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Das Bild des „poète maudit” in der avantgardistischen Poesie

Date post: 27-Jan-2017
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G. Gazda Das Bild des „poete maudit" in der avantgardistischen Poesie* Der im „Lutece" in den Jahren 1883—1884 erschienene Essayzyklus von Paul Verlaine, der Tristan Corbiere, Arthur Rimbaud und Stephane Mallarm6 unter dem gemeinsamen Titel „Les poetes maudits" gewidmet war und der dann in der Buchausgabe (1888) um die literarischen Porträts von Marceline Desbordes-Valmore, Auguste de Villiers de l'Isle-Adam und dem Autor selbst (er tritt hier unter dem Anagramm Pauvre Lelian auf) erweitert wurde 1 , begründete in der Literaturkritik nicht nur den Begriff des „ge- ächteten Dichters", sondern auch einen gewissen Typ von Biographie., der mit dieser Bezeichnung verbunden ist. Sie entstand — wie man vermuten muß — als Gegensatz zu dem Titel „Poeta laureatus", mit dem in der Antike und auch im Italien der Renais- sance jene Dichter ausgezeichnet wurden, die für ihre allgemein anerkannte und voll- endete Dichtung hohe Ehrungen erfuhren. Seit dem 16. Jh. war „Poeta laureatus" in England ein offizieller Hoftitel, der von den Herrschern verliehen wurde (ζ. B. an John Skelton, Ben Jonson, Edmund Spenser und zuletzt, im Jahre 1930, an John Mase- field) 2 . Dieser Titel stellte also eine ganz besondere Ehrung des Dichters dar, er war ein Zeichen von Ruhm und Anerkennung. Die Dichtung und die Biographie des „ge- ächteten Poeten" hatten ihren Platz demnach auf dem Gegenpol der gesellschaftlichen Anerkennung 3 . Verlaine hat in seinen Essays mehrfach unterstrichen, daß er das Schaf- fen jedes dieser Dichter behandelt, „pour lui assurer, non seulement la rdputation qu'il possfede dejä, mais beaucoup plus — la supreme Gloire dont il ne jouit pas encore, malgr6 ses m6rites" 4 . Eine ähnliche Absicht verfolgten auch die Bemerkungen in dem Roman „A Rebours" (1884) von Joris-Karl Huysmans über das Schaffen von Corbiöre, Villiers de l'Isle-Adam, Mallarm6 und Verlaine: „rozdzial poäwi^cony sztuce swieckiej pomögl wydobyc na jaw poetow calkiem nie znanych owczesnej publicznoäci" — heißt es im Vorwort zur Ausgabe von 1905 s . Beispiele für verworrene Schicksale von Dichtern und deren Schaffen lassen sich in der Literaturgeschichte viele finden. So bildete sich gegen Ende des 18. Jh. die Vorstellung eines von der Not und den Entbehrungen des täglichen Lebens gebrochenen Dichters heraus, der zu früh stirbt und für den Anerkennung und Ruhm zu spät kommen. Die Legenden, die um die Biographien von Jacques Malfilätre (1732—1767), Nicolas Gilbert (1751—1780), Thomas Chatterton (1752-1770) und Andre Chenier (1762-1794) entstanden, wurden später zur Grundlage vieler lyrischer Invokationen und poetischer Elogen. Von den früheren Dichtern müßte man hier noch Francis Villon anführen. Die Romantiker griffen diese halb legendären, halb wahrheitsgetreuen Biographien dann wieder auf 6 . Der Roman „Stello" (1832) und das Drama „Chatterton" (1855) * Auf Wunsch des Autors Verden in diesem Beitrag fremdsprachige Zitate (ζ. B. aus dem Bussi- schen oder Englischen) nur in Polnisch oder Französisch gebracht — die Redaktion. 1 P. Verlaine, Les pofetes maudits, Paris 1884/1888. 2 vgl. Encyclopaedia Britannica, vol. 18, Chicago 1943, Stichwort: Poet laureate. 3 vgl. K. Milota, Proklety basnik a jeho rod, in: Plamen 1967, S. 29—34. 4 P. Verlaine, op. cit., S. 70; s. auch B. Monkiewicz, Verlaine critique litteraire, Paris 1928. 5 vgl. J.-K. Huysmans, Na wspak, Warszawa 1976, S. 37 (zitiert nach der Übersetzung von J. Rogoziriski). β vgl. B. Tomasze wski, Literatura i biografiä, in: 2yeie Literackie/Zagadnienia Literackie, Lodz 1974, zesz. 1 — 2. Brought to you by | Johns Hopkins University Authenticated | 128.220.68.44 Download Date | 4/13/14 6:23 PM
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Page 1: Das Bild des „poète maudit” in der avantgardistischen Poesie

G. G a z d a

Das Bild des „poete maudit" in der avantgardistischen Poesie*

Der im „Lutece" in den Jahren 1883—1884 erschienene Essayzyklus von Paul Verlaine, der Tristan Corbiere, Arthur Rimbaud und Stephane Mallarm6 unter dem gemeinsamen Titel „Les poetes maudits" gewidmet war und der dann in der Buchausgabe (1888) um die literarischen Porträts von Marceline Desbordes-Valmore, Auguste de Villiers de l'Isle-Adam und dem Autor selbst (er tritt hier unter dem Anagramm Pauvre Lelian auf) erweitert wurde1, begründete in der Literaturkritik nicht nur den Begriff des „ge-ächteten Dichters", sondern auch einen gewissen Typ von Biographie., der mit dieser Bezeichnung verbunden ist. Sie entstand — wie man vermuten muß — als Gegensatz zu dem Titel „Poeta laureatus", mit dem in der Antike und auch im Italien der Renais-sance jene Dichter ausgezeichnet wurden, die für ihre allgemein anerkannte und voll-endete Dichtung hohe Ehrungen erfuhren. Seit dem 16. Jh . war „Poeta laureatus" in England ein offizieller Hoftitel, der von den Herrschern verliehen wurde (ζ. B. an John Skelton, Ben Jonson, Edmund Spenser und zuletzt, im Jahre 1930, an John Mase-field)2. Dieser Titel stellte also eine ganz besondere Ehrung des Dichters dar, er war ein Zeichen von Ruhm und Anerkennung. Die Dichtung und die Biographie des „ge-ächteten Poeten" hatten ihren Platz demnach auf dem Gegenpol der gesellschaftlichen Anerkennung3. Verlaine hat in seinen Essays mehrfach unterstrichen, daß er das Schaf-fen jedes dieser Dichter behandelt, „pour lui assurer, non seulement la rdputation qu'il possfede dejä, mais beaucoup plus — la supreme Gloire dont il ne jouit pas encore, malgr6 ses m6rites"4. Eine ähnliche Absicht verfolgten auch die Bemerkungen in dem Roman „A Rebours" (1884) von Joris-Karl Huysmans über das Schaffen von Corbiöre, Villiers de l'Isle-Adam, Mallarm6 und Verlaine: „rozdzial poäwi^cony sztuce swieckiej pomögl wydobyc na jaw poetow calkiem nie znanych owczesnej publicznoäci" — heißt es im Vorwort zur Ausgabe von 1905s. Beispiele für verworrene Schicksale von Dichtern und deren Schaffen lassen sich in der Literaturgeschichte viele finden. So bildete sich gegen Ende des 18. Jh . die Vorstellung eines von der Not und den Entbehrungen des täglichen Lebens gebrochenen Dichters heraus, der zu früh stirbt und für den Anerkennung und Ruhm zu spät kommen. Die Legenden, die um die Biographien von Jacques Malfilätre (1732—1767), Nicolas Gilbert (1751—1780), Thomas Chatterton (1752-1770) und Andre Chenier (1762-1794) entstanden, wurden später zur Grundlage vieler lyrischer Invokationen und poetischer Elogen. Von den früheren Dichtern müßte man hier noch F r a n c i s Villon anführen. Die Romantiker griffen diese halb legendären, halb wahrheitsgetreuen Biographien dann wieder auf6. Der Roman „Stello" (1832) und das Drama „Chatterton" (1855)

* Auf Wunsch des Autors Verden in diesem Beitrag fremdsprachige Zitate (ζ. B. aus dem Bussi-schen oder Englischen) nur in Polnisch oder Französisch gebracht — die Redaktion.

1 P . V e r l a i n e , Les pofetes maudits, Paris 1884/1888. 2 vgl. Encyclopaedia Britannica, vol. 18, Chicago 1943, Stichwort: Poet laureate. 3 vgl. K. M i l o t a , Proklety basnik a jeho rod, in: Plamen 1967, S. 29—34. 4 P. V e r l a i n e , op. cit., S. 70; s. auch B. M o n k i e w i c z , Verlaine critique litteraire, Paris 1928. 5 vgl. J.-K. H u y s m a n s , Na wspak, Warszawa 1976, S. 37 (zitiert nach der Übersetzung von

J. Rogoz ir i sk i ) . β vgl. B. T o m a s z e wsk i , Literatura i biografiä, in: 2yeie Literackie/Zagadnienia Literackie,

Lodz 1974, zesz. 1 — 2.

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von Alfred de Vigny zeichneten das literarische Bild des vereinsamten, leidenden und nicht anerkannten Dichters, dessen Leben durch einen tragischen Tod endet. ,,La cause? e'est le martyre perpetuel et la perpetuelle immolation du Poete. — La cause? c'est le droit qu'il aurait de vivre. — La cause? c'est le pain qu'on ne lui donne pas. — La cause? c'est la mort qu'il est force de se donner"7. schrieb de Vigny im Vorwort zu seinem Drama. Diese Problematik ist auch das Hauptthema des früher herausgegebenen Romans „Stello". in dessen Fabel die Schicksale von Gilbert, Chatterton und Chenier einflossen. Deshalb sollte man wohl auch de Vigny als Schöpfer der Bezeichnung des ,.geächteten Poeten" betrachten, denn er läßt einen der Helden des erwähnten Romans sagen: „ J e veux dire qu'il avait raison de se plaindre de savoir lire, parce que du jour oü il sut lire il fut Poete, et des lors il appartint ä la race toujours maudite par les puissances de la terre , . . " 8 Und bevor Verlaine seinen Essays den Titel „Les pontes maudits" gab, schrieb auch schon Rimbaud in einem Brief an Paul Demeny (15. Mai 1871): „Le Poete se fait voyant par un long, immense et raisonn6 d6r6glement de tous les sens. Toutes les formes d'amour, de souffrance, de folie: il cherche lui-meme, il epuise en lui tous les poisons, pour n'en garder que les quintessences. Ineffable torture oü il a besoin de toute la foi, de toute la force surhumaine, oü il devient entre tous le grand malade, le grand criminel, le grand maudit — et le supreme Savant! (...) done le poete est vraiment voleur de feu."4 Eine solche Schaffens- und Lebensauffassung, wie sie von den Romantikern begründet wurde, wurde in der Poesie der französischen Symbolisten geradezu zum Programm. Wir sprechen deshalb von Frankreich, da diese Bezeichnimg dort entstand und sich die Kritik auch in der Regel des französischen Ausdrucks bedient. Aber Dichter, die man zu den „geächteten" zählen kann, sind auch in anderen Literaturen zu finden; denken wir nur an Cyprian Kamil Norwid, den die Kritik des „Jungen Polen" entdeckte, an die Ungarn Jänos Vajda10 und Gyula Juhäsz, die übrigens in literarischer Hinsicht mit den französischen Symbolisten verwandt sind11, oder an den Österreicher Georg Trakl und den Tschechen Karel Hlav&öek. Die Namen der angeführten Dichter, ihr wirkliches Leben und dessen literarische Widerspiegelung, die Interpretation und die Selbstinterpretation ihrer Werke dienen in gewisser Weise als Modellvorstellung von dem „geächteten Poeten", die bis heute im Bewußtsein der Kritik und der literarischen Öffentlichkeit lebendig ist12 und in viel-fältiger Form in der Literatur verarbeitet wird. Es erübrigt sich, hinzuzufügen, daß sich in diesem Modell zwei Sphären von Erscheinungen miteinander verflechten —

7 A. de Vigny , Cliatterton, Paris o. J . , S. 16. 8 ders. , Stello, Paris 1868, S. 40. 9 Arthur R i m b a u d . Une etude par C.-E. Magny. Oeuvres choieies, bibliographie, deesins,

portraits, facsimiles, Paris 1956, S. 69. 10 vgl. folgendes Zitat aus dem Gedicht „Az üstokos" in der französischen Übersetzung von

L. F e u i l l a d e :

„Comfete, image de maudits, miroir Et pur pinceau de ma fatalite, Etrangere ä jamais, unique et sans espoir Dans ta course ä l'immensite."

(zitiert nach A. K a r a t son, Le symbolisme en Hongrie, Paris 1969, S. 25. 11 vgl. A. K a r ä t s o n , op. cit. 12 s. die Anthologie P. Segher s , Poetes maudits d'aujourd'hui 1946—1970, Paris 1972, und auch

die Legenden um das Schaffen der sog. Beat-Generation, vgl. J . F. S c o t t , Beat Literature and American Ten Cult, in: American Quarterly, summer 1962.

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Wirklichkeit und literarisches Abbild, Wahrheit und Fiktion, literaturgeschichtlich verifizierbare Fakten und Legende (eine Legende übrigens von glorifizierendem, hagio-graphischem und sogar kultischem Charakter). Unter der Bezeichnung „geächtet" stellt man sich einen jungen Dichter vor, der die Anlagen zu einem Genie hat, dessen Lebensstil weit von den allgemein akzeptierten Normen abweicht und der mit den Wid-rigkeiten des Schicksals zu kämpfen hat, einen Dichter, dessen Werke auf Grund ihres avantgardistischen Charakters billigen Angriffen und Bespöttelungen ausgesetzt sind und deshalb selten gedruckt werden; manchmal hört dann solch ein Dichter auf zu schreiben und vernichtet seine Manuskripte; er kommt ins Gefängnis, weil er die gesell-schaftlichen und politischen Gesetze mißachtet; er verfällt unheilbaren Krankheiten oder Lastern, erlebt oft eine verhängnisvolle Liebe und stirbt einen tragischen Tod als Selbstmörder. Seine Entfremdung und seine Einsamkeit werden durch das Ausbleiben von Anerkennung und Ruhm noch vertieft; letzteres findet er erst im Urteil der Nach-welt. Zu diesem Typ kann man übrigens auch Vertreter anderer Künste zählen, be-sonders vom Ende des 19. und vom Beginn des 20. Jh.13

Die hier besprochene Problematik läßt sich auch in einen weitaus allgemeineren Fragen-komplex einordnen: die Wechselbeziehungen zwischen der Wirklichkeit und ihrer literarischen Schematisierung. „I nielatwo jest nieraz rozstrzygn^c", schreibt B. Toma-szewski, „czy to literatura odtwarza ten lub inny fakt, czy tez na odwröt — zjawisko zyciowe jest wlaänie wynikiem przenikania do zycia szablonöw literatury."14 Mit aller Deutlichkeit zeigt sich das im Bereich der Poesie. Obwohl diese eigentlich immer ein Ausdruck von Gefühlen, Empfindungen und Reflexionen der Dichter war, beschrieb sie doch eine „psychologische Wirklichkeit", wodurch sie die Literaturkritik zu den verschiedenartigsten Interpretationen reizte. So entstanden die Fragen nach dem Ver-hältnis von Dichtung und Wahrheit, so begann man, in der Lyrik nach der Bestätigung biographischer Fakten zu suchen und in den Biographien nach Interpretationsmöglich-keiten für poetische Bedeutungen18. Diese autobiographische Durchdringung der Dich-tung, die in verschiedenen Epochen mit unterschiedlicher Stärke zum Ausdruck kommt, ist eng mit weltanschaulich-philosophischen Richtungen verbunden, mit bestimmten Konzeptionen von der Rolle und der gesellschaftlichen Funktion des Schriftstellers. Übrigens, sowohl in der Romantik als auch bei den Dichtern des französischen Symbo-lismus hatte jene autobiographische Kennzeichnung Allusions- und Stilisierungs-charakter, denn das erwarteten die Rezipienten dieser Poesie, sie trug den Charakter einer narzißhaften, etwas exhibitionistischen Selbstdarstellung: Sie war ein sprach-licher Spiegel, der die Wirklichkeit abbildet. Diesen von den Dichtern selbst geschaffe-nen Legenden fügten die späteren Kritiker neue Elemente und Inhalte hinzu, um die „geheimnisvollen" Lücken zu schließen. J e mehr Lücken es gab, desto mehr Mut-maßungen und Hypothesen gab es auch. Der Mythos, der zum Beispiel um Isidore Ducasse und seine „Chants de Maldoror" entstand, ist eine besonders deutliche Ver-anschaulichung, weil er bis heute lebendig ist16. Der Begriff des „geächteten Poeten" und die damit verbundenen Inhalte wurden also im Ergebnis von Prozessen heraus-

13 vgl. A. H a u s e r , Spoleczna historia sztuki i literatury, Warszawa 1974; ebenso A. Os§ka, Mitologie artysty, Warszawa 1975.

14 B. T o m a s z e w s k i , op. cit., S. 31. 15 vgl. R. J a k o b s o n , Co to jest poezja?, in: Praska Szkoia Strukturalna w latach 1926—1948.

Wybör materialöw, Warszawa 1966. 16 vgl. A. W. L a b u d a , Biografia pisarza w komunikacji literackiej, in: Teksty 1975, Nr. 5.

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gebildet, die sich zum einen auf dem Feld der Psychologie des künstlerischen Schaffens abspielten, zum anderen im Bereich der Wirkungssoziologie und der Mechanismen, die die Erscheinungen der literarischen Kultur regeln. Uns wird er nicht als Zusammen-treffen zweier voneinander abhängiger Fakten — der Biographie und des künstlerischen Werks — interessieren (diese Frage wurde schon unter vielerlei Aspekten und in inter-essanter Form beschrieben17), sondern als Modell, das von der Avantgarde des 20. Jh . übernommen und durch verschiedene poetische Prinzipien in die Gesamtheit der litera-rischen Abbilder eingeführt wurde. Mit diesem von den Symbolisten in allen seinen literaturhistorischen Bedingtheiten übernommenen Modell verbinden sich sowohl in der Literatur als auch im Bewußtsein der Leser die Gestalten dekadenter Neurasthe-niker, Bohemiens und Salondandys. Die Avantgarde — verstanden hier als Gesamtheit der innovatorischen Tendenzen, die sich im europäischen Kulturkreis seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jh . bis heute mit verschiedenen Präfigurationen herausbilden — konnte sich ja trotz der programmatischen Ablehnung der Traditionen und der Ver-gangenheit nicht von heute auf morgen in irgendeinem sprachlich-kulturellen Vakuum entwickeln: Sie verfügte über die gleichen Mittel, die gleichen Sprachsysteme, derer sich die Symbolisten bedienten. Leichter war dieser Sprung über die Grenzen, die das Alte vom Neuen trennen, für die bildenden Künste, die auch, besonders in der Anfangs-phase der Avantgarde, für alles, was neu war, den Ton angaben. Sie stellten gewisser-maßen die Avantgarde der Avantgarde dar. Betrachtet man dagegen die Anfänge der Modernisierungsbestrebungen in den einzelnen Nationalliteraturen — sei das in Ruß-land, Polen, Ungarn, Deutschland oder Italien —, so kann man überall in diesen An-fängen nicht nur eine Krise der symbolistisch-modernistischen Werte feststellen, sondern ebenso ein gewisses Wiederaufgreifen der sprachlichen, stilistischen und thematischen Valeurs des französischen Symbolismus. Es genügt schon, etwa die Übertragungen der Werke Baudelaires, Rimbauds und Maliarmes durch die Dichter des „Jungen Polen" mit den Übersetzungen von Tuwim, Iwaszkiewicz und Rytard zu vergleichen. Es genügt, die literarischen Programme dieser Epoche anzusehen, in denen unter den zahlreich genannten Vorbildern auch Namen und Titel symbolistischer Werke auftauchen, natürlich von neuen Standpunkten aus interpretiert (ζ. B. bei den Surrealisten). Bei den Programmen denke ich weniger an die wortgewaltigen Manifeste und schreienden Losungen, sondern an die Prinzipien, die immanent in den avantgardistischen Werken, deren Selbstbefreiung aus den „Fesseln der Vergangenheit" eine ganze Reihe von Jahren dauerte, enthalten sind. Ziel dieser Bemerkungen ist die Feststellung, daß sowohl die Futuristen, die Expressionisten als auch die Surrealisten nicht nur bei den Symbolisten in die Lehre gingen, sondern daß sie in ihre Poesie ein ganzes Ensemble symbolistischer dichterischer Requisiten einbrachten und diesen neue Bedeutungsvektoren verliehen. So ist es auch mit dem literarischen Bild des „geächteten Poeten". Und das um so mehr, als sich die avantgardistische Poesie, indem sie mit ihren aufrührerischen Kampfes-rufen und Losungen alles, was bis dahin war, ablehnte, gleichsam selbst zur Verdam-

17 vgl. ζ. B. Ph. L e j e u n e , Pakt autobiograficzny, in: Teksty 1975, Nr. 5; J. Sla w m s k i , Mysli na temat: biografia pisarza jako jednostka proceeu historycznoliterackiego; E. B a l c e r z a n , Biografia jako j?zyk; die zwei letztgenannten Artikel s. in: Biografia — Geografia — Kultura literacka, pod red. J. Z iomka i J. S l a w i n s k i e g o , Wroclaw 1975; ferner E. B e r t r a m , Nietzsche. Pröba mitologii, in: Teoria badan literackich za granicq,. Wyb0r, rozprawa wst^pna, komentarze S. S k w a r c z y n s k a , Krakow 1974, t. II, cz. I.

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mung und Verhöhnung durch den aufgebrachten „Bourgeois" verurteilt hat. Das war auch ein Element der damaligen literarischen Strategie, des tückischen Spiels, das die Avantgardisten mit dem Leser veranstalteten. Aber nicht nur das. Dadurch, daß die Dichter die Rolle des Aufrührers gegen den ästhetischen Kanon und die gesellschaft-lichen und politischen Normen übernommen hatten, waren sie gezwungen, aus ihrer Anonymität herauszutreten, sich als Menschen mit konkretem Namen und Vornamen zu offenbaren, nicht nur als Künstler. Die avantgardistische Kunst fand durch das avantgardistische Leben Unterstützung. „Wiek X X obdarzyl nas swoistym typem pisarzy ζ biografig., ktorzy manifestacyjnie wotali: (...) Patrzcie i nie wazcie odwracac sie od nas, bo wszyscyScie rownie nikczemni, tylko, ze wy jesteäcie maloduszni i taicie si§ ζ tym, a ja mam odwag^ rozebrac si? do naga i nie kr§pujq,c si§ przechadzac przed oczami publicznoäei."18

Villons „Ballade des pendus", „Le grand testament", der „fipitre ä mes amis", seine „Ballade de l'appel", die Jamben Cheniers, die im Gefängnis Saint-Lazare entstanden, und „The Ballad of Reading Gaol" von Oscar Wilde stellen eine besondere Art von Tradition des „geächteten Poeten" dar. Darauf griff Apollinaire zurück, als er 1911 den Gedichtszyklus „A la Sante" im Gefängnis schrieb:

„Avant d'entrer dans ma cellule II a fallu me mettre nu Et quelle voix sinistre ulule (Giullaume qu'es-tu devenu (...) Le soleil filtre ä travers

Les vitres Ses rayons font sur mes vers

Les pitres."19

An die Legende um A. Ch6nier knüpft M. Cvetaeva an, wenn auch nicht nur er der lyrische Held des 1918 entstandenen Gedichts ist:

„Andre Chenier wst^pil na rusztowanie. Α ja wci%z zyj§ — i to jest wielki grzech. Sq, takie czasy — zelazne — bez ech. I äpiewac w prochu — to zadne spiewanie."20

Das nächste Beispiel stammt aus dem Gedicht ,,ΒοροΗβ?κ" von A. Achmatova (1936):

„Ale w pokoju poety wygnanca L^k ζ Muzq, dyzurujq, po kolei, I noc zapada, Co nie zna switu, ni nadziei."21

18 B . T o m a s z e w s k i , op. cit., S. 33; ausführlicher darüber in meinem Buch „Futuryzm w Polsce", Wroclaw 1974; vgl. besonders das letzte Kapitel „Legenda polskiego futuryzmu".

" G. A p o l l i n a i r e , Nowe przeklady, Krakow 1973, S. 126 (zweisprachige Ausgabe). 20 S. P o l l a k , Przyblizenia. Od Tiuczewa do wspölczesnolci. Wybör przekladow ζ poezji rosyj-

skiej, Krakow 1973, S. 308. 21 ebd., S. 109.

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Bild des ..poete maudir 563

Dieser Vers ist Osip Mandel'stam gewidmet. Und noch ein Beispiel aus einem Werk Bruno Jasienskis von 1938:

..Daehy zelazne i okna inieszkan Pociijgni^te delikatnij pylkowin^ perly. Marszem uroczystym do wieziennego ust^pu Ζ kiblem w r§ku zaczyna siQ ranek. ( . . .) Lez(> za kratami, jak wrög i szubrawiec, — Czyz moze bye polozenie bardziej niedorzeezne? I"22

Alle diese Gedichte haben biographischen oder autobiographischen Charakter: Darauf deuten nicht nur äußere Informationen hin (das Entstehungsdatum, Fakten aus dem Leben der Autoren, Widmungen), sondern auclj die unmittelbar in den Texten ent-haltenen Bedeutungen (es treten in ihnen Namen und Vornamen auf, Bezüge zu tat-sächlichen Situationen oder Ereignissen). Selbst wenn die dargestellte poetische Welt sich auf eine fremde Biographie bezieht („BopoHeHi" von A. Achmatova, „A. Chenier" von Cvetaeva), verflechten sich damit Erfahrungen des eigenen lyrischen Ichs. Die für den Dichter extreme Situation der Isolierung und Absonderung wird in diesen Werken beschrieben, und dabei werden trotz unterschiedlicher dichterischer Form und litera-rischer Traditionen ähnliche Bilder und lyrische Beobachtungen von quasi-narrativem Charakter verwendet. In ihnen überwiegt die Beschreibung, die Erzählung, der düstere Balladencharakter gegenüber den existentialistisch-philosophischen Reflexionen. Durch die bereits erwähnten unterschiedlichen dichterischen Formen und Traditionen wird diese Beschreibung auf sehr verschiedene Weise gestaltet: Es gibt den „armen" Realis-mus bei Apollinaire, die choralhafte Metaphorik in den Gedichten von Cvetaeva, die aus-gesuchten, geradezu imaginistischen Bilder bei Achmatova und die reportagehaft hyperbolisierte losungshafte Stilistik bei Jasienski. Und noch eines verbindet diese Verse: die Leiden des Dichters, dem man die Möglichkeit zu schreiben genommen ha t : ,,I drzg. na kartkach papieru uderzen nog znad sufitu" (Apollinaire); „R?ce — ζ nich zeszyt wypada — juz nie dopisz§ nie wi^cej" (Cvetaeva); „L^k ζ Muz% dyzurujg, po kolei" (Achmatova); „Urwanej swej piesni doSpiewac nie zd^zylem" (Jasiedski). Diese vier angeführten Beispiele sind eine literarische Widerspiegelung einer sehr spezifischen Situation des „geächteten Poeten". Seine Entfremdung hat dabei vor allem existentialistischen Charakter:

„Je suis Vincent Huidobro et je parle en cette ann6e 1919 C'est l'hiver L'Europe a enterre tous ses morts (...) Je suis seul La distance du corps au corps Est aussi grande que celle de 1'äme ä l'äme Seul

Seul Seul

22 B. Jas i ensk i , Utwory poetyckie, manifesty, szkice, Wroclaw 1972, S. 191 (Übersetzung v. E. Balcerzan).

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Je suis seul (...) Angoisse de vide en haute fievre A mere conscience du vain sacrifice

de Γ experience inutile de l'insucc6s celeste de l'essai malheureux."23

schrieb im Ersten Lied des Poems „Altazor, der Chilene" V. Huidobro, ein Vertreter der europäischen Avantgarde. Und hier ein Fragment aus dem Post-scriptum von A. Artaud zum Text „Le theatre et la science" (1948):

„Qui suis-je? D'oü je viens? Je suis Antonin Artaud et que je le dise comme je sais le dire immediatement."M

Und noch ein Zitat aus dem Poem in Prosa „Howl" von A. Ginsberg (des amerikani-schen Vertreters der Beatgeneration) aus dem Jahre 1956:

„Moloch, w ktorym siedz§ samotny! Moloch w ktorym sni§ ο Aniolach! Oszalaly w Molochu! B§kart w Molochu! Wyzbyty miloSci i osamotniony w Molochu!"25

Die Motive der Vereinsamung, die diese drei ausgewählten Texte verbinden, werden unterschiedlich begründet, obwohl sie alle eine spezifische Situation im Leben des sich äußernden Subjekts fixieren. Die Poeme von Huidobro und Ginsberg sind ein für die Literatur des 20. Jh. charakteristischer Ausdruck des Bewußtseins eines Dichters, der versucht, sich der existierenden Wirklichkeit, die den Menschen degradiert und ver-nichtet, entgegenzustellen. Die Einsamkeit des Dichters ist also eine Flucht, eine not-wendige Entscheidung. Der Standort des Poeten ist jenseits der „Zonen", die von der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung festgelegt werden:

„Je n'accepte pas vos chaises votre securite votre facility

Je suis l'ange sauvage qui un matin est tombe (...) Animal metaphysique

lourd d'angoisses."26

Der Dichter ist ein „gefallener Engel" aus freier Entscheidung. Die Selbstreflexion über das Sein im Post-scriptum hat ihren Ursprung im Existentialismus: Diese Rich-

23 V. Hu idobro , Manifests. Altazor, Paris 1976, S. 39 (Übersetzung aus dem Spanischen v. G. de Cortanze) .

24 P. Seghers, op. cit., S. 35. 25 Wizjonerzy i buntowniey. Wiersze wspölczesnych poetöw' amerykanskich, Krakow 1976,

S. 97 (Übersetzung v. T. Truszkowska [zweisprachige Ausgabe]). 2 · V. Hu idobro , op. cit., S. 46.

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tung brachte der Poesie — besonders im letzten Vierteljahrhundert — neue philoso-phische Motivationen, die sich ζ. B. in den Werken der amerikanischen Beatgeneration zeigen. Und doch hatten die Verdammung des Dichters und die daraus resultierende Entfrem-dung ihre Wurzeln in den Grundsätzen der avantgardistischen Poesie selbst. Der avant-gardistische Künstler suchte sich, als er das Programm seiner Dichtung formulierte und sein Manifest schrieb, geradezu a priori seinen Platz unter den „geächteten Künstlern". Dieser Platz wurde im Programm postuliert, er beeinflußte das Schaffen und die Mysti-fizierung der eigenen Persönlichkeit:

„melancholijny przest^puj^cy ζ nogi na nog§ .czytelnik' szarpie mi usta t§pe oczy wbil we mnie jak mlotkiem cwieki czemu nie äpiewasz tak samo jak äpiewano przez wieki? ja nie chc§ äpiewac zrozumiano."27

In dieser Poesie wird auch die Idee vom „Sendungsbewußtsein" des Dichters deutlich („der Dichter ist der Dieb des Feuers" schrieb Rimbaud), und zwar allen Widrigkeiten und Verfluchungen zum Trotz:

„ Ja nieustraszony nienawiöc do dziennych promieni w stulecia ponios§ oto moja dusza jam kröl lamp! Pojdzcie do mnie wszyscy coscie szarpali milczenie coscie wyli"28

schrieb Majakovskij. Dieses Bild zeigt sich auch in aller Schärfe in dem Gedicht „Pieln ο glodzie" von B. Jasie0ski (in dem das Schicksal des Dichters und Christus' in ein Motiv assoziiert werden) sowie in dessen dichterischem Manifest „Do Futurystow":

„Przyszedl czas ostatniej krucjaty. (...) Niech poeci id% do nieba. Jestem ζ wami. Nie b§dzie wi§cej zaden, ktoremu do ust swoj dzban dasz,

27 A. Stern , Poezje, Warszawa 1969, S. 59. 28 \Y. Majakowski , Liryka, Warszawa 1965, S. 36 (Übersetzung v. A. Stern).

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Page 9: Das Bild des „poète maudit” in der avantgardistischen Poesie

566 G . G A Z D A

piescic nam oczu jadeni g§stym jak bandaz."29

Besonders viele Darstellungen dieses Typs finden wir in jenen Richtungen der Avant-garde, deren Ziel nicht nur die Schaffung einer neuen Poesie war, sondern auch einer neuen, von der Lüge befreiten Wirklichkeit (Futurismus, Expressionismus). Die allgemeinen Proteste gegen die bilderstürmerischen Programme der neuen Poesie schufen übernationale Bande zwischen den Dichtern der Avantgarde, die sich auch durch die gleiche gesellschaftliche Realität, in der sie sich befanden, verbunden fühlten. So sollen u. a. die in die Bedeutungsstrukturen der Gedichte und Manifeste aufgenommenen Namen von Dichtern der Gegenwart und Vergangenheit jene internationalistische Über-einstimmung der „geächteten Poesie" unterstreichen:

„chodz do mnie prayjacielu i ty cocteau i ty majakowskij boccioni tzara i wy i oni (...) guillaumie pantero ζ pyskiem rannyin ζ obandazowanq, laurami glowq. juz nie krzyczysz do mnie zadn^ mowq, i juz nie piescisz w okopach swej jeanny."30

Aber das, was bei den Romantikern und Symbolisten Quelle des Leidens, der Nostalgie, schöpferischer Frustrationen und Mißerfolgsgefühle war, ist in der avantgardistischen Poesie gewissermaßen ein notwendiges Bedingungsgefüge; man kann das Übernahme durch Ablehnung nennen. Die „Ächtung" ist der Träger des Avantgardismus, seine Triebkraft, sein unveräußerlicher Wert:

„Wielkich Poetöw oszukiwaliäcie dose Ktorych zycie stokroc trudniejsze niz pszczele (...) Wierz§ — gdy juz b^dziemy nieboszczykami Zdziwicie si§ 5wi§tej naszej skromno£ci. — Α dziä okrzykujecie futurozbojnikami Genialne Dzieci WspolczesnoSci. Czcic i wielbic umiecie umarlych."31

Die Verdammung ist ein besonderes Stigma, Gegenstand eines unverhüllt überheblichen Stolzes und gleichzeitig des Glaubens an den eigenen wirklichen Wert. Eine unabding-bare Komponente des Bildes des „poete maudit" ist das Motiv der Liebe:

„Je suis malade d'ouir les paroles bienheureuses L'amour dont je souffre est une maladie honteuse

29 B. J a s i e n s k i , op. cit., S. 52. 30 A. S tern , op. cit., S. 58, 60. 31 W. K a m i e n s k i , Wasyl Kamieiiski zywy pomnik (Übersetzung v. E. Baleerzan) , in:

W. D^browski — A. Mandalian — W. Woroszy l sk i , Antologia nowoczesnej poezji rosyjskiej 1880—1967, Wroclaw 1971, t. I, S. 375.

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Page 10: Das Bild des „poète maudit” in der avantgardistischen Poesie

Bild des ..poete maudir 567

Et l ' image qtii te possede te fait su rv ivre dans rinsoninie et dans l'angoisse

C'est toujour* pres de toi cette image qui passe"32

sehrieb Apollinaire in ..Zone". Und liier ein Fragment ans ,,Οδπβκο β iirraHax" von V. Majakovskij:

,.S<|dzieie moze. ze to bredzi malaria? (...) Nie moglyby oezy ninie poznae niezyje: potwor zylastv. wije sie, wyje. m§ka wleeze go. (...) Bgdg mial milosc czv nie? (...)

Przekl?ta !"w

U n d aus ,,Φ.ιβίίτβ — πο3βοηοίηηκ" :

„Dokg,d pojd^ ζ tym snem co opetal! Jakiz niebieski Hoffmann wymyslil eiebie, przekl^ta? I"34

Zur Vervollständigung noch ein Fragment aus „MocKßa KaßauKaa" von S. Esenin:

,,W tej kobiecie szukalem szcz?§cia, A zatrat§ znalazlem niechcq.cy. Nie wiedzialeni. ze miioäc to pomor, Nie wiedzialeni. ze miloäc to dzuma."35

Die Ähnlichkeit der Bedeutungskontexte, in die die „Liebe" eingebettet ist, wird nur allzu deutlich: Liebe und Fluch, Liebe und Krankheit, Liebe, deren Echo schmerzende Erinnerung ist. Die angeführten Poeme illustrieren auch die Konventionalisierung dieses Motivs, sie sind ein Beispiel für die semantische Identität stilistischer Bilder über die individuellen Besonderheiten der dichterischen Form und der Traditionsbezüge hinaus. Diese poetischen Bezüge des Liebesmotivs sind in den zitierten Gedichten strukturell mit Verallgemeinerungen über das künstlerische Schaffen an sich ver-bunden. Die „Ächtung" umfaßt alle Bereiche der in den Gedichten dargestellten Bio-graphien. Die Motivationen, die über eine solche und keine andere sprachlich-seman-tische Darstellung entschieden, rühren gleichermaßen aus dem Ensemble an bestehen-den literarischen Strukturen wie aus eigener persönlicher Erfahrung her. Die Grenzen sind hier überaus fließend und nicht rational zu erfassen. Ein ganz ähnliches Bild

32 G. A p o l l i n a i r e , Wj'bör poezji, Wroclaw 1975, S. 27. 33 W. M a j a k o w s k i , op. cit., S. 72 — 74 (Übersetzung ν. «T. Tuwim). 34 ebd., S. 88 (Übersetzung v. B. Jas ienski ) . 35 S. J e s i e n i n , Poezje, Warszawa 1975, S. 137 (Übersetzung v. S. P o l l a k [zweisprachige

Ausgabe]).

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Page 11: Das Bild des „poète maudit” in der avantgardistischen Poesie

568 G. Gazda

zeichnet sich ab, wenn wir noch eine der Komponenten des Bilds vom „poete maudit" vorstellen — den tragischen Tod:

„ Jak si§ to möwi, historia sknocona.

Strzaskala si§ lodka milosna

ο byt I juz skwitowalismy

ζ zyciem. Wi§c co nam

po czczych wypominkach bolow i krzywd?

Tym, co zostaj% — zycz? szcz§scia. Wlodzimierz Majakowski"3®

In seinem im Stile der russischen Genretradition geschriebenen poetischen Nachruf auf Esenin schrieb N. Kljuev:

„Rzeknijze, moje dzieci^tko udale, Kogözeä to si§ przel§kn%l Izeä wybral mogileczk^ ciemn%? (...) Widac — tegoä na ämierc zal^knql, Ze nastaly latka niewesole, Ze dziewczyny jedna w drugq. zwodz%, A chlopaki czci w sercu nie maj^."37

Schließlich ein letztes Fragment, diesmal aus dem Gedicht vonB. Pasternak ,,ΙΙθμητιι MapHHU I^BeTaeBOft", ebenfalls in Form eines zweifachen Dialogs: Autor — Leser, lyrisches Subjekt — Held:

„Twarzq, ku Bogu obrocona Ty si§ ku niemu czolgasz dalej, J ak w dni, gdy jeszcze ci§ w tych stronach Na ziemi nie podsumowali."38

In diesen Beispielen, die Situationen in den Biographien neuerer Dichter widerspiegeln, haben die literarische Konvention, die Stilisierung und die Tradition gesiegt; selbst V. Majakovskij bewahrt in seinen letzten Werken den eigenen poetischen Idiolekt. Es war nicht Ziel dieser monographischen Arbeit, die im Titel enthaltene Problematik zusammenfassend darzustellen. Wir hatten uns eine bescheidenere Aufgabe gestellt: Den Versuch einer vergleichenden Darstellung von Gemeinsamkeiten in den Ideen und

3e zitiert nach W. Woroszylski , 2ycie Majakowskiego, Warszawa 1965, S. 775. 37 W. Dqbrowski — A. Mandalian — W. Woroszylsk i , op. cit., t. II, S. 60 (Übersetzung v.

E. Holdaund J. Litwiniuk). 38 B. Pas ternak, Poezje, Warszawa 1962, S. 216 (Übersetzung v. M. Jastrun).

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Page 12: Das Bild des „poète maudit” in der avantgardistischen Poesie

Bild des ..poete mnudit ; 569

Darstellungsweisen (am Beispiel de.« .,poete maudit") als eine Illustration internationa-ler literarischer Wechselwirkungen, oder, um mit den Worten V. 2irmunskijs zu sprechen, der „historyczno-tvpologicznvch analogii procesu literackiego"39 in der Avantgarde des 20. J h . Ubersetzt von O. Mallek

3 9 W. i i y r m u n s k i . Problematyka historyczno-poröwnawczych badati literackic-h, in: Pami?tnik literatury 1968, Xr. 5.

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