+ All Categories
Home > Documents > Die Aura der Kopie, Teil 1

Die Aura der Kopie, Teil 1

Date post: 10-Mar-2016
Category:
Upload: boris-von-brauchitsch
View: 222 times
Download: 1 times
Share this document with a friend
Description:
Kopie, Faelschung, Doppelgaenger, Copyright, Urheberrecht
1
SPEKTRUM bewertungen / experten / werkstatt I n Kaufhäusern warten palettenweise berühmte Meisterwerke der Kunst- geschichte in Öl auf Leinwand für eine Handvoll Dollar auf Käufer. Selbst für Experten nicht voneinander zu unterscheiden, schmücken sie Eigen- heime, Hotelzimmer, Restaurants und verbreiten jenes heimelige Flair, das nur gediegenes Handwerk zu verströmen vermag. Zugleich haben sie et- was Rührendes, denn hier war tatsächlich keine Maschine am Werk, sondern fast immer der flinke Pinsel in der mehr oder weniger geschickten Hand eines Chinesen, für den Renoir oder Richter, Chagall oder Waterhouse einigerma- ßen exotisch anmuten dürften. Manch- mal war es auch ein ganzes Team, das die Exoten wie am Fließband produ- zierte, jeder einzelne verantwortlich für ein paar Pinselstriche. Diese Maler markieren den Anfang einer neuen Zeit. Noch leben wir in der Ära des Originals, doch die neigt sich spürbar ihrem Ende entgegen. Noch wird der Kult des vom Künstler Erfunde- nen und authentisch durch ihn Erschaffenen von Galeristen, Sammlern, Mu- seen hochgehalten, aber man darf ruhig einmal fragen, was gegen eine Ar- beitsteilung zu sagen ist: Der eine hat die Idee, der andere vervielfältigt sie. In anderen Bereichen ist das schon lange, oder war das schon immer so. Wir dürfen daher auch in der Kunst langsam beginnen, zurückzublicken auf eine eher kurze Epoche, in der Originale alles und Kopien nichts gewesen sind. Dass wir am Beginn eines neuen Zeitalters stehen, dem des Digitalen, mag ein wichtiger Faktor dafür sein, dass das Festhalten am Originalbegriff anachro- nistisch erscheint. Ein zweiter ist die wachsende Dominanz einer fernöstlichen Kultur, die ein vollkommen anderes Verständnis vom Verhältnis zwischen Ori- ginal und Kopie verinnerlicht hat. Wenn, wie zuletzt Anfang des Jahres geschehen, der Chinese Hu dem Ame- rikaner Obama erklärt, man erwarte – quasi als Gegenleistung für ein Auf- tragsvolumen von 45 Milliarden Dollar – gegenseitigen Respekt für die jewei- ligen nationalen Eigenheiten, dann meinte er damit wohl nicht nur den Umgang mit Menschenrechten, son- dern möglicherweise auch eine abwei- chende Auffassung hinsichtlich geisti- gen Eigentums. Damit hat nicht nur die Kunst, sondern vor allem die west- liche Wirtschaft zu kämpfen, die kaum eine Gelegenheit auslässt, bei den Ver- antwortlichen in China auf die Einhal- tung ihrer Vorstellungen von Urheberrecht zu drängen. Es werden immer wieder Erfolge bei der Bekämpfung von sogenannter Pro- duktpiraterie proklamiert, doch man wird den Eindruck nicht los, alle vorgeb- lichen Anstrengungen in China dienten in erster Linie dazu, den Westen un- verbindlich hinzuhalten. Es werden Verträge unterzeichnet und nachdrückliche Mahnungen ausgesprochen, doch im chinesischen Netzwerk-Brauchtum, Gu- anxi genannt, haben Verträge nun mal einen nachgeordneten Rang. In den verflochtenen Zirkeln, geknüpft aus persönlichen Vertrauensverhältnissen, bei essay Die Aura der Kopie Eine Geschichte von legaler und illegaler Imitation (Teil I von II) Boris von Brauchitsch (* 1963), Takeaway I, Paris 2008 wissenswert Gleich, ob bei Leda, Apollon oder Lohengrin, der Schwan zog: Frauen in den Bann, Wagen durch die Luft, Nachen über den See. Klar, dass das anmutigste aller Nutztiere bis heute kulturelle Spuren hinterlässt. Nur zwei 25 mal 38 Zentimeter große Beiträge von Joseph Beuys schienen unlängst spurlos verschwunden. Aquarelle aus der 56 000 Werke starken Kunstsammlung des Global Players Deutsche Bank (Abb. eines von beiden). Gestohlen? Soweit wollte man erst nicht gehen, dann doch. Das BKA löste Fahndung aus: „Am Mittwoch, 09.02.2011 wurden in Frankfurt zwei Bilder des Künstlers Joseph Beuys, „Schwäne“ von 1953, Gesamtwert ca. 200.000,- Euro, ent- wendet“, war auf www.polizei.hessen.de zu lesen. Gauner hatten offenbar eine günstige Gelegen- heit beim Rückzug des Riesen in die zwischenzeitlich generalüberholten Doppeltürme, Taunusan- lage 12, genutzt. In Wahrheit waren die Vögel dort gar nie gewesen. Sie sind noch immer in einer Dependence des Konzerns in den USA. Die Aura, die feinsinnige Betrachter immer wieder vor Kunstwerken spüren, ist ein weihe- und wirkungsvoller Plazeboeffekt, der jedem Werk innewohnt, das für ein Original gehalten wird
Transcript

SPEKTRUMbewertungen / experten / werkstatt

In Kaufhäusern warten palettenweise berühmte Meisterwerke der Kunst-geschichte in Öl auf Leinwand für eine Handvoll Dollar auf Käufer. Selbst für Experten nicht voneinander zu unterscheiden, schmücken sie Eigen-heime, Hotelzimmer, Restaurants und verbreiten jenes heimelige Flair,

das nur gediegenes Handwerk zu verströmen vermag. Zugleich haben sie et-was Rührendes, denn hier war tatsächlich keine Maschine am Werk, sondern fast immer der flinke Pinsel in der mehr oder weniger geschickten Hand eines Chinesen, für den Renoir oder Richter, Chagall oder Waterhouse einigerma-ßen exotisch anmuten dürften. Manch-mal war es auch ein ganzes Team, das die Exoten wie am Fließband produ-zierte, jeder einzelne verantwortlich für ein paar Pinselstriche.

Diese Maler markieren den Anfang einer neuen Zeit. Noch leben wir in der Ära des Originals, doch die neigt sich spürbar ihrem Ende entgegen. Noch wird der Kult des vom Künstler Erfunde-nen und authentisch durch ihn Erschaffenen von Galeristen, Sammlern, Mu-seen hochgehalten, aber man darf ruhig einmal fragen, was gegen eine Ar-beitsteilung zu sagen ist: Der eine hat die Idee, der andere vervielfältigt sie. In anderen Bereichen ist das schon lange, oder war das schon immer so. Wir dürfen daher auch in der Kunst langsam beginnen, zurückzublicken auf eine eher kurze Epoche, in der Originale alles und Kopien nichts gewesen sind. Dass wir am Beginn eines neuen Zeitalters stehen, dem des Digitalen, mag ein

wichtiger Faktor dafür sein, dass das Festhalten am Originalbegriff anachro-nistisch erscheint. Ein zweiter ist die wachsende Dominanz einer fernöstlichen Kultur, die ein vollkommen anderes Verständnis vom Verhältnis zwischen Ori-ginal und Kopie verinnerlicht hat.

Wenn, wie zuletzt Anfang des Jahres geschehen, der Chinese Hu dem Ame-rikaner Obama erklärt, man erwarte – quasi als Gegenleistung für ein Auf-

tragsvolumen von 45 Milliarden Dollar – gegenseitigen Respekt für die jewei-ligen nationalen Eigenheiten, dann meinte er damit wohl nicht nur den Umgang mit Menschenrechten, son-dern möglicherweise auch eine abwei-chende Auffassung hinsichtlich geisti-gen Eigentums. Damit hat nicht nur die Kunst, sondern vor allem die west-liche Wirtschaft zu kämpfen, die kaum eine Gelegenheit auslässt, bei den Ver-antwortlichen in China auf die Einhal-

tung ihrer Vorstellungen von Urheberrecht zu drängen.Es werden immer wieder Erfolge bei der Bekämpfung von sogenannter Pro-

duktpiraterie proklamiert, doch man wird den Eindruck nicht los, alle vorgeb-lichen Anstrengungen in China dienten in erster Linie dazu, den Westen un-verbindlich hinzuhalten. Es werden Verträge unterzeichnet und nachdrückliche Mahnungen ausgesprochen, doch im chinesischen Netzwerk-Brauchtum, Gu-anxi genannt, haben Verträge nun mal einen nachgeordneten Rang. In den verflochtenen Zirkeln, geknüpft aus persönlichen Vertrauensverhältnissen, bei

essay

Die Aura der Kopie Eine Geschichte von legaler und illegaler Imitation (Teil I von II)

Boris von Brauchitsch (* 1963), Takeaway I, Paris 2008

wissenswert Gleich, ob bei Leda, Apollon oder Lohengrin, der Schwan zog: Frauen in den Bann, Wagen durch die Luft, Nachen über den See. Klar, dass das anmutigste aller Nutztiere bis heute kulturelle Spuren hinterlässt. Nur zwei 25 mal 38 Zentimeter große Beiträge von Joseph Beuys schienen unlängst spurlos verschwunden. Aquarelle aus der 56 000 Werke starken Kunstsammlung des Global Players Deutsche Bank (Abb. eines von beiden). Gestohlen? Soweit wollte man erst nicht gehen, dann doch. Das BKA löste Fahndung aus: „Am Mittwoch, 09.02.2011 wurden in Frankfurt zwei Bilder des Künstlers Joseph Beuys, „Schwäne“ von 1953, Gesamtwert ca. 200.000,- Euro, ent-wendet“, war auf www.polizei.hessen.de zu lesen. Gauner hatten offenbar eine günstige Gelegen- heit beim Rückzug des Riesen in die zwischenzeitlich generalüberholten Doppeltürme, Taunusan-lage 12, genutzt. In Wahrheit waren die Vögel dort gar nie gewesen. Sie sind noch immer in einer Dependence des Konzerns in den USA.

Die Aura, die feinsinnige Betrachter immer wieder vor Kunstwerken spüren, ist

ein weihe- und wirkungsvoller Plazeboeffekt, der jedem Werk innewohnt, das für ein

Original gehalten wird

Recommended