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Das Vermächtnis des Toten

Date post: 03-Jan-2017
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Chicago Band 1

Das Vermächtnis des Toten

Die wilden Zwanziger. In den USA herrscht Prohibition, doch eine ›tro­cken gelegte‹ Nation konsumiert mehr Alkohol als jemals zuvor. Für den Nachschub sorgen gut organisierte Gangsterbanden, gegen die die Polizei einen vergeblichen Kampf führt. Nicht zuletzt, weil auch sie oft mit am Alkoholschmuggel verdient. Die Sitten sind rau und ein Men­schenleben zählt wenig, wenn es um viele Dollars geht. Die Gangster­bosse unterhalten ihre Privatarmeen von Killern und leben selbst wie Könige.

In Chicago versucht der Privatdetektiv Pat Connor nicht zwischen die Fronten zu geraten und trotzdem der Gerechtigkeit Geltung zu ver­schaffen. Um aber in diesem Haifischbecken zu überleben, muss man selbst auch die Zähne zeigen.

*

Ich konnte die Italiener nie besonders leiden. Um ehrlich zu sein, sie mich auch nicht. Iren und Italiener sind hier in Chicago wie Feuer und Wasser. Dennoch empfand ich keine Befriedigung, als der Maler den Namen meines Partners von der Bürotür kratzte. Das Joe von Joe Bo­nadore war schon weg. Eigentlich ist er ja auf den Namen Giovanni getauft worden, aber so waren sie halt in der zweiten Generation, wollten unbedingt als waschechte Amerikaner durchgehen. Ein Blick in sein Gesicht und man wusste, wo die Wiege seiner Familie stand. Jetzt lag er sechs Fuß unter der Erde und von seinem Gesicht war auch nicht mehr viel übrig geblieben. Was ihn voll erwischt hatte, konnte selbst der Gerichtsmediziner nicht mit Bestimmtheit sagen, am wahr­scheinlichsten waren wohl fünf Kilo Eisen an einem entsprechend lan­gen Hammerstiel.

Sie hatten ihn vor einer Woche unten auf der South Side in der Nähe der Wabash gefunden, einer Gegend, wo man nicht sterben will, es aber ziemlich häufig tut. Bonadore und ich hatten zwar keine Ge­heimnisse voreinander, aber ich wusste nicht mehr, als dass er an ei­ner Scheidungssache dran gewesen war, vor denen ich mich immer zu drücken versuchte. Mir lag es einfach nicht, in den Schlafzimmern an­derer Leute herumzuspionieren.

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Das Tapetenmesser des Malers quietschte über die Türscheibe. Ich sah dem Mann zu, wie er meinen Partner noch einmal Stück für Stück auslöschte. Als er fertig und mit einem Fünfer verschwunden war, stand auf der Tür nur noch:

PAT CONNOR PRIVATE INVESTIGATIONS

Wobei zwischen meinem Namen und dem P.I. eine hässliche Lü­cke klaffte. Ich legte meine Beine auf den Schreibtisch und starrte auf den leeren Platz zu meiner Linken. Die tief stehende Sonne warf einen hellen Schein auf den Schreibtisch meines Ex-Partners und den schma­len Aktendeckel mit den Ermittlungsunterlagen des Falls, den er nicht mehr hatte abschließen können. Das alles war mir zuwider: Die hässli­che Leiche von Bonadore, die ich identifizieren musste, der tränener­füllte Rehblick seiner Dauerverlobten Lucia bei der Beerdigung, mit dem sie mich bat, seinen Mörder zu finden, der prompte Hinweis von unserer, jetzt meiner, Sekretärin Betty, dass ich mich ranhalten muss­te, damit ich sie bezahlen könnte und schließlich das geheuchelte Mit­gefühl von Lieutenant Quirrer, der uns Privatdetektive sonst nur als Kanalratten bezeichnete. Missmutig zog ich die unterste Schublade meines Schreibtischs auf und kramte von ganz hinten den verbeulten Flachmann mit der Notreserve hervor. Es gab wahrlich genügend Gründe, sich zu betrinken und einer der besten davon war die Prohibi­tion.

*

Direkt neben mir erfolgte eine Explosion, die mich aus dem Schlaf riss. Das Scheppern von Glas hallte in meinem Schädel nach, der über Nacht um das Dreifache angewachsen zu sein schien.

»Na, mal wieder abgestürzt.« Ich öffnete die Augen und sah zuerst verschwommen, dann aber

leider ganz deutlich Betty Meyer. Sie stand, die Arme kampflustig in die Hüften gestützt, vor ihrem Schreibtisch und hatte, als sie mich auf

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der Couch liegen sah, die Bürotür kräftig zugeworfen. Sie war so mit­fühlend wie eine Backsteinmauer, wenn man dagegen rannte.

»Kommen Sie hoch, Pat. Die Arbeit wartet. Geld verdienen, um die treue Seele des Büros zu bezahlen.«

»Wieso«, krächzte ich und kippte mich mühsam in die Vertikale, eine Bewegung, die meinen Kopf heftig protestieren ließ. »Joe ist doch tot.« Ich merkte, wie es in ihrem Kopf ratterte, dann rasteten die Zahnräder ein und sie knallte ihre Handtasche auf den Tisch.

»Pat, ich kündige!« Mir war alles recht, wenn nur wieder Stille einkehren würde.

Trotzdem siegte die Vernunft. »Hören Sie, Betty, ich weiß doch, was ich an Ihnen habe, aber heute Morgen geht es mir nicht so gut. Ver­gessen Sie's einfach. Gehen Sie zur Tür hinaus, kommen noch mal rein - und dann beginnen wir ganz von vorne.«

»Morgen?« Sie verzog doch tatsächlich angeekelt ihr Gesicht. »Heute ist Mittwoch, da arbeite ich nachmittags.«

Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand hinter Joes verwais­tem Schreibtisch. Die Stellung der Zeiger konnte halb zwei nachts oder halb zwei mittags bedeuten. Die Stellung der Sonne war allerdings ein­deutig. Mit trübem Blick verfolgte ich, wie Betty sich an ihren Schreib­tisch setzte und nichts tat.

Ich schraubte mich von der Couch hoch und ging an ihr vorbei ins Bad. Mehrere Hände voll kaltem Wasser brachten mich so weit ins Leben zurück, dass ich den Kerl rasierte, den ich im Spiegel eigentlich nicht wieder erkannte. Dann schlich ich zu Joes Schreibtisch und nahm mir den Aktendeckel mit seinem letzten Fall vor. Irgendwann musste ich schließlich anfangen, etwas für mein Ehrgefühl zu tun. Betty la­ckierte sich hingebungsvoll die Fingernägel und ich bezahlte ihr fünf­undzwanzig Dollar die Woche dafür.

Obenauf lag ein Blatt, auf dem der Name des Klienten, Jack Wall­mer, verzeichnet war, der auf der North Side in einem der besseren, fast guten Viertel wohnte und Zollinspektor unten an den Chicago-Docks war. Er hatte Joe damit beauftragt, seine Frau Sylvia zu über­wachen, von der er annahm, dass sie sich in eindeutiger Weise herum­trieb. Hauptsächlich in ein paar bekannten Jazzklubs auf der South

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Side. Joe sollte ihm den Beweis dafür bringen, dass es dabei nicht nur um den reinen Kunstgenuss ging, sondern dass die Lady auf fremden Flöten spielte. Verdammt, es war genau die Art von Auftrag, vor der ich normalerweise so schnell ich konnte davon lief.

Auf dem zweiten Blatt waren einige Notizen von Joe, die ich mit Müh und Not entziffern konnte. Er hatte festgestellt, dass die Lady wohl ein festgelegtes Programm hatte. Es begann meist, wenn ihr Mann nachts an den Docks zu tun hatte, im Star Blush, State Street Ecke 15th. Der Name sagte mir nichts. Dann folgten ein paar der übli­chen Speakeasys, wohl um aufzutanken und es endete im Lee Side Club an der oberen Wabash. Ein recht gutes Etablissement, wo man schon mal die Riege der Stadträte treffen konnte, ganz abgesehen von den Leuten, die mit irgendwelchen Geschäften nicht unter 200.000 im Jahr machten.

Ganz unten auf der Seite war noch ein Name gekritzelt: Piet de Holden. Das war's. Nur noch ein Foto. Wenn die Frau darauf und dar­an zweifelte ich nicht, Mrs. Wallmer war, dann alle Achtung. Blond, ungefähr eins siebzig groß und mit einer Figur, die Jesus vom Kreuz herabsteigen lassen würde.

Kein Ansatzpunkt. Ich warf den Aktendeckel auf Joes Schreibtisch. Wem war er so heftig auf die Füße getreten, dass man ihn mit einem Hammer rasiert hatte? Vielleicht hatte er ja bei seiner Verlobten ge­plaudert. Ich rief die Bamington-Versicherungsgesellschaft an, wo Lu­cia als Schreibkraft arbeitete und ließ ihr ausrichten, sie solle mich nach Feierabend in Joes Wohnung treffen. Aus der mittleren rechten Schublade fischte ich die Reserveschlüssel von Joes Wohnung. Bettys Fingernägel erstrahlten inzwischen in frischem Glanz.

»Ich geh jetzt frühstücken«, erklärte ich und nahm meinen Hut vom Garderobenständer. Sie warf mir einen Blick zu, der an Verach­tung nicht zu überbieten war. »Sie können heute früher Schluss ma­chen, ich brauche Sie nicht mehr. Das heißt, wenn Ihre Fingernägel Sie auch nicht mehr brauchen.«

Das hatte gesessen.

*

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Ich hatte Joes Wohnung schon auf den Kopf gestellt und saß nieder­geschlagen in einem Sessel, als es zaghaft an der Tür klopfte. Bevor ich »Herein« sagen konnte, wurde sie schon vorsichtig aufgeschoben.

»Komm rein, Lucia«, forderte ich die verschüchterte Gestalt auf, die sich im Türrahmen zeigte. Bonadores Dauerverlobte, jetzt Pseudo­witwe, war nicht unbedingt mein Fall; sie hatte etwas zu viel Rundun­gen an den falschen Stellen, war aber ein nettes Mädchen und hatte zu meinem beleibten Partner gepasst.

Sie blickte sich irritiert um. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, nach meiner Suche nach Hinweisen auf Bonadores letzten Fall wieder Ordnung zu schaffen. Ich quälte mich aus dem Sessel und überließ ihn ihr.

»Wie geht's dir?«, fragte ich überflüssigerweise. Ihr bleiches Ge­sicht mit den dunklen Augenringen sprach Bände. Stumm schüttelte sie den Kopf.

»Und?« Es war wenig mehr als ein Lufthauch. Ich schüttelte eine Lucky Strike aus dem Päckchen und zündete

sie mir an. Irgendwie musste ich Zuversicht verbreiten. »Ich bin an der Sache dran«, erklärte ich so, als ob ich seit Tagen nichts anderes ge­tan hätte, »aber ich komm nicht so recht weiter. Wenn sein letzter Fall etwas damit zu tun hat...«

»Aber natürlich«, warf Lucia mit einer Bestimmtheit ein, die mich hoffen ließ.

»Du weißt etwas darüber?«, hakte ich hoffnungsvoll nach. »Natürlich. Er hat immer alles mit mir besprochen.« Sie richtete

sich im Sessel auf. »Er war an einer Scheidungssache dran. Sylvia Wallmer, die hat sich immer in irgendwelchen Klubs herumgetrieben mit irgendwelchen Kerlen. Joe hat sie nächtelang verfolgt. Wir haben uns kaum noch gesehen. Immer wenn ich von der Arbeit kam, war er schon auf dem Sprung und kam erst in den frühen Morgenstunden nach Hause.«

»Und weiter?« Sie sah mich mit großen Augen an. Mir wurde klar, dass sie ei­

gentlich nichts wusste, jedenfalls nicht mehr, als ich aus dem Gekritzel

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im Büro erfahren hatte. Anscheinend war Joe doch nicht so gesprächig gewesen.

»Das muss doch genügen. Diese Wallmer hat ihn bestimmt aus dem Weg geräumt, als er ihr auf die Schliche kam.«

Ich behielt für mich, dass die Lady nicht so aussah, als ob sie mit einem Fünfkilohammer umgehen könnte. Vielleicht hatte sie die Dreckarbeit ja auch von jemandem erledigen lassen, vielleicht war es auch ein Fall später Rache gewesen und hatte gar nichts mit der Wallmer-Sache zu tun? Einige ›Vielleichts‹ zu viel für meinen Ge­schmack. Lucia war als Quelle allerdings so ergiebig wie ein Mönch mit Schweigegelübde.

»Ich kümmere mich darum«, versprach ich ihr und erhielt wieder diesen bittenden Rehblick, für den ich sie schon bei der Beerdigung hätte umbringen können. »Soll ich dich nach Hause bringen?«

Sie nickte. Ich drückte die Lucky auf einer Untertasse mit einge­trockneten Kaffeerändern aus. Ein paar Minuten später kutschierte ich sie in meinem Plymouth zu ihren Eltern, die wahrscheinlich immer noch glaubten, sie und Joe hätten nur Händchen gehalten. So waren sie halt, die Italiener. Eigentlich haben sie nie ihr verfallenes Dorf ir­gendwo in Sizilien verlassen. Ich verzichtete darauf, mit hereinzukom­men, denn ich konnte das überschäumende italienische Gequatsche nicht leiden. Joe war da keine Ausnahme gewesen, aber mit der Zeit hatte er gelernt, sein rednerisches Talent in meiner Anwesenheit zu zügeln.

*

Es war noch zu früh, um mich auf die Spuren der Lady Wallmer zu be­geben, deshalb fuhr ich zuerst noch mal ins Büro, steckte das Bild der Dame ein und fuhr danach in meine Wohnung, um mir ein paar frische Klamotten anzuziehen. In Hinblick auf den Lee Side Club bestimmt ein guter Gedanke. Dass ich noch einen Abstecher zu Dunky machte, war selbstverständlich. Er betrieb ein kleines Speakeasy ein Stück die North Clark hinunter, vier Blocks von meinem Appartement entfernt.

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Dunky war ein stets missmutiger Kerl, was wohl daran lag, dass er keinen Schluck trank. Heute war er besonders übel gelaunt und ich stellte mir die Aufgabe, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Das lief dann ungefähr so.

»Hey Dunky, das ist ja richtiger Morgengrauen-Bourbon, den du hier ausschenkst.« Normalerweise verzog er dann die Lippen über die­sen Uraltwitz, der besagte, dass der Stoff erst am Morgen gebrannt worden war. Diesmal zog er nicht einmal die Augenbraue hoch. Ich beschloss auf den Small Talk zu verzichten.

»Was fiele dir ein, wenn ich dich nach dem Star Blush fragen wür­de?« Es war so etwas wie ein Ritual. Ich stellte die Frage nicht wirklich und Dunky antwortete mir auch nicht wirklich darauf. So konnte er immer behaupten, eigentlich nichts gesagt zu haben.

Dunky putzte weiter unbeeindruckt an seinen Gläsern herum, ließ aber seinen Blick argwöhnisch über die wenigen Trinker in seinem La­den gleiten. Er schien mit seiner Musterung zufrieden. Mit rauer Stim­me meinte er dann: »Wenn mich jemand nach dem Star Blush fragen würde, dann würde ich zuerst an Lincoln denken.«

Man konnte nicht sagen, dass Dunky ein Abzocker war. Er wusste immer genau, was seine Informationen wert waren und anscheinend war die über das Star Blush nicht viel wert. Trotzdem zog ich einen Fünf-Dollar-Schein mit dem Bild Abraham Lincolns aus der Tasche, faltete ihn zusammen und schob ihn halb unter die schon feuchte Ser­viette, auf der mein Bourbonglas stand. Von dort verschwand er schneller als ein Bier in der ausgedörrten Kehle eines Dockarbeiters.

»Dritte Kategorie. Nicht ganz übel, aber zu viele Laufburschen da, die sich für was Besseres halten. Wenn sie voll sind, kann's wirklich gefährlich werden. Würde mich nicht nach Mitternacht dort rein­trauen.«

»Wessen Laufburschen?« »Meist die vom Cardinal und anderer Itakergangs.« Und damit

war die Fragestunde beendet. Dunky fiel plötzlich ein, dass er am an­deren Ende der Bar etwas unaufschiebbar Unwichtiges zu tun hatte.

Ich schüttelte mir eine Lucky aus dem Päckchen und riss an der Unterseite der Bar ein Streichholz an. Definitiv war das ein Job für Joe,

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doch den hatte man aus dem Verkehr gezogen. Das Star Blush war also der Treffpunkt von ›II Cardinale‹ Rigobellos Handlangern. Der Gedanke, mich in die Höhle des Löwen zu begeben, war nicht gerade angenehm. Ich nickte Dunky zu und er füllte mein Glas noch mal. Ri­gobello war der einflussreichste Mafiaboss in Chicago und mit ihm wollte ich mich bestimmt nicht anlegen. Ich schob meinen Hut ein Stück weiter in den Nacken.

»He, Dunky!« Er kam widerwillig vom anderen Ende der Bar. »Was noch?«,

quetschte er zwischen den Zähnen hervor. »Welche Chancen hat ein ehrlicher Ire, im Star Blush unbehelligt

davonzukommen?« Er fuhr sich mit der Hand über seine glänzende Glatze. »Also ein

Schneeball in der Hölle hätt's leichter.«

*

Entgegen aller Vernunft stellte ich mein Glück auf die Probe. Das Star Blush versuchte etwas Besseres zu sein. Es gab Tische, nicht nur Ni­schen und eine Bar und den Hut musste man an der Garderobe ab­geben. Aber das war's auch schon.

Ich klemmte mich an die Bar und versuchte den abfälligen Blick des fetten Italieners dahinter zu ignorieren. Und er schien mich zu ignorieren. Als er wieder einmal auf Armlänge an mir vorbeiwutschte, packte ich seine schmierige rote Krawatte und zog sie zu mir heran. Das Gesicht, das ihr folgte, nahm in Sekundenschnelle die gleiche Fär­bung an.

»Hör zu, Giovanni«, einen anderen italienischen Namen kannte ich nicht, »du stellst jetzt ein Glas hier vor mich auf die Theke und füllst einen Bourbon rein oder ich zieh dir deinen Krawattenknoten so fest, dass du glaubst, du hättest einen Kropf.«

Er nickte, sprechen konnte er erst wieder, als ich ihn losließ. Er murmelte einige italienische Flüche, wobei er nicht wissen konnte, dass mein verblichener Partner in dieser Beziehung ein perfekter Sprachlehrer gewesen war. Ich ließ es ihm durchgehen. Als er den

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Bourbon brachte, ließ ich einen Eagle auf die Theke klimpern. Giovanni verzog hämisch das Gesicht.

»Drei Dollar, Mister«, wobei er das Mister verächtlich ausspuckte. Mir fiel fast die Zigarette aus dem Mund. »Das ist der Kartoffelfressersonderpreis«, ergänzte der Fettsack

mit einem Grinsen. Es hatte keinen Zweck, noch mehr Ärger zu suchen. Ich knallte

zwei zerknitterte Dollarscheine neben das Dollarstück auf den Tresen. Angeekelt wischte der Bartender sie von der blank polierten Holzflä­che.

Ich schaute mich in der Kneipe um. Es war noch früh und nur we­nige Gäste anwesend. Der durchschnittliche Abschaum. Laufburschen ­kleine Ganoven, die die Drecksarbeit machten, Schutzgelder eintrie­ben, den Alkoholverkauf kontrollierten, Gebietsgrenzen überwachten oder dem Mädchen eines Unterbosses mal einen Hamburger holten. Keine Sylvia Wallmer und ich konnte mir auch nicht vorstellen, was sie hier zu suchen hatte. Ich nippte an meinem Drink. Die Luckys spran­gen eine nach der anderen wie von selbst aus dem Päckchen zwischen meine Lippen und nichts tat sich. Fast war ich bereit zu glauben, dass mein Partner nicht ordentlich recherchiert hatte. Ich hielt mich an dem Bourbon fest, denn ich wollte Giovanni nicht den Triumph gönnen, bei seinen Sonderpreisen für Iren einen zweiten zu bestellen. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich die drei Typen viel zu spät bemerkte.

»He, Kartoffelfresser, hast dich wohl verirrt?« Ich wollte mich umdrehen, doch eine harte Pranke, schwer und

groß wie eine Baggerschaufel, hinderte mich daran. »Sieh an, ein Jünger des schwulen St. Patrick«, höhnte eine Stim­

me mit breitem italienischem Akzent. Ich bin zwar nicht religiös und ob der Schutzheilige Irlands schwul

war, ist mir auch reichlich egal, aber von einem Makkaroni ließ ich mir das nicht sagen. Trotz der Baggerschaufel auf meiner Schulter fuhr ich herum. Drei Schränke in schlecht sitzenden, grauen Anzügen hatten sich um mich herum aufgebaut. Anscheinend hatte der Wirt telefo­niert.

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»Lässt man die Schweine in Italien immer frei herumlaufen«, frag­te ich beiläufig.

Eine Faust zuckte vor, vollendete die Bewegung zu meinem Kopf aber nicht.

»Hör zu, Kleiner. Nimm deinen Hut und sieh zu, dass du auf die richtige Seite der Stadt kommst...«

»Und wenn nicht?« »Wenn nicht...«, meinte einer der drei und zog seine Faust aus

der Tasche, die von einem hässlichen Schlagring geziert wurde, »... wirst du für den Rest deines Lebens aus der Schnabeltasse trinken.« Die Schränke stießen unisono ein raues Lachen aus.

Wir Iren sind zwar Hitzköpfe, aber manchmal gebietet uns die Not auch mal kühlen Kopf zu bewahren. Es hatte keinen Zweck unpassen­den Stolz zu zeigen. Die drei würden mich durch die Mangel drehen und wenn ich wirklich gut wäre, dann könnte ich dem einen oder an­deren vielleicht den Anzug verknittern. Das war es nicht wert. Ich trös­tete mich damit, dass man sich im Leben immer zwei Mal begegnet und nickte. Als ich mich an ihnen vorbei Richtung Ausgang schob, trat mir einer in die Hacken und ich knallte der Länge nach auf den Boden. Dröhnendes Gelächter hinter mir. Ich rappelte mich hoch, nahm mei­nen Hut an der Garderobe entgegen, übersah das hämische Grinsen des angestaubten Mädchens, das mir ihn reichte. Draußen hatte es zu nieseln begonnen. Ich schlug den Jackettkragen hoch und lief zu mei­nem Plymouth, der knapp fünfzig Meter von der Kneipe entfernt ge­parkt war. Ich klemmte mich hinter das Steuer und wartete. So schnell wollte ich nicht aufgeben. Es war kurz nach zehn und vielleicht tauchte die Lady ja noch auf. Den Eingang der Kneipe hatte ich von hier aus gut im Blick. Es begann stärker zu regnen und die Kneipe füllte sich. Gegen Mitternacht gab ich auf und entschied, zum Lee Side Club zu fahren.

*

Der Unterschied zum Star Blush hätte nicht größer sein können. Ich merkte es deutlich an den Blicken, mit denen mich die Garderobiere

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musterte, als ich ihr meinen Hut in die Hand drückte. Ein Befrackter nahm mich mit der Miene eines englischen Butlers in Empfang und führte mich auf eine Empore. Von da aus konnte man den gut gefüll­ten Saal überblicken, wo an sorgfältig gedeckten Tischen wohl gut und gerne ein paar Millionen Dollar und einige hundert Karat saßen. Direkt vor mir führte eine Treppe in den Saal hinab und mündete in den brei­ten, offenen Mittelgang, der zur Tanzfläche führte, auf der sich die Reichen und Schönen zur Musik einer Big Band drehten. Instinktiv hielt ich nach Sylvia Wallmer Ausschau. Sanft aber bestimmt zupfte mich der Pinguin am Ärmel, als ich auf die Treppe zusteuerte. Mit herablas­sender Höflichkeit, der ich nichts entgegenzusetzen hatte, schob er mich rechts auf der Empore entlang zu einem kleinen Tisch an der Balustrade. Diese waren wohl dem vorbehalten, was er als Pöbel be­zeichnen würde, dem ich seiner Meinung nach angehörte. Der Vorteil war, dass ich von hier aus einen guten Überblick hatte und mehr woll­te ich nicht. Kurz darauf kam ein Kellner und legte eine umfangreiche Karte aufgeschlagen vor mich. Ohne einen Blick darauf zu werfen be­stellte ich Bourbon.

Nach zwei Luckys war ich mir sicher, die Lady entdeckt zu haben. Umgarnt wurde sie von einem der übelsten Gigolos, die ich je zu Ge­sicht bekommen hatte. Tadellos sitzender Dinneranzug, pomadisierte schwarze Haare und ein Menjoubärtchen, das mit dem Bleistift gezo­gen erschien. Ich kippte zur Belohnung meinen zweiten Bourbon in einem Zug hinunter. Volltreffer. Sie saßen, wenn sie nicht tanzten, mit vier weiteren Personen an einem Tisch, von denen mir ein Mann be­kannt vorkam. Ich war mir ziemlich sicher, dass es Kirk Melcalve, die rechte Hand von Sean ›The Jar‹ O'Malley war. Nicht gerade die beste Gesellschaft, wenn man bedenkt, dass ›The Jar‹ den gesamten Alko­holschmuggel auf der North Side in der Hand hatte. Und nebenbei war er der größte Konkurrent von Benito ›II Cardinale‹ Rigobello. Was mir noch auffiel, war, dass sich niemand Gedanken darüber machte, dass die Lady, die da so heftig mit Menjou herumturtelte, verheiratet war. Das war zumindest nicht strafbar, während die Mengen an Champag­ner, die sie in sich hineingossen, wohl für einige Jahre unter staatlicher Aufsicht gereicht hätten.

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Ich nippte gerade an meinem vierten Bourbon, als ich fast von den Turteltäubchen überrascht wurde. Zuerst rief Melcalve den Gigolo zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sofort ging der zu der Lady, riss sie förmlich vom Stuhl hoch und dann strebten sie ziemlich hastig dem Ausgang zu. Ich sprang auf, warf einen Zehner auf den Tisch, hoffte, er würde reichen und folgte ihnen. Es hatte aufgehört zu reg­nen. Die Lady und ihr Begleiter stiegen in einen nagelneuen Auburn und machten sich vom Acker. Aber nicht mit mir. Ich sprintete zu mei­nem Plymouth und heftete mich an ihre Fersen. Die ausgestorbenen Straßen machten es nicht gerade leicht, ihnen unbemerkt zu folgen, doch sie schienen überhaupt nicht damit zu rechnen, verfolgt zu wer­den. Es war eine lange Fahrt, zuerst überquerten wir den Chicago Ri­ver, dann ging es endlos die West Madison entlang, bis die Lücken zwischen den Gebäuden immer größer wurden. Schließlich hatten sie den westlichen Stadtrand erreicht. Es ging weiter nach Burlington County. Wir fuhren über holprige Nebenstraßen, an denen nur noch vereinzelte Wochenendhäuser standen. Die meisten machten einen unbewohnten Eindruck. Vielleicht die richtige Gegend für einen Mann und eine Frau, die etwas im Sinn hatten, was keinesfalls jugendfrei war.

Ich schaltete das Licht aus und ließ meinen Wagen noch ein Stück die Seitenstraße hinunter auf das Grundstück zurollen. Dann hielt ich an. Im Haus war inzwischen Licht angegangen. Hinter den Gardinen bewegten sich zwei Schatten hektisch hin und her. Ich glitt vorsichtig auf der Beifahrerseite aus dem Wagen und schlich am Gartenzaun entlang zum Haus, dann im Schutz der Büsche bis unter das erleuchte­te Fenster. Eigentlich hätte ich es wissen müssen: Neugierde ist der Katze Tod, denn auf einmal gingen bei mir die Lichter aus.

*

»He Connor!«, dröhnte es in meinem Schädel und dann flog mein Kopf von einer deftigen Ohrfeige getroffen zur Seite. »Mann, Connor, auf­wachen!«, und ein weiterer Schlag warf meinen Kopf wieder zur ande­ren Seite. Ich machte die Augen auf.

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»Hat es Sie also doch nicht erwischt. Schade, aber das macht auch nichts. Ist nur ein kleiner Aufschub, dann werden Sie sowieso gegrillt.«

Allmählich verzog sich der Nebel vor meinen Augen. Vor mir stand Lieutenant James Quirrer von der Mordkommission Chicago. Es hätte nicht schlimmer kommen können. Ich versuchte mich zu orientieren. Neben mir fiel trübes Morgenlicht durch ein eingeschlagenes Fenster, ich saß auf einem Stuhl und spürte eine dicke Beule an meinem Hin­terkopf. Ich musste meine malträtierten grauen Zellen nicht besonders anstrengen, um messerscharf zu schließen, dass ich mich in dem Haus befand, vor dem ich wohl vor ein paar Stunden ins Reich der Träume geschickt worden war.

»Diesmal sitzen Sie wirklich in der Scheiße, Connor«, meinte Quir­rer und klang wie der Teufel vor den Seelen im Fegefeuer.

Jetzt bemerkte ich auch den länglichen Gegenstand, der ein paar Meter entfernt mit einem Tuch abgedeckt mitten im Raum lag. Ich war schon zu lange im Geschäft, um nicht zu wissen, dass es ein Mensch war und er wohl nicht mehr aufstehen würde.

»Was soll das, Quirrer«, brachte ich krächzend hervor. »Ist Ihr Gehirn mal wieder auf Urlaub?«

Quirrer verzog keine Miene. »Sie werden bald auf Urlaub sein, Conner. Aber es wird nur ein Kurzurlaub. Hinrichtungen finden in Illi­nois recht zügig statt.«

Wenn er glaubte, mich einschüchtern zu können, dann war er an den Falschen geraten. Ich massierte mir demonstrativ den Nacken und wollte aufstehen, doch eine Hand drückte mich von hinten auf den Stuhl zurück.

»Immer schön langsam«, meinte Quirrer süffisant. »Wir haben hier eine noch warme Leiche, eine Tatwaffe und einen Täter. Damit ist wohl alles klar.«

»Warum haben Sie den Mann erschossen, Quirrer?«, gab ich zu­rück und versuchte wirklich erstaunt zu klingen. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Pat Connor, ich verhafte Sie wegen des Mordes an Piet de Hol-den. Legt ihm Handschellen an.«

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»Moment mal«, protestierte ich. »Wer ist Piet de Holden? Und wa­rum sollte ich ihn ermordet haben?«

»Woher soll ich das wissen?«, gab Quirrer zurück. »Als wir hierher kamen, fanden wir den Toten und Sie mit der Waffe in der Hand be­wusstlos auf dem Boden liegen. Selten war ein Fall so eindeutig.«

Ich schüttelte den Kopf. Wie hatte es Quirrer nur zum Lieutenant gebracht? Hielt er mich wirklich für so blöd? Ich wollte ihm gerade eine passende Antwort geben, als die Erlösung in Gestalt von 120 Kilo Mensch verteilt auf fast zwei Meter Körpergröße hereinpolterte. Cap­tain Morgan C. Hollyfield, der Chef der Mordkommission persönlich.

»Was geht hier vor, Lieutenant?«, fragte er Quirrer, nachdem er sich kurz umgesehen hatte.

Quirrer leierte seinen Bericht so herunter, wie er sich die Zusam­menhänge zurechtgelegt hatte. Zusätzlich ein paar Ausschmückungen, die ihn im besten Licht erscheinen ließen, aber im Prinzip das Gleiche, was er schon mir erzählt hatte.

Als er fertig war, schüttelte Hollyfield den Kopf. »Ich hätte Sie für klüger gehalten, Connor«, knurrte er in meine

Richtung. »Dringen hier durchs Fenster ein, erschießen den Mann... Warum eigentlich? Hat er Ihre Sekretärin angemacht? Oder Ihnen ge­panschten Bourbon verkauft? Und dann lassen Sie sich noch von hin­ten niederschlagen. Nicht gerade etwas, mit dem man vor Klienten prahlen kann, meinen Sie nicht?« Während er gesprochen hatte, war das Grinsen auf seinem Gesicht immer breiter geworden, doch nur ich hatte es sehen können. Jetzt drehte er sich wieder zu Quirrer um. »Was wissen wir über den Toten?«

»Im Moment nur, dass er einen Führerschein auf den Namen Piet de Holden besitzt und in der East Huron wohnt.«

Jetzt endlich klingelte es bei mir. ›Piet de Holden‹ hatte Bonadore doch irgendwo in seine Ermittlungsakten gekritzelt.

Hollyfield ging zu dem Toten und zog das Tuch bis zur Hüfte weg. Er lag auf dem Rücken und das blütenweiße Dinnerjackett war auf der Brust dunkelrot gefärbt. Es war Menjou. Der Kerl, der die Furche einer gewissen, verheirateten Lady beackerte. Was lag näher, als dass ein gewisser Landsmann mit Hilfe meines Partners dahinter gekommen

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war und dem Raubbau ein Ende bereitet hatte. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Verzweifelt versuchte ich den stechenden Schmerz in meinem Kopf zu verdrängen und mir eine gute Antwort auf die Frage auszudenken, die jetzt bald kommen musste. Nicht jeder war so ange­nehm unterbelichtet wie Quirrer und schon gar nicht der Captain.

»Nun, P.I., jetzt erzählen Sie mal, was Sie hier mitten in der Nacht gesucht haben«, meinte Hollyfield viel zu schnell für meinen lädierten Denkapparat. Er erweckte dabei den Eindruck einer Bulldogge, der man gerade den Lieblingsknochen weggenommen hatte. Ohne Zweifel teilte er die abstrusen Vermutungen seines Lieutenants nicht, aber die Wahrheit konnte und wollte ich ihm nicht sagen.

Ich zauberte ein unschuldiges Lächeln auf mein Gesicht und mein­te: »Ich bin noch ein bisschen spazieren gefahren, plötzlich streikte der Motor. Ich ging hier zum Haus und wollte fragen, ob ich mal tele­fonieren kann, da bekam ich eins übergezogen und bin erst wieder mit der freundlichen Hilfe von Lieutenant Quirrer hier auf dem Stuhl zu mir gekommen.« Mir war klar, dass Hollyfield das nicht fressen würde, doch ich hatte erst einmal Zeit gewonnen.

Mit einem breiten Grinsen kam er zu mir herüber und legte seine Pranke auf meine Schulter. »Pat, Pat, Pat«, säuselte er mit einer Stimme, die jedes Kind binnen Minuten ins Reich der Träume gewiegt hätte, »Sie wollen doch dem alten Onkel Hollyfield keine Märchen er­zählen, oder?«

Ich schüttelte den Kopf und dann brach der Sturm los. »Connor!«, brüllte Hollyfield jetzt in Orkanlautstärke, »wissen Sie eigentlich, wie lange ich Sie unter Mordverdacht ins Loch werfen kann! Wenn ich mich mit Idioten unterhalten will, dann spreche ich mit Quirrer. Glauben Sie bloß nicht, Sie könnten mir ans Bein pinkeln! Also raus mit der Spra­che: Was hatten Sie hier zu schaffen!«

Noch nicht einmal der Anblick von Quirrers betretenem Gesicht heiterte mich etwas auf. Mir musste etwas einfallen und das schnell. Und ich musste die Lady raushalten. Sie war die einzige mögliche Zeu­gin - oder vielleicht die Täterin?

»Es geht um Giovannis letzten Fall, den, den er nicht mehr ab­schließen konnte. Und es geht um das Honorar dafür. Er hat ja nie viel

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Papierkram gemacht, aber in seinen Unterlagen fand ich diese Adresse und einen Vermerk drei Uhr dreißig mit dem heutigen Datum. Ich weiß auch nicht, was er mitten in der Nacht hier wollte, bin aber einfach mal hergefahren. Im Haus brannte Licht, ich hab an der Tür geklopft und dann gingen bei mir auch schon die Lichter aus.« Mit einem ent­waffnendem Lächeln fügte ich noch hinzu: »Mehr weiß ich wirklich nicht, Captain und außerdem«, ich deutete auf die angebliche Tat­waffe auf dem Tisch, »ist das nicht meine Knarre.«

Es war nicht besonders gut, aber wie ich an Hollyfields Miene er­kennen konnte, doch gut genug.

»Und das ist alles?«, fragte er zweifelnd. Ich zuckte mit den Schultern. »Okay, hauen Sie ab, aber...« »... ich halte mich zur Verfügung, falls Sie mich noch brauchen.

Über mein Büro bin ich immer zu erreichen. Betty weiß immer wo ich bin.« Eine glatte Lüge, Betty wusste eigentlich nie, wo ich bin, es inte­ressierte sie auch nicht.

»Aber Captain...«, stieß Quirrer hervor. »Halten Sie den Mund, Lieutenant«, fuhr ihm Hollyfield über den

Mund, »und finden Sie den Mörder!«

*

Es war neun Uhr morgens, als ich nach einem ausgiebigen Frühstück in Harrys Diner mich ins Bett fallen ließ und mir einen Eisbeutel auf den Kopf packte. Als ich fünf Stunden später erwachte, ging es mir nicht viel besser. Ich schluckte ein paar Aspirin und begab mich ins Büro. Betty hatte natürlich schon Feierabend. Ich ließ mich auf den Stuhl hinter meinem Schreibtisch fallen, legte die Füße auf die Tisch­platte und dachte nach. Als Erstes fiel mir eine Frage ein, die ich den Cops am Morgen hätte stellen sollen. Warum waren sie so schnell an dem abgelegenen Tatort aufgetaucht? Wahrscheinlich eher: Wer hatte sie verständigt? Menjou schied aus, vielleicht die Lady? Ich überlegte mir, beim Revier anzurufen, entschied mich dann aber, zuerst ein we­sentlich wichtigeres Telefonat zu führen. Aus Bonadores Unterlagen

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kramte ich die Nummer von Jack Wallmer heraus. Ich ließ mich ver­binden.

»Anschluss Wallmer, ja bitte?« Es war eine älter klingende Frau­enstimme.

»Wer spricht dort bitte?« »Die Haushälterin. Was wünschen Sie?« »Mein Name ist Patrick Connor, ich hätte gern Mister Wallmer ge­

sprochen.« »Mister Wallmer ist noch in seinem Büro in der Hafenbehörde.« »Danke.« Ich legte auf. Ich beschloss, gleich Nägel mit Köpfen zu machen und hinunter zu

den Chicago-Docks zu fahren. Wallmer wäre es bestimmt nicht recht, wenn ich ihn in der Sache zu Hause aufsuchte. Ich schlängelte mich in meinem Plymouth durch den Verkehr und stand eine halbe Stunde später im Vorzimmer des Zollinspektors.

»Mein Name ist Pat Connor, ich möchte Mister Wallmer spre­chen.«

Wie man es erwarten konnte, legte die Sekretärin einen erstaun­ten Ausdruck auf ihr eigentlich hübsches Gesicht. Ich beugte mich ü­ber ihren Schreibtisch hinweg und flüsterte verschwörerisch: »Privat.«

Sie blieb unbeeindruckt. »Haben Sie einen Termin?« »Brauchte ich einen?« »Der Zollinspektor ist ein beschäftigter Mann...« »Melden Sie mich einfach an. Hier ist meine Karte.« Ich zog eine

Geschäftskarte aus der Innentasche meines Jacketts, die mich und den seligen Bonadore als Investmentberater auswiesen. Es ist meist nicht gut, gleich mit der Privatdetektivtür ins Haus zu fallen. Wir hatten eine ganze Reihe von Karten, die uns wahlweise als Boxpromoter, Banker, Immobilienmakler oder auch Antiquitätenhändler auswiesen. Sie warf einen Blick auf die Karte und verschwand mit wiegenden Schritten in Richtung einer dick gepolsterten Tür. Als ich ihr nachblickte, fiel es mir nicht schwer, mir den eng anliegenden Rock und die schmale Kostüm­jacke wegzudenken. In Bezug auf Frauen schien Wallmer einen guten Geschmack zu haben. Ob die Kleine nicht nur das Büro mit ihm teilte?

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Ich hoffte, Wallmer würde sich durch die Karte nicht irritieren lassen, den Namen Joe Bonadore darauf wieder erkennen und die richtigen Schlüsse ziehen. Kurz darauf erschien die Kleine wieder in der Tür und winkte mich zu sich.

»Sie haben Glück, der Zollinspektor hat ein paar Minuten Zeit.«

Ich schob mich so nah wie möglich an ihr vorbei und erntete dafür einen drohenden Blick. Jack Wallmers Büro war geräumig. Er saß ge­genüber der Tür hinter einem Schreibtisch, zu seiner Rechten befand sich ein riesiges Fenster, von dem aus man den gesamten Hafen über­blicken konnte und auf einer niedrigen Anrichte standen detailgenaue Schiffsmodelle. Die restlichen drei Wände zierten Fotos von den Dock­anlagen, die die Geschichte des Binnenhafens von Chicago während der letzten fünfzig Jahre dokumentierten. Ich wusste aus Joes Unter­lagen, dass Wallmer um die fünfzig war, doch den Mann hinter dem Schreibtisch hätte man gut zehn Jahre jünger schätzen können. Er musste wohl um einen Meter neunzig groß sein und alles an ihm strahlte Eleganz und guten Geschmack aus. Nachdem sich die Tür hin­ter mir geschlossen hatte, deutete er mit der rechten Hand, in der sich zwischen Zeige- und Mittelfinger meine Karte befand, auf einen Sessel vor seinem Schreibtisch.

»Nun, Mister Connor, was kann ich für Sie tun? Sie sind Invest­mentberater. Was treibt Sie zu der Annahme, dass ich Ihre Dienste benötige?«

Konnte die Vorzimmerdame etwa mithören, oder was sollte das sonst, ging es mir durch den Kopf. Ich beschloss nicht lange herum­zumachen.

»Vergessen Sie die Karte. Wichtig darauf ist nur der Name meines Partners, Joe Bonadore«, gab ich zurück und ging auf keine seiner Fra­gen ein.

Jack Wallmer zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, schaute noch einmal auf die Karte und las halblaut: »Joe Bonadore?« Er schüt­telte den Kopf. »Tut mir Leid, der Name sagt mir ebenso wenig wie der Ihre, Mister Connor.«

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»Privatdetektei Connor und Bonadore, jetzt nur noch Connor«, klärte ich ihn auf und das Erstaunen in seinem Gesicht wurde noch größer.

»Und was habe ich damit zu tun?« Mir kamen jetzt wirklich Zweifel. Wenn der Mann seine Überra­

schung nur spielte, dann hätte er einen Oskar verdient. Ich beugte mich aus dem Sessel etwas nach vorne. »Hören Sie, Mister Wallmer, Sie haben vor knapp drei Wochen meinen Partner beauftragt, Ihre Frau zu überwachen...«

»Warum sollte ich das?«, unterbrach er mich. Ich schluckte. »Nun, vielleicht weil es gewisse Hinweise gab, dass

sie einige Bekannte hat, die etwas zu viel von ihr kennen«, versuchte ich diplomatisch zu sein.

»Erpressung? Das ist doch lächerlich.« Jetzt platzte mir endgültig der Kragen. »Mister Wallmer, ich spre­

che hier nicht von Erpressung. Aus unseren Unterlagen geht eindeutig hervor, dass Sie meinen Partner beauftragt haben, Ihre Frau zu be­schatten weil sie sich mit anderen Männern herumtreibt...«

»Sylvia? Niemals. Das ist lächerlich, Mister Connor.« »Sie haben meinen Partner nicht engagiert?«, fragte ich ungläu­

big. »Ganz bestimmt nicht und ich kann nur hoffen, dass es sich hier

um ein Missverständnis handelt und nicht um einen schlechten Scherz. Meine Frau und ich führen eine harmonische und glückliche Ehe. Und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auf Nimmerwiedersehen ver­schwinden.«

Kaum hatte er das gesagt, ging auch schon die Tür hinter mir auf und Miss Wiegegang stand bereit, mich hinaus zu expedieren. Ich stand da wie ein begossener Pudel und man hätte mich auch an einem Nasenring aus dem Büro führen können, mir wäre es egal gewesen. Unten vor dem Gebäude trat ich erst einmal mit voller Wucht gegen den Vorderreifen meines Wagens. Der darauf folgende Schmerz brach­te etwas klares Denkvermögen zurück. »Ruhig bleiben, Pat«, sagte ich mir, »was du jetzt am Nötigsten brauchst, ist ein Drink.« Ich fuhr zu­

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rück zur Loop, dem Businessdistrict, in mein Büro South Franklin, Ecke Monroe Street.

Zwei vierstöckige Bourbon später war mein klares Denkvermögen wieder hergestellt, was mich aber in dem Fall auch nicht weiterbrach­te. Dieser italienische Bastard Bonadore! Ich hoffte nur, dass er in der Hölle schmorte und den ganzen Tag damit beschäftigt war, ordentliche Akten anzulegen. Ich stierte auf die wenigen Notizen, die er zu dem Fall gemacht hatte. Natürlich war ich davon ausgegangen, wenn eine verheiratete Frau überwacht wurde, dass der Ehemann der Auftragge­ber war - wer sonst.

Ich griff zum Telefon und ließ mich mit der Chicago Tribüne ver­binden. Zuerst musste ich mehr über den Zollinspektor und seine Frau erfahren und die beste und schnellste Möglichkeit war Brendon Smith, ein Freund meines Vaters und Sportreporter bei der Tribune, was aller­dings nicht hieß, dass er sich nur beim Baseball und Football aus­kannte.

»Brendon Smith«, dröhnte es aus dem Hörer, als ich endlich zu ihm durchgestellt wurde.

»Hallo Brendon, ich bin's, dein Patenkind«, meldete ich mich, denn seit meine Eltern vor zehn Jahren gestorben waren, war ich für Brendon wirklich so etwas wie ein Patenkind.

»Hallo Junge. Findest du nichts Lebendes mehr, dass du jetzt schon neben Leichen schläfst?«

Mein nächtliches Missgeschick hatte sich also schon rum gespro­chen. »Woher weißt du?«

»Na hör mal, Pat, bin ich bei der Zeitung oder nicht?«, antwortete er, ohne wirklich etwas zu erklären.

»Wenn du schon so gut informiert bist, dann kannst du mir be­stimmt weiterhelfen. Ich brauche ein paar Informationen über Jack Wallmer und seine Frau...«

»Den Zollinspektor?« »Ja, genau den.« Brendon erwies sich wieder einmal als bestens

informiert. Er pfiff durch die Zähne. »Was hast du denn mit dem am Hut?« »Geschäftsgeheimnis. Sag mir einfach, was du über sie weißt.«

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»So einfach ist das nicht«, zierte sich Brendon. »Ich muss da ein bisschen graben. Wie wär's heute Abend, übliche Zeit, üblicher Ort?«

Ich stimmte zu und legte nachdenklich auf.

*

Übliche Zeit und üblicher Ort, das hieß Henry's Steak Dinner in der North Dearborn Street nicht weit vom Redaktionsgebäude der Tribüne am Chicago River entfernt. Ich hatte schon meine dritte Tasse Kaffee, als Brendon endlich mit einer halben Stunde Verspätung um neun Uhr das Lokal betrat. Er wälzte sich mit seinen fast hundert Kilo, zwanzig davon Übergewicht, zwischen den Tischen hindurch und ließ sich dann ächzend auf den Stuhl mir gegenüber fallen. Unaufgefordert stellte der Kellner seine Tasse Kaffee vor Brendon, die dieser mit einem Seufzer wohligen Behagens in einem Zug leerte. Wir ließen uns beiden aus der silbernen Blechkanne nachschenken. Die Flüssigkeit in unseren Tassen war zwar braun, doch nie durch eine Kaffeemaschine gegangen. Sie hatte ihren Ursprung in einer illegalen Brennerei irgendwo zwischen hier und der kanadischen Grenze. Ein Hoch auf die Prohibition, nie war die Versorgung mit Stoff so gut gewesen. Früher hätte man in einem Restaurant nie Schnaps bekommen, die Lizenz wäre viel zu teuer ge­wesen, doch heute gab es nirgendwo mehr Schnaps, was de facto bedeutete, man bekam ihn überall.

»Jetzt sag mal«, forderte mich Brendon auf, »was hast du denn letzte Nacht angestellt.« In seiner Stimme schwang väterliche Besorg­nis.

Ich zuckte mit den Schultern und grinste unsicher. »Keine Ah­nung. Hab jemanden verfolgt und dann gingen die Lichter aus. Danach wurde ich von Quirrer unsanft geweckt und neben mir lag eine Leiche. Und Quirrer hatte eine Knarre in der Hand, in der zwei Kugeln fehlten, die in dem Toten steckten. Sag mal, weißt du aus deinen unerschöpfli­chen Quellen, wieso Quirrer so schnell am Tatort war? Normalerweise findet der noch nicht mal eine Leiche, wenn sie ihm der Weihnachts­mann bringt.«

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Brendon nahm noch einen Schluck Kaffee. »Kenny hat so was läu­ten hören, du weißt, unser Polizeireporter. War kurz nachdem du weg warst am Tatort. Also Kenny hat sich von Quirrer anhören müssen, wie schnell die Polizeikräfte in diesem Fall reagiert hätten. Kaum zwanzig Minuten nach dem Anruf wären sie schon am Tatort gewesen.«

»Hat er auch gesagt, wer angerufen hat?«, fragte ich mit unver­hohlenem Interesse.

»Nein. War natürlich anonym. Eine Frauenstimme.« Ich pfiff leise durch die Zähne und dachte sofort an Sylvia Wall­

mer. »Sagt dir das etwas?« Ich schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich, weniger als eine Vermu­

tung. Und jetzt sag mir lieber, was du über die Wallmers weißt.« Bevor Brendon antworten konnte, kamen unsere Steaks. Groß,

dick und blutig. Zusammen mit einer riesigen Portion Bratkartoffeln und Krautsalat. Ein Berg ehrlicher Nahrung, in den man sich hinein vergraben konnte und der Wallmer erst einmal zur Nebensache wer­den ließ.

Zwanzig Minuten später lehnte ich mich genüsslich zurück und steckte mir eine Lucky Strike zwischen die Lippen. Brendon zog eine seiner unsäglichen Zigarren aus dem Jackett und wir genossen einen weiteren Kaffee. »Also?«, fragte ich, als er die ersten dicken Qualm­wolken ausgestoßen hatte.

»Was meinst du ist die Aufgabe eines Zollinspektors?« Ich betete eine Liste von Offensichtlichkeiten herunter, zu der er

bedächtig nickte. Als mir nichts mehr einfiel, meinte er: »Chicago ist ein wichtiger Zollhafen im Warenaustausch mit Kanada. Besonders seit 1920, du verstehst?«

Nein, ich verstand nicht, aber Brendon zierte sich nicht lange, es mir zu erklären. Das ergab einen Sinn. Sämtliche Fracht aus Kanada wurde unter Wallmers Aufsicht abgefertigt. Machte er im richtigen Moment die Augen zu, dann fanden bestimmte Fässer und Kisten ihren leichten Weg ins trockengelegte Amerika. Und die Augenbinde würde in diesem Fall aus großen Dollarscheinen bestehen. Die Schmuggler hatten den Vorteil, ihre Ware nicht mehr bei Nacht und Nebel an der

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Polizei vorbei an Land bringen zu müssen, mit der üblichen hohen Ver­lustquote, wenn sie erwischt wurden, was bei Spitzenwaren ganz schön ins Geld ging.

»Das ist die Theorie«, meinte Brendon. »Und wo ist der Haken?«, fragte ich. »Wallmer hat eine so blütenreine Weste, dass neben ihm selbst

der Papst wie ein Schwerverbrecher wirkt.« »Und seine Frau?« »Ist die Jungfrau Maria.« Ich erzählte Brendon von meinen Beobachtungen am gestrigen

Abend im Lee Side Club, die ein ganz anderes Licht auf diese heilige Jungfrau warfen. Gleichzeitig griff ich in die Jacketttasche, zog das Foto heraus und schob es ihm über den Tisch zu.

»Das ist nicht Sylvia. Das ist ihre Schwester Jane Murdock. Sie wohnt bei den Wallmers. Ist knapp fünf Jahre jünger als ihre Schwes­ter und sehr lebenslustig, wie man so sagt. Über Sylvia Wallmer kann man nichts Schlimmeres sagen, als dass sie vielleicht einmal den Bi­belkreis geschwänzt hat.«

Ich wünschte Bonadore die ewige Verdammnis in der Registratur der Hölle.

*

Am nächsten Morgen, die Sonne kämpfte sich gerade durch die Dunst­schleier über dem Michigansee, saß ich an meinem Schreibtisch und dachte nach. Nachdem ich wohl eine halbe Stunde lang Löcher in die Luft gestiert hatte, klapperte Betty herein.

»Hallo Pat«, meinte sie als sie, ihren Schreck, mich so früh im Bü­ro zu sehen, überwunden hatte.

Ich knurrte etwas in ihre Richtung, was man als Erwiderung des Grußes auffassen konnte. Sie ließ sich umständlich hinter ihrem Schreibtisch nieder und schaute mich erwartungsvoll an.

»Sagen Sie mal, Betty, hat Ihnen Joe irgendwas über den letzten Fall erzählt?«

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Ihr Gesicht wurde nachdenklich und ich versuchte dahinter zu kommen, welchen Teil meiner Frage sie nicht verstanden hatte.

Dann schüttelte sie den Kopf. »Keiner erzählt mir doch was.« Es klang enttäuscht und entschuldigend zugleich.

»Aber Sie müssen doch etwas mitbekommen haben«, insistierte ich. »Hat er seine Klienten hier getroffen, Telefonate geführt, Post bekommen...«

Das Klingeln des Telefons entband Betty erst einmal von weiteren geistigen Anstrengungen.

»Detektei Connor und Bonadore, private Ermittlungen.« Ich warf ihr einen strafenden Blick zu. Es musste Detektei Connor

heißen, aber wahrscheinlich wäre ich auch schon längst unter der Er­de, bis sie das in ihren Kopf hineinbekommen hätte.

Ich beobachtete Betty, wie sie angespannt zuhörte, nickte und schließlich versuchte etwas zu sagen. Dann starrte sie auf den Hörer und schmiss ihn schließlich auf die Gabel.

»Also das muss ich mir nicht bieten lassen!« Ich blickte sie verständnislos an. Sie schluckte, räusperte sich. »Ich soll Ihnen ausrichten, dass Sie

Ihre Finger von der Sache lassen sollen, sonst würden Sie ganz schnell Joe Gesellschaft leisten.«

»Einen Namen hat er sicher nicht genannt.« Sie schüttelte den Kopf. »Und was regt Sie daran so auf Betty?«, fragte ich. »Das war

doch nur ein ganz üblicher Drohanruf.« »Sein Vorschlag, wo Sie besser Ihre Finger hin stecken sollten!«,

meinte sie empört und ich konnte es mir denken. Ich überging die Sache.

»Nun?« »Was, nun?« »Betty, ich hatte Sie gefragt, ob Sie irgendwas über Joes Fall mit­

bekommen haben, erinnern Sie sich?« Sie nickte und ihr Gesicht nahm wieder den konzentrierten Aus­

druck an, den man sonst nur bewundern konnte, wenn sie sich die Nägel lackierte. Ich versuchte ihr auf die Sprünge zu helfen. »Joe hat

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den Auftrag bekommen, eine untreue Ehefrau zu observieren, Sylvia Wallmer. Als Erstes stellt sich heraus, dass der Auftrag nicht, wie zu erwarten, vom Ehemann stammte, dann zeigte sich, dass die Beobach­tete gar nicht die Ehefrau ist, sondern ihre kleine Schwester. Joe wird mit einem Hammer erschlagen und ich wache neben einer Leiche auf. Grund genug, dass Sie Ihre grauen Zellen auf Hochleistung bringen.« Man hörte es förmlich in ihrem Kopf rattern. Ich hatte es schon fast aufgegeben, als Betty zaghaft meinte: »Ich glaube, er hat den Auftrag von einem Italiener bekommen.«

Prima, dachte ich mir, es gibt ja nur eine halbe Million Italiener in Chicago, minus einen, wenn man Bonadore abrechnete. »Geht's etwas genauer? Wie hat er ausgesehen? Wann war das?«

»Vor etwa drei Wochen oder vielleicht vier?«, grübelte Betty. »Und?« »Was und?« Ich war kurz davor, die oberste Schublade meines Schreibtischs

aufzuziehen, meinen 38er Smith & Wesson Revolver herauszuholen und Betty zu erschießen. Mildernde Umstände würde ich auf jeden Fall bekommen, vielleicht sogar einen Orden wegen Verdienste um die Menschheit. »Weiter, wie hat er ausgesehen und und und...«

»Wie ein Italiener halt. Teure Klamotten, schlechte Manieren«, meinte sie mit einem im wahrsten Sinne des Wortes entwaffnenden Schulterzucken. Jede Kugel war hier verschwendet. »Aber er hatte ein cremefarbenes Packard-Coupé mit kastanienfarbenen Kotflügeln Bau­jahr '26. Aus dem Fenster habe ich gesehen, wie er mit Joe zusammen einsteigen ist.«

Auf Betty war also doch noch Verlass. Wenn es darum geht, Män­ner nach ihrem Einkommen und somit nach ihrer Eignung als poten­tielle Heiratskandidaten zu taxieren, war sie ungeschlagen. »Sie haben den Fall nicht hier besprochen?«

»Nicht, dass ich wüsste. Nur ein paar Worten und dann sind sie zusammen weg.«

*

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Die Abenddämmerung senkte sich über die Stadt und ein leichter Nie­selregen als Vorbote eines nasskalten Herbstes hatte eingesetzt. Ich saß mir in meinem Wagen den Hintern wund, während ich schon seit drei Stunden auf das Haus der Wallmers starrte und hoffte, eine der beiden Frauen würde herauskommen. Am liebsten natürlich Jane. Das Haus an der Pine Grove Avenue auf der North Side war gut zwei Nummern zu exklusiv für einen Zollinspektor und der schmiedeeiserne Zaun mit dem großen zwar offen stehenden Tor etwas zu abweisend für einen ehrenhaften Normalbürger. Ich ersparte mir sämtliche Grü­beleien darüber, aus welchen Quellen die Differenz zwischen Lebensstil und Gehalt eines Beamten wohl stammte. Wenn Brendon behauptete, dass Wallmer so rein wie frisch gefallener Schnee war, dann gab es erst mal nichts daran zu rütteln. Ab und zu kurbelte ich das Seitenfens­ter herunter, um den Zigarettenqualm heraus und leider auch den Nie­selregen herein zu lassen. Würde die Lady heute Abend auf Tour ge­hen, oder trauerte sie um ihren so plötzlich verstorbenen Begleiter?

Es war schon dunkel, als ein Scheinwerferpaar den inzwischen dichten Regen zerteilte und ein mir bekannter Auburn langsam in die Auffahrt einbog. Im Licht der Torlampe erkannte ich Jack Wallmer am Steuer und Jane auf dem Beifahrersitz. Ich wartete noch eine halbe Stunde, doch nichts tat sich. Ich gab auf und fuhr zu Dunky.

Wahrscheinlich stand mir der Frust in großen Lettern ins Gesicht geschrieben, denn Dunky entdeckte seine mitfühlende Ader. Als er mir den dritten Bourbon hinstellte, fragte er: »Probleme?«

Ich blickte erstaunt auf und in ein schiefes, unsicheres Grinsen. »Ist es so schlimm, Dunky?«

»Na ja«, meinte er zögernd, »du siehst aus wie in die Ecke ge­spuckt.«

»So fühle ich mich auch. Ich dachte immer, Bonadore hätte mir schon alles angetan, doch dann musste er sich auch noch umbringen lassen.« Es war nicht viel los bei Dunky, also gab ich ihm einen kurzen Überblick über all die Puzzleteile, die nicht zusammenpassten. Er hatte wirklich seinen großzügigen Tag, denn ohne den Einsatz eines ameri­kanischen Präsidenten erfuhr ich von ihm, wer ein '26 Packard-Coupé

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mit besonders auffälliger Lackierung fuhr. Ich pfiff leise durch die Zäh­ne und ließ mein Glas noch einmal füllen.

»Besser, du lässt die Finger davon. Dein Partner hat sich da in was reinziehen lassen, was ein paar Nummern zu groß ist.«

»Du bist heute schon der zweite mit diesem guten Rat, Dunky.« Er zog die Augenbraue hoch. »Der erste hat mir allerdings noch einen Tipp gegeben, wo ich

meine Finger sonst hin stecken könnte.« Dunky zuckte mit den Schultern und kümmerte sich um seine an­

deren Gäste. Salvatore ›Iceman‹ Carpese. Mir fielen sofort zehn andere Typen,

einschließlich eines fünfzehn Zentner schweren Grizzlys im Chicagoer Zoo ein, mit denen ich es lieber zu tun hätte. Der Iceman organisierte für den Cardinal den Schnapshandel auf der gesamten South Side und man behauptete, er hätte einmal einen Kontrahenten in einer Bade­wanne voll Gin ersäuft und diese danach leer getrunken. Aber das war sicher nur ein Gerücht. Selbst der Iceman würde so etwas einem gu­ten Gin nicht antun. Das Coupé passte aber ohne Zweifel zu ihm. Nur wie passte alles andere zusammen? Normalerweise hätte ich jetzt Joe zu den Italienern geschickt, um ein paar Fragen zu stellen, doch das hatte er anscheinend schon getan und wie es ausgegangen war, war bekannt.

*

Am nächsten Morgen rasierte ich mich besonders sorgfältig, zog von meinen drei Anzügen den besten an, gab mir Mühe die Krawatte or­dentlich zu binden und machte mich nach einem kurzen Besuch in meinem Büro, von wo aus ich beim Zollinspektor anrief, um sicher zu sein, dass Jack Wallmer auch dort war, auf dem Weg zum Wallmer-Anwesen.

Das Tor stand offen. Über die Zufahrt steuerte ich meinen Ply­mouth vor die Haustür. Nach meinem Klingeln erschien ein Kerl mit der Figur eines Catchers in der Tür, den man in die Livree eines But­lers gesteckt hatte.

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»Sie wünschen?« »Ich möchte Miss Murdock sprechen.« »In welcher Angelegenheit?« »Eine vertrauliche«, erklärte ich, um seinen Fragen ein Ende zu

bereiten. »Ich glaube nicht, dass das möglich ist«, gab er zurück und die

Tür war schon fast ins Schloss gefallen. »Ich glaube schon. Sagen Sie der Dame einfach, es ginge um Piet

de Holden.« Ein Moment des Zögerns, oder hatte ich mich getäuscht, dann war

vor mir nur noch die massive Holztür mit den Messingbeschlägen. Ich stand unschlüssig herum und steckte mir erst einmal eine Zigarette an. Der Vorgarten war so groß wie ein halbes Footballfeld und zeigte, dass wohl eine halbe Footballmannschaft von Gärtnern damit beschäftigt war, ihn in Schuss zu halten. Doch jetzt war niemand zu sehen. Was gar nicht in das Bild passte, war mein betagter Plymouth.

»Miss Murdock lässt bitten.« Der Sesam hatte sich weit geöffnet und der Butler gab mit steiner­

ner Miene den Weg nach innen frei. In dem Vorraum war nichts billig. Ich nahm meinen Hut ab und folgte dem Butler nach links in einen Raum, der förmlich nach Geld roch, eher schon danach stank. Holzge­täfelte Wände, eine Couch, auf der man problemlos die Abschlussklas­se eines Mädchencolleges hätte vernaschen können, ein niedriger Tisch mit Marmorplatte und fünf Ledersessel, von denen jeder einzelne noch für eine bequeme Nummer gut gewesen wäre.

»Bitte warten Sie. Miss Murdock wird gleich bei Ihnen sein«, er­klärte der Butler und war auch schon verschwunden. Anscheinend hat­te er keine Angst, ich könnte silberne Löffel klauen.

Unschlüssig ging ich einmal um die Sitzgruppe herum und ließ mich dann in einem der Sessel nieder. Mehr und mehr beschlich mich das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Das hier war ohne Zweifel einer der Mühlsteine, zwischen die zu geraten ich in Gefahr war. Der andere war der Cardinal und sein Iceman. Welcher von beiden schlim­mer war, wagte ich nicht zu beurteilen.

»Was kann ich für Sie tun, Mister...?«

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Eine Stimme wie gefrorener Samt. Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt. Die Tür fiel leise hinter ihr ins Schloss und sie glitt auf mich zu, während ich aus dem Sessel sprang.

»Connor, Pat Connor«, stellte ich mich vor. »Nun, Mister Connor?« Sie trug einen blauseidenen Hausmantel und ich hätte mein See­

lenheil verwettet, nicht viel darunter. Zuletzt hatte ich sie ja nur aus einiger Entfernung gesehen, doch jetzt stand sie direkt vor mir. Es war eine Frau, die Blinde sehen und Lahme gehen machen konnte. Der blaue, weich fließende Stoff passte sich ihrer Figur an wie eine zweite Haut, das blonde Haar fiel leicht gewellt bis auf die Schultern und ihre leuchtend rot geschminkten Lippen verhießen das Paradies und noch einiges mehr, was ich mir im Moment gar nicht vorstellen wollte. Ihre graugrünen Augen musterten mich spöttisch mit einem unsicheren Flackern darin.

»Miss Murdock«, krächzte ich und räusperte mich. Sie schien diese Reaktion auf ihr Aussehen gewohnt zu sein. »Miss Murdock«, wiederholte ich etwas glatter. »Es geht um Piet

de Holden.« »Das hat mir George schon gesagt.« Sie umkurvte den Marmor­

tisch und ließ sich mir gegenüber auf der Couch nieder. Ich fiel in den Sessel zurück. Sie zog die Beine hoch und bedeckte sie erst dann wie­der mit dem blauen Stoff. »Darf ich Ihnen vielleicht einen Drink anbie­ten?«

Ich nickte. »Ist Gin in Ordnung?« »Haben Sie auch Bourbon?« Sie zog die eine, fein ausrasierte Augenbraue nach oben, sagte

aber nichts. Jane Murdock erhob sich wieder von der Couch und strich an meinem Sessel vorbei zu einer Ansammlung von Karaffen, die sich auf einem Sideboard an der Wand hinter mir befand. Mit zwei Gläsern kam sie zurück. Sie reichte mir den Bourbon und behielt den bestimmt dreistöckigen Gin für sich. Dann setzte sie sich vor mir auf den Couch­tisch und beugte sich genauso weit vor, dass ich sicher war, mein See­

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lenheil zu behalten. Ich nahm einen tiefen Blick und einen ebensolchen Schluck.

»Hat sich die Polizei schon mit Ihnen in Verbindung gesetzt?« »Die Polizei?« Das Erstaunen in ihrem Gesicht hätte als echt

durchgehen können. »Warum in aller Welt? Wegen eines kleinen Drinks?«

»Nein, wegen einer großen Leiche. Nämlich der von Holden.« Der Bourbon hatte mich wieder nüchtern gemacht. Die gute Jane wollte mich einwickeln. Jetzt mussten eigentlich die Tränen kommen, aber so perfekt waren ihre schauspielerischen Fähigkeiten nun auch nicht. Zu­mindest schaffte sie es, von Erstaunen zu Entsetzen zu wechseln.

»Piet tot? Das kann nicht sein. Wann soll das denn passiert sein? Hatte er einen Unfall?«

»So kann man es auch nennen«, entgegnete ich. »Er ist unglückli­cherweise in die Flugbahn von zwei Kugeln gelaufen. Das kann schon mal passieren.«

»Das glaub ich nicht«, sagte sie bestimmt und schüttelte den Kopf.

»Ob Sie das glauben, interessiert mich nicht. Ich will nur wissen, was Sie vorgestern Nacht in Burlington County gemacht haben.«

»Was sollte ich wohl in Burlington County tun?« Mir fielen dazu ein paar Antworten ein, aber ich war mir inzwi­

schen sicher, dass die ganze Angelegenheit nichts mit dem Offensicht­lichen zu tun hatte.

»Das sollen Sie mir ja gerade sagen, Miss Murdock. Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum. Sie waren bis halb drei im Lee Side Club, das kann nicht nur ich, sondern noch mindestens ein halbes Dutzend anderer Leute bestätigen. Dann haben Sie zusammen mit Holden ziemlich überstürzt den Club verlassen und sind nach Burling­ton raus gefahren...«

»Wer sagt das?« »Ich, denn ich bin Ihnen gefolgt.« Janes gespieltes Erstaunen wurde immer besser. »Sie sind mir gefolgt?«

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»Ja. Bis zu dem kleinen verschwiegenen Haus und habe Sie durchs Fenster beobachtet.« Ich hielt es erst einmal für besser nicht zu erwähnen, dass bei mir die Lichter ausgegangen waren.

»Dann wissen Sie ja auch, dass Piet noch lebte, als ich wegging«, lenkte sie ein oder wechselte einfach die Rolle auf der Bühne der Lü­gen. »Was soll das also werden? Eine Erpressung?«

»Der Tod von Holden scheint Ihnen ja nicht viel auszumachen«, wich ich aus.

Sie leerte ihr Ginglas und beugte sich noch etwas weiter vor. Ihre Hand war auf einmal auf meinem Knie und tastete sich nach oben. »Er war ein netter Kerl, aber ich glaube, Sie sind mindestens genauso nett.« Ihre Lippen blieben halb geöffnet, ihre Zunge huschte darüber und intensivierte den feuchten roten Schimmer. Ihre Hand bewegte sich inzwischen in Bereichen, die definitiv nicht mehr jugendfrei waren und durch den auseinander klaffenden Hausmantel konnte ich ihren Bauchnabel sehen.

»Jane, was soll das?« Ich zuckte herum, doch Jane reagierte überhaupt nicht. An der

Tür stand eine zweite Ausgabe der lüsternen Jane, allerdings ordent­lich gekleidet und ihre Stimme klang so gar nicht nach gefrorenem Samt.

»Und wer sind Sie?« Jane zwei kam mit festen Schritten auf uns zu, während Jane eins sich jetzt doch daran machte, ihren Hausmantel in eine etwas züchtigere Form zu bringen. Ich stand auf.

»Pat Connor«, stellte ich mich ein weiteres Mal vor. »Und was wollen Sie in meinem Haus?« Bevor ich antworten konnte, fühlte sich Jane berufen, die Situation

zu klären. »Jetzt stell dich nicht so an, Sylvia. Wir haben uns nur nett unterhalten. Ganz harmlos.«

Man konnte deutlich sehen, dass Sylvia Wallmer ganz anderer An­sicht war. »Also, Mister Connor, was wollen Sie hier?«

Sylvia Wallmer war ein paar Zentimeter größer als ihre Schwester, hatte die gleichen graugrünen Augen, ihr dunkelblondes Haar war streng nach hinten frisiert und dort mit einer Bernsteinhaarklammer zusammengesteckt. Ihre Figur ließ nichts zu wünschen übrig, obwohl

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sie etwas fraulicher wirkte als ihre jüngere Schwester. Sie trug ein hochgeschlossenes, dunkles Kostüm, mit dem sie jederzeit hätte zu Bibelstunde gehen können, wie Brendon so schön gesagt hatte. Ihre Haltung zeigte eines ganz deutlich: »Meine Schwester ist ein Flittchen und ich weiß es, aber mit mir ist nicht zu spaßen.«

»Wir haben uns nur über einen gemeinsamen Bekannten unter­halten und ich war gerade im Begriff zu gehen«, beantwortete ich ihre Frage nicht.

Jane schmollte und schwänzelte um die Couch herum. »Jane, du gehst jetzt auf dein Zimmer.« Noch nicht einmal ein

hart gesottener Seemann hätte versucht, ihr zu widersprechen. »Und Sie verlassen sofort mein Haus. George!«

Sie hätte den Gorilla in der Livree nicht zu rufen brauchen. Ich hatte meinen Hut schon in der Hand und war auf dem Weg in die Hal­le. George packte mich mit einer seiner riesigen Pranken am Ellenbo­gen und schob mich auf die Eingangstür zu. Das konnte ich gar nicht leiden. Ich schüttelte seine Wurstfinger unwirsch ab und blieb stehen. Bevor er mich wieder packen konnte, drehte ich mich ungeschickt um, wobei mein Ellenbogen ihn so unglücklich in der Nierengegend traf, dass er aufstöhnte und ein paar Schritt nach vorne stolperte. Jane huschte die Treppe hinauf, während Sylvia Wallmer in der Tür er­schien.

»Übrigens«, meinte ich zu ihr und versuchte den wütend schnau­benden George zu übersehen, »soll ich Ihnen schöne Grüße von Piet de Holden bestellen.«

Nicht ein Muskel in ihrem Gesicht zuckte. »George.« Der Bulle kam auf mich zu, packte mich am Oberarm, dass ich

glaubte in einen Schraubstock geraten zu sein und warf mich hinaus. Ich rechnete ihm hoch an, dass er vorher noch die Tür aufgemacht hatte.

*

Mein nächster Weg führte mich in die East Huron Street, 23. Ich hoff­te, die Plattfüße hätten sich schon verzogen und ich könnte mich un­

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gestört in Holdens Wohnung umsehen, obwohl ich keine Ahnung hat­te, nach was ich suchen sollte. Die East Huron liegt etwas zurück vom Lake Shore Drive, wo ich meinen Wagen parkte und dann zu meinem Ziel schlenderte. Ich begutachtete das vierstöckige Backsteinhaus von allen Seiten und kam zu der Überzeugung, dass die Luft rein sei. Mit was auch immer Holden sein Geld verdient hatte, es musste viel gewe­sen sein. Ich schlich mich durch den noblen Hausflur zwei Treppen hoch und erkannte seine Wohnungstür sofort an dem Polizeisiegel daran. Der Rest war ein Kinderspiel.

Auch in Holdens Bleibe erwartete mich gediegene Eleganz, die ihm allerdings nichts mehr nützte. Ich wühlte durch die Schränke, die ganz offensichtlich schon von den Cops gefilzt worden waren, aber wie ich Quirrer und seine Leute kannte, waren sie nicht sehr begeistert von dem Job gewesen und hatten ihn dementsprechend ausgeführt. Nun, auch ich konnte nur auf einen Glückstreffer hoffen. Nach einer halben Stunde hatte ich weder Glück noch einen Treffer. Ich ließ mich nieder­geschlagen in einen der Sessel sinken, steckte mir eine Lucky an und dachte nach. Ohne einen guten Schluck wollte mir das nicht gelingen. Ich ging in die kleine Küche, die zum Appartement gehörte und suchte die üblichen Verstecke für Denkbeschleuniger ab.

Als ich das Flaschenlager endlich fand, musste ich Holden Hoch­achtung zollen und mir zu meinem unstillbaren Durst gratulieren. Die falsche Rückwand in seinem Backofen war mir erst beim dritten Hinse­hen aufgefallen. Vielleicht musste man einfach Junggeselle sein, um auf so etwas zu kommen. Da weiß man einfach, dass ein Backofen so überflüssig ist wie ein Kühlschrank am Nordpol. Wichtiger als der Schnaps war allerdings der in Leder gebundene großformatige Kalen­der, der ebenfalls dort versteckt war. Für mich gab es keinen Grund mehr, länger als einen tiefen Schluck in der Wohnung zu bleiben.

*

Ich saß an diesem Nachmittag in meinem Büro, hörte die Hochbahnen der Loop an meinem Fenster vorbeirumpeln und versuchte mir einen Reim auf die Eintragungen in Holdens Kalender zu machen.

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Es waren ein paar Namen darin verzeichnet mit Telefonnummern, ganz selten Adressen, aber die von Jane Murdock zum Beispiel fehlte. Wahrscheinlich wusste er sie auswendig. An bestimmten Tagen waren Summen eingetragen, dreistellige und vierstellige Dollarbeträge, die sich für die letzten vier Monate auf über 50.000 Dollar summierten. Kein Rückschluss auf irgendwelche Gegenleistungen seinerseits oder von wem das Geld stammte. Für den heutigen Tag stand da: 5000 $, 21:00 Uhr, Buckingham. Die würde er wohl nicht mehr abholen kön­nen. Ich fragte mich, ob sich Holdens Tod schon bis zu seinen Ge­schäftspartnern herumgesprochen hatte und um welche Geschäfte es sich dabei handelte? Mein untrüglicher Riecher sagte mir: Erpressung. Aber wen hatte Piet de Holden wie eine Weihnachtsgans ausgenom­men? Egal, ich beschloss, mir heute Abend etwas Kultur zu gönnen und um neun Uhr an der Buckingham Fountain zu sein. Mal sehn, was sich da so tat und einen anderen Anhaltspunkt hatte ich auch nicht.

Ich schenkte mir den letzten Rest aus der Bourbonflasche aus Holdens Wohnung ein und griff zum Telefon.

»Hollyfield«, brummte es aus dem Hörer. »Hier ist Ihr bester Ermittler«, meldete ich mich jovial. »Mein Gott, Connor«, stöhnte der Captain auf. »Wieder mal neben

einer Leiche geschlafen?« »Nein, die junge Dame war sehr lebendig«, versuchte ich einen

Scherz zu machen. »Connor, Sie Stinktier, neben Ihnen würde es noch nicht einmal

des Teufels Großmutter aushalten«, gab er zurück. Klang da vielleicht ein bisschen Neid aus seiner Stimme? Ich versuchte wenigstens es mir einzureden.

»Captain, eine Frage, wovon hat Piet de Holden eigentlich ge­lebt?«

»Geht Sie nichts an, Connor. Ich kann Ihnen aber sagen, woran er gestorben ist.«

»Mann, Captain, erzählen Sie mir schon etwas über den Kerl, mit dem ich unfreiwillig eine Nacht verbracht habe.« Ich hörte durchs Te­lefon Papier rascheln und wie Hollyfield seine Zigarre in den anderen Mundwinkel schob.

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»Piet de Holden, Holländer, 32 Jahre alt, keine Vorstrafen, keine nachweisliche Erwerbsquelle, aber immer gut bei Kasse.«

»Und woher kommt das Klingeln in seiner Kasse?« »Man munkelt, er wäre bestimmten Bedürfnissen älterer vermö­

gender Ladies gegenüber sehr aufgeschlossen gewesen. Das war's, Connor und denken Sie daran, Sie sind noch nicht aus dem Schnei­der.«

Nachdenklich hängte ich auf. Ein Gigolo. Ich schüttelte den Kopf. So gut konnte niemand sein, um die Beträge im Kalender zu rechtfer­tigen. Und wie passte die attraktive Jane Murdock da ins Bild?

Um halb neun parkte ich meinen Plymouth im Schatten einiger Bäume am Columbus Drive, von wo ich einen guten Blick auf die Bu­ckingham Fountain hatte. Sie war gerade vor ein paar Monaten einge­weiht worden und wir verdankten sie der edlen Spenderin Kate Bu­ckingham, die damit ihrem Bruder ein Denkmal setzen wollte. Mir wä­ren auf Anhieb genügend andere Dinge eingefallen, die ich mit der Million Dollars, die die gute Kate da verbaut hatte, hätte machen kön­nen. Der Mond tat mir den Gefallen, die Szenerie in bleiches Licht zu hüllen. Der Strom der Autos, die um die Fountain herumkurvten, war wie üblich um diese Zeit zu einem dünnen Rinnsal verebbt und vom Casino des Chicago Yacht Clubs, wehten Musikfetzen und Gelächter herüber. Ein paar Wagen standen auf dem Parkplatz am Lake Shore Drive und vereinzelt bummelten Liebespaare im kalten Wind, der vom See herüberwehte. Warum ich hier stand und mir den Hintern abfror, wollte mir nach einer Viertelstunde schon nicht mehr einleuchten. Ge­langweilt beobachtete ich die vorüberrollenden Wagen. Fast wäre mir der Auburn entgangen. Ich verfolgte, wie er in das Carre um die Foun­tain einbog. Ich startete den Motor und klemmte mich in sicherem Abstand hinter den Auburn. Ganz offensichtlich suchte oder erwartete der Fahrer etwas. Ich schob meinen Hut tief ins Gesicht und ging das Wagnis ein, den Wagen zu überholen. Am Steuer saß Jane Murdock. Zum Glück blickte sie gerade in die andere Richtung. Ich gab Gas und war schon vorbei. Dann schien sie entdeckt zu haben, was sie suchte. Am Jackson Drive stand ein dunkler Cadillac, an dessen Kühlerhaube lässig zwei Typen lehnten. Jane ließ den Auburn ausrolle, so dass er

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direkt hinter dem Caddy zum Stehen kam. Ich hielt auf dem Lake Sho­re Drive an und verfolgte die Szene aus gut hundert Metern. Jane stieg aus, ging zum Caddy und stieg hinten ein. Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, dann war sie wieder draußen, drückte ein dickes Päckchen wie ein heiß geliebtes Baby an ihre Brust und verschwand in ihrem Wagen. Ich hätte wetten mögen, dass sich 5000 Dollar darin befan­den. Als der Auburn weg war, schwangen sich die beiden Typen auf den Vordersitz. Gleich würde auch der Cadillac m der Nacht ver­schwinden. Ich gab Gas und schaffte es, direkt hinter den Wagen zu kommen. Ich warf einen genauen Blick darauf, überholte ihn dann und, sah mir aus den Augenwinkeln die beiden Typen an. Eine Verfol­gung konnte ich mir sparen. Wagen und Typen gehörten eindeutig zu ›The Jar‹ O'Malley.

Nicht, dass dadurch irgendetwas klarer würde - außer, dass sich The Jar nicht erpressen ließ. Gegen die Lebenserwartung von jeman­dem, der das versuchte, war eine Eintagsfliege ein Methusalem. Aber vielleicht war das der Schlüssel. War Piet de Holden an den Falschen geraten? Doch warum zahlte dann O'Malley an Jane Murdock? Mir schwirrte der Kopf und um den Kreisverkehr in meinem Schädel in geordnete Bahnen zu lenken, brauchte ich einen Drink.

*

Dunkys Laden war gerammelt voll. Ebenso die meisten seiner Gäste. Am Tresen, zu dem ich mich schließlich vorgekämpft hatte, standen ein paar Bräute, die mich auch ohne Drink meine Sorgen vergessen ließen.

»Na, Süßer«, hauchte es auf einmal an meinem Ohr und als ich der Stimme mein Gesicht zuwandte, knallte ich direkt auf ein Paar schnapsfeuchte Lippen.

»Nicht so stürmisch, Honey«, meinte die Blonde, obwohl sie den Nahkampf eröffnet hatte. Ich schob mich ein Stück aus der Tuchfüh­lung hinaus.

»Tut mir Leid, Schöne«, entschuldigte ich mich. Eine kurze Muste­rung der aufgetakelten Blondine auf Männerfang und mir war klar,

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dass man schon einige Drinks brauchte, um sie sich schön zu trinken. Ich wendete mich ab und versuchte Dunky auf mich aufmerksam zu machen.

Er stellte einen Bourbon vor mich und war gleich wieder ver­schwunden. Die Blondine versuchte noch einmal mit mir anzubandeln, doch ich war nicht in der Stimmung und sie nicht die Frau, mich in eine andere zu versetzen. Jane Murdock hätte da viel größere Chancen gehabt, was mich wieder zurück zu meinem Fall brachte. Die Bourbon zogen an mir in der einsamen Regelmäßigkeit vorbei, wie der Zeiger an der Uhr über der Bar seine Kreise zog, bis sich Dunkys Laden so weit geleert hatte, dass ich ein paar Worte mit ihm wechseln konnte; Der Umsatz hatte ihn zufrieden und gesprächig gemacht.

»Was fällt dir zu Wallmer ein?«, fragte ich ihn nach dem Aus­tausch der üblichen Höflichkeiten über die Qualität seiner Ware.

»Der Zollinspektor?« Ich nickte und fügte noch hinzu: »Und seine Frau sowie Schwäge­

rin.« »Jackson.« Das ließ mich aufhorchen. Zwanzig Dollar, das war obere Katego­

rie. Also hatte er ein paar brandheiße Informationen. Ich zog zwei Hamiltons aus der Tasche und schob sie unter das Glas vor mir, von wo sie wie weggezaubert verschwanden. Dunky blickte sich um, aber wir waren so gut wie alleine.

»Sieh dir das Haus 324, North Aberdeen an...« Ich zog die Augenbraue hoch und wollte schon fragen warum. »... da haben die Wallmers bis vor gut einem Jahr gewohnt. Dann

vergleichst du es mit ihrer jetzigen Bleibe. Ungefähr um diese Zeit ist die Schwester von Sylvia Wallmer aufgetaucht und von da an ging's nach oben, aber nicht über die Treppe, sondern im Fahrstuhl. Hüte dich vor der Alten, die ist kalt wie ein Eisblock und man sagt, das trifft auf alles zu, du verstehst? Jedenfalls scheint auch ihr Mann dieser Mei­nung zu sein, denn man munkelt, er holt sich im Bett der Schwägerin, was ihm seine Frau nicht bieten kann.« Dunky hätte nicht zu zwinkern brauchen. Ich hatte schon verstanden. Mit einer Handbewegung for­derte ich ihn auf, weiterzuerzählen.

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»Nach außen hin kommt der plötzliche Reichtum von Jane Mur­dock, die das Geld mitgebracht haben soll, aber niemand weiß etwas Genaues. Auf jeden Fall konnte man Jack Wallmer bis jetzt nichts Ille­gales nachweisen. Bekannt ist allerdings auch, dass ›II Cardinale‹ schon lange in Richtung des Zollinspektors mit den Zähnen knirscht. Das sind die Teile, die ich dir liefern kann, zusammensetzen musst du sie schon selbst.«

»Komm, komm, Dunky«, entgegnete ich. »Ein bisschen mehr musst du mir schon für die beiden Zehner liefern.«

»Hör dich mal bei den Makkaronis um. Da gärt es ganz schön. Gönn dir einen Abend im Star Blush«, riet er mir mit einem schiefen Grinsen.

»Du willst wohl deinen besten Kunden verlieren«, gab ich einge­denk meines letzten Besuchs dort zurück.

»Einen Tipp habe ich noch für dich und der ist gratis«, meinte Dunky und war schon halb die Theke hinunter. »Bei Mann und Frau geht es nicht immer um das Rein-Raus-Spiel, klar?«

Nichts war klar und es war schon spät. Morgen würde ich mich mit klarem Kopf an die Sache machen. Ich knallte einen Fünfer auf die Theke und ließ Dunky mit seinen letzten Kunden allein. Draußen er­wartete mich ein kalter Nachtwind. Ich kletterte in meinen Plymouth und gondelte die North Clark hinauf zu meiner Wohnung.

Ich bemerkte die beiden Typen, die aus dem Hauseingang traten, erst im letzten Moment und das war definitiv zu spät.

»Hallo Pat«, krächzte einer der Kerle und baute sich direkt vor mir auf.

»So spät noch unterwegs?«, meinte der andere nicht wirklich um mich besorgt.

»Hast du keine Angst um deine Nase, Pinocchio?« Die beiden waren ganz bestimmt nicht hier, um gemütlich über

Kindermärchen zu plaudern. Meine einzige Chance lag darin, sie zu überraschen. Zuerst gab ich mich mal ahnungslos. »Was wollt ihr, Jungs? Soll ich eure herumhurenden Freundinnen beschatten? Dann kommt morgen in mein Büro.«

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Der eine gab ein Knurren wie eine bissige Dogge von sich. »Du hast deinen Riechkolben schon viel zu weit in Dinge gesteckt, die dich nichts angehen, Pinocchio.«

Der Spruch schien ihm anscheinend zu gefallen. Es war Zeit zu handeln. Ich trat einen Schritt zurück und sie rechneten wohl damit, dass ich abhauen wollte. Als sie meiner Bewegung automatisch folg­ten, knallte ich Pinocchio meine Faust mit voller Wucht auf die Nase, dann wirbelte ich herum und verpasste dem Zweiten genau die gleiche Behandlung - das heißt, ich wollte es. Doch meine Faust fuhr ins Leere und mich erwischte ein Schlag, der meinen Magen bis an die Oberkan­te der Speiseröhre trieb. Ich klappte zusammen, erreichte aber den rettenden Boden nicht, denn Pinocchio hatte sich blitzschnell erholt und riss mich mit einem Aufwärtshaken nach oben, genau in die Arme seines Kumpels. Ich hing buchstäblich in den Seilen, während mich der Märchenfan mit Schlägen eindeckte. Einmal versuchte ich noch ihm in den Unterleib zu treten, doch es war ein erbärmliches Unterfangen. Als ich von einem Hacksteak nicht mehr zu unterscheiden war, ließen sie mich auf den Boden fallen.

»Hör zu, Schnüffler. Ich sage es dir nur einmal: Such dir einen an­deren Job. Lass die Finger von Miss Murdock.« Um seinen Ratschlag zu unterstreichen, trat mir sein Kumpel in die Nieren.

»Hast du kapiert? Sämtliche Wallmers sind tabu für dich. Wenn du jemanden von der Familie siehst, dann ist es besser, du drehst um und rennst in die andere Richtung, bis dir die Lunge aus dem Hals kommt, klar.«

Ich röchelte, spuckte Blut, was die beiden wohl als Zustimmung auffassten und es mit einem weiteren Tritt, diesmal in den Magen, belohnten.

»Sei froh, dass du kein Makkaroni bist, Pat. Dann würdest du jetzt schon mit zwanzig Kilo Eisen auf dem Rücken im See schwimmen. Aber wir Iren müssen ja schließlich zusammenhalten, oder?« Zur Bes­tätigung erhielt ich noch zwei Tritte. Dann endlich waren die beiden zufrieden. Vielleicht war ihnen die Auseinandersetzung auch nicht mehr sportlich genug. Ganz weit entfernt hörte ich, wie ein Auto an­gelassen wurde. Dann legte ich mich schlafen.

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*

Irgendwann im trüben Licht eines regnerischen Morgens wachte ich auf. Meine Klamotten waren durchnässt und mein Glück wäre vollkom­men gewesen, wenn ich nur darüber hätte klagen müssen. Ich fühlte mich wie der Punching-Ball eines Schwergewichtsboxers. Und der Schmerz ließ nicht nach. Ich kroch ins Haus und schleppte mich die drei Treppen bis zu meiner Wohnung hoch. Ich versuchte gar nicht erst irgendetwas zu unternehmen, sondern ließ mich einfach aufs Bett fallen.

Als ich zum zweiten Mal an diesem Tag aufwachte, regnete es im­mer noch und ich fühlte mich nicht besser. Mühselig stand ich auf, zog die immer noch feuchten Klamotten aus und betrachtete mich im Spiegel. Ich hatte schon Leute gesehen, die schlimmer aussahen, doch die hatten nicht mehr gelebt. Mein Körper war von Blutergüssen über­sät und mein Gesicht war besser geeignet, kleine Kinder zu erschre­cken, als der schwarze Mann. Ich steckte mir eine Zigarette an und beim ersten Zug musste ich mir die Lunge aus dem Hals husten, gleichzeitig bäumte sich mein Magen auf und ich schaffte es gerade noch bis zur Kloschüssel. Ein paar Zähne waren auch locker, doch das würde schon wieder. Der stechende Schmerz beim Atmen beunruhigte mich aber doch. Genauso wie das Blut im Urin, als ich pinkelte. Ich brauchte professionelle Hilfe.

»Detektei Connors, private...« Ich ließ Betty ihren Spruch nicht zu Ende beten. »Ich bin's, Pat«,

keuchte ich ins Telefon. »Wer ist da?«, fragte die dumme Gans. Ich räusperte mich und wiederholte, hoffentlich deutlicher: »Ich

bin's, Pat.« »Ach Pat, Sie klingen, als ob Sie halb Chicago trockengelegt hät­

ten«, meinte Betty süffisant. »Ich habe jetzt keine Zeit für Scherze, Betty. Sie müssen sofort

herkommen...« »Und wo ist das bitte?«

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»In meine Wohnung?« »Was soll das denn werden? Was soll ich in Ihrer Wohnung.

Kommen Sie gefälligst ins Büro, hier waren schon ein paar Anrufe für Sie und eine Dame hat nach Ihnen gefragt.«

»Eine Dame, was für eine Dame? Ich kenne keine Damen.« »Eine wirkliche Lady«, gab Betty zurück und fügte hinzu: »Hätte

ich Ihnen gar nicht zugetraut.« Ich mir auch nicht, aber das war egal. Ich erklärte Betty mit ein

paar Worten, was vorgefallen war und dass sie mich zum Arzt fahren musste. Sie versprach zu kommen, als ich ihr versicherte, dass ich das Taxigeld natürlich übernehmen würde.

Eine Stunde später saß ich, nachdem Betty meinen treuen Ply­mouth ausgiebig malträtiert hatte, bei Doc Fletcher auf dem Behand­lungstisch. Er schlich um mich herum, klopfte hier, fragte, ob es da weh täte, drückte mal auf die eine, dann auf eine andere Stelle, wobei ich meist aufstöhnte, murmelte irgendwelches Zeug vor sich hin und setzte sich dann bedeutungsvoll hinter seinen Schreibtisch.

»Nun, Connor, ich muss sagen, für eine Leiche befinden Sie sich in einem hervorragenden Zustand. Sollten Sie aber der irrigen Meinung sein, dass Sie leben, dann kann ich dafür keine Gewähr übernehmen.«

Doc Fletcher war ein Raubein. Schon als mich meine Mutter als Kind zum ersten Mal zu ihm geschleppt hatte, war ihm der Umgang mit einer zarten Kinderseele gänzlich fremd gewesen. Ich hatte damals entzündete Mandeln gehabt und als er sie mit einer ekligen Lösung bepinselte, war seine größte Sorge, dass ich ihm nicht den Boden voll kotzte, was angesichts meines Würgens mehr als wahrscheinlich er­schien.

»Na, Doc, so schlimm wird es nicht sein«, gab ich mit einem schiefen Grinsen zurück.

»Wenn Sie meinen. Dann will ich mal mit den guten Nachrichten anfangen. Die Platzwunde über Ihrem rechten Auge kann ich problem­los nähen. Ich nehme an, Sie brauchen keine Betäubung, denn der Schmerz der Nadelstiche wird Sie etwas von den anderen Schmerzen ablenken.« Er verzog keine Miene. Sollte der Doc es diesmal wirklich ernst meinen? »Sie haben außer den Kleinigkeiten, die ich jetzt erst

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mal weglasse, zwei gebrochene Rippen, einige üble Hämatome an Kopf und Rücken, das Blut deutet auf eine Nierenverletzung hin und Ihr Brechreiz kommt nicht vom Magen, sondern von einer veritablen Gehirnerschütterung. Am besten, ich weise Sie sofort ins Grant Hospi­tal ein.«

Ich blickte Doc Fletcher entgeistert an. »Connor, ich mache hier keinen Spaß.« Zum ersten Mal seit ich

ihn kannte, glaubte ich es ihm aufs Wort und sah deutlich die Besorg­nis in seiner Miene. Irgendwie war er ein Freund der Familie gewesen, solange ich noch eine hatte. Zusammen mit Brendon hatte er mir da­mals, als meine Eltern gestorben, über die Sache hinweggeholfen, soweit man über so etwas überhaupt hinwegkam. Damals hatte er auch aufgehört mich Pat zu nennen. Seit dieser Zeit war ich Connor für ihn, wie er immer meinen Vater genannt hatte. Ich nickte. »Wie lan­ge?«

»Sie brauchen Bettruhe. Eine Woche mindestens. Und Ihre Nieren müssen untersucht werden. Vielleicht auch operiert. Hier kann ich das nicht genau feststellen. Also ich bestelle jetzt eine Ambulanz.« Er griff zum Telefon und ich fügte mich in mein Schicksal.

*

Nach zwei Tagen war ich wieder draußen. Alles hatte sich nicht als so schlimm erwiesen wie befürchtet. Ich war zwar noch etwas wacklig auf den Beinen, aber zumindest konnte ich schon wieder hinter meinem Schreibtisch sitzen und ein bisschen herumtelefonieren. Mein 38er lag allerdings nach dieser Erfahrung griffbereit vor mir. Betty klapperte auf der Schreibmaschine herum und ich hakte meine Liste ab. Brendon war der Nächste darauf. Als er mich im Krankenhaus besuchte, hatte ich ihn darum gebeten, seine Quellen anzuzapfen und mir so viele In­formationen über die Wallmers, besonders aber auch Jane Murdock zu beschaffen, wie er konnte.

»Nicht viel«, beantwortete ermeine Frage nach Ergebnissen. »Was heißt, nicht viel?«

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Er druckste herum. »Sie scheinen sehr zurückgezogen zu leben. Ein vorbildliches amerikanisches Ehepaar. Allerdings fehlen die Kinder, um das Bild perfekt zu machen. Ansonsten keine Affären. Regelmäßige Kirchenbesuche, keine Schulden...«

»Keine Schulden?«, unterbrach ich ihn. »Hast du die Sache mit dem Haus überprüft?«

»Ja. Nichts Anstößiges daran. Sie sind einfach umgezogen. Das Haus wurde ordnungsgemäß bezahlt. Alles ist ganz rechtens.«

Ich schüttelte nachdenklich den Kopf, was Brendon natürlich nicht sehen konnte. »Was ist mit der Schwester?«

»Nichts.« »Nichts?« »Nichts über sie herauszufinden, außer dem, was du sowieso

schon weißt.« »Und, was weiß ich?« »Jane Murdock kam vor ungefähr zwei Jahren aus Texas, wo sie

von einem Ölbaron mit einer ziemlich dicken Abfindung geschieden wurde. Sie wurde von ihrer Schwester aufgenommen und genießt seit­dem das süße Leben in Chicago. Was Sylvia allerdings ein Dorn im Auge zu sein scheint.«

»Eine ganz andere Frage: Kann sich ein Zollinspektor eigentlich ein solches Anwesen wie das der Wallmers leisten?«

»Anscheinend schon«, kam es lapidar zurück. Nach kurzem Zö­gern ergänzte Brendon: »Ich denke, Jane Murdock hat wohl mit ein paar Dollars ausgeholfen. Wir reden hier von einer Kaufsumme von einhundert Riesen, das ist kein Pappenstiel.«

Ich bedankte mich und legte nachdenklich den Hörer auf die Ga­bel. In diesem Moment ging die Tür auf und Jane Murdock stand vor Bettys Schreibtisch.

»Guten Tag. Anscheinend habe ich heute mehr Glück«, meinte sie mit einem kurzen Blick in meine Richtung.

»Guten Tag«, erwiderte Betty den Gruß und fügte zu mir gewandt hinzu, »das ist die Dame, die nach Ihnen gefragt hatte.«

Dieser Hinweis wäre nicht nötig gewesen. Ich stand nicht auf, um Jane zu begrüßen und deutete nur auf den Sessel vor meinem Schreib­

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tisch. Als sie sich hinsetzte, rutschte der Rock knisternd über ihre Sei­denstrümpfe nach oben und ich sah deutlich das schwarze Strumpf­band auf ihrem weißen Oberschenkel. Nachdem sie sicher war, dass ich es bemerkt hatte, zog sie den Rock züchtig nach unten.

»Nun, Mister Connor, ich würde gerne eine Angelegenheit mit Ih­nen besprechen.«

Ich lehnte mich vorsichtig zurück, dennoch schickten meine ge­brochenen Rippen eine glühende Speerspitze durch meinen Körper. »Bitte.«

»Unter vier Augen«, meinte Jane Murdock und warf Betty einen unwirschen Blick zu.

»Ich habe vor meinen Angestellten keine Geheimnisse«, gab ich zurück.

Sie schien zu zögern. Holte tief Luft, überlegte es sich dann aber doch anders. »Vielleicht können wir uns heute Abend in etwas private­rem Rahmen treffen.«

»An was hatten Sie gedacht?« Ein Lächeln huschte über ihre Lippen; es verheißungsvoll zu nen­

nen wäre eine unglaubliche Untertreibung gewesen. »Um halb neun im Lee Side Club.«

»Wer könnte da Nein sagen«, stimmte ich zu. Sie stand mit einer fließenden Bewegung auf und auf dem Weg

zur Tür ließ sie ihre Hüften tanzen. Ich stierte Jane Murdock hinterher und konnte nur hoffen, dass sie sich nicht umdrehte. Aber sie war sich der Wirkung ihrer Hüften bewusst. An Bettys Schreibtisch hielt sie ei­nen Moment inne. »Goodbye, Miss.« Und bevor Betty etwas antworten konnte, fiel die Bürotür schon hinter Jane Murdock ins Schloss.

»Was für eine Schlange«, empörte sich Betty. »Ein elendes Luder, als ob sie etwas Besseres wäre.« Ihr Blick in meine Richtung war Zu­stimmung heischend. Ich antwortete nicht sofort. »Sie werden doch nicht dorthin gehen, Pat?«

»Natürlich nicht«, versicherte ich ohne zu zögern. »Für so intelligent hätte ich Sie gar nicht gehalten.« Betty war be­

ruhigt. Sie setzte sich in Positur, brachte ihre Oberweite hinter der Schreibmaschine zur Geltung und blieb eine halbe Stunde länger, als

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sie eigentlich müsste. Als sie schließlich mit ein paar ungewöhnlichen und besorgten Augenaufschlägen verschwunden war, hatte ich Zeit nachzudenken.

Natürlich würde ich um halb neun im Lee Side Club sein, doch wohl war mir dabei nicht. Die Schläger, die mich in die Mangel ge­nommen hatten, standen eindeutig in O'Malleys Diensten und dass ich überhaupt noch irgendwie lebte, verdankte ich wohl meiner irischen Abstammung. Der Verdacht lag nicht fern, dass sie bei Joe nicht so zimperlich gewesen waren. Jane Murdock hatte etwas mit O'Malley zu tun, nur was, wusste ich nicht. Warum sonst sollte er ihr 5000 Dollar geben? Was war Joe auf die Spur gekommen? Was hatten die Wall­mers damit zu tun, wenn überhaupt? Alles Fragen, die nur im Lee Side Club zu beantworten waren.

*

Als ich beim Lee Side Club ankam, sah ich den Auburn schon auf dem Parkplatz stehen. Ich versteckte meinen Plymouth in der hinteren E­cke, damit er sich zwischen den Nobelkarossen nicht schämte. Auch diesmal schaffte ich es nicht bis in den Saal hinunter. Miss Murdock hatte sich für eine abseits liegende Nische auf der Galerie entschieden. Zumindest der Kellner wusste, wen er vor sich hatte. »Miss Murdock hier, Miss Murdock da.« Es war nicht auszuhalten, wie der Pinguin sich gebärdete. Jane saß vor einem Martini, der den Eindruck erweckte, so trocken zu sein, dass man ihn mit einem Bier herunterspülen müsste. In ihrer Zigarettenspitze glühte eine Pall Mall in den letzten Zügen. Ich setzte mich ihr gegenüber und orderte bei dem Pinguin einen Bourbon. Unten auf der Bühne spielte die Hank Gottler Band zum Tanz auf, al­lerdings mit wenig Erfolg. Ein pomadisierter Sänger, der einzige Weiße auf der Bühne, schmalzte das Mikrofon voll.

»Mister Connor, oder darf ich Sie Pat nennen?«, hauchte Jane ü­ber den kleinen Tisch hinweg in meine Richtung.

»Nennen Sie mich ruhig Pat, Jane«, erwiderte ich. Sie lachte leise auf. »Sie verlieren keine Zeit mit Förmlichkeiten.

Das gefällt mir.«

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Ich zuckte mit den Schultern und ließ den Bourbon vorsichtig über meine noch immer geschwollenen Lippe rinnen.

»Ich brauche Ihre professionelle Hilfe.« Ich reagierte mit meinem üblichen Klientengesicht ungeteilter

Aufmerksamkeit, was diesmal auch tatsächlich zutraf. »Ich glaube, mein Schwager wird erpresst.« Ich müsste mich gar nicht bemühen, überrascht zu blicken. »Wie­

so kommen Sie zu dieser Annahme?«, fragte ich, während der Pinguin den dritten Bourbon vor mich stellte. Jane nippte inzwischen auch schon an ihrem dritten oder vierten Martini. Ich steckte mir eine Lucky an und blies den Rauch gelangweilt an die Decke.

»Eigentlich ist es nur ein Gefühl, aber er hat sich in letzter Zeit verändert. Er wirkt nervös, bekommt häufig Anrufe, die er nur einsilbig beantwortet und die immer damit enden, dass er ankündigt, zurück­zurufen. Ich befürchte, er hat große Probleme. Aber reden will er da­rüber nicht. Auch meine Schwester hat sich in letzter Zeit verändert.« Bei den letzten Worten hatte sich Jane Murdock über den Tisch ge­beugt und fast geflüstert, so als ob es sich um ein unsittliches Angebot handelte, was sie mir da machte. Gleichzeitig waren über und unter dem Tisch zwei Dinge passiert, die diesen Eindruck noch verstärkten. Über dem Tisch gewährte sie mir einen tiefen Einblick in ihr Dekolletee und im Erdgeschoss schob sich ihr Knie zwischen meine Beine.

Ich schluckte und versuchte ihr Knie zu vergessen. »Haben Sie ir­gendwelche konkreten Anhaltspunkte? Womit könnte man Ihren Schwager erpressen? Welche Leichen liegen in seinem Keller?«

»Pat«, sie legte mir die Hand auf den Arm und ich hatte das Ge­fühl, man hätte ein heißes Bügeleisen draufgestellt. »Genau dafür brauche ich Sie. Finden Sie den Erpresser.«

Das war nicht meine Frage gewesen, doch Jane war so mit ihren Aktivitäten unter der Tischplatte beschäftigt, dass sie wohl nicht auf­gepasst hatte. Ich konnte mir auf die Sache keinen Reim machen, aber ich witterte Geld. »Ich bekomme vierzig Dollar pro Tagplus Spesen.« Normalerweise berechnete ich zwanzig, aber sie konnte sich bestimmt den doppelten Satz leisten.

Sie nickte.

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»Zweihundert Dollar Vorschuss«, fügte ich noch schnell hinzu. Auch das löste keinen Protest bei ihr aus.

»Ein paar mehr Anhaltspunkte müssen Sie mir aber schon geben«, erklärte ich.

»Gehen wir an einen Ort, wo wir ungestört sind«, meinte Jane mit einem Seitenblick auf den Pinguin, der dienstbeflissen in Hörweite stand. »Dann bekommen Sie auch sofort Ihren Vorschuss und noch einmal fünfzig für die Spesen. Auf eine Abrechnung verzichte ich.«

Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie hätte Erfahrung in solchen Dingen. Spesenabrechnungen waren immer ein heikler Punkt. Kaum ein Klient glaubte, was man ihm sagte, das hieß dann immer Rech­nungen sammeln und endlose Erklärungen, was man wofür unbedingt ausgeben müsste. »Wohin soll's gehen«, fragte ich, als Jane schon in ihrer Handtasche herumkramte und schließlich einen Zwanziger auf den Tisch legte.

»Fahren Sie einfach hinter mir her.« Es war noch nicht wirklich spät und die Straßen noch ziemlich be­

lebt, aber Jane unternahm keinen Versuch mich abzuhängen. Wir fuh­ren die Dearborn nach Norden und je weiter wir auf die North Side ka­men, desto unangenehmer schrillten die Alarmglocken in meinem Kopf. Als sie dann auf die North Clarke einbog, war mir klar, was ihr Ziel war. Die Pine Grove Avenue, das Anwesen der Wallmers. Fünf Mi­nuten später hatte ich die Bestätigung. Mein Plymouth rollte hinter dem Auburn die Auffahrt zum Haus hinauf, in dem kein einziges Licht brannte.

Jane schloss die Haustür auf und erklärte, während sie mich an sich vorbei in die Halle ließ: »Jack und Sylvia sind übers Wochenende aufs Land gefahren und George hat sie begleitet.« Ich nickte erleich­tert. Auf eine Begegnung mit der Schwester konnte ich gut verzichten. Jane führte mich wieder in den Salon, den ich schon kannte, gab mir einen Drink und wollte das Geld holen. Ich machte es mir auf der Couch bequem.

Als Jane zurückkam, hatte sie es sich auch bequem gemacht. Sie trug wieder die blaue Seide, die diesmal noch nachlässiger um die Tail­

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le vom Gürtel zusammengehalten wurde. Sie setzte sich neben mich auf die Couch und blätterte fünf nagelneue Fünfziger auf den Tisch.

»In Ordnung?« Ich starrte auf die Fünfziger, nur um Jane nicht ansehen zu müs­

sen. »Okay, das ist wohl in Ordnung so«, krächzte ich. »Kann ich sonst noch mit etwas dienen?« Wie sie es sagte, war es

mehr eine Aufforderung als eine Frage. Sie hatte einen Körper, für den man eigentlich einen Waffenschein

brauchte und sie ging nicht damit um wie der berühmte Mac the Knife, sondern eher wie der Haifisch, der die Zähne im Gesicht trägt. Ich ka­pitulierte und ließ Jane den Rest erledigen.

*

Irgendwann gegen Morgen war ich wie ein Schuljunge aus dem Haus geschlichen und in meinem Appartement mit schmerzenden Rippen, aber einem Gefühl, als könnte ich über Wasser gehen, völlig kaputt ins Bett gefallen.

Inzwischen stand eine bleiche Sonne über dem See und ich unter der Dusche. Es war Samstag und jeder freute sich auf das Wochenen­de, außer mir natürlich. Ich hatte beschlossen etwas für meine 250 Dollar zu tun - wenn es vielleicht auch nicht ganz das war, was meine Auftraggeberin von mir erwartete.

Zuerst fuhr ich in die North Aberdeen und sah mir den ehemaligen Wohnsitz der Wallmers an. Das Haus Nummer 324 war bestenfalls guter Durchschnitt, eher ein bisschen darunter und keinesfalls mit dem Palast zu vergleichen, in dem ich gestern so gut versorgt worden war. Ich parkte den Plymouth ein paar Meter vom Eingang entfernt und ging auf die Treppe vor dem Haus zu. Dort lungerten ein paar Jungs herum, die offensichtlich hier wohnten und nichts mit ihrer Zeit anzu­fangen wussten. Vielleicht würden ein oder zwei Dollar ihr Problem lösen. Ich schob meinen Hut in den Nacken. »Tag. Nicht viel los heu­te?«, begrüßte ich sie. Gelangweilt blickten drei Gesichter in meine Richtung.

»Und wenn? Was kümmert's Sie?«

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Kein guter Start. »Hört mal, Jungs, vielleicht kann ich etwas dage­gen tun.« Ich wedelte mit zwei Dollarnoten, wodurch mir sofort ihre ungeteilte Aufmerksamkeit galt. »Damit könnte man doch gut übers Wochenende kommen, oder?«

»Wie Sie sagen, Mister.« Der Kerl, vielleicht sechzehn Jahre alt, war anscheinend der Chef auf der Treppe.

»Kennt ihr die Wallmers, die bis vor gut einem Jahr hier gewohnt haben?«

Ein Schulterzucken, das alles oder nichts bedeuten konnte, war die Antwort. »Ihr müsst euch die beiden Scheine schon verdienen. Bei der Heilsarmee bin ich nicht«, stellte ich die Fronten klar.

»Logisch kennen wir die. Der Schnösel und seine Bibeltante. Ha­ben im dritten Stock gewohnt und immer so getan, als seien sie etwas Besseres.« Der Anführer wollte nach den beiden Dollarnoten in meiner Hand grapschen. Ich zog sie zurück, steckte einen Dollarschein in mei­ne Jacketttasche und zerriss den anderen genau in der Mitte. Die eine Hälfte behielt ich in der Hand, die andere ließ ich auf den Wortführer herabflattern. Der schaute mich völlig begriffsstutzig an.

»Was du mir gerade gesagt hast, ist höchstens einen halben Dol­lar wert. Leider habe ich kein Kleingeld.«

»Shit, Mister, was soll ich mit einem halben Schein?«, zischte er zwischen den Zähnen hervor.

»Dir die andere Hälfte verdienen.« »Der Kerl hatte irgendeinen Job am Hafen und einen Wagen...« »Einen Auburn?« »Nein, etwas Kleineres. Einen Ford.« »Und weiter.« »Ja, sie lebten sehr zurückgezogen. Kümmerten sich um nieman­

den im Haus und auch uns konnten sie gestohlen bleiben. Bekamen ganz selten Besuch. Gingen auch selten aus, aber jeden Sonntag in die Kirche.«

Um seinen Redefluss am Laufen zu halten, steckte ich ihm die an­dere Hälfte des Scheins zu.

»Wie war das, als die andere Lady einzog?«

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An seinem breiten Grinsen erkannte ich, dass er sofort wusste, von wem ich sprach.

»Mann, das war ein Weib. Da kam Leben in die Bude. Sind leider kurz darauf weggezogen.«

Er schien es wirklich zu bedauern. »Jetzt erzähl mal ganz ausführ­lich.«

Der zweite Dollar war eine wirklich gute Investition. Jane Murdock war vor knapp zwei Jahren hier mit nicht mehr als zwei Koffern und ih­ren guten Aussehen aufgetaucht. Es dauerte nicht lange und sie wur­den, in Nobelkarossen von ihren nächtlichen Streifzügen heimgebracht und dann auch abgeholt. Einige Male waren auch Italiener darunter, die man sonst hier auf der North Side nur selten sieht. Aber das hatte nicht lange gedauert. Dann waren es hauptsächlich Iren. Doch kaum hatte der Rummel richtig angefangen, zogen die Wallmers auch schon aus und mit ihnen die tolle Lady, wie der Kerl abschließend bedauernd bemerkte.

Mein zweites Ziel war das Haus draußen in Burlington County. Ich hatte einige Schwierigkeiten es wieder zu finden. Ich stellte meinen Wagen in einiger Entfernung davon ab und schlenderte gemächlich die Straße zu dem einsam liegenden Haus hinunter. Die ganze Gegend wirkte merkwürdig verlassen. Auch das bewusste Haus machte einen unbewohnten Eindruck. Nachdem ich zwei Mal darum herumgeschli­chen war, setzte ich meinen Dietrich ein und verschaffte mir Zugang.

Im Wohnzimmer war immer noch der Kreideumriss der Leiche auf dem Boden zu sehen. Nach einer halben Stunde war ich sicher, dass hier niemand wohnte. Diente es Jane Murdock nur für ihre Schäfer­stündchen, wenn ihre Schwester und ihr Mann mal nicht auf dem Land waren? Warum hatten sie sich nicht in Holdens Wohnung vergnügt? Ich wollte mir gerade eine Zigarette anstecken, als von draußen ein Grollen die Straße entlang rollte. Ich ging ans Fenster und sah, wie ein Lastwagen, gefolgt von einem Cadillac, in die einsame Straße einbog. Mein sechster Sinn riet mir, in Deckung zu gehen. Ich stürmte durch die Küche zur Hintertür hinaus in den Garten und verkroch mich zwi­schen den Büschen.

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Der Truck und der Caddy hielten vor dem Haus. Ich wagte mich ein Stück weiter aus dem Gebüsch hervor und beobachtete fünf wie Dockarbeiter gekleidete Männer den Truck entladen. Zwei Typen in dunklen Anzügen führten die Aufsicht. Einen davon kannte ich. Er hat­te mich mit seinem Partner vor meiner Wohnung abgefangen. Es war klar, dass O'Malley seine Finger im Spiel hatte. Was die Arbeiter vom Truck abluden und durch einen gut versteckten Kellereingang an der linken Hausseite nach unten brachten war eindeutig dazu bestimmt, in den besten Lokalen der Stadt ausgeschenkt zu werden. Die Kisten mit Schnaps und die Bierfässer stammten ganz offensichtlich aus regulären Destillen und Brauereien, nicht das gepanschte Morgengrauen, das man in den einfachen Speakeasies erhielt.

Ich sah den Kerl, der direkt auf mein Versteck zukam, viel zu spät. Ich hatte keine Wahl. Bevor er mich entdecken konnte, sprang ich auf und verpasste ihm eine, dass er lautlos zusammensank. Das gab mir einen kleinen Vorsprung. Ich hetzte um das Haus herum, durch den Vorgarten auf die Straße zu und da hörte ich schon von hinter dem Haus Schreie. Die beiden Anzugtypen sahen mich sofort, reagierten aber durch den Aufruhr, den die Schreie unter den Arbeitern ausgelöst hatten, etwas zu langsam. Ich hatte noch knapp hundert Meter bis zu meinem Wagen und vielleicht zwanzig Meter Vorsprung. Im Laufen zog ich meine Smith & Wesson, drehte mich kurz um und feuerte zwei Mal in ihre Richtung. Das brachte sie in Deckung und hielt sie erst einmal auf. Doch ich hatte es hier mit Profis zu tun. Kaum hatte ich meinen Wagen erreicht, pfiffen auch schon die ersten Kugeln in meine Richtung. Ich startete den Plymouth, haute den Gang rein und gab Gas. Vom Rattern einer Tommy-Gun begleitet suchte ich das Weite. Hinter mir heulte der Motor des Cadillacs auf. Ich kurbelte wie wild am Lenkrad, um den immer wieder ausbrechenden Wagen in der Spur zu halten. Mit einem schmatzenden Geräusch fuhr eine Maschinenpisto­lengarbe durch das Verdeck. Ich trat das Gaspedal bis zum Boden durch. Plötzlich machte die Straße eine scharfe Kurve und führte auf eine Brücke über ein ausgetrocknetes Flussbett. Der Plymouth holperte über die alten Holzplanken. Ich biss die Zähne zusammen und um­klammerte das bockende Lenkrad. Hinter mir erklang das Quietschen

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von Reifen im Chor mit dem Kreischen überforderter Bremsen. Ich trat auf die Bremse und schaute in den Rückspiegel. Der Cadillac hatte es nicht geschafft. Er schlidderte durch das berstende Geländer und flog im hohen Bogen in das Flussbett. Einen halben Salto schaffte die schwere Limousine und knallte dann aufs Dach. Ich hielt an. Gerade als ich ausgestiegen war, ging der Wagen in Flammen auf. Ich steckte mir eine Lucky zwischen die Lippen und gönnte mir eine Zigaretten­länge lang das Schauspiel.

*

Am Nachmittag saß ich in meinem Büro, zählte die Züge, die auf der Loop vorbeirauschten, füllte den Aschenbecher und leerte die Bour­bonflasche, während ich immer wieder die gleichen Namen auf einen Block kritzelte. »Wallmer, Jane, Joe, Piet de Holden, O'Malley, Rigobel­lo, Lee Side Club, Star Blush.«

Sie waren einfach nicht in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Wallmer war mit dem Eintreffen seiner Schwägerin zu Geld gekommen, zu viel Geld. Jane kannte das Versteck von O'Malleys Schmuggelwaren, aber dahinter stand schon ein Fragezeichen. Was hatte Piet de Holden mit der ganzen Sache zu tun? Warum ließ sich O'Malley erpressen? Und zu guter Letzt, welche Rollen spielten mein verstorbener Partner Joe und der Iceman dabei? Das Telefon konnte zu keinem besseren Zeitpunkt klingeln.

»Connor, private Ermittlungen«, meldete ich mich. »Hallo Darling...« Janes Stimme knisterte wie Seidenstrümpfe, die

aneinander reiben. »Hast du dich gut erholt?« »Aber ja, Süße. Ich habe schon damit begonnen, die ersten vier­

zig Dollar abzuarbeiten«, gab ich zurück. »Ohne mich?«, erklang es gespielt empört aus dem Hörer. Ich schluckte. Bevor ich etwas darauf sagen konnte, sprach Jane

schon weiter. »Was hältst du davon, wenn du heute Abend ein einsa­mes schüchternes Mädchen ausführst. Zum Beispiel in den Lee Side Club. Natürlich auf Spesen.«

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Einsam vielleicht, ging es mir durch den Kopf, aber schüchtern ganz bestimmt nicht. Ich konnte etwas Abwechslung gebrauchen. »In Ordnung, Süße. Ich bin um acht Uhr bei dir.«

»Gern schon früher«, hauchte sie am anderen Ende der Leitung, »dann brauchen wir nicht so zu hetzen.«

Was immer sie damit sagen wollte, es klang verführerisch.

*

Am nächsten Morgen hatte ich mehr als zwei Tagessätze abgearbeitet und fühlte mich auch so. Die Sonne schien mir ins Gesicht und ich brauchte eine wohlig lange Zeit, bis ich die sanft raschelnden Laken, den süßen Parfümgeruch und den warmen Körper neben mir in den richtigen Zusammenhang gebracht hatte.

»Guten Morgen, Darling.« Ich öffnete die Augen. Die verstrubbelten blonden Haare gaben

Janes Gesicht etwas Verwegenes, was ihr gut stand. Diesmal hatte ich mich nicht wie ein Schuljunge aus dem Haus geschlichen, sondern lag neben ihr in einem breiten Bett, auf das problemlos noch ein paar Kat­zen und ein Rudel Jagdhunde gepasst hätten. Und dieses Bett stand in einem Zimmer des Wallmer-Hauses.

»Wie spät ist es?«, fragte ich und in Gedanken sah ich schon Syl­via Wallmer die Tür aufreißen.

Jane beugte sich über mich, wobei die Bettdecke von ihren Schul­tern und dann auch von ihren Hüften glitt. Sie griff nach ihrer Arm­banduhr auf dem Nachttisch.

»Halb zwölf.« »Sollte ich nicht gehen?« »Wieso?« »Wann erwartest du deine Mitbewohner zurück?« Sie kicherte jungmädchenhaft. »Hat der große Detektiv Angst er­

wischt zu werden?« »Nun, deine Schwester wäre bestimmt nicht erfreut«, gab ich zu

bedenken.

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»Keine Angst«, beruhigte sie mich, »sie werden sicher nicht vor Abend zurück sein.« Sie glitt unter meine Decke und begann dort, wo ich mich erinnerte, dass wir heute Morgen zu einem früheren Zeit­punkt aufgehört hatten.

»Was hast du eigentlich gemacht, bevor du nach Chicago gekom­men bist?«, fragte ich sie, während sie an meinem Ohr knabberte.

»Spielt das eine Rolle?« »Nun, man hört so einiges«, bluffte ich. »So, was hört man denn?« Sie stützte sich auf dem Ellenbogen

auf und musterte mich aus wenigen Zentimetern Abstand. »Etwas von einer Ehe mit einem Ölmillionär in Texas. Einer Schei­

dung und viel Geld.« »Wenn man es hört, dann muss es wohl stimmen«, meinte sie

und legte ihren Kopf auf meine Brust. »Dann erzähl mir doch einfach ein bisschen mehr darüber. Du und

deine Schwester, ihr seid so verschieden.« »Meinst du?«, gab sie zurück, während ihre Lippen meine Brust

bearbeiteten. »Am besten, du hörst mit der Fragerei auf, denn für eine Weile werde ich dir nicht antworten können«, hauchte sie unter der Bettdecke und ihr Kopf glitt nach unten.

*

Nachdem ich mich am späten Nachmittag mit Spinnweben im Kopf, die eine Schwarze Witwe namens Jane gewoben hatte, von dem Wallmer-Anwesen verdrückt hatte, war ich ein paar Stunden später wieder in der Lage, ein paar klare Gedanken zu fassen. Gefallen taten sie mir al­lerdings nicht. Aber es blieb mir nichts anderes übrig. Ich musste zu den Italienern. Als wenn das nicht schon übel genug wäre, ich musste zu Salvatore Caprese, genannt der Iceman. So wie sich in den Händen von König Midas alles in Gold verwandelt haben soll, sagt man von Caprese, dass jeder, der ihm die Hand schüttelt, sich in der Eistruhe der Leichenhalle wieder findet. Ich beschloss, vorsichtig zu sein und auf die üblichen Höflichkeiten zu verzichten.

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Es war gegen neun, als ich das Star Blush betrat. Der fette Kerl hinter der Theke erkannte mich wieder. »Na, Kartoffelfresser, suchst du Ärger?«

Ich schob meinen Hut, den ich diesmal nicht an der Garderobe ab­gegeben hatte, lässig in den Nacken und ließ meine rechte Hand in die Jacketttasche gleiten. »Wenn ich Ärger suchen würde, ginge ich zu richtigen Kerlen und nicht zu italienischen Weichnudeln.«

Er schaute mich entgeistert an. Auch die anderen in der Kneipe nahmen ihre Schrecksekunde, doch dann sprangen zwei Kerle aus Rigobellos Plattfußgarde auf und stürzten auf mich zu. Genau das hat­te ich bezweckt. Ich ignorierte ihre erhobenen Fäuste und zog seelen­ruhig den 38er aus der Jacketttasche.

»Sachte, Jungs«, sagte ich mit der wohlwollenden Stimme eines nachsichtigen Vaters. »Ihr wollt doch kein Loch im Anzug haben, wo der Knopf dazu fehlt?« Kapiert hatten sie es augenscheinlich nicht, aber was ein 38er war, wussten sie beide. Aus den Augenwinkeln mus­terte ich die restlichen Gäste. Auch sie schienen sich meinen ruhig vorgebrachten Argumenten zu beugen. An Überzeugungskraft war Blei noch immer ungeschlagen.

»He, Giovanni«, meinte ich zu dem Kerl, der direkt vor mir stand und schob ihm den kurzen Lauf des Revolvers in den Hosenbund. Au­genblicklich stand seine Stirn unter Schweiß, dass man darauf die jähr­liche Michigan Cross Lake Regatta hätte austragen können. »Pietro...«, versuchte er mich bezüglich des Namens zu korrigieren.

»Also gut, Pietro. Ist mir auch egal. Du hängst dich jetzt ans Tele­fon und rufst Caprese an.« Er keuchte auf. Anscheinend legte der I­ceman keinen Wert auf Anrufe. Ich ließ mich nicht beirren. »Dann sagst du ihm, dass Pat Connor ihn treffen möchte und zwar noch heu­te, oder besser gleich.«

Ein deutliches Aufstöhnen ging durch die ganze Kneipe. Dem Fet­ten hinter der Bar fiel der Unterkiefer fast bis auf seinen Bauch. Der Kerl vor mir machte ein Gesicht, als hätte er den Papst mit der Jung­frau Maria im Bett erwischt. Ich zog die Waffe aus seinem Hosenbund, bedeutete ihm sich umzudrehen und schob ihn mit dem Lauf in seinem Rücken zum Telefon. Immer mit einem Auge auf die anderen Gäste,

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damit die nicht auf dumme Gedanken kamen. Aber offensichtlich hiel­ten sie mich sowieso schon für tot, zumindest so gut wie.

Als die Verbindung hergestellt war, begann der Kerl Italienisch zu quatschen. Hätte ich mir eigentlich denken können. Dann reichte er mir den Telefonhörer. »Bitte.« Ich schob ihn ein Stück zur Seite und versenkte den Lauf wieder dort, wo es ihn besonders nervös machte. Dann lehnte ich mich mit dem Rücken an die Wand und behielt das Lokal im Blick, während ich den Telefonhörer ans Ohr hob.

»Ja, Connor.« »Du bist also der Schnüffler, der Signore Caprese sprechen will.« »Ja«, gab ich zurück. Es folgte ein trockenes Lachen. »Ist das erste Mal, dass ich mit ei­

ner Leiche spreche.« »Hör zu, Giovanni, ich will aber nicht mit dir sprechen. Also sag

mir, wo ich Caprese treffen kann.« »Warum sollte Signore Caprese mit einem elenden Kartoffelfresser

sprechen wollen?« »Sag ihm einfach, es ginge um Joe Bonadore«, meinte ich locker

und fügte dann noch hinzu: »Makkaroni.« Er machte sich nicht die Mühe, die Hand über die Muschel zu halten und rief etwas auf Italie­nisch irgendwohin. Dumpf erklang eine Antwort.

»Hör zu, Schnüffler...« Das war zumindest gegenüber Kartoffel­fresser schon mal ein Fortschritt. »Ja, Giovanni«, erwiderte ich die Höflichkeit.

»... in einer Viertelstunde werden dich ein paar Jungs abholen. Nutze die Zeit und mach dein Testament.« Dann legte er auf.

»Na bitte, es geht doch«, sagte ich und befreite den Kerl neben mir von seinem Angstschweiß.

Ich ließ mir von dem Fetten einen Bourbon hinstellen und lehnte mich mit den Ellbogen aufgestützt mit dem Rücken an den Tresen. Die Spannung im Star Blush war fast körperlich zu spüren, so als lägen die White Sox im eigenen Stadion im letzten Inning zwei Schläge zurück. Die beiden Kerle hatten sich wieder auf ihre Plätze verzogen und grins­ten vor sich hin. Ich war mir nicht mehr so sicher, das Richtige getan zu haben.

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Zwanzig Minuten später ging die Tür auf. Alle zogen instinktiv die Köpfe ein. Die beiden Knaben, die hereinstolzierten, waren ein ganz anderes Kaliber. Sie hielten sich nicht lange mit Höflichkeiten auf. »Dreh dich um, Schnüffler. Hände auf die Theke und einen Schritt zurücktreten.«

Ich kam ihrer Aufforderung nach. »In der rechten Jacketttasche«, nuschelte ich in das leere Bourbonglas direkt vor meiner Nase, um ih­nen die Arbeit zu erleichtern. Sie ließen sich nicht davon abbringen, mich genau zu filzen, nachdem sie meinen 38er aus der bezeichneten Tasche gezogen hatten. Dann schoben sie mich aus dem Lokal. Davor wartete das cremefarbene Packard-Coupé mit laufendem Motor. Wir kurvten hinunter auf die South Side bis in die Nähe des Washington Park. Tiefstes Cardinale-Territorium. Irgendwo zwischen der 55th und der 57th Street bog der Wagen in einen Hinterhof ein. Vielleicht hätte ich den Rat, mein Testament zu machen, befolgen sollen. Zum Glück gab es nicht viel zu vererben. Eigentlich nur eine arbeitsscheue Büro­kraft, die sich perfekt die Nägel lackieren konnte.

Meine beiden Aufpasser stiegen aus und nahmen mich in die Mit­te. Durch die Küche gelangten wir in ein italienisches Restaurant. Alle Tische bis auf einen waren verwaist. Zigarren- und Zigarettenqualm hing in der Luft. Es roch nach Tomaten und Knoblauch. An dem einen Tisch saßen vier Männer. Einer davon war Salvatore ›Iceman‹ Caprese.

»Ah, der Schnüffler«, meinte Caprese, als er mich bemerkte. Ich riss mich zusammen. Nur nicht einschüchtern lassen. »Ich

würde Privatdetektiv als Anrede vorziehen.« Alle außer Caprese lachten laut los. Erblickte mich seltsam ab­

schätzend an. Mit einer kurzen Handbewegung brachte er seine Jungs zum Schweigen.

»Okay, Pat. Ich hoffe, du hast einen guten Grund, mich beim Es­sen zu stören...« Den Rest des Satzes ließ er unausgesprochen, doch ich konnte mir gut vorstellen, wie er lautete. »Stell ihm einen Stuhl her«, blaffte er einen meiner Begleiter an. »Und dann verzieht euch.«

Der Stuhl wurde direkt neben Caprese gestellt und ich ließ mich neben dem Iceman nieder.

»Ein Glas!«

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Aus einer dunklen Ecke des Restaurants, wo sich die Bar und der Durchgang zur Küche befanden, tauchte ein quirliger Italiener auf, der ein Glas vor mich stellte. Unaufgefordert schenkte er mir Rotwein aus der bauchigen Korbflasche auf dem Tisch ein.

»Salute«, meinte Caprese und hob sein Glas. »Cheers«, antwortete ich und nahm einen Schluck von dem Zeug,

an das ich mich wohl nie gewöhnen würde. Wie konnte man so etwas nur trinken?

»Nun, Pat«, begann Caprese in jovialem Ton. »Was hast du auf dem Herzen?«

»Joe Bonadore«, gab ich, zurück. »Wer soll das denn sein?«, wollte er mit einem diebischen Grinsen

wissen. »Mein Partner, verstorbener Partner.« Der Iceman gab sich den Anschein nachzudenken, dann nickte er

langsam mit dem Kopf. »Okay, ich weiß. Und was habe ich damit zu tun?«

»Er arbeitete an einer Scheidungssache, zumindest sah es am An­fang so aus. Sollte Sylvia Wallmer beschatten, die sich mit einem Piet de Holden herumtrieb, während ihr nichts ahnender Ehemann in sei­nem riesigen Haus sitzt und über seinen Job als Zollinspektor nach­denkt. Dann aber hat man meinem Partner mit einem Fünfkilohammer eine Nasenkorrektur verpasst und er ist aus der Narkose nicht mehr aufgewacht.«

»Traurig, traurig«, kommentierte Caprese mit einem bedauernden Schulterzucken. »Aber ich weiß immer noch nicht, was ich damit zu tun haben soll.«

»Nun, die Frau, die Joe observierte, war nicht Sylvia Wallmer, son­dern ihre lebenslustige Schwester Jane Murdock und der Auftraggeber war auch nicht Jack Wallmer, der gehörnte Ehemann, sondern Sie, Mister Caprese.«

Die drei Kerle am Tisch sogen deutlich hörbar die Luft ein. Capre­se selbst verzog keine Miene. Er strich sich nachdenklich übers Kinn und lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück.

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»Nicht schlecht, Pat. Und jetzt willst du wissen, was das alles be­deutet, oder?«

Ich nickte. Plötzlich schoss seine Hand nach vorn, packte mich an der Krawatte und zog mich halb über den Tisch. Mein Rotweinglas kippte um und verbreitete auf der weißen Decke einen blutroten Fleck. Zumindest musste ich das Zeug jetzt nicht mehr trinken, schoss es mir durch den Kopf.

»Hör zu, Schnüffler.« Capreses Gesicht war nur noch Zentimeter von meinem entfernt. »Wenn es nicht einer von uns wäre, dann würde man dich morgen im See finden und vielleicht an deinem Gebiss fest­stellen, wer du mal warst.« Er ließ mich los und ich sank auf meinen Stuhl zurück. Caprese entspannte sich und auch die anderen am Tisch atmeten erleichtert auf.

»Pat, was immer Joe war, er war in erster Linie ein Italiener und wir halten zusammen. Du verstehst?«

Ich verstand es irgendwie, denn bei den Iren ist es genauso. Ich nickte.

»Jetzt pass gut auf, Pat«, dabei legte er mir vertrauensvoll die Hand auf den Arm und ich musste sofort an die Legende vom Iceman denken.

»Joe's Eltern und meine Eltern stammen aus dem gleichen Dorf. Das verbindet irgendwie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ›The Jar‹ ihn auf dem Gewissen hat, aber der Patron will im Moment keinen Ban­denkrieg riskieren. Warum geht dich nichts an, aber die Dinge sind im Fluss. Du weißt, dass die Stadt ziemlich genau aufgeteilt ist und die Preise für Sprit festgelegt sind.«

Ich nickte wieder, wer wusste das nicht. »Vor ungefähr einem Jahr tauchte auf einmal Spitzenware auf

dem Markt auf und das zu absoluten Dumpingpreisen. Kein Mensch weiß, woher sie kommt.«

Ich hob zweifelnd die Augenbrauen. »Natürlich wissen wir, dass sie aus Kanada kommt«, korrigierte

sich Caprese unwirsch. »Aber nicht, wie sie ins Land kommt und wer der Verteiler ist. Alles deutet daraufhin, dass O'Malley die Absprachen verletzt. Doch der leugnet bei der Heiligen Jungfrau, etwas damit zu

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tun zu haben. Schließlich sind wir dahinter gekommen, dass dieser Holländer Piet de irgendwas seine Finger im Spiel hat. Ich hielt es für eine gute Idee, Joe auf die Sache anzusetzen. Ich ging zu ihm, erzähl­te ihm, dass Wallmer mich gebeten hätte, Kontakt mit ihm wegen der Beschattung seiner untreuen Frau aufzunehmen und so weiter. Den Rest kannst du dir denken.«

Ja, das konnte ich. »Sie haben ihn also ins offene Messer laufen lassen. Er war der Meinung, eine untreue Ehefrau zu beschatten und in Wirklichkeit ging es um den Liebhaber. Wo bleiben die viel gerühm­ten Blutsbande, Mister Caprese?«

Einen Moment sah es aus, als wollte er sich auf mich stürzen, doch dann entspannte sich Caprese wieder.

»Es tut mir Leid«, meinte er und ich glaubte es ihm. »Er muss hin­ter etwas gekommen sein, was die anderen ziemlich nervös gemacht hat.«

»Und was das war, wissen Sie nicht?« Caprese zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Er konnte es

mir nicht mehr berichten.« »Gibt es irgendwelche Unterlagen? Berichte, die Joe geliefert

hat?« »Nein, das lief alles nur mündlich. Ich hatte ihm verboten, irgend­

welche Aufzeichnungen zu machen.« Jetzt wurde einiges klar. »Habt ihr Piet de Holden umgebracht?« »Nein. War nicht unser Stil«, gab der Iceman mit einem frostigen

Grinsen zurück. Das stimmte nun auch wieder. Die Makkaronis mordeten anders. »Die fünf Franklins, die ich ihm als Anzahlung gegeben habe,

kannst du natürlich behalten. Als Sterbegeld sozusagen.« Fünfhundert Dollar, ging es mir durch den Kopf. Darüber hatte die

kleine Kanalratte Joe kein Wort verloren. »Sehr großzügig«, quetschte ich mit unterdrückter Wut hervor.

Caprese schaute mich eindringlich an. »War's das?« Ich nickte. »Vielen Dank, Mister Caprese.«

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»Und Pat«, fügte er noch hinzu, als ich schon am Aufstehen war, »du warst nie hier. Und du solltest niemals in deinem Leben noch ein­mal versuchen, so ein Ding durchzuziehen, verstanden?«

»Klar, Mister Caprese.« »Paolo!«, rief er nach hinten ins Lokal hinein. Wie ein Schatten

aus den Schatten stand auf einmal einer meiner Eskorte wieder da. »Bringt den Gentleman wieder zurück und sag dem verdammten Wirt, er soll ein sauberes Tischtuch auflegen.«

An den Gesichtern meiner Begleiter konnte ich ablesen, dass sie sich den Ausgang meines Rendezvous ganz anders vorgestellt hatten und sichtlich enttäuscht waren. Sie schmissen mich vier Blocks vom Star Blush entfernt aus dem Wagen. Ich nahm es ihnen nicht übel, auch nicht, dass sie mir meinen 38er ohne Patronen zurückgaben. Wahrscheinlich hatten sie damit gerechnet, mich ordentlich in die Mangel nehmen zu dürfen und dann waren sie nur bessere Taxifahrer gewesen.

Als ich vor dem Star Blush ankam, hätte ich einfach in meinen Plymouth steigen und nach Hause fahren können, doch mir kam ein viel besserer Gedanke. Ich betrat die Kneipe. Der Fette hinter der Bar schaute mich an wie einen Geist und im gleichen Augenblick ruckten sämtliche Köpfe in meine Richtung.

»Hallo Leute«, begrüßte ich die Versammlung der Salzsäulen und klemmte mich an die Bar. »Einen Bourbon«, knurrte ich dem Barten­der zu. Ich steckte mir eine Lucky an, trank genüsslich meinen Whis­key, um den schalen Geschmack des Rotweins aus dem Mund zu be­kommen und schlenderte eine Viertelstunde später aus dem Star Blush.

*

Am Montagmorgen saß ich in meinem Büro und schaute Betty beim Fingernägellackieren zu. Draußen bliesen die Vorläufer der Herbststür­me durch die Windy City und an die Fensterscheiben prasselte der Re­gen. Ein Wetter, bei dem man noch nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen würde. Gestern Abend hatte ich mich endgültig von der un­

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wahrscheinlichen Möglichkeit verabschiedet, Jack Wallmer könnte wirklich erpresst werden und dass auch nur eines von Janes Worten in dieser Sache etwas mit der Wahrheit zu tun hätte. Der Schlüssel war ein holländischer und er lag in der Leichenhalle. Welche Rolle hatte dieser Piet de Holden bei der Sache gespielt? Und wo waren verdammt noch mal die fünfhundert Dollar, die Joe vom Iceman bekommen hat­te? Ganz offensichtlich war er nicht bereit gewesen, sie über unser Ge­schäftskonto abzurechnen. Das würde ihm noch Leid tun. Doch ir­gendwie hatte ich noch eine zu gute Meinung von ihm, um wirklich zu glauben, was ich dachte.

Ich beschloss, noch einmal Lucia ins Gebet zu nehmen. Vielleicht wusste sie doch etwas und ich hatte nur nicht die richtigen Fragen ge­stellt. Ich würde sie bei ihrer Lunchpause vor dem Versicherungsge­bäude abpassen. Vorher wollte ich mir aber auf jeden Fall noch einmal Joes Wohnung vorknöpfen. Ich stopfte sechs neue Patronen in meinen 38er, ließ die Trommel einrasten und steckte ihn ins Schulterhalfter.

»Ich muss an die Arbeit, Betty. Wenn jemand anruft, dann sag, ich bin morgen früh wieder zu erreichen. Und Sie können mal bei Hol­lyfield oder wem sonst auf dem Revier anrufen und versuchen etwas über einen gewissen Piet de Holden herauszubekommen.«

Sie sah kurz von ihren Fingernägeln auf und nickte. »Morgen ist übrigens Zahltag.«

»Wenn Sie etwas über Holden herausfinden, dann lege ich fünf Dollar auf Ihren Wochenlohn drauf.« Mit den zweihundertfünfzig von Jane in der Tasche konnte ich mir solche Großzügigkeiten leisten.

Ihre Augen glänzten wie blanke Eagles und ich hatte noch nicht die Bürotür hinter mir geschlossen, da hörte ich schon die Wählscheibe surren.

Vor dem Haus empfingen mich der Wind und dichter Regen. Ich drückte mir den Hut fest auf den Kopf, schlug den Mantelkragen hoch und hetzte zu meinem Plymouth, der hinter dem Haus auf einem Parkplatz stand. Der Rücksitz war schon überflutet und durch die Lö­cher, die die Maschinenpistolensalve im Verdeck hinterlassen hatte, plätscherte das Wasser weiter hinein. Auch das fiel unter die Rubrik Spesen. Ich nahm die alte Zeitung vom Vordersitz und stopfte damit

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die Löcher zu. Die aus den Löchern ragenden Zeitungsreste gaben dem Wagen ein abenteuerliches Aussehen. Aber was soll's, einen Schönheitspreis konnte ich damit sowieso nicht mehr gewinnen.

Joes Wohnung war ausgeräumt. Leer wie die Badestrände am ers­ten Januar. Nachdem ich mich genau davon überzeugt hatte, stieg ich die zwei Treppen wieder hinunter und klingelte beim Hausmeister. Der Kerl war so bereitwillig, Auskünfte zu geben, wie eine Katze, durch den Lake Michigan zu schwimmen. Ich hatte weder Zeit noch Lust mich lange mit ihm aufzuhalten und in Anbetracht der teuren Reparatur meines Wagens auch keinen Dollar übrig, um ihm die Zunge zu lösen. Also blieb nur die harte Tour. Gefiel mir persönlich auch besser.

Nachdem ich ihn mit dem Rücken an die Wand geklatscht und meinen Griff an seinem Hals so weit gelockert hatte, dass er wieder Luft bekam, war der Mann auf einmal ganz umgänglich und sagte mir bereitwillig, dass Möbelpacker am Freitag im Auftrag der Hauseigen­tümer den ganzen Schrott aus 219 geholt und wohl auf den Müll ge­bracht hätten. Ich machte mir Vorwürfe, bei meinem letzten Besuch nicht genauer nachgesehen zu haben, doch jetzt war es zu spät. Blieb nur noch Lucia.

Ich parkte den Plymouth fast direkt vor dem Eingang des Büroge­bäudes und wartete, bis die Mittagspause begänne. Der Regen trom­melte noch immer gegen die Windschutzscheibe und sickerte durch das inzwischen aufgeweichte Zeitungspapier auf den Rücksitz. Dann schließlich strömten die Angestellten aus dem Eingang. Die Männer hatten die Hüte tief ins Gesicht gezogen und die Mantelkragen hoch­geklappt, die Frauen waren halb unter Schirmen verborgen, doch Luci­as Waden erkannte ich ohne Probleme. Ich stieg aus und rief über das ramponierte Wagendach hinweg: »Lucia!« Sie hörte mich nicht. Ich hastete um den Plymouth herum und nach ein paar Metern hatte ich sie erreicht.

»Hallo Lucia.« Sie sah mich erstaunt an. »Ach du bist's, Pat.« Irgendwie klang ih­

re Stimme erschrocken. »Ja, ich muss noch einmal mit dir über Joe und seinen letzten Fall

sprechen. Komm, ich lad dich zum Essen ein.«

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»Ich hab aber eigentlich keine Zeit, ich muss...« »Egal, was es ist, es hat Zeit«, unterbrach ich sie. »Du willst doch

auch, dass ich Joes Mörder fange.« Sie nickte zögernd. »Okay.« Ich übernahm galant den Schirm, sie hakte sich brav bei mir unter

und wir steuerten auf ein nahe gelegenes Restaurant zu. Es war eines von der trockenen Sorte, aber ich konnte mir ja später im Büro einen genehmigen. Als wir unser Essen bestellt hatten, kam ich zur Sache, obwohl ich selbst nicht genau wusste, was das war.

»Ich bin in der Angelegenheit ein ganzes Stück weitergekom­men«, begann ich. Eine glatte Lüge, aber das wusste Lucia ja nicht. »Aber jetzt stecke ich in einer Sackgasse. Hat dir Joe wirklich nichts von seinen Nachforschungen erzählt? Irgendwelche Einzelheiten. Viel­leicht auf dem Kopfkissen, wo du nicht so genau aufgepasst hast.«

Sie schaffte es wirklich zu erröten. Jungfrauenhaft schlug sie die Augen nieder. Wenn die Sache nicht so ernst gewesen wäre, hätte ich vielleicht schwach werden können. Dieser Ausdruck stand ihr sehr gut.

»Ach Pat, was du wieder denkst. So eine bin ich doch nicht.« Was glaubte diese dumme Pute eigentlich, ging es mir durch den

Kopf? Über was unterhalten sich Männer, wenn die Baseballsaison vorüber ist und sie nächtelang in einem Auto sitzen, um jemanden zu beschatten? Ich beschloss, erst einmal auf ihr Klosterschülerinnenspiel einzugehen, obwohl ich von Joe einige pikante Einzelheiten erfahren hatte.

»Das meinte ich auch nicht so, Lucia«, wiegelte ich ab. »Aber hat er dir wirklich nichts erzählt? Einen Namen genannt? Jane Wallmer. Piet de Holden...« Ich hatte den Eindruck, bei dem letzten Namen wä­re sie kurz zusammengezuckt, aber es konnte auch eine Täuschung sein.

Lucia schüttelte den Kopf. »Nein, nur dass er diese Frau observiert hat, die sich immer in Clubs herumgetrieben hat. Und dass sie ihren Ehemann betrügt.«

So kamen wir nicht weiter. Aus Erfahrung wusste ich, dass dieses Verhalten nicht zu Joe passte, der immer sein Herz auf der Zunge trug.

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Aber vielleicht war der Iceman ein gewichtiges Argument gegen alle Plaudereien.

»Und was ist mit dem Kuvert, das er dir kurz vor seinem Ableben gegeben hat?« Es war ein Schuss ins Blaue oder Intuition oder Berufs­erfahrung oder vielleicht auch nur ein Klammem an den letzten Stroh­halm. Doch der Schuss hatte getroffen, die Intuition war richtig, die Berufserfahrung hatte gesiegt und der letzte Strohhalm hielt stand. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie zusammenzuckte, nein, sie fiel förm­lich in sich zusammen.

»Welches Kuvert?«, stammelte Lucia, als sie sich wieder gefangen hatte.

Über den schmalen Tisch hinweg packte ich ihren Arm und das nicht sehr liebevoll. Lucia verzog das Gesicht vor Schmerz.

»Hör zu, Herzchen. Ich meine das Kuvert mit den fünfhundert Dol­lar, um die ihr mich betrügen wolltet.«

Tränen traten in ihre Augen. »Bitte, Pat, du tust mir weh.« »Also, wo ist das Kuvert? Und war sonst noch etwas darin?« Sie schluchzte. »So ist das nicht. Ich wusste nicht, was darin ist,

bis Joe tot war. Er hatte es mir ein paar Tage vorher gegeben und gesagt: ›Gib es Pat, wenn ich es nicht mehr kann.‹ Kannst du dir vor­stellen, wie entsetzt ich war?«

»Und warum hast du es mir nicht gegeben?«, knurrte ich und ließ ihren Arm wieder los.

»Als Joe tot war, habe ich es aufgemacht und darin waren fünf Hundertdollarscheine. Versteh doch, Pat. Joe war tot, mein Leben war zerstört. Du hast wenigstens noch die Detektei. Die fünfhundert Dollar gehören mir, als Abfindung...«

»Die fünf Scheine gehören der Detektei. Sie waren das Honorar für den Fall, an dem er arbeitete. Also gehören sie mir.«

»Nein«, entgegnete Lucia auf einmal mit fester Stimme. »Das ist mein Geld. Mein Witwengeld.«

Im Moment interessierte mich das Geld nicht besonders. »War sonst noch etwas in dem Kuvert?«

»Ja, irgendwelche Papiere.« »Hast du sie noch?«

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»Ja. Zuhause in meinem Zimmer habe ich es versteckt.« Ich stand auf und zog Lucia von ihrem Platz. »Los, komm hoch.

Wir fahren sofort zu dir und holen das Kuvert.« Sie wollte protestieren, doch ich drängte sie an dem Kellner, der

gerade unser Essen brachte, vorbei nach draußen. »Aber ich muss doch wieder an meinen Arbeitsplatz«, protestierte

sie, als ich sie durch den Regen zu meinem Plymouth zog. »Vergiss es! Es gibt Wichtigeres.« Ich fuhr durch den strömenden

Regen zur Wohnung der Castrones, als ob die Gefahr bestand, das Ku­vert könnte sich in den nächsten Minuten in Luft auflösen. Mama Castrone war nicht schlecht überrascht, mich mit ihrer Tochter in die Wohnung stürzen zu sehen. Ich murmelte einen Gruß und verschwand mit Lucia sofort in ihrem Zimmer. Irgendwo zwischen ihrer Wäsche zog sie ein braunes Kuvert hervor, griff hinein, nahm die fünf Scheine heraus und gab es mir. Es enthielt noch vier Bogen Papier, die zu­sammengefaltet und eng mit Bonadores Schrift bedeckt waren. Ich warf einen kurzen Blick darauf. Im Büro würde ich mich eingehend damit beschäftigen. Lucias Hand war fest um die Dollarnoten ge­schlossen.

»Her damit«, sagte ich und deutete auf das Geld. Sie schüttelte den Kopf. »Niemals, das ist mein Geld. Joe hat es

mir gegeben.« »Pass mal auf, Herzchen, mir ist völlig egal, was du mit deinem

Liebhaber getrieben hast, aber betrügen werdet ihr beide mich nicht. Die Moneten gehören der Detektei Connor und Bonadore, jetzt nur noch Connor, also her damit.« Ich war mit einem schnellen Schritt bei ihr, packte ihr Handgelenk und drückte zu. Mit einem unterdrückten Schrei öffnete sich ihre Faust und die Scheine flatterten auf den Bo­den. Ich schob Lucia zur Seite und hob sie auf.

»Betrügerin«, knurrte ich ihr noch zu, als ich das Zimmer verließ und durch den schmalen Flur aus der Wohnung stampfte.

*

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Ich staunte nicht schlecht, als ich gegen drei Uhr nachmittags ins Büro zurückkam und Betty immer noch an ihrem Platz saß. »Na, ist der Na­gellack noch nicht trocken?«

»Ich arbeite für mein Geld«, fauchte sie zurück. Ich ersparte mir zu fragen, was und warf meinen nassen Mantel

über den Kleiderständer. »Und, was herausgefunden, was fünf Dollar wert ist?«

Sie grinste mich an. »Ich glaube schon, warte aber noch auf einen Rückruf.«

»Nun, was ist es?«, wollte ich beiläufig wissen, weil ich mir eigent­lich nicht viel davon versprach. Sie wartete, bis ich mich an meinen Schreibtisch gesetzt hatte.

»Also: Piet de Holden, sein richtiger Name ist Millford Garner und geboren wurde er 1893 in Wichita, Kansas. Er hat einige Vorstrafen wegen kleinerer Delikte wie Diebstahl, einfachem Raub und Ähnlichem. In einem Fall von versuchter Erpressung erfolgte keine Verurteilung. Vor zwei Jahren kam er aus St. Louis nach Chicago und hat für ein paar Wochen in einer Absteige in der West 21st Street gewohnt. Da­nach ist er in die East Huron umgezogen...«

Ich stieß einen leisen Pfiff aus und war auf einmal ganz Ohr. Von der West 21st in die East Huron! Das war so, als ob man nach Wasser gegraben hat und auf Öl gestoßen war. »Wie hat er den kometenhaf­ten Aufstieg geschafft?«

Betty zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich kann nur die Fakten ermitteln.«

Und auch das erstaunte mich. »Wie sind Sie an all das gekommen, Betty?«

Ihr Grinsen war fast als verächtlich zu bezeichnen. »Sie halten mich doch für eine dumme Pute, Pat...«

Ich wollte halbherzig protestieren, doch sie ließ mir keine Zeit da­zu.

»... aber ich bin nicht auf den Kopf gefallen und außerdem gibt es so etwas wie ein Netzwerk aller Sekretärinnen.«

Ich hob erstaunt die Augenbrauen. »Ein Netzwerk?«

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»Na ja, kein wirkliches Netzwerk, aber wenn man von Frau zu Frau spricht, uns leidgeprüften Wesen, die die Launen ihrer Chefs zu ertragen haben, dann hilft man sich schon gegenseitig aus.«

Ich nickte bedächtig und konnte mir sehr gut vorstellen, in wel­chen Farben mich Betty gemalt hatte, um die benötigten Informatio­nen zu bekommen. Da klingelte das Telefon. Betty stürzte sich förm­lich auf den Hörer und meldete sich. Ihr Teil des Gesprächs bestand nur aus ein paar Jas und Neins und einigen Rückfragen, aus denen ich absolut keine Schlüsse ziehen konnte. Ich musste mich in Geduld fas­sen. Als sie aufgelegt hatte, war das siegesgewisse Grinsen in ihrem Gesicht zu einem einzigen Dollarzeichen geworden.

»Das war St. Louis, Missouri«, erklärte Betty. »Der letzte Wohnsitz von Jane Murdock, bevor sie nach Chicago gekommen ist.«

»St. Louis? Nicht Texas?« Mein Gesicht musste ein einziges Frage­zeichen sein, denn Betty lachte auf einmal laut los. »Ja, Pat, das hät­ten Sie nicht erwartet? Es sieht so aus, als wäre der guten Jane dort unten der Boden zu heiß geworden. Einige ihrer Begleiter, ausschließ­lich ältere Männer mit dicken Brieftaschen und ebenso alten Frauen, haben wohl den Deal, den sie mit Miss Jane hatten, nicht so ganz ver­standen und da hat die enttäuschte Dame in einigen Fällen etwas nachgeholfen.«

»Und wie muss ich mir das genau vorstellen?«, fragte ich und kippte einen Bourbon aus meiner Notration.

»Selbstbedienung, Scheckfälschung, Diebstahl, alles was bei Schä­ferstündchen halt möglich ist...«

Ich nickte. Zumindest so weit war die Sache klar. »Tolle Arbeit, Betty. Aber warum haben Sie nicht schon früher mir und Joe von Ihren Möglichkeiten erzählt? Das ist ja unglaublich.«

»Sie haben mich ja nie gefragt«, meinte sie etwas beleidigt. »Sie waren ja immer die großen Detektive und ich nur das Dummchen an der Schreibmaschine...«

»Ich denke, ich muss Ihre Rolle einmal genau überdenken.« Ich stand auf und zog zwei Zwanzigdollarscheine aus der Jackentasche. »Hier, Ihr Wochenlohn und zehn Dollar extra für die gute Arbeit.«

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Sie schaute die beiden Zwanziger an, rechnete nach und meinte dann: »Heißt das, ich bekomme jetzt dreißig die Woche?«

»Ja«, bestätigte ich, »aber nicht nur fürs Nägellackieren.« Kurz darauf war eine glückliche Betty verschwunden und ich fand

endlich Zeit, mich mit Joes Aufzeichnungen zu beschäftigen. Schnell wurde klar, dass er wenig herausgefunden hatte. Er hatte das Pärchen zwei Wochen lang verfolgt. Durch Clubs und Nachtlokale und offen­sichtlich keine Ahnung hatte, dass er nicht Sylvia Wallmer verfolgte. Nun, der Iceman hatte ihm gesteckt, dass Sylvia Wallmer sich auf ih­ren nächtlichen Ausflügen als Jane Murdock ausgab und Joe war nicht im Entferntesten der Verdacht gekommen, dass er vielleicht nur ein Bauer auf dem Schachbrett war. Die beiden hatten alles darangesetzt, in der Öffentlichkeit Romeo und Julia zu geben, doch in flagranti hatte Joe sie nicht erwischt. Eher schien es so, dass er selbst ratlos gewesen war. Zwei Fahrten zu dem Haus in Burlington County waren verzeich­net, wo sie jedes Mal von einem Laster mit Sprit und zwei Gorillas Be­such bekamen. Mehrmals hatten sie auch Garners Wohnung aufge­sucht und einmal war dort Kirk Melcalve aufgetaucht. Als ich den Na­men des Unterbosses von Sean O'Malley las, war mir, als hätte mir der Iceman die Hand auf die Schulter gelegt. Melcalve hatte auch im Lee Side Club zusammen mit Jane und Millford an einem Tisch gesessen und das bestimmt nicht zufällig. Es schien, als ob in dem undurchsich­tigen Gewirr loser Fäden langsam ein roter auftauchte. Einen richtigen Reim konnte ich mir darauf aber noch nicht machen. Zumindest hatte ich es jetzt mit Landsleuten und nicht mit den Makkaronis zu tun. Ob­wohl, ging es mir siedend heiß durch den Kopf, mich der Iceman we­sentlich besser behandelt hatte als die beiden Schläger von The Jar.

Ich nahm noch einen Denkverstärker und dann begannen St. Louis, Garner, Jane, der Iceman und Burlington County in meinem Kopf Ringelreihen zu spielen. Ein vager Gedanke schälte sich aus dem Nebel, wesentlich weniger als eine Vermutung. Sie zu überprüfen wür­de eine Nachtschicht bedeuten.

*

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Das Haus lag still und unschuldig wie immer da. Ich beobachtete es eine Weile, bis ich mir völlig sicher war, dass sich niemand darin auf­hielt. Dann legte ich los und brach mit einem Brecheisen die Kellertür auf der linken Seite auf. Der Abgang war noch dunkler als die Nacht um mich herum, aber inzwischen kannte ich mich auf dem Grundstück in Burlington County gut aus. Ich tastete mich die Stufen hinab und fand neben der Tür einen Schalter. Eine trübe Funzel versuchte den Kellerraum zu erleuchten. Links stand eine Reihe von Fässern und rechts stapelweise Kisten von Seagrams. Ich untersuchte die Fässer und Kisten, doch außer den ins Holz gebrannten Logos der Brauerei auf den Fässern und dem bekannten Emblem der Seagrams Destille fand ich keinen Hinweis. Schließlich entdeckte ich an einer der Kisten einen halb abgerissenen Transportschein. Was darauf zu entziffern war, war interessant, ergab aber absolut keinen Sinn. Bestimmungsort der Ware sollte Matamoros in Mexiko sein. Ein bekannter Hafen am Golf von Mexiko. Ausgangspunkt war Gore Bay in Kanada, was ich eigentlich bezweifelte. Nicht dass die Ware nicht aus Kanada stammte, aber bestimmt nicht aus Gore Bay. Ich setzte mich auf eines der Fäs­ser und steckte mir nachdenklich eine Lucky an. Hier wurde augen­scheinlich an einem ganz großen Rad gedreht.

Bester Sprit ging von Kanada über den Lake Michigan nach Chica­go und sollte weiter nach Mexiko, verschwand aber hier in den Kehlen der High-Society-Trinker der Windy City. Ein normaler Konsument wie ich konnte sich das Zeug nicht leisten oder zumindest nicht lange. Nun, ich hakte das Ergebnis ab und verließ den Keller. Das aufgebro­chene Schloss blieb so, wie es war. Ich hoffte, es würde keine Rolle mehr spielen, wenn O'Malley dahinter kam, dass jemand in seiner Pri­vatbar herumgeschnüffelt hat.

Eine Stunde später stellte ich meinen Wagen auf dem Parkplatz des Lee Side Club ab. Ich musste mich gar nicht lange nach dem Au­burn umsehen, ein solcher Schlitten fiel einem sofort ins Auge.

Kaum hatte ich den Club betreten, kam auch schon der Pinguin an und wollte mich wieder auf die Empore abdrängen. Ich schob ihn bei­seite und ging die ausladende Treppe hinunter ins Parkett. Der Pinguin zauderte einen Augenblick zu lange und dann war es schon zu spät,

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mich ohne Aufheben zurückzuhalten. Stattdessen beschoss er mich mit Eiszapfen, die aus seinen Augen schnellten.

Jane Murdock saß an einem Tisch links vorne bei der Tanzfläche und war in bester Stimmung. Ich ging langsam auf sie zu. Sie bemerk­te mich erst, als ich mich zu ihr herabbeugte und ihr »Hallo Süße« ins Ohr flüsterte. Sie fuhr hoch, schaute mich an, überwand ihre Schreck­sekunde und meinte dann: »Hallo Pat, Darling. Schön, dich zu sehen.«

Sie war einfach perfekt. Fast hätte ich es ihr abgenommen. »Willst du dich nicht zu uns setzen?« Ich nahm dankend an und einer der Kellner brachte schnell einen

Stuhl heran. »Champagner?«, fragte einer der Smokingträger am Tisch. Ich

nickte und hielt ihm das Glas hin. »Darling, das ist Pete Meyers, der Sänger der Hank Gottler Band«,

stellt mir Jane den Mann zu ihrer Rechten vor. »Das sind die Win­lows«, dabei deutete sie auf ein Ehepaar, beide in den Dreißigern, »und das ist Kirk Melcalve.« Das blonde Gift neben Melcalve, das seine Oberweite wie einen Bauchladen vor sich ausbreitete, hielt Jane nicht einer Vorstellung für würdig. »Und das ist Pat Connor, ein guter Freund von mir.« Alle am Tisch nickten unisono, mich eingeschlossen. Es breitete sich die typische Stille aus, die eintritt, wenn sich irgendje­mand bei irgendetwas ertappt fühlt.

»Wusste gar nicht, dass Privatschnüffler Freunde haben«, knurrte Melcalve, der mich wohl am liebsten mit einem Tritt in den Hintern rausgeschmissen hätte. Zumindest waren damit die Fronten geklärt. Ich brauchte also nicht auf Lebemann zu machen. Ich zauberte mein schönstes Lächeln ins Gesicht und meinte zu Melcalve: »Nette Beglei­tung haben Sie, Melcalve. Bekommt die Kleine noch Milch oder schon von Ihrem Fusel?«

»Connor!«, zischte Melcalve und wäre mir am liebsten über den Tisch an die Gurgel gesprungen.

»Na, na, Jungs«, mischte sich Jane ein und warf Melcalve einen strafenden Blick zu, der zu meiner Überraschung darauf reagierte und sich entspannt zurücklehnte. Mir legte Jane beschwichtigend die Hand

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auf den Arm und gönnte mir einen Augenaufschlag, der mich an vieles erinnerte, was ich in den letzten Tagen mit ihr erlebt hatte.

Im Verlauf des Abends tanzte ich sogar mit Jane, wenn das, was sie auf der Tanzfläche mit mir anstellte, noch als Tanzen zu bezeich­nen war. Irgendwie schien die Gesellschaft sich durch meine Anwesen­heit gestört zu fühlen. Die Gespräche schleppten sich dahin und ich hatte den Eindruck, dass ich der Grund dafür war. Manchmal schickte Melcalve verschlüsselte Botschaften zu Jane Murdock, die sie mit ei­nem kurzen Nicken kommentierte. Sie schienen auf etwas oder jeman­den zu warten.

Zwei Stunden quälten wir uns so dahin, dann gab mir Jane zu ver­stehen, dass wir jetzt gehen sollten. Ich begleitete sie zu ihrem Auburn und sie zog mich auf den Rücksitz. Das schien ihr einen besonderen Kick zu geben. Mir schien, als sollte ich alles, was an diesem Abend im Lee Side Club passiert war, vergessen und mich nur noch an das erin­nern, was auf dem Rücksitz des Auburn abgegangen war. Letzteres tat ich natürlich gern, ohne das andere außer Acht zu lassen.

*

Als ich am nächsten Morgen in die Sportredaktion der Chicago Tribüne kam, war der Teufel los. Die White Socks hatten gegen die Milwaukee Brewers gewonnen und standen kurz davor, in die Worid Series einzu­ziehen. Brendon war ein Nervenbündel. Diktierte am Telefon dem Set­zer für die Abendausgabe eine Schlagzeile in die Maschine, die er nach kurzem Überlegen sofort wieder verwarf. Gleichzeitig malträtierte er seine Underwood und brabbelte dabei halblaut vor sich hin. Ich stand etwas hilflos herum und wartete ab. Schließlich wurde es mir zu dumm. »He, Brendon, komm mal auf den Teppich. Ich brauche dich.«

Erst in diesem Moment nahm mich Brendon wahr und im gleichen Augenblick schickte er mich mit einer eindeutigen Handbewegung zum Teufel. Ich musste einräumen: ein ausgesprochen schlechtes Timing von mir. Schließlich fand er doch zwei Sekunden Zeit. »Keine Zeit«, brüllte er durch den Redaktionssaal. »In zwei Stunden bei Henry's!« Und dann war ich schon wieder aus seinem Kosmos verschwunden.

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Es dauerte fast drei Stunden, bis Brendon endlich bei Henry's ein­lief. Auf seiner Stirn glänzte immer noch der Schweiß und seine Kra­watte hing auf Halbmast. Er ließ sich mir gegenüber auf einen Stuhl fallen und griff sofort nach der Kaffeetasse, die ihm der Kellner hin­stellte. Zwei Kaffee später und nachdem er mir haarklein erzählt hatte, was es für die White Socks und die Stadt bedeutete, wenn diese in die Endspielserie um die Meisterschaft im Baseball einzögen, konnte man vernünftig mit ihm reden. Baseball war mir im Moment ziemlich egal. Ich hatte andere Probleme und davon setzte ich Brendon in Kenntnis. Auch Brendon konnte sich keinen Reim auf die Fässer und Kisten in dem Haus in Burlington County machen. Ich schob ihm den Rest des Transportscheins hin, den ich zwischen den Kisten gefunden hatte. Brendon studierte ihn genau. Irgendetwas schien ihn zu irritieren.

»Darf ich den behalten?« Ich schaute ihn fragend an. »Ich glaube, ich habe da so eine Idee«, meinte er zögerlich. »Ich

muss aber erst noch jemanden fragen. Du bekommst ihn zurück.« »Wann weißt du mehr?«, fragte ich und hatte das Gefühl, dass die

Zeit drängte. »Ich ruf dich heute Nachmittag an. Jetzt muss ich aber dringend

wieder in die Redaktion. Der Umbruch wartet und er wartet nicht lan­ge.«

Ich nickte und ließ ihn ziehen.

*

Die Strahlen der Herbstsonne schafften es schon lange nicht mehr in die Schluchten zwischen den Gebäuden der Loop, als Brendon schließ­lich anrief.

»Hör zu, Pat, ich mache es kurz. Zuerst aber noch eine Frage: Trugen die Kisten und Fässer Zollsiegel?«

Ich verneinte. »Habe ich mir's doch gedacht«, schnaufte Brendon. »Also, wenn

du Schnaps von Kanada nach Mexiko bringen willst und nicht über die großen Seehäfen gehst, dann ist folgende Route die beste: Über den

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Michigan nach Chicago. Da bekommt die Ware Zollsiegel und wird wei­ter nach St. Louis transportiert, dann den Old Man River hinunter nach New Orleans und von dort mit dem Schiff nach Mexiko. Kapiert?«

»Klar«, bestätigte ich. »Und weiter?« »Was weiter?«, fragte Brendon in einem Tonfall, der keinen Zwei­

fel daran ließ, dass er mich für einen kompletten Idioten hielt. »Jungchen...« Ich hasste, wenn er mich so nannte. »Jungchen, muss ich jetzt auch noch deinen Job machen? Hör zu.

Irgendwelche Kisten, die wie die aussehen, die du in dem Keller gefun­den hast, tragen jetzt ein Zollsiegel und sind auf dem Weg nach Mexi­ko, aber Sprit ist keiner mehr darin.«

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ich bedankte mich bei Brendon und versprach ihm auf meine Kosten ein weiteres Essen, mit Getränken natürlich, bei Henry's.

Ich grübelte noch eine Weile, bis das Bild bis auf kleine Einzelhei­ten stimmte. Dann nahm ich mir die Tribüne von heute vor und schau­te im Schiffsregister nach. Es schien, als hätte sich das Blatt gewendet. Um 21 Uhr 30 sollte die Northern Star an den Chicago-Docks anlegen. Ein Frachter, der aus Port McNicoll in Kanada kam. Ich rief bei den Wallmers an und hatte den Butler an der Strippe. Ich verstellte meine Stimme so gut ich konnte und es klappte. Nein, Mister Wallmer sei nicht im Haus. Der Zollinspektor hätte noch an den Docks zu tun. Mehr wollte ich nicht wissen.

Ich überprüfte meinen 38er, nahm noch einen Aufbauschluck und machte mich auf den Weg. Meinen Plymouth ließ ich am Lake Shore Drive stehen und versuchte unauffällig zu den Docks zu schlendern. Die Lampen an den Piers machten die Nacht fast zum Tag. Ungemüt­lich für jemanden, der lieber nicht gesehen werden wollte. Ich schlich um einige Lagerschuppen herum, bis ich den Kai erreicht hatte, an dem die Northern Star vor nicht allzu langer Zeit angelegt hatte. Vom Schiff drangen die Rufe der Schauerleute herüber, Lastkräne quietsch­ten und Trucks standen aufgereiht am Dock. Ich musste nur noch den Richtigen finden, vorausgesetzt, ich hatte mein Puzzle richtig zusam­mengesetzt.

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Jack Wallmer war mir eine große Hilfe. Er stand am Pier und be­obachtete, wie gerade Fässer und eindeutige Kisten auf einen Laster verladen wurden. Ich war sicher, dass sich die Ladung bald in einem Haus in Burlington County wieder finden würde. Der Fahrer kletterte hinters Steuer, Wallmer auf den Beifahrersitz und dann fuhren sie los. Wohin war klar. Zweihundert Meter von mir entfernt war der Schuppen der Zollabfertigung. Ich rannte los und erreichte den Schuppen zu­sammen mit dem Truck, der durch das große Tor hinein fuhr. Sofort sprangen Männer hinzu und schlossen das Rolltor. Ich schlich um das Gebäude herum, bis ich ein Fenster in gut drei Metern Höhe fand. Glücklicherweise lagen genug Kisten und ausgediente Fässer herum, aus denen ich mir ein Podest für meinen Logenplatz bauen konnte.

Zwei Trucks standen in dem Schuppen. Beide wurden hektisch entladen. Männer mit Tommy-Guns sicherten nach allen Seiten. Sie gehörten eindeutig zu O'Malley. Der Typ, der mich mit seinem inzwi­schen verstorbenen Kumpel zusammengeschlagen hatte, war auch dabei. Wie Brendon vermutet hatte, wurde die Lieferung ausgetauscht. Der Schnaps wurde auf den Laster von O'Malley verladen und die Fäs­ser und Kisten, die darauf waren, bekamen Zollsiegel. Wallmer hing also ganz dicke im Alkoholgeschäft. Daher also der plötzliche Reich­tum. Ich hatte genug gesehen. Kein Wunder, dass der Cardinale am Kochen war. Hier wurde beste Ware verschoben und er konnte nur zusehen. Vielleicht ließ sich das ändern.

*

Nach einer langen, schlaflosen Nacht stand ich am nächsten Morgen um zehn Uhr vor dem Haus der Wallmers. Mein Wunsch, Jane Mur­dock zu sprechen, wurde nicht begeistert aufgenommen, aber immer­hin knallte mir George nicht gleich die Tür vor der Nase zu.

Ich wartete in dem mir schon heimischen Zimmer auf das Erschei­nen der Lady. Ihr Auftritt war wie immer perfekt. Sie trug ein langes Hauskleid, dessen Ausschnitt für ihre Verhältnisse schon züchtig war, obwohl ich bei dem Anblick meine Erinnerung nicht groß bemühen musste.

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»Hallo Darling«, hauchte sie, als sie auf Nahkampfnähe heran war.

Der Schrei, den sie ausstieß, als ich ihr eine langte und sie rück­wärts auf die Couch fiel, klang eher überrascht als schmerzvoll. Natür­lich kam George, der hinter der Tür gelauert hatte, sofort hereinge­stürmt. Aber damit hatte ich gerechnet. Er lief genau in den Kolben meines 38ers und entschwand ins Land der Träume.

»Nun, Lady, machen wir es kurz«, wandte ich mich wieder Jane zu, auf deren linker Backe sich ein fünffingriges, rotes Muster abzeich­nete.

»Bis du wahnsinnig, Pat«, stieß sie hervor. Ich sparte mir, darauf zu antworten und zog sie an ihrem Kleid

von der Couch hoch. »Wer hat Joe umgebracht?« »Welchen Joe?« Vielleicht wusste sie es wirklich nicht. »Joe Bonadore, einen Mak­

karoni, der dir und Millford Garner auf die Schliche kam.« Das hatte gewirkt. Ihre Beteuerungen, sie wüsste nicht, von was

ich sprach, blieben weit hinter ihren sonstigen schauspielerischen Leis­tungen zurück. Schließlich drohte sie mit der Polizei. Ich hielt mich nicht mit Drohungen auf und ihr Gesichtsmuster war jetzt sym­metrisch. Daraufhin begann sie zu schluchzen. Ich bin kein Unmensch und reichte ihr mein Taschentuch. Etwas Blut tröpfelte aus ihrer Nase.

»Fangen wir mal von vorne an. Wer kam auf die glorreiche Idee mit der vertauschten Schnapsladung?« Ich hob drohend die Hand, was Janes Mitteilungslust Flügel verlieh.

»Millford und ich. Wir kannten uns aus St. Louis. Hatten dort ein paar Mal zusammengearbeitet.«

Ich wollte gar nicht wissen, um was es sich da gehandelt hatte, aber ein paar Jahre Staatspension waren bestimmt dafür drin. Mich in­teressierte nur Chicago.

»Ich habe mal erwähnt, dass mein Schwager hier Zollinspektor ist und dann hat Millford den Plan entwickelt.«

»Weiter«, forderte ich sie auf und knallte George, der sich gerade benommen aufrappeln wollte, den Lauf meines Revolvers in den Na­cken, worauf er sich sofort wieder lang legte.

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»Im Prinzip ist es ganz einfach, man braucht nur die richtigen Leu­te...«

»Schon klar, aber wieso hat Wallmer die Sache nicht allein durch­gezogen?«

»Jack?« Sie lachte verächtlich. »Der würde doch noch nicht einmal einen Penny veruntreuen. Der wäre bis ans Ende seiner Tage in der Absteige wohnen geblieben und hätte bei seiner Pensionierung auch noch Danke gesagt.«

»Und wie habt ihr ihn dazu gebracht?« Selbst mit ihrem geschwollenen Gesicht bekam sie ein süffisantes

Lächeln zustande. »Es wirkt nicht nur bei Privatschnüfflern, musst du wissen, Pat. Bei dem Eisberg, der sich meine Schwester nennt, war die Aufgabe meiner eigentlich nicht würdig. Da habe ich schon ganz ande­re Festungen geknackt.«

Von der Tür her klang ein unterdrückter Schrei. Mein Kopf zuckte herum. Dort stand Sylvia Wallmer, hochgeschlossen und kreidebleich. »Du Schlange«, stieß sie hervor und kam auf uns zu. Sie schien von allem wirklich keine Ahnung gehabt zu haben.

»Ganz ruhig, Mrs. Wallmer«, sagte ich und fing sie ab, bevor sie Jane erreichte.

»Du hinterhältige Schlange«, keuchte sie noch einmal, als ich sie in einen der Sessel drückte.

Mit dem ekelhaftesten Lächeln, das ich je auf einem Frauengesicht gesehen hatte, meinte Jane: »Es war dein Fehler, dass du die Beine nicht auseinander bekommen hast, Schwesterlein. Schon nach drei Wochen ist er jede Nacht zu mir geschlichen und hat sich ausgetobt. Und glaube mir, ich habe ihm Dinge gezeigt, da würde dich der Ge­danke daran schon in der Hölle schmoren lassen.« Sie warf mir einen bedeutsamen Blick zu. Ich wusste, von was sie sprach. Dann setzte sie noch hinzu: »Und Jack hat es gefallen.«

Sylvia Wallmer lag halb im Sessel und schien völlig gelähmt zu sein.

»Und wie ging's weiter, Kindchen«, wollte ich wissen. Jane genoss die Befriedigung, es endlich ihrer Schwester unter die Nase reiben zu können. Wahrscheinlich hatte sie sich diese Szene immer wieder vor­

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gestellt, wenn sie von Sylvia wieder einmal heruntergemacht worden war.

»Als Jack am Haken hing, habe ich ihm den Vorschlag mit der ver­tauschten Ladung gemacht. Millford hatte inzwischen Kontakt mit O'-Malley aufgenommen und die Abnahme geregelt. O'Malley hatte auch die Kontakte nach Kanada, um dort die ganze Sache einzufädeln. Na­türlich wollte Jack nichts davon wissen, aber er wollte auch nicht, dass ich alles der da...«, sie deutete auf Sylvia, die im Sessel heftig nach Luft schnappte, »erzähle. Also gab er schließlich klein bei. Seinem Eis­berg haben wir dann das Märchen von meiner lukrativen Scheidung erzählt. Es dauerte nicht lange, dann hatte er Gefallen an der Sache gefunden. Das Haus...« Jane machte eine weitläufige Bewegung mit der Hand, die das gesamte Anwesen umfasste. »Das Auto und all die anderen Annehmlichkeiten, die er aber nie wirklich ausnutzte. Er konn­te aus seiner Haut einfach nicht heraus. Außer bei mir...«

»Okay, so weit alles klar. Aber wer hat Bonadore und Garner getö­tet?« Ich merkte, dass sie lügen wollte, vielleicht um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Ich unterband den Versuch, indem ich ihr ein dop­peltes Muster auf die Wangen brannte. »Lüg mich nicht an!«

Ich ließ ihr Zeit, ihre Tränen zu trocknen und nahm mir einen Whiskey aus der Hausbar. Den brauchte ich wirklich.

»Das mit Millford, war wirklich Scheiße. Irgendwie muss Jack ge­ahnt haben, oder dahinter gekommen sein, dass ich etwas mit ihm hatte, ab er nur aus Langeweile. Wir sind zu dem Haus hinausgefah­ren, um eine Lieferung zu erwarten und wollten uns ein bisschen die Zeit vertreiben. Da taucht auf einmal dieser Idiot auf, macht eine Rie­senszene und erschießt Millford. Vorher hat er dich noch niederge­schlagen, also dachten wir uns, es sei das Beste, wir legen dich mit der Waffe neben Millford und hauen ab. Die Bullen würden den Rest schon erledigen. Jack ist so ein Idiot. Konnte er nicht einfach damit zufrieden sein, dass ich mich um seinen Hormonhaushalt kümmerte? Nein, er musste auch noch den Eifersüchtigen spielen. Das hat unsere ganze Operation gefährdet.«

»Wie ist das überhaupt gelaufen?«, war ich jetzt wirklich interes­siert.

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»O'Malley hatte die Verbindungen nach Kanada. Er bestellte ganz offiziell die Ware für Mexiko. Hier wurde sie dann ausgetauscht und die Fässer mit Wasser und die Kisten mit irgendwelchem Schrott wei­ter nach St. Louis transportiert. Dort auf dem Mississippi runter nach New Orleans und sobald sie auf dem Schiff nach Mexiko waren, ein­fach über Bord geworfen. Der Strohmann in Mexiko erwartete über­haupt keine Ladung. Sie musste nur ordnungsgemäß verplombt wieder die USA verlassen.«

Im Stillen zollte ich Jane Bewunderung. Ein ausgekochter Plan. Man brauchte halt nur einen Zollinspektor dazu. Aber wenn man über die Vorzüge von Jane verfügte... »Wer hat Bonadore gekillt?«

»Irgendeiner von O'Malleys Männern. Millford und ich bemerkten, dass wir beobachtet wurden. Wir dachten, dass es einer von Cardina­les Leuten sei.«

Sie wusste wahrscheinlich noch nicht einmal, wie Recht sie damit hatte.

»Ich habe Melcalve davon erzählt und er hat sich darum geküm­mert. Mehr weiß ich nicht, wirklich, Pat.«

Ich glaubte ihr sogar. »Ich rufe die Polizei. Du wanderst in den Knast, du Flittchen.« Syl­

via Warner hatte sich erholt. »Nicht nötig«, sagte ich. »Das besorge ich schon und Sie beide

bleiben, wo Sie sind. Und halten Sie Ihren Kleiderschrank zurück, sonst bekommt er Luftlöcher.« George war gerade dabei, sich wieder aufzu­rappeln. Ich ging an ihm vorbei in die Halle, wo ich ein Telefon gese­hen hatte.

»Chicago Police Department, Captain Hollyfield.« »Hallo Hollyfield«, meldete ich mich. »Der Nagel zu meinem Sarg, P.I. Connor«, stöhnte er am anderen

Ende der Leitung. »Mal sachte, Captain«, gab ich zurück. »Ich habe hier ein paar in­

teressante Neuigkeiten zu meiner Leiche...« »Connor, Sie mischen sich in Polizeiermittlungen«, brüllte er. »Ganz ruhig Captain. Ich bin hier im Haus von Zollinspektor Wall­

mer und da sitzen zwei sehr mitteilungsbedürftige Damen, nun zumin­

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dest eine davon. Sie werden Ihnen einiges zu erzählen haben. Kom­men Sie doch einfach mal vorbei. Vielleicht wäre es auch ratsam, vor­her bei den Docks vorbeizufahren und den Zollinspektor einzusam­meln, denn der hat Piet de Holden alias Millford Garner umgelegt.« Dann legte ich auf.

Ich ging zurück zu den beiden Damen. George war immer noch damit beschäftigt, den Nebel aus seinem Hirn zu vertreiben. Sylvia hatte sich vor Jane aufgebaut und malte ihr aus, wie ihre Zukunft im Staatsgefängnis aussehen würde, ganz zu schweigen vom Fegefeuer, in dem sie mit Sicherheit landen würde. Ich verabschiedete mich, denn ich hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen.

*

Diesmal hatte mir der Iceman sogar die Ehre erwiesen, an seinem Tisch in dem kleinen Restaurant, das anscheinend nur für ihn existier­te, mit ihm essen zu dürfen. Wieder hatte ich den Weg über das Star Blush gewählt, wo ich allerdings inzwischen mit einem gewissen Re­spekt behandelt wurde. Ich hatte Caprese die ganze Geschichte erzählt und ihm war der Rauch aus den Ohren gekommen. Er hatte sofort ein paar Jungs losgeschickt und ich wollte eigentlich nicht genau wissen mit welchem Auftrag. Bestimmt aber würde O'Malley ein paar harte Tage erleben. Wir Iren müssen zwar zusammenhalten, aber wenn es um meinen Partner geht, dann kann ich auch mal vergessen, dass er Italiener war und ich Ire bin. Der Tod ist eine ganz andere Sache.

»Pat«, sagte der Iceman, als er den Arm um mich legte und zu seinem Wagen führte, »wenn du nicht so ein verdammter Kartoffel­fresser wärst, dann würde vielleicht ein guter Italiener aus dir.«

Ich wusste nicht, ob ich das als Kompliment auffassen mochte. Ich saß schon in seinem Packard-Coupé mit der auffälligen Lackie­

rung, als er mir noch hinterher rief: »Du hast etwas gut bei mir, Con­nor.« Das beruhigte mich allerdings.

Zwei Tage später las ich in der Morgenausgabe der Tribüne, dass es wieder zu Bandenkämpfen auf der North Side gekommen war. Eine Reihe von Sean ›The Jar‹ O'Malleys Laufburschen hatten dabei den

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kürzeren Strohhalm gezogen. Mir war's egal, ob Joe Bonadores Mörder dabei war. Es hatte zumindest ein paar erwischt, die auf jeden Fall bereit gewesen wären, ihn umzubringen.

Blieb noch eines zu tun. Ich störte Betty von ihrer Lieblingsbe­schäftigung auf.

»Betty, wenn Ihre Nägel trocken sind, dann gehen Sie zur Barling­ton-Versicherung und bringen Lucia Castrone dieses Kuvert. Sie hat um eins Mittagspause.«

Ich ging zu Bettys Schreibtisch und legte ihr das Kuvert mit 250 Dollar hin. Lucia war ja schließlich so etwas wie Bonadores Witwe und ihr stand die Hälfte des Honorars zu.

Ende

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