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Das goldene Byzanz

Date post: 10-Jan-2017
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Page 1: Das goldene Byzanz
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OTTO ZIER ER

BILD DER JAHRHUNDERTEEINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN

DIE GROSSE EMPÖRUNGUnter diesem Titel erscheint demnädist der Doppelband 27/28 der neuenWeltgesdiidite. Der Doppelband behandelt das 16. Jahrhundert n. Chr.

Die Einheit des Abendlandes und der Christenheit zerbricht.Der Riß verästelt sich über Europa und setzt sich bis in daskleinste Dorf, bis in die Famiiien fort. Die Gedanken derGewissensfreiheit, der evangelischen Gleichheit der Men­schen, die Losiösung der Wissenschaften von derTheo'ogie.die Abwendung der meisten Fürsten von kirchlichen Ein-iliissen und die wachsende Rebellion der Massen gegen diebisherige, schwer erschütterte Ordnung bestimmen das Bildder Übergangszeit. Die „gläserne Kuppel" des Mittelalters

ist niedergestürzt.

Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthältwieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten.Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausg abe mit Rot- und Goldprägung undfarbigem Schutzumschlag DM 6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kannin bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunschwerden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen

Bänden nachgeliefert. (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.)

Prospekt kostenlos vom

VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU/MÜNCHEN

Page 4: Das goldene Byzanz

K L E I N E B I B L I O T H E K D E S W I S S E N S

LUX-LESEBOGENN A T U R - U N D K U L T U R K U N D L I C H E H E F T E

Otto Zierer

Aufstieg und Niedergang 1453

VERLAG SEBASTIAN LUX * MURNAU / MÜNCHEN

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Byzantinische Trachten: Kaiserin, Kaiser, Kanzler, Krieger, Priester, Dienerin.Hofdame, Palastwache

Seit Jahrtausenden sind die Meerengen zwischen Mittellän­dischem und Schwarzem Meer eine Schlagader des Welthandels, die kürzeste und günstigste Verbindung der Schwarzmeer-Länder und des-Vorderen Orients mit dem gewaltigen Markte der Mittel­meerländer. Als am 29. Mai 1453 — ein halbes Jahrtausend vor unseren Tagen — die beherrschende Stadt Byzanz-Konstantinopel und mit ihr der letzte Pfeiler des Oströmischen Reiches, in die Hände der türkischen Eroberer fiel, hatte dieses Ereignis weithin-wirkende Bedeutung. Auch diese Tragödie — an der Schwelle der Neuzeit — trug zum Heraufkommen einer neuen Epoche in der Menschheitsgeschichte bei.

Von frühem Beginn, blühender Größe und tragischem Schicksal des „Goldenen Byzanz" berichtet dieser Lesebogen.

*

An Jen M.eerengen, in sagenhafter Vorzeit . . .

Es war eine Landschaft der Sage. Luft der Morgenfrühe derMenschheit strich über eine Meerflut, in der sich Tritonen undNereiden über der Wassertiefe, dem gläsernen Palaste des Poseidon,tummelten, strich über eine Erde, deren Haine von böcksfüßigenSatyrn, deren Quellen von Nymphen und Naturgottheiten belebtwaren. Im blauen Himmel aber thronten in einem Schloß vonWolken die Lichtgötter des Olymp.

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Unaufhörlich strömten die „süßen Wasser von Europa" aus dem„Goldenen Hörn" in das smaragdene Grün der Meerengen. Kühn­geschweifte Schiffe mit singenden Ruderern zogen vorbei, Sagen­helden blickten zu den weißschimmernden Felsklippen, zu densanften Waldhängen hinüber. Da segelten die ,Argonauten' — raderte Jason, das „Goldene Vlies" zu holen; da sang Herakles alsGefährte des Jason dröhnend seine überströmende Lebensfreude inden Wind, der vom Schwarzen Meere stetig hereinwehte.

Später sahen die Felsen am Bosporus die Flotte des Achill vor­überrauschen, als die Helden sich die Langeweile des Belagerungs­kampfes vor Troja durch kühne Raubfahrten kürzten.

Und eines frühen Tages stand fern über dem Marmarameer derBrandschein des sterbenden Troja. Held Äneas und seine Freundeließen die Küste Dardaniens hinter sich und fuhren aus, Dido inKarthago zu besuchen und eine Stadt zu gründen, die spätere Ge­schlechter Rom nennen würden. Auch Odysseus verließ die Gestadean den Meerengen —nicht ahnend, daß ihn zehnjährige Irrfahrt undeine kummervolle Heimkehr erwarteten.

Es war der Himmel der Götter, der sich über die Meerstraßezwischen Asien und Europa wölbte.

Die Schatten der Helden kamen und gingen, der AHherrscher Toddeckte den Schleier über die Zeit der Heroen, das Leben führteneue Geschlechter herauf.

M egara, im H e r b s t d e s J a h r e s 668 v. C h r .

Einer der führenden Männer aus der dorischen Stadt Megara,die nahe bei Athen am Golf von Salamis liegt und durch ihren aus­gedehnten Seehandel bekannt ist, spricht vor dem auf dem Rats­platz versammelten Volke. Handelsreisen haben den Kaufmannostwärts geführt: durch die Dardanellen ins Marmarameer undzu der engsten Stelle des Meeres, an der Asien sich Europa ent­gegenneigt.

„Freunde!" sagt er, „es gibt keinen zweiten Ort auf der Erd-scheibe, der günstiger für eine Stadtgründung wäre, als jener, denich vorschlage: eine Bucht verzweigt sich gleich einem Hirschgeweihtief ins Land; nur fünf Stadien breit ist der Meeresarm, von demsich der Golf — gleich einem Goldenen Stierhorn — trennt. DieWasser sind tief und eine Strömung sorgt dafür, daß keine gefähr­lichen Bänke den Ankergrund schmälern. Reich ist der Platz. Ringsum eine steil vorspringende Halbinsel tummeln sich Thunfische und

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Delphine so zahlreich, daß wir sie mit bloßen Händen gefangenhaben. Auf einer Klippe ragt ein winziges Raubnest auf; die wildenThraker nennen es Burg des Byzas. Zu Füßen dieser Feste haltendie Barbaren des Nordens, die reichen Kaufleute des nahen Asiensund die Hellenen, deren Schiffe die Meerstraße ziehen, Markt. Laßtuns, Freunde, diese Burg zerstören und eine Kolonie anlegen — eswird ebenso sein, als hängten wir Reusen in einen goldenen Strom!"

Der Kriegsheld und Kaufmann spricht noch viele und farbenfroheWorte auf der Agora seiner Stadt. Von ihrer finsteren Felshöheblickt Burg Karia auf die wogende Volksmenge herab und ver­nimmt den Beschluß der Bürger. Sie schwören beim Heiligtum derStaidtgöttin Demeter, ihre überzählige Jungmannschaft auszusenden,auf daß sie zu Ehre und Nutzen Megaras eine Tochterstadt an denMeerengen gründe.

B u r g d e s B y z a s , im JMai d e s J a k r e s 667 v . C h r .

Sie sind mit 40 Trieren gelandet.In jener tiefverzweigten Bucht, die sie ,Chrysokleras' — Goldenes

Hörn — nennen, liegen die hochbordigen, bemalten Dreiruderervor den Ankersteinen oder an den Eichen des Gestades vertäut.

Sie haben mit rasch gezimmerten Sturmböcken und Rammbalkendie Palisaden der thrakischen Burg durchstoßen und sind wiezürnende Götter über die geringe Besatzung gekommen. Erschlagenoder vertrieben sind die Barbaren, rauchend lastet das gestürzteGebälk auf den Trümmern der Burg. Hellenische Krieger mit erz­getriebenen Helmen, blinkenden Arm- und Beinschienen und kunst­reichen Brustpanzern besetzen das Felsplateau, das wie eine natür­liche Bastion in die grünen Wasser vorspringt.

Aus den Schiffen zerrt man brüllende Rinder, Schafe und kräftigeRosse; Hausrat, Ackergerät und bemalte Tongefäße mit öl , Weinund Getreide stapeln sich am Strand. Die Jungmannschaft hat be­gonnen, Balken für den Hausbau zu behauen und Schilf für dieDächer zu sammeln.

Die Priester kommen und weihen den Ort.In feierlicher Prozession tragen sie die Bilder der Götter rings

um den künftigen Siedlungsplatz. Ein Ochsengespann, das einePflugschar zieht, folgt; die Furche umgrenzt den Weihebezirk:innerhalb dieser ,Bannmeile' darf es niemals Bluttat und Gewaltgeben, sie gehört einzig dem frommen Bürgersinn. Die Krieger inihren Rüstungen, Weiber und Kinder in schneeweißen, losen Ge-

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Das östliche Mittelmeer

wändern säumen den heiligen Hain auf der höchsten Kuppe desHügels. Hier stellen die Träger die Götterbilder ab, die sie ausder griechischen Heimat herübergebracht: die Erdgöttin Demeter,das mächtige Haupt des Himmelsvaters Zeus, den geheimnisvollen,wiedergeborenen Dionysos und die liebliche Aphrodite.

Am heiligen Stein dampft das Blut der Opfertiere, kerzengeradesteigt der Rauch zum wolkenlosen Himmel, und glückverheißendsegelt ein Zug Kraniche aus dem geweihten Norden herüber. Frohüber die guten Vorzeichen jubelt das Jungvolk.

Der Führer der Auswanderer schleudert mit gewaltigem Wurfden Speer in die aufstiebende Erde — andeutend, daß die Siedlung,speergewonnenes Land' sei. Und er spricht zuerst den Namen aus,den die Tochterstadt Megaras, die Stadt an der Meerenge, künftigführen soll: B y z a n t i o n . . .

*Die neue Stadt blüht dank ihrer beherrschenden Lage bald empor. Der Ruf

des trefflichen Marktes am Schnittpunkt so vieler Verkehrswege geht durch

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die Griechenwelt. Leute aus Korinth, aus dem kargen Böotien und Kaufleuteaus dem üppigen Milet bitten um Aufnahme in die junge Gemeinde und er­halten das Niederlassungsrecht — freilich wird keiner der Fremden in dieReihen der stimmberechtigten Bürgerschaft aufgenommen.

Ein Jahrhundert später besitzt Byzantion Mauern, und seine Tempeldächerruhen nicht mehr auf geschälten und bemalten Baumstämmen, sondern aufsteinernen Dorersäulen. Seine Agora ist mit marmornen Standbildern ge­schmückt, vor denen frommer Sinn die ölflammen in Brand hält.

Das Land rings um den Golf gehorcht den Bürgern von Byzanz, die durchden Schwarzmeerhandel reich und mächtig geworden sind.

•Im Osten aber ist indessen das Weltreich der Perser emporgewachsen, hat,

aus Persiens Bergen hervorstoßend, die älteren Staatswesen in Babylonien undÄgypten überrannt und endlich auch die Griechenstädte Kleinasiens unterworfen.

Im Jahre 515 v. Chr. geschieht es, daß der persische Großkönig DareiosHystaspis an den Meerengen erscheint, Byzanz niederzwingt und persische Be­satzung in die Burg auf dem Felsen legt. Den Leuten von Byzanz bleibt nichtsanderes übrig, als mit Weib und Kind und dem beweglichen Teil ihrer Habezu fliehen. Sie retten sich in eine unzugängliche Gegend am Schwarzen Meer.

Es folgen die Perserkriege Großgriechenlands, es steigt der Siegestag vonSalamis herauf. An diesem 20. September des Jahres 480 v. Chr. — als dieHellenen die persische Flotte vernichten — wird auch die Freiheit von Byzanzwiedergeboren.

478 v. Chr. erscheint die Flotte des Griechen Pausanias vor Byzanz, verjagtdie persische Besatzung und führt die Flüchtlinge in ihre Heimatstadt zurück.

•Und wieder geht ein Jahrhundert dahin. Byzanz ist Mitglied des großen

griechischen Schutz- und Trutzbundes geworden, es kämpft im PeloponnesischenKrieg auf Seiten Athens,

Ein Menschenalter nach dem Ende dieses dreißigjährigen Krieges derGriechenwelt, segelt der Thebaner Epaminondas mit seinem Heer vor dieMauern des stolzen Byzanz und bestürmt sie vergeblich.

Die Stadt versteht ihre Freiheit zu wahren und behauptet sie auch, als derzornwütige Philipp von Makedonien seine Phalanx vor die Tore führt.

Philipps Sohn aber ist Alexander der Große . . .*

B y z a n z , im A p r i l 334 v . C h r .

Der König hat Botschaft gesandt und die Byzantiner zur Unter­werfung aufgefordert. Als Hegemon aller Griechen ist Alexandervon Makedonien ausgezogen, den Rache- und Eroberungszug widerdas Perserreich zu führen. Stürmisch verlaufen die Volksversamm­lungen auf der Agora von Byzanz, ehe man dem Rate der Stadtaufträgt, den makedonischen Truppen die Tore zu öffnen. Das Wortdar Kaufleute hat den Ausschlag gegeben. Von der Eroberung

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wei t e r Tei le Asiens durch A l e x a n d e r ve r sp rechen sie sich das g r o ß eGeschäft , von dem sie nicht ausgeschlossen sein wol len .

So sind T ä n i e n — b u n t e B a n d e r — um die Säulen der T e m p e lgeschlungen, B l u m e n g e w i n d e b l ü h e n auf dem S te ingebä lk der Ver­s a m m l u n g s h ä u s e r , und J u n g f r a u e n , E p h e b e n u n d g e w a p p n e t e Män­n e r s ä u m e n die F e l s e n s t r a ß e , die vom Hafen h e r a u f f ü h r t : Byzanze r w a r t e t den Besuch des j u n g e n Kön igs .

Als die Schiffe an de r B iegung des g r ü n e n Golfes auf tauchen ,ge füh r t von dem Admiralsschiff , b r a u s t der J u b e l r u f de r B ü r g e rvon den H ö h e n der M a u e r , O p f e r f e u e r f l ammen auf. L a n g s a mglei te t die gewal t ige T r i e r e n ä h e r , P u r p u r t ü c h e r w e h e n von i b r e mHeck, das g roße , schiefgestel l te Segel ist von fe ins tem, phön ik i schemScharlach. Auf der B ü h n e am Bug s t eh t , e iner Galionsfigur gleich,d e r M a k e d o n e n h e r r s c h e r .

Die goldene Sonne des F r ü h l i n g s spiel t auf dem g e t r i e b e n e nBi lde des M e d u s e n h a u p t e s , das se inen B r u s t p a n z e r schmückt , Edel ­s te ine b l i n k e n auf der Scheide seines k u r z e n Schwer tes , u n d k ü h nwölb t sich de r B o g e n des P h r y g i e r h e l m e s ü b e r den r o t b l o n d e nLocken. Reglos s t a r r t A l e x a n d e r dem Ufer en tgegen . D e r W i n db e r ü h r t sanft die p u r p u r n e n F a l t e n seines Mante l s

Als die T r i e r e mi t k l a t s chenden R u d e r r e i h e n der E i n f a h r t z u mGoldenen H ö r n z u s t r e b t , e r k e n n e n die B y z a n t i n e r das An t l i t z deswie ein H a l b g o t t V e r e h r t e n .

Es ist das An t l i t z des A b e n t e u e r s , das ihnen begegne t . Vie lebeugen sich, alle abe r sehen , d a ß es wirkl ich ein K ö n i g ist , d e rzu i hnen k o m m t .

A l e x a n d e r der G r o ß e ist au fgebrochen u n d b e t r i t t , ehe e r nachAsien geht , um ein Wel t re i ch zu e r o b e r n , die S t ad t an d e n Meerengen .

*Im Mai desselben Jahres, in dem er Byzanz besucht hat, schlägt Alexander

die Schlacht am Granikus. Der Schall des unerhörten asiatischen Abenteuersverliert sich für die Ohren der Byzantiner bald in sagenhaften Fernen. Klein­asien wird erobert, Syrien, Ägypten, Mesopotamien und endlich Baktrien.Dann hört die Griechenwelt, daß der Göttersohn Alexander die Tore derMärchenlande im Osten aufgestoßen habe, daß er nach Indien gezogen sei.

Der Handel an den Meerengen blüht. Viele Schiffe mit Nachschub für diekämpfende Armee, viele Karawanen mit Beutegütern aus Innerasien kreuzenden Markt von Byzanz.

Doch eines Tages kommt die Schreckensbotschaft: Alexander der Große istzu Babylon einem Fieber erlegen. Der Kampf der Nachfolger flammt auf. DasWeltreich der Hellenen zerfällt in Schollen, wie der Spiegel eines Sees beiEisgang.

Byzanz überdauert dieses stürmische Jahrhundert im Schutz seiner einzig­artigen Lage und seiner festen Mauern. Bald liegen Seleukiden, bald Makedonier

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vor seinen Toren; im Jahre 279 v. Chr. brechen wilde Gallierstämme über dasBalkangebirge und bedrängen die Stadt.

•Als Rom, die neue Weltmacht im Westen emporsteigt, haben die Kaufherren

von Byzanz ein sicheres Gefühl für den Sieger der Zukunft. Sie verbünden sichfrühzeitig mit der römischen Ordnungsmacht und sichern sich ihre Privilegienin einer Zeit, da Rom noch Bundesgenossen im Osten sucht.

Die Stadt an den Meerengen wird freies Gemeinwesen mit römischemBürgerrecht. Da sie an einer der neugebauten Römerstiaßen liegt, die sich wiesteinerne Bänder um die Provinzen des Imperiums schlingen, fließt auch derHandel Roms seinen Märkten zu.

•Jahrhunderte strömen dahin wie der säubernde Strom, der aus dem Goldenen

Hörn zum Bosporus zieht. In den Tagen, da man vom Umsichgreifen einerneuen Religion — der Christianer — vernimmt, beginnt sich der Handel derStadt Byzanz bis zu den legendären Ländern des Fernen Ostens auszuweiten.Von China herkommend, ziehen Karawanen durch die Dsungarei, durchTurkestan — vorüber an den Märchenstädten Samarkand und Buchara — insPerserreich. Von dort aber treibt ein Teil der Warenzüge bis zum Strand desGoldenen Horns: Seide, Porzellan, Gold, Elfenbein, indische Perlen, Gewürzevon den Molukken und edle Steine vom Ural oder aus Ceylon.

•Auch die Größe Roms neigt sich dem Abend entgegen. Zu Ausgang des

2. nachchristlichen Jahrhunderts jagen sich die Katastrophen: unter Marc Aurelbricht die Pest über die Römer- und Griechenwelt herein, Erdbeben folgen,Hungersnöte entvölkern die Grenzprovinzen, und die Unruhe unter den Bar­baren, die gleich Wölfen den Kulturkreis römischer Ordnung umlagern, ver­stärkt sich. Der Perser greift wütender an; Korruption, Sittenverfall, sozialeSpannung, religiöse Unrast und wirtschaftliche Erschütterung wühlen wieKrankheiten im Innern des Imperiums.

Byzanz wird eine kleine, unbedeutende Stadt. Die zunehmende Gefährdungdes Imperiums läßt keine neue Blüte zu. Handel und Schiffahrt schleppen sichnur müde dahin. Barbarische Völkerschaften, die über die Donaugrenzebrechen, bedrohen das flackernde Lebenslicht der Siedlung an den Meerengen.

Dann leuchtet am Anfang des 4. Jahrhunderts wieder die Hoffnung auf.Kaiser Konstantin von Trier siegt im Kampf der Gegenkaiser an der MilvischenBrücke vor Rom, er beendet die Verfolgung der Christen und zimmert denneuen Reichsbau. s

Die neue Welthauptstadt — Roma nova — wird, entsprechend der veränder­ten Bedeutung der Reichsteile, nach dem Osten verlegt. Es gibt keinen gün­stigeren Platz als jenen Golf an den Meerengen, den schon die Leute ausMegara vor tausend Jahren für ihre Stadtgründung erwählt haben: der Platzvon Byzanz.

Im Jahre 326 findet die Grundsteinlegung der neuen Ringmauer statt. Mitden Mitteln eines Weltimperiums wird der Bau von Palästen, Tempeln, Kirchenund öffentlichen Gebäuden in Angriff genommen. Der Befehl des Kaisers undreichlich erteilte Privilegien führen Bewohner aus allen Teilen des Imperiums

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an den neuen Platz, Kunstsdiätze aus Griechenland und Kleinasien werdenrücksichtslos abgebaut und zum Schmucke der Hauptstadt verwendet.

Viele altrömische Senatorengeschlechter und Patrizierfamilien siedeln ausRom nach den Meerengen über; erhalten sie doch hier die Vorrechte wieder,die einstmals Rom zu vergeben hatte.

Vier Jahre baut das Imperium seine neue Zentrale. Dann endlich ist" es soweit, daß der Kaiser aus Nicomedia übersiedelt und die Stadt in seine Obhutnimmt.

K o n s t a n t i n o p e l , am 11. JVi.ai 33o

Der Erzpalast ,Chalke' — so benannt nach den Bronzeziegelnseiner Vorgebäude und nach den großen Erztoren — öffnet um diedritte Tagesstunde seine Pforten. Tubabläser schmettern und ver­künden den Auftritt des Kaisers.

Der weite Platz, der vor dem Palastviertel auf der Höhe desFelsenplateaus liegt, ist von endlosen Säulengängen flankiert, einezehntausendköpfige Menge bedeckt ihn, die Gesimse der Paläste,die Vorsprünge der strahlend schönen Tempel und Kirchen sindmit Menschen bestanden. Von der den Toren gegenüberliegendenSeite, wo die kolossalen Mauern des Hippodroms aufsteigen, schauenKopf an Kopf die Legionäre herab, die alle Galerien des Riesen­zirkus besetzt haben. Wie Sturmwind braust der Jubelruf über dieneugeborene Stadt: ,Ave Caesar!' rufen die Römer, ,Evoe Basileus!'antworten die Griechen.

Unter den Pylonen des Erzpalastes erscheint der weiß-goldeneBaldachin, den zwei Praefekten und zwei Bischöfe tragen. KaiserKonstantin der Große schreitet, in Wolken Weihrauchs gehüllt, in­mitten seiner Leibwache von ,Palatini\ Er trägt die violettpurpurneDalmatika, ein schweres, mit Goldfäden und Perlen besticktesPrunkgewand, brokatene Schuhe und über dem mit Purpur leichtgefärbten Antlitz auf ergrauendem Haar die schneeweiße Stirn­binde des Herrschers.

Ihm folgen in rotgesäumten Togen die Senatoren, die Ministerund Generale, Bischöfe in Mitra und Dalmatika, heidnische Tempel­priester in seltsamen Kleidungen, begleitet von den Symbolen ihrerGötter. Die Marschblöcke von ,Degenmännern' und germanischenGardisten, alle in vergoldeten Rüstungen, schließen sich an.

Auf dem Platz sind die Banner der Gilden und Bruderschaftenversammelt, tausendstimmig dröhnt der Zuruf und übertönt densilbernen Klang der Tuben.

So bewegt sich der Festzug langsam das Spalier der Legionäre

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entlang, Adlerstandarten senken sich, das Reichsbanner mit demChristusmonogramm weht vor der Eingangshalle der neuen Haupt­kirche, die der ,heiligen Weisheit' geweiht ist und ,Hagia Sophia'(die Ältere) genannt wird.

Neben der Basilika öffnet sich der Blick von der Hochstadt überden gewaltigen Bauplatz der Stadt. Der Kaiser blickt hinab auf dasGeschachtel der entstehenden Plätze und Straßen, auf die halb­fertigen Häuserzeilen, aus denen wie Hochseeschiffe unter Fischer­booten die Blöcke der Senatorenpaläste, der Basiliken und Tempelaufstreben. Ferne öffnet sich die Halbinsel zum Festland. Dortdrüben wächst die Konstantinische Mauer mit Türmen und Torenaus der Erde.

Die Menschenflut schlägt wie Brandung an den Säulenreihenhin, zahllose, klassische Standbilder — zusammengeholt aus zehnProvinzen — ragen auf, Brunnen plätschern, die von titanischenAquädukten gespeist werden.

Der Festzug verschwindet im Atrium der Hagia Sophia. Selbstdiese Riesensäulen, die das steinerne Gebälk der Vorhalle tragen,sind Raub: sie stammen von den Tempeln zu Ephesus und Berytos.Wie Bernstein leuchtet der Syenit, rot glüht der Porphyr und grünschimmert der kostbare Malachit. *

Als der Kaiser die Schwelle der Kirche überschreitet, rauschenChoräle auf. Bunt blühen die Fresken und Mosaiken an den Wän­den, das Zederngebälk glüht von goldenen Kassetten und am Altarsteigen blaue Schwaden von Weihrauch empor.

Der neuernannte Hofbischof — der sich seiner überragendenStellung entsprechend Patriarch nennt — spricht den Segen überden Kaiser und sein Gefolge. Doch Konstantin nimmt ihm denWedel mit dem heiligen Wasser aus der Greisenhand, er wendetsich zum AHare und besprengt feierlich die vier Himmelrichtungen.

In die Stille des großen Raumes spricht er:„Ich weihe dich, Stadt des Konstantin — Konstantino-polis!"

*Tag für Tag strömen die „Süßen Wasser von Europa" ins Goldene Hörn.

Viele tausend Tage steigen aus den Wassern des Marmarameeres.Der Völkersturm bricht los. Goten und Hunnen erscheinen vor den Mauern

des Kaisers Konstantin. 395 n. Chr. wird das Reich geteilt, Kaiser Theodosiusbestätigt Konstantinopel als Sitz der Regierung im neugegründeten Oströmi­schen Reich, sein Enkel Theodosius II. umgibt die Stadt mit größeren undweiter gespannten Mauern.

Der Patriarch von Konstantinopel erhebt als Reichsbischof den Anspruch aufden Vorrang vor dem Papst, dem Bischof von Rom. Konzile finden statt, Kirchen-trennung gespenstert durch den zerfallenden Reichsbau. Immer steht Ost gegen

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K o n s t a n t i n o p e l - B y z a n z . l.Die ältere Sophienkirche; 2. Standbild Justinians;3. Schlangensäule; 4. Verbrannte Säule Konstantins; 5. Grab des letzten byzant.Kaisers; 6. Griech. Patriarchat; 7. Zeughaus; 8. Christus-Turm; 9. Karischer Palast;

10. Kaiserpalast; 11. Hippodrom; 12. Justinianspalast und Kaiserhafen

West. Im Jahre 476 endet das Weströmische Kaisertum, auf den Trümmern desWestimperiums entstehen Germanenstaaten.

Der Kaiser des Ostens — der Herr von Konstantinopel — übernimmt dieAufgabe, die Rechte des Imperiums zu wahren. Aber die alte Welt ist nichtmehr zu retten. Goten und Franken, Vandalen und Langobarden kämpfen um

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die Reste des Westreiches, von Osten droht das Neupersische Reich, drohtdie Invasion der Hunnen; über die Donaugrenze fluten Avaren, Slawen undBulgaren.

In den Märchenpalästen von Konstantinopel aber hausen Verrat, Intrige, Mord.Und dennoch wohnt dieser Stadt eine unerschöpfliche Kraft inne. Der Osten

hat sich vom Westen getrennt, kirchlich, kulturell, politisch. Griechisch­orientalischer Geist bestimmt die Stadt an den Meerengen; mehr und mehrtritt der römische Zug im Charakter Konstantinopels zurück, stärker erwachtdie uralte Weisheit der Hellenen.

Im 7. Jahrhundert bricht aus den arabischen Wüsten der Sturm der Nomadenauf; Mohammed entzündet die Feuer Allahs, der Islam beginnt seinen Siegeszuyund zerschlägt die oströmische Herrschaft über Ägypten, Afrika, Syrien undArmenien. Dann stoßen die fanatisierten Scharen der Araber nach Kleinasienvor. Der Kampf um das Herz des Rest-Imperiums — um Konstantinopel unddie Meerengen — hebt an.

622 hat die Stadt einem Doppelangriff der Avaren und Slawen von Europaund der Perser von Asien her getrotzt, 674/78 stehen die Araber erstmals vorihren Toren. *

K o n s t a n t i n o p e l - B y z a n z , am a5. JMLai 678

Seit m e h r als v ier J a h r e n l iegt Kalif Muawi ja am asiat ischen Uferder Meerengen , seine Schiffe k a p e r n die griechischen Ga lee ren u n dblockieren die Z u f u h r e n K o n s t a n t i n o p e l s . V o r wenigen M o n a t e nha t der Sohn des Kal i fen, Jes id , e in K o r p s auf den D a r d a n e l l e nge lande t u n d die Einschl ießung de r S t ad t auch von der L a n d s e i t eh e r b e g o n n e n .

K o n s t a n t i n o p e l - B y z a n z we iß , daß es d iesmal um das nack te Da­sein geh t . Es s t eh t wie ein E c k t u r m E u r o p a s , ein W ä c h t e r an deröst l ichen P f o r t e des A b e n d l a n d e s .

Diesmal v e r t r a u e n die Gr iechen nicht n u r auf die U n e r s t e i g b a r ­ke i t i h r e r Befes t igungen u n d auf die S t ä r k e i h r e r M e e r b a s t i o n e n ,sie haben eine , W u n d e r w a f f e ' en twickel t , die b e i m en t sche idendenGenera langr i f f e ingese tz t w e r d e n soll. Das u r a l t e , weise Geschlechtde r Hel lenen , aus dem die e r s t e n N a t u r f o r s c h e r , die e r s t e n T e c h n i k e ru n d I n g e n i e u r e des A b e n d l a n d e s h e r v o r g e g a n g e n sind, v e r t e i d i g tsich in se iner ge fahrvo l l s t en S t u n d e mi t den Waffen , die derGeist schafft.

Ka l l in ikos , e in C h e m i k e r u n d I n g e n i e u r , h a t gehe imnisvol leB o m b e n entwickel t , die das g r i ech i s che F e u e r ' in sich b e r g e n .

*Es geschieht am 25. Mai , d a ß die F l o t t e des Kal i fen h i n t e r den

Inse ln von D e m o n e s i h e r v o r s t ö ß t , sich fächer förmig en t f a l t e t u n dmit t a u s e n d Kie len , e in G e w i r r von b u n t e n Segeln, ausg re i f enden

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R u d e r n u n d s c h ä u m e n d e n Schnäbe ln , gegen die M e e r f r o n t vonK o n s t a n t i n o p e l h e r a n l ä u f t . Z e h n t a u s e n d e von K r i e g e r n al ler Rassend r ä n g e n sich h i n t e r den Schanzve rk l e idungen der K r e u z e r , B a l u s t e rs t ehen auf den V o r d e r k a s t e l l e n u n d wer f en Geschosse, R a m m b a l k e ndurchschneiden die g r ü n e F l u t .

W ä h r e n d der t ausendfache Schrei der Angre i f e r n ä h e r h e r a n ­schwillt , s t ehen die gr iechischen V e r t e i d i g e r hoch ü b e r den T e r r a s ­sen der K a i s e r s t a d t auf den T ü r m e n u n d M a u e r n . E ine g roße Zah lvon Schleudergeschützen ist zwischen J u s t i n i a n p a l a s t u n d B u k o l e o n -pa las t — an de r Spi tze de r v o r s p r i n g e n d e n b e l senha lb inse l — auf­g e b a u t . Wie ein AValid wächst d i e F l o t t e Muawi jas aus den F l u t e ne m p o r , schon b e g i n n e n die v o r d e r s t e n Schiffe die Ba l l i s t e r sp ie lenzu lassen.

Da flammt das Signal von der P l a t t f o r m des Ka i se rpa l a s t e s . Augen­blicke s p ä t e r e rö f fnen H u n d e r t e von Wur fmasch inen das B o m b a r ­d e m e n t gegen die A r a b e r . Rauschend f l i egen kugel ige T o n b e h ä l t e rdurch die Luf t , ein Schrei w e h t ü b e r die d i ch tged räng ten Verdecksde r Angre i f e r .

K u r z vo r d e m Aufschlag v e r w a n d e l n sich die Geschosse in f eu r igeBäl le , e x p l o d i e r e n mi t schar fem Kna l l u n d ü b e r g i e ß e n die Schiffemi t zuckendem, bläulich w a b e r n d e m F e u e r . Es t rop f t von Segelnu n d R a h e n , f r iß t sich b l au lohend ü b e r P l a n k e n u n d Schanzen , er­greif t Menschen u n d erl ischt nicht e inma l auf dem Wasse r . Al leVersuche zu löschen sind nu tz los , das u n z e r s t ö r b a r e F e u e r derGr iechen hül l t die F l o t t e des Kal i fen in Rauch und Glut .

Durch die go ldg lühenden W ä n d e des B r a n d e s z iehen die F e u e r ­töpfe des Kal l in ikos i h r e B a h n . D e r Angri f f br icht in e ine r W o l k evon Wehgeschre i und E n t s e t z e n z u s a m m e n , die Schiffe f l iehen .

K o n s t a n t i n o p e l - B y z a n z ist g e r e t t e t .

•Wieder steigen Jahrhunderte auf und nieder gleich der feurigen Sonne, die

sich aus den Wogen des Marmarameeres hebt, um in die Berge des Balkans zusinken. Unzählige Schicksale erfüllen sich in der Stadt Konstantinopel. Diealten Paläste erleben Revolutionen, Kaiser werden erdolcht und vergiftet,Generale stürzen schwache Kaiser, Dynastien kommen und gehen.

Immer mehr schmilzt die Scholle des Oströmischen Reiches zusammen.Im Westen ersteht ein neues Kaisertum, eifersüchtig abgelehnt von den

Kaisern Konstantinopels, die sich als alleinige Nachfolger römischer Cäsarenfühlen. Längst haben sich die Kirchen voneinander geschieden: Papst undPatriarchen ringen um den ersten Rang.

Als das Abendland zu den Kreuzzügen aufbricht und auszieht, die verlorenenHeiligtümer des Christentums in Palästina zurückzuholen, herrscht der Kaiservon Ostrom nur noch über einen Teil Kleinasicns, über Serbien, Makedonienund Griechenland.

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Das köstlichste Kleinod des Imperiums aber — die Stadt an den Meerengender Markt zweier Welten — ist noch immer das Herzstück des klein ge­

wordenen Ostreichs.

*

Kons tan t inope l , am 16. Mai 1204

Auf den Spuren der Kreuzfahrer sind die Kaufleute zum Orientgezogen und haben die alte West-Oststraße des Mittelmeeres wiedergeöffnet. Dort drüben an den uralten Küstenplätzen münden dieHandelswege der Ferne: Karawanen bringen Gold, Elfenbein, edleSteine, Seide und andere köstliche Gewebe aus China und demPandschab, Indigo zum Färben der Stoffe, Perlen von den Bahrein­inseln, Zimt aus den Wäldern von Sumatra. Muskat, Safran, JNelken,Pfeffer und Rohrzucker aus Südindien und den Sundainseln kommenauf arabischen Dhaus und persischen Seglern zum Roten Meer, andie Gestade Palästinas und Kleinasiens.

Seit alters hatte Konstantinopel das Stapelrecht für alle Waren desOrients und Asiens in Besitz. Aber Venedig, durch das Transport­geschäft für die Kreuzfahrer reich und mächtig gemacht, hat dasHandelsmonopol für das Orientgeschäft an sich gerissen. Doch gibtes auch andere Seestädte, die den Osthandel schätzen, und sie be­ginnen sich Stützpunkte und Faktoreien entlang dem weiten Seewegnach dem Osten zu sichern.

Die Kaufherren von Byzanz-Konstantinopel verstehen es gut, dieKonkurrenz der italienischen Seemächte für sich zu nutzen. Sie ge­währen den Genuesern und Pisanern Niederlassungsrechte, um dieallzu mächtigen mächtigen Venezianer in die Schranken zu weisen.

Doch der Löwe von San Marco kämpft eifersüchtig für die RechteVenedigs. Der Große Rat erkennt bald, daß es nutzlos ist, einzelneGenuesen und Pisaner aufzubringen. Man muß sich des Marktesselbst versichern, will man das Monopol halten: man muß Kon-stantionpel in die Hände bekommen.

Im Jahre 1202 liegen vierzigtausend Kreuzfahrer in Venedig fest,sie wünschen die Überfahrt ins Heilige Land — doch sie sind ohneGeld. Der 97jährige Doge Enrico Dandolo hat Befehl gegeben, daßkein Schiffer an der Piazetta Venedigs die Ritter an Bord nimmt,ehe sie nicht seinen Plänen gefügig geworden sind. Von Ungeduldund Hunger bezwungen, gibt die versammelte Ritterschaft nach.

Auf die Kriegsschiffe San Marcos verladen, erobern die Kreuz­fahrer im Namen des venezianischen Dogen zuerst die dalmatinischenBurgen, fahren von Stützpunkt zu Stützpunkt und schließen die

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Älteste Abbildung türkischer Krieger (15. Jhrh.)

Kette venezianischer Macht von der Adria über Kreta bis in dieÄgäis. Im Frühjahr 1203 führt der fast hundertjährige EnricoDandolo sein Heer in die Meerengen und eröffnet den Sturm aufKonstantinopel.

*

Mit marmornen Terrassen und schimmernden Palästen liegt dieMillionenstadt im Arme des Meeres. Verloren scheint der wildeHaufen der vierzigtausend Abenteurer, die ausgezogen sind, dasGrab des Herrn zu sehen und die nun im erzwungenen Dienstevenezianischer Geldleute den reichsten Stapelplatz der Welt er­obern sollen.

Enrico Dandolo befiehlt den Generalsturm. Der Doge Venedigsführt selber die Flotte zum Stoß in das Goldene Hörn. Mit seinerStaatsgaleere sprengt er die erzene Kette, die den Hafen sperrt undlandet in Galata.

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B ü r g e r k r i e g wälz t sich durch die Gassen von K o n s t a n t i n o p e l , d ie„ L a t e i n e r " u n t e r F ü h r u n g des Gra fen Ba ldu in von F l a n d e r n b rechenein, E n r i c o D a n d o l o gibt se inen Schif fsbesatzungen die P l ü n d e r u n gfrei . Unerse tz l iche K u n s t w e r k e u n d u n s c h ä t z b a r e Kle inod ien w e r d e nvon den a u s g e h u n g e r t e n F r e i b e u t e r n for tgeschaff t . Das b r o n z e n eVie rgespann , das zu r E r i n n e r u n g an den Sieg von C h ä r o n e a ü b e rder Ka i se r loge des H i p p o d r o m s s t and , w i r d nach Vened ig t r a n s p o r ­t i e r t u n d s p ä t e r ü b e r dem P o r t a l des M a r c u s d o m e s aufges te l l t .

Am 16. Mai 1204 l äu ten die Glocken der t a u s e n d Ki rchen vonK o n s t a n t i n o p e l z u r K a i s e r k r ö n u n g : Ba ldu in von F l a n d e r n w i r dh e u t e auf Vorschlag E n r i c o D a n d o l o s ' die K r o n e Os t roms aus denH ä n d e n des P a t r i a r c h e n e m p f a n g e n u n d ein „Late inisches K a i s e r t u m "in Byzanz b e g r ü n d e n .

In s t ah l s ch immernden R ü s t u n g e n , ge le i t e t von b u n t g e w a n d e t e nK n a p p e n , die W a p p e n f a h n e n schwenken, s t ehen die R i t t e r F r a n k e n s ,F l a n d e r n s , I t a l i ens , als sich de r Zug des n e u e n Ka i se r s , gele i te t vonV e n e z i a n e r n in P f a u e n m ä n t e l n , von B y z a n t i n e r n in. g o l d g e w i r k t e nB r o k a t g e w ä n d e r n zur Hagia Sophia beweg t .

Um dieselbe S tunde , da B a l d u i n die K r o n e K o n s t a n t i n s u n dJus t i n i ans auf seinen Locken fühl t , ende t in e iner V o r s t a d t , n a h eder K o n s t a n t i n s m a u e r u n d angesichts des „Schlosses der SiebenT ü r m e " de r l e t z te Gr iechenka i se r von Byzanz : Alexios D u k a s . D e rH e n k e r s tü rz t ihn ü b e r den R a n d e iner Säule , auf den m a n ihngestel l t ha t .

Am Tage drauf s t i rb t E n r i c o D a n d o l o am Schlagfluß. Sein L e b e nist e r fü l l t . Vened ig ha t den M a r k t K o n s t a n t i n o p e l e r o b e r t .

•Der Große Rat zu Venedig erwägt den Gedanken, den Umzug Venedigs nach

Konstantinopel zu wagen. Die Stadt San Marcos besitzt 200 000 Einwohner, abersie herrscht über mehr als 8 Millionen eines verstreuten Seereichs. Die MachtVenedigs ruht auf seiner unangreifbaren Lage und auf der Überlegenheitseiner Flotte. Konstantinopel aber ist ein gefährlicher Brennpunkt am Randezweier Welten. Mit einer Stimme Mehrheit wird der Plan, Venedig an dieMeerengen zu verlegen, abgelehnt.

Es ist ein weiser Beschluß; schon wenige Jahrzehnte später versinkt das„Lateinische Kaisertum" von Byzanz im Angriff der Griechen, die sich imJahre 1261 ihrer alten Kaiserstadt wieder bemächtigen.

•Neue Zeiten zeichnen sich ab. Fliehend vor den mongolischen Reitermassen

des Dschingis-Chan haben um die Mitte des 13. Jahrhunderts die Türken ihreUrheimat in Turkestan verlassen, sind über den Kaukasus gewandert undhaben sich in Armenien festgesetzt. Als der Mongolensturm vorüber ist, be­ginnen die Türken — ein Volk von Kriegern, das dem Islam anhängt und demWelteroberung religiöser Auftrag bedeutet — den Vorstoß nach Westen.

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Sie bedrängen das schwach gewordene Ostrom zuerst in Kleinasien, nehmenihm bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts die asiatischen Provinzen ab, über­schreiten die Dardanellen bei Gallipoli und beginnen — indem sie die Felsen­bastion Konstantinopel umgehen — die Unterwerfung der europäischen Gebiete.

Gegen diese Türkengefahr sammeln sich vergeblich letzte Kreuzfahrerheereaus Ungarn, Serbien und Rumänien. Unter Führung des Ungarnkönigs Sieg­mund wird das Heer der Christen vor Nikopolis am 28. September 1396 ge­schlagen und nahezu vernichtet. Türkische Streifkorps tauchen vor, dendalmatinischen Burgen Venedigs auf, selbst in den oststeirischen Tälernschweifen die wilden Reiter. Von den Städten Rumäniens, Bulgariens,Makedoniens, Serbiens und Thessaliens wehen die Roßschweife der Türken.

Byzanz-Konstantinopel liegt wie eine umstürmte Insel, wie ein letzterPfeiler des auseinandergeborstenen Römerimperiums an den Meerengen. Seitdie Türken in Kleinasien und die ihnen verbündeten Mamelucken in Ägyptenherrschen, ist ein Eiserner Vorhang zwischen Ost und West herabgesunken.Alle Waren aus dem Orient, die für das Leben des Abendlandes unentbehrlichgeworden sind, laufen über die Häfen, die von Mohammedanern beherrschtwerden. Die Sultane und die arabischen Kaufleute belegen die Färbemittel,die Gewürze, den Zucker und die Seide mit Zöllen und Aufschlägen, diemehrere hundert Prozent ihres Einkaufswertes ausmachen, sie sperren nachBelieben die Zufuhren an Edelmetallen, ohne die die europäische Wirtschaftnicht leben kann.

Denn die abendländische Goldförderung ist kaum von Belang. Silber er­zeugen zwar die Bergwerke bei Goslar und im Erzgebirge — doch vermögensie kaum die Hälfte des Bedarfs zu decken. Die Münze wird knapp, das Geldsteigt im Wert und die Geschäfte kommen mehr und mehr zum Erliegen.

Europa aber will nicht mehr in die Zeiten des Darbens zurückfallen. Eswünscht Seide und Indigo, es fordert Zimt, Ingwer, Muskat, Pfeffer, Nelken undRohrzucker und es braucht Gold und Silber.

Darauf rechnet der Kaiser der bedrohten Stadt Konstantinopel.Als 1439 zu Florenz ein Konzil zusammentritt, reist er — Johannes Paläologus

— mit dem Patriarchen von Konstantinopel in die Arno-Stadt und fleht die ver­sammelten Fürsten des Westens an, die Meerengen und damit den letztenMarkt für Orientwaren für Europa zu retten.

Das Abendland stellt die Bedingung, daß sich die morgenländische Kirchewieder mit der abendländischen vereinigen müsse, Kaiser Johann Paläologusstimmt widerstrebend zu. Nachdem die Union der beiden Kirchen beschlossenist, verspricht der Papst die Verkündigung eines neuen Kreuzzuges zur RettungKonstantinopels.

*

G o l d e n e s H ö r n bei G a l a t a , i m H e r b s t i45i

In Byzanz-Konstantinopel aber herrscht Untergangsstimmung.Jedes der nach Westen auslaufenden Schiffe ist bis zum letzten Platzvon reichen und vornehmen Byzantinern belegt.

Seit es klar geworden ist, daß der neue Sultan Mohammed IL den

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Genera l angr i f f auf K o n s t a n t i n o p e l v o r b e r e i t e t , u n d daß ke ine Hilfevom s t r e i t z e r r i s s enen Wes ten zu e r w a r t e n ist , h a t die F luch t de rL e u t e e ingese tz t , die sich e ine F luch t le is ten k ö n n e n .

J e t z t aber d rängen sich H e r r e n in B r o k a t m ä n t e l n u n d P f a u e n ­jacken am K a i von Ga la t a , beaufs ich t igen die Ve r f r ach tung i h r e rSchätze : re iche P a l a s t b e s i t z e r lassen wohlversch lossene T r u h e n anB o r d schaffen, a l te G e l e h r t e , P h i l o s o p h e n , A r c h i m a n d r i t e n und P r o ­fessoren der H o h e n Schule sorgen sich um die Verschiffung i h r e rBücherk i s t en . Was diese Schiffe u n t e r dem St. G e o r g s b a n n e r Genuasu u n nach dem Wes ten t r agen , ist de r l e t z te H o r t a l t e r H e l l e n e n k u l t u r .

Das A b e n d l a n d , das h u n d e r t J a h r e v o r h e r den e r s t en Anruf zurn e u e n „ H u m a n i t a s " — der L iebe zu r Wissenschaft u n d K u n s t de rAl ten — v e r n o m m e n ha t , w i r d mi t V e r s t ä n d n i s und V e r g n ü g e n dieklassischen Schrif ten in den Büche rk i s t en de r Byzan t ine r entdecken,die ihm bis lang oft n u r in d r i t t e n u n d v ie r t en Abschr i f ten ode r Aus­zügen b e k a n n t gewesen sind. D e r H u m a n i s m u s w i r d gewal t igenAuf t r i eb e r f ah ren .

W e n n die Ga lee ren , woh lbeschü tz t durch die e r zenen Schlünde derK a n o n e n , loswerfen u n d l angsam am Ka i se rha fen vorbe i demM a r m a r a m e e r zus t r eben , v e r h a r r e n die fl iehenden B y z a n t i n e r noche inmal schweigend an der Schanzve rk l e idung u n d blicken mit t r ä n e n -umflor ten Augen zu den w e i n l a u b u m r a n k t e n , pa lmengeschmücktenM a r m o r t e r r a s s e n de r Bosporussch lösse r hinauf, g rüßen noch e inmaldie go ldenen K u p p e l n d e r S t a d t am M e e r , die sie für i m m e r ver­lassen.

#Im Herbst des Jahres 1451 beginnt Sultan Mohammed II. wenige Meilen

nordwärts von Konstantinopel an der engsten Stelle der Meerengen den Baueiner Zwingburg. Rumili Hißar — Herrin Europas — nennt er die Feste. Vonhier aus wird der Todesstoß gegen den letzten Pfeiler Ostroms geführt werden.

Vergeblich protestiert der neue Kaiser Konstantin Paläologus — ein Mann,von dem die Chronisten sagen werden: ,Er stand keinem nach, der je den Thronder Caesaren bestiegen' — gegen den Bau der Burg. Herausfordernd ist dieAntwort des Türken: Die kaiserlichen Gesandten sterben eines grausamen Todes.

Wo ist Europa in dieser Stunde? Wird es seinen einzigen Brückenkopf zumOrienthandel verteidigen, wird es zusehen, wie eine asiatische Macht denSperriegel an seinen Pforten aufsprengt?

Doch das Abendland hat andere Sorgen: Im Jahre 1453 geht der mehr alshundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England zu Ende. Das Land vonder Loire bis zur Somme liegt verödet, preisgegeben dem Hunger und denWölfen, durchstreift von Räubern und Plünderern. In Spanien tobt noch immerder Maurenkrieg, Italien ist in tausend kleine Herrschaften zerrissen, die sicheifersüchtig bekriegen. Das Herz des Abendlandes aber — das DeutscheReich — wird von Fürsten regiert, die nur an Hausmacht und an den Glanz

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ihres Namens denken. Das Polen-Litauen der Jagelionen und das kleine König­reich Ungarn haben vergeblich versucht, dem Turkensturm zu trotzen; besiegt,wurden sie nun von inneren Kämplen erschüttert.

Umsonst ruft der Papst zu Kreuzfahrt und gemeinsamem Flottenaufbruch. Dasreiche und seegewaltige Venedig hintertreibt jede Aktion, die den Konkurren­ten, den Genuesen, zustatten kommen könnte. Seit das .Lateinische Kaisertum'gestürzt ist, hat Genua sich das Stapelrecht an den Meerengen erschlichen, dieVenezianer aber sind den Byzantinern verhaßt, wie diese den Venezianern I

Kleinstaaterei, Eifersucht, Uneinigkeit und Konkurrenzneid brechen denStab über Konstantinopel — geben es schutzlos in die Hände der Türken.

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In der verlorenen Stadt tobt der Streit der Parteien. Die orientalischenMönche haben die Massen gegen die von Rom angebotene Union mit derabendländischen Kirche aufgerührt, Admiral Notaras ist der Führer dieserUnversöhnlichen. Konstantinopel fiebert in Aufruhr und Tumult.

Aus der Millionenmasse hinter den Mauern hat der Kaiser nur 6000 Be­waffnete für die Besetzung der meilenweiten Mauern auszuheben vermocht. DerGenuese Giustiniani führt ihm weitere 3000 Soldaten von Chios zu. Das istalles, was die Meerengen verteidigen wird. Es gibt kaum mehr eine Flotte,keine Überlegenheit der Waffentechnik. Habgierige Kaufleute haben demTürken das Geheimnis des .Griechischen Feuers' verraten; gelockt vom Goldedes Sultans haben Deutsche, Ungarn und Italiener eine türkische Artillerieaufgebaut.

Wenn Asien diesmal kommt, kommt es mit den Erfindungen Europas.

B y z a n z - K o n s t a n t i n o p e l , am 18. A p r i l 1^55

Am Morgen dieses Tages wird von den Ausguckposten auf denMarmortürmen des Kaiserpalastes Bukoleon Alarm gegeben. Vonder asiatischen Küsten, haben sich zahllose Segel- und Ruderschiffegelöst und laufen zu beiden Seiten der Kette, die von der Spitze desKaiserfelsens zum Leanderturm die Meerenge sperrt, gegen Kon­stantinopel aus. Ein weiter Ring schließt sich von Rumili Hißar bisChrysopolis und zum Schloß der Sieben Türme.

Der Duft von blühenden Mandel- und Pfirsichbäumen liegt überden Terrassen, bald wird er dem Pulverdampf und den Pech­schwaden gewichen sein. Schon lodern die Glutpfannen der Geschütz­bedienungen auf den Seebastionen. In Pera wölkt der Qualm derbrennenden Hütten und der Vorstadthäuser auf, die niedergelegtwerden müssen, um dem Feinde keine Stützpunkte für sein Vor­gehen zu bieten.

Die genuesische Kolonie in Galata hat das riesige weiße Banneraufgezogen, um ihre Neutralität anzuzeigen.

Gegen Mittag beginnen die Glocken der vielen Kirchen zu läuten.

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Bald schwingt das erzene Gedröhn wie ein einziger Schrei über derRiesenstadt. Von der Landfront kommt Nachricht, daß die Vorhutender Türken sich der Sichtweite der Mauern nähern.

Die Landzunge, auf der der Kern Konstantinopels liegt, ist zwi­schen Blachernenpalast und dem Schloß der Sieben Türme durch diegigantischen Befestigungswerke des Kaisers Theodosius IL gesichert.Im Norden schützt der Meeresarm des Goldenen Horns, im Südenstößt die Mauer an das Marmarameer.

Kaiser Konstantin Paläologus .eilt, gefolgt von Generälen undMinistern, zum Blachernenpalast, von dessen Türmen aus man dassanfte Hügelland bis zum Tal des Lykusbaches überblicken kann.

Da draußen nähert sich die Masse der türkischen Armee. DerWestwind trägt das dumpfe Schlagen der Felltrommeln, das grelleGequiek der Flöten und Dudelsäcke, das Murren und Rauschen derMarschierenden, das grelle Klirren der Zimbeln herüber. Staub­fahnen, in die sich das dunkle Brandgewölk geplünderter und ver­wüsteter Gehöfte mengt, senken sich über das Land.

Über die mit Olivenhainen bedeckten Hänge trabt die Vorhut derSsipahi herab. Das sind Söldner, die gegen Beuteanteil dienen, unddie meist ein Landgut als Lehen besitzen.

„Herrlich sind die feurigen Rosse mit langen seidigen Schweifenund Mähnen, das Geschirr strahlt von Silber, Gold und Edelsteinen.Die Ssipahi seiher tragen Gewänder aus Brokat und Seide in schar­lachroter, hyazinthgelher oder dunkelblauer Farbe. Ihre Waffensind Bogen und Pfeile, ein kleiner Schild, eine leichte Lanze, einkurzes, mit Edelsteinen verziertes Schwert und ein stählerner Streit­kolben am Sattelknopf . . . "

Auf den viereckigen Marmortürmen der Theodosianischen Mauerstehen die Verteidiger hinter den gezackten Schießscharten. Vorerstist alles für sie ein Schauspiel, dem man mit viel Geschrei, mit Hohn-und Spottrufen folgt.

Der ungarische Geschützmeister auf dem Turme Agathon machtsich den Spaß, sein kunstvoll getriebenes Bronzerohr auf die Ssipahiszu richten. Er ist stolz auf seine wendige, durch ein Zahnsegment be­weglich gemachte Feldschlange. Aber auch er feuert keinen Schuß ( ab, die Entfernung ist viel zu weit.

Unruhe entsteht bei den griechischen Soldaten. Sie deuten insLykustal, aus dem nun in dichten Massen die türkische Lehensreitereihervorquillt. In enggeschlossenen Regimentern, nach „Sandschaks",Landschaften, geordnet, reiten sie Pferd an Pferd und Sattel anSattel. Bunte Banner wehen vor jedem Militärbezirk, ein Bei — er­kenntlich an seinem riesigen Turban und dem bunten Seidenmantel —

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Die Hagia Sophia in Konstantinopel

sprengt voran. Die Hügel und Wiesen vor den Mauern bedecken sichweithin mit immer neuen Formationen.

Zwei Obergeneräle hat der Sultan ernannt: den Beilerbei vonAnatolien und den von Rumeli; sie stehen im Rang eines Paschas.

General Georgios weist mit der Hand in die Ebene. „Seht dortdas große, gelbe Seidenbanner in der Mitte der Reiterei, Majestät!",sagt er, „seht die drei roten Roßschweife an der Querstange . .. dasZeichen des Paschas von Rumeli, der die Spitze befehligt."

In unendlichen Rinnsalen strömen die Belagerungstruppen ausden Hügeln: Tscherkessen, Krim-Tartaren, Georgier aus demKaukasus, Kurden aus Armenien und Serben, Bulgaren, Kumenen,Makedonier und Albanesen.

Im Tal entsteht in wenigen Stunden ein riesiges Lager, die weißenFlecke der Zelte bedecken die grünen Hänge, schon wühlen sich

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Kolonnen von Fußsoldaten mit Hacke und Schaufel in die Erde undwerfen Wälle auf, treiben Laufgräben gegen die Mauern vor.

Von Osten herüber dröhnt dumpfes Grollen wie von einem auf­ziehenden Gewitter. Der Kaiser hebt lauschend das Haupt, die Be­satzung auf den Mauergängen, die angsterfüllten Menschen auf denStraßen und Plätzen der Metropole horchen zur Meerfront hinüber.Die Kanonen haben zu sprechen begonnen. Die Geschütze am Kaiser­hafen feuern, der Kampf um die Stadt hat seinen Anfang genommen.

*Die Elitetruppen des Sultans rücken am rechten Ufer des Lykus-

baches vor und gelangen in der Mitte der Theodosianischen Mauerins Gesichtsfeld der Verteidiger.

Unter Trommel- und Zimbelklang marschieren wohlgeordneteBlocks von Fußtruppen mit weißen Pluderhosen, roten, goldbestick­ten Jäckchen und eisernen Spitzhelmen heran. Alle sind mit Schwer­tern und Lanzen, viele sogar mit Feuerwaffen und Pavesen aus­gerüstet. Ihr Agha reitet auf einem reich geschirrten Roß, nebenihm werden die Banner mit dem goldenen Halbmond getragen. Essind die gefürchteten Janitscharen.

Diese Gardetruppe besteht aus einer Auslese christlicher Knaben,die meist schon im Alter von 10 bis 15 Jahren in den eroberten europä­ischen Provinzen, also in Serbien, Albanien, Bulgarien und Make­donien ausgehoben werden. Alle diese Völker müssen den „Knaben-zius" an die Türken leisten. Die jungen Leute werden in eigenenPagenanstalten hart, aber nicht unmenschlich erzogen und für ihreAufgabe als Vorkämpfer geschult. Wo das Janitscharenkorps steht,ist immer der Schwerpunkt des türkischen Angriffs.

Hinter den Janitscharen werden unabsehbare Trosse sichtbar:Tausende von Kamelen, beladen mit Kriegsgerät, Vorräten undTeilen von Belagerungsmaschinen füllen die Täler, dahinter tauchtder Maultierzug des „Woinak-Korps" auf. Das sind bulgarischeBauern, die verpflichtet sind, dem Heere als Maultiertreiber zufolgen, 20 000 der Lasttiere drängen in das Lager.

Zwei Tage dauert der Anmarsch der Truppen. Am dritten erstrollt die gefährlichste Waffe des Sultans heran: die Artillerie.

Deutsche und ungarische Stückgießer und Ausbilder haben denTürken ein treffliches Artilleriekorps, die „Topdschi", aufgebaut.In vielen Wagenzügen holpern die Geschütze hinter die inzwischenerrichteten Wälle, Weidenschirme und Riesenkörbe. Zwanzig undmehr Rosse ziehen die gewaltigen Bronzerohre, fünf oder sechsweitere Ladungen bringen Lafetten, Geschosse und Zubehör derKanonen.

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Das Lager füllt sich mit Waffenschmieden, Pionieren und Stück­meistern. Ohnmächtig sehen die Griechen zu, wie Rohr um Rohrhinter den schützenden Weidenschirmen aufgebaut, gerichtet undverkeilt wird. Doch die größte Überraschung steht noch bevor.

Am 20. April, dem Tage, an dem die Einschließung Konstantinopelsvollendet wird, erscheint der Sultan selbst. Umgeben von prachtvollgekleideten Haustruppen und Janitscharenoffizieren in goldenen undziselierten Panzern, reitet Mohammed II. ins Artillerielager gegen­über dem Tor des Heiligen Romanos. Das grüne Banner dss Pro­pheten mit dem goldenen Halbmond knattert im Winde, die sechsStandarten der Heeresabteilungen, die Roßschweife der Paschaswehen. Großwesir und Wesire begleiten den Herrscher; der Schrei,mit dem die fanatisierten Truppen ihn begrüßen, schlägt wie eineBrandungswelle an die Mauern der Stadt.

Mit furchtsamem Erstaunen sehen die Griechen hinter den Zeltenund Pavesen einen seltsamen Zug auftauchen. Fünfzig Paar Ochsenschleppen eine ungeheure Kanone, hundert Arme greifen zu. dasRiesengeschütz wird aufgebaut und genau auf das Tor des HeiligenRomanos gerichtet.

Sultan Mohammed gibt das Zeichen zum Angriff. Sein Heer, dasin unübersehbaren Massen in den Hügeln, Olivenhainen und Wiesenwartet, antwortet mit einem einzigen Schrei: „La Haha lila Ilahu!"

In dem weiten Lager, auf den Hügeln und in den Ebenen erhebenHunderttausende die Arme und zeigen auf die goldene Stadt, dievor ihnen liegt wie eine Verheißung ihres Propheten. Die Beilerbeissprengen ins Vordertreffen, die Reihen der Janitscharen warten ge­ballt im Zentrum, und während das Heer zu marschieren beginnt,öffnet das Riesengeschütz seinen Rachen, speit unter Feuer undRauch und höllischem Brüllen seine über tausend Pfund schwereSteinkugel gegen die Torbefestigung.

Der Turm des Romanos ächzt auf, als habe ihn ein tödlicher Faust­hieb getroffen. Stein bröckelt und stürzt. Im Tor klafft ein Riß.

„Eis tän polin!", ruft der Sultan seinen Heerführern zu. indem ersich der griechischen Sprache bedient, „hinein in die Stadt!"

Das Heer nimmt seinen Ruf auf: „Is tan bul! Is tan bul!". schreienhunderttausend Münder. Und immer wieder das schreckliche „LaIllaha lila Ilahu".

Von den Mauern antwortet, verwehend im Donner der Schlacht,das Kampfgeschrei der Christen: „Kyrie eleison, Kyrie eleison . . ."

Unablässig hämmern die zahllosen Belagerungsmaschinen, dieWidder, Ballisten und Feuerschlünde. Am furchtbarsten aber schmet­tert das große Geschütz am „Kanonentor". Hier toben schon in den

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ersten Tagen verlustreiche Nahkämpfe um die aufgerissenenBreschen.

Auch von See her greifen die Türken an. Das „Griechische Feuer",das einst die Araber zurücktrieb, ist kein Geheimnis mehr. Nunbesitzen die Angreifer selbst diese Kupferrohre, die lange, blaueFlammenzungen speien und die das Wasser des Hafens mit Fleckenbrennenden Lichts erfüllen. Über 300 000 Mann und 420 Schiffe ver­fügt der Türke, seine Artillerie ist überlegen und zieht eine Glockefeuriger Bahnen über die Dächer der kämpfenden Metropole.

Brände wüten in Pera und den übrigen Vorstädten, der brauneRauch wälzt sich erstickend in die Gassen und auf die Plätze, aufdenen Frauen und Kinder betend auf den Knieen liegen. Ein Mönchhat den angsterfüllten Menschen verkündet, daß Konstantinopelso lange nicht fallen werde, als die Säule des Kaisers Konstantinaufrecht stehe.

Verzweifelt leisten die Belagerten Widerstand. Sie zerstören beiAusfällen die Wurfmaschinen der Türken, füllen Laufgräben einund schlagen die Stürme von hohen Mauerzinnen aus zurück.

Selbst der Sultan ist erstaunt über die Tapferkeit der Christen.„Niemals hätte ich geglaubt, daß die Christenhunde so große

Dinge ausrichten könnten, und hätten es mir auch alle Prophetenversichert", sagt er zu den Männern seiner Umgebung.

Doch alle Tapferkeit nützt nichts. Unter dem Druck der Belager­ten ergibt sich zuerst die Vorstadt Galata.

Die Genuesische Kolonie kapituliert und trifft mit den Heideneine günstige Vereinbarung. Gegen Auslieferung von Waffen undGeschützen sollen die Italiener Leben und Eigentum, ja, sogar gegenkünftige Zinszahlung die Handelsprivilegien am Bosporus behaltendürfen. Damit ist der Krieg für die Handelsherren zu Ende, siesorgen für die Übergabe Peras und Galatas, kaum daß sich dieletzten Griechentruppen über die Schiffsbrücke auf das andere Uferdes „Goldenen Horns" retten können.

Die Brücke wird verbrannt. Konstantinopel ist seitdem eine vonMeer und Mauer umgrenzte Halbinsel. Da gelingt den Türken gegenMitte Mai ein neuer gefährlicher Schlag. Auf Knüppelwegen schaffensie eine Anzahl leichte Kriegsschiffe vom Marmarameer über Landin das „Tal der süßen Wasser von Europa" und sitzen damit imRücken des Binnenhafens der Stadt. Was nützt jetzt noch die erzeneRiesenkette, die — von gewaltigen Winden gespannt — die Einfahrtins Goldene Hörn an der Spitze von Galata sperrt?

Der tödliche Kreis ist geschlossen. Nichts vermag die Stadt mehrzu retten.

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Am 15. Mai bringt ein entflohener Galeerensklave, der in derNacht von einem der Korsarenschiffe herübergeschwommen ist, dieaufregende Kunde, daß sich nun doch noch in letzter Stunde einechristliche Flotte im Hafen von Negroponte zum Entsatz Konstanti­nopels sammle.

Als Sultan Mohammed angesichts der aussichtslosen Lage der Stadtden Griechen Kapitulation mit freiem Abzug anbietet, weist KaiserKonstantin das Angebot zurück. Der Kampf soll bis zum Ende aus­getragen werden.

Die Stadt leidet bereits unter Mangel an Lebensmitteln, an Pulverund Waffen, die Reihen der Verteidiger haben sich gelichtet, Par­teien bilden sich, Straßenkämpfe toben in der belagerten Stadt.

Es ist "der vierzigste Tag der Belagerung, man schreibt den29. Mai 1453.

Ein stiller Tag mit wolkenlosem Himmel steigt aus den Flutendes Meeres. Kein Schuß zerreißt die lastende Lautlosigkeit, keinKampfgeschrei weht über die Vorstädte. Die Spannung hat ihrenHöhepunkt erreicht. Seit Tagen haben die Türken ununterbrochendie Breschen in der Theodosianischen Mauer, besonders aber dasRomanostor, beschossen. Ihre Artillerie ist unermüdlich, an vielenStellen liegt die Mauer in Schutt, und die Verteidiger stehen nurnoch auf Erdwällen. Jetzt aber schweigen die Geschütze.

Die Gräben sind eingeebnet, die Laufgänge mit Faschinen über­deckt, alles deutet auf den unmittelbaren Ausbruch des General­sturmes hin.

Kaiser Konstantin Paläologus hat sich am frühen Morgen mitseinen Staatsgewändern bekleiden lassen, er trägt die violett­purpurne Dalmatika, das Diadem des Justinian, die juwelenbesetztenBrokatschuhe. Gefolgt von den Ministern, Räten, Bischöfen und Ge­neralen begibt er sich durch den Malachitgang vom Erzpalast Chalkezur Hagia Sophia.

Das ungeheure Gewölbe der Kathedrale ist von betenden Men­schen erfüllt, bis auf die Plätze und Straßen wogt die erregte Menge.Lautes Schluchzen, fanatischer, entflammter Glaubenseifer, eksta­tische Schreie mischen sich mit dem feierlichen Gesang der Choräle.

„Jenseits aller Erscheinung! Wie anders kann ich Dich nennen?Wie soll ich Dich preisen, da Du jedem Worte unsagbar?Wie soll Dich schauen ein Sinn, da Du jedem Sinne unfaßbar?Unbekannt Du allein: denn Du schufest alle Benennungen;Unerkannt Du allein: denn Du schufest alle Gedanken . . ."

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Zu Häupten der Tausende wölbt sich die gewaltige Kuppel derHagia Sophia, die man oft mit dem Himmelsgewölbe verglichen hat,goldlichtüberflutet, von der Mystik ihrer Mosaiken erfüllt.

„Die Kuppel umschließen mit Gold überzogene Steine,deren leuchtender Strahl, wie im Blitz sich umher ergießendUnerträglich dem menschlichen Auge, blendend herabströmt. . ."

Wuchtig streben die Pfeiler nach oben, Licht bricht aus iden Rumd-bogenfenstern der Höhe und entstofflicht die Wände, Säulen,Loggien, Kuppeln und Altäre. Unwirklich und fern scheint allesGeschehen . . .

Tief neigt sich der Kaiser in seiner Loge, die hoch über demHauptaltar und entrückt den Blicken des Volkes im Dämmerlichtder Mosaiken schwebt. Auch er betet zum Lenker der Schicksale, daßer den Kelch vorübergehen lasse.

„Ich rufe Dich, in goldener Ferne Thronender,Du Geheimnis in smaragdenem Licht,Zu dem unser Sehnen emporsteigt wie Rauch von Altären.Ich rufe Dich, daß Du hörest den Schrei der GequältenInmitten Deiner Engelschöre und Deiner tönenden Sphären . . . Aber ich beuge mich auch, denn niemand kennt Deinen Ratschluß..."'

Während der Kaiser und sein Volk vor den weihrauchumhülltenAltären Hegen, dringt es wie anschwellender Donner von Westenheran. Zuerst ist es ein leises Grollen, wird dann zu einem einzigenBrausen und Rollen und setzt sich fort im Aufschrei der Zehn­tausende, die in der Hagia Sophia knien.

Der Sturm hat begonnen!

*„Vater, nicht mein Wille, sondern der Deine geschehe!", flüstert

Kaiser Konstantin Paläologus, als er sich vom samtenen Betstuhlerhebt. Dann wendet er sich an das bleiche Gefolge.

Ich begebe mich auf die Wehrgänge. Der Platz des Kaisers derGriechen ist von nun an bis zum Ende bei den Truppen."

*Im türkischen Heer rufen sich die Kämpfer die Sure des Pro­

pheten zu, die da lautet: „Sie werden Konstantinopel erobern! Glück­lich der Fürst, glücklich das Heer, die solches vollbringen werden!"

Am „Kanonentor", beim Turme Romanos, feuert das Riesen­geschütz dreimal gegen die wankende Bastion, dann brechen dieMauern in einer himmelhohen Wolke von Staub und Schutt zusam­men. Fiebernd wartet das Janitscharenkorps hinter den Sturm-

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schirmen. Der Agha hebt das grüne Banner aus Chinaseide, derRoßschweif weht, Hörner und Pauken setzen ein.

In endlosen Reihen stürmt es heran: geschwungene Handschars,blitzende Faustrohre, scharfe Bambuslanzen, runde Schilde und einMeer von weißen Pluderhosen, roten Jacken, stählernen Helmen.Über diesem entfesselten Orkan weht grell der Schrei: „La Ilaha

j lila Ilahu".Schon im ersten Ansturm versinkt das Kyrie eleison der Griechen,

die Woge bricht über das Romanostor in die Vorstadt Kosmidionein; durch die breite Bresche galoppieren kurdische Reiter, schlitz­äugige Tartaren auf zotteligen, schellenbehangenen Pferdchen. DerKampf wogt von Gasse zu Gasse, von Haus zu Haus. Rasende Weiberkämpfen, Kinder werfen Ziegel von den Dächern, Mönche ringenBrust an Brust mit d»n Janitscharen. Feuer flammt aus den Fach­werkbauten, den Strohdächern der Vorstadt. Tosend nähert sich dieSchlacht der Mauer Konstantins, die als letzter Wall die Innenstadtschützt.

Da die Griechen die Kapitulation abgelehnt haben, hat SultanMohammed seinen Truppen Plünderung und das Recht der Gewaltversprochen. Derwische und Im ans haben die Gläubigen zurRaserei entflammt; sie stürzen sich wie Entfesselte auf die Stadt.

Vor den alten Befestigungen der Konstantinsmauer scheint derKampf noch einmal zum Stehen zu kommen. Aber das heisereSchreien der Scheiks und Derwische reißt die halb wahnsinnigentürkischen Scharen zu solchem Todesmut hin, daß sie den Durch-bruch erzielen und wie Wölfe in die Innenstadt einbrechen. Gleich­zeitig landen, vom Goldenen Hörn kommend, zweihundert mitKorsaren und maurischen Seeräubern beladene Flachboote undfallen die brennende Stadt von der Flanke an.

Kaiser Konstantin Paläologus wirft sich mit seiner Palastwachenahe dem Aquädukt des Kaisers Valens den Janitscharen entgegen.Er fällt nach tapferer Gegenwehr im Straßenkampf. Die Meute er­gießt sich ins Zentrum, Mord, Gewalt und Plünderung ergreifenBesitz von den Palästen des Kaiserviertels.

Als die Sonne im Zenit steht, rufen die Hörnersignale zumSammeln.

Der Sultan zieht in die eroberte Stadt ein, das Schlachten zu enden.Er reitet, begleitet von seinen Paschas und Beis, durch die mitLeichen bedeckten Straßen zur Hagia Sophia.

Am Mittag tritt der neue Herr der Kaiserstadt unter die mosaik­flimmernde Kuppel vor den Altar, TVO noch am Morgen KonstantinPaläologus gebetet hatte.

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Ergriffen vom Wandel des Schicksals, erschüttert von der Größedes historischen Augenblicks, in dem eine zweitausendjährige Ge­schichte endet und ein neues Blatt der Historie aufgeschlagen wird,verweilt der Sultan vor dem christlichen Altar, vor dem noch dasewige Licht brennt.

*

I s tanbu l , nach d e m 3o. A l a i 1^53

Unter den Wenigen, die aus der Katastrophe entkommen sind,befindet sich der kühne Genuese Giovanni Giustinniani. Nach zahl­reichen Abenteuern erreicht er das rettende Chios und bringt derzu spät ausgelaufenen Christenflotte die Nachricht vom Fall derMeerengen.

Noch am Tage seines Einzuges in der Stadt läßt Sultan Moham­med IL alle hohen Beamten, Offiziere und Geistlichen, die in Ge­fangenschaft geraten sind, auf einem öffentlichen Platz niederstoßen.Tausende der Einwohner gehen in die Sklavelei, sie enden ihr Da­sein in Harems, Bergwerken, auf Galeerenbänken oder auf denLandgütern der türkischen Lehensreiter. Dann begibt sich der Sultannach Adrianopel zurück, um die Wiederherstellung der zerstörtenStadt und ihrer Befestigungen abzuwarten. Konstantinopel wirdkünftig Istanbul („Hinein in die Stadt!") heißen.

Die Hagia Sophia wird nach einigen Umbauten Hauptmoschee derMohammedaner. Da der Islam die bildhafte Darstellung Gottes undseiner Heiligen verbietet, werden die herrlichen Mosaiken weißübertüncht, die Gebetsrichtung nach Mekka wird dadurch erreicht,daß man das Gebetspult des Vorlesers in einer Nische zwischenMittel- und Südfenster der Apsis anbringt. An einem der großensüdöstlichen Pfeiler wird die Kanzel für die Freitagspredigt ange­baut und ihr gegenüber die mit goldenen Gittern geschmückteSultansloge. Für den fehlenden Schmuck schaffen türkische Gold­schmiede gewaltige runde Schilde, die in Goldbuchstaben die NamenMohammeds und der Kalifen tragen. Allahs Name hängt in riesen­hafter Schrift in der Mitte der Kuppel.

Auch das Äußere der „Hagia Sophia" ändert sich durch angebauteSchulen, Mausoleen und durch eine Anzahl schlanker Minaretts, vonderen Umgang aus der Gebetsrufer nun über die veränderte Stadtden Ruhm Allahs verkündet. Bald wachsen Moscheen und neuePaläste, bald sammelt sich neues Volk: Griechen, Türken, Araber,Slawen. Eine kleine genuesische Handelsniederlassung entsteht. Der

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Mohammed IL, der Eroberer von Byzanz

Sul tan selbst r e s id ie r t in dem w i e d e r h e r g e s t e l l t e n B lache rnenpa las tvon F a n a r . ^

Der Fall der Metropole an den Meerengen hat weithinreichende Folgen.Mit Konstantinopel geht der letzte Rest des einstigen Mittelmeerreiches derRömer unter. Die Austreibung vieler gebildeter und gelehrter Griechen nach demWesten bringt aber auch den Humanismus des Abendlandes zu höchster Blüte.

Für die Weltwirtschaft bedeutet die Eroberung der Meerengen durch eineasiatische Macht einen entscheidenden Schlag. Von dem Tage an, der seinegrößte Feindin und Konkurrentin stürzt, krankt auch Venedig dahin. Da der.Eiserne Vorhang' zwischen Morgen- und Abendland herabgesunken ist, istder Westen gänzlich vom Zwischenhandel der Türken abhängig geworden. Baldnimmt der Handel — von der Peitsche der Not getrieben — andere Bahnen-Er sucht sich westwärts den Ausweg nach Amerika und südostwärts die See­straße nach Indien. Die Mittelmeerkultur wird zum Nebenschauplatz; das„Mittelmeer der Neuzeit" — der Atlantik — rückt ins Zentrum. Die Länder derWestküste: Spanien, Portugal, Frankreich und England steigen herauf undlösen die Macht und Bedeutung Genuas, Pisas und Venedigs ab. Das DeutscheReich wird vom Herzen eines Erdteils plötzlich zum Randgebiet ohne aus­reichende Weltmeerküste und büßt an Bedeutung ein. Der Türke aber dringtnun in Europa immer weiter voran. Bald beherrscht er Griechenland, denBalkan und Dalmatien und bereitet sich zum Angriff auf die Mitte Europasvor. Die Aufgabe der Abwehr geht von den Griechen und Südslawen aufUngarn, Polen und Österreich über.

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Nicht nur die Bevölkerung der neuen Grenzprovinzen leidet unter derVeränderung der Lage. Bald gibt es niemanden mehr im Abendlande, dernicht den Fall Konstantinopels bedauern würde. Die Preise für Orientwaren — Gewürze, Zucker, Färbemittel — steigen, der Zufluß an Edelmetallen aus demOsten hört auf und mit der Geldverknappung greift die Lähmunq der Wirtschaftweiter um sich.

Der Türke wird für Jahrhunderte zum Albdruck Europas. Aber er ist esauch, der zuletzt Portugiesen und Spanier auf die gefahrvolle Hochseefahrttreibt und die alte Welt nötiqt, sich der neuen — Amerika — zu vermählen.Die Ereignisse des Jahres 1453 zwingen das Abendland, den Gesichtskreis biszum Fernen Osten zu erweitern und durch Kühnheit, Erfindergeist und erhöhteAnstrengung zu ersetzen, was Trägheit, Neid und Uneinigkeit verlorengehenließen.

*

B egri tts er K I är un gen

Achill, griech. Sagenheld, dessen Taten im Kampf gegen Troja Homer verherr­licht hat.

Ägäis, Äoäisches Meer, benannt nach dem sagenhaften König Äqis; Meeresteildes Mittelländischen Meeres zwischen der Balkanhalbinsel und Kleinasien.

Agha, früher hoher türkischer Offizier.Agora, Versammlungs- und Marktplatz griechischer Städte.Äneas, Sagengestalt des Trojanischen Krieges, als Ahnherr Roms angesehen;

Nationalheld der Römer.Aquädukt, gemauerte Wasserleitung, führte das Trinkwasser der antiken Städte

oft aus fernen Gebirgen heran, überquerte die Täler in Brückenform.Aphrodite, griech. Göttin der Schönheit und Liebe, Tochter des Zeus.Argonauten, sagenhafte Gefährten des Jason auf dem Schiffe Argo, mit dem

sie ausfuhren, das „Goldene Vlies" fein wundersames goldenes Widderfell)aus dem Drachenhain von Kolchis am Schwarzen Meer zu holen.

Atrium, Eingangs-, Vorhalle.Bailiste, Ballister, armbrustartiges Wurfgeschütz.Bei, hoher türkischer Beamter.Dardanellen, Meerenge zwischen Agäischem und Marmarameer, nach der

• antiken Stadt Dardanos benannt (antiker Name Hellespont).Demeter, griech. Göttin des Ackersegens.Dhau, türk. Küstenfahrzeug mit lateinischem Segel, das über die ganze Länge

gespannt war.Dido, die sagenhafte Gründerin von Karthago und Geliebte des Äneas.Dionvsos, griech. Gott des Wachstums und des Weines, Sohn des Zeus.Derwische, mohammedanische Bettelmönche.Epheben, die Jünglinge Griechenlands.Galionsfigur, Figur am „Galion", dem Vorbau am Bug von Seglern.Gilden, genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Kaufleuten einer mittel­

alterlichen Stadt.Goldenes Hörn, Hafenbucht von Byzanz-Konstantinopel.Goldenes Vlies, s. Argonauten.

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Griechisches Feuer, eine im 7. Jahrh. n. Chr. in Konstantinopel erfundene, imeinzelnen nicht mehr genau bekannte Mischung, die in Bomben gefüllt undmit Schleudergeschützen verschossen wurde und auch auf dem Wasserbrannte; fand Verwendung im Seekampf und bei Belagerungen.

Handschar, etwa 1 m lange türk. Hiebwaffe.Hagia Sophia, die der „heiligen Weisheit" (hagia sophia) geweihte Haupt­

kirche von Konstantinopel, um 330 von Konstantin d. Gr. erbaut, 532 abge­brannt, von Kaiser Justinian neuerbaut und 537 neu geweiht; mit riesigerKuppel (32 m); seit 1453 Moschee, heute Museum.

Hegemon = Heerführer.Hellenen = Griechen.Herakles = Herkules, griech.-röm. Sagenheld, mit übermenschlichen Kräftep

begabt, Sohn des Zeus, Halbgott.Hippodrom = Pferderennbahn, Sportarena von Byzanz, soll mehrere hundeit-

tausend Menschen gefaßt haben.Imam, moham. Fürstentitel; auch Vorbeter in der Moschee.Jason, Führer der (s.) Argonauten.Minarett, Turm der Moschee; von seiner Höhe ertönt mehrmals am Tage der

Gebetsruf zu Allah.Medusa, in der griech. Sage schreckliches Ungeheuer, Schreckbild.Nereiden, Wasserjungfrauen.Nymphen, niedere Naturgottheiten.Odysseus, Held des trojanischen Krieges; seine Irrfahrten und Heimkehr be­

schreibt Homer in der „Odyssee".Pavesen, mannshohe Schilde, wurden mit der Spitze in die Erde gerammt, bil­

deten eine Schildreihe und durchgehende Schutzwand.Poseidon, griech. Gott der Meere und Gewässer.San Marco (Sankt Markus), Dom von Venedig; Schutzheiliger der Stadt.Seleukiden, nach dem Feldherrn Alexanders d. Gr. benanntes Herrscher­

geschlecht; gründete ein Reich im Vorderen Orient, das zeitweise bis nachIndien reichte.

Triere, Dreiruderer; griech. Galeere, deren Ruderknechte in drei Decks über-einandersaßen und drei Reihen Ruder bewegten.

Tritonen, Meer- und Flußgottheiten.Trojanischer Krieg, benannt nach der homerischen Darstellung des Feldzugs der

Griechen gegen Troja zur Befreiung der von dem trojanischen KönigssohnParis geraubten Helena, der Gattin des Königs von Sparta; in der histo­rischen Beschreibung Sage; historischer Kern sind die kriegerischenWanderzüge der Griechen um 1200 v. Chr. kreuz und quer über die Ägäis.

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