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Der Prüfingenieur Ausgabe 43

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www.bvpi.de | ISSN 1430-9084 DER PRÜFINGENIEUR Das Magazin der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik November 2013 | 43 Sicherheit muss Vorrang vor dem Gewinnstreben haben Brandschutztechnische Bauteilprüfungen für die Diagnose des Tragvermögens Neue Brandschutzmöglichkeiten durch die Muster-Industriebaurichtlinie EU-Richtlinien verändern die Bauaufsicht im Eisenbahnsektor Der Bau der Kanalüberführung Elbeu bei Aufrechterhaltung der Schifffahrt Der Katzenbergtunnel: Wegweisende Innovationen und neue Bauweisen Die Eurocodes müssen die Technik repräsentieren und nicht die Wissenschaft Warum tun wir uns mit Großprojekten so schwer? Ist die Zwei-Klassen-Gesellschaft im Prüfwesen verfassungsgemäß?
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Page 1: Der Prüfingenieur Ausgabe 43

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DER PRÜFINGENIEURDas Magazin der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik

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■ Sicherheit muss Vorrang vor dem Gewinnstreben haben■ Brandschutztechnische Bauteilprüfungen für die Diagnose des Tragvermögens■ Neue Brandschutzmöglichkeiten durch die Muster-Industriebaurichtlinie■ EU-Richtlinien verändern die Bauaufsicht im Eisenbahnsektor■ Der Bau der Kanalüberführung Elbeu bei Aufrechterhaltung der Schifffahrt■ Der Katzenbergtunnel: Wegweisende Innovationen und neue Bauweisen■ Die Eurocodes müssen die Technik repräsentieren und nicht die Wissenschaft■ Warum tun wir uns mit Großprojekten so schwer?■ Ist die Zwei-Klassen-Gesellschaft im Prüfwesen verfassungsgemäß?

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INHALT

Der Prüfingenieur | November 2013 3

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EDITORIAL

Dr.-Ing. Markus Wetzel: Sicherheit muss Vorrang vor dem Gewinnstreben haben 4

NACHRICHTEN

Bundesvereinigung der Prüfingenieure fordert neuen Bauschadensbericht 6

vpi-EBA-Fachtagung mit Vorträgen aus dem Eisenbahnbau 11

800 Teilnehmer beim 27. Fortbildungsseminar für Tragwerksplaner in Hessen 12

Heißbemessungs-Seminar für Brandschutznachweise mit allgemeinen Rechenverfahren 13

BVPI-Arbeitstagung 2014 am 19. und 20. September in Bremerhaven 13

VPI Bayern fordert Ende der Zweiteilung des bautechnischen Prüfsystems 14

CEBC diskutiert in Jerusalem Einbindung des BIM in die Bauaufsicht 15

DPÜ, BÜV und TOS wollen ihre Kooperation „symbiotisch und synergetisch“ vertiefen 16

Landesvereinigung NW initiierte Richtlinie für die Bemessung von Holztragwerken 16

BÜV-Lehrgang für Sachkundige Planer im Bereich Schutz von Betonbauteilen 17

BRANDSCHUTZUniv.-Prof. Dr.-Ing. Frank Dehn, Dr.-Ing. Jörg Schmidt: Brandschutztechnische Bauteilprüfungen für die Diagnose des Tragvermögens 18

Prof. Dr.-Ing. Frank Riesner: Neue Gestaltungsrahmen für den Brandschutz durchdie Anwendung der Muster-Industriebaurichtlinie 24

BAUAUFSICHT

Dipl.-Ing. Markus Köppel: Die Umsetzung von EU-Richtlinien im Eisenbahnsektorverändert die Aufsicht und Genehmigung durch das EBA 34

WASSERBAUWERKE

Dipl.-Ing. (TU) Karl-Heinz Wiese: Der Neubau der Kanalüberführung Elbeu beidurchgängiger Aufrechterhaltung der Schifffahrt 48

TUNNELBAU

Dipl.-Ing. (FH) Heinz-Georg Haid: Der Katzenbergtunnel: Eines der modernsten und größten Einzelbauwerke im europäischen Schienenverkehr 54

NORMUNG

Dr.-Ing. Lars Meyer: Die Eurocodes 2020 müssen den Stand der Technikrepräsentieren und nicht den Stand der Wissenschaft 61

GROSSPROJEKTE

Dipl.-Ing. Martin Schlegel: Warum ist das Image unserer Branche so angeschlagen?Warum tun wir uns mit Großprojekten so schwer? 68

HAFTUNG

Dr.-jur. Ulrich Dieckert: Der Prüfsachverständige ist Einflussnahmen ausgesetzt,die sich negativ auf die Bauwerks-Sicherheit auswirken 72

IMPRESSUM 78

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EDITORIAL

4 Der Prüfingenieur | November 2013

Sicherheit muss Vorrang vor dem Gewinnstreben haben

Sie sind uralt, in der Praxiswelt des Bauens bekannt und in Teilenwahrscheinlich längst überholt. Aber die Tendenz, die diese Zahlen da-mals ausdrückten, und die volkswirtschaftlichen Konsequenzen sowiebaupolitischen Sicherheitsrisiken, für die sie stehen, stimmen heutenoch: „Die durch Fehler bei der Planung, Ausführung und Materialher-stellung verursachten vermeidbaren Schadenskosten bei Hochbauleis-tungen werden auf circa 3,3 Milliarden Euro geschätzt. Davon entfälltrund die Hälfte auf Fehlleistungen und Bauschäden bei Instandsetzungund Modernisierungen.“ So stand und steht es immer noch (allerdingsin D-Mark-Ziffern ausgedrückt) im 3. Bauschadensbericht der Bundes-regierung, der aus dem Jahre 1995 stammt!

Bei näherer Betrachtung dieser Zahl werden wir als planende, prüfen-de oder bauüberwachende Ingenieure und Prüfingenieure feststellen,dass nicht etwa ein einzelner Fehler die Sicherheitsmargen aufge-braucht hat, sondern eine Vielzahl kleiner Einflüsse, Mängel oder Un-achtsamkeiten in Planung und Ausführung, die sich zusammengefun-den und in der Summe als Teil- oder Vollversagen einer Konstruktionein – gemessen an den Einzelursachen – erhebliches Resultat zur Fol-ge haben. Die Stichworte dazu lauten, wir kennen sie alle, unabhängigdavon, welche Aufgaben und Pflichten wir am Bau erfüllen:

■ mangelhaftes Material, ■ unvollständige Planung, ■ schlechte Ausführung und Verarbeitung,■ unvollständig geschultes Personal für Ausführung, Anleitung, Be-

treuung und Überwachung.

Wie kann Sicherheit in dem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft,Verwaltung, Industrie, Planung und bautechnischer Prüfung und Über-wachung mit ihren jeweils divergierenden Interessen in Übereinstim-mung gebracht werden?

Die Bemühungen um eine Antwort auf diese Frage berührt und moti-viert uns Bauschaffende jeden Tag. Sie sollte aber auch die Bundesre-gierung veranlassen, möglichst unverzüglich einen neuen Bauscha-densbericht in Auftrag zu geben, damit wir als Gesellschaft sehen kön-nen, wo wir heute stehen.

Unser Kollege Klaus Stiglat hat in diesem Zusammenhang einmal da-rauf verwiesen, dass Sicherheit in manchmal sich widersprechendenFeldern von wissenschaftlicher Erkenntnis, praktischer Vernunft undunternehmerischem Gewinnstreben zu bestehen habe. Und dem Ge-winnstreben rechnet er nicht nur die rein materiellen Profitzwecke zu,sondern auch und ausdrücklich dessen politische Komponenten, jeneübergeordneten Details gesetzgeberischen Eifers und staatlichen Voll-führens also, die sich unter den Begriffen Deregulierung, (eigen)verant-wortliche Bauherrenschaft, Verwaltungsvereinfachung und mangelndeoder gar fehlende Amtshaftung am ehesten subsumieren lassen.

Die wissenschaftliche Komponente lässt sich nicht vom Baualltag ab-koppeln. Hier kann man abstrakte Gefahrenpotentiale, Eintrittswahr-scheinlichkeiten und Restrisiken vortrefflich diskutieren. Eines wird da-bei aber auch sehr schnell klar: die sicherheitstechnischen Erwägun-gen müssen immer den Vorrang vor etwaigen wirtschaftlichen Überle-gungen haben.

Für uns als Prüfingenieure bedeutet dies, die Berechnungen zu prüfen,Abweichungen herauszuarbeiten und mit den jeweils neuesten bezie-hungsweise geltenden Normversionen abzugleichen. Aber das alleinreicht nicht aus. Wir müssen – was fast noch wichtiger ist – auch dieLogik und Stringenz einer Konstruktion in Planung und Ausführung er-fassen, hierbei das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheidenund uns das Ziel unseres Tuns ständig vor Augen führen – und damitmeine ich: die sichere, objektive und vor allem von Interessen Dritterunabhängige Begleitung und Inspektion der Planung und Ausführungvor Ort, damit schließlich eine sichere und funktionsfähige Konstrukti-on ausgeführt wird.

Im Gegensatz zu den meisten Produkten industrieller Fertigungspro-zesse haben wir es beim Bauen jedes Mal mit singulären Werken zutun, mit Prototypen also, für die es nur in seltenen Fällen wiederholba-re Vorlagen gibt. Hier liegt die Verantwortung für die funktionierendeKonstruktion auf den Schultern der planenden und prüfenden Inge-nieure, die auch über umfangreiche Erfahrungen in ingenieur- und na-turwissenschaftlicher Theorie und in betriebs- und verwaltungstechni-scher Praxis im Büro und auf der Baustelle verfügen müssen, um demberechtigten allgemeinen Anspruch an die Standsicherheit und an diesogenannte Gebrauchstauglichkeit der Konstruktionen entsprechen zukönnen.

Die Prüfingenieure werden diesem übergeordneten gesellschaftlichenVerlangen durch überdurchschnittliches Wissen und Erfahrung sowiedurch persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit gerecht.

Dr.-Ing. Markus WetzelPräsident der Bundesvereini-gung der Prüfingenieure fürBautechnik (BVPI)

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EDITORIAL

Der Prüfingenieur | November 2013 5

Manchmal bleibt uns die angemessene gesellschaftliche Anerkennungunseres Tuns versagt, jeder von uns hat schon hören können, dass diebautechnische Prüfung doch nur Geld koste. Andere sagen: Warum soaufwendig? Warum führen wir nicht einen wie auch immer „qualifi-zierten“ oder von wem auch immer „zertifizierten“ Ingenieur ein oderverteilen Urkunden und Ingenieurkarten, auf denen durch Organisa-tionen, die meistens in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhält-nis von Dritten stehen, bestätigt wird, wie hochqualifiziert und zertifi-ziert der jeweilige Ingenieur oder die jeweilige Ingenieurin angeblichist.

An dieser Stelle halte ich für uns alle fest: Für die Bewertung derStandsicherheit gibt es, im Zusammenspiel mit den jeweiligen obers-ten Bauaufsichten, keine bessere und neutralere Institution als denPrüfingenieur für Baustatik, Bautechnik und Brandschutz, da dieserunabhängig genug ist, um die hoheitlichen Aufgaben unbeeinflusstvon den wirtschaftlichen Interessen Dritter im Dienste der Allgemein-heit wahrnehmen zu können.

Es gibt Bundesländer, in denen wird privatrechtlich geprüft, es gibt an-dere Bundesländer, in denen wird öffentlich-rechtlich geprüft, und esgibt wiederum auch Bundesländer, in denen wird in Abhängigkeit vonder Komplexität und der Größe der Baumaßnahme sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich geprüft.

Als ich zum Prüfingenieur ernannt wurde, erhielt ich zwei Ernennungs-urkunden: eine als Prüfingenieur für Bautechnik für die Wahrnehmungeiner öffentlich-rechtlichen Prüfung und eine als Prüfsachverständigerfür Bautechnik für die Wahrnehmung einer privatrechtlichen Prüfung.Schon wenige Jahre nach Einführung dieses dualen Systems in Ham-burg hat sich die oberste Bauaufsicht im Einvernehmen mit den Prüfin-genieuren darauf verständigt, wieder ausschließlich öffentlich-recht-lich prüfen zu lassen, was meines Erachtens aufzeigt, dass eine öffent-lich-rechtliche Prüfung für die Allgemeinheit und für die öffentlichenund privaten Auftraggeber die unanfechtbar einzig objektive und un-abhängige Möglichkeit der Durchführung bautechnischer Prüfungendarstellt.

In Zeiten relativ leerer öffentlicher Kassen erleben wir es immer wiederund immer häufiger, dass in den Ämtern und Behörden der staatlichenVerwaltungen (und häufig auch in den Bauplanungsabteilungen derWirtschaft) bei personellen Neueinstellungen auf verantwortliche undentscheidungsbefugte Posten und Funktionen den Juristen der Vorzugvor den Ingenieuren gegeben wird, und zwar mit der Begründung, dastechnische Know-how könne im Fall der Fälle zugekauft werden, undes bedürfe in der Planung und beim Bau eines Bauwerkes in vielen Si-tuationen eher der verbindlichen rechtlichen denn einer fachlich-inge-nieurmäßigen Steuerung und Entscheidung.

Sollte in diesem Zusammenhang in den entsprechenden staatlichenBehörden und Ministerien nicht ernsthaft darüber nachgedacht wer-

den, dass ein in jeder Beziehung ausreichendes eigenes technischesKnow-how des Staates für die Bewältigung seiner eigenen techni-schen Aufgaben für das Funktionieren unserer ganzen Gesellschaftwesentlich ist (im eigentlichen Sinn dieses Wortes)?

Die Bedeutung der bautechnischen Prüfung für das allgemeine Sicher-heitsniveau und deren Auswirkung auf die volkswirtschaftlich nachtei-ligen Konsequenzen von Bauschäden darf nicht unterschätzt werden.Deshalb muss die Honorierung des Prüfingenieurs jenseits pekuniärerGrenzen beurteilt werden. Sie darf nicht nur das routinemäßige Über-prüfen und formulare Abhaken der Einhaltung oder Nichteinhaltungbestimmter Vorschriften und technischer Normen abgelten, sondernauch und vor allem eine finanzielle Würdigung jener Analysen enthal-ten, die für den Laien oder Unbeteiligten meistens nicht offenkundigsind, die sich aber erheblich auf die Wirtschaftlichkeit und die baulicheSicherheit eines Projektes auswirken können.

In mehreren Bundesländern ist diese inhaltlich so wichtige Arbeit derPrüfingenieure in ihrer Gebührenordnung bereits berücksichtigt, ande-re Bundesländer werden diesem Beispiel hoffentlich bald folgen.

Dort gibt es übrigens seit einigen Jahren eine Bewertungs- und Ver-rechnungsstelle der Prüfsachverständigen, der die Aufgabe obliegt, al-le Gebührenanfragen, die mit der Tätigkeit der prüfenden Ingenieurezu tun haben, zentral zu beantworten und die von den Prüfingenieu-ren zu erhebenden Gebühren den staatlichen oder privaten Mandan-ten in Rechnung zu stellen. Die Vorteile für die Auftraggeberschaft inStaat und Privatwirtschaft liegen auf der Hand. Die BVS könnten mitihrer beratenden und gutachterlichen Arbeit auch dazu beitragen, dassden Prüfsachverständigen in den einzelnen Bundesländern ihre Prüf-aufträge nicht in einem Preis- beziehungsweise Honorarwettbewerberteilt werden, sondern ausschließlich auf dem Wege eines Leistungs-wettbewerbs. Die Legalisierung, Realisierung und Anwendung diesesPrinzips ist umso unabänderlicher und auch dem Laien einsichtig, alsnur im Leistungswettbewerb die gewünschte, notwendige und staatli-cherseits verlangte fachliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit auchder Prüfsachverständigen verbrieft werden kann.

Am besten wäre es natürlich, wenn die privatwirtschaftlich beauftrag-ten Prüfsachverständigen nach der gleichen Gebührenordnung hono-riert würden, die für ihre amtlich beauftragten Kollegen gilt – schließ-lich sind ja auch ihre Tätigkeiten und Leistungen und Verantwortlich-keiten nahezu identisch.

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NACHRICHTEN

6 Der Prüfingenieur | November 2013

Bundesvereinigung der Prüfingenieure fordert alsbaldigeBeauftragung eines aktuellen BauschadensberichtesSollte das 2-Klassen-System des bautechnischen Prüfwesenseiner verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden?

Die Bundesvereinigung der Prüfinge-nieure für Bautechnik (BVPI) hat diekommende Bundesregierung aufgefor-dert, „unverzüglich eine Fortschreibungder Bauschadensberichte in Auftrag zugeben“, um, wie BVPI-Präsident Dr.-Ing.Markus Wetzel anlässlich der jüngstenArbeitstagung der BVPI in Konstanz sag-te, „die überholten Zahlen des letztenBauschadensberichtes von 1995 aktuali-sieren und um sehen zu können, wo wirheute stehen“. Gleichzeitig forderteWetzel die Regierungen der deutschenLänder auf, die Honorierung der privatbeauftragten Prüfsachverständigen injene staatlichen Gebührenordnungen zuüberführen, die für die hoheitlich tätigenPrüfingenieure gelten. Auf derselbenVeranstaltung hatte der Berliner Rechts-anwalt Dr. Ulrich Dieckert die Frage auf-geworfen, ob die Zwei-Klassen-Gesell-schaft des Prüfwesens und ob die Priva-tisierung der Bauaufsicht verfassungs-konform seien. Er hält als Fachjurist, gutbegründet, eine verfassungsrechtlicheÜberprüfung für notwendig, weil die pri-vatrechtlich beauftragten Prüfsachver-ständigen mit der gleichen öffentlich-rechtlichen Wirkung tätig seien, wie diehoheitlich tätigen Prüfingenieure, diesaber, ohne des öffentlich-rechtlichenSchutzes der Amtshaftung teilhaftig zuwerden, die ihre fachliche Unabhängig-keit sichern würde.

Unter dem lebhaften Beifall von rund 260Prüfingenieuren und ihren Gästen aus ganzDeutschland hatte BVPI-Präsident Wetzel diediesjährige Arbeitstagung der Prüfingenieureund Prüfsachverständigen Ende Septemberim historischen Konzilgebäude an den Uferndes Bodensees in Konstanz mit der Feststel-lung eröffnet, dass niemand in Deutschlandwisse, ob die alten Zahlen des letzten Bau-schadensberichtes von 1995 auch heutenoch stimmten, ob also die damals eruiertenvermeidbaren Schadenskosten bei Hochbau-leistungen, die zu jener Zeit bei Planung,Ausführung und Materialherstellung verur-sacht worden seien, auch heute noch immereinen Betrag von (umgerechnet) 3,3 Milliar-den Euro im Jahr ausmachten. Die Stichworte

für die verschiedenen Verantwortlichkeitenfür alle Schadenssummen am Bau lauteten,so Wetzel, damals wie heute: MangelhaftesMaterial, unvollständige Planung, schlechteAusführung und Verarbeitung sowie unvoll-ständig geschultes Personal für Ausführung,Anleitung, Betreuung und Überwachung. DieFrage, die sich damals wie heute stelle, lautedeshalb, „wie Sicherheit im Spannungsfeldder unterschiedlichen Interessenslagen vonWissenschaft, Verwaltung, Industrie, Planungund bautechnischer Prüfung und Überwa-chung mit den berechtigten Bedürfnissen derbauenden Bürger, der öffentlichen Hand undder Investoren“ in Übereinstimmung ge-bracht werden könne. Dies sei die vornehms-te Aufgabe der Prüfingenieure und der Prüf-sachverständigen, die damit eine der wich-tigsten Aufgaben am Bau erfüllen würdenund dafür aber auch angemessen honoriertwerden müssten. Weil aber, so Wetzel, dieGesellschaft von den Prüfingenieuren in die-sem Spannungsfeld eine „fachlich selbstbe-wusste, objektive und von den InteressenDritter unabhängige Inspektion der jeweilsvorliegenden Planungen und ihrer Ausfüh-rungen vor Ort“ erwarte und weil es für die

Bewertung der bautechnischen Standsicher-heit niemanden gebe, der „fachlich besserund kraft Gesetzes überzeugender neutralund unabhängig“ agieren könne, als die In-stitution des Prüfingenieurs für Baustatik, fürBautechnik oder für den Brandschutz, müssedie Honorierung der Prüfingenieure und derPrüfsachverständigen jenseits pekuniärerGrenzen beurteilt werden. Da deren Tätigkeitsich nicht auf das routinemäßige Überprüfenund auf das sture Abhaken der Einhaltungoder Nichteinhaltung bestimmter amtlicherVorschriften und technischer Normen be-schränke, müsse ihr Honorar nicht nur ihresachliche Kompetenz und ihre fachlich-wirt-schaftliche Neutralität sicherstellen, sondern,so sagte Wetzel voller Überzeugung, „aucheine materielle Würdigung jener Analysen,Überlegungen und fachlichen Gedankengän-ge des Prüfingenieurs darstellen, die sie kraftihres Wissens und ihrer Erfahrung jeweils in-dividuell anstellen, die sich aber immer imStillen abspielen und deshalb für den Laienoder Auftraggeber nur selten offenkundigsind, die sich aber ganz erheblich auf dieWirtschaftlichkeit und auf die bauliche Si-cherheit eines Projektes auswirken können“.Weil beider Prüfingenieure Tätigkeiten, Leis-tungen und Verantwortlichkeiten gleich sei-en, so Wetzel weiter, sei es doch auch folge-richtig und am sinnvollsten, wenn die privat-wirtschaftlich beauftragten Prüfsachverstän-digen in Zukunft auch nach jener staatlichenGebührenordnung honoriert würden, die fürihre amtlich beauftragten Kollegen gilt.

Aus alldem leitete Wetzel zwei zentrale For-derungen der Bundesvereinigung der Prüfin-genieure für Bautechnik an die neue Bundes-regierung und an die deutschen Länder ab,nämlich dass

■ die neue Bundesregierung nach ihrer Inau-gurierung unverzüglich eine Fortschreibungder Reihe der Bauschadensberichte in Auf-trag geben solle, und dass

■ die deutschen Länder die Honorierung derprivat beauftragten Prüfsachverständigen inden Geltungsbereich der staatlichen Gebüh-renordnungen für die hoheitlich tätigen Prüf-ingenieure überführen sollen, um sowohl die

EIN HERZLICHES WILLKOMMEN rief der Prä-sident der Bundesvereinigung der Prüfinge-nieure für Bautechnik (BVPI), Dr.-Ing. MarkusWetzel, seinen 260 Kolleginnen und Kollegenzu Beginn der diesjährigen Arbeitstagung sei-nes Verbandes in Konstanz zu.

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NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | November 2013 7

volkswirtschaftlich und haftungsrechtlich alsauch die fachlich und persönlich notwendigeUnabhängigkeit auch der privat beauftragtenPrüfsachverständigen sicherzustellen. (Siehehierzu auch das Editorial auf Seite 4.)

Mit der baurechtlichen Stellung des Prüf-sachverständigen und mit dessen Haftungbeschäftigte sich in Konstanz auch der Part-ner der bundesweit tätigen Berliner Rechts-anwaltskanzlei Witt Roschkowski Dieckert,Rechtsanwalt Dr. Ulrich Dieckert. Für ihn, dersich seit über zwanzig Jahren mit dem Bau-und Architektenrecht beschäftigt und laufendöffentliche Bauauftraggeber und Bauunter-nehmen sowie Architektur- und Ingenieurbü-ros berät und gerichtlich vertritt, steht fest,dass das Haftungsrecht, das für die privat-wirtschaftlich beauftragten Prüfsachverstän-digen gilt, einer verfassungsrechtlichen Über-prüfung unterzogen werden muss. Dieckertmeint, und er begründete diese Meinung inKonstanz in einem vielbeachteten Referat mitausgewogenen und schwerwiegenden Argu-menten, dass der privat beauftragte Prüf-sachverständige genauso Aufgaben erfülle,die „ihres Wesens wegen eigentlich demStaat obliegen“, wie der hoheitlich beauf-tragte Prüfingenieur. Und deswegen könnees nicht richtig sein, „den zum Wohle der All-gemeinheit handelnden Prüfsachverständi-gen den Schutz der Amtshaftung zu versa-gen“. Dieckert erinnerte in diesem Zusam-menhang daran, dass auch die TechnischenÜberwachungsvereine, wenn sie im Bereichder Verkehrssicherheit tätig werden, denSchutz der Amtshaftung genießen, in einemBereich also, der mit dem der Prüfingenieure

und der Prüfsachverständigen auf dem Sek-tor der baulichen Sicherheit vergleichbar sei.Betrachte man schließlich, so Dieckert weiter,welche Privatsubjekte aufgrund einer öffent-lich-rechtlichen Aufgabenzuweisung sonstnoch des Schutzes der Amtshaftung teilhaftigwerden, dann „wird endgültig deutlich, wel-che Fehlentscheidung in der Formulierungder Prüfverordnungen getroffen wurde“. Die-ckert wörtlich: „Wie kann es richtig sein,dass zum Beispiel ein von der Polizei gerufe-ner Abschleppunternehmer Schäden an den

von ihm abgeschleppten Fahrzeugen wegenseiner Stellung als Verwaltungshelfer nichtdirekt zu vertreten hat, wenn andererseits ei-ne für das Gemeinwesen ungleich wichtigereBerufsgruppe, die sich überdies strengerstaatlicher Anerkennungsverfahren unterzie-hen muss, bei der Erfüllung bauaufsichtlicherTätigkeiten haftungsrechtlich schlechter ge-stellt wird?“

Aus dieser Feststellung leitete Dieckert dieFrage ab, ob die Privatisierung der Bauauf-sicht nicht gegen verfassungsrechtlicheGrundsätze verstoße, weil durch die Verlage-rung bauaufsichtlicher Aufgaben das Grund-recht des Bürgers auf Sicherheit verletzt seinkönnte. Die Privatisierung der Bauaufsichtwiderspreche nach seiner Überzeugungschon deshalb verfassungsrechtlichenGrundsätzen, weil Prüfsachverständige demBauherrn aufgrund ihrer vertraglichen Bin-dung nicht auf Augenhöhe begegnen könnenund insofern viel eher als staatlich belieheneund insofern vollkommen unabhängige Prüf-ingenieure. genötigt seien könnten oder so-gar würden, „vom Sparwillen des Auftragge-bers getriebene, sicherheitskritische Lösun-gen zu bewilligen“. Letztlich könne der Bau-herr einen unliebsamen Sachverständigenauch austauschen, was beim hoheitlich täti-gen Prüfingenieur nicht möglich sei. DieseZusammenhänge führen nach Dieckerts An-sicht „unweigerlich dazu“, dass der Prüf-sachverständige bei seiner Aufgabenerfül-lung Einflussnahmen ausgesetzt sei, die „ne-gative Auswirkungen auf die Sicherheit dervon ihm geprüften Bauwerke oder techni-schen Einrichtungen haben“. Diese Beein-

EIN VOLLER SAAL ist bei den Arbeitstagungen der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik (BVPI) ein regelmäßiger Zustand – so auchbei der diesjährigen Tagung in Konstanz. Vorn Rechts: der Vorsitzende der baden-württembergischen Landesvereinigung der Prüfingenieure fürBaustatik, Dr.-Ing. Frank Breinlinger und der Ehrenpräsident der BVPI, Dr.-Ing. Hans-Peter Andrä.

EIN POLITISCHES GRUSSWORT der Landesre-gierung von Baden-Württemberg entbot derAbteilungsleiter für Immissionsschutz,Marktüberwachung und Bautechnik im ba-den-württembergischen Ministerium für Um-welt, Klima und Energiewirtschaft, JosefKreuzberger.

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NACHRICHTEN

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trächtigung der Sicherheit könne aber in An-betracht der auf dem Spiel stehenden Rechts-güter, nämlich der Sicherheit von Leib undLeben der Nutzer und der Allgemeinheit,nicht hingenommen werden. Insofern sei eshöchste Zeit, die landesgesetzlich installierteZwei-Klassen-Gesellschaft im Bereich desPrüfwesens einer verfassungsrechtlichenÜberprüfung zu unterziehen, sagte Dieckert.Hierzu müsse ein Gericht, das über die werk-vertragliche Haftung eines Prüfsachverstän-digen zu entscheiden hat, das laufende Ver-fahren aussetzen und dem zuständigen Lan-desverfassungsgericht im Wege eines kon-kreten Normenkontrollverfahrens die Fragevorlegen, ob die Verlagerung der Bauaufsichtauf werkvertraglich tätige Ingenieure nichtmöglicherweise gegen den Schutzauftrag desStaates verstoße und insofern verfassungs-widrig sei. (Siehe hierzu auch den Artikel aufSeite 72.)

Genauso aktuell wie der Dieckert’sche Bei-trag zur Konstanzer Arbeitstagung der Prüfin-genieure war das Referat des Präsidentendes Deutschen Instituts für Bautechnik(DIBt), der die „Umsetzung der EU-Baupro-duktenverordnung in Deutschland“ themati-sierte, die am 1. Juli 2013 vollständig in Kraftgetreten ist. Breitschaft hat dieses aktuellenGrundes wegen seinen ursprünglich geplan-ten und ausgearbeiteten Vortrag über „Bau-aufsichtliche Anforderungen an Solaranla-gen“ zurückgestellt und dem aktuelleren

Thema den Vorzug gegeben, eine Anstren-gung, die die Prüfingenieure mit anerkennen-dem und dankbarem Beifall quittierten.

„Was ändert sich im Zulassungswesen?“ mitder Inkraftsetzung der Bauproduktenverord-nung (BauPVO) der EU? Diese Frage beant-wortete Breitschaft den Prüfingenieuren inKonstanz mit großer fachlicher Souveränität.Die neue Verordnung (EU Nr. 305/2011 vom

9. März 2011 zur Festlegung harmonisierterBedingungen für die Vermarktung von Bau-produkten) hat am 1. Juli 2013 EU-weit, alsoauch in Deutschland, die bisher geltendeBauproduktenrichtlinine (89/106/EWG) end-gültig abgelöst. Gleichzeitig ist das Gesetzzur Anpassung des Bauproduktengesetzes inKraft getreten. Die EU-Bauproduktenverord-nung ist also seit dem 1. Juli 2013 inDeutschland unmittelbar geltendes Recht.

Breitschaft kritisierte im Rahmen seines aus-führlichen Berichts den Umstand, dass in denbehördlichen Gremien der EU-Kommission,in denen die BauPVO er- und bearbeitet wor-den ist, „nicht ein einziger Bauingenieur mit-gewirkt hat und auch heute noch nicht mit-wirkt“, obwohl doch gerade die Bauinge-nieure mit ihrem praktischen Fachwissen„notwendigerweise dazugehören“. Es seiendeshalb „Fehler in dem Gesamtwerk“ zu er-warten, die nun in den kommenden Jahrennamhaft gemacht und korrigiert werdenmüssten.

Inhaltlich erklärte der DIBt-Präsident die neu-en Begriffe der BauPVO für Zulassungen undderen Prüfgrundlagen, die mit einer neuenGewichtung einhergehen, erläuterte die fürdie Prüfingenieure wichtige neue Leistungser-klärung und die CE-Kennzeichnung und diemit den „harmonisierten technischen Spezifi-kationen“ der neuen Verordnung zusammen-hängenden Einzelheiten, vor allem, was es

AKTUELLES AUS DEM BAUTECHNISCHEN BE-REICH erläuterte den Prüfingenieuren undPrüfsachverständigen der Leiter der Fach-kommission Bautechnik der ARGEBAU, Mi-nisterialrat Dr.-Ing. Gerhard Scheuermannvom baden-württembergischen Ministeriumfür Umwelt, Klima und Energiewirtschaft.

DIE NEUE BAUPRODUKTENVERORDNUNG DER EU erklärte seinen freiberuflichen Kolleginnenund Kollegen der Präsident des Deutschen Instituts für Bautechnik, Dipl.-Ing. Gerhard Breit-schaft (links), dem hier vom Vizepräsidenten der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bau-technik, Dr.-Ing. Dieter Winselmann, herzlicher Dank gesagt wird. Winselmann verstand es übri-gens, wie jedes Jahr auf den Arbeitstagungen der BVPI, auch dieses Jahr wieder vortrefflich, diegesamte Vortragspalette sachgerecht und anschaulich zu moderieren und die einzelnen Referatesinnvoll mit einander zu verbinden.

DIE ARBEIT DER INITIATIVE PRAXISGERECH-TE REGELWERKE IM BAUWESEN (PRB), dievor nahezu drei Jahren von zehn Ingenieur-und Bauwirtschaftsverbänden gegründetworden ist, macht gewichtige Fortschritte,wie deren Geschäftsführer, Dr.-Ing. Lars Mey-er, den Prüfingenieuren und Prüfsachverstän-dige der BVPI erläuterte

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NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | November 2013 9

mit dem Europäischen Bewertungsdokumentund der Leistungserklärung auf sich habe.Beide, Leistungserklärung und CE-Kennzeich-nung, seien Hauptbegriffe der neuen EU-BauPVO. Sie ähnelten der früheren EG-Kon-formitätserklärung, wiesen aber jetzt die Ver-antwortung für das Inverkehrbringen vonBauprodukten vor allem dem Hersteller zu,der eine Leistungserklärung für ein Produktabgeben und sein Bauprodukt mit einer CE-Kennzeichnung versehen müsse. Damit trageder Hersteller eines Bauproduktes die Verant-wortung für dessen Übereinstimmung mitden in der Leistungserklärung versprochenenLeistungen sowie für die Einhaltung aller eu-ropäischen Rechtsvorschriften. Die deutschenBehörden seien insoweit als Marktüberwa-chungsbehörden und nicht mehr Zulassungs-behörde für bestimmte Bauprodukte tätig.Die bisherigen europäischen Zulassungenwird es in Zukunft nicht mehr geben. An de-ren Stelle träten, so Breitschaft, die Europäi-schen Technischen Bewertungsdokumente,die als harmonisierte Spezifikationen gelten.Da es aber noch keine Erfahrungen mit derAnwendung von Europäischen TechnischenBewertungen (ETB) gebe, und da das DIBtauch noch kein Verfahren für ihre Ausstellunghabe entwickeln können, sei zu erwarten, soBreitschaft, dass für eine Leistungserklärungzunächst die harmonisierten Normen heran-gezogen werden würden, außer, wenn diebisher angewandten technischen Zulassun-gen noch als Europäische Technische Bewer-tung genutzt werden könnten.

Wichtig sei für die Prüfingenieure in diesenZusammenhängen, dass die EuropäischeTechnische Bewertung keine Gültigkeitsfristmehr haben wird. Sie wird einmal ausge-stellt, „und dann“, so Breitschaft, „ist sieda!“ Die ETB werde eine Momentaufnahmesein, die die Ergebnisse der Prüfung einesProduktes an einem einzigen Zeitpunkt fest-halte und die dann immerfort Gültigkeit ha-be. Ob die Prüfergebnisse noch relevant oderaktuell sind, wenn das Produkt auf der Bau-stelle einige Jahre später Verwendung findensolle, das ist, sagte Breitschaft zu den Prüfin-genieuren gewandt, „dann unter anderemihr Job … Sie müssen dann prüfen, ob dievor Ihnen liegende Europäische TechnischeBewertung noch immer fachliche Gültigkeitbeanspruchen kann, auch wenn sie mittler-weile mehrere Jahre alt ist, und ob das Pro-dukt noch etwas taugt“. Es sei ja denkbar,dass in zehn Jahren jemand mit einer ETB fürein Produkt komme, das vor zehn Jahren ge-prüft worden sei, und dann wisse niemand sorecht, ob dieses Produkt noch hält, was esverspricht. „Eine Gültigkeitsfrist, wie sie zum

Beispiel bei den allgemeinen bauaufsichtli-chen Zulassungen üblich gewesen ist, istjetzt nicht mehr vorgesehen, weil die Euro-päische Kommission darauf bestanden hat,dass die ETB keine befristete Gültigkeit mehrhaben sollen“, sagte der Präsident des DIBt.Wer sich aber nunmehr auf nationaler Ebenedarum werde kümmern müssen, dass dieProdukte mit ETB noch immer den aktuellenAnforderungen genügen, das sei noch nichtausgemacht und müsse noch festgelegt wer-den. In Frage kämen die Marktüberwachung,der Anwender, die Bauaufsicht oder der Her-steller. Deshalb müsse in den kommendenJahren ganz klar ausgemacht werden, wersich um die Aktualität der Produkte mit ETBkümmern solle.

Zusammenfassend konstatierte Breitschaftfür die unmittelbare Zukunft:

■ Bauprodukte, die vor dem 1. Juli 2013 inÜbereinstimmung mit der bisherigen Baupro-dukten-Richtlinie (89/106/EWG) in Verkehrgebracht wurden, gelten als mit der neuenVerordnung konform.

■ Die Hersteller können eine Leistungserklä-rung auf der Grundlage einer Konformitäts-bescheinigung oder einer Konformitätserklä-rung erstellen, die vor dem 1. Juli 2013 inÜbereinstimmung mit der Richtlinie89/106/EWG ausgestellt wurde.

■ Leitlinien für die europäische technischeZulassung, die vor dem 1. Juli 2013 gemäßArtikel 11 der Richtlinie 89/106/EWG veröf-

fentlicht werden, können als EuropäischeTechnische Bewertung verwendet werden.

■ Hersteller und Importeure können europäi-sche technische Zulassungen, die vor dem1. Juli 2013 gemäß Artikel 9 der Richtlinie89/106/EWG erteilt worden sind, währendihrer Gültigkeitsdauer als Europäische Tech-nische Bewertungen verwenden.

Breitschafts und Dieckerts Vorträge waren fürviele der anwesenden Prüfingenieure undPrüfsachverständigen zweifellos zwei der in-haltlichen Höhepunkte dieser Konstanzer Ar-beitstagung der BVPI, die ja jedes Jahr in ei-nem anderen Bundesland von dessen jeweili-gen BVPI-Landesverband mit tätiger und er-fahrener Unterstützung der Bundesge-schäftsstelle organisiert und gestaltet wer-den. Wie die bisherigen, so bot auch die Kon-stanzer Arbeitstagung eine reichliches Sorti-ment ingenieurwissenschaftlich-theoreti-scher und praktisch-fachlicher Vorträge undDiskussionen mit den Kolleginnen und Kolle-gen aus ganz Deutschland sowie anregenderund vielseitiger touristischer und gesell-schaftlicher Beiprogramme.

Dieckerts und Breitschafts Vorträge warenaber nicht nur zwei der geplanten Kulminati-onspunkte des Interesses der Teilnehmer,sondern auch gleichwertige Teile des gesam-ten, sehr umfangreichen Vortragsprogrammsdieser Arbeitstagung. In der Tat sehr beein-druckend war nämlich die Liste der Themenund Referenten dieses anderthalbtägigenVortragsmarathons. Nach der Begrüßung

SPANNENDE INHALTE hatten die Vorträge der diesjährigen Arbeitstagung zu bieten, wie (vonlinks) die Mienen der Geschäftsführer des Ingenieurunternehmens WTM Engineers (Hamburg),Dr.-Ing. Stefan Ehmann und Dr.-Ing. Karl Morgen, und des Gesellschafters der IngenieurgruppeBauen (Karlsruhe), Dr.-Ing. Dietmar Helmut Maier, bildhaft aussagen, der Mitglied des Vorstan-des der BVPI und Vorsitzender der Vereinigung der Sachverständigen und Prüfer für bautechni-sche Nachweise im Eisenbahnbau (vpi-EBA) ist.

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NACHRICHTEN

10 Der Prüfingenieur | November 2013

durch den Präsidenten der BVPI, Dr.-Ing.Markus Wetzel (siehe oben und das Editorialauf Seite 4)

■ entbot der Abteilungsleiter für Immissions-schutz, Marktüberwachung und Bautechnikim baden-württembergischen Ministeriumfür Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, Jo-sef Kreuzberger, ein politisches Grußwort, indas er das Kompliment einfließen ließ, dassdie Landesregierung von Baden-Württem-berg sich „stets und voll und ganz“ auf diequalifizierte Arbeit und die fachliche Auf-merksamkeit der Prüfingenieure im Ländleverlasse. Gelegentlich trotzdem auftretendeBauschäden würden die Bedeutung undWichtigkeit des Vieraugenprinzips nur jedesMal aufs Neue beweisen, weil „jeder vermie-dene Fehler allen Beteiligten zum Teil erhebli-che und ärgerliche Folgekosten erspart“,

■ berichtete der Vorsitzende der Fachkom-mission Bautechnik der Bauministerkonfe-renz ARGEBAU, Ministerialrat Dr.-Ing. Ger-hard Scheuermann, vom Ministerium für Um-welt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg über „Aktuelles aus dem bau-aufsichtlichen Bereich“, wobei er insbeson-dere über neueste Erfahrungen mit der An-wendung der Eurocodes und über solche De-tails der neuen Bauproduktenverordnung be-richtete, die vor allem von den Prüfingenieu-ren und Prüfsachverständigen beachtet wer-den sollten,

■ erklärte der Geschäftsführer der InitiativePraxisgerechte Regelwerke im Bauwesen(PRB), Dr.-Ing. Lars Meyer, in einem Statusbe-richt über die pränormative Arbeit inDeutschland deren grundsätzliche strategi-sche Orientierung, vor allem beantwortete erdie Frage, wie die deutschen Bauingenieureüber die PRB am Entstehungsprozess derkünftigen Eurocodes angemessen beteiligtwerden können, was sie brauchen, um aufeuropäischem Normenparkett mehr Einflussausüben zu können und welche konkretenErgebnisse der Arbeit der PRB im Einzelnen

inzwischen vorliegen (siehe den Beitrag aufSeite 61),

■ stellten Professor Dipl.-Ing. Rasso Stein-mann von der Fakultät für Bauingenieurwe-sen der Universität der Bundeswehr in Mün-chen und Prof. Dipl.-Ing. Hans-George Olt-manns, Chef eines gleichnamigen Ingenieur-büros in Oldenburg, die schöne neue Weltvor, in der mit dem Building Information Mo-deling (BIM) in Zukunft wohl geplant und ge-baut werden wird. Beide Referenten sindMitglieder des Vorstandes der deutschenSektion der international produktunabhängigagierenden Vereinigung building-SMART, diedie BIM-Methode in Deutschland, Österreichund in der Schweiz voranzubringen sich vor-genommen hat, und sie hatten deswegenauch das Anliegen, ihren Kollegen im Saaldeutlich vor Augen zu führen, wie dringliches für die Prüfingenieure und Prüfsachver-ständigen und für die Beratenden Ingenieuresei, sich dieses Themas alsbald zu bemächti-gen, und zwar nicht nur theoretisch oder an-gelesen, sondern ganz praktisch und be-triebswirtschaftlich und unternehmenspoli-tisch. Viele Baufirmen und viele der großenConsultants und Ingenieurunternehmen wür-den diese neue Methode bereits mit immerenger werdender Ausschließlichkeit einset-zen, und auch hinter den Schreibtischen derAuftraggeber werde immer öfter über BIMnachgedacht und entschieden,

■ schilderte Dipl.-Ing. (FH) Heinz-GeorgHaid, Projektabschnittsleiter der DB Projekt-Bau GmbH, die Entstehungsgeschichte desKatzenbergtunnels, des größten Einzelbau-werks der Ausbau- und Neubaustrecke Karls-ruhe-Basel der DB AG (siehe Seite 54),

■ setzte Dipl.-Ing. Markus Köppel, der Leiterdes Referats 21 des Eisenbahn-Bundesamtesin Bonn, das für Ingenieurbau-, Oberbau-und Hochbau-Anlagen zuständig ist, seinenKollegen die komplizierten und komplexenRegeln folgende Umsetzung von EU-Richtli-nien im Bereich der Eisenbahninfrastrukturauseinander (siehe Seite 34),

■ veranschaulichten die Prüfingenieure fürBrandschutz Prof. Dr.-Ing. Frank Riesner undDr.-Ing. Jens Upmeyer mit eindrucksvollenund sehr anschaulichen Bildern und Grafi-ken die „Anwendung und Umsetzung derMuster-dustriebau-Richtlinie bei der Prü-fung von Brandschutzkonzepten für land-wirtschaftliche Stallanlagen“ (siehe Seite24), und sie demonstrierten ihren Kollegendie „Prüfung des Brandschutzes im Dialogzwischen dem Fachplaner und dem Prüfin-genieur“,

■ gaben Volker Weiß, Projektleiter bei der DBProjektBau GmbH und der Sachverständigedes Eisenbahn-Bundesamtes, Dr.-Ing. Wolf-gang Rauscher, einen aktuellen Statusberichtüber das Großprojekt Stuttgart 21 aus Sichtder Planer und Prüfingenieure,

■ wagte sich der Präsident des Bauindustrie-verbandes NRW, Dipl.-Ing. Martin Schlegel,an eine Beantwortung der Frage heran, wa-rum wir Deutsche uns mit unseren Großpro-jekten so schwer tun (siehe Seite 68),

■ beschrieb der Universitäts-Professor Dr.-Ing. Ingbert Mangerig unter dem Rubrum„BauTech – HighTech“ erstaunliche undstaunenswerte Ergebnisse der Forschung an

DIE GEHEIMNISSE DES BUIL-DING INFORMATION MODE-LING (BIM) hat der Chef ei-nes Oldenburger Ingenieur-büros und Vizepräsident derdeutschen Sektion der inter-national produktunabhängigagierenden Vereinigung buil-dingSMART, Prof. Dr.-Ing.Hans-Georg Oltmanns, sei-nen Kollegen und Kollegin-nen gelüftet.

ALLES IM GRIFF und ei-nen vollständigen Über-blick über die Details derArbeitstagungen der BVPIhaben deren Geschäfts-führer, Dipl.-Ing. ManfredTiedemann, und das Teamder Bundesgeschäftsstel-le der BVPI jederzeit.

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NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | November 2013 11

seinem Lehrstuhl für Stahlbau an der Univer-sität der Bundeswehr in München,

■ referierte Dr.-Ing. Hubert Bachmann vonder Ed. Züblin AG in Stuttgart anhand vielerVersuche und Erfahrungen beim Bau der so-genannten Tanzenden Türmen in Hamburgund des Taunusturms in Frankfurt über „Stüt-zen mit hochfestem Betonstahl im Hochhaus-bau“ als Alternative zu den Stahl- und Stahl-verbundstützen,

■ stellte Dr.-Ing. Diethelm Linse von derDr. Linse Ingenieure GmbH in MünchenPumpspeicherkraftwerke als einen ernstzu-nehmenden Beitrag zur Energiewende dar,indem er ihre Planung und ihre wesentlicheningeniösen und konstruktiven Merkmale be-schrieb,

■ schilderte Dipl.-Ing. Karl-Heinz Wiese vomWasserstraßen-Neubauamt Helmstedt mitvielen informativen Fotos schließlich die Pla-nung und den Bau der KanalüberführungElbeu in der Osthaltung des Mittellandkanalsbei Magdeburg, eines Projektes, das mit sei-ner eigens für diese Maßnahme hergestelltenAusweiche eine Besonderheit der Infrastruk-turplanung darstellt.

Als Abschluss dieses abwechslungsreichenund fachlich anregenden Vortragsprogramms

stellte der Direktor der Psychiatrischen undPsychotherapeutischen Klinik des Universi-tätsklinikums Erlangen, Prof. Dr. med. Johan-nes Kornhuber, in einem mittlerweile bei derPrüfingenieuren traditionellen Festvortragseine wissenschaftlichen Erkenntnisse überdie sogenannte Diversitätsintelligenz vor, mitder „Weisheit durch Vielfalt“ erlangt werdenkönne, die aber durchaus etwas anderes alsdie vielgerühmte und berühmte Schwarmin-telligenz sei. Mit vielen plastischen Beispielenmachte Kornhuber seinen erstaunten Zuhö-rern klar, dass die kollektive Intelligenz vonGruppen nachweisbar solche Lösungen fürProbleme oder solche Antworten auf Fragenfinden würde, durch die das Ganze größerwerde als die Summe seiner Teile. Kornhubergab viele eigentlich unglaubliche aber au-thentische Beispiele für die Richtigkeit dieserseiner These, und er zog dann nach der Be-wertung seiner Kenntnisse einen Schluss, derebenso gesellschaftspolitisch bemerkenswertist wie er staatsrechtlich zukunftsweisendsein könnte. Wenn Gruppen nämlich, so resü-mierte Kornhuber, bessere Entscheidungentreffen als Einzelpersonen, dann sollten„Staaten mit regelmäßigen Volksentschei-dungen eigentlich Vorteile haben gegenüberrepräsentativen Demokratien“. Der Wissen-schaftler versicherte seinen Zuhörern, Diversi-tät, also die Vielfalt und Vielfältigkeit der je-weiligen Wissensstände, Meinungen und Ar-

gumente einer jeweiligen Gruppe, bringe re-gelmäßig „bessere Entscheidungen und da-mit sinnvollere Antworten“.

Kornhuber ging in seinem Vortrag auch aufdie insgeheime Frage ein, die vielen der Prüf-ingenieure im Saal wohl in den Kopf kam, alssie Kornhubers Thesen verfolgten, ob nämlichDiversitätsintelligenz auch im eigenen Büroihre geheimnisvolle Kraft entwickeln unddeshalb auch praktisch eingesetzt werdenkönne und solle. Des Wissenschaftlers Ant-wort ist knapp und bündig: „Als Vorgesetztermag ich kompetenter sein als der einzelneMitarbeiter, aber nicht kompetenter als dieSumme meiner Mitarbeiter.“ Er empfahl da-her seinen Zuhörern, bei einer neuen Ent-scheidungsfindung nicht gleich nach denausgewiesenen Experten zu rufen, sonderneine Haltungsänderung in Richtung Grup-penentscheidung zu praktizieren, weil jedesMitglied einer zusammengerufenen Gruppe,die „unbedingt über alle Hierarchien hinwegaufgebaut werden sollte“, wie Kornhuber be-tonte, einer kollektiven Entscheidungsfin-dung jeweils andere wertvolle, unter Um-ständen sogar außer- oder ungewöhnlicheInformationen beisteuern könne, Informatio-nen im Übrigen, die „ohne die Meinungsviel-falt und ohne die Informationskaskaden“ derGruppe nicht hätten aktiviert werden kön-nen. Klaus Werwath

9. Fachtagung der vpi-EBA mit Vorträgen aus demKonstruktiven Ingenieurbau und dem EisenbahnbauDer 18 Kilometer lange Fehmarnbelttunnel,der als Absenktunnel ab 2021 den Straßen-und Eisenbahnverkehr zwischen Fehmarnund der dänischen Insel Lolland aufnehmensoll, die Instandhaltungsstrategie der DBNetz AG für Anlagen des Konstruktiven Inge-nieurbaus und die Anwendung der Mikrowel-len-Interferometrie für die statische und dy-namische Strukturanalyse im Eisenbahnbrü-ckenbau – das waren nur drei der insgesamtneun Fachbeiträge, die auf der 9. Fachtagungfür den Konstruktiven Ingenieurbau angebo-ten worden waren, die die Vereinigung derSachverständigen und Prüfer für bautechni-sche Nachweise im Eisenbahnbau (vpi-EBA)zusammen mit der Akademie für Bahnsyste-me des Bezirksverbandes Berlin/Brandenburgdes Verbandes Deutscher Eisenbahn-Inge-nieure (VDEI) Anfang Oktober den Beraten-den Ingenieuren und Architekten, den Bau-

herren, Vertretern des Eisenbahn-Bundesam-tes und der Deutschen Bahn AG sowie Behör-denvertretern aus ganz Deutschland an derTechnischen Universität in Berlin angebotenhatte. Über 300 Teilnehmer bestätigten denVeranstaltern die Richtigkeit ihrer Themen-auswahl, die, nachdem der Vorsitzende dervpi-EBA, Dr.-Ing. Dietmar H. Maier, sich zumWandel der Bauaufsicht geäußert und die Po-sition der Prüfingenieure dargelegt hatte,u.a. folgende weitere Vorträge auf ihrem Pro-gramm hatte:

■ das Regelwerk für den Schutz und die In-standsetzung von Stahlbetonbauteilen(von Dr.-Ing. Ioannis Retzepis von derKrebs und Kiefer Beratende Ingenieure fürdas Bauwesen GmbH),

■ Neuerungen im Regelwerk der DB AG fürdie Querfugen Fester Fahrbahnen (von

Dipl.-Ing. Jens Müller, DB Netz AG), ■ das Spannungsverhalten der Schiene bei

Fester Fahrbahn (von Prof. Dr.-Ing. StephanFreudenstein, TU München),

■ eine Beschreibung semi-integraler Eisen-bahnbrücken am Beispiel der Filstalbrückezwischen Stuttgart und Ulm (von Dipl.-Ing.Volkhard Angelmaier von der Leonhardt,Andrä und Partner Beratende IngenieureVBI GmbH) und

■ die Standardisierung von Rahmenbauwer-ken (von Dipl.-Ing. Tristan Mölter, DB NetzAG und Dr.-Ing. Markus Hennecke von deZilch + Müller Ingenieure GmbH).

Die Fachtagung wurde von einer Ausstel-lung begleitet, auf der namhafte Unterneh-men ihre neuesten und bewährte Produktezum Thema „Konstruktiver Ingenieurbau"präsentierten.

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NACHRICHTEN

12 Der Prüfingenieur | November 2013

Das 27. Fortbildungsseminar für Tragwerksplaner derhessischen Landesvereinigung zog 800 Teilnehmer an

Mehr als 800 aufmerksame Teilnehmersind ein deutlicher Beweis für die Attrak-tivität und Aktualität einer Veranstal-tung, die schon seit etlichen Jahren zumfesten Terminfundus der aufstellendenund prüfenden Ingenieure und Prüfsach-verständigen in Hessen gehört, aberauch eine jedes Jahr größer werdendeZahl privater und staatlicher Auftragge-ber anzieht, nämlich: das jährliche „Fort-bildungsseminar Tragwerksplanung“,dessen 27. Ausgabe Anfang Septemberwieder in Friedberg stattfand.

Auch dieses „27. Fortbildungsseminar Trag-werksplanung“ ist von der Vereinigung derPrüfingenieure für Baustatik in Hessen (VPIHessen), der Ingenieurkammer Hessen(IngKH) und vom Hessischen Ministerium fürWirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung(HMWVL) ausgerichtet worden. Auf seinemProgramm standen acht Vorträge von hoch-rangigen Referenten, die eine interessanteVeranstaltung gewährleisteten.

Der erste Vortrag auf der Agenda befasstesich mit der „Bemessung von Mauerwerknach EC 6 – einfach und praxisnah.“ In sei-ner Präsentation stellte Prof. Dr.-Ing. Carl-Alexander Graubner vom Institut für Massiv-bau der TU Darmstadt zunächst die Entwick-lung der Normen sowie Sicherheitskonzeptevor und erläuterte dann die verschiedenenBerechnungsverfahren und deren Anwen-dungsgebiete.

Im anschließenden Vortrag gab Dipl.-Ing.Dirk Riehl, Inhaber des gleichnamigen Archi-tektur- und Sachverständigenbüros mit Sitzin Glashütten, einen umfassenden Überblicküber unterschiedliche „Schäden am Bau ausder Sicht des Sachverständigen“.

Nach der Kaffeepause folgte die Präsentationvon Prof. Dr.-Ing. Jens Minnert von der Tech-nischen Hochschule Mittelhessen. In seinen„Erläuterungen zum EC 5 – Holzbau“ zeigteer die wesentlichen Veränderungen gegen-über der DIN 1052 auf.

Im letzten Vortrag vor der Mittagspause be-richtete Dr.-Ing. Hans Schiebl, Geschäftsfüh-rer des Ingenieurbüros Schiebl, über „Typi-sche Streit- und Schadensfälle im Gerüst-bau“. Der Referent beschrieb die Ursachenund Erscheinungsformen von Mängeln imGerüstbau und skizzierte, wie man dieserechtzeitig erkennen und auf diese WeiseStreit- und Schadensfälle zwischen den Par-teien vermeiden kann.

Nach der Pause erklärte Dipl.-jur. Bernd Mi-kosch von der UNIT VersicherungsmaklerGmbH aus Berlin in seinem Vortrag „Scha-densfälle von Tragwerksplanern: Bericht ausder Versicherungspraxis“ die versicherungs-rechtliche Dimension bei Schadensfällen.

Prof. Dr.-Ing. Rolf Katzenbach vom Institutund Versuchsanstalt für Geotechnik der TUDarmstadt stellte im Anschluss „Erste Erfah-rungen mit der neuen Grundbaunorm EC 7“vor. Anhand konkreter Beispiele erläuterte erdie damit verbundenen Herausforderungenund auf welche Aspekte künftig verstärkt ge-achtet werden muss.

Der Vortrag zum Thema „Einsatz von Wärme-bildkameras“ von Dipl.-Ing. Peter Starfingervon der Ingenieur-Akademie Hessen GmbHmusste krankheitsbedingt ausfallen. Die Prä-sentation steht jedoch für die Teilnehmer un-ter www.vpi-hessen.de zum Download zurVerfügung.

BAUDIREKTOR Dr.-Ing. Dieter Pohlmann vom Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr undLandesentwicklung HMWVL (links) eröffnete das 27. Fortbildungsseminar Tragwerksplanung derLandesvereinigung der Prüfingenieure in Hessen, deren Vorsitzender, Dr.-Ing. Ulrich Deutsch, alsgleichzeitiges Mitglied im Vorstand der Ingenieurkammer Hessen, die Grüße des Präsidenten derKammer, Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Udo F. Meißner, überbrachte.

ÜBER ERSTE ERFAHRUNGEN mit der neuen Grundbaunorm EC 7 berichtete Prof. Dr.-Ing. RolfKatzenbach vom Institut und Versuchsanstalt für Geotechnik der TU Darmstadt.

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NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | November 2013 13

VIELE einschlägig tätigeUnternehmen und die In-genieurkammer Hesseninformierten währenddes 27. hessischen Fort-bildungsseminars fürTragwerksplaner überAktuelles und Branchen-neuheiten.

Das Vortragsprogramm des diesjährigen Fort-bildungsseminars, das in einem umfangrei-chen Tagungsband der Fachöffentlichkeit zu-gänglich gemacht wird, wurde abgeschlos-sen mit der Präsentation von Dipl.-Ing. (FH)Mark Köhler von der Pfeifer Seil- und Hebe-technik GmbH über „Baupraktische Detailsbei Fertigteilen – Wandfugenverbindungen,Montagehilfen“.

VPI Hessen Seminarorganisation C. Brendel/Dr. U. Deutsch

Zum 2. Mal: Heißbemessungs-Seminar für die Prüfung vonBrandschutznachweisen mit allgemeinen Rechenverfahren

Fast 150 Teilnehmer sind zu dem Brand-schutzseminar über die „Heißbemes-sung“ nach Frankfurt gekommen, das dieBundesvereinigung der Prüfingenieurefür Bautechnik (BVPI) in Zusammenarbeitmit der TU Braunschweig und der DIN-Akademie im Beuth-Verlag am 8. Oktober2013 zum zweiten Mal durchgeführt hat-te. Thema waren, wie auch beim erstenMal Ende März 2013 in Braunschweig, vorallem die Grundlagen und Anwendungender Brandschutzteile der Eurocodes 1 und2 sowie die Brandschutznachweise fürden Stahl-, Verbund- und Holzbau.

Auch an dieser Veranstaltung nahmen Prüfin-genieure und Prüfsachverständige für Bau-technik teil, um sich für die bauaufsichtlich

geforderte Prüfung von Brandschutznach-weisen mittels allgemeiner Rechenverfahrenweiter zu qualifizieren. Darüber hinaus wa-ren auch die Mitarbeiter der Büros der Prüfin-genieure und Prüfsachverständigen, der Trag-werksplaner und der Brandschutzingenieureeingeladen worden. Die Tagesveranstaltungbeschränkte sich inhaltlich auf die Einwirkun-gen im Brandfall und auf die brandschutz-technische Bemessung von Stahlbeton- undSpannbetontragwerken sowie von Stahlbau-tragwerken, und sie ließ ausreichend Zeit füreingehende Erläuterungen der verschiedenenNachweise und deren Anwendung auf typi-sche Praxisbeispiele.

Als Referenten fungierten auch dieses Malhervorragende Vertreter ihres Fachs: Univ.-

Prof. Dr.-Ing. Dietmar Hosser und Univ.-Prof.Dr.-Ing. Jochen Zehfuß von der TU Braun-schweig und Prof. Dr.-Ing. Björn Kampmeiervon der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Grund für diese Qualifizierungsaktivität derBVPI sind die Eurocode-Brandschutzteile, diein die Musterliste der Technischen Baubestim-mungen (MLTB, Fassung Dezember 2011) auf-genommen worden sind und deswegen seitdem 1. Juli 2012 in allen Bundesländern alsTechnische Baubestimmungen (TB) zu beach-ten sind. Inhaltlich basiert das neue Seminarauf dem Normen-Handbuch „SpezialbandTragwerksbemessung für den Brandfall“ undauf dem Kommentar „Brandschutz in Europa– Bemessung nach Eurocodes“, die im Beuth-Verlag des DIN erschienen sind.

Nächste BVPI-Arbeitstagung am 19. und 20. September mitabwechslungsreichem Vortragsprogramm in Bremerhaven

In den Geschäftsstellen der Landesverei-nigung der Prüfingenieure für Bautech-nik in Bremen und der Bundesvereini-gung der Prüfingenieure für Bautechnik(BVPI) in Berlin wird derzeit mit dem nö-tigen Hochdruck an der Vorbereitung dernächsten Arbeitstagung der BVPI gear-beitet, die am 19. und 20. September2014 in Bremerhaven stattfinden wird.

Gemeinsames Ziel ist es, allen Teilnehmerndieser Tagung sowohl fachlich als auch hin-sichtlich der Begleitprogramme eine intensi-

ve und erlebnisreiche Zeit in Bremerhaven zuermöglichen. Gleichzeitig mit den Vorarbei-ten in Bremen und Berlin planen Präsidiumund Geschäftsstelle der BVPI unter der Füh-rung und Leitung ihres Präsidenten und ihresGeschäftsführers, Dr.-Ing. Markus Wetzel undDipl.-Ing. Manfred Tiedemann, das berufspo-litische und das fachtechnische Vortragspro-gramm dieser Arbeitstagung, sie werden da-bei vom Technischen Koordinierungsaus-schuss der BVPI unterstützt. Nach Ansicht derOrganisatoren stehen also alle Zeichen dafürauf Grün, dass auch der Bremerhavener Kon-

gress den deutschen Prüfingenieuren undPrüfsachverständigen und ihren Gästen ausPolitik, Wirtschaft und Verwaltung ein ge-wohnt attraktives und abwechslungsreichesFachprogramm mit vielen Vorträgen über ak-tuelle berufspolitische und bautechnischeThemen bieten wird. Am Vortag dieser Ta-gung wird am 18. September 2014 die or-dentliche Mitgliederversammlung der BVPIstattfinden. Die Arbeitstagung findet statt imarchitektonisch markanten Atlantic Hotel SailCity mitten im Tourismusresort „Havenwel-ten“ mit einzigartigem Blick auf die Weser.

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NACHRICHTEN

14 Der Prüfingenieur | November 2013

50 Jahre VPI Bayern: Die Landesvereinigung fordert einEnde der Zweiteilung des bautechnischen Prüfsystems Eine Aufhebung der Zweiteilung desbautechnischen Prüfsystems in Bayern inhoheitlich tätige Prüfingenieure und pri-vat beauftragte Prüfsachverständige hatder Vorsitzende der Vereinigung derPrüfingenieure für Baustatik in Bayern,Dr.-Ing. Peter Henke, gefordert. Anläss-lich der Feier des 50-jährigen Bestehensseiner Landesvereinigung im Ehrensaaldes Deutschen Museums in Münchenwandte Henke sich mit dem Hinweis di-rekt an den für das Bauen und Wohnen inBayern verantwortlichen Staatsministerdes Innern, Joachim Herrmann, MdL,dass nur die vollständige Rückkehr zurhoheitlichen, unabhängigen Prüfung dieQualität der Standsicherheit und desBrandschutzes in Bayern auf Dauer wer-de sichern können.

Mit Hinweis auf das tragische Unglück in BadReichenhall, machte Henke eindringlich klar,dass die Prüfung der Standsicherheit durch Li-beralisierung und Deregulierung im Prüfwesenan Qualität nicht verlieren dürfe. Der Verzichtauf Zweitniederlassungen in Bayern und dieBeibehaltung der Altersbegrenzung bei Prüfin-genieuren und Prüfsachverständigen, zu dersich die VPI einstimmig erkläre, sichere dieAchtung und den Stand des Prüfingenieurs beiallen am Bau Beteiligten. Henke erinnerte dieHörer an den Unterschied zwischen Prüfinge-nieuren und Prüfsachverständigen und daran,dass die Billigkeit zweier unterschiedlicher Be-zeichnungen für die gleiche Tätigkeit durch diegleichen Personen nach Außen nur schwer zuvermitteln sei. Auch ging er auf die Bewer-tungs- und Verrechnungsstelle der Prüfsach-verständigen für Bayern (BVS) ein, die vor 15Jahren gegründet worden ist. Diese Service-einrichtung für Bauherren und Prüfsachver-ständige gewährleiste mit der neutralen Er-mittlung der Honorare und der objektivenRechnungsstellung an den Bauherren die Un-abhängigkeit der privaten Prüfsachverständi-gen in Bayern. „Die BVS wurde zum Vorbildfür alle Bundesländer“, so Henke und ergänzt:„Wir haben mit dieser Einrichtung gezeigt,dass wir das privatisierte Prüfwesen bayern-weit und auch bundesweit gut organisierenund ordnungsgemäß abwickeln können.“

Henke nahm seine vielköpfige Hörerschaftaus Wirtschaft, Bauaufsicht, Politik und Wis-senschaft des Landes zunächst mit auf einekleine Exkursion zu den Ursprüngen des Be-

DER VORSITZENDE der Landesvereinigungder Prüfingenieure in Bayern, Dr.-Ing. PeterHenke, machte bei der 50-Jahrfeier seinesVerbandes deutlich, dass die Qualität bau-technischer Prüfungen nicht durch Liberali-sierung beeinträchtigt werden dürfe.

DER PRÄSIDENT der Bundesvereinigung derPrüfingenieure für Bautechnik (BVPI), Dr.-Ing.Markus Wetzel, bedauerte, dass eine ange-messene gesellschaftliche Anerkennung derPrüfingenieure noch immer erheblich zuwünschen übrig ließe.

DER KAMMERPRÄSIDENT Dr.-Ing. HeinrichSchroeter versprach den Prüfingenieuren undPrüfsachverständigen in Bayern die volle Un-terstützung der Bayerischen Ingenieurekam-mer-Bau bei der Bewahrung ihrer Unabhän-gigkeit.

DER MINISTER, der für das Bauen in Bayernzuständig ist, Staatsminister Joachim Herr-mann, MdL, machte den Prüfingenieuren undPrüfsachverständigen Hoffnung, dass er hin-sichtlich der Forderungen der VPI Bayern ge-sprächsbereit sei.

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rufsstandes der Prüfingenieure in Bayern. Erwies vor allem auf eine 1961 auf Initiativedes Verbandes Beratender Ingenieure VBI inBayern entstandene Denkschrift an dieOberste Baubehörde hin. „Die damals ver-fassten Voraussetzungen gelten noch heute,ein halbes Jahrhundert später, und sie geltenhoffentlich auch in Zukunft“, wünschte sichHenke in seiner Rede. Und: „Fachkenntnisund Erfahrung, persönliche Eignung und frei-

schaffende Tätigkeit im eigenen Ingenieurbü-ro sowie die Anerkennung als Einzelperson,ein Kernpunkt des Prüfingenieurwesens inDeutschland, festigen die Position des Prüfin-genieurs und die Standsicherheit unserer Ge-bäude“, sagte er.

Henke lobte das „sehr gute Verhältnis“ zurObersten Baubehörde in Bayern und derenintensive Zusammenarbeit mit der VPI bei

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NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | November 2013 15

technischen Fragen. Gerne würde er aller-dings auch bei verfahrensrechtlichen Fragenetwas mehr Gehör finden. In erster Linie ge-hörten, so Henke, Ingenieure und Architektenzum Bauen. Verwaltungsbeamte sollten hiernicht an die Stelle des Technikers treten.

Auch Dr.-Ing. Markus Wetzel, der Präsidentder Bundesvereinigung der Prüfingenieure fürBautechnik (BVPI), unterstützte die Forderun-gen Henkes. „Im Gegensatz zu Fertigungspro-zessen haben wir es beim Bauen jedes Malmit Prototypen zu tun“, so Wetzel. Die Ver-antwortung für die funktionierende Konstruk-tion liege beim Bauen am Ende auf den Schul-tern der planenden und prüfenden Ingenieu-re. Neben einer hochqualifizierten Ausbildungsei umfangreiche Erfahrung im Büro und aufder Baustelle hier unverzichtbar.

Wetzel bedauerte, dass die angemessene ge-sellschaftliche Anerkennung der unabhängi-gen Prüfingenieure teilweise immer noch zuwünschen übrig ließe. Jeder kenne die Be-schwerden, dass die bautechnische Prüfungdoch nur Geld koste. Eindeutig gebe es aber,so Wetzel, für die Bewertung keine bessereund unabhängigere Institution als den Prüf-ingenieur für Baustatik und Brandschutz imZusammenspiel mit den jeweiligen oberstenBauaufsichten.

Wetzel kritisierte in diesem Zusammenhangaus eigener Erfahrung das duale System. AmBeispiel der Obersten Baubehörde in Ham-burg, die nach einer Teilprivatisierung schonbald wieder ausschließlich öffentlich-recht-lich prüfen ließ, sehe er einen eindeutigenIndikator. Die öffentlich-rechtliche Prüfungsei für die Allgemeinheit und die Auftragge-ber die eindeutig objektivere und unabhän-gigere Variante. „Weder die rechtlicheSteuerung durch Juristen noch die techni-schen Neuerungen in Form von 3-D-Pro-grammen können das Know-how, die inge-nieurmäßige Markttransparenz und die stän-digen Plausibilitätskontrollen auf Sinnhaftig-keit durch erfahrene Prüfingenieure erset-zen“, betonte Wetzel. So sehe er in den 3-DFEM-Programmen zwar eine kraftvolle Un-terstützung in der Entwurfsarbeit, aber nurso lange der Anwender sich der Grenzen die-ser Systeme bewusst sei. (Siehe auch dasEditorial auf Seite 3.)

Dr.-Ing Heinrich Schroeter, der Präsident derBayerischen Ingenieurekammer-Bau ver-sprach den Prüfingenieuren in seiner Anspra-che, dass sie der vollen Unterstützung derBayerischen Ingenieurkammer-Bau sichersein könnten, wenn es um die Bewahrung ih-rer Unabhängigkeit gehe. Er betonte aber,dass die Prüfsachverständigen für Standsi-

cherheit die gleiche Qualifikation nachzuwei-sen hätten wie die Prüfingenieure und ver-wies in diesem Zusammenhang auf die Fort-bildungspflicht der Prüfingenieure. Die gefor-derte Konkretisierung des Umfangs der Wei-terbildung müsse mit Sanktionen bei Nichter-füllung der Fortbildungspflicht einhergehen.Bei den weiteren Überlegungen der Kammerzu dieser Frage werde man selbstverständlichauch die Verbände und unter ihnen natürlichauch die VPI Bayern mit einbinden.

Joachim Hermann, der Bayerische Staatsmi-nister des Innern, lobte die anspruchsvolleDoppelrolle der Prüfingenieure und ihre Prä-senz in nationalen und europäischen Gre-mien. Spektakuläre Projekte am Beispiel desMünchen Airport Centers und der BMW-Weltzeigten, so Hermann, dass Bayern ein inno-vatives Land sei. Das Bauordnungsrecht bietemit der „Zustimmung im Einzelfall“ die Mög-lichkeit, innovative bautechnische und archi-tektonische Ideen in die Praxis umzusetzen.Er betonte das Bestreben der Staatsregie-rung, die freien Berufe bei der Erledigungnotwendiger Aufgaben zu beteiligen, versi-cherte aber Peter Henke hinsichtlich seinerForderungen nach Aufhebung der Zweitei-lung des Prüfsystems regierungsamtliche Ge-sprächsbereitschaft.

Esther Beckenbauer

CEBC-„Business-Meeting“ diskutiert die Einbindung desBuilding Information Modeling in die BauaufsichtWie in jedem Jahr, so fand auch in die-sem Herbst ein „Business Meeting“ desEuropäischen Verbandes für Bauprüfungund -überwachung CEBC (Consortium ofEuropean Building Control) statt, zu demüblicherweise zahlreiche CEBC-Mitglie-der aus den europäischen Nachbarlän-dern mit geladenen Gästen aus Politik,Wirtschaft und Verwaltung zusammen-kommen, um über den beruflichen, poli-tischen und bautechnischen Status quoihrer Länder zu berichten, und um überThemen zu diskutieren, die aus europäi-scher Sicht für die Bauprüfer von beson-derer professioneller Bedeutung sind.

Gastgeber in diesem Herbst war die Baupla-nungsabteilung des israelischen Innenminis-teriums in Jerusalem. Die Israelis haben seiteinigen Jahren ein sehr hohes Interesse ander Entwicklung gezeigt, die die öffentlichenBauaufsichten in den Mitgliedsländern derEU nehmen, und sie haben ihre noch relativ

junge Mitgliedschaft im CEBC sichtbar sehrernst genommen. Deshalb nahmen sie jetztals Gastgeber die Gelegenheit wahr, überneue Prozesse in der Bauverwaltung des Lan-des zu sprechen, hierbei insbesondere überFragen des Bauantrags- und Baugenehmi-gungsverfahren mit dem Schwerpunkt derelektronischen Baugenehmigung. Im Zugedieser Novellierungen wurden auch Ideen fürdie künftige Gestaltung der Bauüberwa-chung in Israel vorgestellt.

Aus deutscher Sicht war, wie Dipl.-Ing. Man-fred Tiedemann, der Geschäftsführer desdeutschen CEBC-Mitgliedes, der Bundesver-einigung der Prüfingenieure für Bautechnik(BVPI), aus Jerusalem berichtete, von ganzbesonderem Interesse das Thema Building In-formation Modeling (BIM) und dessen Ein-bindung in die Bauaufsicht. Hierzu wurde dieThematik anhand eines Fragenkataloges infünf Arbeitsgruppen diskutiert und der aktu-elle Stand in den einzelnen Ländern mitei-

nander verglichen. Bemerkenswert dabei ist,dass diese Methode in vielen Nachbarlän-dern bereits mehr als derzeit in DeutschlandEinzug gehalten hat.

Insgesamt ist die Bedeutung dieser regelmä-ßigen Treffen mit den europäischen Nach-barn hervorzuheben, weil sie die Gelegenheitschaffen, den Kenntnisstand über die Nach-barländer auf einem guten und hohen Stan-dard zu halten, und um ein Netzwerk aktiverPersönlichkeiten zu knüpfen, mit denen imberufspolitischen Tagesgeschäft geeigneteGesprächspartner schnell ausfindig gemachtund bestimmte Sachfragen auch über dieGrenzen des eigenen Landes hinaus gezieltdiskutiert werden können.

Von den 48 CEBC-Konferenzen, die seit 1989stattgefunden haben, wurden übrigens vierin Deutschland organisiert, letztmals im Mai2012 in Hamburg, davor waren Stuttgart undBerlin Veranstaltungsorte.

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NACHRICHTEN

16 Der Prüfingenieur | November 2013

Landesvereinigung NW initiierte eine nützliche Richtliniefür die vereinfachte Bemessung von Holztragwerken Die Landesvereinigung der Prüfingenieu-re für Baustatik in Nordrhein-Westfalenund die Ingenieurkammer-Bau NRW hat-ten 2011 einen Wettbewerb „Planungs-normen praxistauglich“ durchgeführt,mit dem sie vereinfachte Bemessungsre-geln für den Eurocode 5 erhalten woll-ten. Der Zuschlag für dieses Projekt istProf. Dr.-Ing. Werner Seim, Leiter desFachgebiets Bauwerkserhaltung und

Holzbau der Universität Kassel, erteiltworden, der nun die „Richtlinie Holz-bau“ auf der Grundlage des EC5 erstellthat. Nach Vorlage des Entwurfs zurRichtlinie wurde die Anwendung pro-jektbegleitend durch mehrere Prüfinge-nieure für Holzbau und durch auf Holz-bau spezialisierte Tragwerksplaner an-hand praktischer Projekte auf Anwend-barkeit überprüft.

Die Richtlinie gilt für einfache Bauwerke, diedurch Wand- und Deckenscheiben oder mitVerbänden ausgesteift sind. Bei Geschoss-bauten wird die Höhe auf 18 Meter begrenztund bei Hallentragwerken die Spannweitevon Einfeldträgern auf 25 Meter bei einerFirsthöhe von maximal zehn Meter. Als Bau-stoffe werden Nadelholz C24, Brettschicht-holz GL24 bis 28 und OSB-Platten behandelt.

Das DPÜ und die Sachverständigen von BÜV und TOS wollenihre Kooperation „symbiotisch und synergetisch“ vertiefenSeit der langjährige frühere Präsidentder TU Darmstadt und jetzige Vorsitzen-de des Vorstandes des Deutschen Zen-trums für Luft- und Raumfahrt (DLR),Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner, imJuni 2010 auch in das Amt des Präsiden-ten des Deutschen Instituts für Prüfungund Überwachung (DPÜ) gewählt wor-den war, hat sich in diesem Dachverbandfreiberuflicher Sachverständiger, die in-terdisziplinär baubegleitend prüfendeAufgaben im Sinne der Sicherheit unddes Verbraucherschutzes übernehmen,einiges Wegweisendes getan.

Das DPÜ fungiert als Dachverband zweierzentraler Sachverständigenorganisationen,nämlich des Bau-Überwachungsvereins(BÜV) und der Technischen Organisation vonSachverständigen (TOS); der BÜV vertrittSachverständige für die Bautechnik, die TOSSachverständige für die Anlagen-, Verfah-rens- und Prozesstechnik sowie für die Um-weltanalytik.

Die unter der zielgerichteten Leitung Wörnersangestoßenen Bemühungen des neuen Vor-standes des DPÜ haben den Zweck, die fach-lichen Aufgaben und die berufspolitischenZiele beider Trägerorganisationen eindeuti-ger als bisher zu definieren, synergetisch zukanalisieren und dann in die richtigen Bah-nen für eine Realisierung zu lenken.

Diesem Ziel war die jüngste Klausurtagungder Repräsentanten aller dreier Verbände vorallem gewidmet, die am 28. Oktober 2013 inBerlin stattgefunden hat.

Für den Vorstand des DPÜ ist es selbstver-ständlich, dass weite Kreise seiner Trägerorga-nisationen in die Diskussionen und Meinungs-bildungen einbezogen werden. Neben denVorständen waren deshalb auch die Leiter derArbeitskreise und Fachgruppen von BÜV undTOS zu dieser Klausurtagung eingeladen. Siehaben, das wurde bei den Gesprächen an die-sem Tage wieder einmal deutlich, mit ihrer Ar-beit und mit ihren Arbeitsergebnissen in derFachwelt viel Anerkennung und Zuspruch ge-funden, und sie bilden deshalb einen materiellfundamentalen Eckpfeiler des Dachverbandes.

Sehr einig waren sich die Klausurteilnehmeraller dreier Verbände auch in der Beurteilungihrer öffentlichen Wirkung in Politik, Wirt-schaft und Wissenschaft und, vor allem, inden Kreisen der tatsächlichen und potentiel-len Auftraggeberschaft. Dass der öffentlicheBekanntheitsgrad der „Marke“ DPÜ einerwesentlichen Steigerung bedarf, wurde nichternsthaft in Zweifel gezogen. Der Vorstanddes DPÜ – Univ.-Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbe-ken, Dr.-Ing. Hans-Jürgen Meyer und Dr.-Ing.Michael Stauch – solle deshalb, so wurde inder Klausurtagung vereinbart, die Funktioneines Transmitters übernehmen und einerseitsseine eigene, vor allem aber die Prominenzseines Präsidenten, Prof. Dr.-Ing. Johann-Die-trich Wörners, nutzen, um die unabhängigeKompetenz und das sachverständige Fachwis-sen der Mitglieder beider Berufsorganisatio-nen publik zu machen. Beispielhaft wurde dasgroße Engagement des DPÜ-Vorstandes fürdie Akkreditierung der DPÜ-Zert.GmbH ange-führt, an dem die Mitglieder des BÜV erheb-lich partizipieren würden. Die DPÜ-Zert.GmbH ist eine vom DPÜ gegründete Zer-tifizierstelle, die nach der Qualitätsnorm DINEN ISO/IEC 17024 hochqualifizierte Prüfsach-verständige zertifiziert und überwacht.

Schließlich ist man bei der Klausurtagungübereingekommen, eine engere Vernetzungder Trägerorganisationen des DPÜ anzustre-ben, um anderen Prüforganisationen nichtnur als Organisationen, sondern auch inhalt-lich auf Augenhöhe begegnen zu können. DieStrukturen hierfür seien nun vorhanden, ihreVerwirklichung sei aber die ständige Aufgabealler Beteiligten.

DIE AKTIVITÄT VON DPÜ, BÜV UND TOS sollsynergetisch und symbiotisch kanalisiert wer-den, das zumindest hat der Präsident desDPÜ, Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner,bei der letzten Klausurtagung aller dreier Ver-bände angekündigt.

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NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | November 2013 17

Zum 10. Mal: BÜV-Lehrgang für Sachkundige Planer imBereich Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen Der Bauüberwachungs-Verein (BÜV) ver-anstaltet vom 25. Februar bis zum 1.März 2014 in München zum zehnten Maleinen Zertifizierlehrgang für Sachkundi-ge Planer im Bereich Schutz und Instand-setzung von Betonbauteilen. Teilnehmenkönnen nur solche Ingenieure, die nach-weislich mehr als fünf Jahre lang ein-schlägige Berufserfahrungen auf demGebiet der Betoninstandsetzung gesam-melt haben. Da die didaktischen Bedin-gungen und die organisatorischen Kapa-zitäten für die Teilnahme an dieser Aus-bildung begrenzt sind, hat der Veranstal-ter einen Bewerbungsschluss für nötiggehalten und auf den 31. Januar 2014terminiert.

Priorität bei der Aufnahme genießen jeneTeilnehmer, die im Anschluss an den Lehr-gang die Zertifizierung anstreben und dies-bezüglich besondere Kriterien erfüllen müs-sen. Sofern die Aufnahmekapazitäten es er-lauben, sind aber auch jene Teilnehmer will-kommen, die lediglich an der Vortragsreiheinteressiert sind und deren Teilnahme ihrenAbschluss mit einer entsprechenden Beschei-nigung findet.

Es empfiehlt sich, dass zertifizierwillige Teil-nehmer in einem ersten Schritt bereits jetzt

folgende Bewerbungsunterlagen beim BÜVeinsenden:

■ Formloser Antrag auf Teilnahme am Lehr-gang,

■ tabellarischer Lebenslauf mit Lichtbild,■ eine Kopie des Diploms mitsamt Zeugnis,

des Bachelor-, Master- oder eines gleich-wertigen Abschlusses einer ingenieur-oder naturwissenschaftlichen Fachrich-tung oder des Studiums an einer FH, THoder Universität,

■ den Nachweis einer fünfjährigen Berufser-fahrung auf dem Gebiet der Betoninstand-setzung in Form einer chronologisch ge-ordneten Projekt- beziehungsweise Refe-renzliste mit Beschreibung der wichtigstenEckdaten sowie aller Charakteristika derArbeiten.

Nach bestandener Prüfung sowie im Sinneder angestrebten Zertifizierung müssen fol-gende Unterlagen beigebracht werden:

■ Fachliche Unabhängigkeitserklärung,■ polizeiliches Führungszeugnis (nicht älter

als sechs Monate),■ den Nachweis der Mitgliedschaft im BÜV.

Wie in den Vorjahren, verpflichtet oder be-rechtigt die alleinige Bewerbung nicht zur

Teilnahme. Nach Auswertung der Bewer-bungsunterlagen durch die Prüfungskommis-sion erhält der Kandidat Nachricht darüber,ob er prinzipiell zu Ausbildung und Prüfungund somit auch zur Zertifizierung, zugelassenworden ist. Der Teilnehmer entscheidet dannim eigenen Ermessen, ob er verbindlich ander Veranstaltung teilnehmen wird.

Mitveranstalter dieses Lehrgangs, der bun-desweit in Fachkreisen große Anerkennunggenießt, sind die Bayerische Ingenieurekam-mer-Bau, in deren Räumlichkeiten der Lehr-gang auch stattfinden wird, und die DPÜ-Zert.GmbH, die vom Deutschen Institut fürPrüfung und Überwachung (DPÜ) gegründe-te Zertifizierstelle, die nach der Qualitäts-norm DIN EN ISO/IEC 17024 hochqualifiziertePrüfsachverständige zertifiziert und über-wacht.

Die Bewerbungen und Anfragen sind per Postoder per E-Mail zu richten an:

Bau-Überwachungsverein (BÜV e.V.)Herrn Dipl.-Ing. M. VidakovicKurfürstenstr. 12910785 BerlinTel.: (030) 31 98 914-0/-13Mail: [email protected] www.buev-ev.de

Für typische Bauteile mit Rechteckquerschnittwird eine allgemeine Spannungsformel ver-wendet, mit der der allgemeine Fall der zwei-achsigen Biegung mit Normalkraft auch unterBerücksichtigung von Kippen und Knicken ein-fach nachgewiesen werden kann. Weiterhinwerden einfache Formeln und Regeln fürQuerkraft, Feuerwiderstandsdauer sowie Pult-und Satteldachträger zusammengestellt.

Lokale Nachweise zum Querdruck undQuerzug werden mit einfachen Nomogram-men und Tabellen baupraktisch gelöst. Wei-terhin werden für die Nachweise der Verbin-dungsmittel zahlreiche Tabellen zur Verfü-

gung gestellt, die eine schnelle Orientierungüber die Tragfähigkeit der Anschlüsse er-möglichen. Im Anhang werden darüber hi-naus vereinfachte Einwirkungskombinatio-nen vorgestellt und in der Erläuterung zurRichtlinie die einzelnen Vereinfachungen be-gründet.

Sofern die definierten Anwendungsgrenzender Richtlinie bei einer Bemessungsaufgabenicht eingehalten sind, ist eine paralleleNachweisführung nach der Norm immermöglich. Aus einer Übersichtstabelle könnendie entsprechenden Normenbezüge einfachentnommen werden.

Die Richtlinie stellt mit Ihrem knappen Um-fang und ihrer übersichtlichen Gliederung ei-ne sehr sinnvolle Ergänzung zum Eurocode 5dar. Insbesondere gelingt eine schnelle Einar-beitung, und die ingenieurtechnische Prü-fung durch Vergleichsrechnung mit dem Ta-schenrechner ist auf Grundlage der Richtliniemöglich. Sie kostet eine Schutzgebühr von17,50 Euro und kann bei der Ingenieurkam-mer-Bau NRW bestellt werden ([email protected]).

Roeser, W.; Gehlen, B.: Richtlinie Holzbau – Vereinfachte Bemessung von

Holztragwerken nach DIN EN 1995

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18 Der Prüfingenieur | November 2013

Brandschutztechnische Bauteilprüfungen für die Diagnosewerkstofflicher und statischer Aspekte des Tragvermögens Beispiele für die Beurteilung des Tragverhaltens von Infrastrukturbauwerken im Brandfall und dessen Folgen

Bei Tunneln und Brücken gibt es immer wieder signifikanteBrandereignisse. Ihre Beurteilung setzt das Wissen über denzeitlichen Verlauf des Brandes und das Verhalten von Werkstof-fen und Bauarten unter hoher Temperaturbeanspruchung vo-raus. Für die Bestimmung geeigneter Temperaturszenarien undzur Validierung numerischer Modelle sind originalmaßstäblicheGroßbrandversuche unverzichtbar. Darauf aufbauende Bauteil-prüfungen bieten dann die Möglichkeit, unter definierten undreproduzierbaren Prüfbedingungen werkstoffliche und kon-struktive Aspekte ebenfalls unter statischen Gesichtspunktenzu bewerten und/oder das Tragvermögen direkt zu bestimmen.In diesem Beitrag wird der Weg von der Bestimmung der ther-mischen Beanspruchung bis zur Bauteilprüfung aufgezeigt undanhand von Beispielen des Tunnel- und Brückenbaus illustriert.

studierte Bauingenieurwesen an der TH Karlsruhe und promovier-te an der Universität Leipzig; er ist geschäftsführender Gesell-schafter der Gesellschaft für Materialforschung und Prüfungsan-stalt für das Bauwesen Leipzig (MFPA Leipzig), gleichzeitig leiteter die Arbeitsgruppe „Multifunktionale Konstruktionswerkstoffe“am Institut für Mineralogie, Kristallographie und Materialwissen-schaften an der Universität Leipzig

1 Einführung

Brandereignisse in Tunneln stellen durch die schnelle Verrauchung unddie im Vergleich zum offenen Gelände eingeschränkten Fluchtmöglich-keiten eine der größten Gefahren für die Tunnelnutzer dar. Auch habendie in den vergangenen Jahren aufgetretenen Tunnelunfälle deutlichgezeigt, dass die Tragstrukturen der Tunnel erheblichen Brand- bezie-hungsweise Temperaturbeanspruchungen ausgesetzt sein können(zum Beispiel: [1], [2], [12]).

Tunnelbrände unterscheiden sich von Bränden des allgemeinen Hoch-baus signifikant. Sie sind charakterisiert durch einen sehr schnellenTemperaturanstieg und sehr hohe Temperaturen. Beide Charakteristikabedeuten für den Werkstoff und das Bauwerk eine außergewöhnlicheBeanspruchungssituation.

Ähnlich wie für Tunnelbauwerke führen Unfälle, Vandalismus odermenschliches Fehlverhalten immer wieder zu signifikanten Brander-eignissen auf und unter Brücken. Als Beispiele für derartige Brander-eignisse in Deutschland seien die Wiehltalbücke (26.08.2004), eineBrücke im Zuge der BAB A38 bei Querfurt (13.12.2010), eine Brücke imZuge der BAB A57 bei Dormagen (14.02.2012) sowie die Eisenbahn-brücke bei Buchforst (15.06.2012) genannt.

Auch im außereuropäischen Ausland sind verheerende Brandereignisseauf und unter Brücken dokumentiert (zum Beispiel: [11]), in deren Folgees zum Einsturz des Gesamtbauwerks oder zum Einsturz von einzelnenBauwerksteilen gekommen ist, oder die es erforderlich machten, dasBauwerk komplett rückzubauen und dann neu zu errichten.

Da Tunnel und Brücken bedeutende Infrastrukturbauwerke darstellen,ist die Beurteilung der Folgen von Brandereignissen nicht nur von in-genieurwissenschaftlicher sondern auch von volkswirtschaftlicher Be-deutung.

Während für Straßentunnel in den „Zusätzlichen Technischen Ver-tragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten“ (ZTV-ING [4])beziehungsweise in den „Richtlinien für die Ausstattung und den Be-trieb von Straßentunneln“ (RABT [5]) und für Eisenbahntunnel in derRichtlinie „Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes anden Bau und Betrieb von Eisenbahntunneln“ des Eisenbahn-Bundes-amtes (EBA) [3] beziehungsweise nach der Richtlinie 853.1001 derDB AG [6] für Eisenbahntunnel, die Temperatur-Zeit-Kurven zur Be-rücksichtigung des Brandfalls als außergewöhnliche Einwirkung ex-

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Frank Dehn

studierte Wirtschaftsingenieurwesen in der Fachrichtung Bauin-genieurwesen an der Universität Leipzig, wo er im Bereich Statik2003 promovierte; er leitet den Geschäftsbereich Forschung, Ent-wicklung, Modellierung der MFPA Leipzig

Dr.-Ing. habil. Jörg Schmidt

Diesem Bericht liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums fürVerkehr, Bau und Stadtentwicklung, vertreten durch die Bundesanstaltfür Straßenwesen, unter FE-Nr. 89.0278/2011 durchgeführten For-schungsarbeit zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt alleinbei den Autoren.

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Der Prüfingenieur | November 2013 19

plizit ausgewiesen sind (ZTV-ING-Kurve beziehungsweise EBA-Kurve,vgl. Abb. 1), existieren für Brückenbauwerke (noch) keine explizitenAnforderungen. DIN EN 1990 [7] ist mit dem entsprechenden natio-nalen Anhang in der Musterliste der gültigen technischen Baubestim-mungen aufgeführt und gilt gemäß deren Abschnitt 1.1 in Verbindungmit den jeweiligen Teilen der Normenreihen DIN EN 1991 bis DIN EN1999 für die Tragwerksplanung von Bauwerken des Hoch- und Inge-nieurbaus und schließt die Brandschutzbemessung ein. Gemäß DINEN 1990 [7], Abschnitt 1.5.2.4, sind außergewöhnliche Bedingungenfür das Tragwerk (zum Beispiel Brand, Explosion, Anprall oder örtli-ches Versagen) als außergewöhnliche Bemessungssituation zu be-handeln, wofür für die vorgegebene Feuerwiderstandsdauer eine aus-reichende Tragsicherheit gewährleistet werden muss. Ein Bauwerk istalso so auszubilden und auszuführen, dass durch Ereignisse wieBrand, Explosion, Anprall oder menschliches Versagen keine Scha-densfolgen entstehen, die nicht im Verhältnis zur Schadensursachestehen. Dabei gilt Anmerkung 1 in [7], dass die vorgenannten Ereig-nisse und Gefährdungen für jedes Projekt mit dem Bauherrn und derzuständigen Behörde festzulegen sind.

Die Temperatur-Zeit-Kurven, die für den Entwurf und die Bemessungvon Tunnelbauwerken zu berücksichtigen sind, basieren auf umfang-reichen experimentellen Untersuchungen (vgl. zum Beispiel [8]). So-fern für bestimmte Brückenbauwerke von der Möglichkeit der Berück-

sichtigung eines Brandereignisses im Entwurf Gebrauch gemacht wer-den soll, sollte eine anwendungsbezogene Temperatur-Zeit-Kurve inAnsatz gebracht werden, die einerseits ausreichend weit auf der siche-ren Seite liegt, ohne andererseits unwirtschaftlich zu sein. Da die Tem-peraturbeanspruchung von vielen Einflussfaktoren abhängt, ist einefundierte Kenntnis der signifikanten Szenarien und des zeitlichen Ver-laufs notwendig. Für die Bestimmung des anzusetzenden Temperatur-Zeit-Szenarios können zum Beispiel numerische Strömungssimulatio-nen (CFD-Simulationen) herangezogen werden. Um die dabei verwen-deten Modelle zu validieren und um grundlegende Informationen fürdie Modellbildung zu erhalten, sind möglichst im Originalmaßstabdurchzuführende experimentelle Untersuchungen notwendig.

Im vorliegenden Beitrag wird daher über einen Originalbrandversuchberichtet, bei dem ein mit Holzpaletten beladener LKW (zulässiges Ge-samtgewicht 7,5 t) im Brückenbrandprüfstand der MFPA Leipzig abge-brannt wurde. Weiterhin wird der Weg vom Originalbrandversuch bishin zur Bauteilprüfung unter besonderer Berücksichtigung werkstoffli-cher und bemessungsrelevanter Aspekte skizziert.

2 OriginalbrandprüfungenObwohl für das Brandverhalten von Fahrzeugen und gegebenenfallsderen Ladung in Tunneln schon umfangreiche experimentelle Untersu-chungen vorliegen [8], besteht derzeit vor allem Bedarf an Untersu-chungen zu den Auswirkungen veränderter Nutzungsbedingungenund Anwendung neuartiger Werkstoffe, um beurteilen zu können, obdie anzusetzenden Temperatur-Zeit-Szenarien weiterhin als sicher gel-ten können. Als Beispiele seien Aspekte der Werkstoffauswahl bei derFahrzeugherstellung, Auswirkungen der Tunnelausstattung (zum Bei-spiel mechanische Zwangsbelüftung, Vorhandensein von Brandbe-kämpfungsanlagen usw.) oder auch Auswirkungen von Bränden mithäufig zu transportierenden brennbaren Gütern (zum Beispiel Kraft-stoffen) genannt. Abb. 2 zeigt einen originalmaßstäblichen Groß-brandversuch mit einer brennbaren Flüssigkeit. Der Versuch wurde imRahmen eines Forschungsvorhabens genutzt, um den Verlauf der Ener-giefreisetzung, die Temperaturentwicklung und das Verhalten von inder Nähe zu den brennenden Lachen befindlichen Betonbauteilen un-terschiedlicher Zusammensetzung zu bestimmen [9].

Bei dem Versuch wurde unter anderem festgestellt, dass bereits auf-grund von relativ geringen Mengen brennbarer Flüssigkeit (verwendetwurden 1600 Liter Isopropanol), schon nach wenigen Minuten Gas-temperaturen bis zu 1200 Grad Celsius gemessen werden konnten. Einweiteres Ergebnis war, dass die Abbrandgeschwindigkeit der Flüssig-

Abb. 1: Temperatur-Zeit-Kurven für Tunnel nach EBA-Richtlinie [3],ZTV-ING [4] beziehungsweise RABT [5] sowie die für den allgemeinenHochbau anzuwendende Einheitstemperatur-Zeitkurve (ETK)

Abb. 2: Flüssigkeitslachenbrand (links) im Versuchstunnel der MFPA Leipzig (rechts)

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keit mit bis zu 6,3 Millimeter pro Minute deutlich größer war als beiLaboruntersuchungen im Kleinmaßstab, die einen auch in der Literaturdokumentierten Wert von vier Millimeter pro Minute aufwiesen. DieEnergiefreisetzung verlief daher schneller als angenommen, das heißt,die maximale Energiefreisetzungsrate war signifikant größer als sichnach den kleinmaßstäblichen Laboruntersuchungen vermuten ließ.

Die Ergebnisse aus diesem Versuch wurden genutzt, um die für Brand-simulationen in Straßentunneln verwendeten numerischen Modelleder Strömungsdynamik (Computational Fluid Dynamics – CFD) zu vali-dieren, um dann mit diesen validierten Modellen Flüssigkeitslachen-brände in Straßentunneln zu simulieren. Die Ergebnisse der CFD-Be-rechnungen sind in [18] publiziert.

Durch die oben genannten Brandereignisse motiviert, aber auch we-gen der volkswirtschaftlichen Bedeutung bestimmter Brückenbauwer-ke besteht zunehmend ein Interesse an einer Risiko- beziehungsweiseFolgenabschätzung für den Fall eines Brandes oberhalb und unterhalbvon Brücken. Auf Erfahrung basierende Temperatur-Zeit-Abhängigkei-ten sind noch nicht vorhanden. Aufgrund der Tatsache, dass sich bei-spielsweise Tunnelbrände von Bränden in üblichen Hochbauten oderauch im Freiland deutlich unterscheiden, ist bekannt, dass nicht nurdie Brandlast, sondern auch die örtlichen Gegebenheiten, beziehungs-weise die Form des (teilweise) umbauten Raums, den Brandverlauf,das heißt also, den Verlauf der Energiefreisetzungsrate und den Tem-peratur-Zeit-Verlauf sowie die Maximaltemperaturen der Heißgaseund der Bauteile signifikant beeinflussen (vgl. auch [17]).

Exemplarisch sei hier die Beeinflussung des Temperaturfeldes und desStrömungsverlaufs der Heißgase infolge behinderter Konvektion beiBränden unterhalb von Brücken genannt, die aus dem Vorhandenseindes Brückenüberbaus und gegebenenfalls der Widerlager resultiert.Auch stellen diese Bauteiloberflächen Reflexionsbereiche für die Wär-mestrahlung dar.

Da am Beispiel des Tunnelbrandes mit einer brennbaren Flüssigkeit ge-zeigt werden konnte, dass eine rein numerische Betrachtung, die aufden in der Literatur dokumentierten Daten beruht, teilweise zu nichtzu vernachlässigenden Abweichungen von dem realen Brand führenkann, sind experimentelle Untersuchungen für den grundsätzlichen Er-kenntnisgewinn, aber auch für die Validierung der numerischen Mo-delle von entscheidender Bedeutung.

Gezielte experimentelle Untersuchungen im Originalmaßstab fürBrände unterhalb von Brücken sind bisher nicht bekannt. Aus diesenGründen wurde ein originalmaßstäblicher Brückenbrandprüfstandbei der MFPA Leipzig errichtet. Der Prüfstand (Abb. 3) besteht aus

einer 50 Zentimeter dicken und zehn Meter langen Widerlagerwand,zwei Stahlbetonrundstützen d = 75 Zentimeter sowie aus einemStahl-Beton-Verbundüberbau mit 100 Quadratmeter Grundfläche.Die lichte Höhe beträgt 4,50 Meter. Es kam ein im Brückenbau übli-cher Beton der Festigkeitsklasse C30/37 zur Anwendung. Der Über-bau besitzt eine Stützweite von 9,60 Meter, bei einer Gesamtlängevon zehn Meter und eine Breite von ebenfalls zehn Meter. Der Ver-bundquerschnitt ist aus zwei Stahlträgern und einer 20 Zentimeterdicken Ortbetonplatte zusammengesetzt. Der Stahlträgerabstandbeträgt sechs Meter. Die Stahlträger sind statisch bestimmt auf Rolleund Prisma gelagert.

Im Rahmen eines Großbrandversuchs wurde ein Brand eines mit Holz-paletten beladenen LKW (zulässiges Gesamtgewicht 7,5 t) simuliert.Bei dem zu untersuchenden Palettenbrandszenario wurde angenom-men, dass der LKW (zum Beispiel wegen eines technischen Defekts)während der Fahrt in Brand gerät und dass der LKW-Fahrer das Fahr-zeug mit bereits brennender Ladung unterhalb der Brücke abstellt.Dieses Verhalten konnte zum Beispiel bei dem Brand eines LKW aufder A38 bei Querfurt (am 13.12.2010) festgestellt werden.

Um dieses authentische Szenario nachzustellen, wurde im Versuch ei-ne schnelle Brandentwicklung mit möglichst schnell einsetzender Voll-brandphase erforderlich. Die Brandlast bestand aus 3000 kg Holzpa-letten (europäischem Nadelholz), 230 kg Isopropanol und der Brand-last des LKW selbst. Der LKW besaß eine Gesamtmasse ohne Zuladungvon 4300 kg. Nach dem Brand wurde eine Restmasse des LKW von3600 kg gewogen. Damit verbrannten 700 kg unterschiedliche im be-ziehungsweise am LKW befindliche Materialien. Im Tank des LKW be-fanden sich vor Brandbeginn 20 Liter Dieselkraftstoff, der sich jedocherst 25 Minuten nach Brandbeginn entzündete. Aus der Zuladung re-sultieren, unter Vernachlässigung der Brandentwicklungsphase inAnalogie zu den Verläufen der sogenannten Naturbrandmodelle nachDIN EN 1991-1-2 ([14], [13]), die in Abb. 4 ausgewiesenen möglichenVerläufe der Energiefreisetzungsrate. Es würde sich demnach aus denAnnahmen um einen 20 bis 40 MW Brand handeln. Die Vollbrandpha-se könnte 15 bis 20 Minuten betragen.

Am Überbau wurden zwischen den beiden Stahlträgern die Gastempe-raturen jeweils fünf und 50 Zentimeter unterhalb der Betonplatte im

Abb. 3. Brückenbrandprüfstand und Versuchsaufbau Abb. 4: Berechnete Verläufe der Energiefreisetzungsrate infolge einesBrands von 3 t Holzpaletten (in Anlehnung an [13])

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Raster von 1,5 x 1,5 Meter an zwölf Stellen gemessen. Weitere der ins-gesamt 382 Temperaturmessstellen befanden sich innerhalb der Be-tonplatte des Überbaus, an den Stahlträgern, in der Widerlagerwandund in den Stahlbetonstützen. Es sei für die ingenieurmäßige Beurtei-lung des Durchwärmungsverhaltens von Beton darauf hingewiesen,dass am Versuchstag auf dem Brückenüberbau eine fünf Zentimeterdicke Schneedecke lag.

Der Beschreibung des Brandverlaufs dienen folgende Beobachtungen:

■ Acht Minuten nach Versuchsbeginn ist der Brand vollentwickelt(Abb. 5). Das Führerhaus des Fahrzeuges und der Motorraum ent-zünden sich und brennen. Die gemessenen Maximalwerte der Gas-temperatur fünf Zentimeter unterhalb des Brückenüberbaus betru-gen 960 Grad Celsius. Die maximale Temperatur der Stahlträger be-trug 760 Grad.

■ Nach 13 Minuten fielen die ersten Palettenstapel in sich zusammen.Die Biegeverformungen des Überbaus waren deutlich sichtbar. Diemaximalen Verformungen des Stahlträgers betrugen schätzungs-weise mehr als 30 Zentimeter. Anhand der Biegevorformungen er-kennt man den aus der ungleichmäßigen Temperaturbeanspruchungresultierenden räumlichen Lastabtrag (Abb. 6). Weitere Palettensta-pel fielen ein.

■ Nach 22 Minuten begannen die Vorderreifen zu brennen. Drei Minu-ten später entzündete sich der Kunststofftank beziehungsweise des-sen Inhalt. Die Holzpaletten waren vollständig zusammengefallenund brannten gleichmäßig weiter.

■ Ab der 40. Minute nahm die Intensität des Brandes weiter ab. DasFahrerhaus war vollständig ausgebrannt.

■ Nach 60 Minuten lag auf dem Überbau noch Schnee. Die Verfor-mungen des Überbaus (infolge der ungleichmäßigen Temperaturän-derung) reduzierten sich deutlich.

Eine Erkenntnis des Großbrandversuchs ist, dass die Temperaturent-wicklung sehr schnell erfolgt und der Temperaturanstieg eher mit einerfür Tunnel anzuwendenden Temperatur-Zeit-Kurve vergleichbar ist alsmit der Einheitstemperatur-Zeitkurve (ETK) nach DIN EN 1991-1-2 [14],welche für den allgemeinen Hochbau gilt. Der ermittelte Temperatur-Zeit-Zusammenhang kann für die Validierung der CFD-Modelle genutztwerden, mit denen die Auswirkungen eines vergleichbaren Brandes beianderen geometrischen Verhältnissen simuliert werden kann.

Im Ergebnis einer solchen breit angelegten Parameterstudie könnte ei-ne Temperatur-Zeit-Kurve abgeleitet werden, welche dann als Ein-gangsgröße der Berechnung des Durchwärmungsverhaltens dienenkönnte. Bei der Bestimmung der Temperatur-Zeit-Kurve sind auch die

Folgen des in der Regel schon nach relativ kurzer Zeit beginnendenLöscheinsatzes der Feuerwehr zu berücksichtigen.

3 Aspekte der BemessungInfolge eines Brandereignisses beziehungsweise der daraus resultie-renden Temperatureinwirkung auf die Tragkonstruktion wird diese un-gleichmäßig erwärmt. Daraus resultieren innere Zwängungenund/oder Tragwerksverformungen. Die mechanische Berechnung derTragwerksantwort setzt die Kenntnis des Temperaturfeldes und gege-benenfalls des Temperaturverlaufs im Bauteil voraus. Die Berechnungdes sogenannten Durchwärmungsverhaltens erfolgt meist unter An-wendung der Methode der Finiten Elemente. Die benötigten Material-eigenschaften sind in Abhängigkeit von der Temperatur zum Beispielfür Stahlbeton in DIN EN 1992-1-2 ausgewiesen [15]. Eine direkte An-wendung der in [15] ausgewiesenen zeitpunktbezogenen Isothermenist für Tunnel und Brücken nicht möglich, da der zeitliche Verlauf derTemperatureinwirkung bei oben beschriebenem Brückenbrand und beiTunneln unterschiedlich ist ([3], [4], [5], [6]).

Sowohl bei Straßen- als auch bei Eisenbahntunneln ist bei der Durch-wärmungsberechnung ein Phänomen zwingend zu beachten, welchesdas Temperaturfeld entscheidend beeinflusst: Betonabplatzungen. Esist bekannt, dass bei Verwendung herkömmlicher Betone infolge ein-seitiger Beanspruchung gemäß ZTV-ING [4] beziehungsweise gemäßRABT [5] oder EBA-Richtlinie [3] beziehungsweise DB RIL 853.1001 [6]teilweise massive Abplatzungen auftreten können (zum Beispiel [1],[2,] [10]). Die Betonabplatzungen beeinflussen die Temperaturvertei-lung im Bauteil, da sich durch die Abplatzungen die brandbeanspruch-te Bauteiloberfläche verändert und die Betondeckung der tragendenBewehrung reduziert wird, wodurch diese sich schneller erwärmt alsim Falle ohne Betonabplatzungen.

In Abhängigkeit von der Beanspruchungssituation der Tragstrukturkönnen also diese Betonabplatzungen das Tragvermögen signifikantbeeinflussen.

Als Beispiel sei ein Tübbingtunnel im Zuge einer Eisenbahnstrecke an-geführt. Gemäß DB Ril 853.1001 [6] darf die Tiefe der Betonabplatzun-gen über eine Risikosumme abgeschätzt werden, die von verschiede-nen Betoneigenschaften und der Belastungssituation abhängig ist. Jenach Risikosumme ist gemäß [6] mit Betonabplatzungen von bis zu 25Zentimeter zu rechnen. Derart massive Betonabplatzungen sind (zu-mindest lokal) bei eigenen Brandversuchen mit herkömmlichen Beto-nen tatsächlich beobachtet worden (Abb. 7).

Abb. 5: Brand 8 Minuten nach Versuchsbeginn Abb. 6: Brand ca. 13 Minuten nach Versuchsbeginn

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Es sei aber auch erwähnt, dass durch die Wahl geeigneter Betonrezep-turen mit Zusatz von Kunststofffasern (in der Regel Polypropylenfa-sern), die Betonabplatzungen auf wenige Zentimeter begrenzt werdenkönnen (Abb. 8). Sofern aber tatsächlich Betonabplatzungen von biszu 25 Zentimeter auftreten würden, beeinflussen diese entscheidenddas Tragvermögen. Die innere Bewehrung würde freigelegt werdenund weist aufgrund ihrer Temperatur keine tragende Funktion mehrauf.

Allein anhand dieser Beispiele ist zu erkennen, dass das Wissen bezüg-lich des Abplatz- und/oder des Tragverhaltens von besonderem Inte-resse für die Risiko- beziehungsweise Folgenabschätzung eines Brand-ereignisses ist.

Während mit den Angaben der DIN EN 1992-1-2 [15] bezüglich destemperaturabhängigen Materialverhaltens von Betonstahl und Betondie Möglichkeit der Berechnung des Tragverhaltens von Stahlbeton-konstruktionen im Brandfall, eine sogenannte Heißbemessung, eröff-net wird, kann ein wesentlicher Einflussparameter nicht ohne Weiteresabgeschätzt werden – die Tiefe der Betonabplatzungen.

Obwohl in der Literatur verschiedene Modelle zur Berechnung der Be-tonabplatztiefe veröffentlicht worden sind, zeigt die Gegenüberstel-lung gemessener und prognostizierter Abplatztiefen in der Bauteilprü-fung signifikante Unterschiede mit teilweise gegensätzlichen Tenden-zen. Sofern für die einzusetzende Betonrezeptur keine Erfahrungenvorliegen, ist eine Bauteilprüfung zur experimentellen und damit ver-lässlichen Bestimmung des Brand- und Abplatzverhalten einzelnerBauteile zwingend ratsam.

4 BauteilprüfungenBei bedeutenden Infrastrukturbauwerken ist die Kenntnis des Verhal-tens der Konstruktion im Brandfall zur Gewährleistung der Schadens-begrenzung entscheidend. Eine zuverlässige Beurteilung des Tragver-haltens bietet die großmaßstäbliche (Bauteil-)Brandprüfung unter Be-rücksichtigung der tatsächlichen mechanischen und thermischen Be-anspruchungssituation. Abb. 9 zeigt einen Versuchsstand für dieDurchführung von Brandprüfungen für Tuneltübbings und -ausschnitteunter horizontalen und vertikalen äußeren Lasten.

Die Prüfung großmaßstäblicher Probekörper bietet einerseits die Mög-lichkeit, verschiedene Betonrezepturen und deren Auswirkungen aufdas Abplatz- und Tragverhalten direkt und vergleichend zu prüfen(Abb. 7 und Abb. 8). Anderseits kann das Tragvermögen nach einer

bestimmten Brandeinwirkungsdauer direkt bestimmt werden, sodassdas Ergebnis direkt für die Nachweisführung angewendet werdenkann.

Bauteilprüfungen bieten, im Gegensatz zu den originalmaßstäblichenGroßbrandversuchen, die Möglichkeit, durch die definierten Prüfbe-dingungen, den Einfluss bestimmter Parameter zu bestimmen. Als Bei-spiel sei die Ermittlung der notwendigen Menge an Kunststofffaserngenannt, die dem Beton zuzugeben sind, um die Betonabplatzungenausreichend zu beschränken.

Damit von den Versuchsergebnissen direkt auf das reale Tragverhaltender Struktur geschlussfolgert werden kann, bedarf die Planung derVersuche besonderer Sorgfalt. Beispielsweise sollten die horizontalenund vertikalen Kräfte so gewählt werden, dass die Spannungen im Be-ton im Bereich der brandzugewandten Seite in guter Näherung einenrepräsentativen beziehungsweise signifikanten Spannungszustanddes Bauteils abbilden.

Aus der Erfahrung ist es generell empfehlenswert, die Temperatur inverschiedenen Tiefen zur brandbeanspruchten Oberfläche messtech-nisch zu erfassen, um einerseits die Wärmeleitfähigkeit ermitteln zukönnen und andererseits für eine mögliche numerische Nachweis-führung nichtgeprüfter Aspekte (zum Beispiel Nachweis der Koppel-kräfte, Nachweis der Kräfte in der Längsfuge) ausreichend verlässli-che Daten zum zeitabhängigen Temperaturfeld zur Verfügung zustellen.

Abb 7: Betonabplatzungen infolge EBA-Temperaturkurve bei her-kömmlichem Beton (maximale Abplatztiefe ca. 250 mm)

Abb. 8: Ergebnis einer EBA-Temperaturbeanspruchung bei geeigneterBetonrezeptur (maximale Abplatztiefe ca. 20 mm)

Abb. 9: Prüfstand zur Durchführung belasteter Brandprüfungen(„Tübbingofen“) der MFPA Leipzig

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Der Prüfingenieur | November 2013 23

5 ZusammenfassungIn Tunneln und auf Brücken führen Unfälle, menschliches Fehlverhaltenoder Vandalismus immer wieder zu signifikanten Brandereignissen.Nicht nur aufgrund ingenieurwissenschaftlicher Fragestellungen, son-dern vor allem aufgrund der volkswirtschaftlichen Bedeutung dieserInfrastrukturbauwerke ist die Beurteilung des Verhaltens im Brandfallund dessen Folgenabschätzung von Interesse. Für die Bestimmung ge-eigneter Temperatur-Zeit-Szenarien sind originalmaßstäbliche Groß-brandversuche für die Ermittlung möglicher Einflussgrößen und für dieValidierung von CFD-Modellen, welche sich wiederum für breit ange-legte Parameteruntersuchungen anbieten, von besonderem Interesse.Sind diese Beanspruchungsszenarien definiert, so bieten Bauteilprü-fungen die Möglichkeit, unter definierten Prüfbedingungen werkstoff-liche und konstruktive Aspekte zu bewerten und/oder das Tragvermö-gen direkt zu bestimmen. Auf mögliche Betonabplatzungen, welcheinsbesondere bei Tunnelbränden zu beobachten sind, wurde beson-ders hingewiesen. Die Kenntnis der tatsächlich zu erwartenden Beton-abplatzungen ist von entscheidender Bedeutung für das Trag- und Ver-formungsverhalten im Brandfall. Großmaßstäbliche belastete Bauteil-prüfungen eignen sich auch für die Quantifizierung der Abplatzungs-fläche beziehungsweise Abplatztiefen. Mit diesen Prüfergebnissenwird eine belastbare Basis geschaffen, das Verhalten der Konstruktionim Brandfall und dessen Folgen abzuschätzen, die dann unter beson-derer Berücksichtigung der Eurocodes, insb. DIN EN 1992-1-2 [15] undDIN EN 1993-1-2 [16], durchgeführt werden kann.

6 Literatur[1] EuroTest: „Chronology: Serious tunnel accidents since 1970”,

http://www.eurotestmobility.com/eurotap.php?itemno=245&lang=EN (aufgerufen am 02.03.2010), Brussels, Belgium, 2010

[2] Beard, A.; Carvel, R. The Handbook of Tunnel Fire Safety. Th. TelfordPublishing, 2005

[3] EBA-Richtlinie: Anforderungen des Brand- und Katastrophenschut-zes an den Bau und Betrieb von Eisenbahntunneln. Eisenbahn-Bundesamt, Bonn, 07/2008

[4] ZTV-ING: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtli-nien für Ingenieurbauten. 07/2012

[5] RABT: Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Stra-ßentunneln. 2006

[6] DB Ril 853.1001: Eisenbahntunnel planen, bauen und instand-halten. DB Netz AG, Frankfurt 12/2012

[7] DIN EN 1990: 2010-12: Eurocode: Grundlagen der Tragwerkspla-nung.

[8] Studiengesellschaft Stahlanwendung e. V.: „EUREKA-PROJECTEU 499: FIRETUN – Fires in Transport Tunnels“, Düsseldorf,Deutschland, 1995

[9] Dehn, F; Kotthoff, I.; Neumann, N.; Hegemann, K.; Heide, U.;Schmidt, J.: Brandversuche in Tunneln – Untersuchungen zumAustritt brennbarer Flüssigkeiten. Schlussbericht zum BASt-For-schungsvorhaben Straßenwesen, MFPA Leipzig GmbH, 2011

[10] Dehn, F.; Nause, P.; Juknat, M.; Orgass, M.; König, A.: Brand- undAbplatzverhalten von Faserbeton in Straßentunneln. Schlussbe-richt zum BASt-Forschungsprogramm Straßenwesen, MFPA Leip-zig GmbH, 2007

[11] Garlock, M.; Paya-Zaforteza, I.; Kodur, V.; Gu, L.: Fire hazard inbridges: Review, assessment and repair strategies. EngineeringStructures 35 (2012) 89-98

[12] Schneider, U.; Horvath, J. Brandschutz-Praxis in TunnelbautenBauwerk-Verlag, 2006

[13] Hosser, D.: „Leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes“,Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e. V.(vfdb), 2. Auflage, Altenberge, Deutschland, 2009

[14] DIN EN 1991-1-2: 2010-12: Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1-2: Allgemeine Einwirkungen – Brandeinwirkungen auf Tragwerke

[15] DIN EN 1992-1-2: 2010-12: Eurocode 2: Bemessung und Kon-struktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil 1-2:Allgemeine Regeln – Tragwerksbemessung für den Brandfall

[16] DIN EN 1993-1-2: 2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Kon-struktion von Stahltragwerken – Teil 1-2: Allgemeine Regeln –Tragwerksbemessung für den Brandfall

[17] Carvel, R.; Beard, A. & Jowitt, P. W. The Influence of Tunnel Geo-metry and Ventila-tion on the Heat Release Rate of a Fire FireTechnology 40 (2004) 5-26

[18] Schmidt, J.; Bergerhausen, U.; Dehn, F.: Großbrände in Stahlbe-ton-Straßentunneln – Temperaturbeanspruchung, Durchwär-mungs- und Abplatzverhalten. Beton- und Stahlbetonbau 108(2013), Heft 10

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24 Der Prüfingenieur | November 2013

Neue Gestaltungsrahmen für den Brandschutz durch die Anwendung der Muster-IndustriebaurichtlinieErfahrungen bei der bauaufsichtlichen Prüfung vonBrandschutzkonzepten für landwirtschaftliche Stallanlagen

Brände sind in der Landwirtschaft keine Seltenheit, und für ge-wöhnlich sind sie mit hohen Verlusten für den betroffenen land-wirtschaftlichen Betrieb verbunden. Neben der Zerstörung vonSachwerten in Form von Gebäuden und Einrichtungen kann da-bei auch der Verlust eines Großteils der Tiere durchaus Be -triebs existenzen gefährden; auch Menschenleben können inGefahr geraten. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit denbauordnungsrechtlichen Anforderungen an den Brandschutz beilandwirtschaftlichen Gebäuden, und er zeigt Möglichkeiten fürdie Anwendung von Sonderbauvorschriften und für die Prüfungvon Brandschutzkonzepten auf, vor allem der Muster-Industrie-baurichtlinie (M IndBauRL), die zu jenen Mustervorschriften derBauministerkonferenz der Länder (ARGEBAU) gehört, welchedie Ausgangsbasis dieses Artikels bilden und die in den Landes-bauordnungen zahlreicher Bundesländer bereits eingeführtworden sind.

ist Bauingenieur und Prüfingenieur für Brandschutz; nach demAbschluss des Studiums promovierte er 1991 an der Brandenbur-gischen Technischen Universität Cottbus auf dem Gebiet des Ex-plosionsschutzes; in seiner anschließenden Tätigkeit als Bausach-verständiger erfolgte die Spezialisierung auf den Brandschutz mitdem Aufbau eines eigenen Ingenieur- und Sachverständigenbü-ros; seit 1994 nimmt er Lehraufträge an der Universität Rostockund an der Hochschule Wismar wahr; 2012 wurde er in Wismarzum Honorarprofessor für Brandschutzplanung berufen; Riesnerist Dozent des Europäischen Instituts für postgraduale Bildung(EIPOS) der Technischen Universität Dresden, und an der Hoch-schule Wismar leitet er das Netzwerk Brandschutz mit deren jähr-lich stattfindenden Brandschutztagen.

1 BauordnungsrechtlicheAnforderungen

Basierend auf der Musterbauordnung der Länder der ARGEBAU (MBO)von 2002 [1] unterliegen bauliche Anlagen einer Zuordnung in Gebäu-deklassen (Tab. 1). Die Einteilung erfolgt in Abhängigkeit von der

■ Höhe der Fußbodenoberkante des obersten Geschosses mit mögli-chen Aufenthaltsräumen über der mittleren Geländeoberfläche undvon der

■ Anzahl und Größe der Nutzungseinheiten, wobei Flächen in Keller-geschossen außer Betracht bleiben.

Die Definition von Aufenthaltsräumen nach § 2 Abs. 5 der MBO ist sehrallgemein gefasst: Aufenthaltsräume sind Räume, die zum nicht nurvorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignetsind. Eine zweckdienlichere Orientierungshilfe liefert hier die VDI-Richtlinie 6022 (Hygiene-Anforderungen an Raumlufttechnische Anla-gen und Geräte). Sie definiert Räume als Aufenthaltsbereiche, in de-nen sich bestimmungsgemäß Personen mehr als 30 Tage pro Jahr oderregelmäßig länger als zwei Stunden je Tag aufhalten.

Die aus der Gebäudeklasseneinstufung der MBO resultierenden allge-meinen Anforderungen beschränken sich auf Standardbauten wieWohn-, Büro- und Verwaltungsgebäude. Davon abweichende Gebäu-de beziehungsweise Nutzungen werden als Sonderbauten eingestuft.Landwirtschaftliche Gebäude erfüllen in der Regel durch § 2 Abs. 4 Nr.3 MBO (Grundfläche > 1.600 m²) den Status eines Sonderbaus, wo-raus sich in Bezug auf den Brandschutz besondere Anforderungen undmögliche Erleichterungen nach Paragraf 51 MBO ableiten lassen.

Prof. Dr.-Ing. Frank Riesner

Gebäude-klasse

Kriterien

GK 1a freistehende Gebäude mit einer Höhe bis zu 7 mund nicht mehr als zwei Nutzungseinheiten voninsgesamt nicht mehr als 400 m2 Bruttogrundfläche

GK 1b freistehende land- und forstwirtschaftlich genutzteGebäude

GK 2 Gebäude mit einer Höhe bis zu 7 m und nicht mehrals zwei Nutzungseinheiten von insgesamt nichtmehr als 400 m2 Bruttogrundfläche

GK 3 sonstige Gebäude mit einer Höhe bis zu 7 m

GK 4 Gebäude mit einer Höhe bis zu 13 m und Nut-zungseinheiten mit jeweils nicht mehr als 400 m2

Bruttogrundfläche

GK 5 sonstige Gebäude einschließlich unterirdischer Ge-bäude

Tab. 1: Gebäudeklassen nach § 2 Abs. 3 der MBO

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Der Prüfingenieur | November 2013 25

Durch diese Sonderstellung wird im Rahmen der Bauvorlagen zur Er-teilung einer Baugenehmigung über den normalen Brandschutznach-weis hinausgehend die Erstellung eines objektspezifischen Brand-schutzkonzeptes und dessen Prüfung nach dem Vier-Augen-Prinzip ge-fordert (Tab. 2).

Die gegebenenfalls zwingende Anwendung einer Sonderbauvorschriftist bundeslandabhängig zu prüfen und geht aus der Liste der Techni-schen Baubestimmung des jeweiligen Bundeslandes hervor. Für land-wirtschaftliche Gebäude existieren im Allgemeinen keine bauaufsicht-lich eingeführten Sonderverordnungen, sodass bei der Erstellung derBrandschutzkonzepte von „ungeregelten Sonderbauten“ ausgegan-gen wird. Dies deckt sich mit den Ausführungen der FachkommissionBauaufsicht der Bauministerkonferenz (ARGEBAU) vom 16./17.10.2008 [2] und setzt beim Ersteller eines Brandschutzkonzeptes einenhohen Wissens- und Erfahrungsstand voraus. Letztendlich gilt es, denNachweis für die Umsetzung der vier allgemeinen Schutzziele desBrandschutzes nach Paragraf 14 MBO nachhaltig zu erbringen, sodasseine Brandverhinderung, eine Brandabschottung, die Rettung vonMenschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.

2 Brandschutzanforderungen nach MBODie Einstufung in eine Gebäudeklasse bestimmt die brandschutztech-nischen Anforderungen an das Feuerwiderstandsverhalten der Bau-konstruktion. Diese erstrecken sich von einem vollständigen Verzichtbei den oberirdischen Geschossen bis hin zu fest definierten Bauteil-klassifizierungen (Tab. 3 und Tab. 4).

Freistehende land- und forstwirtschaftlich genutzte Gebäude ohne Auf-enthaltsräume für Menschen werden der Gebäudeklasse 1b zugeordnetund müssen hinsichtlich ihrer statisch relevanten Tragwerke im Wand-und Dachbereich keine brandschutztechnischen Mindestanforderungenerfüllen. Damit sind zum Beispiel Stall- und Scheunengebäude in Holz-bauweise oder mit einer ungeschützten Stahlkonstruktion zulässig.Eventuelle Unterkellerungen sind von der Erleichterung ausgenommen.Diese müssen mindestens feuerhemmend ausgebildet werden.

Hinsichtlich der Gebäudeausdehnungen wird die Brandabschnittsbil-dung mit Längen von höchstens 40 m x 40 m nach § 30 Abs. 2 Nr. 2MBO durch den Bezug auf den Brutto-Rauminhalt bei landwirtschaft-

lich genutzten Gebäuden aufgehoben. Als zulässige Brandabschnitts-größe wird ein Brutto-Rauminhalt von ≤ 10.000 m³ festgeschrieben(§ 30 Abs. 2 Nr. 3 MBO).

Die Ausbildung der Rettungswege unterliegt den allgemeinen Bestim-mungen nach § 33 und § 35 Abs. 2 MBO. Dem folgend muss nachhöchstens 35 m Lauflänge ohne die Berücksichtigung von Einbautenmindestens ein Ausgang ins Freie oder ein Zugang zu einem notwendi-gen Treppenraum erreichbar sein. Inwieweit damit neben der Rettungvon Menschen auch die Rettung von Tieren möglich ist, wird in derMBO nicht differenzierter betrachtet. Durch die Aufnahme des Tier-schutzes in das Grundgesetz im Mai 2002 wurde jedoch der Schutzan-spruch für Tiere aufgewertet.

* sowie Mittel- und Großgaragen

GK Form§ 11 MBauVorlV

Erstellung durch…§ 66 (2) MBO§ 54 (2) MBO

Prüfung durch…§ 66 (3) MBO§ 67 MBO § 19 MPPVO

Überwachung durch...§ 81 (2) MBO§ 19 MPPVO(§ 51 Nr. 21 MBO)

1 - 3 keine Entwurfsverfasser keine Entwurfsverfasser

4 Brandschutz-Nachweis

Brandschutzplaner oder Prüfingenieur / Prüfsachverständiger für Brandschutz

keine Brandschutzplaner oder Prüfingenieur / Prüfsachverständiger für Brandschutz

5 Brandschutz-Nachweis

Entwurfsverfasser, Brandschutzplaner oder -fachplaner

Untere BA oderPrüfingenieur / Prüfsachverständiger

Untere BA oderPrüfingenieur / Prüfsachverständiger

Sonder-bauten*

Brandschutz-Konzept

Entwurfsverfasser,Brandschutzplaner oder -fachplaner

Untere BA oderPrüfingenieur / Prüfsachverständiger

Untere BA oderPrüfingenieur / Prüfsachverständiger

Tab. 2: Brandschutznachweiseund -konzepte nach § 66 MBOund § 11 MBauVorlV (Mustereiner Verordnung über Bauvor-lagen und bauaufsichtliche An-zeigen – Musterbauvorlagen-verordnung)

BauaufsichtlicheBenennung

Kurzbezeichnungnach DIN 4102

Kurzbezeichnungnach

DIN EN 13501

fh - feuerhemmend F 30 R 30 / REI 30

hfh - hochfeuerhemmend F 60 R 60 / REI 60

fb - feuerbeständig F 90 R 90 / REI 90

Tab. 3: Feuerwiderstandsklassen bei der Bauteilklassifizierung

ca. AnzahlGeschoss

Anforderungen an die Feuerwiderstandsfähigkeitder Bauteile (hier tragende Wände und Decken)

8 und mehr Hochhaus

7 fb

6

5

4 hfh

3

2 ohneAnforderung

fh fh

1

EG

KG fh fh fb fb fb

GK 1 GK 2 GK 3 GK 4 GK 5

Tab. 4: Brandschutzanforderungen nach § 27 MBO

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26 Der Prüfingenieur | November 2013

Die Rettung von Tieren aus eigener Kraft oder durch zusätzliche Hilfs-maßnahmen wird gegenwärtig kontrovers diskutiert. Einheitliche Lö-sungen können derzeit nicht aufgezeigt werden und müssen für jedenSonderbau durch das Brandschutzkonzept und durch den Prüfer desBrandschutzes individuell gewichtet werden.

Die dabei auftretenden Problemfelder sind bekannt. Der Ansatz einerSelbstrettung ist bei Tieren nicht nachhaltig, denn sie reagieren nichtwie Menschen auf eine Alarmierung. Weiterhin ist bekannt, dass Tierein ausschließlicher Stallhaltung diesen für sie sicheren Bereich auchbei Gefahren nicht von alleine verlassen. Manuelle Hilfsmaßnahmenseitens des Betreibers oder der Einsatzkräfte der Feuerwehr dürften zuspät einsetzen, denn wie für den Menschen ist der Rauch auch für dasTier tödlich. Tiere aus klimatechnisch geschützten Bereichen wie zumBeispiel in Geflügelanlagen werden im Winter die Rettung ins Freienicht unbeschadet überstehen. Des Weiteren endet ein Rettungskon-zept nicht am Stallausgang ins Freie. Auf dem Grundstück müssen ab-gesperrte Freiflächen vorgehalten werden, damit es zu keiner Beein-trächtigung des öffentlichen Verkehrs kommt. Automatische Rettungs-systeme wie zum Beispiel komplett wegklappende Stallaußenwändeoder selbsttätig öffnende Boxen und Tore dürften nach den erstenFalschauslösungen abgestellt werden, weil der entstandene Schadenden Wert des Tierbestandes übersteigen wird.

Pauschale Ausführungen in den Brandschutzkonzepten wie beispiels-weise

„… die Entscheidung zur Rettung von Tieren obliegt dem Bau -herrn/Landwirt …“,„… erhöhte Anforderungen an die Evakuierung von Tieren, wobei dieEvakuierung der Tiere im Falle eines Brandes mit dem Personal kaummöglich ist …“,„… auch für die Tiere existieren Rettungswege. Zuvor müssen sich je-doch alle Personen in Sicherheit befinden …“,„… die Rettung von Tieren ist ein Problem, deshalb ist die Abstim-mung zwischen Personal und Rettungskräften erforderlich …“

sind unzureichend und nicht als Nachweis im Sinne des Paragrafen 14der MBO geeignet.

Einen möglichen Ansatz beziehungsweise einen Vorschlag für Maß-nahmen des Vorbeugenden Brandschutzes zum Nachweis der Mög-lichkeit einer Rettung von Tieren stellt die Tab. 5 mit den beiden we-sentlichen Entscheidungsgrundsätzen dar:

■ Verbringen der Tiere ins Freie oder■ Verbleib der Tiere im Gebäude.

Bei Stallanlagen für Rinder, Schafe und Pferde überwiegen die Ansät-ze zur Räumung des Gebäudes, da sich diese Tiere für gewöhnlichfrei im Stall bewegen können und den Auslauf ins Freie kennen. Zeit-gemäße Anlagen zum Beispiel für die Milchviehhaltung sehen Liege-

Verbringen der Tiere ins Freie Verbleib der Tiere im Gebäude

Grundsätzlich:

n wirksame Branderkennung, Alarmierung und Rauchableitung,

n geradlinige Gänge ohne Sackgassen,

n zentral auslösbare Öffnungsmechanismen,

n gesicherte Flächen im Freien (Einzäunung, Ausleuchtung).

n permanente Überwachung des Stallklimas mittels Raumlufttechni-scher Anlage (RLT) und mit automatischer Alarmierung des Bereit-schaftspersonals (Geflügel, Schwein)

und/oder

n automatische Brandmeldeanlage mit automatischer Alarmierungdes Bereitschaftspersonals (Geflügel, Schwein)

und/oder

n automatisch auslösende Hochdruck-Wassernebelanlage (Geflügel)

und/oder

n maschinelle Lüftungsanlage für eine Rauchableitung mit einemmindestens 25- bis 30-fachen Luftwechsel (Geflügel, Schwein)

und/oder

n überwiegend offene Stallgebäude mit Windnetzen / -vorhängen, dievon den Einsatzkräften der Feuerwehr jederzeit geöffnet werdenkönnen (Rind)

und/oder

n Be- und Verhinderung einer Brandausbreitung z.B. durch

▫ nicht entzündbare Einstreulagen während der Nutzung der Ställe(Geflügel)

▫ Verzicht auf Spaltenböden bzw. Unterlagen aus Kunststoffen(Rind, Schwein, Schaf),

▫ Trennwände, Unterdecken sowie Dämmstoffe aus nichtbrenn-baren Baustoffen

und

n geschultes Personal sowie eingewiesene Einsatzkräfte der Feuer-wehr

und

n Sicherheitsstromversorgung für die technischen Anlagen bzw.manuelle Bedienbarkeit der Öffnungsabschlüsse

Geflügel:

n bei Bodenhaltung je Giebel- / Abteil- / Sektionsseite Fluchttore(i.L. ≥ 4 m) mit leistungsstarken Lichtquellen im Freien

n bei Freilaufhaltung automatisch öffnende Auslaufklappen

n bei Käfighaltung Rettung unmöglich

Rind:

n Liegeboxen direkt an Lauf- und Fressgängen mit entgegengesetztliegenden Ausgängen

n Gangbreiten ≥ 4 m

Schwein / Schaf:

n brandschutztechnische Unterteilung in Abteile / Sektionen

n Kammställe

n Boxengänge mit 2 Fluchtrichtungen

Pferd:

n je Box ein Ausgang ins Freie

n i.L. ≥ 1,2 m x 2,5 m

Tab. 5: Lösungsansätze beziehungsweise Lösungsvorschläge für den Nachweis der Rettung von Tieren

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Der Prüfingenieur | November 2013 27

flächen an Lauf- und Fressgängen vor, die den Milchkühen zu jederTages- und Nachtzeit einen ungehinderten Zugang zum Futtertischund zu den Melkautomaten ermöglichen. Am Ende dieser Gänge be-finden sich großflächige Tore für einen Austrieb der Tiere ins Freie.Durch die offenen Längsseiten der Ställe, die lediglich mit Windnet-zen und -vorhängen verschlossen und von den Einsatzkräften derFeuerwehr von außen geöffnet werden können, ist eine Rauchablei-

tung aus den überwiegend offenen Gebäuden problemlos möglich(Abb. 1 bis 4). Bei der Haltung von Geflügel und Schweinen istdurch die große Anzahl von Tieren eine Räumung des Stalles unrea-listisch und als Lösungsansatz zu verwerfen. Konkret bezogen aufden Neubau einer Großstallanlage zur Aufzucht von 39.900 Lege-hennen wurden im März 2013 Brandversuche durchgeführt, um dieWirksamkeit

Abb. 2: Schnitt A -A des Milchviehstalles nach Abb. 1

Abb. 1: Exemplarischer Grundriss eines Milchviehstalles

Abb. 4: Außenwand des Stalls einer Milchviehhaltung mit Windnetzenund -vorhängen

Abb. 3: Stall einer Milchviehhaltung

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28 Der Prüfingenieur | November 2013

Abb. 8: Rückseite der Stallanlage zur LegehennenaufzuchtAbb. 7: Vorderansicht der Stallanlage zur Legehennenaufzucht

Abb. 6: Schnitt eines Stallgebäudes

Abb. 5: Grundriss der Legehennenaufzuchtanlage

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Der Prüfingenieur | November 2013 29

■ der permanenten Überwachung des Stallklimas mit der Raumluft-technischen Anlage in Verbindung mit einer automatischen Brand-meldeanlage,

■ der automatisch auslösenden Hochdruck-Wassernebelanlage,■ der maschinellen Lüftungsanlage für eine Rauchableitung mit ei-

nem dreißigfachen Luftwechsel bei einer manuellen Auslösungdurch die Einsatzkräfte der Feuerwehr

zu belegen.

Die bauliche Anlage wurde aus mindestens feuerhemmenden Stahl-betonfertigteilen errichtet und besteht aus zwei Ställen mit Abmes-sungen von jeweils circa 100 m x 25 m, die über einen Verbinder mitTechnik- und Sozialräumen verbunden sind. Der Verbinder teilt dasGebäude durch eine innere Brandwand in zwei Brandabschnitte mitjeweils circa 2.600 m² und circa 10.500 m³. Der Nachweis der zulässi-gen Brandabschnittsgröße wurde gemäß Abschnitt 6 der Muster-Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau (Muster-Industriebaurichtlinie – M IndBauRL) geführt (vgl. weiter unten Kapi-tel 3), wobei die Anlagentechnik bei der Festlegung der Sicherheitska-tegorie K1 auf der sicheren Seite liegend nicht berücksichtigt wurde(Abb. 5 bis 8).

Die Einstreuhöhe aus Stroh und Sägespänen beträgt zu Beginn einerAufzuchtphase circa 10 Zentimeter und verbleibt bis zum Ende derBelegung nach circa fünf Monaten im Stall. Trotz der Verdichtungbleibt diese Schichthöhe durch die Vermischung mit Exkrementen er-halten.

Die Überwachung des Stallklimas beruht im Wesentlichen auf vierTemperatursensoren je Stall mit einer Alarmierung bei Erreichen einesMaximalwertes (in der Regel 35 Grad Celsius). Darüber hinaus werdender CO- und CO2-Gehalt der Stallluft überwacht. Die zusätzlich instal-lierte Brandmeldeanlage basierte ursprünglich auf einem optischenSystem, das während der Nutzung durch die zahlreichen Falschalarmeauf ein thermisches Detektionssystem umgerüstet wurde.

Die Wassernebelanlage arbeitet bei 50 bis 70 bar und erzeugt eineTropfengröße von circa 5 Mikrometer. Über insgesamt sechs Düsenlei-tungen mit je 240 Düsen wird bei voller Leistung eine Wasserbeauf-schlagung von 0,037 l/m²/min. ausgewiesen. Dieser Wert wurde voneinem Sachverständigen für Löschanlagen als zu gering eingestuft, umdiese Anlage in ihrer Wirksamkeit als Feuerlöschanlage anerkennen zukönnen.

Die maschinelle Lüftungsanlage mit insgesamt acht Abluftventilatorenan einer Giebelseite gewährleistet bei voller Leistung einen circa drei-ßigfachen Luftwechsel. Die Zuluft wird über automatisch angesteuerteKlappen geführt, die gleichmäßig verteilt in beiden Außenwänden undin der anderen Giebelfront angeordnet sind. Die Lüftungsanlage wirdim Brandfall abgeschaltet und manuell durch die Einsatzkräfte derFeuerwehr gesteuert. Damit ist das Zusammenspiel von Wassernebel-anlage und Lüftungsanlage gemäß dem VdS-Merkblatt 2815 in Verbin-dung mit Punkt 8 der DIN 18232-2 gesichert.

Bei einem Brandversuch wurde auf einer circa 100 Quadratmeter gro-ßen Fläche die Entflammbarkeit der circa zehn Zentimeter hohen Bo-denschicht nach dem Ende einer Aufzuchtphase getestet. Mit einemPropangasbrenner erfolgte über ungefähr eine Minute die punktuelle,direkte Beflammung der Bodenschicht. Das Bodenmaterial konntenicht entzündet werden (Abb. 9 und 10).

In einem weiteren Versuch sollte das Brandverhalten einer neu einge-brachten Einstreuschicht von rund zehn Zentimeter Höhe untersuchtwerden. Dieses Szenario steht für den Beginn einer Aufzuchtphase undwird durch die Aufheizung des Stalles mit mobilen Gaskanonen, die ander Deckenkonstruktion abgehängt sind, als ein realistisches Ereigniseingestuft.

Folgende Ereignisse wurden während des Brandverlaufes festgestellt:

■ nach ca. 1,5 Minuten: Detektion durch die Brandmeldeanlage, ■ nach ca. 2,5 Minuten: volle Leistung der Wassernebelanlage er-

reicht,■ nach ca. 10 Minuten: Abbruch durch den Löscheinsatz der Feuer-

wehr und Einschalten der maschinellen Lüftungsanlage,■ nach ca. 14 Minuten: wieder klare Sichtverhältnisse (Abb. 11

bis 16).

Die Temperaturverläufe wurden über drei Messstellen an der Decke cir-ca vier Meter sowie über eine Messstelle circa ein Meter über demHallenboden gemessen. Die dabei ermittelten Werte lagen unmittelbarunter der Decke, das heißt, rund vier Meter über dem Brandherd beihöchsten 50 Grad Celsius (Diagramm 1).

Als Ergebnis der Versuche wurde nachgewiesen, dass beim Brand ei-ner neu eingebrachten Einstreuschicht die Brandausbreitung durchden Kühl- und Inertisierungseffekt der Wassernebelanlage behindertwird. Durch die Detektion über die Brandmeldeanlage und die maschi-nelle Lüftungsanlage werden wirksame Löscharbeiten ermöglicht. Als

Abb. 9: Brandversuch zur Entflammung der Bodenschicht nach ca. 60Minuten

Abb. 10: Ende des Brandversuchs zur Entflammung der Bodenschicht

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30 Der Prüfingenieur | November 2013

Abb. 16: Brandversuch nach weiteren vier Minuten wieder mit klarenSichtverhältnissen durch den Einsatz der maschinellen Lüftungsanlage

Abb. 11: Brandversuch nach circa einer Minute, im Hintergrund sindeine mobile Gaskanone und die Öffnungen der Abluftventilatoren zuerkennen

Abb. 12: Brandversuch nach circa 2,5 Minuten mit Auslösen der Was-sernebelanlage

Abb. 13: Brandversuch nach circa drei Minuten mit bereits einge-schränkten Sichtverhältnissen durch die Wassernebelanlage

Abb. 14: Brandversuch nach circa vier Minuten, danach waren keineverwertbaren Fotoaufnahmen durch die eingeschränkte Sicht mehrmöglich

Abb. 15: Brandversuch mit Abbruch nach circa zehn Minuten durchden Einsatz der Feuerwehr und mit Einschaltung der maschinellenLüftungsanlage

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eine klare Beeinträchtigung wurden die stark eingeschränkten Sicht-verhältnisse ab der vierten Brandminute registriert, sodass die Einsatz-kräfte der Feuerwehr mit hoher Wahrscheinlichkeit nur mit einer Wär-mebildkamera die Brandstelle im circa 2.500 Quadratmeter großenStall ausfindig machen können. Der Brand einer bereits länger vorhan-denen Bodenschicht kann ausgeschlossen werden. Nicht untersuchtwurde der Brand von Elektroinstallationen und brennbaren Stallein-richtungen, die im untersuchten Stall nur in einem sehr geringen Um-fang vorkommen. Die Nebenräume im Verbinder sind mit automati-schen Rauchmeldern in den Überwachungsumfang der Brandmelde-anlage eingebunden und baulich von den beiden Ställen getrennt.

Als Resümee wurde festgestellt, dass das Verweilkonzept der Tiere imStall gemäß dem geprüften Brandschutzkonzept und damit die Mög-lichkeit der Rettung von Tieren gemäß Paragraf 14 MBO hinreichendnachgewiesen sind.

Die vielschichtige Diskussion über die Rettung von Tieren wird uns er-halten bleiben. Neben der Betrachtung von großen Stallanlagen stehtdie Ausweitung auf kleine und bestehende Ställe sowie auf Haustieredabei noch aus. Letztendlich muss sich die Gesellschaft entscheiden,inwieweit für sie die Produkte aus der Massentierhaltung nahezu un-begrenzt und preiswert zur Verfügung stehen sollen oder darauf ver-zichtet werden muss.

Die Brandschutzplaner und -prüfer werden diese gesellschaftliche Ent-scheidung nicht treffen können.

3 Brandschutzanforderungen nachM IndBauRL Die M IndBauRL [3] gilt in allen Bundesländern als eingeführte Techni-sche Baubestimmung. Nach den Erläuterungen zur M IndBauRL [4]kann diese Richtlinie auch zur Begründung von Erleichterungen nachParagraf 51 MBO für ungeregelte Sonderbauten verwendet werden,die nicht unmittelbar vom Geltungsbereich der M IndBauRL erfasstwerden. Diese Sonderbauten müssen jedoch hinsichtlich ihres Brandri-sikos mit Industriebauten vergleichbar sein.

Landwirtschaftlich genutzte Gebäude können mit Industriebautengleichgesetzt werden, denn Ställe und Scheunen dienen analog zu Indus-triebauten ebenfalls der Produktion (Herstellung, Behandlung, Verwer-tung, Verteilung) oder Lagerung von Produkten oder Gütern in einem ge-werblichen Bereich. Die Einstufung von Tieren als Industriegut ist dabeizweckdienlich, weil der Nachweis der Rettungswege von der behelfswei-sen Anwendung der M IndBauRL ausgenommen ist. Die Rettungswegeunterliegen weiterhin den allgemein gültigen Bestimmungen der MBO.

Bei der Anwendung der M IndBauRL sind zwei Verfahrenswege zulässig:

■ Nachweis der Brandabschnittsgrößen ohne Brandlastermittlung(Abschnitt 6 der M IndBauRL),

■ Nachweis der Größe von Brandbekämpfungsabschnitten mit Brand-lastermittlung nach dem Rechenverfahren gemäß DIN 18230 Teil 1(Abschnitt 7 der M IndBauRL).

Ungefähr 80 Prozent der Genehmigungsverfahren im Industriebauwerden nach Abschnitt 6 und somit im vereinfachten Verfahren behan-delt. Die Anwendung von Abschnitt 7 bedarf vertiefter Fachkenntnisseauf dem Gebiet des Brandschutzes und bleibt deshalb in der Regel denBrandschutzfachplanern vorbehalten.

Weitergehende Anforderungen wie zum Beispiel an

■ die Baustoffqualitäten der Gebäudehülle (Außenwand und Dach),■ die Brandwände und Wände zur Trennung von Brandabschnitten

und -bekämpfungsabschnitten,■ die Lagerabschnittsgrößen und Lagerguthöhen,■ die Möglichkeiten zur Rauchableitung für wirksame Löscharbeiten,■ den Löschwasserbedarf,■ die Lage und Zugänglichkeit der baulichen Anlagen,■ die sonstigen Brandschutzmaßnahmen wie Löschgeräte, Feuer-

wehrpläne, Brandschutzordnung, Brandschutzbeauftragte

sind aus den Bestimmungen der M IndBauRL abschließend ablesbar.Dabei gilt der Grundsatz, dass die M IndBauRL ganzheitlich umzuset-zen ist. Nur bei fehlenden Informationen über bestimmte Bauteile darfauf die allgemein gültigen Ausführungen der MBO zurückgegriffen

Diagramm 1: Messwerte des Brand-versuches mit folgender Zuordnungder Datenreihen:Datenreihen 1: Messpunkt ca. 1 müber dem Boden und ca. 1 m nebendem BrandherdDatenreihen 2: Messpunkt ca. 4 müber dem BrandherdDatenreihen 3: Messpunkt ca. 4 müber dem Brandherd und ca. 3 m seit-lich versetztDatenreihen 4: Messpunkt ca. 4 müber dem Brandherd und ca. 6 m seit-lich versetzt

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BRANDSCHUTZ

32 Der Prüfingenieur | November 2013

werden. Dies betrifft zum Beispiel Trennwände, notwendige Treppen,Treppenräume und Flure.

Die zulässige Größe eines Brandabschnittes nach Abschnitt 6 derM IndBauRL wird in Abhängigkeit von

■ der Sicherheitskategorie (K),■ der Anzahl der Geschosse,■ der Feuerwiderstandsdauer der tragenden und aussteifenden Bau-

teile sowie des Dach-Haupttragwerkes

nach den Tab. 6 bis 8 bestimmt.

Die Anwendung der Formel nach Abschnitt 7 der M IndBauRL

zul. AG,BBA = 3.000 m2 x F1 x F2 x F3 x F4 x F5

beschränkt sich in der Regel durch die ein- und erdgeschossigen Land-wirtschaftsbauten auf die Bestimmung des Faktors F1 in Abhängigkeitvon der äquivalenten Branddauer tä aus dem globalen Nachweis nach

DIN 18230-1 und die abschließende Anwendung der Tabelle 9 derM IndBauRL (Tab. 9 und 10).

Bei der Ermittlung der rechnerischen Brandbelastung wird in Ermange-lung von Ausgangswerten in den Kommentaren zur DIN 18230-1 so-wohl der objektspezifische Einzelnachweis geführt als auch der Ver-weis auf veröffentliche Vorgaben aus den Technischen Normen, Güte-vorschriften und Lieferbedingungen der DDR (TGL 43 234:Juli 1985) inVerbindung mit der Vorschrift 124/82 der Staatlichen Bauaufsicht derDDR vom 01.01.1983 vorgenommen.

Bei einer Einstufung in die Sicherheitskategorie (K1 bis K4) sind tech-nische Anlagen wie die Überwachung der Lüftungsanlagen zum Bei-spiel auf die Kenngrößen CO-, CO2-Gehalt und Raumtemperatur sowieLuftbefeuchtungsanlagen durch Wassernebel durchaus nicht zu ver-nachlässigen. Diese können bei einer sachverständigen Bewertungganz oder teilweise Berücksichtigung finden.

Die Anwendung der M IndBauRL eröffnet einen weiten Gestaltungs-rahmen für den Brandschutz beim Gebäudeentwurf. Analog zur MBO

Sicherheits-kategorie

Anzahl der Geschosse des Gebäudes

erdgeschossig 2geschossig 3geschossig 4geschossig 5geschossig

Feuerwiderstandsdauer der tragenden und aussteifenden Bauteile

ohneAnforderungen

F 30 F 30 F 60 F 90 F 60 F 90 F 90 F 90

K 1 18001) 3000 8002)3) 16002) 2400 12002)3) 1800 1500 1200

K 2 27001) 4500 12002)3) 24002) 3600 18002) 2700 2300 1800

K 3.1 32001) 5400 14002)3) 29002) 4300 21002) 3200 2700 2200

K 3.2 36001) 6000 16002) 32002) 4800 24002) 3600 3000 2400

K 3.3 42001) 7000 18002) 36002) 5500 28002) 4100 3500 2800

K 3.4 45001) 7500 20002) 40002) 6000 30002) 4500 3800 3000

K 4 10000 10000 8500 8500 8500 6500 6500 5000 40001) Breite des Industriebaus ≤ 40 m und Wärmeabzugsfläche (nach DIN 18230-12) ≥ 5%2) Wärmeabzugsfläche (nach DIN 18230-12) ≥ 5%3) Für Gebäude geringer Höhe ergibt sich nach § 25 Abs. 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Nr. 2 MBO eine zulässige Größe von 1600 m2

Tab. 6: Bestimmung der Brandabschnittsgrößen in m2 nach Tabelle 1 von Abschnitt 6 der M IndBauRL

Feuerwiderstand ohne Anforderungen

F 30 F 60 F 90

Baustoffanforderung aus nichtbrennbaren

Baustoffen

keine besonderenAnforderungen andas Brandverhalten

aus nichtbrennbarenBaustoffen

Kurzbezeichnungnach DIN 4102

„F 0 - A“ F 30 - B F 60 - A F 90 - A

Tab. 7: Lesart der Tab. 6 (Tabelle 1von Abschnitt 6 der M IndBauRL)bezüglich von Anforderungen andie Baustoffklassifizierung

Sicherheitskategorie K Brandschutztechnische Infrastruktur

K 1 keine besonderen Maßnahmen

K 2 automatische Brandmeldeanlage

K 3 Werkfeuerwehr + automatische Brandmeldeanlage

K 3.1 Staffelstärke aus hauptamtlichen Kräften

K 3.2 Gruppenstärke

K 3.3 zwei Staffeln

K 3.4 drei Staffeln

K 4 selbsttätige Feuerlöschanlage Tab. 8: Sicherheitskategorien

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BRANDSCHUTZ

Der Prüfingenieur | November 2013 33

bedarf es jedoch auch hier eines ganzheitlichen und objektspezifi-schen Brandschutzkonzeptes zum Nachweis der Umsetzung der vierallgemeinen Schutzziele des Brandschutzes nach Paragraf 14 MBO.

Bei der Prüfung der Brandschutzkonzepte sind unabhängig von derSchutzzielerfüllung die Abweichungen und Erleichterungen zu wür-

digen (Tab. 11). Die Überschreitung der zulässigen Brandabschnitts-größe von ≤ 10.000 m3 gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 3 MBO ist als Erleich-terung nach Paragraf 51 MBO im Rahmen der Prüfung des Brand-schutzkonzeptes zu gestatten. Durch die Anwendung der M Ind-BauRL als eingeführte Technische Baubestimmung wird der Nach-weis für die Zulässigkeit der nachgewiesenen Brandabschnittsgrößeerbracht, sodass die Schutzziele nach Paragraf 14 MBO nicht beein-trächtigt werden und wegen des Brandschutzes keine Bedenken be-stehen.

Gegebenenfalls sich ergebende Abweichungen von der M IndBauRL,zum Beispiel bei den Anforderungen an das Haupttragwerk des Da-ches, wenn Abschnitt 6 der M IndBauRL Anwendung findet, sind da-gegen als Abweichungen von § 3 Abs. 3 MBO zu behandeln. Dabeigilt, dass von einer bauaufsichtlich eingeführten Technischen Baube-stimmung abgewichen werden kann, wenn mit einer anderen Lö-sung in gleichem Maße die Anforderungen der jeweiligen Bestim-mung erfüllt werden. Die Abweichungen müssen nicht gesondert be-antragt werden. Sie werden im Rahmen der bauaufsichtlichen Prü-fung des Brandschutzkonzeptes gestattet. Die M IndBauRL ist eine inder Regel in den Bundesländern eingeführte Technische Baubestim-mung.

4 Literatur[1] Musterbauordnung (MBO), Fassung November 2002, zuletzt ge-

ändert im Oktober 2008; www.is-argebau.de [2] Grundsätze zur Auslegung des § 14 MBO der Fachkommission

Bauaufsicht der Bauministerkonferenz (ARGEBAU) abgestimmtmit dem AK Grundsatzfragen und dem AK VB/G der AGBF vom16./17.10.2008; www.is-argebau.de

[3] Muster-Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau(M IndBauRL), Fassung März 2000; www.is-argebau.de

[4] Erläuterungen zur Muster-Richtlinie über den baulichen Brand-schutz im Industriebau (M IndBauRL), Fassung März 2000;www.is-argebau.de

Tab. 9: Faktor F1 zur Berücksichtigung der äquivalenten Branddaueraus dem globalen Nachweis nach DIN 18230-1 nach Tabelle 3 vonAbschnitt 7 der M IndBauRL

Tab. 10: Zulässige Größe der Flächen von Brandbekämpfungsabschnit-ten erdgeschossiger Industriebauten ohne Anforderungen an die Feu-erwiderstandsfähigkeit der tragenden und aussteifenden Bauteile inQuadratmetern nach Tabelle 9 von Abschnitt 7 der M IndBauRL

tä in min 0 15 30 60 ≥ 90

F1 10 5 3 1,5 1,0

Sicherheits-kategorie

äquivalente Branddauer tä in Min.

15 30 60 90

K 1 9000 5500 2700 1800

K 2 13500 8000 4000 2700

K 3.1 16000 10000 5000 3200

K 3.2 18000 11000 5400 3600

K 3.3 20700 12500 6200 4200

K 3.4 22500 13500 6800 4500

K 4 300001) 200001) 100001) 100001)

Mindestgröße derWärmeabzugs-flächen in % nachDIN 18230-1

1 2 3 4

Zulässige Breite desIndustriebaus in m

80 60 50 40

Tab. 11: Übersicht zur Einord-nung von Abweichungen undErleichterungen gemäß MBO

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BAUAUFSICHT

34 Der Prüfingenieur | November 2013

Die Umsetzung von EU-Richtlinien im Eisenbahnsektorverändert die Aufsicht und Genehmigung durch das EBADie unabhängige bau- und brandschutztechnische Prüfungdurch die EBA-Prüfer gewinnt dabei an Bedeutung

Die Umsetzung von EU-Richtlinien für den Eisenbahnsektor, dieeuropaweit für technische Harmonisierung, für die Fortentwick-lung des Sicherheitsniveaus und für eine Liberalisierung sorgensollen, hat auch Auswirkungen auf die Betreiber von Eisenbahn-infrastruktur sowie auf die Aufsichts- und Genehmigungsverfah-ren des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA). Das Bauaufsichtsverfah-ren des EBA im Bereich der Ingenieurbau-, Oberbau- und Hoch-bau-Anlagen (IOH-Anlagen), in dem die bau- und brandschutz-technische Prüfung der Ausführungsunterlagen einen bedeuten-den Beitrag leistet, ist im Lichte der europaweit einheitlichenFestlegung von Verantwortlichkeit, Kompetenzzuordnung undAufgabenverteilung zwischen Eisenbahninfrastrukturunterneh-men, Prüfinstanzen und den Eisenbahnsicherheitsbehörden (inDeutschland das EBA) weiterzuentwickeln. Der folgende Beitragskizziert deshalb die Verfahren für die Erstellung von IOH-Anla-gen, die Randbedingungen, die Einflüsse und die vom EBA favo-risierten Umsetzungsvorschläge. Eines wird dabei klar: Bei derWeiterentwicklung dieser Verfahren ist aus fachtechnischerSicht die Beibehaltung einer unabhängigen und fachgerechtenbau- und brandschutztechnischen Prüfung durch die vom EBAanerkannten Prüfer bautechnischer Nachweise im Eisenbahnbaufür die IOH-Anlagen eine bedeutende Randbedingung, weshalbdiese Prüfung verfahrenstechnisch in die komplexen Verfahrenim Eisenbahnsystem sicher zu integrieren ist.

studierte Konstruktiven Ingenieurbau an der Bauhaus Universitätin Weimar und begann 1999 als Referent für Grundsatzangele-genheiten in dem für Ingenieurbau-, Oberbau- und Hochbau-An-lagen (IOH-Anlagen) zuständigen Fachreferat 21 des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) in Bonn; ab 2004 verantwortete er bei EISEN-BAHN-CERT, der benannten Stelle Interoperabilität beim Eisen-bahn-Bundesamt, die Durchführung des EG-Prüfverfahrens fürdas Teilsystem „Infrastruktur“; 2008 übertrug ihm das EBA dieLeitung der EBA-Außenstelle Halle/Saale in Verbindung mit demfür die Bau- und Eisenbahnaufsicht für IOH-Anlagen sowie dieLandeseisenbahnaufsicht für das Land Sachsen-Anhalt zuständi-gen Sachbereich 2; seit 2011 leitet Köppel das Referat 21 in derZentrale des EBA in Bonn.

1 Nationale Grundlagen

1.1 Gesetzliche RegelungenMit der Bahnreform zum 01.01.1994 wurden die Sondervermögen„Deutsche Bundesbahn“ und „Deutsche Reichsbahn“ zum „Bundesei-senbahnvermögen“ zusammengeführt und in einen unternehmerischenTeil, die Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (DB AG) und einen Verwal-tungsbereich aufgeteilt. Mit dem neuen Artikel 87e des Grundgesetzesfür die Bundesrepublik Deutschland (GG) in der ursprünglichen Fassungmit Gesetz vom 20.12.1993 [1] wurden die Zuständigkeiten für die Eisen-bahnverkehrsverwaltung angepasst. Nach Artikel 87e (1) GG wird diesefür die Eisenbahnen des Bundes (EdB) in bundeseigener Verwaltung ge-führt. Für den Verwaltungsbereich liegt die Verantwortung auf Grundlagedes Artikels 3 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeu-OG) vom 27.12.1993 [2] mit Paragraf 1 des Gesetzes über die Eisenbahn-verkehrsverwaltung des Bundes (BEVVG) vom 27.12.1993 [3] beim Bun-desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), das sei-ne Aufgaben durch Rechtsverordnung auf das zum 01.01.1994 neu ge-gründete Eisenbahn-Bundesamt (EBA) übertragen kann. Nach § 3 Abs. 1BEVVG sind dem EBA als zuständige Aufsichtsbehörde für die EdB in Be-zug auf die Betriebsanlagen der EdB unter anderem

■ die Planfeststellung für Betriebsanlagen der EdB,■ die Eisenbahnaufsicht und■ die Bauaufsicht für Betriebsanlagen der EdB

als Aufgaben übertragen. Weitere wesentliche Aufsichts- und Geneh-migungsaufgaben nimmt das EBA im Bereich der Fahrzeuge sowie desEisenbahnbetriebs und im Bereich der Finanzierung wahr.

Der Bund ist nach § 5 Abs. 1a Nr. 1 a) Allgemeines Eisenbahngesetz(AEG) vom 27.12.1993 [4] zuständig für die EdB mit Sitz im Inland, dasheißt, Eisenbahnen, die vollständig oder mehrheitlich im Eigentum desBundes sind, die Länder nach § 5 Abs. 1a Nr. 2 a) AEG für nichtbundes-eigene Eisenbahnen (NE-Bahnen) mit Sitz im Inland.

Gemäß § 3 Abs. 3 BEVVG kann das EBA die Aufgaben der Landesei-senbahnaufsicht (LEA) auf Grundlage einer Vereinbarung mit einemLand nach dessen Weisung und auf dessen Rechnung wahrnehmen.Mit Ausnahme von Niedersachsen, Hamburg, Berlin, Bremen und Hes-sen haben die deutschen Länder dem EBA Aufgaben in der Landesei-senbahnaufsicht durch ein Verwaltungsabkommen übertragen.

Ohne Genehmigung nach § 6 Abs. 1 AEG dürfen Eisenbahnverkehrsun-ternehmen (EVU) keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen, Haltervon Eisenbahnfahrzeugen nicht selbständig am Eisenbahnbetrieb teil-nehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) keine Schie-nenwege, Steuerungs- und Sicherungssysteme oder Bahnsteige öf-fentlich betreiben. Die Erteilung dieser Genehmigungen erfolgt für dieEdB durch das EBA und für die NE durch das jeweilige Land, in dem dieNE-Bahn ihren Sitz hat.

Dipl.-Ing. Markus Köppel

Page 35: Der Prüfingenieur Ausgabe 43

BAUAUFSICHT

Der Prüfingenieur | November 2013 35

Aus der Umsetzung europarechtlicher Regelungen für die Erteilung ei-ner Sicherheitsgenehmigung resultiert die Zuständigkeit des Bundesnach § 5 Abs. 1e Nr. 2 a) auch für die Erteilung von Sicherheitsgeneh-migungen (SiGe) für EIU, nach dem die Festlegung erfolgt war, dassder Bund und nach Aufgabenzuweisung das EBA die Sicherheitsbehör-de in Deutschland ist. Mit Ausnahme von Serviceeinrichtungen undNetzen des Regionalverkehrs, die keinen Anschluss an das Ausland ha-ben, dürfen EIU keine regelspurige öffentliche Eisenbahninfrastrukturohne SiGe nach Paragraf 7c AEG betreiben. Nach § 5 Abs. 1e Nr. 4 AEGobliegt dem Bund insoweit auch die Eisenbahnaufsicht über die EIU,die einer SiGe bedürfen.

1.2 EisenbahninfrastrukturunternehmenIn der Aufsicht und Zuständigkeit des EBA liegen zurzeit zwölf EIU:

1. DB Netz AG, Frankfurt/Main (EdB mit SiGe),2. DB Station & Service AG, Berlin (EdB mit SiGe),3. DB RegioNetz Infrastruktur GmbH, Frankfurt/Main (EdB mit SiGe),4. Usedomer Bäderbahn, Seebad Heringsdorf (EdB mit SiGe),5. Energiewerke Nord GmbH, Rubenow (EdB); Strecke Abzweig

Schönwalde-Lubmin,6. Bentheimer Eisenbahn AG, Nordhorn (NE mit SiGe); Strecke Och-

trup-Brechte-Laarwald-Grenze,7. EVS EUREGIO-Verkehrsschienennetz GmbH, Stolberg (NE mit Si-

Ge); Strecke Stolberg-Walheim/Raeren-Grenze,

8. neg Süderau Betriebs GmbH, Niebüll (NE mit SiGe); Strecke Nie-büll-Süderlügum-Grenze (DK-Tøndor),

9. Deutsche Regionaleisenbahn GmbH, Berlin (NE mit SiGe); Strecke(Varnsdorf)-Grenze-Seifhennersdorf-Eibau,

10. Schweizerische Bundesbahn SBB, Infrastruktur, Bern (CH) (SiGe);Strecke Lottstetten-Grenze-Neuhausen-Grenze,

11. Stiftung Museumsbahn SEHR & RS, Stein am Rhein (CH) (SiGe);Strecke Singen (Hohentwiel)-Rielasingen-Grenze,

12. Zuid-Limburgse Stoomtrein Maatschappij, Simpelveld (NL) (SiGe);Strecke Aachen-Vetschau-Richterich-(Grenze).

Diese zwölf EIU betreiben eine öffentliche Eisenbahninfrastruktur,weil sie eine EdB (EIU 1 bis 5) sind oder darüber hinaus als NE-Bahnein Netz beziehungsweise vielmehr bezogen auf eine konkrete Stre-cke mit Anschluss an das Ausland betreiben (EIU 6 bis 9). Die Auf-sichtszuständigkeit des EBA ergibt sich insoweit auch für ausländi-sche EIU, die eine öffentliche Infrastruktur (Strecke) auf dem Hoheits-gebiet der BRD betreiben (EIU 10 bis 12). Die SiGe für das EIU 7 istaufgrund der betrieblichen Sperrung zurzeit nicht mehr und für dasEIU 12 auf Grund der zwischenzeitlichen Einstufung als Regionalbahnnicht erforderlich.

Mit dem Zuständigkeitsbereich der Länder gibt es in Deutschland der-zeit 187 öffentliche EIU, die eine Eisenbahninfrastruktur betreiben. AufGrundlage der Basisdaten der LEA, die das EBA für elf Länder durch-

Glossar

Der vorliegende Beitrag enthält notwendigerweise sehr viele Fach-begriffe und deren Abkürzungen. Um die Lektüre ein klein wenigzu erleichtern, hat die Redaktion ein Glossar zusammengestellt,das Aufschluss über die Bedeutungen der Abkürzungen gibt, dieeinmal in Langfassung und danach nur noch in Kurzform vorkom-men.

AEG: Allgemeines Eisenbahngesetza.R.d.T.: anerkannte Regeln der TechnikAssBo: Unabhängige Bewertungsstelle (Assessment Body)BEVVG: Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des BundesBMVBS: Bundesministerium für Verkehr, Bau und StadtentwicklungBÜB: Bauüberwacher(in) BahnBVB: Bauvorlageberechtigte(r)CSM: Gemeinsame Sicherheitsmethoden (Common SafetyMethods)CSM-VO: Verordnungen über Gemeinsame SicherheitsmethodenCST: Gemeinsame Sicherheitsziele (Common Safety Targets)DeBo: Bestimmte Stelle (Designated Body)EBA: Eisenbahn-BundesamtEBO: Eisenbahn-Bau- und BetriebsordnungEBRL: Eisenbahnspezifische BauregellistenEdB: Eisenbahnen des BundesELTB: Eisenbahnspezifische Liste Technischer BaubestimmungenEIU: EisenbahninfrastrukturunternehmenEVU: EisenbahnverkehrsunternehmenHGV: HochgeschwindigkeitsbahnsystemIBG: InbetriebnahmegenehmigungIBV: Inbetriebnahmeverantwortliche(r)

IOH-Anlagen: Ingenieurbau-, Oberbau- und Hochbau-AnlagenKONV TEN: Konventionelles Transeuropäisches EisenbahnsystemLEA: LandeseisenbahnaufsichtNE(-Bahnen): Nichtbundeseigene EisenbahnenNNTR: Notifizierte nationale technische Vorschriften (NotifiedNational Technical Rules)NoBo: Benannte Stelle (Notified Body)NO-TEN: Nicht TEN (TEN = Transeuropäisches Eisenbahnsystem)RB: RegionalbereichRL: Richtlinie(n)RL 2008/57/EG: EU-InteroperabilitätsrichtlinieRL 2004/49/EG: EU-Sicherheitsrichtlinie RN: RegionalnetzSiBe: SicherheitsbescheinigungSiGe: SicherheitsgenehmigungSMS: SicherheitsmanagementsystemSTE-Anlagen: Anlagen der Sicherungstechnik, Telekommunikationund ElektrotechnikTEIV: Transeuropäsiche Eisenbahn-InteroperabilitätsverordnungTEN: Transeuropäisches EisenbahnsystemTEN HGV: Transeuropäisches HochgeschwindigkeitsbahnsystemTSI: Technische Spezifikation für die InteroperabilitätTSI INF: TSI InfrastrukturTSI SRT: TSI Sicherheit in EisenbahntunnelnTSI PRM: TSI Eingeschränkt mobile PersonenVV IST: Verwaltungsvorschrift für die Verfahrensweise bei derInbetriebnahme struktureller Teilsysteme des transeuropäischen Eisenbahnsystems für den Bereich ortsfester AnlagenVV BAU: Verwaltungsvorschrift BAU

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BAUAUFSICHT

36 Der Prüfingenieur | November 2013

führt, gibt es allein in diesen 151 öffentliche EIU mit mehr als 6.000 Ki-lometer Gleislänge und rund 1.000 Anschlussbahnen, die als nichtöf-fentliche EIU/EVU, sowie rund 1.800 Anschlussgleise, die als nichtöf-fentliche EIU betrieben werden mit mehr als 9.000 Kilometer Gleislän-ge. Dazu kommen 19 Straßenbahnbetriebe und 21 Parkeisenbahnen.

Zu den Eisenbahnbetriebsanlagen zählen nach Paragraf 4 der Eisen-bahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) vom 08.05.1967 [5] „ … alleGrundstücke, Bauwerke und sonstige Einrichtungen einer Eisenbahn,die ... zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrsauf der Schiene erforderlich sind. ... Es gibt Bahnanlagen der Bahnhö-fe, der freien Strecke und sonstige Bahnanlagen. Fahrzeuge gehörennicht zu den Bahnanlagen.“

Einen Überblick über die Betriebsanlagen der DB Netz AG und der DBStation & Service AG gibt Abb. 1.

1.3 Organisation und Aufgaben des EBADas EBA ist als eine eigenständige Bundesoberbehörde im Geschäfts-bereich des BMVBS eingerichtet. Die operativen Aufgaben im territo-rialen Bereich der sechzehn deutschen Länder werden in zwölf Außen-stellen mit fünfzehn Standorten, die zentralen Aufgaben in Bonn wahr-genommen. In der für die Anlagen zuständigen Abteilung 2 der EBA-

Zentrale sind die Fachaufgaben der Planfeststellung im Referat 23 ge-bündelt und werden von den zugehörigen Sachbereichen 1 der EBA-Außenstellen vollzogen. Die Aufgaben der Bau- und Eisenbahnaufsichtsowie Zulassungen werden im Referat 21 für die IOH-Anlagen mit denzugehörigen Sachbereichen 2 und im Referat 22 für die Anlagen derSicherungstechnik, Telekommunikation und Elektrotechnik (STE-Anla-gen) mit den zugehörigen Sachbereichen 3 vollzogen. Die Aufgabender übertragenen LEA werden im Schwerpunkt von den Sachbereichen2 ausgeübt, jedoch gewerkespezifisch auch von anderen Organisa -tionseinheiten des EBA. Die Aufgaben des Referates 21 sowie der zu-gehörigen Sachbereiche 2 sind in Abb. 2 dargestellt.

1.4 Bauaufsichtsverfahren beim EBABevor in diesem Kapitel das derzeitig vom EBA vollzogene Bauauf-sichtsverfahren grob skizziert wird, soll als Grundlage für die Hinter-gründe der Ausgestaltung der Bauaufsicht beim EBA seit seiner Grün-dung am 01.01.1994 die prinzipielle Durchführung und der Ablauf ei-ner Baumaßnahme bei der Deutschen Bundesbahn als Behördenbahnin den folgenden verfahrenstechnischen Grundzügen dargestellt wer-den, die der Autor aus Gesprächen mit ehemaligen Mitarbeitern derDeutschen Bundesbahn zusammengetragen hat.

■ Geplante Baumaßnahmen wurden in einem Mehrjahresplan aufge-nommen,

■ das federführende Fachdezernat erstellte eine Vorentwurfsplanungin Abstimmung mit den betroffenen Fachdiensten für die jeweiligenGewerke,

■ die Deutsche Bundesbahn führte das Planfeststellungsverfahrennach dem damaligen Paragrafen 36 des Bundesbahngesetzes unterBeteiligung der höheren Verwaltungsbehörde des Landes durch, indem die neu zu bauenden oder zu ändernden Anlagen lagen,

■ es folgten die Erstellung der Entwurfsplanung (Entwurfsheft) sowieder Genehmigungsplanung durch den Fachdienst unter Beteiligungvon internen und externen Fachstellen zu besonderen Themen wieBrandschutz und Gründung,

■ auf Grundlage der erstellten Leistungsverzeichnisse und Ausschrei-bung der Bauleistung erfolgte dann die Vergabe der Arbeiten; derAuftragnehmer erstellte die Ausführungsplanung, soweit diesenicht ausnahmsweise abschließend durch den Fachdienst bereitge-stellt wurde,

■ die bauaufsichtliche und bauordnungsrechtliche Prüfung erfolgtedurch den zuständigen Sachbearbeiter des federführenden Fach-dienstes; die bautechnische Prüfung nahmen eigene Prüfingenieureoder externe „Prüfer des Vertrauens“ wahr, für die es kein förmli-ches Anerkennungsverfahren gab,

■ die Freigabe der Ausführungsunterlagen zur Bauausführung erteilteder zuständige Fachdezernent,

■ die Durchführung der Baumaßnahme wurde vom zuständigen Be-triebs- oder Neubauamt (bei Streckenbaustellen) begleitet, dieÜberwachung der Bauarbeiten und die Durchführung von zum Bei-spiel nicht protokollpflichtigen Tätigkeiten erfolgten durch einenBauwart, der Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn war,

■ Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik (a.R.d.T.)wurden durch den zuständigen Fachdienst in Form von Stellung-nahmen beziehungsweise dem zu führenden Nachweis der glei-chen Sicherheit bearbeitet und beim Bundesbahnzentralamt zurnotwendigen Ausnahmegenehmigung (Zustimmung im Einzelfall)beantragt,

■ die Durchführung der Endabnahme erfolgte durch das zuständigeBetriebs- oder Neubauamt unter Beteiligung des Fachdienstes so-wie auch die Überwachung der Mängelbeseitigung.

Gleise / Oberbau: Betriebslänge (in km) 33.319Länge der Gleise (in km) 61.260Weichen und Kreuzungen 69.983

Bahnübergänge: 14.062

Bauwerke: Eisenbahnbrücken 24.937Tunnel (Anzahl / Länge in km) 692 / 492Durchlässe, Erd- undStützbauwerke > 50.000

Stationen: Bahnhöfe und Haltepunkte 5.350

Stellwerke: (davon elektronische Stellwerke) 3.392 (415)

Sonstige: Serviceeinrichtungen, Ausrüstungen(z.B. Lärmschutzwände), …

Quellen: Geschäftsberichte der DB Netz AG und der DB Station & Service AG für das Jahr 2012

Abb. 1: Anlagen der DB Netz AG und der DB Station & Service AG

Sachbereiche (Sb) 2 der EBA-Außenstellen■ Bauaufsicht über die sichere Erstellung der IOH-Anlagen■ Inbetriebnahmegenehmigung■ Eisenbahnaufsicht über die sichere Instandhaltung der

IOH-Anlagen■ Landeseisenbahnaufsicht (für 11 Länder – außer BE, HB, HH,

HE, NI)

Referat (Ref) 21 der EBA-Zentrale■ Fachliche und organisatorische Koordinierung der Sb 2■ Zulassung, Zustimmung im Einzelfall (ZiE)■ Bekanntgabe ELTB/EBRL, Begleitung Regelwerkfortschreibung■ Fachstellen Standsicherheit, Brandschutz und Oberbau■ Anerkennung von Prüfern/Gutachtern■ Mitarbeit in zahlreichen Gremien■ Geschäftsstelle Landeseisenbahnaufsicht

Abb. 2: Aufgaben des Referates 21 und der Sachbereiche 2

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BAUAUFSICHT

Der Prüfingenieur | November 2013 37

Nach der Bahnreform zum 01.01.1994 mit Gründung der DeutschenBahn AG und des EBA erfolgte insoweit die Aufteilung der Aufgabenund Verantwortlichkeiten für die Durchführung einer Baumaßnahmedurch die EdB einerseits und für die Aufsichts- und Genehmigungsver-fahren durch das EBA andererseits.

Die EdB üben die Bauherrenfunktion aus und sind nach § 4 Abs. 3 AEGunter anderem verpflichtet, die Eisenbahninfrastruktur sicher zu bauenund in betriebssicherem Zustand zu halten.

Dem EBA wurden für den Bereich der Eisenbahninfrastruktur die Aufga-ben der Planfeststellung, der Eisenbahnaufsicht und der Bauaufsichtübertragen. Die Eisenbahnaufsicht bezieht sich nach § 5a Abs. 1 AEG aufdie Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und nach § 5a Abs. 1 Nr.1 AEG insbesondere der Gefahrenabwehr, die beim Betrieb der Eisen-bahn entstehen oder von den Betriebsanlagen ausgehen. Das Planfest-stellungsverfahren ist in den Paragrafen 18 ff. AEG näher ausgestaltet.

Die inhaltliche Ausgestaltung des Bauaufsichtsverfahrens für die EdBhat das EBA als ein zu dem Planfeststellungsverfahren nach den Para-grafen 18 ff. AEG nachgelagertes Verfahren konzipiert, das sich an derbesonderen Verantwortung des EIU für die sichere Erstellung der Anla-gen orientierte, aber auch an den Länderregelungen in Form der Mus-terbauordnung der Länder (MBO) für den Bauaufsichtsbereich der Län-der sowie der Verkehrsbereiche Straße und Wasserstraße. Das Bauauf-sichtsverfahren regelte das EBA in der Verwaltungsvorschrift BAU (VVBAU [6]).

Das gültige Bauaufsichtverfahren, das seit 1994 fortwährend weiter-entwickelt worden ist, unterscheidet drei wesentliche Phasen:

■ Planungsphase bis Baubeginn (siehe unten: 1.4.1),■ Ausführungsphase (siehe unten: 1.4.2) und■ Inbetriebsetzung (siehe unten: 1.4.3).

Es unterscheidet für die bauaufsichtliche Prüfung des EBA zudem:

■ anzeigefreie Maßnahmen,■ anzeigepflichtige Maßnahmen, die bis zu einer definierten Wert-

grenze genehmigungsfrei sind, und■ genehmigungspflichtige Maßnahmen, die oberhalb der Wertgren-

zen stets einer Nutzungsgenehmigung bedürfen.

Das 2009 modifizierte Bauaufsichtsverfahren kann mit den folgendenwesentlichen Grundprinzipien nach VV BAU beschrieben werden.

1.4.1 Planungsphase bis BaubeginnDie Erstellung der Ausführungsunterlagen erfolgt im Auftrag der EdBbeziehungsweise durch deren bevollmächtigte Personen. Die Prüfungund Freigabe der Ausführungsunterlagen erfolgt durch einen Bauvor-lageberechtigten (BVB) als Baufreigabeverantwortlichen mittels Frei-gabeschreibens.

BVB sind Beschäftige der EdB oder von diesen bevollmächtigte Perso-nen. Sie haben (1.) hinreichende Sachkunde in der Eisenbahntechnik,(2.) einen akademischen Grad „Dipl.-Ing.“ (oder einen vergleichbarenAbschluss) mit mindestens zweijähriger Berufserfahrung oder (3.) eineanerkannte Laufbahnausbildung entsprechend Anlage 2 zu Paragraf10 der Bundeslaufbahnverordnung (BLV), oder sie sind (4.) in die vonden Architekten- oder Ingenieurkammern der Länder geführten Listender Bauvorlageberechtigten eingetragen.

Der BVB ist nach § 8 (1) VV BAU unter anderem dafür verantwortlich,dass die Ausführungsunterlagen den öffentlich-rechtlichen Vorschrif-ten und den als Technische Baubestimmungen eingeführten techni-schen Regeln sowie der planungsrechtlichen Zulassungsentscheidungentsprechen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Baumaßnahmendurch das EBA genehmigungspflichtig, beim EBA anzeigepflichtig oderanzeigefrei sind. Eine Nutzungsgenehmigung ist erforderlich, wenndie Baukosten für die Maßnahmen im Ingenieurbau drei MillionenEuro, im Oberbau eine Million Euro und im Hochbau eine Million Euroüberschreiten.

Der BVB ist auch dafür verantwortlich, dass eine bau- und brand-schutztechnische Prüfung durch einen vom EBA anerkannten Prüferbautechnischer Nachweise im Eisenbahnbau durchgeführt wird.

Wesentliche Anerkennungsvoraussetzungen für Prüfer sind

■ die Erfüllung der Anforderungen des EBA (siehe zum Beispiel dasEBA-Merkblatt [7]),

■ die Vollendung des 35. und die Nichtüberschreitung des 65. Lebens-jahrs bei der ersten Anerkennung,

■ der Nachweis einer insgesamt mindestens zehn Jahre währendenberufspraktischen Erfahrung,

■ Kenntnisse auf dem Gebiet der Baustatik, der Baukonstruktionen,… der baurechtlichen Vorschriften und der bautechnischen Bestim-mungen,

■ das Vermögen, den Aufgaben des Prüfers gewachsen und unpartei-isch und gewissenhaft zu sein,

■ die Anerkennung als Prüfingenieur für Baustatik eines Landes und■ der Nachweis einer Haftpflichtversicherung (Schadenssumme:

2,5 Millionen Euro) sowie die Freistellungserklärung des Prüfers.

Im Prüfauftrag zur bautechnischen Prüfung sind die Honorarzone, derUmfang des Prüfauftrages und die anrechenbaren Kosten festzulegen.Die Honorarermittlung sowie die Abrechnung erfolgen grundsätzlichdurch die Bewertungs- und Verrechnungsstelle für Prüfingenieure fürBaustatik (bvs) in Mainz. Mit dem EBA erfolgt seitens der EdB die Her-beiführung des Einvernehmens über die Wahl des Prüfers (oder derPrüferin) im Rahmen einer Bauvoranzeige.

Das EBA führt seit Einführung der modifizierten Bauaufsicht im Jahr2009 eine bauaufsichtliche Prüfung der freigegebenen Ausführungs-unterlagen für den Endzustand bei genehmigungspflichtigen Maßnah-men durch.

Bis dahin erfolgten die Freigabe der Ausführungsunterlagen sowieauch die Beauftragung der bautechnischen Prüfung für umfassend ge-nehmigungspflichtige Baumaßnahmen im Bereich der IOH-Anlagendurch das EBA. Aus Gründen der Stärkung der Betreiberverantwor-tung, mit Blick auf die Umsetzung europäischer Vorgaben und darausresultierenden Aufgabenverlagerungen sowie aber auch aus Gründender allgemeinen Einsparvorgaben an die personellen Ressourcen desEBA wie auch anderen Behörden beim Bund, wurde das Bauaufsichts-verfahren im Jahr 2009 dahingehend modifiziert.

1.4.2 AusführungsphaseDie Bauausführung einer Baumaßnahme liegt in der Verantwortungder EdB. Die Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Verpflich-tungen sowie zum Beispiel Auflagen aus vorhergehenden Prüfungen(zum Beispiel der bautechnischen Prüfung) und Verfahren (zum Bei-spiel der Planfeststellung) sowie grundsätzlich die Durchführung der

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BAUAUFSICHT

38 Der Prüfingenieur | November 2013

Abnahmen, soweit diese gemäß der Präzisierung in Paragraf 25 in Ver-bindung mit Anhang 3.1 der VV BAU nicht anderen Durchführendenzugeordnet ist, erfolgt nach § 9 (1) VV BAU durch einen Bauüberwa-cher Bahn (BÜB). Für einen BÜB gelten die gleichen wesentlichen An-forderungen wie für einen BVB.

Das EBA vollzieht die Überwachung der Bauausführung und die Betei-ligung an den Abnahmen für genehmigungspflichtige Maßnahmenstichprobenhaft. Bei den anzeigepflichtigen Maßnahmen erfolgen einebauaufsichtliche Prüfung der Ausführungsunterlagen und die Überwa-chung der Bauausführung grundsätzlich stichprobenhaft im eigenenErmessen des EBA.

1.4.3 InbetriebsetzungIm Falle genehmigungspflichtiger Maßnahmen erfolgt durch das EBAauf Grundlage der vorgelagerten Schritte die abschließende Prüfung,ob die bauliche Anlage entsprechend den öffentlich-rechtlichen Vor-schriften und den a.R.d.T. errichtet wurde und, bei positivem Ergebnis,die Erteilung der Nutzungsgenehmigung nach Paragraf 27 VV BAU. Beinur anzeigepflichtigen Maßnahmen erfolgt die Betriebsaufnahme inder Verantwortung der EdB auf Grundlage einer Anzeige an das EBA,bei anzeigefreien Maßnahmen ohne Beteiligung des EBA.

1.4.4 Weitere Grundlagen des BauaufsichtsverfahrensDamit die IOH-Anlagen den Anforderungen des § 2 Abs. 1 EBO an dieSicherheit und Ordnung genügen, ist neben den Vorschriften der EBOdie Einhaltung der a.R.d.T. grundlegend. Das EBA hat für den Bereichder IOH-Anlagen eine Eisenbahnspezifische Liste Technischer Baube-stimmungen (ELTB) [8] veröffentlicht, die die technischen Regeln ent-hält, die bei der Auslegung des § 2 Abs. 1 EBO „Anforderungen an Si-cherheit und Ordnung“ regelmäßig heranzuziehen sind. Die Musterlis-te der Technischen Baubestimmungen der Länder ist Grundlage derELTB, die insoweit die ergänzenden eisenbahnspezifischen Regelun-gen, Vorschriften und Richtlinien enthält.

Für Abweichungen von den a.R.d.T. sind die Eisenbahnen verpflichtet,nach § 2 Abs. 2 EBO einen Nachweis der gleichen Sicherheit wie beiEinhaltung der Regeln der Technik zu führen. Diesen führen die EdB imRahmen ihrer Verantwortung nach § 4 Abs. 3 AEG, und das Referat 21des EBA erteilt gegenwärtig auf Antrag eine Zustimmung im Einzelfall(ZiE) auf Grundlage einer Unternehmensinternen Genehmigung (UiG)durch das EIU.

Für Bauprodukte oder -arten, die von den a.R.d.T. abweichen oder fürdie es keine Regeln der Technik gibt, erteilt das Referat 21 insbesonde-re im Bereich des Oberbaus für die eisenbahnspezifischen Bauproduk-te, wie zum Beispiel Schienen, Schienenbefestigungen, Schwellen oderBauarten, wie Feste Fahrbahnen, zunächst Zulassungen zur Betriebser-probung bei innovativen Produktentwicklungen und dann in der Regel(Allgemeine) Zulassungen.

Ansonsten werden im Eisenbahnbau grundsätzlich die gleichen Bau-produkte eingesetzt, wie sie auf Grundlage der Regelungen im Bau-aufsichtsbereich der deutschen Länder verwendet werden können.Deshalb dürfen Bauprodukte und -arten ohne vorherige Zulassungoder Zustimmung im Einzelfall durch das EBA verwendet werden,wenn sie die Anforderungen nach § 11 Abs. 3 VV BAU erfüllen.

Die Anforderungen an die eisenbahnspezifischen Bauprodukte und Bau-arten hat das EBA in den Eisenbahnspezifischen Bauregellisten (EBRL)[9] veröffentlicht, die auf Grundlage der Bauregellisten A, B und der Lis -

te C der Länder, die eisenbahnspezifischen Bauprodukte und -arten so-wie zugehörigen Regelungen, Vorschriften und Richtlinien enthält.

2 Europäische Grundlagen2.1 Ziele der EU im Eisenbahnsektor Die Ziele der Europäischen Union (EU) im Eisenbahnsektor sind im We-sentlichen

■ die Stärkung des Verkehrsträgers „Eisenbahn“ im intermodalenWettbewerb,

■ die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Schienennetze und■ der Aufbau transeuropäischer Netze.

Dies soll erreicht werden durch

■ Liberalisierung und■ Regulierung des Eisenbahnmarktes,■ Harmonisierung technischer Anforderungen an Bahnmaterial,■ Wettbewerb und■ Transparenz.

2.2 Richtlinien und VerordnungenFür den Aufbau eines einheitlichen europäischen Eisenbahnsystemseinschließlich eines zu harmonisierenden Sicherheitsniveaus hat dieEU zwei maßgebende Richtlinien (RL) an die Mitgliedstaaten gerichtet,die Interoperabilitätsrichtlinie (RL) 2008/57/EG vom 17.06.2008 [10.1]und die Sicherheitsrichtlinie (RL) 2004/49/EG vom 29.04.2004 [11](Abb. 3).

Interoperabilität bedeutet die Eignung eines Eisenbahnsystems fürden sicheren und durchgehenden Zugverkehr. Indem die Strecken dieerforderlichen Leistungskennwerte erfüllen, wird ein freizügigerergrenzüberschreitender Eisenbahnverkehr unterstützt. Die Interopera-bilitätsrichtlinie schafft die Grundlage für gemeinschaftliche ord-nungsrechtliche, technische und betriebliche Voraussetzungen, die zurErfüllung der nach Anhang III dieser RL definierten grundlegenden An-forderungen, nämlich

■ Sicherheit,■ Zuverlässigkeit und Betriebsbereitschaft,■ Gesundheit,■ Umweltschutz und■ technische Kompatibilität

erforderlich sind. Für die strukturellen Teilsysteme „Infrastruktur“,„Energie“, „Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung“ und„Fahrzeuge“ sowie für die funktionellen Bereiche „Verkehrsbetriebund Verkehrssteuerung“, „Instandhaltung“ und „Telematikanwen-dungen für den Personen- und Güterverkehr“ gemäß Anhang II der In-teroperabilitätsrichtlinie sind im Geltungsbereich für das Konventio-nelle transeuropäische Eisenbahnsystem (KONV TEN) und das Transeu-ropäische Hochgeschwindigkeitsbahnsystem (TEN HGV) die Techni-schen Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI) entwickelt worden,bei deren Anwendung die grundlegenden Anforderungen als erfülltgelten und die Interoperabilität gewährleistet wird. Darüber hinaus re-gelt die RL (nach Artikel 15) insbesondere auch das Verfahren für dieInbetriebnahme von strukturellen Teilsystemen, die Bestandteil des Ei-senbahnsystems sind und in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaatsinstalliert und betrieben werden.

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Der Prüfingenieur | November 2013 39

Die Sicherheitsrichtlinie (RL) 2004/49/EG gilt für das gesamte Eisen-bahnsystem in den Mitgliedstaaten und umfasst für das Gesamtsys-tem geltende Sicherheitsanforderungen, die auch das sichere Manage-ment von Infrastruktur und Verkehrsbetrieb sowie das Zusammenwir-ken von EVU und EIU betreffen. Sie gilt insbesondere nicht für Regio-nal-, Untergrund- und Stadtbahnen sowie für die Netze, die funktionalvom übrigen Eisenbahnsystem getrennt sind.

Im Geltungsbereich der Sicherheitsrichtlinie sind in einem erstenSchritt Gemeinsame Sicherheitsmethoden (CSM = Common SafetyMethods) entwickelt worden, die die Art und Weise beschreiben, inder die Sicherheitsniveaus, die Erreichung der gemeinsamen Sicher-heitsziele und die Einhaltung der anderen Sicherheitsanforderungenbeurteilt werden. In einem zweiten Schritt werden zurzeit noch Ge-meinsame Sicherheitsziele (CST = Common Safety Targets) entwi-ckelt, die die Form von Kriterien für die Risikoakzeptanz ausdrücken.Den Überblick über die bestehenden CSM-Verordnungen (CSM-VO)gibt Abb. 4.

Mit der CSM-VO Nr. 352/2009 vom 24.04.2009 [12.1] wurde ein Risi-komanagementverfahren entwickelt, das die systematische Anwen-dung von Verfahren bei der Analyse, Evaluierung und Kontrolle von Ri-siken ermöglicht. Diese europäische Verordnung wurde überarbeitetund wird durch die CSM-VO Nr. 402/2013 [12.2] ersetzt. Dabei wirdinsbesondere ein Anerkennungsverfahren für die Unabhängigen Be-wertungsstellen eingeführt.

Die CSM-VO Nr. 1158/2010 vom 09.12.2010 [13] richtet sich an EVUund regelt das Verfahren zur Bewertung der Erfüllung der Anforderun-gen im Hinblick auf die Ausstellung von Sicherheitsbescheinigungen(SiBe) durch die Sicherheitsbehörde gemäß Artikel 10 Abs. 2 a und bder Sicherheitsrichtlinie.

Die CSM-VO Nr. 1169/2010 vom 10.12.2010 [14] hat die EIU im Fokusund regelt das Verfahren zur Bewertung der Erfüllung der Anforderun-gen im Hinblick auf die Ausstellung von SiGe durch die Sicherheitsbe-hörde gemäß Artikel 11 Abs. 1 a und b der Sicherheitsrichtlinie.

EVU, wie die DB Fernverkehr AG, bedürfen, daraus resultierend, einerSiBe und EIU, wie die DB Netz AG oder die DB Station & Service AG, ei-ner SiGe durch das EBA als Sicherheitsbehörde.

Die CSM-VO Nr. 1078/2012 vom 16.11.2012 [15] ist an die EVU, an dieEIU beziehungsweise an die für die Instandhaltung zuständigen Stel-len adressiert und regelt ein intern einzurichtendes Kontrollverfahren,das die Anwendung und Effektivität ihres Managementsystems über-prüft.

Die CSM-VO Nr. 1077/2012 vom 16.11.2012 [16] richtet sich an die Si-cherheitsbehörden (in Deutschland das EBA), die Überwachungsver-fahren für die EVU, für die sie eine SiBe nach CSM-VO 1158/2010 unddie EIU, für die sie eine SiGe nach CSM-VO Nr. 1169/2010 ausgestellthat, einzurichten hat.

Anders als die Interoperabilitätsrichtlinie und die Sicherheitsrichtlinie,die jeweils durch nationale Gesetze in deutsches Recht umgesetztwerden müssen, gelten die CSM-VO nach Bekanntgabe im Amtsblattder EU in den Mitgliedstaaten entsprechend dem in der Verordnungdefinierten Tag der Gültigkeit direkt. Insoweit sind diese CSM-VO inDeutschland bereits unmittelbar geltendes Recht.

3 Interoperabilitätsrichtlinie (RL)2008/57/EG3.1 Stufe 1: EG-Prüfverfahren (TSI)Die gültige RL 2008/57/EG hat die bislang geltenden RL 96/48/EG fürdas TEN HGV und die RL 2001/16/EG für das TEN KONV ersetzt unddie Regelungen für die Interoperabilität für das TEN nunmehr in die-ser RL zusammengeführt. Die RL 2008/57/EG ist mit der RL2009/131/EG vom 16.10.2009 [10.2] und der RL 2011/18/EU vom01.03.2011 [10.3] geändert worden und wird in Deutschland mit derTranseuropäsichen-Eisenbahn-Interoperabilitätsverordnung (TEIV)vom 05.07.2007 [17] in der jeweils aktuellen Fassung in nationalesRecht umgesetzt.

Der räumliche Anwendungsbereich des TEN ergibt sich aus Paragraf 1in Verbindung mit Anlage 1 der TEIV. Die Festlegung des räumlichenGeltungsbereichs ergibt sich einerseits aus der Definition, dass diesesnach § 1 Abs. 2 TEIV für das regelspurige Eisenbahnsystem mit Aus-nahme unter anderem von Netzen des Regionalverkehrs und Regional-bahnen nach Absatz 3 gilt und anderseits aus der Anwendung der Ent-scheidung 884/2004/EG vom 29.04.2004 [18], in der die TEN fürDeutschland abgebildet sind.

Für das Netz der EdB, das heißt, im Wesentlichen für das der DB NetzAG, bedeutet dies auf Grundlage der aktuellen TEIV, dass circa 16.000Kilometer dem TEN (HGV und KONV) sowie ungefähr 16.500 Kilome-ter dem sogenannten nicht TEN (NO-TEN) zuzuordnen sind.

Für das Teilsystem „Infrastruktur“, das die IOH-Anlagen umfasst, gibtes vier maßgebende TSI:

■ die TSI „Infrastruktur“ für das TEN HGV [19.1],

Abb. 3: Maßgebende Richtlinien der EU

Abb. 4: Überblick über die CSM-Verordnungen

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BAUAUFSICHT

40 Der Prüfingenieur | November 2013

■ die TSI „Infrastruktur“ für das TEN KONV [19.2] sowie■ die TSI „Sicherheit in Eisenbahntunneln“ [20] für das TEN HGV und

KONV und ■ die TSI „Eingeschränkt mobile Personen“ [21].

Diese TSI beschreiben die materiellen Regelungen, die für die Erfüllungder grundlegenden Anforderungen und die Sicherstellung der Inter-operabilität des Teilsystems Infrastruktur beziehungsweise der zumTEN zugehörigen Strecken und IOH-Anlagen erforderlich sind. Sie be-treffen die in Abb. 5 skizzierten Bereiche.

Das Inbetriebnahmeverfahren nach Artikel 15 der RL 2008/57/EG giltfür die erstmalige Inbetriebnahme eines Teilsystems Infrastruktur (um-gesetzt in Paragraf 6 TEIV), das heißt zum Beispiel der Neubau einerEisenbahnstrecke und die umfangreiche Umrüstung oder die Erneue-rung eines Teilsystems (umgesetzt in Paragraf 9 TEIV), oder zum Bei-spiel eine Ausbaumaßnahme an einer bestehenden Strecke. Hierzu istein EG-Prüfverfahren durchzuführen, für das eine Benannte Stelle(NoBo = Notified Body) nach Artikel 28 der RL 2008/57/EG (umgesetztin § 5 (1d), § 25b AEG und §§ 15 bis 18 TEIV) die Konformität der Pla-nung, Ausführung und Abnahme mit den TSI-Anforderungen prüft, be-

wertet und mit einem Zertifikat bescheinigt. Dies ist die Grundlage fürdie Erklärung des Antragstellers (EIU), dass das neu gebaute, umge-rüstete oder erneuerte Teilsystem den Anforderungen der RL2008/57/EG entspricht und die Voraussetzung für die Genehmigungfür die Inbetriebnahme durch die Sicherheitsbehörde (EBA). Das Ver-fahren ist in Abb. 6 dargestellt.

EISENBAHN-CERT ist eine solche, beim EBA eingerichtete „BenannteStelle“, die zum Beispiel neben weiteren in Europa tätigen „Benann-ten Stellen“ das EG-Prüfverfahren durchführen und die TSI-Konformi-tät bescheinigen kann.

3.2 Anpassungen im BauaufsichtsverfahrenIn Umsetzung der ersten Interoperabilitätsrichtlinie RL 96/48/EG fürdas TEN HGV und der zugehörigen TSI Infrastruktur wurde das Bauauf-sichtsverfahren bereits mit der VV BAU in der Fassung 12/2002 ange-passt und die damalige Erlaubnis der Nutzung (heute Nutzungsgeneh-migung) durch die Inbetriebnahmegenehmigung für Baumaßnahmenim TEN ersetzt sowie die Schnittstelle zum EG-Prüfverfahren definiert.Insoweit mündet das Bauaufsichtsverfahren nach VV BAU im TEN in ei-ne Inbetriebnahmegenehmigung (IBG) nach TEIV und im NO-TEN in ei-

Oberbau:Spurweite und Toleranzen; Äquivalente Konizität; Schienenneigung; Vertikal-, Quer- und Bremsbeanspruchung; Gleislagequalität; Gleissteifigkeit; Elektrische Kenndaten; Interoperabilitätskomponenten; Instandhaltungsbedingungen

Ingenieurbau (EÜ, SÜ, Tunnel):Vertikalbeanspruchung (stat. u. dyn.); Längs- und Querbeanspruchungen; Seitlicher Freiraum; Aerodynamische Beanspruchungen; Schutz des Personals; Brand- und Katastrophenschutz; Lichte Querschnitte

Bahnhöfe: Höhe u. Länge der Bahn- steige; Schutz vor Stromschlägen u. Erdung; Zugang von mobilitätsbe-hinderten Fahrgästen; Schutz der Fahrgäste auf Bahnsteigen

SO

Siehe Tabellen B.1 bis B.10 der TSI Infrastruktur

Trassierungselemente:Überhöhung; Überhöhungsfehl-beträge; Krümmungsradius; Steigungen u. Gefälle; Gleisabstand

Allgemein: Mindestlichtraum- profil; Lichtraumprofil bei Oberleitung; Seitenwege; Umweltschutz; Betreten u. Eindringen;Seitenwind; Ausrüstungen... Betrieb...

Abb. 5: Bereiche mit TSI-Regelungen im Teilsystem „Infrastruktur“

Abb. 6: EG-Prüfverfahren nach RL 2008/57/EG Abb. 7: Nationale Verfahren und EG-Prüfverfahren

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BAUAUFSICHT

Der Prüfingenieur | November 2013 41

ne Nutzungsgenehmigung [6]. Die parallel und aufeinander abge-stimmten nationalen Verfahren und das EG-Prüfverfahren einer Be-nannten Stelle sind in der Abb. 7 dargestellt.

Das IBG-Verfahren beim EBA ist in Untersetzung der TEIV und in Ab-stimmung mit den EIU darüber hinaus in der Verwaltungsvorschriftfür die Verfahrensweise bei der Inbetriebnahme struktureller Teilsys-teme des transeuropäischen Eisenbahnsystems für den Bereich orts-fester Anlagen (VV IST) [22] näher geregelt. In Abstimmung zwischendem EBA und der DB Netz AG sowie der DB Station & Service AG isthier ein neuer Funktionsträger abgestimmt und eingeführt worden,der Inbetriebnahmeverantwortliche (IBV). Der IBV wird auf Seiten desEIU sowohl für das europäische IBG-Verfahren im TEN als auch fürdas nationale Verfahren der Nutzungsgenehmigung im NO-TEN ein-gesetzt. Ihm obliegt zum Beispiel für das IBG-Verfahren nach Paragraf19 VV IST die Aufgabe, für die Vollständigkeit und Prüffähigkeit dereinzureichenden Unterlagen zu sorgen und für die Vorhabenträgerin(EIU) zu erklären, dass sämtliche inbetriebnahmerelevanten Nachwei-se vollständig und richtig vorliegen und einer Inbetriebnahme nichtsentgegensteht.

Die Ausbaustrecke (ABS) Hamburg-Berlin, die Neubaustrecke (NBS)Nürnberg-Ingolstadt, die ABS Berlin-Leipzig/Halle, der zentrale Bereichdes Knotens Berlin (einschließlich des Berliner Hauptbahnhofs) sindbeispielhafte Großprojekte der DB Netz AG, die im TEN HGV auch dasEG-Prüfverfahren durchlaufen haben, und für die das EBA eine IBG fürdie Teilsysteme Infrastruktur und Energie nach europarechtlichen Vor-schriften erteilt hat.

Mit der in Kürze erwarteten Anpassung der TEIV wird auch die Anwen-dung der TSI Infrastruktur [19.2] für das TEN KONV verbindlich und dasEG-Prüfverfahren im TEN KONV als Voraussetzung für die IBG durchdas EBA deutlich erweitert.

3.3 Stufe 2: Prüfverfahren (NNTR)Nach dem die EU zunächst die TSI und das EG-Prüfverfahren durch ei-ne Benannte Stelle in einer ersten Stufe 1 für das Erreichen der Inter-operabilität geschaffen hat, werden mit Artikel 17 Abs. 3 der RL2008/57/EG nunmehr nochmals gezielt die nationalen Vorschriften ab-gefragt. Diese sind durch die Mitgliedstaaten aktualisiert zu notifizie-ren und für die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen anzuwen-den, wenn

■ keine einschlägige TSI vorliegt,■ eine Ausnahme gemäß Artikel 9 gemeldet wurde oder■ ein Sonderfall die Anwendung technischer Vorschriften erfordert,

die in der einschlägigen TSI nicht enthalten sind.

Zugleich haben die Mitgliedstaaten eine Stelle zu „bestimmen“, diemit der Durchführung des Prüfverfahrens „bestimmt“ wurde. Diese Be-stimmte Stelle (DeBo = Designated Body), die in der EU-Empfehlung Nr.2011/217/EG vom 29.03.2011 [23] als Benannte beauftragte Stelle be-zeichnet wird, bescheinigt in dem Prüfverfahren gemäß Anhang III ge-mäß RL 2011/18/EU [10.3] zur Änderung des Anhangs VI der RL2008/57/EG die Einhaltung der notifizierten nationalen technischenVorschriften (NNTR = notified national technical rules). Diese Beschei-nigung ist die Grundlage für die Erklärung des EIU, dass das neu gebau-te, umgerüstete oder erneuerte Teilsystem auch hinsichtlich der NNTRden Anforderungen der RL 2008/57/EG entspricht, und sie ist künftigauch die Voraussetzung für die Genehmigung für die Inbetriebnahmedurch die Sicherheitsbehörde (EBA). Die Umsetzung dieser ergänzen-den Regelungen ist zurzeit noch in Diskussion und wird in Kürze für dieBereiche der IOH- und STE-Anlagen sowie für Fahrzeuge erfolgen.

3.4 Zielverfahren: Inbetriebnahmegenehmigung (IBG)Die IBG für ein neu gebautes, umgerüstetes oder erneuertes Teilsystemwird durch die Sicherheitsbehörde (EBA) gemäß der EU-Empfehlung2011/217 zukünftig prinzipiell zu erteilen sein, auf Grundlage

■ einer EG-Prüferklärung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang Vder RL 2008/57/EG einschließlich der technischen Unterlagen, nach-dem eine Benannte Stelle ein EG-Prüfverfahren nach Anhang VI derRL 2008/57/EG durchgeführt und darüber eine Konformitätsbeschei-nigung ausgestellt hat,

■ einer Prüferklärung nach Artikel 17 in Verbindung mit Anhang V derRL 2008/57/EG einschließlich der technischen Unterlagen, nachdemeine Benannte beauftragte Stelle ein Prüfverfahren nach Anhang VIder RL 2008/57/EG durchgeführt und darüber eine Prüfbescheini-gung ausgestellt hat,

■ eines Sicherheitsbewertungsberichtes einer Unabhängigen Bewer-tungsstelle auf Grundlage des Risikomanagementverfahrens desVorschlagenden gemäß der CSM-VO 352/2009 beziehungsweiseab 2015 der CSM-VO 402/2013 in Fällen einer signifikanten Ände-rung im Sinne des Artikels 4 der CSM-VO (siehe Kapitel 4.3 undAbb. 8).

Abb. 8: IBG-Verfahren für struktu-relle Teilsysteme (aus [23]); NSB = Nationale Sicherheits-behördeBS = Benannte StelleBBS = Benannte beauftragteStelleRB = RisikobewertungGSM = Gemeinsame SicherheitsmethodenNNTV = Notifizierte nationaletechnische Vorschriften

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BAUAUFSICHT

42 Der Prüfingenieur | November 2013

Der Antragsteller, das EIU, führt damit den Nachweis, dass die grund-legenden Anforderungen erfüllt, die technische Kohärenz sowie die si-chere Integration gewährleistet sind.

Die Umsetzung dieser ergänzenden Regelungen ist zurzeit noch in Dis-kussion und wird in Kürze für die Bereiche der IOH- und STE-Anlagensowie Fahrzeuge erfolgen.

4 Sicherheitsrichtlinie (RL) 2004/49/EG4.1 Sicherheitsmanagementsystem (SMS)Die EIU, die einer SiGe bedürfen, sind nach Artikel 9 der RL 2004/49/EGverpflichtet, ein Sicherheitsmanagementsystem (SMS) einzuführen,um die nationalen Sicherheitsvorschriften, die die Mitgliedstaatennach Artikel 8 notifiziert haben, und um darüber hinaus die in den TSIsowie CSM-VO definierten Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. DieInhalte des SMS sind in Anhang III Nr. 2 der RL 2004/49/EG beschrie-ben und umfassen als wesentliche Bestandteile

■ eine vom Unternehmensleiter autorisierte „Sicherheitsordnung“,■ qualitative und quantitative Ziele zur Erhaltung und Verbesserung

der Sicherheit sowie Pläne und Verfahren für die Erreichung dieserZiele,

■ Verfahren zur Einhaltung bestehender, neuer und geänderter Nor-men, technischer und betrieblicher oder anderer Vorgaben,

■ Verfahren und Methoden für die Durchführung von Risikobewertun-gen bei Änderungen,

■ Schulungsprogramme für das Personal und deren Durchführung,■ Vorkehrungen für einen ausreichenden Informationsfluss,■ Verfahren und Formate für die Dokumentierung von Sicherheitsin-

formationen und die Bestimmung von Kontrollverfahren,■ Verfahren für die Meldung von Unfällen, Störungen, Beinaheunfäl-

len und sonstigen gefährlichen Ereignissen, die eine Untersuchung,Auswertung und notwendige Vorbeugungsmaßnahmen sicherstel-len,

■ die Bereitstellung von Einsatz-, Alarm- und Informationsplänen inAbsprache mit den zuständigen Behörden und

■ Bestimmungen über regelmäßige interne Nachprüfungen des SMS.

4.2 Sicherheitsgenehmigung CSM-VO 1169/2010Für die Erteilung einer SiGe hat die Sicherheitsbehörde (EBA) ein Ver-fahren zur Bewertung der Anträge der EIU, die einer SiGe bedürfen,nach Artikel 3 in Verbindung mit Anhang I der CSM-VO 1169/2010 [14]einzurichten. Der Anhang II dieser CSM-VO gibt umfassende Kriterienzur Bewertung der Antragsunterlagen (SMS) für die Erteilung der SiGevor, wie zum Beispiel:

■ Maßnahmen zur Kontrolle aller mit der Tätigkeit des Fahrwegbetrei-bers verbundenen Risiken,

■ Risikokontrolle im Zusammenhang mit der Instandhaltung und derMaterialbeschaffung,

■ Risikokontrolle im Zusammenhang mit Auftragnehmern und derKontrolle von Zulieferern,

■ Risiken aus Tätigkeiten sonstiger Beteiligter außerhalb des Eisen-bahnsystems,

■ Dokumentation des SMS, … .

Das EBA hat einen Leitfaden zur Erteilung von SiGe [24] erstellt und imInternet veröffentlicht sowie Fragenkataloge als Handreichung für dieEIU entworfen. Die DB Netz AG hat ein umfassendes SMS aufgebaut, Abb. 9: Risikomanagementverfahren

das insbesondere die sichere Instandhaltung und den sicheren Betriebauf Grundlage des tiefgehenden Regelwerkes unterstützt. Das EBA hatdie SiGe für die DB Netz AG im April 2011 erstmalig erteilt. Die Erster-teilungen der SiGe für die weiteren EIU befinden sich in einer konzen-trierten Bearbeitung. SiGe können jeweils nach Ablauf von fünf Jahrenverlängert werden.

4.3 Risikomanagementverfahren CSM-VO 352/2009Mit dem Risikomanagementverfahren nach CSM-VO Nr. 352/2009[12.1] führt das EIU den Nachweis, dass es in der Lage ist, wesentlicheRisiken zu erkennen und zu beherrschen. Hierzu ermittelt ein Vorschla-gender (das EIU) die Gefährdungen sowie die daraus resultierendenRisiken und wählt den Risikoakzeptanzgrundsatz aus. Für eine Bau-maßnahme erfolgt zunächst eine Systemdefinition, das heißt, jedesTeil wird erfasst, das Gegenstand einer Änderung ist. Der Vorschlagen-de stellt also die Änderung fest und entscheidet über die Sicherheitsre-levanz und Signifikanz der Änderung. Die Signifikanzprüfung orientiertsich an

■ der Einschätzung des Innovationsgrads und der Komplexität der Än-derung,

■ der Einschätzung möglicher Ausfallfolgen und an■ der Einschätzung der Überwachbarkeit und Umkehrbarkeit der Än-

derung.

In Fällen einer im Ergebnis stehenden signifikanten Änderung führtder Vorschlagende das Risikomanagementverfahren und, aufbauendauf der Systemdefinition, die Gefährdungsermittlung durch, dokumen-tiert im Gefährdungsprotokoll. Dabei prüft er, inwieweit die ermittel-ten Gefährdungen durch eines der drei zur Verfügung stehenden Risi-koakzeptanzgrundsätze:

■ Einhaltung durch a.R.d.T.,■ Heranziehen eines Referenzsystems oder■ explizite Risikoabschätzung

abgedeckt werden können. Die Unabhängige Bewertungsstelle (AssBo= Assessment Body) prüft die ordnungsgemäße Anwendung des Risi-komanagementverfahrens und erstellt über das Prüfergebnis einen Si-cherheitsbewertungsbericht. Der prinzipielle Ablauf ist in Abb. 9 dar-gestellt (siehe auch die Anlage zur CSM-VO 352/2009).

Sowohl die DB Netz AG als auch die DB Station & Service AG haben je-weils Unabhängige Bewertungsstellen eingerichtet, die sich auf dieUmsetzung der Bewertung des Risikomanagementverfahrens beimEIU eigenverantwortlich vorbereiten.

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BAUAUFSICHT

Der Prüfingenieur | November 2013 43

Mit der CSM-VO 402/2013 vom 30.04.2013 [12.2] liegt bereits eineneue Durchführungsverordnung vor, die ab dem 21.05.2015 unmittel-bar gilt. Wesentliche Änderungen durch die CSM-VO 402/2013 sind zusehen bezüglich:

■ der Einführung eines verpflichtenden Anerkennungsverfahrens fürdie Unabhängige Bewertungsstelle einschließlich zugehöriger Aner-kennungskriterien gemäß Artikeln 7, 9, 10 beziehungsweise 11 undAnhang II,

■ der Ergänzung einer schriftlichen Erklärung des Vorschlagenden fürdie Risikobeherrschung gemäß Artikel 16 und

■ die prinzipielle Anerkennung des Ergebnisses des Risikomanage-mentverfahrens durch die Sicherheitsbehörde gemäß Artikel 15 Abs.2 und 3 im IBG-Verfahren (siehe Kapitel 3.4).

4.4 Kontrollverfahren CSM-VO 1078/2012Mit der CSM-VO Nr. 1078/2012 [15] müssen die EIU, die einer SiGe be-dürfen, mit Gültigkeit zum 07.06.2013 ein Kontrollverfahren installie-ren, das

■ der Überprüfung der korrekten und effektiven Anwendung der ein-zelnen Prozesse, Verfahren und Risikokontrollmechanismen desSMS und

■ der Sicherstellung der Effektivität des SMS

dient und sich auf die interne Kontrolle beim EIU sowie die Kontrolleder eingesetzten Auftragnehmer bezieht, zum Beispiel für die Instand-haltung.

Dafür hat das EIU im SMS einen dokumentierten Prozess für ein inter-nes Monitoring einzuführen, der im Wesentlichen

■ eine definierte Strategie inklusive Prioritäten (risikobasiert),■ die Sammlung und Analyse von Informationen (Indikatoren),■ die Erstellung und Implementierung eines Aktionsplans (= Maßnah-

menplan) und ■ die Überprüfung der Effektivität der Maßnahmen des Aktionsplans

beinhaltet. Weiterhin ist ein Austausch zwischen den Beteiligten undAkteuren erforderlich, zum Beispiel hat das EIU jährlich einen Sicher-heitsbericht gemäß RL 2004/49/EG an die Sicherheitsbehörde (EBA) zuübersenden. Damit unterwirft das EIU sein SMS einem kontinuierli-chen Verbesserungsprozess.

4.5 Überwachungsverfahren CSM-VO 1077/2012Die Umsetzung der CSM-VO 1077/2012 [16] richtet sich an die Sicher-heitsbehörde (EBA), die mit Gültigkeit zum 07.06.2013 ein Überwa-chungsverfahren für die EIU, für die sie eine SiGe erteilt hat, einführenmuss. Dieses dient der

■ Festlegung von Kriterien für die Ausgestaltung der Aufsichtsaktivitä-ten der Sicherheitsbehörde (EBA) und

■ der Harmonisierung der Methoden der verschiedenen Sicherheits-behörden.

Das EBA muss für die Umsetzung des Überwachungsverfahrens des-halb

■ eine Strategie und einen Plan beziehungsweise Pläne erarbeiten,■ die Sammlung und Analyse von Informationen vornehmen,■ Techniken für die Überwachung einführen,

■ Entscheidungsgrundsätze festlegen und veröffentlichen,■ die Kooperation mit anderen Sicherheitsbehörden insbesondere bei

grenzüberschreitenden Verkehren und mit anderen Behörden natio-nal (zum Beispiel zur Unfalluntersuchung etc.) durchführen,

■ die Verknüpfung von Aufsicht und Zertifizierung ausgestalten und■ ein System zur Sicherstellung der Kompetenz der Beschäftigten ein-

richten.

Hierzu hat das EBA im Wesentlichen eine Überwachungsstrategie undzugehörige Überwachungspläne zu erstellen und den EIU bekanntzu-geben. Für die Überwachungen sind Techniken und Entscheidungskri-terien festzulegen, und die Überwachungsergebnisse sind mit den EIUauszuwerten. Dies dient der Überwachung der Wirksamkeit des SMSder EIU und soll den Prozess der kontinuierlichen Verbesserung bei denEIU unterstützen. Die Überwachungspläne sind entsprechend derÜberwachungsergebnisse fortwährend anzupassen.

5 Weiterentwicklung der Aufsichts- undGenehmigungsverfahren5.1 Umsetzung Stufe 2 für das IBG-VerfahrenWesentliche Arbeitsgrundlage der Benannten beauftragten Stelle sinddie NNTR, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 17 Abs. 3 der RL2008/57/EG an die EU-Kommission für jedes Teilsystem übermittelnmüssen. Nach Artikel 17 Abs. 1 der RL 2008/57/EG können die Mit-gliedstaaten zunächst davon ausgehen, dass die Teilsysteme, für dieseitens des EIU eine EG-Prüferklärung vorliegt, das heißt, eine Be-nannte Stelle für die Baumaßnahme ein EG-Prüfverfahren über dieEinhaltung der TSI durchgeführt und die Konformität bescheinigt hat,interoperabel sind und den einschlägigen grundlegenden Anforderun-gen entsprechen.

Für die Definition der NNTR sind im engeren Sinne zunächst die dreiFälle nach Absatz 3 dieses Artikels zu betrachten, wenn

■ keine einschlägige TSI vorliegt,■ eine Ausnahme gemäß Artikel 9 gemeldet wurde oder■ ein Sonderfall die Anwendung technischer Vorschriften erfordert,

die in der einschlägigen TSI nicht enthalten sind.

Für das Teilsystem Infrastruktur liegen alle vorgesehenen TSI vor (sieheKapitel 3.1), die die materiellen Anforderungen für die Interoperabili-tät regeln, sodass der erste Punkt nicht relevant ist. Ausnahmen, dasheißt, die Nichtanwendung einer TSI oder einzelner Punkte der TSI,sind bei einer Baumaßnahme grundsätzlich möglich – hierfür ist einVerfahren in Artikel 9 der RL 2008/57/EG vorgesehen, das in Paragraf 5der TEIV in nationales Recht umgesetzt wurde. Dieser Weg wird aberkaum genutzt, weil die materielle Umsetzung der TSI für das Teilsys-tem Infrastruktur fachtechnisch grundsätzlich ohne größere Schwierig-keiten möglich ist. Ausnahmen stellen jedoch Projekte dar, die sichzum Zeitpunkt der Inkraftsetzung der TSI in einem fortgeschrittenenEntwicklungsstadium befanden und für die zum Beispiel die Anwen-dung der TSI oder die Einbindung einer Benannten Stelle in das Geneh-migungsverfahren ein Verzögerungsrisiko darstellen könnten. In even-tuellen Ausnahmefällen würden die anstelle der TSI geltenden NNTRfestgelegt und einzelfallbezogen übermittelt, sodass der zweite Punktauch nicht weiter betrachtet werden muss.

Bleibt zunächst die Analyse der Sonderfälle für die Anwendung techni-scher Vorschriften, die in der einschlägigen TSI nicht enthalten sind.

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BAUAUFSICHT

44 Der Prüfingenieur | November 2013

In Abschnitt 7.3 der HGV TSI Infrastruktur (HGV TSI INF) [19.1], in Ab-schnitt 7.6 der KONV TSI Infrastruktur (KONV TSI INF) [19.2], in Ab-schnitt 7.5 der TSI Sicherheit in Eisenbahntunneln (TSI SRT) [20] und inAbschnitt 7.4 der TSI Eingeschränkt mobile Personen (TSI PRM) [21]sind keine Sonderfälle enthalten, die besonderer NNTR bedürfen. DieHGV TSI INF weist die mit einer Längsneigung von maximal 40 Promil-le trassierte NBS Köln-Frankfurt als permanenten Sonderfall sowie dieTSI PRM die Zulässigkeit einer Bahnsteighöhe von 96 Zentimeter überSchienenoberkante für artreinen S-Bahnverkehr entsprechend § 13Abs. 1 EBO als permanenten Sonderfall aus.

Die materiellen Anforderungen, die in der HGV TSI INF als Eckwerte(zum Beispiel Abschnitt 4.2.4.1 „Lichtraumprofil“ oder Abschnitt4.2.8.1 „Stabilität neuer Brücken gegenüber Verkehrslasten“) bezeich-net werden, sind in Abschnitt 3, Tabelle 1 der HGV TSI INF den grund-legenden Anforderungen zugeordnet. Insoweit könnte zunächst vonder Einhaltung der grundlegenden Anforderungen ohne zusätzlicheNNTR ausgegangen werden.

Allerdings liegt mit der Aufzählung in Anhang H der HGV TSI INF aucheine Liste „offener Punkte“ vor, die sich im Einzelnen auf

■ die Gesamtsteifigkeit des Gleises,■ Schotterflug und■ die nutzbare Bahnsteigbreite

beziehen. Nach der KONV TSI INF betreffen diese

■ den Gleisabstand,■ die Beherrschung der äquivalenten Konizität im Betrieb,■ die Gleissteifigkeit,■ die Grenzwerte für Lärm und Erschütterungen sowie Abhilfemaß-

nahmen und■ die Einwirkungen von Seitenwind.

Der Anhang C der TSI SRT definiert das Konformitätsbewertungsver-fahren für Instandhaltungsvorschriften für Tunnel als „offenen Punkt“.In Anhang L der TSI PRM sind für das Teilsystem Infrastruktur zwanzigAspekte (wie zum Beispiel die Rutschfestigkeit der Fußbodenoberflä-chen oder die Notbeleuchtung für Bahnhöfe und Haltepunkte) aufge-führt, die in der TSI nicht geregelt sind. Hierfür müssen folglich jeweilsNNTR festgelegt werden, die eine Benannte beauftragte Stelle prüftund deren Einhaltung bescheinigt.

Darüber hinaus ist zu sehen, dass die „Sicherheit“ eine der wesentli-chen grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang III der RL2008/57/EG ist. Der Regelungsinhalt der HGV TSI INF bezieht sich, dar-gestellt am Bereich der Ingenieurbauwerke (im Wesentlichen Brücken),auf die Einhaltung der vertikalen, horizontalen statischen und dynami-schen Einwirkungen aus Zugverkehr sowie des Nachweises der Inter-aktion von Gleis und Brücke gemäß DIN EN 1991-2 unter Berücksichti-gung des zugehörigen Nationalen Anhangs. Dies ist erforderlich, damitdie Ingenieurbauwerke den europäischen Lastmodellen für Züge ent-sprechen und die Interoperabilität gewährleistet wird. Dies wird aufGrundlage der TSI von einer Benannten Stelle im Rahmen eines EG-Prüfverfahrens geprüft. Die Bemessung und Konstruktion der Inge-nieurbauwerke gemäß den weiteren Eurocodes ist nicht Bestandteildieses EG-Prüfverfahrens, sodass sich die Frage stellt, ob diese Vor-schriften für die Erfüllung der grundlegenden Anforderung „Sicher-heit“ im Sinne des Anhangs III, Abschnitt 1.1, der RL 2008/57/EG erfor-derlich sind und als NNTR zu definieren und im Rahmen des Prüfver-

fahrens durch die neu einzurichtende Benannte beauftragte Stelle zuprüfen sind.

In der Tabelle in Abschnitt 3.4 der HGV TSI INF sowie in Tabelle 1 desAbschnittes 3 der KONV TSI INF sind die einzelnen Eckwerte der jewei-ligen TSI den grundlegenden Anforderungen zugeordnet, denen sieRechnung tragen beziehungsweise die sie erfüllen. Dies ließe denSchluss zu, dass mit den HGV und KONV TSI INF, vorbehaltlich der Re-gelung der „offenen Punkte“ mittels NNTR, die grundlegenden Anfor-derungen grundsätzlich als erfüllt anzusehen sind, weil diese beiden TSIINF offenkundig auf die Einhaltung der Interoperabilität fokussieren.

Andererseits zeigen die Untersetzungen der grundlegenden Anforde-rung „Sicherheit“ auf übergeordneter Ebene des Anhangs III, Ab-schnitt 1.1, der RL 2008/57/EG einen Schwerpunkt auf der vollumfäng-lichen Gewährleistung der Sicherheit auch der Eisenbahninfrastruktur.

Das sichere Bauen der Eisenbahninfrastruktur wird national durch dieEinhaltung der a.R.d.T. nach § 2 Abs. 1 EBO gewährleistet. Wie in Kapi-tel 1.4 dargestellt, hat das EBA hierzu die ELTB und die EBRL für den Be-reich der IOH-Anlagen bekanntgegeben. Hierin ist eine ganze Reihevon Vorschriften enthalten, die im vergleichbaren bauaufsichtlichenVerfahren im Wesentlichen im Rahmen der bau- und brandschutztech-nischen Prüfung sowie gegebenenfalls ergänzenden Prüfung der weite-ren eisenbahn- und bauordnungsrechtlichen Anforderungen geprüftund letztlich mit der Freigabe der Ausführungsunterlagen bestätigt wer-den. Dies sind im Bereich der ELTB mehr als 80 DIN beziehungsweiseDIN EN, mehr als 200 Module der Richtlinien der DB AG und mehr als14 weitere Vorschriften, sowie im Bereich der EBRL mehr als 200 DIN,DIN EN beziehungsweise Richtlinien für Bauprodukte und -arten.

Insoweit wird für das Teilsystem Infrastruktur zunächst die aktualisier-te Definition der NNTR im Einzelnen vorzunehmen sein. Dies wird der-zeit überprüft, wobei im Jahre 2003 bereits die Vorschriften auf Grund-lage der zum damaligen Zeitpunkt gültigen ELTB und EBRL an die EU-Kommission übermittelt worden sind.

5.2 Umsetzung des ÜberwachungsverfahrensDie Umsetzung des Überwachungsverfahrens nach CSM-VO1077/2012 für die EIU, die einer SiGe bedürfen, bezieht sich aus Sichtdes EBA auf

■ die Überwachung der Erstellung der Anlagen (sicheres Bauen),■ die Überwachung der Instandhaltung der Anlagen (sicheres Betrei-

ben) sowie■ den Betrieb.

Im Folgenden sollen die Überlegungen für die Ausgestaltung des Über-wachungsverfahrens für die Erstellung der Anlagen dargestellt wer-den, jedoch nicht für den Überwachungsbereich der Instandhaltungder Anlagen und auch nicht für den Betrieb.

Für die Überwachung der Erstellung von IOH-Anlagen (wie auch STE-Anlagen) erwartet das EBA aus der Verpflichtung nach § 4 Abs. 3 AEGsowie auch aus der Umsetzung der Anforderungen der RL 2004/49/EG,dass im SMS des EIU alle erforderlichen Prozesse für die Erstellung (si-cheres Bauen) und Instandhaltung (sicheres Betreiben) der Anlagenvollumfänglich abgebildet sind. Insoweit wären die Anforderungenanalog der VV BAU in den SMS-Prozessen oder Regelwerken dezidiertabzubilden, da zurzeit nur Verweise hierauf verankert sind. Diese sinddann auch die Grundlage für die Erteilung einer SiGe beziehungsweise

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BAUAUFSICHT

Der Prüfingenieur | November 2013 45

der Verlängerung. Die Grundprinzipien der VV BAU (zum Beispiel Qua-lifikation und Verantwortlichkeiten von Funktionsträgern wie BVB,BÜB, IBV, Prüfer oder auch grundsätzlich das Vieraugenprinzip derfachtechnischen Prüfung und Abnahme, …) werden aus Sicht des EBAaber weiterhin der Leitfaden für die SMS-Prüfung und damit der Um-setzungsmaßstab sein.

Insbesondere mit der Abbildung der vollständigen Erstellungsprozessein SMS-Prozessen und SMS-Verfahren oder Regelwerken beziehungs-weise Verfahren der EIU können aus Sicht des EBA

■ eine klare Verantwortungszuordnung zwischen EIU und EBA,■ eine konsequente und konforme Umsetzung der EU-Regelungen,■ eine möglichst einheitliche Vorgehensweise und■ die Konzentration des EBA auf die Überwachung der Einhaltung und

Weiterentwicklung der SMS der EIU

erreicht werden.

5.2.1 ÜberwachungsbereicheDie Überwachung soll sich unternehmensbezogen auf die Wirksamkeitdes SMS beziehen, bei Mängeln mit dem Anstoß eines Prozesses derkontinuierlichen Verbesserung. Die Ergebnisse werden die wesentlicheGrundlage für die Verlängerung der SiGe sein. Die folgenden grund-sätzlichen Überwachungsbereiche sind vorgesehen:

Prozessbezogene Überwachung:■ Überwachung der handelnden Funktionen (BVB, BÜB, IBV, NoBo,

DeBo, AssBo, …),■ Überwachung der Prozesse (Bevollmächtigung, Einbindung Dritter,

…).

Objektbezogene Überwachung:■ Überwachung des Planungsprozesses (Freigabe der AP, Prüfungen

Dritter, …),■ Überwachung des Bauprozesses (Überwachungen vor Ort, Abnah-

men, …).

Sonderüberwachungen:■ Überwachung der vorgenannten Bereiche mit eigenen Schwerpunk-

ten (Sonderprogramme, …) gemäß dem aufzustellenden Überwa-chungsplan.

5.5.2 ÜberwachungsschwerpunkteDie Schwerpunkte sollen im Bereich der Erstellung der Anlagen auf derobjektbezogenen Überwachung (hier zum Beispiel IOH) liegen undsich orientieren

■ an besonderen Risiken, wie:■ – der Komplexität der Baumaßnahme (zum Beispiel Bauwerksklas-

se),■ – Baumaßnahmen mit schwierigen Bauzuständen (beispielsweise

unter rollendem Rad),■ – besonderen Verfahren (zum Beispiel Behandlung von Abweichun-

gen von den oder wenn keine a.R.d.T. vorliegen),

■ an der Maßnahmenart, wie: ■ – Ingenieurbau: Brücken, Tunnel, geotechnische Bauwerke (Stütz-

wände, Durchlässe), sonstige Bauwerke,■ – Oberbau: Strecken- oder Bahnhofsgleise, Weichen, Bahnübergänge,■ – Hochbau: Verkehrsstationen, Empfangsgebäude,

■ an den Organisationseinheiten der EIU:■ – Regionalbereich (RB),■ – Regionalnetz (RN),

■ an besonderen EBA-Erfordernissen: ■ – IBG-Verfahren, Mindeststichprobe.

Die Auswertung und Weiterbehandlung der stichprobenhaften Über-wachungsergebnisse soll prozessorientiert erfolgen. Sie sind also einMaßstab für die Prüfung der Wirksamkeit der Prozesse der EIU. DasZiel ist die Schaffung einer Verwaltungsvorschrift über die Überwa-chung der Erstellung und Instandhaltung von IOH- und STE-Anlagen(VV Überwachung).

5.3 Diskussion der UmsetzungAuf die fachtechnische Weiterentwicklung des IBG-Verfahrens in derUmsetzung des Prüfverfahrens der NNTR durch eine Benannte beauf-tragte Stelle gemäß RL 2008/57/EG sowie auf die Umsetzung desÜberwachungsverfahrens nach CSM-VO 1077/2012 bereitet sich dasEBA zurzeit vor.

Für die Umsetzung des neuen Prüfverfahrens gemäß RL 2008/57/EGist die Definition der NNTR wichtig. In der Abstimmung für die Teilsys-teme Infrastruktur, Energie, Zugsteuerung, Zugsicherung und Signal-gebung sowie Fahrzeuge für ein möglichst einheitliches Vorgehen, ten-diert das EBA gegenwärtig zu dem Vorschlag, alle sicherheitsrelevan-ten nationalen Vorschriften, die für das sichere Bauen erforderlichsind, unter die NNTR und das Prüfverfahren einer Benannten beauf-tragten Stelle zu fassen.

Neben der Einrichtung neuer Stellen oder der Zuordnung zum EG-Prüf-verfahren durch eine Benannte Stelle, wäre die Zuordnung dieses Prüf-verfahrens über die Einhaltung der definierten NNTR durch eine Be-nannte beauftragte Stelle zu den existierenden Stellen beziehungswei-se Funktionsträgern denkbar, die die Einhaltung dieser Vorschriftenheute bereits materiell prüfen. Im Bereich der IOH-Anlagen wären diesfaktisch die Prüfer bau- und brandschutztechnischer Nachweise für dietechnischen Baubestimmungen sowie eventuell die BVB beziehungs-weise BÜB für die gegebenenfalls ergänzenden eisenbahn- und bau-ordnungsrechtlichen Anforderungen.

Im Ergebnis der organisatorischen Änderungen auf Seiten des EBAund der EIU seit Einführung der modifizierten Bauaufsicht und unterder Voraussetzung, dass die NNTR alle bauaufsichtlich relevanten Vor-schriften gemäß ELTB und EBRL umfassen, ist eine Aufgabenwahrneh-mung der Benannten beauftragten Stelle durch Dritte angezeigt. DasEBA wird die NNTR entsprechend definieren und ein Anerkennungsver-fahren für die Benannte beauftragte Stelle entsprechend den bereitsbeim EBA etablierten Anerkennungsverfahren vorschlagen, bei demneben den allgemeinen insbesondere die fachtechnischen Qualifikati-onsanforderungen überprüft werden. Das Verfahren soll sowohl dieAnerkennung für Sachverständigen-Organisationen aber auch für Ein-zel-Sachverständige ermöglichen. Damit kann dem Umstand Rech-nung getragen werden, dass sowohl Stellen als auch Einzel-Sachver-ständige in Form zum Beispiel der Prüfer bautechnischer Nachweiseim Eisenbahnbau einbezogen werden müssen.

Grundsätzlich ist für dieses Prüfverfahren noch zu berücksichtigen,dass es in der bisherigen Umsetzung der RL 2008/57/EG zunächst erstfür circa 50 Prozent des Netzes gilt, da nur die Hälfte des Netzes demTEN zuzuordnen ist und insoweit auch weitergehende gesetzliche und

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BAUAUFSICHT

46 Der Prüfingenieur | November 2013

verfahrenstechnische Regelungen zu schaffen sein werden. Dazu ist zudiskutieren, wie das nicht dem TEN zuzuordnende Netz mit dem Zieleines möglichst einheitlichen Verfahrens in den Regelungsbereich derTEIV einbezogen werden kann. Dies hätte den Vorteil der einheitlichenAnwendung des Prüfverfahrens der NNTR – soweit alle sicherheitsre-levanten Vorschriften hierunter fallen – durch Benannte beauftragteStellen im Bereich der EdB beziehungsweise EIU mit SiGe im Zustän-digkeitsbereich des EBA. Damit könnten die bisherigen nationalen Ver-fahren nach VV BAU, hier im Besonderen die bau- und brandschutz-technische Prüfung, einem einheitlichen europarechtlichen Verfahrenzugeordnet werden.

Weiterhin ist die Umsetzung des Risikomanagementverfahrens nachCSM-VO 352/2009 in der Diskussion, das bezüglich der Schnittstellezum IBG-Verfahren und zum Bauaufsichtsverfahren (Nutzungsgeneh-migung im NO-TEN oder ZiE) Auswirkungen hat, die zurzeit betrachtetund abgestimmt werden. Die DB Netz AG regelte beispielsweise dieAufgabenwahrnehmung des Vorschlagenden, hat auch eine Unabhän-gige Bewertungsstelle eingerichtet und gestaltet die Prozesse hierzuaktuell weiter aus. Insbesondere mit Blick auf die Umsetzung der Än-derung dieser Verordnung durch die CSM-VO 402/2013, wird das EBAauch hierzu weitere Vorschläge für die Umsetzung erarbeiten und indie Diskussion einbringen.

Ein besonderes Spannungsfeld für den Bereich der IOH-Anlagen stelltdie Umsetzung der CSM-VO 1077/2012 hinsichtlich der Ausgestaltungeines Überwachungsverfahrens für die EIU mit einer SiGe dar. Die EIUmüssen aus der Verpflichtung nach § 4 Abs. 3 AEG sowie auch aus derUmsetzung der Anforderungen der RL 2004/49/EG im SMS alle erfor-derlichen Prozesse für die Erstellung (sicheres Bauen) und Instandhal-tung (sicheres Betreiben) der Anlagen vollumfänglich abgebildet ha-ben. Das EBA arbeitet an der Ausgestaltung eines über die Gewerkeder IOH- und STE-Anlagen in den Grundsätzen harmonisiertes Über-wachungsverfahren. Darauf aufbauend kann sich das EBA mit demÜberwachungsverfahren neben dem IBG-Verfahren im TEN auf die Er-teilung der SiGe und die daran anschließende Überwachung der ge-nehmigten SMS der EIU konzentrieren, deren gewerkeübergreifendeErgebnisse in die jeweilige Verlängerung der SiGe mündet.

Wichtig ist dabei, dass das EBA im Rahmen der Überwachung der EIUnach der CSM-VO 1077/2012 gezielt Baumaßnahmen auswählen kannund so eine risikobasierte Verifizierung des SMS des EIU realisiert. Es hatmit dem Instrument der CSM-VO somit die Möglichkeit, gezielt anhandausgewählter Stichproben die Bauprozesse des EIU für unterschiedlicheBauverfahren und über alle Bauphasen hinweg zu überwachen und aufihre Wirksamkeit zu prüfen. Damit wird einerseits der Sicherheitsverant-wortung der EIU nach § 4 Abs. 3 AEG Rechnung getragen. Das EBA wirddamit aber auch unter Anwendung der europäischen Vorschriften seinerVerantwortung für das System Eisenbahn gerecht.

6 Aktuelle ArbeitsschwerpunkteDie Umsetzung dieses umfassenden Pakets europarechtlicher Rege-lungen im Eisenbahnbereich hat speziell auch für die Eisenbahninfra-struktur Auswirkungen auf alle wesentlichen Prozesse bei den EIU undauf die Aufsicht- und Genehmigungsverfahren beim EBA im Bereichder IOH- und STE-Anlagen. Deshalb haben sowohl die EIU als auch dasEBA zurzeit zahlreiche aktuelle Arbeitsschwerpunkte, um die fachtech-nische Umsetzung der europarechtlichen und zugehörigen nationalenRegelungen vorzubereiten.

6.1 Arbeitsschwerpunkte bei den EIU mit SiGe■ Weiterentwicklung des SMS (unter anderem Ausgestaltung der Pro-

zesse für die Erstellung der IOH- und STE-Anlagen),■ Umsetzung der CSM-VO 352/2009 seit 19.07.2010 beziehungswei-

se 01.07.2012, das heißt, zum Beispiel Einrichtung funktionsfähiger,unabhängiger Bewertungsstellen (402/2013 ab dem 21.05.2015),

■ Umsetzung der CSM-VO 1078/2012 ab 07.06.2013 zum Beispiel mitder kontinuierlichen Weiterentwicklung des SMS,

■ Weiterentwicklung des IBG-Verfahrens gemäß den Änderungen derTEIV in Umsetzung der RL 2008/57/EG.

6.2 Arbeitsschwerpunkte des EBA/des Gesetzgebers■ Erteilung von SiGe für EIU,■ Begleitung der Weiterentwicklung des SMS der EIU, ■ Umsetzung der CSM-VO 1077/2012 seit 07.06.2013 für die Überwa-

chung der Erstellung und der Instandhaltung von Anlagen,■ Weiterentwicklung des IBG-Verfahrens gemäß den Änderungen der

TEIV in Umsetzung der RL 2008/57/EG.

Die Umsetzung dieser europäischen Regelwerke stärkt mit dem Auf-bau und der Anwendung von Sicherheitsmanagementsystemen die Si-cherheitsverantwortung der EIU. Das EBA als Sicherheitsbehörde wirdsich, daraus resultierend, auf die europarechtlichen Aufgaben der Er-teilung der Inbetriebnahmegenehmigungen im TEN sowie auf die Er-teilung von Sicherheitsgenehmigungen und die daran anschließendeÜberwachung konzentrieren. Mit den CSM-Verordnungen sind Metho-den vorgegeben, die sowohl beim EIU als auch beim EBA umzusetzensind. Damit möglichst keine parallelen Verfahren – sowohl bei den EIUals auch beim EBA – implementiert werden müssen und die Verfahrenauch weitgehend einheitlich und so einfach wie möglich umgesetztwerden können, sollten die nationalen Aufsichts- und Genehmigungs-verfahren auf die europäischen Verfahren ausgerichtet werden.

Im Rahmen der Weiterentwicklung dieser Verfahren ist aus fachtechni-scher Sicht die Beibehaltung einer unabhängigen und fachgerechtenbau- und brandschutztechnischen Prüfung für die IOH-Anlagen einebedeutende Randbedingung, weshalb diese Prüfung verfahrenstech-nisch in die komplexen Verfahren im Eisenbahnsystem sicher zu inte-grieren ist. Hierzu ist das EBA auch fortlaufend im Dialog mit den Be-teiligten, unter anderem mit der Vereinigung der Sachverständigenund Prüfer für bautechnische Nachweise im Eisenbahnbau (vpi-EBA)und ihren engsten Unterstützern. Die Diskussion ist noch nicht abge-schlossen. In einem engen fachtechnischen Austausch und in einemgemeinsamen Vorgehen sollte es aber allen Beteiligten gelingen, dieVerfahren so weiterzuentwickeln, dass sie für die EIU und zugehörigenPartner, die Prüfer und das EBA effizient umsetzbar sind und einen Bei-trag für die Sicherheit der Eisenbahninfrastruktur leisten. Diesen Wegmüssen alle Beteiligten mitgestalten.

7 Literatur [1] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) in der im

Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffent-lichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Geset-zes vom 11.07.2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist

[2] Eisenbahnneuordnungsgesetz (ENeuOG) vom 27.12.1993 (BGBl. IS. 2378; 1994 I S. 2439), das zuletzt durch Artikel 302 der Verord-nung vom 31.10.2006 (BGBl. I S. 2407) geändert worden ist

[3] Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz (BEVVG) vom 27.12.1993 (BGBl. I S. 2378, 2394), das durch Artikel 4 Absatz 124 des

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BAUAUFSICHT

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[4] Gesetzes vom 07.08.2013 (BGBl. I S. 3154) geändert wordenist

[4] Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) vom 27.12.1993 (BGBl. I S.2378, 2396; 1994 I S. 2439), das durch Artikel 4 Absatz 120 desGesetzes vom 07.08.2013 (BGBl. I S. 3154) geändert worden ist

[5] Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) vom 08.05.1967(BGBl. 1967 II S. 1563), die zuletzt durch Artikel 1 der Verord-nung vom 25.07.2012 (BGBl. I S. 1703) geändert worden ist

[6] Verwaltungsvorschrift über die Bauaufsicht im Ingenieurbau,Oberbau und Hochbau (VV BAU), aktuelle Ausgabe: modifizier-te Bauaufsicht, Version 4.53, gültig ab 01.07.2013

[7] Merkblatt über die Anerkennung und den Einsatz als Prüfer fürbautechnische Nachweise im Eisenbahnbau, Referat 21, Aus-gabe 01.01.2013

[8] Eisenbahnspezifische Liste Technischer Baubestimmungen(ELTB), Referat 21, Fassung Februar 2013, gültig ab 01.05.2013

[9] Eisenbahnspezifische Bauregellisten (EBRL), Referat 21, Ausga-be 2012/1, gültig ab 15.05.2013

[10.1] Richtlinie 2008/57/EG des Europäischen Parlaments und desRates vom 17.06.2008 über die Interoperabilität des Eisen-bahnsystems in der Gemeinschaft, veröffentlicht im Amtsblattder Europäischen Union, L 191/1 vom 18.07.2008

[10.2] Richtlinie 2009/131/EG der Kommission vom 16.10.2009 zurÄnderung von Anhang VII der Richtlinie 2008/57/EG des Euro-päischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilitätdes Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft, veröffentlicht imAmtsblatt der Europäischen Union, L 273/12 vom 17.10.2009

[10.3] Richtlinie 2011/18/EU der Kommission vom 01.03.2011 zurÄnderung der Anhänge II, V und VI der Richtlinie 2008/57/EGdes Europäischen Parlaments und des Rates über die Interope-rabilität des Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft, veröf-fentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union, L 57/21 vom02.03.2011

[11] Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und desRates vom 29.04.2004 über Eisenbahnsicherheit in der Ge-meinschaft und zur Änderung der Richtlinie 95/18/EG des Ra-tes über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunter-nehmen und der Richtlinie 2001/14/EG über die Zuweisung vonFahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgeltenfür die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicher-heitsbescheinigung, berichtigt im Amtsblatt der EuropäischenUnion, L 220/16 vom 21.06.2004

[12.1] Verordnung (EG) Nr. 352/2009 der Kommission vom 24.04.2009über die Festlegung einer gemeinsamen Sicherheitsmethode fürdie Evaluierung und Bewertung von Risiken gemäß Artikel 6 Ab-satz 3 Buchstabe a der Richtlinie 2004/49/EG des EuropäischenParlaments und des Rates, veröffentlicht im Amtsblatt der Euro-päischen Union, L 108/4 vom 29.04.2009

[12.2] Durchführungsverordnung (EU) Nr. 402/2013 der Kommissionvom 30.04.2013 über die gemeinsame Sicherheitsmethode fürdie Evaluierung und Bewertung von Risiken und zur Aufhebungder Verordnung (EG) Nr. 352/2009, veröffentlicht im Amtsblattder Europäischen Union, L 121/8 vom 03.05.2013

[13] Verordnung (EU) Nr. 1158/2010 der Kommission vom 09.12.2010 über eine gemeinsame Sicherheitsmethode für die Kon-formitätsbewertung in Bezug auf die Anforderungen an dieAusstellung von Eisenbahnsicherheitsbescheinigungen, veröf-fentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union, L 326/11 vom10.12.2010

[14] Verordnung (EU) Nr. 1169/2010 der Kommission vom10.12.2010 über eine gemeinsame Sicherheitsmethode für die

Konformitätsbewertung in Bezug auf die Anforderungen an dieErteilung von Eisenbahnsicherheitsgenehmigungen, veröffent-licht im Amtsblatt der Europäischen Union, L 327/13 vom11.12.2010

[15] Verordnung (EU) Nr. 1078/2012 der Kommission vom 16.11.2012 über eine gemeinsame Sicherheitsmethode für die Kon-trolle, die von Eisenbahnunternehmen und Fahrwegbetreibern,denen eine Sicherheitsbescheinigung beziehungsweise Sicher-heitsgenehmigung erteilt wurde, sowie von den für die In-standhaltung zuständigen Stellen anzuwenden ist, veröffent-licht im Amtsblatt der Europäischen Union, L 320/8 vom17.11.2012

[16] Verordnung (EU) Nr. 1077/2012 der Kommission vom16.11.2012 über eine gemeinsame Sicherheitsmethode für dieÜberwachung durch die nationalen Sicherheitsbehörden nachErteilung einer Sicherheitsbescheinigung oder Sicherheitsge-nehmigung, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Uni-on, L 320/3 vom 17.11.2012

[17] Transeuropäische-Eisenbahn-Interoperabilitätsverordnung(TEIV) vom 05.07.2007 (BGBl. I S. 1305), die zuletzt durch Arti-kel 1 der Verordnung vom 10.12.2012 (BGBl. I S. 2632) geän-dert worden ist

[18] Entscheidung Nr. 884/2004/EG des Europäischen Parlamentsund des Rates vom 29.04.2004 zur Änderung der Entschei-dung Nr. 1692/96/EG über gemeinschaftliche Leitlinien für denAufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, veröffentlichtim Amtsblatt der Europäischen Union, L 167/1 vom 30.04.2004

[19.1] Entscheidung der Kommission vom 20.12.2007 über die techni-sche Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „In-frastruktur“ des transeuropäischen Hochgeschwindigkeits-bahnsystems, veröffentlicht im Amtsblatt der EuropäischenUnion, L 77/1 vom 19.03.2008

[19.2] Beschluss der Kommission vom 26.04.2011 über die technischeSpezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „Infra-struktur“ des konventionellen transeuropäischen Eisenbahn-systems, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union, L126/53 vom 14.05.2011

[20] Entscheidung der Kommission vom 20.12.2007 über die techni-sche Spezifikation für die Interoperabilität bezüglich „Sicher-heit in Eisenbahntunneln“ im konventionellen transeuropäi-schen Eisenbahnsystem und im transeuropäischen Hochge-schwindigkeitsbahnsystem, veröffentlicht im Amtsblatt der Eu-ropäischen Union, L 64/1 vom 07.03.2008

[21] Entscheidung der Kommission vom 21.12.2007 über die techni-sche Spezifikation für die Interoperabilität bezüglich „einge-schränkt mobiler Personen“ im konventionellen transeuropäi-schen Eisenbahnsystem und im transeuropäischen Hochge-schwindigkeitsbahnsystem, veröffentlicht im Amtsblatt der Eu-ropäischen Union, L 64/72 vom 07.03.2008.

[22] Verwaltungsvorschrift für die Verfahrensweise bei der Inbe-triebnahme struktureller Teilsysteme des transeuropäischen Ei-senbahnsystems für den Bereich ortsfester Anlagen (VV IST),Referat 21, Ausgabe 12.2011, gültig ab 15.12.2011.

[23] Empfehlung 2011/217/EU der Kommission vom 29.03.2011 zurGenehmigung der Inbetriebnahme von strukturellen Teilsyste-men und Fahrzeugen gemäß der Richtlinie 2008/57/EG des Eu-ropäischen Parlaments und des Rates veröffentlicht im Amts-blatt der Europäischen Union, L 95/1 vom 08.04.2011

[24] Leitfaden zur Erteilung von Sicherheitsgenehmigungen, EBA,Version 1.0 vom 23.04.2009

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WASSERBAUWERKE

48 Der Prüfingenieur | November 2013

Der Neubau der Kanalüberführung Elbeu beidurchgängiger Aufrechterhaltung der SchifffahrtEine besondere planerische Herausforderungunter dem „rollenden Rad“ der Deutschen Bahn

Der Mittellandkanal (MLK) ist eine Bundeswasserstraße und mit325,3 km Länge die längste künstliche Wasserstraße inDeutschland. In europäischer Dimension ermöglicht der MLKüber das innerdeutsche Kanalnetz eine Verbindung zwischenden Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich und derSchweiz auf der einen, mit Polen und Tschechien auf der ande-ren Seite. Im Zuge des Ausbaus der West-Ost-verbindenden Bin-nenwasserstraßen (Projekt 17 der Verkehrsprojekte DeutscheEinheit) erfolgt derzeit der Neubau der Kanalüberführung beiElbeu einschließlich des Ausbaus des Mittellandkanals vonMLK-km 315,15 bis 318,45. Mit einer eigens für die Maßnahmehergestellten Umfahrung des Kanals (Ausweiche) stellt diesesProjekt eine Besonderheit im Bereich der Infrastrukturplanungdar. Der Bericht beschreibt die Aufgaben und Anforderungendieses herausragenden Projektes, welches sowohl bei der Pla-nung als auch bei der Ausführung eine besondere Herausforde-rung für alle an der Umsetzung dieses Großprojektes Beteilig-ten darstellt.

ist für das Verkehrsprojekt 17 Deutsche Einheit seit 1993 in derWasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes für den Ausbaudes Mittellandkanals tätig, zuständig zunächst für die Planungund Ausführung des Streckenausbaus, dann als Projektleiter fürden Ausbau der Stadtstrecke Wolfsburg und die Kanalstrecken imNaturschutzgebiet Drömling und schließlich, bis zur Verkehrsfrei-gabe, für den Neubau der Elbe-Seiten-Kanal-Schleuse Uelzen II(der größten Sparschleuse Europas); seit 2007 ist er als Sachbe-reichsleiter im Wasserstraßen-Neubauamt Helmstedt für Brückenund seit 2008 für das Wasserstraßenbauwesen verantwortlich,als stellvertretender Amtsleiter unter anderem auch für den Neu-bau der Kanalüberführung Elbeu

[email protected]

1 Einführung

Der Ausbau des Mittellandkanals im Rahmen des Projekts 17 der Ver-kehrsprojekte Deutsche Einheit stellt den Anschluss der GroßräumeMagdeburg und Berlin an die wichtigsten Nordseehäfen und die west-lichen Industriezentren durch eine leistungsfähige, sichere und umwelt-freundliche Wasserstraßenverbindung der Klasse Vb sicher (Abb. 1).

Der vorhandene, unzureichende Kanalquerschnitt wird aufgeweitet fürleistungsfähige Großmotorgüterschiffe bis 110 m Länge und Schubver-bände bis 185 m Länge mit einer Breite von 11,45 m und einem Tief-gang von 2,80 m. Die Schiffe haben eine Tragfähigkeit von 2.100 tbzw. 3.500 t. Das Wasserstraßen-Neubauamt Helmstedt ist für denAusbau der Osthaltung des Mittellandkanals zwischen Wolfsburg undMagdeburg verantwortlich.

2 Die vorhandene SituationDer Ausbau dieser Wasserstraßenverbindung ist weit vorangeschrittenund steht kurz vor seinem Abschluss. Von Westen her ist Haldenslebenschon fast optimal angebunden. Es fehlen noch Teile jenes Bereichs,

Dipl.-Ing. (TU) Karl-Heinz Wiese

Abb. 1: Osthaltung des Mittellandkanals

Abb. 2: Die Kanalüberführung Elbeu vor Beginn der Bauarbeiten

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WASSERBAUWERKE

Der Prüfingenieur | November 2013 49

der sich östlich von Haldensleben rund 15 km bis zum Wasserstraßen-kreuz in Magdeburg erstreckt. In diesem Bereich nordwestlich vonMagdeburg liegt der Kanal in der Hohen Dammstrecke. Der Kanalwas-serspiegel befindet sich ca. 15 m über dem umliegenden Gelände. DieSohle des Kanals ist mit einer Naturdichtung aus Ton gedichtet, umdas Durchströmen der Dämme zu verhindern.

In der „Hohen Dammstrecke“ nördlich von Magdeburg wird der Mit-tellandkanal bei Elbeu über die Hauptstrecke der DB AG von Magde-burg nach Stendal überführt (Abb. 2). Die Kanalüberführung wurde1928 über die bereits bestehende Bahntrasse gebaut. Um das Licht-raumprofil der Bahnstrecke einzuhalten, standen damals bis zur Ka-nalsohle (NN + 52,00 m) nur wenige Dezimeter Bauhöhe zur Verfü-gung. Deshalb wurde ein gemauertes Klinkergewölbe auf Stampfbe-tonwiderlagern erbaut. Das ca. 100 m lange Bauwerk hat eine lichteWeite von 9,60 m. Der Mauerwerksbogen hat im Scheitel eine Stärke

von 64 cm, die Widerlager messen an der Basis jeweils 8 m (Abb. 3).Das Bauwerk ist zu ersetzen, da es den modernen Regelprofilen desKanals sowie denen der DB AG nicht mehr gerecht wird. Auch der Stre-ckenabschnitt des Mittellandkanals in diesem Bereich (StreckenlosWolmirstedt), der derzeit noch im ursprünglichen Muldenprofil vor-handen ist, muss aufgeweitet werden.

3 Planung und NeubauNach Abwägung aller wirtschaftlichen, sicherheitstechnischen undbaulichen Belange wird vom Wasserstraßen-Neubauamt Helmstedtzunächst unmittelbar südlich der vorhandenen Kanalüberführung eineeinschiffige Kanalbrücke im Rechteckquerschnitt als Ausweiche er-stellt (Abb. 4). Nach ihrer Fertigstellung wird die alte Kanalüberfüh-rung abgebrochen und anschließend an derselben Stelle eine zwei-

Abb. 3: Querschnitt des bestehenden Bauwerkes

Abb. 4: Lageplan: Neubau als Brücke in Standardbreite in Alter Fahrt mit einschiffiger Ausweiche in Neuer Fahrt

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WASSERBAUWERKE

50 Der Prüfingenieur | November 2013

schiffige Kanalbrücke (Wasserspiegelbreite 42,00 m) über die Bahn-trasse errichtet. Der Betrieb auf dem Kanal kann aufrechterhalten wer-den. Der Bodenabbau über dem alten Gewölbe und dessen Abbruchsind während einer zweiwöchigen Vollsperrung der Bahn vorgesehen.

Bei der Planung hat sich als wirtschaftlichster Baustoff Stahlbeton er-wiesen, der in Form eines nach unten offenen Rahmens ohne Lagerausgebildet wird (Abb. 5) und damit besonders wartungsarm ist. DerRahmen wird in gleicher Form auch unter der Mittelinsel zwischen deralten Fahrt und der Ausweiche sowie unter den Außenböschungenausgeführt. Die vollständige Verfüllung der Mittelinsel und der Außen-böschungen über den Portalen führt neben einem Sicherheitsgewinnzu einer ökologisch günstigeren und optisch gefälligeren Lösung.Durch die Verbindung der beiden Kanalbrücken entsteht ein insgesamt164 m langer Bahntunnel.

Entsprechend dem vorzuhaltenden Lichtraumprofil der Bahn beträgt dielichte Weite zwischen den Rahmenstielen 11,60 m. Die Bauhöhe desRahmenriegels wird durch die obere Begrenzung des Lichtraumprofilsder Bahn und durch die Kanalsohle beschränkt. Sie beträgt in der Mitte90 cm, und die Riegeloberseite ist mit einem Dachprofil (1:75) versehen.Im Bereich der Rahmenstiele ist der Riegel auf einer Länge von jeweils3,00 m bis auf eine Bauhöhe von 1,40 m angevoutet. Die Dicke der Rah-menstiele beträgt konstant 1,60 m. Der Pfahlkopfbalken besitzt eineBreite von 2,40 m bei einer Bauhöhe von 1,80 m. Der Rahmen wird aufGroßbohrpfählen D = 1,80 m gegründet. Der Achsabstand der Pfähle va-riiert belastungsabhängig über die Bauwerkslänge. In den Regelberei-chen beträgt der Abstand bis zu 4,60 m, während in den Randbereichendie Bohrpfähle tangierend eingebracht werden.

Aufgrund der hohen horizontalen Einwirkungen aus dem Erd- und Was-serdruck auf die Rahmenstiele werden die Bohrpfähle in den Pfahlkopf-balken des Rahmens konstruktiv eingespannt. Diese konstruktive Ein-spannung führt zu einer Bauwerksversteifung. Hierdurch werden diehorizontalen Verformungen der Rahmenstiele in Richtung Gleisbett ver-ringert und die Biegebeanspruchung der Rahmenecke reduziert.

Diese Reduzierung der Biegebeanspruchung ist aufgrund der hohenerforderlichen Bewehrungsgehalte zur normativen Sicherstellung der

Abb. 6: Herstellung der Rahmenstiele und -riegel der einschiffigen Ka-nalbrücke

Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit zwingend erforderlich. Trotzder Bohrpfahleinspannung sind Bewehrungsgehalte von bis zu120 cm2/m in der Rahmenecke erforderlich. Diese werden durch einezweilagige Bewehrung (∅ 28/10 cm) abgedeckt. Um die erforderli-chen Sicherheitsabstände der Bewehrung zur vorhandenen und in Be-trieb befindlichen Oberleitungsanlage der DB AG einzuhalten, werdendie Bewehrungsanschlüsse in Teilbereichen (AbschlussbewehrungRahmenstiel an Rahmenriegel) durch Schraubverbindungen realisiert.

Die zweischiffige Kanalbrücke und die einschiffige Ausweiche werdenin monolithischer Bauweise hergestellt. Zur Herstellung sowie zur Auf-nahme unterschiedlicher Setzungsverhalten der Teilbauwerke sind bei-de Bauabschnitte durch eine umlaufende Raumfugenkonstruktion ge-trennt. Die Herstellung der Pfahlkopfbalken und der Rahmenstiele er-folgt mit einem konventionellen Schalsystem. Die Länge der Betonier-abschnitte beträgt rund 30 m. Während der Arbeiten an den Rahmen-stielen ist die DB-Strecke jeweils einseitig gesperrt.

Die Herstellung des Rahmenriegels erfolgt auf einem verfahrbarenSchalwagen (Abb. 6). Dieser ist am Wandkopf auf einer Verschubbahnmittels Konsolträgern gelagert. Der Verschub des Schalwagens und dieBetonage des Riegels erfolgen in nächtlichen Sperrpausen.

Abb. 5: Querschnitt desRahmenbauwerks

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4 Herausforderung BaugrubensituationDer Übergang vom 1. Bauabschnitt (Errichtung der einschiffigen Ka-nalbrücke) zum 2. Bauabschnitt (Errichtung der zweischiffigen Kanal-brücke) stellt eine besondere Herausforderung an die Konzeption undAuslegung der Baugrube dar.

Nach der Fertigstellung und Inbetriebnahme der einschiffigen Auswei-che sowie der Herstellung der Baugrube für den 2. Bauabschnitt bildetdie nördliche Trogwand der einschiffigen Kanalbrücke zusammen mitzwei anschließenden, parallel zur Kanalachse verlaufenden Flügel-wänden die südliche Begrenzung der Baugrube des 2. Bauabschnitts(Abb. 7).

Die auf überschnittenen Bohrpfählen D = 1,20 m tiefgegründeten Flü-

Abb. 7: Draufsicht Übergang Baugrube 1. zum 2. Bauabschnitt

Abb. 8: Einwirkungen auf stirnseitige Flügelwand (außergewöhnliche Bemessungssituation BS-A, „Dichtung defekt“)

gelwände und die Trogwand bilden somit die direkte Trennung zwischender Baugrube und der schifffahrtstechnisch genutzten Ausweiche.

An diese stirnseitige Verbauwand werden demzufolge besondere An-forderungen hinsichtlich der Standsicherheit und Dichtigkeit gestellt,da diese Wand das einzige Dichtungselement zum ca. 15 m höher lie-genden Kanal darstellt.

Neben den Einwirkungen aus Erddruck, Eisdruck und Schiffsanprallmuss die Wand im Falle einer eventuellen Undichtigkeit der Kanalsohleebenfalls dem anstehenden hydrostatischen Wasserdruck vom oberenBemessungswasserstand BWo bis zur Baugrubensohle standhalten(Abb. 8).

Die Verbundwände (in Baugrubenlängsrichtung) und die Flügelwände(als Teil des stirnseitigen Verbaus) erfahren zeitlich und belastungs-technisch differenzierte Einwirkungen. Die für die Flügelwände zu be-rücksichtigenden Einwirkungen wie z. B. Eisdruck und Schiffsanprallkönnen für die Verbauwände nicht auftreten. Der Wasserdruck infolgeeiner defekten Dichtung steht für die Flügelwände in voller Größe an,für die Verbauwände baut sich dieser mit zunehmendem Abstand zuden Flügelwänden ab. Bei einer Aussteifung der Flügelwände gegendie Verbauwände würden sehr hohe Abtriebskräfte generiert werden,welche von der Verbaukonstruktion nicht abgeleitet werden können.

Für die Ausführung wurde daher ein belastungsorientiertes Baugru-benkonzept mit einer Entkopplung der Verankerung der Verbauwändeund der Flügelwände entwickelt.

Die Verbauwände werden im direkten Anschlussbereich an den1. Bauabschnitt in drei Lagen mit bis zu 42,50 m langen Verpressankernmit einem minimalen Abstand von 58 cm verankert, um die hohen Ver-ankerungskräfte infolge des Wasserdrucks aufnehmen zu können.Die tiefgegründeten Flügelwände werden mit einer vorgespanntenTotmann-Konstruktion (GEWI-Stähle ∅ 63,5 mm an Ankerwand AZ25)einfach rückverankert. Die Rückverankerung liegt dabei unterhalb derKanalsohle im Bereich der neu aufgefüllten Ausweiche. Die Rohrdurch-

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WASSERBAUWERKE

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führungen und Verankerungselemente wurden bereits bei der Herstel-lung der Uferwände mit eingebaut (Abb. 9 und 10).

Die sichere Umsetzung der Maßnahme hat oberste Priorität, sodassdas gewählte Verankerungskonzept einen wesentlichen Anteil zur Mi-nimierung der Risikopotenziale beiträgt.

5 StreckenausbauIm Vorfeld der Planungen wurden Standsicherheitsuntersuchungen fürden 3,3 km langen Abschnitt in der Hohen Dammstrecke bei Elbeudurchgeführt. Die Dammhöhen ergeben sich zu 7 bis 17 m. Für diese

Untersuchungen wurde das geplante Ausbauprofil des Kanals (Recht-eckprofil mit 42 m Wasserspiegelbreite) zugrunde gelegt. Die Standsi-cherheit der wasserseitigen Böschungen war bereits bei früheren Un-tersuchungen nachgewiesen worden, sodass nur die luftseitigen Bö-schungen betrachtet wurden.

Die Berechnungen zeigten eindeutig, dass der vorhandene Damm(Abb. 11) keine ausreichende Standsicherheit aufweist. Als Siche-rungsmaßnahmen wurden je nach Abschnitt Vorschüttungen und Bo-denaustausch konzipiert, sodass die Standsicherheit nach dem „Merk-blatt Standsicherheit von Dämmen an Bundeswasserstraßen“ (MSD,1998) der Bundesanstalt für Wasserbau nachgewiesen werden konnte.

Nach einer EU-weiten Ausschreibung beauftragte das Wasserstraßen-Neubauamt Helmstedt im Februar 2010 die Firma Johann Bunte ausPapenburg mit dem Neubau der Kanalüberführung und dem Ausbaudes zugehörigen Streckenabschnitts Wolmirstedt. Die Auftragssummebeträgt ca. 60 Millionen Euro.

Vor Beginn der Bauarbeiten am Kanalquerschnitt wurden die Damm-füße ertüchtigt. Durch die Ertüchtigung der Dämme, die eine schadlo-se Durchströmung ermöglicht, wird das Sicherheitsniveau so erhöht,dass ein Versagen der Dichtung nicht zu Schäden im Dammbereichführen kann.

Der Ausbau erfolgt mit einer Breite von 42 m zwischen den bereits vor-handenen Spundwänden. Da der Kanalwasserspiegel in diesem ge-samten Abschnitt über dem Grundwasser liegt, muss der Kanal mit ei-ner 30 cm dicken Tonschicht, die zwischen den Spundwänden auf derKanalsohle eingebaut wird, gedichtet werden. Zum Schutz gegen Ero-sion wird die Tonschicht mit einem geotextilen Filter abgedeckt. Ab-schließend wird als Schutz gegen Strömung und Wellen sowie gegenAnkerwurf und Schiffsanfahrung eine Deckschicht aus Wasserbaustei-nen aufgebracht. Der Streckenabschnitt erhält auf den Seitendämmenbeidseitig einen Betriebsweg.

6 BahnsperrpausenDie Umsetzung der Maßnahme erfolgt unter „rollendem Rad“ der DBund durchgängiger Aufrechterhaltung der Schifffahrt, und sie stellt da-durch eine besondere Herausforderung aller an der Planung und amBau Beteiligten dar.

Abb. 11: Ertüchtigung der Dammfüße

Abb. 9 und 10: Rohrduchführungen der Verankerungselemente, An-sicht der Flügelwände

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WASSERBAUWERKE

Der Prüfingenieur | November 2013 53

Die Gewährleistung des Schiffsverkehrs wurde durch den Bau der Aus-weiche erreicht.

Der Bahnverkehr und der gleichzeitige Neubau der Kanalüberführungwerden durch ein komplexes, restriktives System von Bahnsperrpau-sen ermöglicht. Die Sperrung beider Gleise wurde in einer zweiwöchi-gen Sperrung und in 71 nächtlichen Sperrpausen (ca. 7 Stunden) voll-zogen. Diese Unterbrechungen waren unter anderem für den Gewöl-beabbruch und für die Betonagen der Decken notwendig. Im Schutzvon insgesamt 109 eingleisigen Sperrungen sind die Rahmenstiele her-gestellt und die Arbeiten an der Leit- und Sicherungstechnik durchge-führt worden.

Für den Neubau der Kanalüberführung mit einer dreieinhalbjährigenBauzeit wurde somit der Zugverkehr nur für zwei Wochen und derSchiffsverkehr gar nicht unterbrochen.

Abb. 12: Ausweiche in Betrieb, Alte Fahrt gelenzt

Abb. 13: Abbruch Tunneldecke in zweiwöchiger Sperrpause der Bahn

Abb. 14: Spundwandeinbau im Bereich der Alten Fahrt

7 Stand der BaumaßnahmeDie Erdarbeiten einschließlich des Spundwand- und Dichtungseinbausfür die Ausweiche außerhalb des Bauwerkes wurden so abgeschlos-sen, dass die Ausweiche im Dezember 2011 geflutet und in Betrieb ge-nommen werden konnte (Abb. 12).

Im März 2012 ist die Tunneldecke der vorhandenen Überführung in ei-ner zweiwöchigen Vollsperrung der Bahn abgebrochen worden. Die Al-te Fahrt des Kanals wurde dafür mittels Querdämmen unterbrochenund in diesem Bereich gelenzt (Abb. 12 und 13).

In dem zweiten Bauabschnitt sind nach dem Abbruch der vorhandenenKanalüberführung entsprechend dem ersten, das heißt, nach dem Her-stellen der Baugrubenspundwand die Gründungspfähle eingebrachtund das Rahmenbauwerk errichtet worden. Nach der Verfüllung derBaugrube wird die Strecke außerhalb des Bauwerks komplettiert. DerDamm wird geschüttet und das komplette Rechteckprofil mit Spund-wänden (Abb. 14) und gedichteter Sohle hergestellt.

Die Flutung des Bereichs der Alten Fahrt und der Rückbau der Trenn-dämme schließen sich an.

Gemäß Ausschreibung werden ca. 2.000 t Spundwand, 10.000 m3

Stahlbeton, 1.000.000 m3 Bodenmaterial, 160.000 m2 gedichtetesDeckwerk sowie ca. 50.000 m2 Wegebau realisiert.

Die Gesamtbauzeit der Kanalüberführung einschließlich des Strecken-ausbaus beträgt ca. 3 ½ Jahre und wird im Herbst 2013 mit der Ver-kehrsfreigabe abgeschlossen sein.

8 LiteraturDipl.-Ing. Karl-Heinz Wiese, Dipl.-Ing. MSc. Björn Helfers (grbv Inge-nieure, Hannover): „Neubau der Kanalüberführung Elbeu in der Ost-haltung des Mittellandkanals bei Magdeburg“ Bautechnik, AusgabeJuli 2012

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TUNNELBAU

54 Der Prüfingenieur | November 2013

Der Katzenbergtunnel: Eines der modernsten und größtenEinzelbauwerke im europäischen SchienenverkehrWegweisende technische Innovationen und neuartigeBauweisen vom Rohbau bis zur Inbetriebnahme

Mit 9.385 Metern Länge ist der Katzenbergtunnel das größteEinzelbauwerk der Ausbau- und Neubaustrecke der DeutschenBahn AG zwischen Karlsruhe und Basel. Obendrein ist er auchnoch Deutschlands längster Zwei-Röhren-Tunnel. Die geogra-phischen, geologischen, mineralogischen und hydrologischenBedingungen seines Baues bargen jedoch derart vielschichtigeHerausforderungen, dass sich die planenden und beratendenIngenieure immer wieder außergewöhnliche Lösungen ausden-ken, erproben und ausführen lassen mussten. So entstand einTunnel, der mit technischen Innovationen ausgestattet ist, dieihn zu einem der modernsten Bauwerke im europäischen Schie-nenverkehr erheben. Einer seiner Erbauer hat im folgenden Bei-trag die wichtigsten technischen Spezialitäten dieses Bauwerksbeschrieben, das die enge und kurvenreiche Linienführung deralten Rheintalbahn im „Isteiner Klotz“ in nordsüdlicher Rich-tung begradigt und so die Streckenlänge in diesem Abschnittum 3,6 Kilometer verkürzt. Zugleich erhöht sich die zugelasseneHöchstgeschwindigkeit im Tunnel auf bis zu 250 Kilometer proStunde. Neben der Reisezeitverkürzung schafft der Tunnel aberauch dringend benötigte neue Kapazitäten für den Güter- undPersonenverkehr – und er entlastet die Bewohner mehrererOrtschaften erheblich von Schienenlärm.

studierte bis 1990 das Bauingenieurwesen an der FH Aachen undwar danach als Planungsingenieur, Projektsteuerer und Projekt-leiter in verschiedenen Ingenieurbüros tätig; er wechselte dannzur DB ProjektBau, wo er bis 2005 als Projektleiter für ein Teilpro-jekt des Eisenbahnknotens Berliner Innenring verantwortlich war(Qualität, Kosten und Termine); seit 2006 ist er in der Niederlas-sung Südwest in Karlsruhe in leitenden Funktionen beim Groß-projekt Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe-Basel tätig, zurzeitals Projektabschnittsleiter im Streckenabschnitt 9.

[email protected]

1 Einführung

Die Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel ist Bestandteil deswichtigsten europäischen Güterverkehrskorridors von Rotterdam überKöln und Basel bis nach Mailand und Genua. Die Verkehrsachse zwi-schen den holländischen Häfen und dem Mittelmeer zählt zu dendurch die EU-Verkehrspolitik als vorrangig eingestuften Transeuropäi-schen Netzen (TEN), die mit modernster Technologie Europa näher zu-sammenbringen sollen (Abb. 1).

In den Niederlanden wurde mit der 160 Kilometer langen Betuweroutevon Rotterdam bis an die deutsche Grenze Mitte 2007 eine der aus-schließlich für den Güterverkehr weltweit modernsten Strecken in Be-trieb genommen. Auf deutscher Seite wird in den kommenden Jahrendie Anschlussstrecke von Zevenaar über Emmerich bis nach Oberhau-sen ausgebaut. Im weiteren Verlauf ist die Rheintalbahn der wichtigstenördliche Zulauf zur Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) mitihren zentralen Projekten Gotthard- und Lötschberg-Basistunnel. Der34 Kilometer lange Lötschberg-Basistunnel wurde bereits im Juni 2007eröffnet; die Fertigstellung des Gotthard-Basistunnels, mit 57 Kilome-ter der längste Bahntunnel der Welt, ist für 2017 vorgesehen. Die Gott-

Dipl.-Ing. (FH) Heinz-Georg Haid

Abb. 1: TEN-Korridor Rotterdam–Genua

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TUNNELBAU

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hard-Strecke wird im Süden durch den 16 Kilometer langen Ceneri-Ba-sistunnel fortgesetzt, dessen Bau 2006 begonnen wurde.

Die Deutsche Bahn verfolgt mit dem Projekt Ausbau- und Neubaustre-cke Karlsruhe-Basel drei wesentliche Ziele für die Rheintalbahn:

■ Erhöhung der Streckenkapazität, ■ Entmischung der Verkehre und ■ Erhöhung der maximalen Geschwindigkeit für den Reisefernverkehr

auf 250 km/h.

Das Projekt befindet sich in unterschiedlichen Stadien: Im nördlichenStreckenabschnitt bei Rastatt sind die Arbeiten im Sommer 2013 mitdem Bau der Grundwasserwanne unter der Autobahn A5 bei Rastatt-Niederbühl gestartet, der Streckenabschnitt Raststatt-Süd-Offenburg istbereits seit Dezember 2004 in Betrieb, und im Süden, bei Weil amRhein/Haltingen, laufen die Arbeiten ebenfalls auf Hochtouren (Abb. 2).

2 Der KatzenbergtunnelIm Dezember 2012 wurde der 17,6 Kilometer lange Abschnitt 9.1 zwi-schen Schliengen/Auggen und Eimeldingen in Betrieb genommen. In

diesem Abschnitt liegt auch der Katzenbergtunnel, der mit seinen9385 Metern Länge Deutschlands längster Zwei-Röhren-Tunnel ist.Das größte Einzelbauwerk der Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe-Basel zeichnet sich neben seiner neuartigen Bauweise durch techni-sche Innovationen aus, die ihn zu einem der modernsten Bauwerke imeuropäischen Schienenverkehr machen.

Der Katzenbergtunnel begradigt in nordsüdlicher Richtung die engeund kurvenreiche Linienführung der alten Rheintalbahn im Bereich derGebirgsformation „Isteiner Klotz“ (Abb. 3). Dadurch verkürzt sich dieStreckenlänge in diesem Abschnitt um 3,6 Kilometer. Zugleich erhöhtsich die zugelassene Höchstgeschwindigkeit im Tunnel auf bis zu 250km/h. Neben der Reisezeitverkürzung schafft der Tunnel auch die drin-gend benötigten zusätzlichen Kapazitäten im Güter- und Personenver-kehr. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Das Bauwerk entlastet die Anwoh-ner der Ortschaften Bad Bellingen, Rheinweiler und Efringen-Kirchenerheblich von Schienenlärm.

3 ARGE KatzenbergtunnelNach einer EU-weiten Ausschreibung konnte die Deutsche Bahn AGAnfang August 2003 den Auftrag für den Neubau des Katzenbergtun-

Abb. 2: Planungs- und Realisierungsstand der Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe-Basel

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56 Der Prüfingenieur | November 2013

nels an die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Katzenbergtunnel vergeben.Die Federführung hatte die Ed. Züblin AG, Stuttgart, die kaufmänni-sche Leitung übernahm die Niederlassung Stuttgart der Wayss & Frey-tag Ingenieurbau AG. Weitere Partner der ARGE waren die Firmen Mar-ti Tunnelbau AG (Bern, Schweiz), sowie die Jäger Bau GmbH (Schruns,Österreich). Der Werkvertrag über die Lieferung der beiden Tunnelvor-triebsmaschinen wurde zwischen der ARGE Katzenbergtunnel und derHerrenknecht AG (Schwanau) abgeschlossen.

4 Logistische MeisterleistungDer Bau des Katzenbergtunnels erforderte perfekt abgestimmte Pro-duktions- und Logistikprozesse. Dazu wurde vor Baubeginn die not-wendige Infrastruktur eingerichtet: Auf insgesamt rund 100.000 Qua-dratmeter Fläche entstanden Baubüros für die Planer und Ingenieureder Bahn sowie der Arbeitsgemeinschaft Katzenberg, Büros für dieBauüberwachung, Werk- und Lagerstätten, Flächen für den Material-umschlag, das Informationscenter Katzenbergtunnel sowie die Unter-künfte für bis zu 230 Arbeitskräfte. In der Hochphase der Bauarbeitenarbeiteten rund 650 Arbeiter auf der Baustelle. Eine Straßenanbindungfür den Schwerlastverkehr wurde ebenso angelegt wie die Wasser- undEnergieversorgung, die dem Bedarf eines neuen Ortsteils entsprach.Das Kernstück der Baustellenfläche war die 11.000 Quadratmeter gro-ße Produktionshalle für die Herstellung der Tübbinge (Abb. 4).

Neben der Produktion und der Anlieferung der Baumaterialien just-in-ti-me ist auch der schnelle und umweltschonende Abtransport der Aus-bruchsmassen ein bestimmender Faktor für den Baufortschritt im Tunnel.Um LKW-Fahrten weitgehend zu vermeiden, wurde für den Katzenberg-tunnel ein bislang einmaliges Transport- und Deponiekonzept entwi-ckelt: Förderbänder transportierten das Erd- und Gesteinsmaterial vonder Tunnelvortriebsmaschine nach außen auf ein Zwischenlager, vondort beförderte eine rund 2,5 Kilometer lange oberirdische Förderban-danlage den Abraum direkt in den nahegelegenen Steinbruch „Kapf“.Insgesamt wurden dort rund 2,4 Millionen Kubikmeter Aushub- undAusbruchmassen nach einem abgestimmten Verfüll- und Einbauplan de-poniert. Der Steinbruch wurde mittlerweile renaturiert (Abb. 5).

5 Anspruchsvoller TunnelvortriebDie Röhren verlaufen mit einer Überdeckung von 25 bis 110 Meter un-ter dem Markgräfler Hügelland. Dessen geologische Gegebenheitenstellten Mineure wie Ingenieure immer wieder vor besondere Heraus-forderungen: Das Gebiet zeichnet sich vornehmlich durch weiche Ge-steinsschichten wie Ton-, Kalk- und Sandstein sowie die unterschiedli-che Mischungen dieser Komponenten aus. Da dieses Gestein kaumstützende Eigenschaften aufweist, musste der Tunnelvortrieb in klei-nen Abschnitten erfolgen und die endgültige Tübbingauskleidung un-mittelbar im Nachgang eingebaut werden.

Abb. 3: Der Planfeststellungsabschnitt (PFA) 9.1 mit Katzenbergtunnel

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Abb. 4: Baustelleneinrichtungsfläche am Südportal des Katzenberg-tunnels

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Abb. 5: Deponiefläche im Steinbruch „Kapf“

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TUNNELBAU

Der Prüfingenieur | November 2013 57

Neben den geologischen waren auch die hydrologischen Bedingungenanspruchsvoll: So liegt der Katzenbergtunnel auf seiner ganzen Längeunter dem Bergwasserspiegel. In Kombination mit der geringen Ge-steinsfestigkeit und der Wasserempfindlichkeit einiger Schichten stell-te das Wasser einen wichtigen Faktor sowohl beim Vortrieb als auchbei den Planungen zur Statik des fertigen Tunnelbauwerks dar. Um dieOrtsbrust möglichst trocken zu halten, wurde während der Vortriebsar-beiten der Wasserspiegel vorübergehend abgesenkt. Da dieser sichnach Fertigstellung des Tunnels wieder einstellt, müssen die Röhrenheute sowohl dem Gebirgs- als auch dem Wasserdruck standhalten.

Die beiden Tunnelröhren wurden auf einer Länge von je 8.984 Meterdurch zwei jeweils 220 Meter lange und 2.500 Tonnen schwere Tunnel-vortriebsmaschinen (TVM) aufgefahren (Abb. 6). Für Aufbau undMontage einer Maschine benötigten zeitweise bis zu 90 Spezialistenrund drei Monate. Im Juni 2005 startete die erste Tunnelvortriebsma-schine mit dem Vortrieb der östlichen Tunnelröhre, im Oktober 2005 er-folgte das Andrehen der West-Röhre. Bei den Maschinen handelte essich um Erddruckschilde, bei denen das an der Ortsbrust abgebauteMaterial auch zur Tunnelbruststützung genutzt werden konnte. Mit ei-ner Antriebsleistung von 3.200 Kilowatt wurde der rund 95 Quadrat-meter große Gesamtquerschnitt einer Tunnelröhre in einem Arbeits-gang ausgebrochen. Sicherung, Abdichtung und die endgültige Aus-kleidung erfolgten in einem Arbeitsgang. Der verwendete Mixschildhatte einen Durchmesser von rund 11 Meter. Als mittlere Vortriebsleis-tung waren 15 Meter pro Tag kalkuliert worden, die Maschinen warenjedoch, abhängig von den geologischen Verhältnissen, auch für Ge-schwindigkeiten von mehr als 20 Meter pro Tag ausgelegt. Am 20.September 2007 erreichte die TVM 1 das Nordportal, knapp zwei Wo-chen später folgte die TVM 2 – und beide taten dies mit größter Präzi-sion: Die TVM 1 hatte eine Abweichung von elf, die TVM 2 eine Abwei-chung von 25 Millimetern von ihrer Zielposition.

6 Moderne TübbingbauweiseAufgrund der Gebirgs- und Wasserdruckverhältnisse wurde eine kreis-runde Tunnelform als optimaler Querschnitt gewählt. Die Innenschaledes Katzenbergtunnels besteht dabei aus einem Ring millimetergenau

Abb. 6: Tunnelvortriebsmaschine Fo

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Abb. 7: Tübbing-Produktion vor Ort

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Abb. 8: Einbau eines Tübbings

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eingepasster Stahlbeton-Fertigelemente, den Tübbingen. Diese wur-den direkt auf dem Baustellengelände am Südportal in einer eigens er-richteten Feldfabrik gefertigt – rund um die Uhr an sieben Wochenta-gen (Abb. 7). Bis zu 168 Tübbingringe wurden wöchentlich betoniertund anschließend in einem Außenlager deponiert, in dem ein Vorratfür mindestens 14 Tage Vortriebsleistung lagerte. Speziell für den Ein-satz im Katzenbergtunnel konzipierte Fahrzeuge mit Allradlenkungund Zweimotorenantrieb transportierten die Tübbinge zur Tunnelvor-triebsmaschine, wo sie im unmittelbaren Anschluss an den Bohrvor-gang im Schutz des Schildes eingebaut wurden. Sieben Elemente bil-den einen Tübbingring von zwei Metern Länge und bis zu 16 TonnenEinzelgewicht pro Element. Der Innendurchmesser eines Tübbings be-trägt 9,4 Meter, der Außendurchmesser 10,6 Meter. Bei vollem Betriebbrauchte eine Tunnelvortriebsmaschine etwa 40 bis 50 Minuten, um

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einen Ring herzustellen. Insgesamt wurden 63.000 Tübbinge für diebeiden Röhren des Katzenbergtunnels verbaut (Abb. 8).

In den Bereichen der Querstollen wurden temporär Sondertübbingeaus Stahl eingesetzt, die für den Vortrieb der Stollen wieder herausge-nommen wurden. Die Herstellung der insgesamt 18 Tunnelquerschlägeerfolgte in Spritzbetonbauweise. In Bereichen weicherer Gesteins- undErdmassen erfolgte ein Baggervortrieb, je nach anstehendem Gesteinkamen spezielle Schaufeln, Bohrhämmer oder gegebenenfalls auchFräsvorsätze zum Einsatz. Für die Herstellung der Tunnelaußenschalewurde der ausgebrochene Querschnitt zunächst mit einer profiliertenBewehrung versehen und im Nass- oder Trockenspritzverfahren ausge-kleidet. Diese Tunnelschale war so dimensioniert, dass sie dem Berg-druck allein standhalten konnte. Nach dem Abdichten der Röhre wur-de dann die Tunnelinnenschale mit Hilfe eines Schalwagens betoniert(Abb. 9).

Katzenbergtunnel endet im Süden mit einem 115 Meter langen und imNorden mit einem 286 Meter langen Abschnitt in offener Bauweise,hier konnten die jeweils 50 Meter langen Haubenbauwerke wirtschaft-lich integriert werden. Die Tunnelportale wurden trichterförmig gestal-tet und nicht mehr senkrecht, sondern schräg am Berg angesetzt. Einetypische Querschnittsvergrößerung für eine Portalhaube beträgt circadas 1,5-Fache des geplanten Tunnelquerschnitts. Am Nordportal ver-hindert eine Haube mit Fensteröffnungen mit einer nach oben gerich-teten Entlüftung die Entstehung des Tunnelknall-Effekts (Abb. 11). AmSüdportal wurde der vorhandene Platz zwischen den beiden Röhrenfür zusätzliche Luftführungen in zwei getrennten mittigen Druckent-lastungsbauwerken genutzt (Abb. 12). Die Druckwellen entweichenschließlich über ein keilförmiges Entlastungsbauwerk nach außen.

8 Innovative Technologien beimInnenausbau des TunnelsBei der Innenausstattung der beiden eingleisigen Tunnelröhren kam ei-ne Reihe zukunftweisender Technologien zum Einsatz, die den Katzen-bergtunnel zu einem der modernsten Bauwerke im europäischenSchienenverkehr machen. Bereits 2010 baute die Firma Balfour BeattyRail eine rund 680 Meter lange Referenzstrecke für die eigens entwi-

Abb. 9: Baggervortrieb im Querstollen

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Abb. 10: Entstehung des Sonic Boom-Effekts

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Abb. 11: Haubenbauwerk am Nordportal

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Abb. 12: Seitliche Öffnung des Sonic Boom-Bauwerks am Südportal

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7 Sonic Boom-BauwerkeKonstruktionsbedingt haben die sicherheitstechnisch vorteilhaften ein-gleisigen Tunnelröhren im Hochgeschwindigkeitsverkehr einen Nach-teil gegenüber zweigleisigen Tunneln: Aufgrund des geringeren Quer-schnitts können bei Ein- und Ausfahrt der Züge lautstarke Geräuscheentstehen: Fährt ein Zug mit sehr hoher Geschwindigkeit in einen Tun-nel, entsteht eine Druckwelle, die dem Zug mit Schallgeschwindigkeitvorauseilt. Am Tunnelausgang kann dies zu einem explosionsartigenKnall führen, dem sogenannten Sonic Boom. Begünstigt wird dieserEffekt durch die Länge des Zuges wie des Tunnels, die Einfahrtsge-schwindigkeit und durch glatte Oberflächen wie der Festen Fahrbahn(Abb. 10).

Mit einer speziellen neuen Bauweise im Bereich der Portale wird demSonic Boom-Effekt am Katzenbergtunnel entgegengewirkt. Erstmals inEuropa wurden dazu entsprechende Haubenbauwerke realisiert. Der

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ckelte Oberleitung Re 330 in der Weströhre ein (Abb. 13). Diese spe-ziell modifizierte Hochgeschwindigkeitsoberleitung ist für den einglei-sigen Tunnelfahrbetrieb besonders geeignet. Die Auslegerkomponen-ten und weitere Bauteile der Oberleitungsanlage wurden direkt an denTübbingen befestigt und nicht, wie sonst üblich, an eingegossenen An-kerschienen. Bei dem Verfahren galt es gleich mehrere Faktoren zu be-rücksichtigen: Zum einen mussten die optimalen Längsspannweiteneingehalten werden, zum anderen durften die Befestigungen immernur in einer 80 Millimeter breiten Bohrgasse angebracht werden. Dadie einzelnen Tübbingsteine in ihrer Lage im Ring variieren und zudemin jedem Tübbingring der Schlussstein überhaupt nicht gebohrt wer-den durfte, entwickelten die Planer insgesamt neun Bohrschablonen.Diese wurden an dem ermittelten Fixierpunkt angesetzt und mit Unter-druck angesaugt. Damit durch die Bohrungen keine Verschmutzungenin den Tunnel gelangen konnten, wurde der Bohrstaub in einem Ar-beitsgang abgesaugt. Für die rund 20 Kilometer Fahrleitung des Kat-zenbergtunnels waren Befestigungspunkte für insgesamt 2.150 Bau-teile nötig.

9 Feste FahrbahnIm April 2011 erfolgte mit dem Einbau der Festen Fahrbahn durch dieFirma Max Bögl der eigentliche Startschuss für den Innenausbau inder Weströhre des Tunnels. Die bewährte Fahrwegtechnik aus Beton-fertigteilen bildet mit einer durchgehenden Kopplung einen endlosenOberbau (Abb. 14). Das System besteht aus vorgespannten 6,45Meter langen und 2,55 Meter breiten Gleistragplatten. Diese zeich-nen sich durch ihren hohen Vorfertigungsgrad und kurze Einbauzei-ten auf der Baustelle aus. Die Herstellung erfolgte im Werk Sengen-thal in der Oberpfalz und war mit der Montage der Schienenbefesti-gungen abgeschlossen. Im Tunnel sowie der nördlichen und südli-

chen Anbindung bis zu den Rettungsplätzen wurde eine Betontrag-schicht mit einem Betondeckenfertiger als Unterkonstruktion einge-baut.

Dank des hohen Vorfertigungsgrades konnten kurze Einbauzeiten er-zielt werden. Rund 3.000 Gleistragplatten und 35.000 KubikmeterTransportbeton wurden in den beiden Tunnelröhren eingebaut. DieFeste Fahrbahn bietet bei Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 250km/h einen hohen Reisekomfort, ihr Instandhaltungsaufwand ist ge-ring und damit die Verfügbarkeit der Strecke hoch. Ferner bietet sie einhohes Maß an Sicherheit und einen minimalen Verschleiß an den Fahr-zeugen. Der Fahrweg der Festen Fahrbahn bietet zudem die Möglich-keit, Lärmemissionen bereits an der Quelle zu reduzieren. So wurde imBereich der Unterfahrung der Gemeinde Bad Bellingen als Schutz ge-gen Erschütterungen und Sekundärschall ein 500 Meter langes Teil-stück als Masse-Feder-System ausgeführt. Dazu wurden elastischeMatten unterhalb und seitlich der Festen Fahrbahn eingebaut, die dieFahrbahn von ihrem Untergrund entkoppeln. Die vom Rad-Schiene-Kontakt erzeugten Erschütterungen können so gezielt reduziert wer-den (Abb. 15).

Abb. 13: Oberleitung Re 330 – eigens entwickelt für den Katzenberg-tunnel

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Abb. 14: Der hohe Vorfertigungsgrad ermöglicht kurze Einbauzeiten

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Abb. 15: Feste Fahrbahn mit Masse-Feder-System

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10 SicherheitskonzeptDas für jedes Tunnelbauwerk geltende vierstufige Sicherheitskonzeptgemäß den aktuellen Richtlinien für den Brand- und Katastrophen-schutz ist im Katzenbergtunnel in seinen einzelnen Komponenten bau-technisch wegweisend umgesetzt worden. Zur Minimierung der Wahr-scheinlichkeit eines Ereignisses wurde der Tunnel mit zwei getrennteneingleisigen Röhren im Regelabstand von 26 Meter gebaut. Dies ver-hindert die Begegnung der Züge im Tunnel. Zudem kann im Ereignis-fall die jeweils nicht betroffene Röhre als Flucht- und Rettungsweg ge-nutzt werden.

Neben diesen Präventivmaßnahmen beinhaltet das Konzept Maßnah-men, die ein dennoch eintretendes Ereignis begrenzen sollen. So wurdeder Katzenbergtunnel mit einem dachförmigen Längsprofil und einerLängsneigung von drei bis fünf Promille gebaut. Die am Hochpunkt desTunnels gelegenen Lüftungsschächte sollen mittels Kamineffekt imErnstfall den Rauchabzug sicherstellen. Die Längsneigung ermöglichtzudem, dass ein im Tunnel ohne Antrieb feststeckender Zug durch Über-windung des Rollwiderstandes ins Freie rollen kann. Eine weitere wich-tige Komponente ist die Notbremsüberbrückung, die es dem Triebfahr-zeugführer ermöglicht, eine im Tunnel ausgelöste Notbremsung zuüberbrücken, bis der Zug außerhalb des Tunnels zum Stehen kommt.

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Weiter beinhaltet das Sicherheitskonzept Maßnahmen zur Selbst- undFremdrettung, die vom Zugpersonal und Reisenden beziehungsweiseden Feuerwehren und Rettungsdiensten durchgeführt werden. We-sentliches Element ist dabei das Prinzip der korrespondierenden Röh-ren (Abb. 16). Die beiden Röhren des Katzenbergtunnels sind im Ab-stand von 500 Meter über Verbindungsbauwerke miteinander verbun-den. Damit ist gewährleistet, dass der Weg zum nächsten sicheren Be-

reich höchstens 250 Meter beträgt. Die Verbindungsstollen sind zudemmit zwölf Meter langen Schleusenkammern ausgestattet, selbstschlie-ßende Türen dichten die Schleusen druck- und rauchsicher ab. Zudemsind sie mit Notstrom, Kommunikationseinrichtungen und feuerwehr-technischen Anlagen ausgestattet (Abb. 17). Rettungswege mit 1,2Meter Breite und 2,2 Meter lichter Höhe verlaufen auf der in Fahrtrich-tung gesehen jeweils linken Seite über die gesamte Länge der beidenTunnelröhren und sind mit einer Tunnelsicherheitsbeleuchtung verse-hen. Piktogramme und Richtungspfeile zeigen alle 125 beziehungs-weise alle 25 Meter die Richtung und Entfernung zum nächsten siche-ren Bereich an. Ein Handlauf in einer Höhe von circa einem Meterdient als zusätzliche Leiteinrichtung für Flüchtende.

Die Feste Fahrbahn ist mit einem Belag versehen, der es den Rettungs-kräften ermöglicht, beide Tunnelröhren mit Einsatzfahrzeugen zu be-fahren (Abb. 18). Ein solcher Fahrweg wurde erstmals in Deutschlandbei einem Eisenbahntunnel für den Hochgeschwindigkeitsverkehr ein-gebaut. Die Feste Fahrbahn erstreckt sich auf einer Länge von rundzehn Kilometer und reicht jeweils bis zu den außerhalb des Tunnels ge-legenen Rettungsplätzen am Süd- und Nordportal. Diese haben eineGröße von 1.500 Kubikmeter und sind über befestigte Zu- und Abfahr-ten an Landes- und Bundesstraßen angebunden. Sie können zudemvon Rettungshubschraubern angeflogen werden.

Abb. 16: Das Prinzip der korrespondierenden Röhren

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Abb. 17: Verbindungsbauwerk mit Rettungsschleuse

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Abb. 18: Rettungsübung im Katzenbergtunnel

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Die Eurocodes 2020 müssen den Stand der Technikrepräsentieren und nicht den Stand der WissenschaftAuftrag, Aufgabe und bisherige Ergebnisse der Arbeitder Initiative Praxisgerechte Regelwerke im Bauwesen

studierte von 1994 bis 1999 das Bauingenieurwesen an der Uni-versität Hannover und begann im Juni 1999 eine Tätigkeit als Re-ferent für Baustofftechnik beim Deutschen Beton- und Bautech-nik-Verein (DBV) in Berlin; nach 2002 war er zehn Jahre lang Ge-schäftsführer der Gemeinschaft für Überwachung im Bauwesen(GÜB), einer anerkannten Prüf-, Überwachungs- und Zertifizie-rungsstelle nach Landesbauordnungen und nach Bauprodukten-gesetz, im Juli 2007 trat er in die Geschäftsführung des DBV einund im Dezember 2007 promovierte er an der RWTH Aachen zumDoktor-Ingenieur; seit Mai 2009 ist er alleiniger Geschäftsführerdes DBV, seit Januar 2011 auch Geschäftsführer der Initiative Pra-xisgerechte Regelwerke im Bauwesen (PRB)

www.initiative-prb.de

1 Einführung

Stellen wir uns einmal vor, wir würden eine gute Fee treffen, die unsBauingenieuren einen Wunsch erfüllen möchte. Da wir in den vergan-genen Jahren bei verschiedensten Gelegenheiten und oft auch mit be-gründeter Sorge festgestellt haben, dass die europäischen Normenund insbesondere die Eurocodes nicht immer unsere Ansprüche erfül-len und nicht unseren Wünschen entsprechen, könnten wir uns nunfolgende fiktive Schlagzeile vorstellen: „Durchbruch in Brüssel: Euro-codes übernehmen Praxis-Vorschläge!“ – Und unsere Fee könnten wirbitten, diese Fiktion Wirklichkeit werden zu lassen.

Ich setze dabei voraus, dass sich die höheren Kräfte der Fee nicht alsbegrenzte Mittel herausstellen und sie insofern keinen Rückziehermacht unter Hinweis darauf, dass sie sehr vieles, aber nicht alles schaf-fen könne. Also: Lassen Sie uns träumen, dass es diese Fee gibt unddass sie unseren Wunsch erfüllen kann. Und da wahrscheinlich auch inder Fabelwelt Arbeitsteilung herrschen dürfte, hat unsere gute Fee einekompetente Gehilfin an ihrer Seite, und die nennen wir einfach – PRB!Eine Utopie? Eine Anmaßung? Nur ein Traum?

2 Wie entstehen die Eurocodes?Die Eurocodes werden in einem Technischen Komitee des Europäi-schen Komitees für Normung CEN (European Committee for Stan-dardization) auf europäischer Ebene erarbeitet. Zuständig ist dasCEN/TC 250 „Structural Eurocodes“. In diesem TC 250 arbeiten stän-dig ungefähr 50 bis 60 Personen mit, die von den Mitgliedsorganisa-tionen des CEN delegiert werden – also beispielsweise vom DIN.

Für die Arbeit des TC 250 gibt es eine Leistungsbeschreibung, mit dersein Auftrag konkretisiert wird. Diese Leistungsbeschreibung ist einMandat, das von der Europäischen Kommission erteilt wurde. DiesesMandat [1] wurde – nach intensiven Verhandlungen zwischen demCEN/TC 250 und der Europäischen Kommission – im Dezember 2012veröffentlicht. Inzwischen hat das CEN/TC 250 beraten, wie es denAuftrag umsetzen will und hierzu eine Antwort [2] auf das Mandat ge-schrieben.

Diese Antwort des CEN/TC 250 auf das Mandat umfasst einen Zeitplanund über 70 Einzelaufgaben, die in vier überlappenden Phasen abge-arbeitet werden, also sozusagen Leistungspositionen, die teilweiseaufeinander aufbauen. Dabei ist davon auszugehen, dass jede dieserAufgaben von einer kleinen Projektgruppe erledigt wird. Diese Pro-jektgruppen werden grundsätzlich bis zu sechs Personen umfassen,die von den CEN-Mitgliedern vorgeschlagen werden können und Fach-wissen auf dem jeweiligen Aufgabengebiet nachweisen müssen. DieAuswahl der Experten für jede Projektgruppe wird in den Unterkomi-tees des CEN/TC 250 getroffen – wahrscheinlich Ende 2013/Anfang2014.

Dr.-Ing. Lars Meyer

Weil die Eurocodes für das Bauwesen als zu umfangreich, zukomplex, teilweise als nur unzureichend aufeinander abge-stimmt und somit insgesamt als nicht praxisgerecht angesehenwerden, haben zehn Ingenieur- und Bauwirtschaftsverbände,unter ihnen die Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bau-technik (BVPI), im Januar 2011 die Initiative Praxisgerechte Re-gelwerke im Bauwesen (PRB) gegründet und ihr den Auftraggegeben, eine deutliche praktische Verbesserung und Vereinfa-chung der künftigen Eurocodes anzustreben und zu erreichen.Dieser Zusammenschluss war nach dem Urteil der meisten Bau-ingenieure in Deutschland eine absolute Notwendigkeit, ummehr Anwender intensiver und vor allem professioneller alsbisher in die Normungsarbeit einzubinden – auch, um darüberder Normenflut wirkungsvoll zu begegnen. Sie ist also der Ver-such, Anliegen der Anwender der Eurocodes zu artikulieren undauf nationaler und europäischer Ebene fundiert einzubringen.Die Ziele der PRB sind vielfältig, vielschichtig und vielseitig, las-sen sich aber in einer prägnanten Kurzform zusammenfassen:Die Eurocodes müssen den Stand der Technik und nicht denStand der Wissenschaft repräsentieren, sie müssen Hilfsmittelund nicht Hemmnis für die Praxis sein. Was das praktisch bedeu-tet, beschreibt der folgende Statusbericht über die pränormati-ve Arbeit in Deutschland, die sich in der Agenda 2020 der PRBausdrückt.

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3 Wie können wir im Entstehungs-prozess mitmachen?

Wollen wir Bauingenieure in Deutschland bei den Eurocodes mitma-chen, müssen wir also Experten benennen, die mitarbeiten wollen. Esist zwar absehbar, dass die Europäische Kommission für die Umset-zung ihres Auftrags Geldmittel zur Verfügung stellen wird, diese wer-den aber aller Voraussicht nach nicht ausreichen, um alle Aufwendun-gen aller Experten vollständig zu decken. Was bedeutet das? Entwederwerden die Arbeiten nicht fertig, oder jemand anderes als die Europäi-sche Kommission muss Mittel zur Verfügung stellen, um die Arbeitenim Sinne des Mandats fertigzustellen. Und nun ist die spannende Fra-ge, wer diese zusätzlichen Mittel aufbringen wird. Hier gibt es mehrereMöglichkeiten, von denen zwei hier genannt werden sollten:

■ Der Experte wird von einer Institution vorgeschlagen und beauf-tragt, in einer Eurocode-Projektgruppe mitzuwirken, und er wirdhierfür (vollständig) bezahlt.

■ Der Experte schlägt sich selber vor und setzt für seine Arbeiten eige-ne Ressourcen ein; und er stört sich nicht daran, dass er seinen Auf-wand (zu einem gewissen Anteil) selber tragen muss.

Den Experten im ersten Fall könnte man als professionellen Normen-macher bezeichnen, den Experten im zweiten Fall als Enthusiastenoder Idealisten (Abb. 1).

Die Experten lassen sich zudem unterscheiden in weitere Kategorien:die Kategorie der Experten, die einem Auftrag einer Institution folgenund eine in der Institution erarbeitete Position weitertragen. Oder –zweiter Fall – es sind Individualisten, die ihr eigenes Wissen und Kön-nen in den Dienst der Sache stellen möchten und sich – teilweise mitentsprechendem Sendungsbewusstsein – mit eigenen, also zunächstsehr persönlichen Meinungen einbringen.

Fakt ist, dass es in Europa, insbesondere im CEN/TC 250, eine ganzeReihe von Experten gibt, die keine oder nur eine geringe Rückkopp-lung zu einer Institution oder zur Praxis haben und deren Meinung ver-treten, sondern die eben ihre eigene und – damit leider auch in eini-gen Fällen – eine wenig praxisbezogene Meinung vertreten.

Die meisten Experten, also sozusagen die normende Masse, habenaber zumindest bescheidene Mittel, und sie haben den Willen, auf eu-

ropäischer Ebene mitzuarbeiten. Eine Rückkopplung zum eigenenLand findet in unterschiedlicher Intensität statt.

Können wir den Experten in Europa die Gestaltung unseres eigenenHandwerkszeuges anvertrauen? Müssen wir uns in Europa beteiligenoder müssen wir den Experten in Europa etwas entgegensetzen? Und,wenn ja, was? Haben wir aus der Sicht der in der Praxis tätigen Bauin-genieure eigene Experten, die uns vertreten können und wollen? –Oder: Wie erreichen wir die Beteiligung des Ideals eines in der Praxiserfahrenen, vernetzten und gut ausgestatteten Fachmanns? Und:reicht es, wenn man diesen „mal eben“ nach Europa schickt?

4 Was brauchen wir, um Erfolgzu haben?Um Erfolg haben zu können, um also unsere gute Fee tatkräftig zu un-terstützen, ist es notwendig, dass wir Folgendes sicherstellen:

■ Wir müssen eine Strategie haben! Denn wir benötigen eine klareMeinung zu dem, was wir inhaltlich erreichen wollen.

■ Wir müssen uns abstimmen, und wir müssen uns einig sein! Dennwir benötigen (europäische) Mitstreiter und wir benötigen dasMandat der Gremien im DIN.

■ Wir müssen uns vorbereiten! Denn wir benötigen überzeugende Ar-gumente, warum das, was wir wollen, gut und richtig ist.

■ Wir müssen flexibel sein! Denn wir werden uns mit den Vorschlägenanderer fundiert und ergebnisoffen auseinandersetzen müssen.

■ Wir müssen überzeugend sein! Unsere Vorschläge müssen von Per-sonen vortragen werden, die ein ordentliches Englisch sprechen, diein der Sache kompetent sind und die diplomatisch mit den Vertre-tern anderer Länder umzugehen vermögen.

■ Auch brauchen wir einen Plan B, wenn wir die Eurocodes verbes-sern wollen: Europa wartet nicht unbedingt auf unsere Vorschläge,und es werden nicht alle unsere Wünsche erfüllt werden.

Und selbstverständlich benötigen wir für das alles die notwendigenRessourcen, also Menschen und ausreichend finanzielle Mittel; undwir benötigen Geduld und Ausdauer!

5 Was macht die PRB, um Erfolgzu haben?Ganz zu Anfang ihrer Arbeiten hat die PRB eine Strategie beraten undabgestimmt. Dabei sind zehn Grundsätze der Normungsarbeit erarbei-tet worden, nach denen die PRB arbeiten will (Tafel 1). Diese sindauch in die Gremien des NABau im DIN eingebracht worden und dortsehr weitgehend übernommen und als Leitlinie für die DIN-Gremienfestgelegt worden [3]. Diese Grundsätze haben inzwischen also einegewisse Strahlkraft entwickelt und sind Grundlage für den Ansatz ei-ner weitergehenden Überarbeitungsstrategie geworden, die insbeson-dere in der deutschen Delegation im CEN/TC 250 beraten wurde [4]:Alle beteiligten Institutionen und handelnden Personen sollten nebender immer erforderlichen Anpassung an den Stand der Technik als stra-tegisches Ziel die Vereinfachung und Verbesserung der Anwendbarkeitder Eurocodes („Ease of Use“) verfolgen und eine konsequente undaktive Mitwirkung an dem Fortschreibungsprozess sicherstellen. Dabeisollten sich alle Beteiligten an eine gemeinsame Überarbeitungsstrate-gie bei der Fortschreibung der Eurocodes halten und diese stetig ge-meinsam weiterentwickeln (Tafel 2).

Abb. 1: Versuch einer Einordnung der Eurocode-Experten nach mate-rieller Ausstattung und Abstimmungsintensität

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Der große Vorzug der PRB liegt darin, dass sich die in der Praxis täti-gen Ingenieure über die Grenzen der Bauarten und technischen Diszi-plinen hinweg austauschen und abstimmen. Diese koordinierte Vorge-hensweise basiert auf konkretisierenden Leitplanken für die Arbeitender PRB-Projektgruppen, die in der PRB beraten und vereinbart wor-den sind (Tafel 3). Neben dieser internen Abstimmung untereinanderfindet auch der regelmäßige Austausch mit den im DIN für die Euroco-des zuständigen Spiegelgremien statt. Dort werden, sobald sie vom

Lenkungsausschuss zur Weitergabe verabschiedet worden sind, dieVorschläge der PRB vorgestellt und beraten, und es wird entschieden,wie die Ergebnisse und Vorschläge der PRB als deutsche Meinung inden europäischen Gremien zur Diskussion gestellt werden. Zudemwerden in flankierenden bilateralen Gesprächen europäische Kollegenüber die Arbeiten informiert, und es wird mit ihnen über die Vorschlä-ge der PRB diskutiert, um für Unterstützung zu werben. Diese Interak-tion (Abb. 2) ist ein ständiger und daher sehr aufwendiger Prozess,der jedoch bereits erste Mut machende Erfolge zeitigt.

Die größte Wirkung erzielen wir erfahrungsgemäß mit einer gründli-chen und vernünftigen Vorbereitung: Unsere Verbesserungsvorschlägemüssen klar formuliert und fehlerfrei sein, und wir müssen die Gründefür unsere Vorschläge argumentativ überzeugend aufbereiten, damitwir belegen können, dass unsere Vorschläge auch tatsächlich eine Ver-besserung bedeuten würden.

Da wir auf diesem Felde nicht alleine sind – weder auf nationaler Ebe-ne, noch auf europäischem Parkett –, benötigen wir auch viel geistigeFlexibilität: Wir müssen uns auf die Argumente anderer einlassen undihnen sachlich begegnen können, entweder mit fundierten Gegenar-gumenten oder – was uns Deutschen bisher insbesondere in Europasehr schwergefallen ist – mit Offenheit für neue Dinge. Wir müssen al-so flexibel auf Beratungs- und Diskussionsrealitäten reagieren.

1. Grundregeln der MechanikBemessungsregeln müssen aus Modellen der Lastabtragungnach den Grundregeln der Mechanik entwickelt werden. Wosich empirische Ansätze nicht vermeiden lassen, sind diese alssolche zu kennzeichnen.

2. Praxisgerechte und nachvollziehbare NachweiskonzepteDie modernen Nachweisformate wurden mit einem Anspruchauf Exaktheit formuliert, welcher sich in der gebauten Realitätnicht wiederfindet. Dies betrifft sowohl die Einwirkungs- alsauch die Widerstandsseite. Rechenprozesse, die sich einer ein-fachen Handrechnung entziehen, sollen durch grafischeund/oder tabellarische Auswertung einfach anwendbar ge-macht werden.

3. Vielzahl an Einwirkungskombinationen reduzierenUnübersichtlichkeit und Zeitaufwand entstehen derzeit ins-besondere auch durch die Vielzahl der Einwirkungskombina-tionen. Für Standardfälle sollen die maßgebenden Einwir-kungskombinationen auf ein Mindestmaß reduziert werden,die ggf. auch einer globalen Sicherheitsbetrachtung zugäng-lich sind.

4. Optimierungsparameter reduzierenParameter, mit denen die Bemessung durch eine „genaue“ An-passung an individuelle Randbedingungen optimiert wird, sindauf ein Mindestmaß zu reduzieren.

5. Einheitliche Gliederung in allen Normen des konstrukti-ven IngenieurbausDadurch, dass sich unabhängig von der Bauweise die wesent-lichen Regelungen immer in den gleichen Kapiteln der Normenfinden, z. B. Werkstoffe immer Kapitel X, Nachweise immer Ka-

pitel Y etc., soll das Arbeiten mit den Normen erleichtert wer-den.

6. Durchgängigkeit der Regelungen über BaustoffgrenzenhinwegNachweise im Baugrund müssen mit denselben Lastkombina-tionen und mit denselben Sicherheitselementen geführt wer-den wie die Nachweise in der Baukonstruktion.

7. Vereinfachung der erforderlichen HeißbemessungVereinfachende Regelungen, mit denen eine ausreichendeFeuerwiderstandsdauer durch geometrische Randbedingun-gen, Schlankheit und Ausnutzungsgrad nachgewiesen werdenkann, sind anzustreben.

8. Verbesserung der handwerklichen Qualität und derSprache der NormenDie Vielzahl von Korrigenda und Neuauflagen von Normen in-folge handwerklicher Fehler muss reduziert werden. Zudemmuss die Sprache so exakt sein, dass Auslegungen eher dieAusnahme sind.

9. Reduzierung der NDP soweit möglichNational festlegbare Parameter (NDP) sind zu vermeiden.Kompromisse sind – auch deutscherseits – einzugehen.

10. Eurocodes repräsentieren den Stand der Technik, nichtder WissenschaftNormen müssen Ausdruck des allgemein anerkannten Standesder Technik sein, der zielsicher und wirtschaftlich erreichbarist. Der von Einzelnen vertretene Stand der Wissenschaft ist alsMaßstab für Standardlösung ungeeignet und sollte daher inNormen grundsätzlich nicht wiedergegeben sein.

Tafel 1: Grundsätze für die Arbeiten der PRB – nach einem Beschluss des PRB-Lenkungsausschusses in 2011

Abb. 2: Interaktion bei der Erarbeitung und Umsetzung der PRB-Er-gebnisse

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Ziel muss sein, dass die Eurocodes in ihrer technischen Grundkon-zeption stabil gehalten werden. Daher ist grundsätzliche die Beibe-haltung der Bemessungskonzepte, Nachweismodelle und Konstruk-tionsregeln anzustreben, die sich in der Planerpraxis bewährt ha-ben und nun allgemein bekannt sind („Allgemein anerkannte Re-geln der Technik“). Technische Änderungen sollten nur dann vorge-nommen werden, wenn sie nachweisbare Vorteile bringen oder un-bedingt erforderlich sind, beispielsweise wenn

a) nachgewiesene Sicherheitsdefizite bestehen,

b) die Anwendbarkeit der Eurocodes in der Praxis signifikant er-leichtert wird („Ease of Use“),

c) eine deutliche Steigerung der Wirtschaftlichkeit erzielt wird,wobei nicht nur die Errichtung, sondern die gesamte Lebens-dauer des Bauwerks betrachtet werden muss,

d) eine deutliche Effizienzsteigerung im Planungsprozess erkenn-bar ist oder

e) sich allgemein anerkannte technische Erkenntnisse signifikantverändert haben.

Die Fortschreibung der Eurocodes sollte daher folgender Überarbei-tungsstrategie folgen:

1. Analyse, inwieweit die Eurocodes in den einzelnen CEN-Mit-gliedsstaaten tatsächlich eingeführt wurden und inzwischenGegenstand der üblichen Planungspraxis darstellen,

2. Erstellung konsolidierter Fassungen der Eurocodes (inklusiveÄnderungen und Berichtigungen),

3. Analyse der in Nationalen Anhängen in Europa national fest-gelegten Parameter (NDP) und nicht widersprechenden ergän-zenden Regelungen (NCI) und Offenlegung der Hintergründefür die Einführung derselben,

4. Evaluierung, auf welchen Themenfeldern eine Harmonisierungder Regeln (NDPs und NCIs) sehr leicht, mit geringem Auf-wand, nach entsprechend weitergehender Analyse (z. B. nachvorherigen wissenschaftlichen Untersuchungen und Ver-gleichsrechnungen) oder nur sehr unwahrscheinlich erreichtwerden kann,

5. Ermittlung der Nachweise, bei denen verschiedene Regelun-gen in Europa (NDPs und NCIs) nicht zu signifikanten Unter-schieden in den tatsächlichen Bemessungsergebnissen führen,

6. Analyse und Verbesserung der bestehenden Normentexte un-ter Beachtung der Grundsätze gemäß Dokument NA 005-51FBR N 665, siehe Anhang (z. B. Kürzungen, Beseitigung vonRedundanzen und Inkonsistenzen, horizontale Harmonisie-rung).

Eine Aufnahme neuer Nachweisverfahren oder Regelungen istinsbesondere dann abzulehnen, wenn sie lediglich den Stand derWissenschaft darstellen oder wenn sie aus Sammlungen von ledig-lich wissenschaftlich diskutierten Modellen stammen (z. B. fib-Mo-del Code 2010).

Tafel 2: Ansatz für eine Überarbeitungsstrategie zur Fortschreibung der Eurocodes

1. Überprüfung der Prinzipien auf Notwendigkeit mit dem Zielder Reduzierung,

2. Begrenzung auf eine einfache Anwendungsregel je Prinzip,

3. Vollständiges Streichen von Formulierungen mit Lehrbuchwis-sen bzw. mindestens Verlagern in einen informativen „Kom-mentar-Anhang“,

4. Nutzung der CEN-Regel zu den modalen Hilfsverben (z. B.„müssen“, „sollen“, „können“),

5. Je Bauart einen Teil 1-1 „Allgemeines“ für den Großteil allerAnwendungen (z. B. „üblicher Hochbau“, Vorbemessung, ein-fache Gebäude, nur „elastisch-elastisch“) und Auslagerungspezieller Fragestellungen in separate Teile,

6. Begrenzung der maximalen Seitenzahl (Vorgabe eines „Bud-gets“: jetzige Eurocodes auf ein Drittel reduzieren),

7. Vereinfachtes Konzept für Kombinationsregeln und deutlicheReduzierung der möglichen/nötigen Kombinationen; vollstän-dige Möglichkeiten nur in einem Anhang darstellen (beispiels-weise durch Tausch von Haupttext und Anhang A.1 in EC0),

8. Nachweise im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit ver-einfachen, Grenzwerte möglichst baustoffunabhängig definie-ren (Verformungen in der ständigen Einwirkungskombination;siehe auch ISO 4356) und insbesondere Nachweise abschlie-ßend regeln (Verträglichkeitskriterium zu anderen Gewerkendefinieren?),

9. Bemessung im Brandfall vereinfachen durch Reduzierung aufein Nachweisverfahren (Tabellenwerte); außerdem Sicher-heitsniveau der allgemeinen Berechnungsverfahren überprü-fen (Sensitivität gegenüber Toleranzen der Bauausführung klä-ren).

Tafel 3: Leitplanken für die Arbeiten der PRB-Projektgruppen

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Um insbesondere in Europa überzeugen zu können, müssen unsereVorschläge, wie gesagt, von Personen vorgetragen werden, die perfektEnglisch sprechen, die in der Sache kompetent sind und die mit denVertretern anderer Länder diplomatisch interagieren können. Überzeu-gungskraft entsteht in einem Prozess, der Zeit benötigt und Vertrauenschafft: Man muss sich immer wieder aufs Neue in die Beratungen ein-fühlen, Witterung aufnehmen, erspüren, wer welche Rolle in den je-weiligen Gremien spielt, und man muss fundiertes Wissen präsent ha-ben und seine Argumente belegen können – möglichst durch englisch-sprachige Veröffentlichungen oder Arbeiten vergleichbarer Art. Hier istnoch viel zu leisten, aber wir fangen in der PRB ja gerade erst an, aufgrößerer Breite Ergebnisse zu erzielen.

Was aber passiert, wenn die Eurocodes wider Erwarten so bleiben soll-ten, wie wir sie bisher kennen? Wenn sie also auch nach der Überarbei-tung ein Kompendium von Einzelmeinungen, teilabgestimmten Frag-menten und dem Einbau wissenschaftlicher Innovationen ohne Praxis-bezug sind oder bleiben? Wenn sie also nicht den Stand der Technik wi-derspiegeln, sondern den Stand der Wissenschaft zusammenfassen?Oder wenn sie Vorgaben enthalten, die nur von einigen wenigen odergar von nur einzelnen Personen für richtig erachtet werden?

Dann benötigen wir einen Plan B. Dieser könnte beispielsweise so aus-sehen, dass die Ergebnisse der Arbeit der PRB in (starke) Nationale An-hänge der Eurocodes aufgenommen und dort umgesetzt werden. Esist jedoch derzeit noch zu früh, um konkret an einem Plan B zu arbei-ten. Denn: Oberstes Ziel ist es, unseren Plan A zu realisieren, nämlich,die Eurocodes der Generation 2020 praxisgerecht zu gestalten, sodasssie dem in der Praxis tätigen Ingenieur eine Hilfe bei seiner täglichenArbeit darstellen – und nicht ein Hemmnis für seine Kreativität oderseinen ingenieurtechnischen Mut werden.

6 Welche Ergebnisse der PRB liegeninzwischen vor?Die Arbeiten der PRB folgen der oben bereits erwähnten Strategie, diein den Grundsätzen der Normungsar-beit (Tafel 1) und in den Leitplanken(Tafel 3) auf den Punkt gebracht wor-den sind. Die Grundsätze werden nach-stehend detailliert dargestellt und zu-dem unter Nennung erster Arbeitser-gebnisse der PRB anhand von Beispie-len konkretisiert.

6. 1 Grundregeln der MechanikBemessungsregeln müssen aus Model-len der Lastabtragung nach den Grund-regeln der Mechanik entwickelt wer-den. Wo sich empirische Ansätze nichtvermeiden lassen, sind diese als solchezu kennzeichnen.

6.2 Praxisgerechte und nachvoll-ziehbare NachweiskonzepteDie modernen Nachweisformate wur-den mit einem Anspruch auf Exaktheitformuliert, welcher sich in der gebau-ten Realität nicht wiederfindet. Diesbetrifft sowohl die Einwirkungs- als

auch die Widerstandsseite. Rechenprozesse, die sich einer einfachenHandrechnung entziehen, sollen durch grafische und/oder tabellari-sche Auswertung einfach anwendbar gemacht werden.

Bei der Formulierung von Lastannahmen ist die Definition der Form-beiwert für Schneelasten auf Tonnendächern: In der aktuellen Fassungdes Eurocode 1, Teil 1-3 (DIN EN 1991-1-3), wird von Dreieckslastenausgegangen, die die Rechnung erheblich verkomplizieren. Die PRBschlägt vor, die Dreieckslasten durch Gleichlasten zu ersetzen. Diesliegt auf der sicheren Seite, ist ausreichend exakt und zudem einfachzu berechnen (Abb. 3).

6.3 Vielzahl an Einwirkungskombinationen reduzierenUnübersichtlichkeit und Zeitaufwand entstehen derzeit insbesondereauch durch die Vielzahl der Einwirkungskombinationen. Für Standard-fälle sollen die maßgebenden Einwirkungskombinationen auf ein Min-destmaß reduziert werden, die gegebenenfalls auch einer globalen Si-cherheitsbetrachtung zugänglich sind.

Für die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit sind in der EN1990 für die ständige oder vorübergehende BemessungssituationKombinationsbeiwerte für die verschiedenen Einwirkungen enthalten.Diese können vereinfachend zusammengefasst werden, wie dies auchein erster Ansatz der PRB vorsieht (Abb. 4).

Abb. 3: Formfaktoren für Schneelasten auf Tonnendächern (links:nach Eurocode 1, rechts: PRB-Vorschlag)

Abb. 4: Kombinationsbeiwerte für Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit (links: nach EN 1990,rechts: PRB-Vorschlag)

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NORMUNG

66 Der Prüfingenieur | November 2013

6.4 Optimierungsparameter reduzierenParameter, mit denen die Bemessung durch eine „genaue“ Anpassungan individuelle Randbedingungen optimiert wird, sind auf ein Min-destmaß zu reduzieren.

6.5 Einheitliche Gliederung in allen Normen des konstruktivenIngenieurbausDadurch, dass sich unabhängig von der Bauweise die wesentlichenRegelungen immer in den gleichen Kapiteln der Normen finden, zumBeispiel Werkstoffe immer in Kapitel X, Nachweise immer in Kapitel Yetc., soll das Arbeiten mit den Normen erleichtert werden.

Besonders wichtig ist auch, dass die Eurocodes tatsächlich nur Bemes-sungsregeln enthalten und nicht ergänzende Produktanforderungendefinieren, die in Produktnormen fehlen. Zudem sind Regeln für dieBauausführung in hierfür vorgesehene Ausführungsnormen zu ver-schieben. Vergleicht man die Strukturen des Eurocode 6 für den Mau-erwerksbau mit denen des Eurocode 2 für den Betonbau, stellt manfest, dass Handlungsbedarf besteht. Dies ist das Ergebnis einer vonWolfgang Brameshuber (RWTH Aachen) im Rahmen der PRB-For-schungsarbeiten durchgeführten Analyse (Abb. 5).

6.6 Durchgängigkeit der Regelungen über Baustoffgrenzen hin-wegNachweise im Baugrund müssen mit denselben Lastkombinationenund mit denselben Sicherheitselementen geführt werden wie dieNachweise in der Baukonstruktion.

6.7 Vereinfachung der erforderlichen HeißbemessungVereinfachende Regelungen, mit denen eine ausreichende Feuerwider-standsdauer durch geometrische Randbedingungen, Schlankheit undAusnutzungsgrad nachgewiesen werden kann, sind anzustreben. Da-bei soll die Bemessung durch Reduzierung auf ein Nachweisverfahren(bevorzugt: Tabellenwerte) vereinfacht werden. Außerdem soll das Si-cherheitsniveau der allgemeinen Berechnungsverfahren überprüftwerden – insbesondere hinsichtlich der Sensitivität gegenüber Toleran-zen der Bauausführung.

6.8 Verbesserung der handwerklichen Qualität und der Spracheder NormenDie Vielzahl von Korrigenda und Neuauflagen von Normen infolgehandwerklicher Fehler muss reduziert werden. Zudem muss die Spra-che so exakt sein, dass Auslegungen eher die Ausnahme sind.

6.9 Reduzierung der NDP soweit möglichNational festlegbare Parameter (NDP) sind zu vermeiden. Kompromis-se sind – auch deutscherseits – einzugehen.

Eine von Anett Ignatiadis (vom Deutschen Ausschuss für StahlbetonDAfStb) im Rahmen der PRB-Forschungsarbeiten durchgeführte Analy-se der Nationalen Anhänge zum Eurocode 2, Teil 1-1, für den allgemei-nen Hochbau hat gezeigt, dass im deutschen Nationalen Anhang übernational festlegbare Parameter (NDP) die meisten Abweichungen vonden vorgeschlagenen Werten des Eurocode enthalten sind (Abb. 6).Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass in den verschiedenenNDPs unterschiedliche Vereinheitlichungspotenziale liegen (Abb. 7).Ziel ist also, an denjenigen Stellen, an denen ein hohes Vereinheitli-chungspotenzial vorhanden ist, dieses auch zu heben, zum Beispieldurch die Einführung von Klassen.

6.10 Eurocodes repräsentieren den Stand der Technik, nicht derWissenschaftNormen müssen Ausdruck des allgemein anerkannten Standes der

Abb. 5: Die Ordnung im EC6 im Vergleich zum EC2 – eine Analyse vonWolfgang Brameshuber (RWTH Aachen im Auftrag der PRB)

Abb. 6: Analyse der Nationa-len Anhänge zum Eurocode2, Teil 1-1, hinsichtlich derUmsetzung von national fest-legbaren Parametern (NDP)(von Anett Ignatiadis im Auf-trag der PRB)

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NORMUNG

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Technik sein, der zielsicher und wirtschaftlich erreichbar ist. Der vonEinzelnen vertretene Stand der Wissenschaft ist als Maßstab für Stan-dardlösung ungeeignet und sollte daher in Normen grundsätzlich nichtwiedergegeben werden.

7 AusblickAls besonderer Erfolg ist zu werten, dass die Pläne der PRB allseits alsrichtig angesehen werden. Fachliche Begleitung und argumentativeUnterstützung kommen von den bauaufsichtlichen Institutionen derLänder (ARGEBAU), vom Deutschen Institut für Bautechnik und vomDIN, die jeweils mit einem Vertreter im Lenkungsausschuss vertretensind. Die Unterstützung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau undStadtentwicklung (BMVBS) geht sogar noch einen Schritt weiter: ImZuge der Forschungsinitiative Zukunft Bau wurde für die Arbeiten derPRB ein Zuschuss in Höhe von 750.000 Euro für einen Zeitraum vonzwei Jahren zugesagt. Diese Zusage ist aber auch eine besondere Ver-pflichtung für die PRB: Sie muss Ergebnisse erzielen.

Dabei ist dann aber auch die Frage zu stellen, wie die Ergebnisse derPraxis zugänglich gemacht werden sollen. Erstes Ziel – also Plan A –

muss sein, die Ergebnisse der Arbeit der PRB in die nächste Generationder Eurocodes – also in die „Eurocodes 2020“ einfließen zu lassen. Al-les das, was an Ergebnissen nicht in die Eurocodes einfließt, könnte inder Sekundärliteratur, zum Beispiel in PRB-Empfehlungen, so aufberei-tet werden, dass die Praxis davon einen entsprechenden Nutzen hat.

Aber auch einen Plan B müssen wir in der PRB entwickeln, für den Fallnämlich, dass die Eurocodes nicht an Praxistauglichkeit gewinnen undbeispielsweise lediglich eine Sammlung von Einzelmeinungen darstel-len sollen. Dabei ist eine zumindest theoretische Möglichkeit, wiederstärker den nationalen Weg einzuschlagen und die Eurocodes nur alsein Kompendium zu verstehen, auf dessen Basis nationale Bemes-sungsnormen entstehen. Da die Welt nicht nur schwarz oder nur weißist, werden in einem realistischen Szenario die künftigen Eurocodesnur teilweise den PRB-Ansätzen und -Vorschlägen folgen; für den Restkönnten starke nationale Anhänge der richtige Weg sein.

Dabei sollten wir uns die Konstellation der PRB immer wieder verge-genwärtigen: Sie ist ein sehr starker Zusammenschluss der in der Praxismit den Eurocodes arbeitenden Ingenieure. Diese Kraft sollten wir nut-zen; und wir sollten uns die Ausdauer antrainieren, mit der am Ende un-ser aller Wunsch von unserer Fee und ihrer Gehilfin erfüllt werden kann.

8 Literatur[1] Europäische Kommission: M/515 – Auftrag zur Änderung beste-

hender Eurocodes und zur Erweiterung des Gegenstands trag-werksrelevanter Eurocodes. Veröffentlicht: Brüssel, 12. Dezember2012.

[2] CEN/TC 250: Antwort des CEN auf das Mandat M/515. Nicht ver-öffentlichtes NABau-Dokument.

[3] Andreas Schleifer: Ausblick: Eurocodes – Europaweit einheitlicheRegeln für die Bemessung und Konstruktion von Ingenieurbauwer-ken. – In: DIN-Mitteilungen Juni 2012, Seite 26.

[4] Wolfram Jäger, Gerhard Breitschaft, Lars Meyer, Andreas Schleifer:Vorschlag für die Deutsche Strategie für die Mitwirkung imCEN/TC 250 „Structural Eurocodes“ und die Fortschreibung derEurocodes bis 2018. Nicht veröffentlichtes NABau-Dokument.

Abb. 7: Abschätzung des Vereinheitlichungspotenzials der NationalenAnhänge zum Eurocode 2, Teil 1-1, hinsichtlich der Umsetzung vonnational festlegbaren Parametern (NDP) (von Anett Ignatiadis im Auf-trag der PRB)

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GROSSPROJEKTE

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Warum ist das Image unserer Branche so angeschlagen?Warum tun wir uns mit Großprojekten so schwer? Wir müssen zu einer Kultur der Professionalität,gegenseitigen Wertschätzung und Qualität zurückzufinden

Weil so viele der großen öffentlichen Bauprojekte in Deutsch-land wegen erheblicher Kostensteigerungen und Terminüber-schreitungen immer wieder negative Schlagzeilen in den Sensa-tionsmedien hervorrufen, hält man die ganze Baubranche mitt-lerweile nur noch für die „Deppen am Bau“. Damit tut man die-ser Branche aber schweres Unrecht, denn die überwiegendeZahl der normalen Bauprojekte wird pünktlich und plangerechtrealisiert. Trotzdem bleibt die Frage, warum wir uns mit dengroßen Bauprojekten so schwer tun und was wir dagegen tunkönnen, um das schlechte Image der Baubranche aufzupolieren.Eine Antwort auf diese Frage zu geben, kann angesichts derKomplexität von Großprojekten immer nur ein Versuch sein. Eswerden Vorschläge unterbreitet, deren Annahme und Einhal-tung geeignet erscheinen, Projekten jeder Größenordnung ei-nen sicheren Halt und zielgerichtete Strukturen zu geben. DerAutor hat diese Erfahrung gemacht, denn er hat seine Vorschlä-ge bereits bei einem sehr großen Projekt mit Erfolg praktiziert.Und er empfiehlt sie jetzt hiermit zur Nachahmung.

studierte Bauingenieurwesen an der Bergischen Universität Wup-pertal und begann seine berufliche Laufbahn bei einem mittel-ständischen Bauunternehmen; nach sechs Jahren wechselte erzur Ed. Züblin AG, und 1998 zur Duisburger Hafen AG, wo als Vor-stand die Bereiche Technik, Bau, Betrieb und Unterhaltung ver-antwortete; von Dezember 2000 bis Juli 2005 leitete er bei derWalter Bau AG die Direktion Ingenieurbau Düsseldorf und über-nahm dann als Generalbevollmächtigter die Gesamtleitung destechnischen Servicebereichs Immobilien und Facility Manage-ment der Fraport AG, wo unter seiner Leitung der größte Um- undAusbau der Bestandsimmobilen der Fraport AG stattfand; heuteist er als selbstständig beratender Ingenieur im Bau-Projektma-nagement tätig. Martin Schlegel ist Präsident des Bauindustrie-verbandes Nordrhein-Westfalen und in zahlreichen haupt- undehrenamtlichen Funktionen in der Bauwirtschaft aktiv.

Uns alle verbindet das Thema „Bau“, das Interesse, die Qualifikation,oft genug hoffentlich auch noch die wirkliche Leidenschaft für diesegleichermaßen soziale, gesellschaftliche und technische Herausforde-rung. „Civil Engineering“ heißt es im Englischen, also Ingenieurwesenzum Wohle der Allgemeinheit. Eigentlich ist das wirklich aufregend,und oft genug müssen wir uns auch tatsächlich aufregen, dann näm-lich, wenn in der Öffentlichkeit über unsere Projekte nur dann berich-tet wird, wenn es um das Thema „Kosten“ geht. Landauf, landabscheinen Kostenüberschreitungen zum Alleinstellungsmerkmal unse-rer Zunft zu gehören. Sind denn alle an der Prozesskette beteiligtenBauherren, Planer und bauausführenden Firmen nur die „Deppen vomBau“? Mit Sicherheit doch nicht!

Diese negative Beurteilung wird der überwiegenden Zahl gut gelau-fener Bauprojekte in unserem Lande nicht gerecht. Ich selbst hättees auch in meiner Zeit bei einem großen Infrastrukturunternehmennicht geschafft, das Bauvolumen innerhalb von nur fünf Jahren zuverfünffachen. Drei Jahre in Folge wurde in den von mir verantworte-ten Projekten eine jährliche Bauleistung im Bestand von etwa einerhalben Milliarde Euro erbracht. Wenn Sie diese Beträge in eine Ta-gesleistung umrechnen, dann bedeutet das, dass mein Bauprojekt-team täglich Bauleistungen in und am Bestand der existierenden In-frastrukturanlagen von über 1,5 Millionen Euro realisiert hat. Das isteine Leistung, die sich sehen lassen kann und auf die wir alle heutenoch mit Recht sehr stolz sind – und trotzdem sah auch ich michkontinuierlich dem Vorwurf von Kostensteigerungen auch durchNachtragsvereinbarungen mit den Planungs- und Werkvertragsun-ternehmen ausgesetzt.

Damit wurde und ist nach wie vor die Kostensicherheit am Bau dasSchlüsselthema. Die Frage ist deshalb durchaus berechtigt, ob wirneue Regelungen brauchen, um insbesondere Großprojekte mit einerbesseren Qualität, und damit meine ich: Leistung, Termine und Kosten,zu realisieren?

Ohne Bauen geht in unserem Leben nichts, das wissen wir alle! ObEnergiewende, ob Infrastrukturausbau, ob demografischer Wandel,Neubau oder Instandsetzung, ohne uns, ohne das Team vom Bau, gehtdoch nun mal gar nichts. Wir sind einer der Hauptmotoren unsererkonjunkturellen Entwicklung im Lande. Wo ist die gesellschaftlicheWürdigung unserer durchweg exzellenten Leistungen geblieben? Wa-rum ist das Image einer ganzen Branche so angeschlagen? Und wa-rum tun wir uns gerade bei Großprojekten angeblich so schwer?

Nehmen wir zum Beispiel die großen öffentlichen Infrastrukturprojek-te, die in Zukunft vor allem in den Bereichen Verkehr und Energie an-fallen werden.

Diese Projekte, die die Öffentlichkeit mit zugegebenermaßen oftmalsschmerzlichen Nebenwirkungen tangieren können, rufen in Politik,Medien und Bevölkerung häufig kontroverse Diskussionen hervor.

Dipl.-Ing. Martin Schlegel

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GROSSPROJEKTE

Der Prüfingenieur | November 2013 69

Wichtig ist eine frühzeitige und professionelle Einbindung der betrof-fenen Öffentlichkeit bereits im Stadium des Planungsprozesses, um dieAkzeptanz des Projekts und damit den Erfolg zu erhöhen.

Hier muss die Politik die nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Dazugehören:

■ Frühzeitige Transparenz in der Planung,■ größtmögliche Einbindung und Aufklärung der betroffenen Bevölke-

rung,■ Akzeptanzvorbehalte in der Bevölkerung ernst nehmen und ausräu-

men,■ schließlich gilt es, die Auftraggeber und Unternehmen in eine Kultur

der gemeinsamen Professionalität und gegenseitigen Wertschät-zung einzubinden.

Ein wichtiger Punkt ist dabei Vertrauen. Seitens der Bauherren mussverstärkt auf klare Abstimmung im Hinblick auf Planung und Bauaus-führung geachtet werden. Schwächen in der Projektorganisation undim Projektmanagement des Auftraggebers sowie mangelnde Entschei-dungskompetenz der Bauherrenvertreter gilt es, im Vorfeld zu erken-nen und abzustellen.

Die „Kultur des Gegeneinanders“ muss überwunden werden. Es be-darf einer belastbaren Vertrauensbasis zwischen Auftraggebern, Pla-nern, Hauptauftragnehmern, Nachunternehmern und der betroffenenÖffentlichkeit.

Entscheidend für alle vorgenannten Punkte ist auch der Abbau büro-kratischer Hürden. Langwierige, schwierige Genehmigungsprozessegilt es im Miteinander und im konstruktiven Gespräch auszuräumen.

Im Vorfeld müssen Konfliktsituationen verhindert werden, die be-kanntlich immer Zeit und somit Geld kosten. Am Ende soll ein befriedi-gendes Ergebnis herauskommen.

Mein persönliches Credo hierzu lautet: „Gemeinsam Qualität schaf-fen! Qualität im ersten Anlauf!“

Hierzu ist die Verbesserung der gesamten Bauprozesskette notwendig.Und da bin ich der festen Überzeugung, das geht nur über den FaktorMensch.

Das Bauhauptgewerbe, eine Branche, in der die Personalkosten 57Prozent der Produktionskosten ausmachen (bei der Kfz-Herstellungsind es 17 Prozent), muss sich um qualifizierte Mitarbeiter, muss sichum den Menschen kümmern.

Die Fähigkeiten dieser Menschen zu nutzen und zu festigen und ihreberuflichen Visionen ernst zu nehmen, um damit ein Bauwerk zu reali-sieren, das ist und bleibt, gerade bei komplexen Bauprojekten, eineüberaus interdisziplinär angelegte Übung.

Das Miteinander und die Gemeinsamkeiten setzen aber auch Rahmen-bedingungen voraus, die speziell im regulierten Bereich des öffentli-chen Vergaberechts nur schwer geschaffen werden können. Ausdurchaus verständlichen und guten Gründen wird dabei zunächst vonder Hypothese ausgegangen, dass das Bau-Soll planbar und be-schreibbar sei, dass Bauen Routine sei und dass wenig Bedarf an Inno-vation bestehe. In der Konsequenz bedeutet das aber, dass Bieter undFabrikate austauschbar sind und der Markt den Preis regeln kann.

Wo ist dabei der „Faktor Mensch“ geblieben? Er ist gar nicht vorge-kommen, obwohl er so wichtig ist (Abb. 1): Selbstverständlich stecktnämlich ein Bau-Soll voller Unwägbarkeiten, die im Voraus nichterahnt und beschrieben werden können. Jedes Projekt ist anders – wiesoll da Routine entstehen? Ganz zu schweigen davon, dass wir immerhöhere fachliche Anforderungen für technisch immer intelligentereund effizientere Gebäude erfüllen müssen, müssen wir uns doch auchfragen, wie wir diese Intelligenz zusammenbringen und wie wir sienutzbringend und überzeugend in die Projekte hineinbringen? Ich wa-ge die Aussage, dass der billigste Bieter – und damit meine ich natür-lich den wirtschaftlichsten Bieter – in der Regel die intelligentesten, in-novativsten und energetisch effektivsten Konzepte nicht zu einem ge-planten Projekt beisteuern kann. Viele Bauherren großer Projekte er-kennen in der Folge des zum Teil wirtschaftlich geradezu mörderischenPreiswettbewerbs zunehmend diese Zusammenhänge und machensich inzwischen Gedanken darüber, wie die Zusammenarbeit auf demBau auf eine neue, erfolgversprechendere Basis gestellt werden kann.Die jüngst mal wieder aufgekommenen Diskussionen über Qualität –auch als „Pfusch am Bau“ bezeichnet – verdeutlichen schließlich auchder breiten Öffentlichkeit, dass wir auf dem Bau so nicht weiterma-chen können.

Soweit Bauherren an das öffentliche Vergaberecht gebunden sind, darfes auch hier keine Denkverbote geben. Immerhin können frei auf demMarkt agierende Wirtschaftsunternehmen durch andere Vergabefor-men wirtschaftlicher bauen, und es ist schließlich nicht einzusehen,weshalb gerade im öffentlichen Bereich Steuergelder weniger effizienteingesetzt werden sollten. Dabei gibt es insbesondere aus dem anglo-australischen Raum bereits erprobte Modelle für den öffentlichen Sek-tor, die unbedingt näher betrachtet werden sollten.

In aller Kürze geht es dabei darum, dass interdisziplinäre Teams imRahmen eines strukturierten Vergabeverfahrens erste Lösungsansätzefür die technische Aufgabenstellung erarbeiten. Erst hiernach wird mitdem Bestbieter in Preisverhandlungen eingetreten, wobei er seine Kal-kulation vollständig offenlegen, und einem neutralen Sachverständi-gen erläutern muss. Gelingt hier keine Einigung, wird dieser Schritt mitdem Nächstplazierten wiederholt.

Es ist natürlich immer leichter und angenehmer, die Fehler bei anderenzu suchen, besonders dann, wenn sich die Baufirmen gerade mal wie-der aufgrund baukonjunkturellen Wettbewerbsdrucks auch noch soaufdrängen. Dies ist aber weder fair, noch führt es alleine zu mehr Pro-

Abb. 1: Die Zusammenarbeit am Bau muss auf eine neue Basis ge-stellt werden, in deren Mittelpunkt der Faktor Mensch zu rücken ist

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jektsicherheit. Deshalb müssen wir einen genaueren Blick in die Sphä-re des Bauherren werfen. Diese ist in der Regel bei Großprojekten sehrkomplex, weil eine Vielzahl von Nutzern, genannt Bedarfs- oder Vorha-benträger, als sogenannte Besteller versuchen, den Projektauftrag zudefinieren, der anschließend von den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern der Realisierungs-Projektleitung in ein Bau-Soll umzusetzen ist.Mit dem sequentiellen Planungsprozess entsprechend den HOAI-Leis-tungsphasen könnte dies so einfach sein, allerdings weigert sich dieRealität manchmal, sich in die Theorie einzufügen.

Abweichend von dieser Theorie beginnen Projekte üblicherweise oftspäter als ursprünglich angenommen, ohne jedoch den Inbetriebnah-metermin verändern zu wollen. Dabei greifen wir zu dem Kniff, die se-quentielle Planungsabfolge teilweise zu parallelisieren. So beginntbei einigen Gewerken bereits die Ausführungsplanung, während an-dere sich noch im Entwurfsstadium befinden. Dementsprechend ver-kürzen wir auch die Inbetriebnahmedauer durch einen schleifendenÜbergang vom Bauen ins Betreiben, was sich neudeutsch inzwischenals Soft-Opening herumgesprochen hat. Im Vergleich zum Standard-prozess definiert dieser nur scheinbar optimierte Zustand nunmehrdas Mess-Kriterium für den Projekterfolg – der oft genug kaum nocherreichbar ist.

Umso mehr weigert sich die Realität dann auch, sich in eine solcher-maßen verschärfte Fiktion einzufügen (Abb. 2). Dreh- und Angelpunktsind Entscheidungen zum Bau-Soll, die noch weit in die Ausführungs-phase hineinreichen. Dadurch verlängern sich die ursprünglich optimalgeplanten Phasendauern, und es werden zusätzliche Kompensations-maßnahmen erforderlich, um die terminlichen Projektziele nicht zu ge-fährden. Dies betrifft beispielsweise die Abgabe des Bauantrages zueinem Zeitpunkt, da das Bau-Soll immer noch nicht ganz feststeht,oder die Vergabe von Bauleistungen noch bevor die Baugenehmigungvorliegt. Die kombinatorischen Möglichkeiten aus Änderung des ge-nehmigten Bau-Solls auf der einen, und Auswirkungen der Genehmi-gung auf das Bau-Soll auf der anderen Seite, bilden den Nährboden fürkaum noch zu steuernde Kostenanpassungen. Dass sich dann meist

auch der Inbetriebnahmetermin nicht mehr halten lässt und eine ge-ordnete Inbetriebnahme praktisch nicht mehr stattfinden kann, trägtschließlich zur eingangs beschriebenen Wahrnehmung als „Deppenvom Bau“ bei.

Schon zur Rettung der eigenen Haut müssen wir Bauprofis uns in die-sem Punkt klarer emanzipieren. Frühzeitige Stabilität in den Anforde-rungen und damit in den Bauverträgen, eine kontinuierliche und trans-parente Nachführung von Änderungen im Bau-Soll und vernünftige,von allen Beteiligten akzeptierte Termine sind der Schlüssel für weni-ger Vertragsanpassungen in den Bauprojekten. Auseinandersetzungenüber die Vergütung, speziell am Ende längerer Projektlaufzeiten, ha-ben ihre Ursache häufig gerade auch in einem fehlenden Änderungs-management: Wenn jede Änderung konsequent zu einer zeitnahenEntscheidung und Nachführung der Erfolgskriterien, also der Fort-schreibung der Bauleistungsverträge genutzt würde, könnte Kostensi-cherheit auch dann entstehen, wenn die Kosten steigen. Kostensicher-heit ist schließlich keine Baukosten-Flatrate, Kostensicherheit heißt le-diglich nichts anderes, als vorher zu wissen, was es hinterher kostet,um so entsprechend Einfluss nehmen zu können. Dabei muss der Bau-herr selbstverständlich auch wissen, auf was er sich beim Bauen ein-lässt.

Bereits die Erstsemester-Vorlesung Projektmanagement lehrt, dass einklarer Projektauftrag die wichtigste Grundlage für ein erfolgreichesProjekt ist. Immer wieder schliddern auch Bauherren ungesteuert inProjekte hinein, die mangels verbindlich vereinbarter Ziele eigentlichgar keine sind. „Bewegte Ziele“ sind viel schwerer zu treffen – undwerden meist verfehlt. Oder, um es mit Mark Twain zu sagen: „Nach-dem wir unser Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wirunsere Anstrengungen“.

Warum ich das hier anspreche? Aus meiner Sicht sind zum Beispiel An-ordnungsrechte und Vergütungsanspruchsmodelle nachgelagerte The-men zu wesentlich wichtigeren und mächtigeren Erfolgsfaktoren aufder Bauherrenseite. Es gibt eine Reihe von Vorleistungen, die der Bau-

Abb. 2: Standard am heutigen Bau: Meistens verweigert die Realität sich ihrer Einpassung in die Fiktion

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GROSSPROJEKTE

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herr zusammen mit seinen Beratern und seinen Architekten und Inge-nieuren erbringen muss, auf denen dann aufgebaut werden kann undmit denen dann weitere Schritte mit den Bauausführenden systema-tisch unternommen werden können. Ich nenne sie die Erfolgsfaktorenfür Projektstabilität, die in Abb. 3 synoptisch dargestellt sind.

Bei einem meiner technisch anspruchsvollsten Projekte auf Auftragge-berseite im Rahmen eines großen Immobilienbestandsumbaus, unterlaufendem Betrieb, mit einem Volumen von etwa einer viertel MilliardeEuro, haben meine Mannschaft und ich gezielt versucht, diese inAbb. 3 dargestellten Faktoren stringent und bestmöglich in die Praxisumzusetzen; und ich kann Ihnen vorweg sagen: Es geht wirklich!

Zunächst mussten wir natürlich unsere ureigenen Hausaufgabengründlich machen, die mit einer ausführlichen Projektentwicklung bishinein in die Leistungsphase 3 der HOAI begonnen hat. In intensiverZusammenarbeit unserer Nutzervertreter und Projektentwickler habenwir das Bau-Soll erarbeitet und es iterativ zu einem Optimum von bau-lichem Minimum und nutzungsmäßigem Maximum verfeinert. Dieswar naturgemäß zunächst alles andere als reibungsarm. Die tiefe in-haltliche Auseinandersetzung von Besteller und Ersteller mit dem Pro-jekt hat mit der Zeit zu einem immer besseren ganzheitlichen Projekt-verständnis geführt, an dessen Ende schließlich ein gemeinsames Pro-jekt-Soll mit einem hierzu korrespondierenden Budget stand.

Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn wir Qualität im ersten An-lauf erzeugen. Deshalb haben wir bei den nächsten Planungsschrittenbesonders auf die praktische Baubarkeit geachtet, und Ausführungs-Know-how eingebunden, wo immer dies möglich war. Auch das an-schließende Vergabeverfahren trug dem Qualitätsgedanken durchgän-gig Rechnung, weil wir von Anfang an auf einen Qualitäts-Wettbe-werb gesetzt haben, und nicht nur auf einen reinen Preiswettbewerb.Hierzu haben wir eine entsprechend hohe Gewichtung qualitativerPräqualifikations-Kriterien vorgenommen und bewusst einen breitenMarkt angesprochen. Dazu wurden potentielle Bewerber zu Informati-ons-Veranstaltungen eingeladen, in denen wir einerseits das heraus-fordernde Projekt präsentiert haben. Andererseits haben wir aber un-sere Ansprüche an eine partnerschaftliche Zusammenarbeit erläutertund auch konkrete Angebote gemacht, was wir in eine solche Zusam-menarbeit einbringen können. So haben die Bieter beispielsweise po-sitiv aufgenommen, dass wir Rechnungen zügig anweisen und Nach-träge schnell prüfen und beauftragen wollen, wenn diese nach ge-meinsam vorher festgelegten Kriterien aufgestellt sind.

Die anschließend im VOB/A-Verhandlungsverfahren durchgeführtenVergaben waren von intensiven Angebotsdurchsprachen und techni-schen Aufklärungsgesprächen geprägt. Dabei stand nicht die Anpas-sung des Preises im Vordergrund, sondern das Verständnis der Bauauf-gabe, der kalkulationsrelevanten Umstände und unserer grundsätzli-chen Haltung: Wir wollten Lösungen für die Probleme im Projekt an-statt Behinderungsanzeigen! Dies hat nicht nur dazu geführt, dass diePreise in der Überarbeitung auch schon mal nach oben gegangen sind,sondern auch dazu, dass einzelne Bieter bewusst den Wettbewerb ver-lassen haben. So trennte sich die Spreu vom Weizen.

Um unsere Angebote an eine partnerschaftliche Zusammenarbeit indie bauliche Praxis zu überführen, haben wir bereits mit dem Bauver-trag ein projektförderndes dreistufiges Eskalationsverfahren sowie au-ßergerichtliche Streitbeilegungsverfahren mit einem projektbegleiten-dem Mediator vereinbart. Die Praxis hat gezeigt, dass weder die dritteEskalationsstufe, noch der Mediator in Anspruch genommen werdenmussten. Die anstehenden Fragen an Leistungsinhalten sowie die er-forderlichen Vertragsanpassungen wurden also im Projekt nach ver-traglich vereinbarten Kriterien beantwortet und besprochen. Fernerhaben wir eine Organisationseinheit für das Bau-Vertragsmanage-ment implementiert, um die Nachtragsprüfung zu beschleunigen, undein DV-gestütztes Abrechnungsverfahren genutzt, bei dem die Rech-nung automatisch freigegeben wird, soweit sie mit dem zuvor elektro-nisch abgestimmten Aufmaß übereinstimmt.

Das Projekt wurde erfolgreich abgeschlossen. Auch unter schwierigs-ten Bedingungen wurden alle für den Nutzer und Betreiber betriebs-wirtschaftlich äußerst wichtigen Termine gehalten. Ein großer Erfolgwar vor allem auch die konstruktive Zusammenarbeit mit den ausfüh-renden Unternehmen.

Für mich ist es also noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen, undbeim Bauen zu einer Kultur der Professionalität, Wertschätzung undQualität zurückzufinden.

Im Ergebnis bin ich der Meinung, dass wir vordringlich keine neuenRichtlinien und Gesetze brauchen. Von ihrem Geist und ihrem Erfah-rungsalter her halte ich die geltenden Regelungen für bodenständig,klug, erprobt und somit lebbar, wenn man sie nur sinnvoll sach- undpraxisgerecht anwendet und vertraglich vereinbart. Und das obliegtzuvorderst der Bauherrenseite.

Große und damit hochkomplexe Projekte können nur kooperativ zumErfolg geführt werden. Es liegt zunächst am Bauherrn, hierzu die ent-scheidenden Weichenstellungen vorzunehmen, das heißt, Auf- und Ab-laufstrukturen zu schaffen, die kompetent, d.h. ausdrücklich auchtechnisch inhaltlich, führen und Verantwortung für ein Großprojektübernehmen können. Dieser Maßstab gilt im Übrigen auch für die Ent-scheidungsgremien der Bauherren.

Die Professionalität unserer Bauprozesskette sollten wir doch einmal anden Strukturen eines Orchesters messen und uns doch einmal fragen:Haben wir schon einmal bei einer Konzertpremiere gesehen, dass in letz-ter Minute die neuesten Noten per Fax reingereicht wurden? Und habenwir schon einmal davon gehört, dass der Solo-Cellist bei den Proben an-gekündigt hat, zur Premiere einen Nachunternehmer zu schicken?

Warum schaffen wir es nicht, ähnlich klare Vorgaben und Verantwort-lichkeiten – das sind eigentlich Selbstverständlichkeiten – auch in un-seren Projektprozessketten zu definieren?!

Abb. 3: Diese Faktoren für den Projekterfolg sind keine graue Theorie,sondern gelebte und erfolgreich realisierte Praxis

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HAFTUNG

72 Der Prüfingenieur | November 2013

Der Prüfsachverständige ist Einflussnahmen ausgesetzt,die sich negativ auf die Bauwerks-Sicherheit auswirkenDie Zwei-Klassen-Gesellschaft im Prüfwesen muss einerverfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen werden

Kaum ein Thema wird unter Prüfingenieuren und Prüfsachver-ständigen so leidenschaftlich diskutiert wie das der Haftungnach dem novellierten Bauordnungsrecht. Auch wenn der Erlassder überarbeiteten Musterbauordnung schon über zehn Jahreher ist (2002), stellt sich immer noch die Frage, ob hier unter-schiedliche Maßstäbe angelegt werden dürfen. Während diePrüfingenieure nach wie vor im Auftrag der Bauaufsichtsbehör-de tätig sind, nehmen Prüfsachverständige die Prüfaufgabennach den insofern novellierten landesbaurechtlichen Regelun-gen im Auftrage des Bauherrn wahr. Daraus wird im juristischenSchrifttum der Schluss gezogen, dass der Prüfsachverständigeder vollen werkvertraglichen Haftung im Verhältnis zu seinemAuftraggeber unterliegt, wohingegen der Prüfingenieur ledig-lich über Amtshaftungsgrundsätze in Anspruch genommen wer-den kann. Der nachfolgende Beitrag will den gegenwärtigenMeinungsstand in dieser Frage zusammenfassen und einen Aus-blick auf die weitere Rechtsentwicklung geben. Denn diese hatdurch ein Urteil des Landgerichts Paderborn neuen Schwungbekommen, das derzeit beim Oberlandesgericht Hamm zurÜberprüfung ansteht [1]. Nach Auffassung des Verfassers wirddie Frage der unterschiedlichen Haftung allerdings erst dannabschließend beantwortet werden können, wenn sich die deut-schen Obergerichte mit diesem für Prüfer so unbefriedigendenSachverhalt auseinandergesetzt haben.

ist Partner der überörtlichen Rechtsanwaltssozietät WRD WittRoschkowski Dieckert (Berlin) und befasst sich als Rechtsanwaltseit über zwanzig Jahren mit dem Bau- und Architektenrecht; ervertritt und berät öffentliche Auftraggeber und Bauunternehmenund Ingenieurbüros und gibt sein Wissen in Form von Veröffentli-chungen und Vortragsveranstaltungen weiter; Dieckert ist bun-desweit als Referent tätig und führt eigene Schulungsveranstal-tungen durch, darüber hinaus ist er Herausgeber eines vergabe-rechtlichen Kommentars und Lehrbeauftragter an der HochschuleWismar im Bereich Bau- und Architektenrecht.

www.wrd.dewww.bauleiterschulung.de

1 Die Reform der Bauaufsicht undder bautechnischen Prüfung

Bis Mitte der 90-er Jahre herrschte bei der Bauaufsicht ein repressivesSystem nach dem Präventionsprinzip. Die Errichtung baulicher Anla-gen stand unter Genehmigungsvorbehalt, die Prüfung der bautechni-schen Zulässigkeit eines Bauwerkes oblag der Baubehörde, die dieseAufgabe entweder durch eigene Bedienstete oder beliehene Prüfinge-nieure wahrnahm. In dem Bemühen, auch im Bauordnungsrecht einen„schlanken Staat“ zu schaffen, entwickelten die Länder ab Mitte der90-er Jahre vereinfachte Genehmigungsverfahren, bei denen sich diePrüfung nur noch auf bestimmte bautechnische Anforderungen be-schränkte und für die der Bauwillige oder Vorhabenträger nachweis-pflichtig wurde [2]. Diese Verschiebung von Verantwortlichkeiten undKompetenzen (insbesondere nach dem Vorbild in Bayern und in Nord-rhein-Westfalen) fand im Jahr 2002 seinen Ausdruck in der neuenMusterbauordnung der Länder (MBO). Kernstück der Reform war einvereinfachtes Baugenehmigungsverfahren, nach dem der Bauherr beivielen Bauvorhaben mit der Ausführung beginnen kann, wenn dieBaubehörde auf Grundlage der eingereichten Unterlagen binnen einerbestimmten Frist kein Genehmigungsverfahren einleitet (vgl. § 62MBO, sogenannte Genehmigungsfreistellung). Was die Einhaltung derAnforderungen an die Standsicherheit und an den Brand-, Schall- undWärmeschutz sowie an den Erschütterungsschutz angeht, so sind die-se gemäß Paragraf 66 MBO vom Bauherrn durch entsprechende bau-technische Nachweise nach Maßgabe eines gesondert zu regelndenVerfahrens nachzuweisen. Soweit die Vorlage dieser Unterlagen durchzugelassene Prüfingenieure oder Prüfsachverständige erfolgt, bedarfes einer weiteren Prüfung durch die Bauaufsichtsbehörden nicht (vgl.§ 66 Abs. 4 MBO), es sei denn, es handelt sich um besonders sicher-heitsanfällige Anlagen beziehungsweise um Sonderbauten.

Die meisten Bundesländer haben die Vorgaben der MBO in ihren je-weiligen Landesbauordnungen übernommen und das Verfahren für diePrüfung und Bescheinigung bautechnischer Nachweise in gesondertenPrüfverordnungen beziehungsweise Bauverfahrensordnungen umge-setzt.

Sie orientieren sich dabei an der Musterverordnung über die Prüfinge-nieure und Prüfsachverständigen nach § 85 Abs. 2 MBO (M-PPVO), de-ren Paragraf 2 die Aufgaben und Kompetenzen der Prüfingenieure undPrüfsachverständigen wie folgt definiert:

Prüfingenieure nehmen in ihrem jeweiligen Fachbereich bauaufsichts-rechtliche Prüfaufgaben aufgrund der MBO im Auftrag der Bauauf-sichtsbehörde wahr. Sie unterstehen der Fachaufsicht der oberstenBauaufsichtsbehörde oder der von ihr bestimmten Behörde.

Prüfsachverständige prüfen und bescheinigen in ihrem jeweiligenFachbereich im Auftrag des Bauherrn oder des sonstigen nach Bauord-

Dr.-jur. Ulrich Dieckert

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nungsrecht Verantwortlichen die Einhaltung bauordnungsrechtlicherAnforderungen, soweit dies in der MBO oder in Vorschriften aufgrundder MBO vorgesehen ist; sie nehmen keine hoheitlichen bauaufsichtli-chen Prüfaufgaben wahr. Die Prüfsachverständigen sind im Rahmender ihnen obliegenden Pflichten unabhängig und an Weisungen desAuftraggebers nicht gebunden.

Welche Auswirkungen diese Formulierungen auf die Haftung der je-weiligen Berufsgruppe hat, wird sogleich erörtert werden. Zunächstaber sollen mögliche Schadensszenarien aufgezeigt werden, bei de-nen sich die Frage nach der Haftung der beteiligten Prüfer/Sachver-ständigen stellt.

2 Mögliche Haftungsszenarien für Prüfer/Sachverständige [3]2.1 Schäden aufgrund von PlanungsfehlernGerade im Bereich der Standsicherheit oder des Brandschutzes könnenMängel im Bauwerk zu erheblichen Schäden führen, wenn das Gebäu-de deshalb einstürzt oder ein Brand ausbricht. Sind diese Mängel be-reits in der Planung angelegt und haben Prüfingenieure/Prüfsachver-ständige die vorgelegte Statik beziehungsweise das Brandschutzkon-zept im Rahmen ihrer Tätigkeit freigegeben, so haben diese an derEntstehung der Schäden zumindest mitgewirkt. Bei der Frage der Haf-tung ist zu differenzieren, ob es sich um Vermögensnachteile des Bau-herrn handelt (z. B. Beschädigung des Bauwerks, Nutzungsausfall, Fi-nanzierungsaufwand etc.) oder Schäden bei unbeteiligten Dritten(Sach- und Personenschäden von Nutzern, Nachbarn, Besuchern etc.).

2.2 Schäden wegen VerzugesBauherren können auch dadurch Schäden entstehen, dass der von ih-nen beauftragte Statiker mit der Vorlage der geprüften Statik in Verzuggerät. Dies kann mitunter an der schleppenden Bearbeitung durch denPrüfsachverständigen/Prüfingenieur liegen. Wird das Bauwerk deswe-gen später fertig, wird der Bauherr Schäden wegen erhöhten Zinsauf-wandes oder geringerer Mieteinnahmen geltend machen wollen. Hierstellt sich die Frage nach der Mitverantwortung der Prüfer.

2.3 Schäden wegen unnötiger MehrkostenSchließlich kann dem Bauherrn ein – unnötiger – Mehraufwand auf-grund einer möglicherweise überdimensionierten Statik oder einesüberdimensionierten Brandschutzkonzeptes entstehen. Die von denentsprechenden Sonderfachleuten erstellten Vorgaben sind den ein-geschalteten Prüfsachverständigen/Prüfingenieuren möglicherweiseerkennbar, werden jedoch nicht selten – nach der Devise „besser zuviel als zu wenig“ – akzeptiert. Stellt sich später heraus, dass wenigeraufwendige Lösungen auch zulässig gewesen wären, wird der Bau-herr die Frage nach der (Mit)Verantwortung für die unnötigen Mehr-kosten stellen. Gleiches gilt für den Fall, dass eine an sich ausreichen-de Statik des Tragwerkplaners oder ein richtig dimensioniertes Brand-schutzkonzept vom Prüfsachverständigen/Prüfingenieur als unzurei-chend beanstandet wird, woraufhin der Sonderfachmann weitere –kostenträchtige – Verstärkungen einplant, die sodann eingebaut wer-den [4]. Stellen sich diese später als überdimensioniert und damit un-nötig teuer heraus, wird der Bauherr ebenfalls Schadenersatz verlan-gen wollen.

In all den vorgenannten Fällen stellt sich die Frage, inwieweit die be-teiligten Prüfingenieure/Prüfsachverständigen in die Haftung genom-men werden können.

3 Haftung von Prüfingenieuren?3.1 Ansprüche des Bauherrn aus WerkvertragHandelt es sich um Anlagen mit erhöhten Sicherheitsanforderungenoder/und Sonderbauten, so erfolgt auch im Rahmen der modifiziertenBauaufsicht nach wie vor eine behördlich angeordnete Prüfung dervom Bauherrn vorzulegenden bautechnischen Nachweise. Diese Prü-fung wird nach den meisten bauordnungsrechtlichen Landesvorschrif-ten durch Prüfingenieure im Auftrage der Bauaufsichtsbehörde durch-geführt. Nach den einschlägigen Bauprüfverordnungen unterstehendiese Prüfingenieure der Fachaufsicht der jeweiligen obersten Bauauf-sichtsbehörde und nehmen ihre Prüfaufgabe als Beliehene wahr. Siehandeln zwar auf Antrag des Bauherrn, sind diesem jedoch nicht durcheinen Werkvertrag verbunden.

Dieser kann insofern seine Gewährleistungs- und/oder Schadenser-satzansprüche nicht nach werkvertraglichen Grundsätzen geltend ma-chen. Dies gilt erst recht für geschädigte Dritte, die keinerlei vertragli-che Beziehungen zum Prüfingenieur unterhalten.

3.2 Ansprüche aus Amtshaftung?Als sogenannte Beliehene unterliegen die Prüfingenieure aber derAmtshaftung gemäß Paragraf 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches(BGB) in Verbindung mit Artikel 34 Grundgesetz (GG). Danach könnenGeschädigte ihre Ansprüche nur gegen den Staat geltend machen, derdie in seinem Auftrag handelnde Person (hier den Prüfingenieur) beivorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung in Regress neh-men kann (vgl. Artikel 34 Satz 2 GG).

Wurde die Amtspflicht nur fahrlässig verletzt, können geschädigte Per-sonen ihre Ansprüche nur dann geltend machen, wenn sie mit ihrenAnsprüchen gegen andere Schadensverursacher ausfallen (vgl. § 839Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Geschädigten müssen daher zunächst die vor-rangig Verantwortlichen (also zum Beispiel den Bauherrn oder Betrei-ber oder die von diesem beauftragten Planer und Bauunternehmer) inAnspruch nehmen und ihre Forderungen dabei notfalls gerichtlich gel-tend machen. Die Durchsetzung eines Anspruchs kann also lange dau-ern. Hat es der Geschädigte versäumt, gegen die Vorgaben des Prüfin-genieurs zunächst Rechtsmittel geltend zu machen, fällt er mit seinenAnsprüchen gänzlich aus (§ 839 Abs. 3 BGB).

Selbst wenn der Staat in diesen Fällen sekundär haftet, ist der Umfangder Inanspruchnahme durch den Schutzcharakter der jeweils verletz-ten Amtspflicht begrenzt. Denn nach ständiger Rechtsprechung beste-hen die Amtspflichten der Baubehörde (und damit auch der in ihremAuftrag tätigen Beliehenen) nur gegenüber der Allgemeinheit (undzwar im Sinne der Gefahrenabwehr), nicht aber in Bezug auf die wirt-schaftlichen Interessen des Bauherrn [5]. Dieser kann also vom Staat(das heißt, von der Kommune oder dem Land) keinen Ersatz seinerMangel(folge)schäden verlangen, wenn es um die Sanierung des Ge-bäudes geht. Nur die durch den Einsturz oder den Brand des Hausesgeschädigten Dritten können Ansprüche wegen des Fehlverhaltens derPrüfer erheben, allerdings nur dann, wenn sie mit ihren Ansprüchengegen den Bauherrn und seine Planer/Bauunternehmer ausfallen.

Was Verzugsschäden angeht, so besteht eine allgemeine Amtspflichtzur raschen Sachentscheidung. Wird diese vom Prüfingenieur schuld-haft verletzt, so kann es zu einer Amtshaftung kommen. Gleiches gilt,wenn der Prüfingenieur überzogene Anforderungen an die vorgelegteStatik beziehungsweise das Brandschutzkonzept stellt und deshalb dieBaugenehmigung verweigert wird [6].

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4 Die Haftung des Prüfsach-verständigen

4.1 Haftung aus Werkvertrag gegenüber dem Bauherrn?Wie bereits dargelegt, besteht die Aufgabe der Prüfsachverständigennach der novellierten Bauaufsicht darin, die vom Bauherrn oder des-sen Entwurfsverfasser vorgelegten bautechnischen Nachweise in Be-zug auf die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen zuprüfen und zu bescheinigen. Nach der Formulierung der M-PPVO, wel-che von den meisten Bundesländern übernommen wurde (derzeit vonHamburg, Bremen, Brandenburg, Bayern, Berlin, Hessen, Sachsen An-halt, Thüringen, Schleswig Holstein, Mecklenburg Vorpommern, demSaarland und von Sachsen), nehmen sie dabei keine hoheitlichen Prüf-aufgaben wahr. Andererseits sollen sie im Rahmen der ihnen obliegen-den Pflichten unabhängig und an Weisungen des Auftraggebers nichtgebunden sein.

Nach derzeit wohl überwiegender Meinung im Schrifttum (vgl. hierzudie Aufsätze von Hanke, Schmidt und Hammacher [7]) sind die Prüf-sachverständigen aufgrund dieser klaren Vorgabe in den landesrecht -lichen Vorschriften keine Beliehenen und damit auch nicht hoheitlichtätig. Insofern soll sich das Auftragsverhältnis zwischen Bauherrn undPrüfsachverständigen ausschließlich nach Zivilrecht und zwar nachdem Werkvertragsrecht richten. Der Prüfsachverständige haftet da-nach dem Auftraggeber bei Pflichtverletzungen (zum Beispiel, wenn erPlanungs- oder Ausführungsmängel übersieht), und er kann von die-sem auf Schadenersatz gemäß § 634 Nr. 4 in Verbindung mit § 280BGB in allen oben genannten Beispielsfällen in Anspruch genommenwerden [7].

4.2 Andere Meinungen und RechtsprechungNach anderen Meinungen im Schrifttum (vgl. insbesondere die Aufsätzevon Steiner [8]) ist der Prüfsachverständige – ähnlich wie der Prüfinge-nieur – letztlich im Dienste der Sicherheit und zum Schutz der Allgemein-heit tätig. Denn die Einschaltung des Prüfsachverständigen sei dem Bau-herrn nach dem Bauordnungsrecht der Länder zwingend vorgeschrie-ben; es erfolge lediglich eine rechtsformal unterschiedliche organisatori-sche Ausgestaltung des Auftragsverhältnisses. Es sei daher nicht auf diePerson des Handelnden, sondern auf dessen Funktion, also auf die wahr-zunehmende Aufgabe abzustellen. Dabei überwiege der hoheitlicheCharakter, sodass eine zivilrechtliche Haftung abzulehnen sei.

Diese Meinung stützt sich unter anderem auf eine Entscheidung desBundesgerichtshofes aus dem Jahr 2001, die sich mit der Ausstellungeiner fehlerhaften Freigabebescheinigung eines staatlich anerkanntenluftfahrttechnischen Betriebes befasste, der diese Bescheinigung imAuftrage nicht der Behörde, sondern des Flugbetreibers ausgestellthatte. Auch hier stellte der Bundesgerichtshof trotz des Vertragsver-hältnisses zwischen dem Betrieb und dem Flugbetreiber auf die Funk-tion der wahrzunehmenden Aufgabe im Rahmen der öffentlich-rechtli-chen Flugaufsicht ab.

Eine zivilrechtliche Haftung des luftfahrttechnischen Betriebes solltenur dann gegeben sein, wenn dieser über die Prüfung der öffentlich-rechtlichen Zulassungsvoraussetzungen hinaus auch konkrete techni-sche Feststellungen in Bezug auf das Fluggerät als solches getroffenhat [9].

Ausgehend von dieser Entscheidung hat das Landgericht Bonn in ei-nem Urteil vom 20.05.2009 eine zivilrechtliche Haftung des vom Bau-

herrn beauftragten Prüfstatikers verneint, soweit dieser die vom Son-derfachmann vorgelegte Statik auf ihre Übereinstimmung nach öffent-lich-rechtlichen Vorgaben geprüft hat. Denn es erscheine nicht adä-quat, aus dem öffentlich-rechtlichen Prüferfordernis eine auch nur teil-weise Risikoverlagerung auf den Prüfingenieur selbst vorzunehmen.Diese Wertung entspräche auch der grundlegenden Wertung der Tätig-keit des Prüfingenieurs innerhalb der Baugenehmigungsbehörde:Wenn statische Berechnungen mit den übrigen Bauunterlagen geprüftwürden, so geschehe dies im Hinblick auf das öffentliche Interesse derGefahrenabwehr, nicht jedoch zu dem Zweck, den Bauherrn zu sichernund ihm die Verantwortung zu erleichtern [10].

Nachdem die Entscheidung des Landgerichts Bonn, an der sich diemeisten Literaturmeinungen entzweiten, bisher die einzig bekannte zudiesem Thema war, hat nun das Landgericht Paderborn mit Urteil vom30.08.2012 [11] nachgelegt. Dieses hatte zu entscheiden, inwieweitein Prüfer, der möglicherweise Fehler in der ihm vorgelegten Statikübersehen hatte, vom Bauherrn auf die entstehenden Schäden in An-spruch genommen werden konnte. Auch das Landgericht Paderbornentschied, dass eine Haftung des Prüfers gegenüber dem Bauherrnauch dann nicht in Frage käme, wenn er nicht unmittelbar von derBauaufsichtsbehörde, sondern vom Bauherrn direkt mit der Prüfungder Standsicherheit des Gebäudes beauftragt worden ist. Denn derPrüfer übernehme als Privatperson Aufgaben, die ansonsten der Bau-aufsichtsbehörde obliegen, und er sei daher im Rechtssinne als Belie-hener zu qualifizieren. Die Prüfung erfolge „nach Maßgabe der ein-schlägigen öffentlich-rechtlichen Vorgaben“, sodass er im Ergebnishoheitliche Aufgabe wahrnehme. Seine Tätigkeit erschöpfe sich in ei-ner Aufgabe, die ansonsten die Behörde zu prüfen gehabt hätte.

4.3 Die Rechtslage im Lande Nordrhein-WestfalenAuch wenn die vorbezeichneten Entscheidungen die Rechtsauffassungderjenigen bestärken, die eine zivilrechtliche Haftung der Prüfsachver-ständigen ablehnen, muss einschränkend darauf hingewiesen werden,dass hier Fälle aus dem Land Nordrhein-Westfalen entschieden wur-den, in denen nach der insofern einschlägigen Verordnung über staat-lich anerkannte Sachverständige (SV-VO) nicht zwischen der Tätigkeitvon Prüfingenieuren oder Prüfsachverständigen differenziert wird.Diese SV-VO spricht vielmehr einheitlich von staatlich anerkanntenSachverständigen, die in ihren jeweiligen Fachbereichen (zum BeispielStandsicherheit, Brandschutz, Erd- und Grundbau, Schall- und Wärme-schutz) berechtigt sind, Bauvorlagen zu erstellen, Nachweise aufzu-stellen, Prüfungen vorzunehmen und Bescheinigungen auszustellen.Diese Sachverständigen können sowohl vom Bauherrn als auch vonder Baubehörde beauftragt werden.

Da die landesrechtlichen Vorschriften sich einer Qualifizierung der Tä-tigkeit dieser Sachverständigen als hoheitlich beziehungsweise nichthoheitlich enthalten, wird in der Literatur die Meinung vertreten, dassim Lande Nordrhein-Westfalen – anders als in den Bundesländern, diesich an die Vorschriften der M-PPVO angelehnt haben – die werkver-tragliche Haftung eines Sachverständigen abzulehnen sei, auch wenndieser im Auftrage des Bauherrn tätig wird [12], denn hier seien dieFunktion und der Aufgabenbereich des Sachverständigen durch öffent-lich rechtliche Normen hinreichend bestimmt vorgegeben.

Nach Meinung anderer Stimmen überzeugen diese Urteile hingegennicht. So würde es dem Ziel der Deregulierung zuwiderlaufen, wennzunächst die Behörden von ihren hoheitlichen Aufgaben entlastetwürden, dann aber die Bauwilligen wiederum einen anderen hoheit-lich Tätigen zu beauftragen hätten [13]. Im Übrigen würden auch an-

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dere Gerichte stets von der nun vorgenommenen „Privatisierung“von meist hoheitlicher Aufgaben sprechen [14]. Außerdem überneh-me der Sachverständige Verantwortung nicht nur im allgemeinen In-teresse, sondern auch im Interesse des Bauherrn, wenn ein direktesAuftragsverhältnis mit diesem begründet wird. Insofern müsse derSachverständige auch für Schäden aus dem Vermögensbereich desBauherrn haften. Soweit sich seine Haftungspflichten dadurch im Ver-gleich zum staatlich beauftragten Prüfingenieur erweitern, könne erdiese ja durch entsprechende Berufshaftpflichtversicherungen abmil-dern [15].

Schließlich geht der Standardkommentar zur Bauordnung für das LandNordrhein-Westfalen (BauO NRW) von einer zivilrechtlichen Haftungdes vom Bauherrn beauftragten Sachverständigen aus und beruft sichdabei auf die einschlägigen Vorschriften, wonach es Sache des Bau-herrn ist, Bescheinigungen eines staatlich anerkannten Sachverständi-gen vorzulegen, woran sich die Vermutung knüpft, dass die bauauf-sichtlichen Anforderungen erfüllt sind [16].

4.4. Exkurs: Sonderfall modifizierte Bauaufsicht beim Bau vonEisenbahnanlagenBekanntlich unterliegt der Bau von Eisenbahnanlagen gemäß Artikel73 Nr. 6 a GG der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bun-des. Dieser hat gemäß Paragraf 3 des Gesetzes über die Eisenbahnver-kehrsverwaltung des Bundes (Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungs-gesetz – BEVVG) und gemäß den Paragrafen 4, 5 und 5a des Allgemei-nen Eisenbahngesetzes (AEG) die Aufsicht und Gefahrenabwehr aufdas Eisenbahn-Bundesamt (EBA) übertragen. Gemäß § 4 Abs. 6 AEGist dieses unter anderem für die Erteilung von Baufreigaben, Zulassun-gen und Genehmigungen, Abnahmen, Prüfungen und Überwachungenzuständig. Das EBA kann natürliche juristische Personen des Privat-rechtes beauftragen, an der Erfüllung der Aufgaben mitzuwirken (vgl.§ 5a Abs. 8a AEG).

Da es bis heute an einer gesetzlich normierten Bauordnung für das Ei-senbahnwesen mangelt, sind Inhalt und Ablauf der Bauaufsicht ein-schließlich der erforderlichen Prüfverfahren vom EBA im Sinne einer„Ersatzbauordnung“ im Wege von Verwaltungsvorschriften geregeltworden (vgl. VV BAU, VV BAU-STE, VV IST etc.). Für die Prüfung vonbautechnischen Nachweisen, die der Bauherr (die Eisenbahnen desBundes – EdB) im modifizierten bauaufsichtlichen Verfahren nach derVV Bau beizubringen hat, sind Prüfer für bautechnische Nachweise imEisenbahnbau von den EdB im Einvernehmen mit dem EBA zu beauf-tragen. Inwieweit diese Prüfer als Verwaltungshelfer des EBA tätigsind oder aufgrund ihrer Beauftragung durch die EdB lediglich alsWerkunternehmer gelten, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Ins-besondere gibt es keine gesetzlichen Vorschriften über die Kompeten-zen und Befugnisse der im Eisenbahnbau tätigen Prüfsachverständi-gen. Der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung (BMVBS) einstmals vorgelegte Entwurf einer Rechtsverordnungwurde nicht weiterverfolgt.

Wie ich bereits an anderer Stelle dargelegt habe [17], spricht vieles da-für, auch die im Auftrage der Eisenbahnen tätigen Prüfer unter denSchutz der Amtshaftung zu stellen. Denn letztlich nehmen diese Sach-verständigen mit ihrer Tätigkeit Funktionen wahr, die der Eisenbahn-aufsicht obliegen. Sie stehen auch insofern „im Lager“ des EBA, als ih-re Tätigkeit in Verwaltungsvorschriften des EBA beschrieben ist, sie beider Gestaltung ihrer Prüfberichte die vom EBA vorgegebenen Musterverwenden müssen und sich bei der Abrechnung ihrer Tätigkeit an vomEBA vorgegebene Honorarordnungen zu halten haben. Da es darüber

hinaus an einer gesetzlichen Vorgabe analog der M-PPVO fehlt, wo-nach Prüfsachverständige keine hoheitlichen Prüfaufgaben wahrneh-men, muss derzeit davon ausgegangen werden, dass diese – ähnlichwie die Sachverständigen im Lande Nordrhein-Westfalen – der Amts-haftung unterliegen.

Es bleibt zu wünschen, dass auch in diesem Bereich eine gesetzlicheKlärung herbeigeführt wird. Gegenwärtige Bestrebungen im Eisen-bahn-Bundesamt lassen hoffen, dass Regelungen gefunden werden,die in diesem Bereich für mehr Rechtssicherheit sorgen.

5 Eigene Meinung5.1 Falsa demonstratio non nocetSoweit die derzeit überwiegende Meinung darauf abstellt, bereits derWortlaut in den landesrechtlichen Vorschriften über die Tätigkeit derPrüfsachverständigen würde auf eine privatrechtliche Haftung dersel-ben schließen lassen, so kann dem nicht gefolgt werden. Zwar heißt esin den meisten Prüfverordnungen, dass die Prüfsachverständigen kei-ne hoheitlichen bauaufsichtlichen Prüfaufgaben wahrnehmen. Wie je-doch von Steiner überzeugend dargelegt und durch die LandgerichteBonn und Paderborn bestätigt, ist dies insoweit falsch, als die Tätigkeitder Prüfsachverständigen im Ergebnis die den Behörden obliegendeFunktion hat, als bauordnungswidrige und damit gemeingefährlicheZustände von Bauwerken zu verhindern.

Insofern ändert die Formulierung der einschlägigen Prüfverordnungenim Sinne einer falsa demonstratio non nocet [18] nichts daran, dassdurch die Einrichtung einer solchen vorgeschalteten fachtechnischenPrüfung sehr wohl bauaufsichtliche Prüfaufgaben erfüllt werden.

Dies steht übrigens im Einklang mit einer älteren Entscheidung desBundesgerichtshofs, wonach die Beauftragung durch die Bauauf-sichtsbehörde oder die Beantragung der Prüfung durch den Bauherrnnicht darüber entscheidet, ob der Prüfingenieur hoheitlich (bauauf-sichtlich) oder privatrechtlich tätig wird [19].

Wenn es sich um die Erfüllung von Aufgaben handelt, die ihres Wesenswegen dem Staat obliegen, dann kann es nicht richtig sein, den zumWohle der Allgemeinheit handelnden Personen den Schutz der Amts-haftung zu entziehen!

Außerdem will nicht recht einleuchten, dass im vergleichbaren Bereichder Verkehrssicherheit Beliehene wie der TÜV zum Einsatz kommen,die – ähnlich wie die Prüfsachverständigen – das Inverkehrbringen ge-meingefährlicher Sachen (hier fahruntüchtiger Kraftfahrzeuge) verhin-dern sollen, die aber – anders als die Prüfsachverständigen – demSchutz der Amtshaftung unterliegen [20]. In beiden Fällen geht es umden Schutz der Allgemeinheit vor Sachen, die aufgrund ihrer technischunzureichenden Beschaffenheit eine Gefahr für Leib und Leben dar-stellen können, wobei die von einem einsturzgefährdeten Bauwerkausgehenden Gefahren deutlich höher sind, als die von einem fahrun-tüchtigem Kraftfahrzeug!

Besieht man schließlich, welche Privatsubjekte aufgrund einer öffent-lich-rechtlichen Aufgabenzuweisung sonst noch dem Schutz der Amts-haftung unterliegen, dann wird endgültig deutlich, welche Fehlent-scheidung in der Formulierung der Prüfverordnungen getroffen wurde:wie kann es richtig sein, dass zum Beispiel ein von der Polizei gerufe-ner Abschleppunternehmer Schäden an den von ihm abgeschleppten

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Fahrzeugen wegen seiner Stellung als Verwaltungshelfer nicht direktzu vertreten hat [21], wenn andererseits eine für das Gemeinwesenungleich wichtigere Berufsgruppe, die sich überdies strenger staatli-cher Anerkennungsverfahren unterziehen muss, bei der Erfüllung bau-aufsichtlicher Tätigkeiten haftungsrechtlich schlechter gestellt wird?

5.2 Ist der „Schlanke Staat“ im Bereich der Bauaufsicht verfas-sungswidrig?Ohnehin stellt sich die Frage, ob die vor einigen Jahren unter demSchlagwort des „Schlanken Staates“ begonnene Privatisierung derBauaufsicht nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstößt.So könnte das vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Entschei-dungen herausgearbeitete Grundrecht des Bürgers auf Sicherheitdurch die Verlagerung bauaufsichtlicher Aufgaben verletzt sein [2].Zwar räumt das Gericht dem Staat einen weiten Ermessensspielraumbei der Ausübung seiner Schutzpflichten ein; dieses Ermessen jedochreduziert sich umso mehr, je höher die Rechtsgüter sind, die bei seinerNichtanwendung auf dem Spiel stehen würden. So ist es im Polizei-recht anerkannt, dass der Staat bei einer Bedrohung von Leib und Le-ben zum Eingreifen durch die entsprechenden Behörden verpflichtetist. Nichts anderes kann aber für die früher treffenderweise als Baupo-lizei bezeichnete Baubehörde gelten. Denn in den Schutzgütern derStandsicherheit, des Brand- und Schallschutzes konkretisieren sich dasRecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz1 GG und der Schutz des Eigentums aus Art. 14 GG.

Insofern wäre es beispielsweise nicht hinnehmbar, wenn der Staatüberhaupt keine Anforderungen mehr an die Standsicherheit eines Ge-bäudes stellen würde, da dies erhebliche Gefahren für Leib und Lebender Bürger auslösen würde. Jeder Rückzug des Staates aus dem Bau-ordnungsrecht muss daher einer Kontrolle dahingehend unterliegen,ob damit die verfassungsrechtlich gebotenen Schutzpflichten in nichtmehr hinnehmbarer Weise missachtet werden.

Die „Privatisierung“ der Bauaufsicht verstößt meines Erachtens schondeshalb gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, weil Prüfsachver-ständige dem Bauherrn aufgrund ihrer vertraglichen Bindung nicht aufAugenhöhe begegnen können und insofern viel eher genötigt sindoder gar werden, vom Sparwillen des Auftraggebers getriebene, si-cherheitskritische Lösungen zu bewilligen, als staatlich beliehene undinsofern vollkommen unabhängige Prüfingenieure. Letztlich kann derBauherr einen unliebsamen Sachverständigen auch austauschen, wasbeim hoheitlich tätigen Prüfingenieur nicht möglich ist [2].

Dies führt unweigerlich dazu, dass der Prüfsachverständige bei seinerAufgabenerfüllung Einflussnahmen ausgesetzt ist, die negative Aus-wirkungen auf die Sicherheit der von ihm geprüften Bauwerke odertechnischen Einrichtungen haben. Diese Beeinträchtigung der Sicher-heit kann aber in Anbetracht der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter(Leib und Leben der Nutzer und der Allgemeinheit) nicht hingenom-men werden.

Insofern wird es höchste Zeit, dass die landesgesetzlich installierte Zwei-Klassen-Gesellschaft im Bereich des Prüfwesens einer verfassungsrecht-lichen Überprüfung unterzogen wird. Hierzu müsste ein Gericht, dasüber die werkvertragliche Haftung eines Prüfsachverständigen zu ent-scheiden hat, das laufende Verfahren aussetzen und dem zuständigenLandesverfassungsgericht im Wege eines konkreten Normenkontrollver-fahrens die Frage vorlegen, ob die Verlagerung der Bauaufsicht aufwerkvertraglich tätige Ingenieure nicht möglicherweise gegen denSchutzauftrag des Staates verstößt und insofern verfassungswidrig ist.

5.3 Privatisierung ist in jedem Falle rechtspolitisch verfehltSchließlich lässt sich bezweifeln, ob die „Verschlankung“ des Staatesim Bereich der Bauaufsicht gelungen ist. In der Tat ersparen sich diezuständigen Behörden durch die neu eingeführte Genehmigungsfrei-stellung einen nicht unerheblichen Aufwand im Vorfeld der Realisie-rung von Bauvorhaben. Dem steht jedoch eine Ausweitung baupolizei-licher Tätigkeiten gegenüber, wenn es nach der Errichtung der Gebäu-de um die Beseitigung bauordnungswidriger Zustände geht. Dies ver-lagert nicht nur den behördlichen Aufwand lediglich in zeitlicher Hin-sicht, sondern führt auch zu größeren wirtschaftlichen Belastungender Bauherren, da nachträgliche Korrekturen in oder an bestehendenGebäuden erfahrungsgemäß viel (kosten)aufwendiger sind, als einevon Anfang an richtige Planung, mit der solche Korrekturen von vorn-herein unnötig gewesen wären.

Darüber hinaus kommt die offizielle Begründung für die Privatisierungder Bauaufsicht einem Etikettenschwindel gleich. Wenn als Begrün-dung von Bürokratieabbau, Deregulierung und Vereinfachung von Ge-nehmigungsverfahren die Rede ist [2], so werden die eigentlichen Mo-tive gerne verschwiegen.

Diese lassen sich aber relativ schnell auf jenen Punkt bringen, der dieöffentliche Hand am meisten bewegt, nämlich auf den Mangel anGeld. Insofern ist jede Begründung gut genug, den Stellenabbau in derVerwaltung zu rechtfertigen. Welche Auswirkungen dieser Aderlass anKompetenz in der Bauverwaltung hat, ist allenthalben zu besichtigen:insbesondere Großbauvorhaben der öffentlichen Hand leiden an man-gelnder Vorbereitung, Koordination und Aufsicht, was zu Verzögerun-gen, Mängeln und Mehrkosten in bisweilen grotesken Größenordnun-gen führt. Nachhaltiges Sparen sieht anders aus, wobei es ohnehin be-denklich war und ist, durch eine Reduzierung der Bauaufsicht an derSicherheit zu sparen.

Soweit die Vertreter einer privatrechtlichen Haftung ins Felde führen,gegen eine solche könne man sich schließlich versichern, so kennendiese ganz offensichtlich die gegenwärtigen Verhältnisse auf dem Baunicht. Abgesehen davon, dass auskömmliche Berufshaftpflichtversi-cherungen für Bauingenieure immer schwerer zu erlangen sind, wirdeine Versicherung von Großrisiken – etwa bei Prüfungsaufträgen fürkomplexe Bauvorhaben der Bahn – von den Versicherungsgesellschaf-ten schlicht abgelehnt. Hier stellt sich im Schadensfall bei den beauf-tragten Prüfsachverständigen sehr schnell die Existenzfrage, wennsich der Staat in diesem Falle nicht schützend vor sie stellt. Soweit an-dere Stimmen einwenden, der Staat würde den Entzug der Amtshaf-tung durch eine bessere Ausbildung der einschlägigen Ingenieurberufekompensieren, so grenzt dies in Anbetracht der trostlosen Verhältnissean deutschen Hochschulen schon an Zynismus. Wenn es trotzdem im-mer noch kompetente Prüfsachverständige und -ingenieure gibt, dannliegt dies ganz gewiss nicht an der staatlichen Ausbildung, sondern andem unbedingten Lern- und Leistungswillen besonders befähigter Ein-zelner.

6 Weitere RechtsentwicklungNach alldem darf man auf die Berufungsentscheidung des Oberlan-desgerichts Hamm in dem vom Landgericht Paderborn entschiedenenFall gespannt sein. Den dort in Anspruch genommenen Prüfingenieu-ren wäre zu wünschen, dass das Gericht die landesgesetzlichen Vor-schriften über die Tätigkeit von staatlich anerkannten Prüfern in ver-fassungskonformer Weise so auslegen würde, dass eine werkvertragli-

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Der Prüfingenieur | November 2013 77

che Haftung verneint wird. Noch besser wäre es, wenn das Gericht imWege einer konkreten Normenkontrolle vom zuständigen Landesver-fassungsgericht ein für allemal klären ließe, dass die landesgesetzli-chen Regelungen keine Haftungsdelegation rechtfertigen können.

Im Übrigen hat das Oberlandesgericht Hamm erst jüngst entschieden,dass der vom Bauherrn beauftragte Prüfsachverständige nicht dessenErfüllungsgehilfe ist, weil er Aufgaben wahrnimmt, die dem Bereich derGefahrenabwehr zuzuordnen sind [23]. Gegen diese Entscheidung istNichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt wor-den. Auch in Bezug auf diesen Fall wäre zu wünschen, dass das höchstedeutsche Zivilgericht in Bezug auf die Tätigkeit und rechtliche Einord-nung der Arbeit von Prüfsachverständigen ein klärendes Wort spricht.

7 Literatur/Anmerkungen[1] LG Paderborn, Urteil vom 21.06.2012, 3 O 414/08[2] vgl. zu dieser Entwicklung ausführlich: Schulte, Schlanker Staat –

Privatisierung der Bauaufsicht durch Indienstnahme von Bauinge-nieuren und Architekten als staatlich anerkannte Sachverständige,BauR 3/98, S. 249 ff.

[3] Die in diesem Kapitel erwähnten Haftungsszenarien sind ausführ-lich beschrieben von Steiner in seinem Aufsatz „Entlastung nichtausgeschlossen: Wann muss der hoheitlich tätige Prüfingenieur fürFehler bei der Tragwerksplanung mithaften?“ im Deutschen Inge-nieurBlatt, 06/2011, S. 44 ff.

[4] BGH, Urteil vom 09.02.2012, IVV ZR 31/11, IBR 2012, 207[5] BGHZ 39, S. 358 ff.; OLG Jena, Beschluss vom 09.06.2004,

4 U 99/04; LG Bonn, Urteil vom 20.05.2009, 13 O 323/06; vgl.hierzu auch Locher in Locher/Koeble/Frick, HOAI-Kommentar,11. Auflage 2012, Einleitung, Rdnr. 357 ff.

[6] vgl. hierzu Steiner, Deutsches IngenieurBlatt 12/12, S. 62 ff.[7] vgl. Hammacher, Zur Haftung der Prüfsachverständigen und der

staatlich anerkannten Sachverständigen, Beitrag in: Der Bausach-verständige, 6/2012, S. 52 ff.; Schmidt, Besonderheiten der Haf-

[8] tung des Prüfsachverständigen, Beitrag in: NJW-Spezial, 2/2012,S. 44 ff.; Hanke, „Prüfingenieure“ haften nicht?!, Beitrag in ING-service Jan/Febr. 2013, S. 6 ff.

[8] vgl. Steiner, Tragwerksplanerhaftung unter Berücksichtigung derTätigkeit des Prüfingenieurs/Prüfsachverständigen, ZfBR 7/2009,S. 632 ff.; Entlastung nicht ausgeschlossen: Wann muss der ho-heitlich tätige Prüfingenieur für Fehler bei der Tragwerksplanungmithaften?, Deutsches IngenieurBlatt 06/2011, S. 44 ff.; Hoheit-lich oder privatrechtlich? Die bautechnische Prüfung: RechtlicheGrenzen der Privatisierung, Deutsches IngenieurBlatt 12/2012,S. 62 ff.

[9] BGH III ZR 394/99, Urteil vom 22.03.2001[10] LG Bonn, Urteil vom 20.05.2009, Geschäftszeichen 13 O 323/06[11] LG Paderborn, 3 O 414/08[12] vgl. Hanke, INGservice 1/2-2013[13] vgl. Hamacher, Der Bausachverständige 6-2010[14] zum Beispiel OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.05.2010[15] vgl. Schmidt, NJW Spezial, 2/2012[16] vgl. Gädtke, Czepuck, Johlen, Plietz, Wenzel, Kommentar BauO

NRW, Rdnr. 104 ff. zu § 72[17] vgl. Dieckert, Amtshaftung trotz Direktbeauftragung durch die

Bahn? Zivilrechtliche Haftung des Sachverständigen/Prüfers fürbautechnische Nachweise im Eisenbahnbau, in: EI Eisenbahnin-genieur 10/11, S. 19 ff.

[18] Dieser Begriff stammt aus der lateinischen Rechtssprache undbedeutet: „Die unrichtige Bezeichnung schadet nicht“. Schließenzwei Parteien beispielsweise einen Vertrag, nach dem Stunden-lohnarbeiten einer Putzerkolonne geschuldet sind, so wird ausdiesem – i. d. R. illegalen – Arbeitnehmerüberlassungsvertragauch dann kein Werkvertrag, wenn die Parteien diesen als sol-chen bezeichnen

[19] BGH, Urteil vom 25.03.1993, NJW 1993, 1784[20] Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des BGH[21] vgl. BGHZ 121, 161; OLG Hamm, NJW 2001, 376[22] [22] Steiner, Deutsches IngenieurBlatt 12/2012, S. 62 ff.[23] OLG Hamm, Urteil vom 12.04.2013, 12 U 75/12

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78 Der Prüfingenieur | November 2013

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Die meisten der in diesem Heft veröffentlichten Fachartikelsind überarbeitete Fassungen der Vorträge, die bei den Arbeitstagungender Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik gehalten worden sind.

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„Der Prüfingenieur“ erscheint mit zwei Ausgaben pro Jahr.Bestellungen sind an den Herausgeber zu richten.

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