugangswege

außerhalb des Hauses, den Hof, den Standplatz der

Müllgefäße und den Bürgersteig vor dem Haus reinigen.

ist zu achten.

Sondermüll und Sperrgut gehören nicht in diese Behälter. Sie

sind nach der Satzung der Stadt gesondert zu entsorgen

• Blumenbretter und Blumenkästen müssen am Balkon oder auf

der Fensterbank sicher angebracht werden. Beim Gießen von

Blumen

.

ist darauf zu achten, dass das Wasser nicht an der

Hauswand herunterläuft und auf die Fenster und Balkone

anderer Mieter tropft.

(http://www.mieterbund.de/download/hausordnung.pdf)

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In diesem Textabschnitt kommen vor allem Sätze mit

sein+zu+Infinitiv und lediglich zwei mit dem Modal-Passiv vor.

Dass diese zwei Passivformen miteinander konkurrieren

(Rug/Tomaszewski: 43) trifft also nicht ohne weiteres zu, denn

die erste Variante scheint häufiger in instruktiven Texten

vorzukommen, die Handlungen reglementieren.

3.2 Übungsgestaltung

Übungen zum Passiv sollten nicht ausschließlich aus isolierten,

satzbezogenen Transformations- und Einsetzübungen bestehen,

sondern in dafür charakteristische Textsorten eingebettet sein, die

die Funktion passivischer Strukturen durch Situations- und

Textsortenbezug verdeutlichen. Mit der situativen und

thematischen Einbettung der Grammatikübungen gehen nämlich

auch inhaltliche und pragmatische Aspekte in das

Übungsgeschehen mit ein, so dass die Funktion des

grammatischen Phänomens in der Kommunikation erkennbar ist.

Dazu könnten folgende Übungsmöglichkeiten eingesetzt werden:

a) Einsetzübungen von Passiv- oder Aktivsätzen in einen

bestimmten vorgegebenen kommunikativen Kontext.

b) Textsortentransformationen.

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Zu a): Im folgenden Beispiel wird eine Situation skizziert. Die

Lerner sollen sich für eine der zwei sprachlichen Möglichkeiten

entscheiden:

Der Hausbesitzer wendet sich an seinen Mieter, um ihm eine

Erhöhung der Miete mitzuteilen. Welcher Satz ist in dieser

Situation angemessener? Begründe deine Entscheidung.

Der Hausbesitzer: „Herr Müller, die Miete muss leider erhöht

werden“.

Der Hausbesitzer: „Ich kriege eine höhere Miete, Herr

Müller“.9

Die Einbettung passivischer Sätze in einen geeigneten Kontext

und deren Vergleich mit aktivischen Sätzen ermöglicht es den

Lernern, den pragmatischen Wert der jeweiligen Formen zu

erfassen.

Zu b): Da die Verwendung von Aktiv oder Passiv stark mit der

Wahl der zu produzierenden Textsorte zusammenhängt, können

Transformationsübungen mit einem Textsortenwechsel verbunden

werden, der den Sinn der sprachlichen Umformung begründet.10

9 Beispiel aus Rug/Tomaszewski (2001: 46).

10 Vgl. dazu Thurmair (2004: 94-96).

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Zum Beispiel könnte man folgende Gebrauchsanweisung für ein

Haushaltsgerät in eine mündliche Erklärung umwandeln (s.u.), bei

der ein Verkäufer seine Kundin über einige wichtige

Sicherheitshinweise informiert:

Sicherheitshinweise: Fensterreiniger MultiMax

Das Gerät darf nur von autorisierten Personen geöffnet

werden. Das fest angebrachte Stromkabel darf nicht

abgetrennt werden und durch ein anderes Kabel ersetzt

werden. Ein Verlängerungskabel beliebiger Länge kann

natürlich verwendet werden.……Bevor Sie mit der Reinigung

und Pflege von MultiMax beginnen, muss das Gerät vom Netz

getrennt sein sowie auch abgekühlt sein. Aus Gründen der

elektrischen Sicherheit darf das Gerät zur Reinigung niemals

in Wasser oder andere Flüssigkeit getaucht werden

(http://www.tien.de/download/multimax.pdf).

Mündliche Erklärung: Sie dürfen das Gerät nie allein öffnen.

Trennen Sie das Stromkabel nicht ab und ersetzten es nicht

durch ein anderes Kabel. Natürlich können Sie ein

Verlängerungskabel verwenden…. Bevor Sie mit der

Reinigung und Pflege von MultiMax beginnen, müssen Sie das

Gerät vom Netz trennen und abkühlen lassen. Tauchen Sie das

Gerät nicht in Wasser oder andere Flüssigkeiten.

Page 24: Die Behandlung des Passivs in den Übungsgrammatiken für ...

438

Dabei wird der Inhalt des ursprünglichen Texts in eine neue

Textsorte durch die Verwendung anderer sprachlicher Mittel

umgewandelt. Der ursprüngliche Text ist eine Anleitung, in der

eine sachliche Darstellungsperspektive vorherrscht, die durch das

Passiv geschaffen wird. Der zweite Text ist eine mündliche

Erklärung, die das handelnde Subjekt (Sie) in den Vordergrund

stellt, weshalb hier das Aktiv geeignet ist.

Auch folgendes Kochrezept lässt sich in einen mündlichen

Bericht umwandeln, der von einem Koch am Ende einer

Kochsendung im Fernsehen wiedergegeben werden könnte:

Weinsuppe mit Suppenhuhn

Die Henne wird mit dem geschnittenen Suppengrün nicht ganz

weich gekocht (1 Stunde). Man nimmt die Henne aus dem Topf,

zieht die Haut ab und stellt sie dann kalt. Die Suppe wird

abgeseiht, mit Salz, Pfeffer und Rosmarin gewürzt. Eine helle

Schwitze wird zubereitet und mit Brühe und Wein aufgegossen.

Man teilt die Henne, das Fleisch wird vom Knochen gelöst und

in Würfel geschnitten. Anschließend gibt man das Fleisch in

die Suppe. Am besten lässt man die Weinsuppe durchziehen

und isst sie erst am nächsten Tag. (

http://www.historisches-

franken.de/essen/011weinsuppe.htm)

Page 25: Die Behandlung des Passivs in den Übungsgrammatiken für ...

439

Mündliche Vorgangsbeschreibung: Wir haben die Henne mit

dem geschnittenen Suppengrün nicht ganz weich gekocht (1

Stunde). Wir haben sie aus dem Topf genommen, die Haut

abgezogen und sie dann kalt gestellt. Dann haben wir die

Suppe abgeseiht, mit Salz, Pfeffer und Rosmarin gewürzt. Wir

haben eine helle Schwitze zubereitet und mit Brühe und Wein

aufgegossen. Dann haben wir die Henne geteilt, das Fleisch

vom Knochen gelöst und in Würfel geschnitten. Anschließend

haben wir das Fleisch in die Suppe gegeben. Am besten lässt

man die Weinsuppe durchziehen und isst sie erst am nächsten

Tag.

Grammatikarbeit kann dadurch zur Entwicklung einer

Textsortenkompetenz beitragen, indem insbesondere die

Reflexion über die bei den Lernern oft unbewusste enge

Beziehung zwischen Textsorte und den jeweils dafür typischen

sprachlichen Mitteln in den Mittelpunkt rückt.

Beim Umgang mit dem Passiv durch solche

Textsortentransformationsübungen können auch spielerische

lernaktivierende Sozialformen eingesetzt werden, die einen

lockeren Umgang mit der Sprache fördern. Zum Beispiel können

die Lerner in zwei Gruppen unterteilt werden, wobei die erste

Gruppe der zweiten mündlich erklären muss, wie ein

Computerspiel funktioniert (zum Beispiel das Tamagochi) und die

zweite Gruppe versuchen muss, die Hinweise praktisch

Page 26: Die Behandlung des Passivs in den Übungsgrammatiken für ...

440

umzusetzen. Als Alternative dazu könnte eine Gruppe in Form

einer schriftlichen Beschreibung erklären, was bei einer Person bei

einem Styling verändert wird/wurde. Die zweite Gruppe soll dann

eine Zeichnung vorher/nachher anfertigen: z.B. das Haar wurde

geschnitten, Lidschatten wurde aufgetragen usw .

4. Schlussbemerkung

Ich fasse zusammen: Die Behandlung des Passivs im DaF-

Unterricht soll satzübergreifend und durch Einbettung der

Übungen in charakteristische Textsorten erfolgen, welche die

Funktion passivischer Strukturen in der authentischen

Kommunikationspraxis verdeutlichen. Übungsgrammatiken, die

sich als textuell orientiert präsentieren, gehen immer noch sehr

form- und satzbezogen vor und vermitteln nur ansatzweise einen

authentischen Sprachgebrauch.

Eine textzentrierte und situationsorientierte Behandlung der

grammatischen Strukturen leistet einen wichtigen Beitrag zur

Vertiefung des Sprachkönnens beim Fremdsprachenlerner. Sie

erhöht außerdem durch den Wirkungszusammenhang von

Sprache, Inhalt und Textualität die Motivation und das Interesse

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441

für den oft zu recht verhassten Grammatikunterricht11

Daniela Sorrentino

.

Università di Pisa

Dottoranda in Linguistica delle Lingue moderne

Email: [email protected]

Bibliographische Hinweise

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11 In der italienischen DaF-Didaktik scheint in letzter Zeit der Text als zentrale Einheit der Grammatikvermittlung zunehmend in den Vordergrund zu rücken. Erwähnenswert ist diesbezüglich das Projekt einer Lerner- und Lernprozess-orientierten Grammatik, bei deren Konzeption der authentische Text Ausgangspunkt, Mittel und Ziel des Lernwegs darstellt. Vgl. Rogina (im Druck)

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