+ All Categories
Home > Documents > Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279,...

Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279,...

Date post: 15-Jan-2017
Category:
Upload: doandiep
View: 213 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
17
Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 34. Jahrg., H. 1 (1917), pp. 311-326 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40906122 . Accessed: 13/06/2014 04:27 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions
Transcript
Page 1: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl.Nr. 279, über die GerichtsgebührenSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 34. Jahrg., H. 1 (1917), pp. 311-326Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40906122 .

Accessed: 13/06/2014 04:27

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at .http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp

.JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range ofcontent in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new formsof scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected].

.

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access toFinanzArchiv / Public Finance Analysis.

http://www.jstor.org

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 2: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.BL Nr. 279,

über die Gerichtsgebühren1). Allgemeiner Teil2).

Rückblick auf die Entwicklung des österreichischen Gerichtsgebührenwesens.

Die Gerichtsgebühren haben in der österreichischen Gebührengesetzgebung bisher eine verhältnismässig dürftige Behandlung erfahren. Die Vorschriften über diese Gebühren beruhten bis zum Zustandekommen der Gebührennovelle des Jahres 1897, und beruhen vielfach noch gegenwärtig, auf den Gesetzen vom 9. Februar 1850, R.G.Bl. Nr. 50, und vom 13. Dezember 1862, R.G.B1. Nr. 89, deren tarifarische Bestimmungen gerade bezüglich der Gerichtsgebühren eine eingreifendere Abstufung vermissen lassen. In den Jahrzehnten, die auf das Inkrafttreten des letztgenannten Gesetzes folgten, unterblieb - in auffallendem Gegensatze zur Weiterentwicklung anderer Zweige des Gebührenwesens - der Ausbau der Gerichtsgebühren fast gänzlich. Die Neuerungen auf diesem Gebiete beschränkten sich, wenn von untergeordneten Einzelvorschriften abgesehen wird, einerseits auf die Einführung degressiver Abgabensätze im streitigen und im Grundbuchsverfahren (Gesetz vom 29. Februar 1864, R.G.BL Nr. 20), anderseits auf die in den Gesetzen vom 9. Jänner 1869, R.G.Bl. Nr. 7, und vom 24. Mai 1873, R.G.B1. Nr. 97, enthaltenen Sonderbestimmungen für das Konkurs-, das Bagatell- und das Mahnverfahren, welche sich an die diese Verfahrensarten regelnden prozessualen Gesetze vom 25. Dezember 1868, R.G.Bl. Nr. 1 vom Jahre 1869, und vom 27. April 1873, R.G.Bl. Nr. 66 und Nr. 67, anlehnten.

Erst die grosse Zivilprozessreform der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gab den Anstoss zu einer eingreifenderen Neuregelung der Gerichtsgebührenvorschriften. Sowohl finanzielle als gebührentechnische Rücksichten Hessen das unveränderte Fortbestehen der bisherigen Bestimmungen über Gerichtsgebühren neben den am 1. Jänner 1898 ins Leben tretenden neuen Zivilprozessgesetzen als untunlich erscheinen. Denn einerseits hätte sich, in Er- manglung einer gesetzgeberischen Vorsorge auf gebührenrechtlichem Gebiete, als Folge der Einführung des mündlichen Prozessverfahrens wegen der damit ver- bundenen weitgehenden Beschränkung der Anzahl und des Umfanges der Partei- schriften und Protokolle ein auf mehrere Millionen Gulden geschätzter Ausfall an Gebühreneinnahmen ergeben, anderseits hätten sich bei Anwendung der alten Gebührenvorschriften im Rahmen des neuen Zivilprozesses auf Sohritt und Tritt oft fast unübersteigliche Schwierigkeiten und störende Lücken ergeben, von deren näherer Schilderung in diesem Zusammenhange füglich abgesehen werden kann (vgl. hierzu die im nichtamtlichen Teile der „Wiener Zeitung" vom 29. De- zember 1897 abgedruckten erläuternden Bemerkungen zur Kaiserlichen Ver- ordnung vom 26. Dezember 1897, R.G.B1. Nr. 305).

*) In betreff der ausserordentlichen Zuschläge vgl. Kaiserl. Verordn v. 28 August 181« (R,G Bl. Nr. 281). 2) Wir müssen wegen des grossen ümfangs die Wiedergabe der Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen und der Verordnung selbst unterlassen, glauben aber durch

Hitteilung des Allgemeinen Teils auf diese interessante Gesetzgebung hinweisen su müssen. D. H. - Vgl. auch Koczynski, üeber Wesen und Bedeutung der jüngstem Verkehrssteuerreform (Allg. österr. Gerichtszeitung 1915, S. 49«. 507 524) 311

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 3: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

312 Denkschrift zur österr. kaiserl. Verordn. vom 15. Sept. 1916 über die Gerichtsgebühren.

Diese Erwägungen führten damals zu dem Plane einer Reform der Gerichtsgebühren, die sich aber nach der ursprünglichen Absicht der Regierung nicht auf die Erfüllung der durch die neuen Zivilprozessgesetze ge- zeitigten unmittelbaren Anforderungen beschränken, sondern in Gestalt einer grosszügigen Kodifikation dieses ganze Teilgebiet des Gebühren- wesens einer selbständigen Neuregelung unterzi e.h e n sollte. Die Reform hätte nach der damaligen Absicht nicht nur die Gebühren im streitigen Verfahren, im Exekutions- und im Konkursverfahren umfasst, sondern dem Gebührenrechte auch neue Gebiete, und zwar das gesamte Straf- verfahren vor den ordentlichen Gerichten und das Gefällsstrafverfahren, er- schlossen. Nur ein Gebiet der Rechtspflege - das des Verfahrens ausser Streit- sachen - blieb damals ausser Betracht, weil zu jener Zeit eine baldige Um- gestaltung dieses Verfahrens in Aussicht zu stehen schien und man aus begreif- lichen Gründen dieser Reform nicht durch Massnahmen gebührenrechtlicher Natur vorgreifen wollte.

So kam es im Jahre 1897 zur Einbringung des Gesetz- entwurfes über die Gerichtsgebühren und des Entwurfes eines dazugehörigen Einführungsgesetzes im Abgeordnetenhause (Nr. 123 u. 124 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen der XII. Session, dann Nr. 181 und 182 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen der XIII. Session).

Bald zeigte sich jedoch, dass diese Gesetzesvorlage mit Rücksicht auf die damaligen parlamentarischen Verhältnisse keine Aussicht habe, rechtzeitig •- d. h. vor dem mit 1. Jänner 1898 bevorstehenden Wirksamkeitsbeginne der neuen Zivilprozessgesetze - vom Reichsrate verabschiedet zu werden. Durch die oben erörterte unabweisliche Notwendigkeit, die Gebührenvorschriften mit den neuen Prozessvorschriften in entsprechenden Einklang zu bringen, sah sich die Regierung veranlasst, die nicht länger aufschiebbare Abhilfe im Wege einer auf Grund des § 14 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, R.G.B1. Nr. 141, erlassenen Notverordnung zu treffen.

Auf diese Weise entstand die Kaiserliche Verordnung vom 2 6. Dezember 189 7, R.G.B1. Nr. 305, die sich, ihrer unmittelbaren Auf^ gabe entsprechend, unter vorläufigem Verzicht auf eine ein- greifende Reform, lediglich das Ziel setzte, den Staats- schatz vor einer allzu empfindlichen Einbusse an G e- bühreninfolgedesneuenProzessverfahrenszuschützen, und weiters die gebührengesetzlichen Bestimmungen im Interesse einer klaglosen Geschäftsführung den neuen Prozess-gesetzen anzupassen.

Dem ersteren Zwecke diente , nebst der Neuregelung der Bestim- mungen über die Festsetzung der Bemessungsgrundlage für die prozentuellen Urteilsgebühren, hauptsächlich die Ersetzung des 36-Kreuzer- Stempels für ge- richtliche Eingaben, Protokolle und gerichtliche Abschriften durch die Gebühr von 60 Kreuzern = 1 Krone, eine Erhöhung, welcher allerdings mehrfache Er- leichterungen gegenüberstanden, wie die Abschaffung des Rubrikenstempels, die Milderung der Vorschriften über die gebührenrechtlichen Folgen des gerichtlichen Gebrauches bedingt gebührenfreier Urkunden, die Erweiterung des Armen- rechtes usw. Die meisten anderen Bestimmungen der Novelle vom Jahre 1897 hatten den zweitgenanntenZweck, das ist die Anpassung der Gebühren- normen an die neuen Prozessvorschriften im Auge; zu dieser Gattung gehören insbesondere die Bestimmungen über die Bewertung des Streitgegenstandes im Zivilprozesse zum Zwecke der Gebührenermittlung, über die Behandlung von Exekutionsbewilligungen auf Grund ausländischer Akte und Urkunden, dann über die Gebühren für die Eintragung gewisser bücherlicher Anmerkungen im Exekutionsverfahren,

Die Kaiserliche Verordnung vom 26. Dezember 1897, R.G.B1. Nr. 305, bildete die Grundlage für einen vom Verfassungsausschusse des Abgeordneten- hauses in der XX. Session (Nr. 994 der Beilagen zu den stenographischen Proto-r kollen des Abgeordnetenhauses) beschlossenen, von dieser Verordnung nur un- wesentlich abweichenden Gesetzentwurf über die Abänderung der Gerichts-

31S

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 4: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

Denkschrift zur österr. kaiterl. Verordn. vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren, g jg

gebühren, welcher jedoch vom Plenum des Abgeordnetenhauses nicht in Be- ratung gezogen wurde. Der Vollständigkeit wegen sei noch bemerkt, dass in die Gerichtsentlastungsnovelle (Kaiserliche Verordnung vom 1. Juni 1914, R.G.BL Nr. 118) im Anschlüsse an die darin vorgesehenen zivilprozessualen Bestimmungen (insbesondere an die Erweiterung des Mahnverfahrens, die Vorschriften über Urteils vermerke usw.) auch gebühren rechtliche Anordnungen von Verhältnis - massig untergeordneter Bedeutung (Art. XIII u. XIV) aufgenommen wurden. In allerjüngster Zeit endlich wurden mit Art. XIV der Kaiserlichen Verordnung vom 10. Dezember 1914, R.G.BL Nr. 337, für das Konkursverfahren und das Ausgleichsverfahren neue Gebührenbestimmungen erlassen.

Begründung des Bedürfnisses für eine Reform der Gerichtsgebühren.

Aus diesem Rückblicke auf die historische Entwicklung des österreichischen Gerichtsgebührenwesens ergibt sich, dass der bisher igeRecht s zustand, vom Standpunkte der Forderung nach klaren und über- sichtlichen Normen aus betrachtet, ein höchst unbe- friedigender war. Neben der Novelle vom Jahre 1897 galt noch - von zahlreichen minder bedeutenden Gesetzen abgesehen - ein Teil der die Gerichts- gebühren betreffenden Bestimmungen der Gesetze aus den Jahren 1850, 1862, 1864 und 1873, während ein anderer Teil dieser Bestimmungen ausdrücklich aufgehoben oder infolge der späteren Vorschriften gegenstandslos geworden war. Im Laufe der Jahrzehnte wurde sozusagen Novelle auf Novelle gepfropft, und nur dem Fachmann war es möglich, sich in dem Gewirre dieser Vorschriften zurechtzufinden.

Stellte sich von diesem Gesichtspunkte aus eine kodifikatorische Zusammen- fassung der Gerichtsgebührenvorschriften als ein Gebot des praktischen Bedürf- nisses dar, so drängten auch schwerwiegende staatsfinanzielle und abgabenpolitische Erwägungen zu einer eingreifenden Reform dieses Zweiges des Gebührenrechtes.

In dieser Hinsicht ist ein Vergleich der österreichischen Gerichtsgebührenbestimmungen mit denen des Aus- landes besonders lehrreich, und es zeigt sich auf den ersten Blick, dass nament- lich im Deutschen Reiche, zum grossen Teile aber auch in Frank- reich und in Italien, für die Inanspruchnahme der gerichtlichen Tätigkeit bedeutend höhere Gebühren zu leisten sind, als dies nach den bisherigen öster- reichischen Gesetzen der Fall war. Bezüglich der Einzelbestimmungen dieser ausländischen Gesetzesvorschriften sei auf die Darstellung im III. Abschnitte dieser Denkschrift verwiesen. Hier mögen als illustrative Belege für das Ver- hältnis der die Gerichtsgebühren betreffenden bisherigen österreichischen Gesetz- gebung zu der des Deutschen Reiches folgende Beispiele Platz finden:

A. In einem alle drei Instanzen durchlaufenden Zivilprozesse über eine Klage auf Leistung eines Wertbetrages von 50,000 M. ( = rund 60,000 K) ist zu entrichten:

1. Nach dem deutschen Gerichtskostengesetze: a) für das Verfahren in erster Instanz, und zwar für die kontradiktorische

mündliche Verhandlung, für die Beweisaufnahme und für die Endentscheidung je 290 M., zusammen 870.- -M.;

b) für das Verfahren in zweiter Instanz im ganzen . . . 1087.50 „ oder, wenn eine neue Beweisaufnahme nicht stattfindet, 725 M. c) für das Verfahren in dritter Instanz im ganzen ... 1740. - ,. oder, wenn eine neue Beweisaufnahme nicht stattfindet,

1160 M.; die Gesamtgebühr in allen drei Instanzen beträgt somit . . 3697.50 Äl.-

oder, wenn Beweisaufnahmen nur in erster Instanz vorgenommen wurden, 2755 M., was im ersteren Falle einer Belastung des Wertes des Streitgegenstandes mit ungefähr 7,4 %, im letzteren Falle mit ungefähr 5,5 % gleichkommt. (Bei einem Werte des Streitgegenstandes von 10,000 M. beträgt die Maximalbelastung 313

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 5: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

g 14 Denkschrift zur österr. kaiser!. Verordn. vom 15. Sept. 1915 über die Gerich tsgebübren.

sogar 11,475 %.) Finden im Zuge des Prozesses Inzidenzstreitigkeiten statt, so ist die Gebühr noch wesentlich höher. Ausserdem sind in allen Fällen noch die baren Auslagen (Schreibgebühren, Ediktsgebühren, Gebühren für Zeugen und Sachverständige usw.) von der Partei zu ersetzen.

2. Nach den bisher in Geltung gestandenen österreichischen Gesetzen: Die Urteilsgebühr in erster Instanz betrug 5/8% vom Werte des

Streitgegenstandes, im vorliegenden Falle also 375 K; die Urteile zweiter und dritter Instanz waren gebührenfrei. Ausser-

dem waren in der Regel nur noch die festen Stempelgebühren für Ein- gaben, Protokolle und Beilagen zu entrichten, deren Gesamtbetrag von den besonderen Verhältnissen jedes einzelnen Falles abhängt. Nimmt man an, dass diese festen Stempelgebühren zusammen 225 „ ausmachen, was wohl sicher eher zu hoch gegriffen ist, so hätte sich die gesamte Gebührenlast für diesen Prozess auf 600 K, d. i. auf 1 % vom Werte des Streitgegenstandes, belaufen.

B. Für ein durch Schlussverteilung beendigtes Konkursverfahren ist bei einem Werte der Konkursmasse von 100,000 M. nach dem deutschen Gerichtskostengesetze eine Gebühr von 1080 M., d. i. mehr als 1 % des Masse - wertes, zu entrichten; ausserdem für die Prüfung der angemeldeten Konkurs- forderungen - unter der nur ausnahmsweise zutreffenden Annahme, dass deren Gesamtsumme den Wert der Masse nicht oder nur ganz unwesentlich übersteigt, während andernfalls die Gebühr eine noch höhere ist - 540 M., d. i. mehr als Va % des Massewertes, für jeden Prüfungstermin. Unter der Annahme, dass sich die Summe der angemeldeten Forderungen mit der Aktivmasse ungefähr deckt, und dass nur ein einziger Prüfungstermin stattfindet, beträgt daher die Gesamt - gebühr über l1/2 %, oder genauer 1,62 %; hierzu kommen dann noch die Schreib - gebühren und sonstigen baren Auslagen. Die österreichischen Gebührengesetze kannten derartige Abgaben im Konkursverfahren bis zum Inkrafttreten der Kaiserlichen Verordnung vom 10. Dezember 1914, R.G.B1. Nr. 337, überhaupt nicht, sondern begnügten sich mit den geringfügigen festen Stempelgebühren für Eingaben, Protokolle und deren Beilagen.

C. Aus dem Gebiete des ausser streitigen Verfahrens, das im Deutschen Reiche in gebührenrechtlicher Beziehung der bundesstaatlichen Gesetzgebung anheimgegeben ist, sei ein das Vormundschafts wesen in Preussen betreffendes Beispiel herausgegriffen. Für die gerichtliche Ob- sorge über das Mündelvermögen ist nach dem Preussischen Gerichtskostengesetze, unter der Annahme, dass das Vermögen des Mündels 50,000 M. beträgt und jähr- liche Einkünfte im Betrage von 2500 M. abwirft, ausser der Vergütung der in jedem einzelnen Falle verschiedenen Barauslagen (Schreibgebühren u. dgl.) zu entrichten:

1. bei Beendigung der Vormundschaft eine einmalige Gebühr von 125 M., d. i. V4 % des Vermögens,

2. während der Dauer der Vormundschaft eine jährliche Gebühr von 12 M 50 Pf., d. i. V2 % àer Einkünfte.

Auch hier war bisher der österreichischen Gebührengesetzgebung eine dem Umfange der gerichtlichen Tätigkeit auch nur einigermassen entsprechende Ge- bührenlast vollständig fremd, da im Verfahren ausser Streitsachen (wenn von den Gebühren für Eintragungen in öffentliche Bücher abgesehen wird) nur gering- fügige feste Gebühren zur Einhebung gelangten. Ganz ähnlich verhalt es sich mit den Gebühren für die gerichtliche Obsorge über Fideikommisse, die in den deutschen Bundesstaaten den Gegenstand hoher Gerichtsgebühren bildet.

D. Das Strafverfahren über Privatanklagedelikt eist im Deutschen Reiche, abgesehen von gewissen Einzelgebühren, als Ganzes einer Gebühr unterworfen, die, wenn das Verfahren durch Urteil beendet wird, 20 M. oder 15 M. beträgt, je nachdem, ob eine Beweisaufnahme stattgefunden hat oder nicht. Nach österreichischem Rechte war dieses Verfahren - wie das Straf- verfahren überhaupt - bisher von den Stempel- und unmittelbaren Gebühren gänzlich befreit.

311

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 6: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

Denkschrift zur osterr. kaiser]. Verordn. vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren, g jg

Wenn auch diese wenigen Beispiele selbstverständlich nicht genügen, um einen erschöpfenden Vergleich zwischen den bisherigen österreichischen Vor- schriften und denen des Deutschen Reiches zu ziehen, so dürften sie doch aus- reichen, um in augenfälliger Weise darzutun, dass die österreichischen Gerichts- gebühren von der zulässigen Belastungsgrenze weit entfernt waren und sich zum Teil sogar noch in einem ganz zurückgebliebenen Entwicklungszustande befanden.

Wie unbefriedigend dieser Rechtszustand für die Staatsfinanzen und wie wenig er vom abgabenpolitischen Standpunkte gerechtfertigt war, ergibt sich auch aus einem Vergleiche zwischen den Kosten der staat- lichen Gerichtspflege und dem Ertrage der Gerichts- gebühren. Das Erfordernis für die k. k. Gerichte (mit Einschluss des Obersten Gerichtshofes), welches im Staatsvoranschlage für das Jahr 1896 nur mit rund 19,25 Mill. Gulden = 38,5 Mill. K eingestellt war, wurde im Staatsvoranschlage für das Jahr 1913 mit rund 80 Mill. K präliminiert. Der Ertrag an Gerichts- gebühren lässt sich zwar ziffermässig genau nicht ermitteln, da derjenige Teil dieser Gebühren, der in Stempelmarken entrichtet wird, einen statistisch nicht erfassbaren Bestandteil des Erträgnisses des allgemeinen Stempelmarkenver- schleisses bildet. Immerhin kann dieser Teil des Gerichtsgebührenertrages auf Grund der Daten über den Verbrauch der einzelnen Stempelmarkengattungen wenigstens annähernd geschätzt werden, und man gelangt hierbei zu der An- nahme, dass der Gesamtertrag der Gerichtsgebühren mit Einschluss der unmittel- bar entrichteten Urteilsgebühren und der Verwahrungsgebühren im Durchschnitte der Jahre 1910 bis 1912 rund 16 Mill. K, oder, bei Hinzurechnung der unmittelbar entrichteten Eintragungsgebühren, rund 26 Mill. K betragen haben dürfte; übrigens sind die Eintragungsgebühren wegen ihres zum überwiegenden Teile verkehrssteuerartigen Charakters als Gerichtsgebühren im technischen Sinne des Wortes nicht anzusehen und sollten daher bei Berechnung des Ertrages der Gerichtsgebühren ausser Anschlag bleiben. Demnach waren nur etwa 20 % des Kostenaufwandes der Gerichte durch die Gerichtsgebühren gedeckt.

Der Vergleich zwischen dem den Gerichten gewidmeten Erfordernisse im Etat der österreichischen Justizverwaltung und den bisherigen Eingängen an Gerichtsgebühren ergibt demnach, dass ein verhältnismässig nur geringer Teil- betrag des sachlichen und persönlichen Erfordernisses der Gerichte durch die Gebührenleistungen derjenigen gedeckt war, welche die Tätigkeit der Gerichte für ihre privaten Interessen in Anspruch nehmen, während der weitaus über- wiegende Teil dieser Kosten den Steuerträgern im allgemeinen zur Last fiel, ohne Rücksicht darauf, ob sie die Hilfe der Gerichte anrufen oder nicht. Wenn es auch von vornherein ausgeschlossen ist, den Sach- und Personalaufwand der Gerichte durch die anlässlich der gerichtlichen Amtshandlungen einzuhebenden Gebühren auch nur annähernd zu decken, so war doch das auffallende Miss- verhältnis, welches bisher zwischen diesem Aufwände und dem erwähnten Ge- bührenertrage herrschte, und welches in der Unzulänglichkeit der österreichischen Gerichtsgebühren seinen Grund hatte, vom finanzpolitischen Standpunkte im höchsten Grade zu bedauern. Auch in dieser Hinsicht ist ein Vergleich mit dem Deutschen Reiche von Interesse. Dort waren, wie aus den „Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reiches", 2. Heft, 1913, zu entnehmen ist, die Ge- richtsgebühren in allen Bundesstaaten zusammen für das Jahr 1912 mit rund 18472 Mill. M. veranschlagt, wovon auf Preussen allein rund 115 Mill. M. oder, nach Abzug der in dieser Summe mitenthaltenen Stempelgebühren von Ur- kunden, 100 Mill. M. entfallen; von den im preussischen Etat für das Jahr 1912 veranschlagten Kosten der Gerichte im Betrage von rund 177,4 Mill. M. waren somit etwa 56,4 % durch den Ertrag der Gerichtsgebühren gedeckt.

Die vorstehenden Darlegungen drängen zu dem Schlüsse, dass es nicht nur vom gebührentechnischen, sondern auch vom finanzpolitischen Standpunkte ein Gebot dringender Notwendigkeit war, den im Jahre 1 8 9 7 vertagten Reformplan wiederaufzugreifen und an einen organischen Ausbau unseres Gerichtsgebührenwesens zu schreiten. Die in ständiger Ausdehnung begriffenen Verwaltungsaufgaben des Staates und die von Jahr zu Jahr sich steigernden Ansprüche an den Staatsschatz, mit denen

Rio

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 7: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

gjß Denkschrift zur österr kaiseil. Verordñ. vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren.

die natürliche Entwicklung der staatlichen Einnahmen nicht Schritt zu halten vermag, nötigten bekanntlich schon längst die Finanzverwaltung, der Erschliessung neuer und der schärferen Erfassung bestehender Abgabequellen ihr besonderes Augenmerk zuzuwenden, und die infolge des Kriegszustandes erwachsenden un- geheuren Lasten, sowie der durch den Einfluss der kriegerischen Ereignisse auf das Erwerbs- und Verkehrsleben bewirkte Ausfall in den laufenden Staatsein- nahmen lassen einen weiteren Aufschub der diesem Zwecke dienenden Mass- nahmen untunlich erscheinen. Da gich gerade auf dem Gebiete der Gerichts - gebühren eine wenn auch bescheidene Vermehrung der Staatseinnahmen ver- hältnismässig leicht und ohne allzu empfindliche Belastung der betroffenen Be- völkerungskreise erreichen lässt, entschloss sich die Regierung, die Reform dieser Gebühren im Wege einer auf Grund des § 14 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, R.G.B1. Nr. 141, erlassenen Kaiserlichen Verordnung zu ver- wirklichen.

Diese Kaiserliche Verordnung beruht im grossen und ganzen auf ähnlichen Grundgedanken wie die Regierungsvorlage vom Jahre 1897, unterscheidet sich jedoch von der letzteren sehr wesentlich sowohl hinsichtlich ihres stofflichen Umf anges als auch hinsichtlich ihrer Einzelbestimmungen, namentlich auf tarifa - rischem Gebiete.

Stoffliche Gliederung der Kaiserlichen Verordnung. Was zunächst den stofflichen Umfang anbelangt, so regelt die

Kaiserliche Verordnung die Gerichtsgebühren 1. im streitigen Verfahren (mit Einschluss des Verfahrens vor den Gewerbegerichten, vor Schiedsgerichten und Schiedsrichtern), 2. im Exekutionsverfahren (mit Einschluss des Sicherungsver- fahrens), 3. im Konkurs- und Ausgleichsverfahren, 4. im gerichtlichen Verfahren ausser Streitsachen und 5. im Strafverfahren auf Grund von Privatanklagen. Die Kaiserliche Verordnung reicht somit über den Rahmen der Regierungsvorlage vom Jahre 1897 insofern hinaus, als sie auch das Verfahren ausser Streitsachen umfasst, dies in der Erwägung, dass die oberwähnten Gründe, welche damals gegen die Einbeziehung dieses Teilgebietes des gerichtlichen Verfahrens sprachen, gegenwärtig nicht mehr massgebend sind. Anderseits igt aber der Bereich der Verordnung ein teilweise engerer, da - aus den im weiteren Verlaufe dieser Dar- stellung zu erörternden Gründen - auf die im Jahre 1897 geplante Einführung von Gebühren im offiziösen Strafverfahren und im Gefällsstrafverfahren der- malen verzichtet wurde.

Die Abweichungen in den Einzelbestimmungen zwischen der Kaiserlichen Verordnung und der seinerzeitigen Vorlage werden, soweit dies für das Verständnis der ersteren wünschenswert erscheint, an den entsprechenden Stellen dieser Denkschrift ihre Erläuterung finden; sie fussen, abgesehen von finanziellen Er- wägungen, zum grossen Teile auf den Erfahrungen, die seither auf den Gebieten des gerichtlichen Verfahrens und des Gebührenrechtes gesammelt wurden.

Grundsätze für die Aufstellung des Tarifes. Der Kaiserlichen Verordnung ist als wesentlicher Bestandteil der Tarif

der Gerichtsgebühren angegliedert. Bevor an die Erörterung der wichtigsten Gesichtspunkte geschritten wird, welche für die Gestaltung des Tarifes hinsichtlich der einzelnen Arten des gerichtlichen Verfahrens richtunggebend waren, mag daran erinnert werden, dass bei den Gerichtsgebühren die Aufstellung eines finanzpolitisch angemessenen Tarifes nach einem einzigen, einheit- lichen Grundsatze überhaupt nicht möglich ist, vielmehr bei Festsetzung der Gebührenlast im allgemeinen auf zwei nicht durchwegs miteinander überein- stimmende Gesichtspunkte Bedacht genommen werden muss: auf der einen Seite ist dies die Arbeitsleistung des Gerichtes, als deren Vergütung sich die Gebühr darstellt, auf der anderen Seite dieHöhedesInteresses der Partei an dem Ergebnisse dieser Arbeitsleistung. Je richtiger diese beiden Faktoren bei Feststellung der einzelnen Tarifsätze gegen- einander abgewogen sind, desto angemessener und gerechter wird der Gerichts-

316

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 8: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

Denkschrift zur österr. kaiserl. Verordu vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren. 3 ' 7

gebührentarif ausfallen. Der Tarif der Kaiserlichen Verordnung ist bestrebt, diesen Forderungen zu entsprechen, sucht daneben aber auch, so weit als tun- lich, der individuellen Leistungsfähigkeit Rechnung zu tragen, was durch entsprechende Abstufung der Gebührensätze, schonendere Behand- lung der geringfügigeren Streitsachen, Gebührenbefreiung zugunsten der wirt- schaftlich Schwächeren im ausserstreitigen Verfahren, insbesondere aber durch Aufrechterhaltung der Bestimmungen über das Armenrecht geschehen ist, welches auf alle im Tarife behandelten Verfahrensarten ausgedehnt wurde und den unbemittelten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit bietet, die Tätigkeit der Gerichte unentgeltlich in Anspruch zu nehmen.

Die oben angeführten beiden Massstäbe, die als Grundlage für den Tarif der Gerichtsgebühren dienen können, führen zu zwei verschiedenen Systemen für die Veranlagung der Gerichtsgebühren. Werden nämlich nur die Kosten ins Auge gefasst, die ein gerichtliches Verfahren dem Staate tatsächlich ver- ursacht, Kosten, die von dem Werte des Gegenstandes der gerichtlichen Amts- handlung ziemlich unabhängig sind, so werden feste Gebührenfür jede einzelne Amtshandlung oder jede einzelne Schrift als zweckmässigste Form der Vergütung angesehen werden müssen; wenn dagegen der Wert, den die Rechtshilfe für die Partei hat, den Massstab der als Gegen- leistung einzuhebenden Gebühr bilden soll, ergeben sich proportionelle Gebühren nach dem Werte des Streitgegenstandes oder des in Betracht kommenden Interesses, Gebühren, die ohne Rücksicht auf den Umfang des Ver- fahrens und die Anzahl der einzelnen Amtshandlungen, sowie auf die Zahl und den Umfang der Schriften, für das ganze Verfahren einheitlich einzuheben sind.

Von diesen beiden Grundsätzen eignet sich keiner zur ausschliesslichen Anwendung; denn aus festen Gebühren allein könnte ein angemessener Ertrag offenbar nur bei einer für kleine Rechtssachen sehr empfindlichen, für bedeutendere Rechtssachen dagegen selbst bei Aufstellung hoher Tarifsätze noch immer kaum fühlbaren Höhe der Abgabe erzielt werden; blosse Proportionalgebühren würden dagegen die kleinen Rechtssachen in einer mit dem Arbeitsauf wände des Ge- richtes ausser allem Verhältnis stehenden, daher unbilligen und, soweit das treitige Verfahren in Betracht kommt, die Prozesssucht bedenklich fördernden Weise begünstigen.

Die Gesetzgebungen vereinigen daher in der Regel die beiden genannten Bemessungsgrundsätze. Im einzelnen gehen sie aber dabei in verschiedener Weise zu Werke. In den meisten Staaten, so in Frankreich, in Italien, bestehen, wie auch in der bisherigen österreichischen Gesetzgebung, feste Gebühren für die einzelnen Amtshandlungen, daneben aber für gewisse besonders wichtige Akte, insbesondere für Urteile, prozentuelle Abgaben. Im Deutschen Reiche (Reichs- gerichtskostengesetz) und in einer Reihe deutscher Bundesstaaten (z. B. Preussen, Bayern) sind dagegen alle Gerichtskosten - mit geringen Ausnahmen - Wert- gebühren; es wird aber der Tatsache, dass die Mühewaltung des Gerichtes nicht im Verhältnisse mit dem Werte des Geschäftsgegenstandes wächst, dadurch Rechnung getragen, dass die Bemessungsskalen umgekehrt progressiv eingerichtet sind; ferner wird zwar nicht jede einzelne Amtshandlung abgesondert vergebührt, aber es wird doch das Verfahren nach gewissen Abschnitten und ausserdem auch eine Anzahl einzelner Akte der Gebühr unterzogen, und dadurch gleichfalls eine Abstufung der Belastung je nach dem Umfange des mit der gerichtlichen Amts- handlung verbundenen Zeit- und Müheaufwandes erzielt (vgl. den III. Abschnitt der Denkschrift).

Das erstere System pflegt man als Einzelgebührensystem, das letztere als Pauschgebührensystem zu bezeichnen.

Zivilprozess und Exekutionsverfahren. Die Frage, welchem dieser beiden Systeme der Vorzug zu geben sei, ist für

die einzelnen Verfahrensarten verschieden zu beantworten. Zunächst sei sie hier für den Bereich des Zivilprozesses und des Exekutionsver- fahrens erörtert.

317

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 9: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

3Jg Denkschrift zur österr kaiserl. Voroidn. vom lõ. Sept. 1915 über die Gerichtsgebtthre«.

Auf diesen beiden Gebieten des Gerichtsverfahrens spricht für das Einzelgebühr ens y s te m im Vergleiche zum Pause h system zunächst der Umstand, dass das erstere, indem es die Gebührenleistung nicht nur nach dem Gegenstandswerte, sondern auch nach dem konkreten Verlaufe jedes einzelnen Prozesses, insbesondere nach der hierdurch dem Gerichte ver- ursachten Mühe individualisiert, zweifellos als das gerechtere erscheint. Allerdings findet sich auch bei dem auf dem Pauschsysteme beruhenden deutschen Gerichts- kostengesetze, wie bereits bemerkt, eine gewisse Individualisierung der Gebühren- leistung je nach dem Verlaufe der Prozesse; aber diese Individualisierung ist eben nichts anderes als ein unausweichliches Zugeständnis an den Grundsatz der Einzelgebühren und eine Abweichung vom reinen Pauschsysteme, durch welche dessen Hauptvorzug - die Möglichkeit der Vorausberechnung der Prozess- kosten - in Frage gestellt wird.

Wenn nämlich auch nach den §§18 und 28 des deutschen Gerichtskost en - gesetzes die sogenannte „volle Gebühr" im Zivilprozesse in jeder Instanz in der Regel höchstens dreimal zu entrichten ist, so ist doch einerseits stets die Möglich- keit gegeben, dass der hiernach berechnete Höchstbetrag der Gebühr, welcher für alle drei Instanzen zusammengenommen eine ziemlich empfindliche Belastung bildet, tatsächlich nicht erreicht werden wird; anderseits ist aber auch eine Ueberschreitung dieses Höchstbetrages nicht ausgeschlossen, da das Verfahren über eine ganze Reihe von Zwischen- und Nebenanträgen, sowie von Anträgen im Zuge der Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Gebührenerhebung als be- sonderer Rechtsstreit behandelt wird (§39 des deutschen Gerichtskostengesetzes). Auch nach der Gesetzgebung des Deutschen Reiches kann daher vor Eintritt in einen Rechtsstreit nicht genau die damit verbundene Gebührenlast, sondern bestenfalls nur deren Höchstbetrag und Mindestbetrag vorausberechnet werden, zwischen welchen eine oft sehr erhebliche Spannung besteht. Hierzu kommt noch, dass neben den Pauschgel^ühren auch die baren Auslagen (Schreib-, Zeugen- gebühren usw.) zu vergüten sind, deren Höhe in der Regel vorweg überhaupt nicht berechnet werden kann.

Gerade das Beispiel des deutschen Gerichtskostengesetzes, dieses so her- vorragenden Gesetzgebungswerkes, zeigt wohl deutlich die unüberwindlichen Schwierigkeiten, die der Durchführung einer wirklichen Pauschalierung der Gerichtsgebühren im Zivilprozess und im Exekutionsverfahren entgegenstehen.

Eine solche Pauschalierung ist übrigens auch nicht der richtige Weg, um den Parteien einen Ueberschlag der Gerichtskosten im vorhinein zu erleichtern. Nicht die Gebührenvorschriften, sondern die Prozessvorschriften sind es in erster Linie, welche dazu führen müssen. Je einfacher das Prozessverfahren ist, je strenger Verschleppungen und Abschweifungen, die vom eigentlichen Prozess- zwecke ablenken, entgegengetreten wird, desto sicherer kann der Gang des Rechts- streites und die ihm notwendigerweise angepasste Gebührenleistung auch beim Bestände eines Einzelgebührensystems vorausgesehen werden. Dass nun gerade in dieser Beziehung die österreichischen Prozessgesetze vom Jahre 1895 und 1896 eine segensreiche Wandlung des früheren Zustandes hervorgerufen haben, kann keinem Zweifel unterliegen.

Ein weiterer schwerwiegender Grund, der gegen die Einführung eines Pauschgebührensystems nach deutschem Muster sprach, ist darin gelegen, dass dessen Durchführung mit erheblich grösseren Opfern an Mühe und Kosten ver- bunden wäre, als die eines Einzelgebührensystems. Das Pauschsystem ist nämlich mit der Form der Gebühreneinhebung durch den Stempel unvereinbar und er- fordert für jeden Prozess die Vornahme einer amtlichen Bemessung, und zwar erst nach Abschluss des Verfahrens, da in der Regel eben das ganze Verfahren als Einheit Gegenstand der Pauschgebühr ist, die je nach dem Verlaufe dieses Verfahrens verschieden bemessen werden muss. Welche erhebliche Arbeitsver- mehrung durch ein solches umständliches Einschätzungsverfahren für jeden einzelnen, auch den kleinsten Prozess, dann durch die Eintreibung und Ver- rechnung der bemessenen Gebühren im Vergleiche zu der gegenwärtigen Stempe- lung der einzelnen Prozessakten entstehen würde, liegt auf der Hand, und es ist auch offenbar, dass eine solche Massregel mit Rücksicht auf die damit ver-

818

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 10: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

Denkschrift zur österr. kaiserl. Verordn. vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren. g j Q

bundenen bedeutenden Mehrkosten nur unter der Voraussetzung sehr hoher Gerichtsgebühren, etwa wie sie in Deutschland bestehen, für den Staatsschatz: einträglich wäre. Hierzu kommt noch, dass der Aufschub der Einhebung der gesamten Prozessgebühren bis nach Beendigung des Rechtsstreites die Einbring- lichkeit eines grossen Teiles dieser Gebühren ernstlich gefährden würde und daher nur bei gleichzeitiger Einführung der in Deutschland bestehenden, in Oesterreich aber bisher unbekannten Einrichtung des Gebührenvor- Schusses, d. i. einer grösseren Gebührenvorauszahlung der anträgst eilenden Partei vor Beginn des Verf ahrens, annehmbar wäre ; dass aber hierdurch minder- bemittelten Parteien die Rechtsverfolgung im Vergleiche zur gegenwärtigen Gesetzgebung, die eine allmähliche Gebührenentrichtung in kleinen Teilbeträgen mittels des Stempels zulässt, sehr erheblich erschwert würde, bedarf wohl keiner Ausführung.

Die Regierung hat sich daher, ebenso wie im Jahre 1897, für die Bei- behaltung des - zumindest für die österreichischen Verhältnisse passenderen - f- Systems der Einzelgebühren auf dem Gebiete des Zivilprozesses und des Exe- kutionsverfahrens entschieden.

Was die Art der Ausgestaltung des Einzelgebühren- systems für diese beiden Verfahrensarten anbelangt, so sei hierüber, als für die Beurteilung des Tarifes der Kaiserlichen Verordnung besonders bemerkens- wert, folgendes hervorgehoben;

1. Der Tarif umfasst im wesentlichen dieselben Gegenstände, die auch nach dem bisherigen Rechte den Gerichtsgebühren unterworfen waren, und zwar Eingaben, Protokolle und deren Beilagen, Duplikate gerichtlicher Aus- fertigungen, gerichtliche Abschriften und gerichtliche Entscheidungen (Erkennt- nisse, Urteile, Beschlüsse); hierzu kommen noch die nicht in den Rahmen der Gerichtsgebühren im engeren Sinne fallenden schiedsrichterlichen Entscheidungen und gerichtlichen Vergleiche. An der im Jahre 1897 eingeführten Gebühren^ freiheit der Rubriken wurde festgehalten.

2. Als ein wesentlicher und den finanziellen Ertrag sehr beeinträchtigender Mangel des bisherigen Gerichtsgebührensystems ist es zu bezeichnen, dass für das Verfahren in den höheren Instanzen zum Teile überhaupt keine, zum Teile nur ganz unzulängliche Gebühren eingehoben wurden. Die Gebühren für Eingaben und Protokolle im Rechtsmittelverfahren standen zu der von den höheren Gerichten aufgewendeten Mühewaltung ausser jedem Ver* häitnisse, und die Tatsache, dass hier von den Gerichten qualifiziertere Arbeit unter Aufwendung höherer Regiekosten geleistet wird, blieb daher bei der Ge- bührenveranlagung so gut wie ganz ausser Betracht. Vom abgabenpolitischen Standpunkte ungerechtfertigt war es insbesondere, dass die Urteilsgebühr nur für die Entscheidung der ersten Instanz, nicht auch für die der höheren Instanzen eingehoben wurde, während z.B. nach dem deutschen Gerichtskostengesetze für die Entscheidung der zweiten Instanz eine um ein Viertel höhere Gebühr als für das erstinstanzliche Urteil, für die Entscheidung der dritten Instanz sogar das Doppelte der für das Urteil der ersten Instanz geleisteten Gebühr entrichtet werden muss. In dem vorliegenden Tarife ist in dieser Hinsicht eine entsprechende, wenn auch an die Ansprüche des deutschen Gerichtskostengesetzes bei weitem nicht heranreichende Ausgestaltung der Gebührensätze vorgesehen. 3. Bezüglich der Eingabengebühren wurde im Vergleiche mit dem bisherigen Rechtszustande nach zwei verschiedenen Richtungen eine eingreifendere Gliederung vorgenommen:

a) Die Abstufung nach dem Werte des Streitgegenstandes war bisher nur insofern durchgeführt, als zwischen einem Werte bis zu 100 K und einem höheren Werte des Streitgegenstandes unterschieden wurde. Der neue Tarif lässt die bisherigen Tarifsätze bei einem Gegenstandswerte bis zu 1000 K für gewöhnliche Eingaben - wenn von einer aus gebührentechnischen Gründen wünschenswerten Abrundung des unzweckmässigen Gebührensatzes von 24 h auf 30 h abgesehen wird - unberührt, so dass es bei einem Werte des Streitgegenstandes zwischen 100 und 1000 K bei dem Normalsatze von 1 K per Bogen verbleibt; für höhere Gegenstandswerte dagegen wurden, entsprechend dem höheren Parteiinteresse

319

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 11: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

320 Denkschrift zur österr. kaiserl. Verordn. vom 15 Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren.

und der grösseren Leistungsfähigkeit, neue Tarifsätze angefügt, welche für jeden Bogen der Eingabe 2 K in der Wertstufe von über 1000 bis 5000 K, 2 K 50 h in der Wertstufe von über 5000 bis 10,000 K und 3 K in der Wertstufe von über 10,000 K betragen.

b) Neben diesen Gebührensätzen, die als die gewöhnlichen Eingaben- gebühren im Zivilprozesse und im Exekutionsverfahren bezeichnet werden können, sieht der Tarif besondere Gebührensätze für gewisse Arten von Ein- gaben vor, die zum Teile wegen des Umfanges der mit ihrer Erledigung ver- bundenen Arbeit, zum Teile wegen des damit verknüpften erhöhten Partei - interesses eine etwas stärkere Gebührenbelastung verdienen und vertragen. Es sind dies zunächst die Klage, die Klagebeantwortung und gewisse andere, diesen Eingaben an Bedeutung gleichkommende Schriftsätze, ferner die Rechtsmittel, deren schärfere gebührenrechtliche Erfassung aus den oben in Ziff. 2 angeführten Gründen notwendig erscheint. Die Gebühr für diese qualifizierten Eingaben beträgt - und zwar nur für den ersten Bogen und nur hinsichtlich der ersten Ausfertigung - ein entsprechend abgestuftes Vielfache der gewöhnlichen Ein- gabengebühr. Als qualifizierte Eingaben behandelt der Tarif ferner die Gesuche um Eintragung in die öffentlichen Bücher über unbewegliche Sachen, soweit sie im Zivilprozcss- und Exekutionsverfahren vorkommen, ferner diejenigen Ein- gaben, welche die Erlassung einer öffentlichen Bekanntmachung oder einen An- schlag an der Gerichtstafel begehren oder nach sich ziehen.

4. Dass die bisherigen Protokollsgebühren, wenigstens soweit die Verhandlungs- und Beweisaufnahmsprotokolle im Zivilprozesse in Betracht kommen, keine auch nur einigermassen angemessene Gegenleistung für die Mühe- waltung der Gerichte bilden, bedarf wojd keiner näheren Ausführung. So leicht es auch ist, diesen Mangel festzustellen, so schwierig ist es, ihm durch tarifarische Bestimmungen abzuhelfen. Eine blosse Erhöhung des geltenden Dimensional- stempels führt hier nicht zum Ziele, weil den Parteien die Möglichkeit geboten ist, auf gesetzliche Weise den Umfang des Protokolls dadurch wesentlich zu ver- ringern, dass sie den Hauptinhalt der Verhandlung in vorbereitenden Schrift- sätzen vorwegnehmen. Durch diesen besonders vom prozessualen Standpunkte unerwünschten Vorgang, dem sich aber auf dem Boden der geltenden Ptozess- ge8etze nicht immer ein Riegel vorschieben lässt, würde die angestrebte Erhöhung der Verhandlungsgebühren vereitelt werden. Eingehende Erwägungen führten die Regierung zu der Ueberzeugung, dass die Dauer der Verhandlung den verhältnismäßig besten Massstab für den Arbeitsaufwand des Gerichtes liefert; sie hat sich daher dafür entschieden, einen einerseits nach dem Werte des Streitgegenstandes, anderseits nach der Zeitdauer der Verhandlung oder Beweis- aufnahme abgestuften Tarif festzusetzen, dessen nähere Erörterung dem be- sonderen Teile dieser Denkschrift vorbehalten werden muss. Hier sei nur noch erwähnt, dass für die jeweilige genaue Feststellbarkeit der Verhandlungsdauer durch Verordnung Vorsorge getroffen werden wird. Den oben in Ziff. 2 an- geführten Gesichtspunkten entspricht es, dass der Tarif für das Verfahren vor Gerichten höherer Instanz erhöhte Verhandlungs- und Beweisaufnahmegebühren vorsieht.

5. Von den die gerichtlichen Entscheidungen betreffenden tarifarischen Bestimmungen verdient insbesondere eine Neuerung hervorgehoben zu werden: die Einführung- der - dem früheren Gebührenrechte fremden - Gebühren für Entscheidungen in zweiter und dritter Instanz. Die allgemeine Begründung hierfür wurde schon oben in Ziff. 2 gegeben. Dem Bestreben, die Gebührenlast mit der Mühewaltung des Gerichtes in besseren Einklang zu bringen, ist auch die Bestimmung entsprungen, dass im Falle der Streitgenossen - schaft oder der Nebenintervention für jede weitere als Kläger oder Beklagter auftretende Person und für jeden Nebènintervenienten zur prozentuellen Urteils- gebühr ein 10%iger Zuschlag einzuheben ist, jedoch mit der Einschränkung, dass die Summe dieser Zuschläge die Stammgebühr nicht übersteigen darf.

6. Eine abgesonderte Stellung unter den Gebühren des Gerichtsverfahrens nehmen die des schiedsrichterlichen Verfahrens ein. In erster Linie sind es keine eigentlichen Gerichtsgebühren, da sie nicht aus Anlass der

320

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 12: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

Denkschrift zur österr. kaiserl. Verordn. vom 15. Sept. 1915 aber die Gerichtsgebühren. g2 1

Inansprushnahme von staatlichen Organen entrichtet werden, sondern Verkehrs- abgaben, die naoh Art der Urkundengebühren aus Anlass der durch den Schieds- spruch bewirkten Rechtsbefestigung zur Einhebung gelangen; nur insoweit durch diese Gebühren die Kosten der Staatsaufsicht über gewisse statutarische Schieds- gerichte hereingebracht werden, erscheinen sie auch als Gerichtsgebühren im strengen Sinne des Wortes. Aus diesem letzteren Grunde, sowie wegen der viel- fachen Beziehungen zwischen dem schiedsrichterlichen Verfahren und dem ordent- lichen Gerichtsverfahren wurden die Bestimmungen über diese Gebühren in die Reform der Gerichtsgebühren einbezogen. Die Aufgaben, welche das schieds- richterliche Verfahren im Rechtsleben zu erfüllen hat, Hessen es (da dieses Ver- fahren dem E adz wecke des Zivilprozesses, der Schlichtung von Rechtsstreitig- keiten und der Schaffung eines durch die Staatsgewalt geschützten und erzwing- baren Rechtstitels, in gleicher Weise dient, wie das Verfahren vor den ordent- lichen Zivilgerichten) vom abgabenpolitischen Standpunkte gerechtfertigt er- scheinen, die schiedsrichterlichen Entscheidungen mit den gleichen Gebühren zu belegen, wie die zivilgerichtlichen. Dies konnte nach Ansicht der Regierung um so unbedenklicher geschehen, als die Gebührenbefreiungen, welche nach geltendem Rechte den Verhandlungen vor einer Reihe von Schiedsgerichten zukommen, die vorwiegend den Interessen der minierbemittelten Volksklassen und insbesondere der Lohnarbeiter dienen, durch die Kaiserliche Verordnung nicht berührt und zum Teile sogar ausgedehnt wurden; es sind dies die Schiedsgerichte der Arbeiter- unfallversicherungsanstalten, der Unfallversicherungsanstalt der Bergarbeiter, der Krankenkassen, der Bruderladen, der registrierten Hilfskassen, die Schiedsgerichte für Pensionsversicherung, die Einigungsämter und Schiedsgerichte der Bergbau- genossenschaften, dann die schiedsgerichtlichen Ausschüsse der Gewerbegenossen- schaften.

7. Die Gewerbegerichte (Gesetz vom 27. November 1896, R.G.B1. Nr. 218) wurden hinsichtlich der Anwendung der neuen Gerichtsgebührenvor- schriften den ordentlichen Zivilgerichten mit gewissen unten zu erörternden Aus- nahmen gleichgestellt. Dies entspricht der Rolle, die die Gewerbegerichte auf prozessualem Gebiete spielen, und entspringt zum Teile ähnlichen Erwägungen, welche in Ziff. 6 bezüglich der Schiedsgerichte dargelegt wurden. Die gebühren- rechtliche Sonderstellung, welche den Gewerbegerichten im Gesetze vom Jahre 1896 eingeräumt worden war, lässt sich nach den seither gewonnenen Erfahrungen schon deshalb nicht länger rechtfertigen, weil vor diesen Gerichten, namentlich seit dem Zustandekommen des Handlungsgehilfengesetzes, auch Rechtsstreitig- keiten mit sehr hohem Gegenstands werte zur Austragung gelangen; kleinere Reohtsstreitigkeiten aber sind auch nach der Kaiserlichen Verordnung einer nur massigen, durchaus nicht drückenden Gebührenlast unterworfen, und durch die Einrichtung des Armenrechtes ist dafür gesorgt, dass unbemittelte Parteien auch im gewerbegerichtlichen Verfahren von jedweder Gebührenleistung befreit sind. Eine darüber noch hinausgehende Begünstigung wurde dem gewerbegerichtlichen Verfahren dadurch gewährt, dass bei einem Gegenstandswerte bis zu 100 K die Eingaben, Protokolle und deren Beilagen, die dem obsiegenden Streitteile auf sein Verlangen zuzustellende erste Ausfertigung des Urteiles, ferner die in einem solchen gewerbegerichtlichen Verfahren abgeschlossenen Vergleiche für gebühren- frei erklärt wurden.

Verfahren ausser Streitsachen. Mit der Einführung von Gebühren im Verfahren ausser Streit-

sachen betrat die Kaiserliche Verordnung ein Gebiet, das bisher, sehr zum Schaden des Staatsschatzes und ohne innere Begründung, nach österreichischem Rechte so gut wie gänzlich brach lag. Dass bis jetzt im ausserstreitigen Verfahren, wenn von den Grundbuchseingaben und den Eingaben um Eintragung in das Handelsregister abgesehen wird, fast nur die Fixstempel von 1 K von jedem Bogen für Eingaben und Protokolle zur Einhebung gelangten, muss gewiss als eine Anomalie bezeichnet werden. Denn auch im ausserstreitigen Verfahren dient die gerichtliche Mühewaltung privaten Interessen, und aus dem Umstände,

Finanzarchiv. XXXIV. Jahrg. 321 21

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 13: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

322 Denkschrift zur Österr. kaiserl. Verordn. vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren.

doss das Gericht vielfach von Amts wegen über die Wahrnehmung solcher Privat- interessen zu wachen hat, kann keineswegs gefolgert werden, dass diese Tätig- keit des Gerichtes notwendigerweise eine unentgeltliche sein muss. Es ist im Gregenteile abgabenpolitisch vollauf begründet, dass diejenigen, denen z.B. die gerichtliche Obsorge über bestimmte Vermögensmassen oder Vermögensver- waltungen materielle Vorteile oder doch eine Gewähr gegen Benachteiligungen bietet, durch eine entsprechende Gebührenleistung zur Deckung der Kosten dieses Verwaltungszweiges beitragen. In einem geregelten Gerichtsgebühren- systeme dürfen daher die Gebühren für die ausserstreitige gerichtliche Tätigkeit nicht fehlen.

Für die Veranlagung der Gebühren im Verfahren ausser Streitsachen sind insbesondere zwei Umstände von Belang, durch die sich dieses Verfahren vom Zivilprozesse unterscheidet: einerseits das regelmässige Fehlen einander widerstreitender Privatansprüche, welche in dem gerichtlichen Verfahren zur Austragung gelangen, anderseits der oben bereits berührte Umstand, dass das Gericht seine Amtshandlungen zum grossen Teile von Amts wegen, unabhängig von bestimmten Parteianträgen, vornimmt. Das erstere Merkmal, das Fehlen des „Streitgegenstande s", dessen Wert im Zivilprozesse einen brauchbaren Massstab für die Höhe des Parteiinteresses am Verfahren und daher einen ebenso bequemen als gerechten Anhaltspunkt für die Abstufung der Gebührenlast bietet, nötigt dazu, sich für das ausser- streitige Verfahren nach anderen Massstäben für die Bewertung des Interesses der Partei an der gerichtlichen Tätig- keit umzusehen. Hierfür eignet sich z. B. bei grundbücherlichen Amtshand- lungen der Wert des in die öffentlichen Bücher einzutragenden Rechtes, bei ausserstreitiger Feststellung von Unterhalts-, Heiratsguts- oder Ausstattungs- ansprüchen der Wert des zuerkannten Anspruches, während überall dort, wo sich die gerichtliche Obsorge als Oberaufsicht über Vermögensmassen oder Ver- mögensverwaltungen darstellt, der Wert des Vermögens, auf das sich die Ober- aufsicht bezieht, oder der Betrag der daraus erzielten Einkünfte sich als Grund- lage des Gebührentarifes eignet.

Von den beiden oben angeführten Unterscheidungsmerkmalen des ausser- streitigen Verfahrens ist das zweit genannte, die von Amts wegen statt- findende Tätigkeit des Gerichtes, für die daraus abzuleitenden gebührenrechtlichen Folgerungen von besonderer Wichtigkeit. Da nämlich in manchen, und zwar gerade in den bedeutendsten Zweigen des Verfahrens ausser Streitsachen, wie namentlich im Bereiche der Abhandlungspflege, der Obervor- mundschaft usw., die gerichtliche Arbeitsleistung sich nicht in der Erledigung von Parteianträgen erschöpft, sondern das Gericht zum grossen Teil unabhängig von solchen Anträgen die ihm anvertraute Fürsorge ausübt, ist ein Anknüpfungs- punkt für die Einhebung von Einzelgebühren hier im Gegensatze zum Zivilprozesse nicht oder doch nur in unzureichendem Masse gegeben. Nicht die einzelnen, oft gar nicht nach aussen in die Erscheinung tretenden Amtshand- lungen, aus deren Summe sich das Verfahren zusammensetzt, erscheinen hier als geeigneter Gegenstand der Gebührenforderung, sondern das Verfahren als Ganzes, also z. B. die gesamte, für eine bestimmte Verlassenschaftsabhandlung, für eine bestimmte Obervormundschaft entwickelte Mühewaltung des Gerichtes. Während für den Zivilprozess und das Exekutionsverfahren aus den oben entwickelten Gründen dem Einzelgebührensysteme vor dem Pauschgebührensysteme der Vor- zug gegeben werden musste, empfiehlt sich sonach für das ausserstreitige Ver- fahren eine Vereinigung des Pauschgebührensystems mit dem System der Einzelgebühren.

Der vorliegende Tarif sieht für das Verfahren ausser Streitsachen vier Arten von „Pauschalgebühren" vor, und zwar:

1. für die Verlassenschaftsabhandlung, abgestuft nach dem reinen Werte des abgehandelten Vermögens;

2. für die obervormundschaftliche und kuratelbehördliche Obsorge, ab- gestuft nach den jährlichen reinen Einkünften jedes einzelnen Pflegebefohlenen;

3. für die Obsorge über gerichtlich verwahrte Fruchtgenussmassen und über 322

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 14: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

Denkschrift zur österr. kaiserl. Verordn. vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgeb Uhren. 323

Substitutionsmassen, abgestuft nach den jährlichen reinen Einkünften aus der Masse;

4. für die Obsorge über Fideikommisse, abgestuft nach dem reinen Werte des Fideikommissvermögens.

Die Erörterung dieser Pauschalgebühren im einzelnen bleibt dem besonderen Teile der Denkschrift vorbehalten. Hier mag nur darauf hingewiesen werden, dass die diese Gebühren betreffenden Tarifbestimmungen dem Grundsatze der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in weitestgehendem Masse Rechnung tragen. Durch Befreiung der kleineren Vermögen und durch Wahl sehr niedriger Gebührensätze wurde der Möglichkeit vorgebeugt, dass die Pauschalgebühren als drückende Belastung empfunden werden könnten. Auch das Veranlagungsver- fahren wird mit keinerlei Schwierigkeiten und Weitwendigkeiten für die Gebühren- pflichtigen verbunden sein.

Ausser den genannten Pauschalgebühren regelt der das ausserstreitige Ver- fahren betreffende Teil des Tarifes die Gebühren für Eingaben, Proto- kolle und deren Beilagen, für Duplikate gerichtlicher Ausfertigungen, für Abschriften und Grundbuchs- sowie Depositenauszüge, die einer Partei auf ihr Verlangen erteilt werden, ferner für bestimmte Amtshandlungen - und zwar für freiwillige gerichtliche Schätzungen, für die Ermittlung der Entschädigung in Enteignungsfällen und für freiwillige Feilbietungen - sowie für gerichtliche Vergleiche. Was insbesondere die Eingaben anbelangt, so wurden den gewöhnlichen, der Normalgebühr von 1 K für jeden Bogen unterliegenden Eingaben, zum Teil in Anlehnung an das bisherige Recht, einige besondere Arten von Eingaben gegenübergestellt, von denen namentlich die Rechtsmittel, die Grundbuchseingaben und die Handels- registereingaben, endlich gewisse Eingaben auf dem Gebiete des Personen- und Familienrechtes hervorzuheben wären. Von den gerichtlichen Ent- scheidungen im ausserstreitigen Verfahren unterliegen nur wenige, im Tarife erschöpfend aufgezählte einer massigen Gebühr; die übrigen sind kein Gegenstand der Abgabe.

Konkurs- und Ausgleichsverfahren. Eine eigentümliche Mittelstellung im gerichtlichen Verfahren nimmt das

Konkursverfahren ein. Bei aller äusseren Aehnlichkeit und inneren Verwandtschaft mit dem Exekutionsverfahren, mit dem es das Ziel einer Ver- mögensverteilung zur Befriedigung der Gläubiger gemein hat, steht es doch dem Verfahren ausser Streitsachen insofern nahe, als auch hier das Gericht vielfach von Amts wegen für die Erreichung des dem Verfahren vorgesetzten Zieles zu sorgen hat. Gerade dies ist aber, wie früher dargelegt, für die gebührenrechtliche Regelung von besonderer Bedeutung. Dieselben Gesichtspunkte, welche für das ausserstreitige Verfahren ein teilweises Zurückdrängen des Einzelgebühren- systems und die Einführung von Pauschalgebühren empfehlenswert erscheinen lassen, drängen zu einer ähnlichen Lösung für den Bereich des Konkursverfahrens. Im Mittelpunkte der das Konkursverfahren betreffenden Bestimmungen des vorliegenden Tarifes steht daher eine für das ganze Konkursverfahren zu ent- richtende prozentuelle Pauschalgebühr, als deren Bemessungsgrundlage, je nach der Art der Beendigung des Konkurses, entweder das „Réalisât" (die Summe der zur Berichtigung der Kosten des Konkursverfahrens und der Konkurs- forderungen verwendeten oder verfügbaren Beträge) oder der Verkaufswert der Konkursmasse zu dienen hat. Aehnliche Gesichtspunkte sind auch für das Aus- gleichsverfahren massgebend, nur dass bei Festsetzung der Höhe der Pauschalgebühr der Umstand berücksichtigt werden musste, dass in aller Regel die Arbeitsleistung des Gerichtes im AusgL ichsverfahren eine erheblich geringere ist als im Konkursverfahren.

Die durch die Kaiserliche Verordnung vom 10. Dezember 1914, R.G.B1. Nr. 337, erfolgte Schaffung einer n°uen Kenkursordnung und einer Ausgleichs- ordnung bot die Gelegenheit, gleichze't;g auch die Gerichtsgebühren für diese Verfahrensarten einer teilweisen Neuregelung zu unterziehen und insbesondere

328

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 15: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

324 Denkschrift zur österr. kaiserl. Verordn. vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren.

die genannten Pauschalgebühren einzuführen. Dies geschah mit Art. XIV der Kaiserlichen Verordnung vom 10. Dezember 1914, dessen Vorschriften ohne wesentliche Aenderung in die nunmehr ins Leben gerufene Gesamtreform der Gerichtsgebühren übernommen wurden.

Neben diesen Pauschalgebühren sind sowohl im Konkurs- als im Aus- gleichsverfahren für Eingaben und die ihre Stelle vertretenden Protokolle, dann für Beilagen, Duplikate gerichtlicher Ausfertigungen, auf Verlangen erteilte Ab- schriften und für Amtsbestätigungen des Gerichtes Einzelgebühren zu entrichten, bezüglich deren in diesem Zusammenhange nur folgendes hervor- gehoben wird:

1. Dem Konkursmasseverwalter und dem Gläubigerausschusse Kommt, wie nach bisherigem Rechte, die persönliche Gebührenfreiheit zu. Das gleiche gilt im Ausgleichsverfahren für den Ausgleichsverwalter und den Gläubigerbeirat.

2. Den Eingaben des Gemeinschuldners im Konkurse und des Schuldners im Ausgleichsverfahren wird die Gebührenfreiheit eingeräumt.

3. Als qualifizierte Eingaben werden die Anmeldungen von Forderungen zum Konkurse oder im Ausgleichsverfahren, die Anträge, von Gläubigern auf Konkurseröffnung und die Rechtsmittel einer höheren Gebühr unterworfen.

4. Die Verhandlungsprotokolle, deren Stempelung nach bisherigem Rechte sich als eine den Beteiligten besonders lästige und das Verfahren hemmende Pflicht erwiesen hatte, werden von der Gebühr gänzlich freigelassen.

5. Die im Zuge des Konkursverfahrens zu Protokoll gegebenen oder in einer Eingabe abgegebenen Erklärungen des Masseverwalters, des Gemein- ßchuldners oder eines Gläubigers, womit der Bestand ocler die Höhe einer an- gemeldeten Forderung anerkannt wird, unterliegen keiner Gebühr. Bisher waren diese Erklärungen der Gebühr nach Skala II vom anerkannten Forderungs- betrage unterworfen.

Strafverfahren. Nach § 380 der Strafprozessordnung vom 23. Mai 1873, R.G.B1. Nr. 119,

sind alle Verhandlungen in Strafsachen und alle darauf bezüg- lichen Eingaben der Parteien gebührenfrei; schon die Tarif post 44 lit. 1 des Gebührengesetzes hatte den Eingaben der Beschuldigten im Strafverfahren, und ebenso auch im Gefällsstrafverfahren, die Gebührenfreiheit eingeräumt. Diesem Zustande wollte, wie bereits bei Erörterung der historischen Entwicklung der österreichischen Gerichtsgebühren erwähnt wurde, die Regierungsvorlage vom Jahre 1897 ein Ende bereiten, indem sie - und zwar sowohl für das Verfahren der ordentlichen Strafgerichte über Offizialdelikte und über Privatanklagedelikte als auch für das Gefällsstrafverfahren - die Gebührenpflicht der Eingaben, Protokolle und Entscheidungen in Vorschlag brachte; die Entscheidungsgebühren waren in Gestalt sogenannter Rahmengebühren vorgesehen, deren ziffermässige Festsetzung innerhalb der im Tarife bestimmten Grenzen im Einzelfalle dem freien Ermessen des Gerichtes überlassen war.

Die nunmehr erlassene Kaiserliche Verordnung beschränkt sich, im Gegen- sätze zu der Regierungsvorlage vom Jahre 1897, auf die Einführung von Gerichts- gebühren für den Bereich des auf Grund von Privatanklagen statt- findenden Strafverfahrens. Denn wenngleich auch gegenwärtig nicht verkannt wird, dass die Festsetzung der Gebührenpflicht auch in dem auf öffent- liche Anklage durchzuführenden Strafprozesse der theo- retischen Berechtigung nicht entbehren würde, zumal da in der Bestimmung des § 381 der Strafprozessordnung über den vom Beschuldigten zu leistenden Kostenersatz ein Anknüpfungspunkt für eine solche Neueinführung gegeben wäre, so trug doch die Regierung Bedenken, sich aus rein theoretischen Gründen für eine Massnahme zu entscheiden, deren finanzielles Ergebnis mit den Kosten und Weitwendigkeiten, die sie verursachen würde, in keinem richtigen Verhält- nisse stünde; wäre doch mit der Einbringlichkeit derartiger Gebühren gewiss nur in seltenen Fällen zu rechnen. Hierzu kommt noch, dass angesichts des über- wiegenden öffentlichen Interesses, welchem das Strafverfahren über Offmal- delikte dient, der jeder Gebührenanforderung im technischen Sinne des Wortes

324

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 16: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

Denkschrift zur österr. kaiserl. Verordn. vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren. 325

zugrunde liegende Gedanke, dass der einzelne, dem eine staatliche Amtshandlung zugute kommt, eine Vergütung hierfür an den Staat leisten soll, gerade beim Offizialstrafverfahren ganz zurücktritt.

Aehnliche Gesichtspunkte sind es, welche nach Ansicht der Regierung, wenigstens dermalen, gegen die Einführung von Gebühren im Gefällsstraf- verfahren sprechen.

Ganz andere Erwägungen walten bezüglich des Privatanklage - Verfahrens vor, dessen Ziel doch in erster Linie auf die Befriedigung privater Interessen gerichtet ist. Die Anzahl der von den Bezirksgerichten durch Ein- stellung oder Urteil erledigten Privatanklagen, unter denen die Ehrenbeleidigungs- klagen bekanntlich die überwiegende Rolle spielen, hat sich im Jahre 1909 auf 361,344, im Jahre 1910 auf 371,105 belaufen. Diese Zahlen beweisen zur Genüge die bedeutende Arbeitslast, die den Bezirksgerichten aus der Durchführung der Strafprozesse über Privatanklagedelikte erwächst, eine Belastung, die vom justiz- politischen Standpunkte sehr ins Gewicht fällt. Hierzu kommt, dass das un- geheure Anwachsen der Zahl der Ehrenbeleidigungsprozesse auch von sozialen Gesichtspunkten aus alles eher als gebilligt werden kann; denn ßo wünschenswert es auch erscheint, dass Ehrenstreitigkeiten, denen ein ernster Anlass zugrunde liegt, vor dem hierfür vom Gesetze aufgestellten Forum zur Austragung gelangen, so ist es doch eine allgemein bekannte Tatsache, dass ein grosser Teil der Privat- anklagen wegen Uebertretungen gegen die Sicherheit der Ehre weniger dem gekränkten Ehrgefühle als anderen Beweggründen entspringt, und dass solche Anklagen sehr häufig mutwillig oder doch unüberlegt erhoben werden. Auch in dieser Hinsicht sprechen die Ziffern der Statistik eine beredte Sprache. Von den oberwähnten 361,344 und 371,105 bezirksgerichtlichen Strafsachen, die in den Jahren 1909 und 1910 erledigt wurden, fanden im Jahre 1909 nicht weniger als 223,332, im Jahre 1910 nicht weniger als 232,055 durch Einstellung des Ver- fahrens, und nur 138,012 im erstgenannten, 139,050 im zweitgenannten Jahre durch Urteil ihren Abschluss; da von diesen Urteilen int Jahre 1909 73,324, im Jahre 1910 71,766 freisprechend waren, so endeten im Jahre 1909 nur 19,9 %, im Jahre 1910 nur 18,1 % der Gesamtzahl dieser Verhandlungen mit einer Ver- urteilung des Beschuldigten.

Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die bisherige Gebührenfrei- heit solcher Prozesse, abgesehen von den dem Staatsschatze abträglichen Folgen dieser Befreiung, auch noch den Nachteil hatte, die Leichtigkeit, mit der aus mehr oder weniger nichtigen Anlässen Ehrenbeleidigungsklagen erhoben wurden, in bedauerlicher Weise zu fördern. Wenn die in der Kaiserlichen Verordnung snthaltenen Bestimmungen über die Gebühren im Strafverfahren nebst der Er- füllung ihres finanzpolitischen Zweckes auch die justizpolitische Aufgabe erfüllen sollten, die ungebührliche Inanspruchnahme der Strafgerichte einigermassen ein- zudämmen, so könnte dies im Interesse der Allgemeinheit gewiss nur begrüsst werden. Dass hieraus für unbemittelte Personen nicht etwa eine Erschwerung der Rechtsverfolgung erwachsen wird, dafür ist durch die Bestimmungen über das Armenrecht gesorgt, welche in Hinkunft auch auf dem Gebiete des Strafverfahrens über Privatanklagedelikte Anwendung finden werden.

Die im Tarife vorgesehenen Gebühren für den Strafprozess haben die Ein- gaben der Prozessparteien, die Protokolle, die Beilagen von Eingaben und Proto- kollen, endlich die Urteile der Strafgerichte zum Gegenstande. Es handelt sich durchwegs um feste Stempelgebühren; eine angemessene Individualisierung der Gebührenleistung wird dadurch angestrebt, dass die Gebührensätze - ent- sprechend der Verschiedenheit des Aufwandes an Zeit und Mühe, der durch den Straffall verursacht wird - nach der Beschaffenheit des erkennenden Ge- richtes und der Schwere der strafbaren Handlung bei den Eingaben und Urteilen in drei Abstufungen zerfallen, je nachdem, ob es sich um Vergehen, die vom Geschworenengerichte abzuurteilen sind, um andere Vergehen oder um Ueber- tretungen handelt. Bezüglich der Gebühr vom Verhandlungsprotokolle wurde aus ähnlichen Gründen, wie bei dem Verhandlungsprotokolle im Zivilprozesse, von dem Grundsatze des Dimensionalstempels abgegangen und eine nach der Zeitdauer der Verhandlung zu ermittelnde Gebühr eingeführt.

325

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 17: Denkschrift zur österreichischen kaiserlichen Verordnung vom 15. September 1915, R.G.Bl. Nr. 279, über die Gerichtsgebühren

326 Denkschrift zur österr. kaiserl. Verordn. vom 15. Sept. 1915 über die Gerichtsgebühren.

Was insbesondere die Gebühr von S traf urteilen anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass nur die Urteile erster oder höherer Instanz, nicht auch sonstige, ' im Zuge des Strafverfahrens erfliessende gerichtliche Entscheidungen der Gebühr unterliegen. Von der Einhebung einer besonderen Gebühr für den in Strafurteilen enthaltenen Ausspruch über die privatrechtlichen Folgen der strafbaren Hand- lung, insbesondere über die Entschädigungsansprüche des Privatanklägers, wurde - im Gegensatze zur Regierungsvorlage vom Jahre 1897 - abgesehen, da sich aus den verfügbaren statistischen Behelfen ergibt, dass eine solche Gebühr finanziell ganz belanglos wäre und ihr Ertrag daher zu dem mit ihrer Einhebung verbundenen Verwaltungsaufwande in keinem entsprechenden Verhältnisse stünde.

Finanzieller Erfolg der Reform. Der bisherige Ertrag der Gerichtsgebühren lässt sich, wie schon in einem

anderen Zusammenhange hervorgehoben wurde, statistisch in zuverlässiger Weise nicht erfassen und ist nur einer annähernden Schätzung zugänglich. Noch grössere Schwierigkeiten stehen der Ermittlung des infolge der Reform der Gerichts- gebühren zu gewärtigenden Mehrertrages entgegen. Zwar bieten bezüglich des Zivilprozesses, des Exekutions-, Konkurs- und Strafverfahrens die Angaben der von der k. k. Statistischen Zentralkommission herausgegebenen Justiz- und Kriminalstatistik wertvolle Anhaltspunkte für eine ungefähre Schätzung des künftigen Gebührenertrages, da diese Statistik, getrennt für die verschiedenen Arten der Gerichte, die Anzahl der Klagen, Zahlungsbefehle, Endurteile, Ver- gleiche, die Gesamthöhe der aus Konkursmassen an die Gläubiger zur Ver- teilung gelangten Beträge usw. ausweist. Ueber eine ganze Reihe von Daten, die für den finanziellen Erfolg des neuen Tarifes massgebend sind, wie z. B. die Anzahl der Bogen jeder einzelnen Eingabe, die Zahl und den Umfang der Bei- lagen, die Dauer der mündlichen Verhandlungen, die Höhe des Streitgegenstandes bezüglich jedes einzelnen Urteiles usw. usw., kann dagegen die - ganz andere Zwecke verfolgende - Justiz- und Kriminalstatistik keinen Aufschluss geben; hier muss man sich, wenn man zu einer wenigstens oberflächlichen Abschätzung gelangen will, mit mehr oder weniger willkürlichen Annahmen behelfen, von denen das Endergebnis der Rechnung sehr erheblich beeinflusst wird. Für das Verfahren ausser Streitsachen und für das erst kürzlich eingeführte Ausgleichs- verfahren fehlt es vollends an verlässlichen Berechnungsgrundlagen.

Der Versuch einer annäherungsweisen Berechnung des finanziellen Mehr- ertrages, der aus der Gerichtsgebührenreform erwachsen wird, führt zu dem Ergebnisse, dass sich im streitigen Verfahren und im Exekutionsverfahren ein Mehrertrag an Gebühren von zusammen rund 6,0 Mill. K,

im Konkursverfahren und im Ausgleichsverfahren von zu- sammen rund 0,1 „ „

im Verfahren ausser Streitsachen von rund 0,7 „ „ im Strafverfahren ein Gebührenertrag von rund 1,0 „ „

ergeben könnte, so dass sich (mit allen, den vorstehenden Aus- führungen entsprechenden Vorbehalten) vielleicht mit einem Ge- samtmehrertrage von jährlich rund 7,8 Mill. K rechnen liesse.

326

This content downloaded from 91.229.229.96 on Fri, 13 Jun 2014 04:27:26 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions


Recommended