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Communications

Date post: 02-Mar-2016
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Magazin für logische Kommunikation
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Das Magazin für Logische Kommunikation Ausgabe 2007 Das Konzept der Logischen Kommunikation Seite 4 Krassimir Balakov über Kommunikation im Team Seite 6 Niels Ewerbeck über den kreativen Dialog im Theater Seite 11 Virtuelle und reale Welt in der Geschichte Seite 14 Sinnvolle Zusammenarbeit und Spass in der Forschung Seite 16
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Das Magazin für Logische Kommunikation

Ausgabe 2007

Das Konzept der Logischen Kommunikation Seite 4 Krassimir Balakov über Kommunikation im Team Seite 6 Niels Ewerbeck über den kreativen Dialog im Theater Seite 11 Virtuelle und reale Welt in der Geschichte Seite 14 Sinnvolle Zusammenarbeit und Spass in der Forschung Seite 16

2 Ausgabe 2007

Falsche Adressaten, virtuelle Welten und Rollen im Team

«Wer dem Teufel die Seele verkauft, verspielt sein ewiges Leben.» Der Satz stammt weder aus einer bewussten Satire noch aus der Frühen Neuzeit, sondern von März 2007, aus der Petition einer religiös orientierten Kleinpartei, die um ihre Parlamentssitze bangt. Der Bundesrat soll veranlasst werden, den Song «Vampires are alive» von DJ Bobo als Schweizer Beitrag zum «Eurovision Song Contest» 2007 abzusetzen.

Aus der Optik der Kommunikation handelt es sich um einen interes­santen Prozess: Der Bundesrat ist der falsche Adressat, weil er bei

der Nomination über kein Mitspracherecht verfügt. DJ Bobo ist sicher kein Rebell, wohl aber ein erfolgreicher Kommunikator. Seine Shows erfassen fast alle Sinne, sprechen mit Tanz, Musik, Gesang, Licht und Bühnenausstattung ein bemerkens­wert breites Zielpublikum an. «DJ Bobo ist an und für sich eine Inszenierung», sagt der Sänger, Tänzer und Performer René Baumann in einem Interview und weist auf das Spielerische, Emotionale des Vampir­Themas hin. Die sinnliche Ver­mischung von realer und virtueller Welt ist sein Erfolgsrezept. Die Kritiker von DJ Bobo verstehen Texte dagegen wörtlich. Das ist auch, aber nicht nur Wahl­kampf. Zwischen den beiden Seiten ist keine Verständigung möglich, weil Erfah­rungshintergrund und Grundannahmen zur Substanz des Lebens so unterschied­lich sind, dass jedem Satz eine andere Bedeutung zugemessen wird.

Mit der Emotionalität auf der Bühne befasst sich in ganz anderem Zusammen­hang Niels Ewerbeck, Leiter des Theaterhauses Gessnerallee, auf Seite 11 dieses Magazins. Ein Artikel zur Entwicklung der Virtualität in der Geschichte folgt auf Seite 14.

Um zu kommunizieren, braucht es mindestens zwei Seiten, die sich aber nicht zwingend verstehen, auch wenn sie ein an sich verständliches Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch oder Chinesisch sprechen. Auch ein Selbstgespräch läuft dia­logisch ab – ein Aspekt des Ich spricht mit einem anderen. Das Subjekt spricht, das Objekt hört, Subjekt und Objekt tauschen die Funktion, nehmen sich gegen­seitig wahr, Subjekt ist Objekt und Objekt ist Subjekt, der Wechsel ist fliessend und vielschichtig. Kurz: Kommunikation ist abhängig von der jeweiligen Gruppe und von der Rolle, welche die Teile der Gruppe darin spielen. Dies ist die Kern­these unseres Modells der Logischen Kommunikation, das wir aus der Logik Hegels entwickelt haben. Mehr dazu auf Seite 4.

Zur Illustration dieses Modells äussert sich Fussballtrainer Krassimir Balakov im Interview auf Seite 6 über die Bedeutung der Rollenverteilung im Team, die Wechselwirkung zwischen dem Spielkonzept und den Spielern, das Zusammen­spiel zwischen Fussball und Medien, die Kommunikation des Teams im Spiel und die Wechselwirkungen mit dem Publikum.

Ich wünsche Ihnen eine anregende LektüreBernhard [email protected]

Vorw

ort

2 Editorial Falsche Adressaten, virtuelle Welten und Rollen im Team

3 Inhalt / Impressum 4 Theorie Das Konzept der Logischen Kommunikation 6 Interview Krassimir Balakov: Widerstand ruft nach offenem Gespräch 11 Kultur Niels Ewerbeck über die Essenz von Kommunikation im Theater 14 Geschichte Zur Entwicklung von virtueller und realer Kommunikation 16 In Kürze Behinderteninstitutionen und NFA Forschung und Spass: Systematische E-Bike-Tests

Impressum”Herausgeberin/Produktion: Schneider Communications AG, 8913 Ottenbach, 044 776 21 30, www.schneidercom.chRedaktion: Bernhard SchneiderGestaltung: Erika SchmidBilder: Erika Schmid (Titelbild, S. 6–11, S. 14), Franco Pace (S. 4/5), Theaterhaus Gessneralle (S. 12/13), Getty Images (S. 15), Curaviva (S. 16 oben), Martin Platter (S. 16 unten).Druckvorstufe: Küenzi&Partner, mediacheckDruck: Weiss Medien AG, Affoltern am AlbisAuflage: 1200 ExemplareISBN: 978-3-9523203-3-4Verkaufspreis: CHF 8.—Vertrieb: culturebeet, CH-8903 Birmensdorf. Bestelladresse: [email protected]© Schneider Communications AG April 2007

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4 Ausgabe 2007 �Ausgabe 2007

Funktion des Individuums innerhalb der Grup-pe. Wenn die Individuen in der Wahrnehmung verschwinden, wirkt die Gruppe als Einzelheit, die mit anderen Gruppen zusammen eine über-geordnete Allgemeinheit bildet, in der sie eben-falls eine bestimmte Funktion wahrnimmt und eine Rolle spielt.

Der Übergang von der Einzelheit über die Besonderheit zur Allgemeinheit gilt nicht nur in Gruppenprozessen, sondern auch in der wissenschaftlichen Systematik. Eine Wissen-schaft als Einzelheit fügt sich in eine übergeord-nete Einheit ein, beispielsweise die Logik oder die Ethik in die Philosophie, die Chirurgie in

die Medizin, das Erbrecht in die Juristerei oder die Dogmatik in die Theologie. Auch innerhalb der einzelnen Wissenschaften gilt das gleiche Prinzip: Thales als Einzelheit ist eine Besonder-heit in der Allgemeinheit der Vorsokratiker. Die Vorsokratiker als Einzelheit sind eine Besonder-heit in der Allgemeinheit der antiken Philoso-phie und so weiter. Dieses System ermöglichte es Hegel, dank der Beschränktheit des akademi-schen Wissens seiner Zeit die Allgemeinheit allen Wissens umfassend zu kennen.

Der Anspruch, ein System zu finden, das alle Wissenschaften umfasst, lässt sich heute so nicht mehr aufrechterhalten. Doch die zuneh-mende Individualisierung (siehe dazu den Artikel Seite 14) führt zu einem Wunsch nach Prinzi-pien, die allgemein gültig sind – und sei es nur die Vorstellung, dass diese Prinzipien existieren, auch wenn sie konkret nicht erkennbar sind.

Die Identität des IndividuumsDas Individuum nimmt sich selbst als Teil der Gruppe mit seiner Rolle in ihrer historischen Entwicklung wahr. Es spürt auch die diesbe-zügliche Wahrnehmung der anderen, ohne diese exakt zu kennen, und verfügt so über ein Selbstbewusstsein. Das Individuum weiss und fühlt sich als Teil mehrerer Gruppen – Familie, Arbeitsplatz, Behördentätigkeit, Dorf, Stammtisch, Verein – und spielt in jeder Gruppe eine andere Rolle. Das Selbstbewusstsein in diesen Rollen ist zusammen mit der Wahrneh-mung der Aussenwirkung Kern der Identität. Die Wirkung der Handlungen eines Menschen steht in einem Bezug zu seiner Identität und

zur Identität der Kommunikationspartner. Die Wechselwirkung zwischen ihnen entscheidet über Sympathie, Akzeptanz, Anziehung, Glaub-würdigkeit, Verständnis. Für die Wirkung der verbalen Kommunikation ist darüber hinaus die individuelle Geschichte entscheidend. Ein und derselbe Satz kann, je nach Erfahrungshin-tergrund, bei den einen angenehme, bei ande-ren traumatische Assoziationen auslösen.

Wahrnehmen, Denken und Handeln existieren nur in einem Bezug zur Umgebung. Sie sind abhängig von den jeweiligen Rollen der Kom-munizierenden. Was kurzfristig als opportun erscheint, kann sich längerfristig als problema-tisch erweisen, da jede Handlung das Image und damit die Rolle einer Person in einer Grup-pe mitprägt. Nur eine vertretbare Handlung ist nachhaltig kommunizierbar. bs

Logik befasst sich mit den Gesetzmässigkeiten des Denkens. Das rationale Denken tritt über sinnliche Wahrnehmungen mit der Umwelt in Beziehung und zieht reale Handlungen nach sich. Die Logik der Kommunikation umfasst daher ein Dreieck von Wechselbeziehungen zwischen Wahrnehmen, Denken und Handeln. Diese Kommunikation unterliegt Gesetzmäs-sigkeiten, die teils auf einer bewussten, teils auf einer unbewussten Ebene ablaufen.

Die Welt als ein SystemFaszinierend an Hegels Logik ist sein Ansatz, die Erkenntnisse sämtlicher wissenschaftlicher Disziplinen in ein einziges System zu destillieren. Dieser hegelsche Grundgedanke leitete im Kern auch Albert Einstein, als er zur Eröffnung der Berliner Funkausstellung am 22. August 1930 sagte: «Sollen sich auch alle schämen, die ge-dankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfasst haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst.»

Die wenigsten heutigen Benutzerinnen und Benutzer eines Computers, eines Telefons, eines Autos wissen viel mehr über den tech-

nischen Aufbau ihres Gerätes als die Kuh von der Botanik der Pflanzen. Zur Zeit Hegels, um 1800, war dies anders. Lediglich die vier Wissenschaften, die Goethes Faust in seinem Anfangsmonolog aufzählt, waren als solche anerkannt: «Habe nun ach Philosophie, Juris-terei und Medizin und leider auch die Theolo-gie durchaus studiert …» Was wir heute zu den Naturwissenschaften zählen, war Teil der Naturphilosophie. Ingenieure kamen aus der Praxis, Ingenieurwissenschaften wurden erst im 19. Jahrhundert infolge der Industrialisie-rung als Bedürfnis erkannt. Hegel konnte also mit Fug und Recht behaupten, das ganze aka-demische Wissen seiner Zeit zu überblicken.

Funktion und Rolle in der GruppeDer einzelne Mensch ist zu einem bestimmten Zeitpunkt das Resultat seiner eigenen Geschich-te. Er hat gewisse Eigenschaften, ein bestimm-tes Potenzial, eine Position in seinem Lebens-bogen, das heisst, der Mensch als Einzelheit steht in einem historischen Bezug. Als Besonder-heit zeichnet er sich in der jeweiligen Gruppe, in der er sich befindet, durch seine Rolle aus – auch diese hat ihre Geschichte und steht in einer Wechselwirkung mit der institutionellen

Der Mensch kommuniziert als Teil der Gruppen, welchen er angehörtJede Begegnung zwischen Menschen ist Kommunikation, wie Paul Watzlawick mit seinem viel- zitierten Satz «man kann nicht nicht kommunizieren» festgehalten hat. Diese Kommunikation kann zufällig, diletantisch, listig, kalkuliert sein – oder systematisch, logisch.

DAS Konzept Der LogiSchen KoMMuniKAtion

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Logik und KommunikationDas Konzept der Logischen

Kommunikation entstand

dank Arthur Bolliger, CEO

der Bank Maerki Baumann

& Co. AG. In einer Diskussion

regte er ein Hegel-Seminar

für Manager an, das an-

schliessend zwei Mal als

Zyklus von je vier Abenden

in der Privatbank durchge-

führt wurde. So entwickelte

sich das mittlerweile ein-

tägige Seminar «Logik und

Kommunikation», das seit

fünf Jahren regelmässig

durchgeführt wird.

Das nächste Seminar

«Logik und Kommunikation»

findet am 23. Mai statt.

Weitere Seminare:

«Ethik» am 8. Juni,

«Kommunikationstraining»

am 14. und 18. Juni sowie

am 22. August 2007.

Angaben zu den Seminaren:

www.schneidercom.ch/

Ausbildung.html

Jedes Mitglied des Teams auf dem Segelschiff

hat eine genau definierte Funktion und

spielt eine Rolle, die mit dieser zusammen

hängt. Gemeinsam ist es möglich, den Wind

so zu nutzen, dass das Schiff ein Ziel auch

gegen diesen erreichen kann.

Kommunikation besteht aus Wahrnehmen, Denken und Handeln.

6 Ausgabe 2007 7Ausgabe 2007

zelne Spieler, die von Beginn weg auf dem Sprung zum nächsten Club sind und keine Lust haben, sich hundertprozentig zu integrieren. Das macht unsere Arbeit schwierig. Umgekehrt erleichtert eine wirksame Kommunikation auf dem Platz die Aufgabe des Trainers enorm.

Welche rollen bauen Sie innerhalb ihres teams auf?Gemäss meiner Philosophie ist eine gesunde Hierarchie in der Mannschaft notwendig. Ein Captain und ein Vizecaptain bilden mit zwei bis vier weiteren Spielern zusammen den Spieler-rat, je nach der Struktur des Kaders. Diese

Spieler übernehmen mehr Verantwortung als die gesamte Gruppe und sind sozusagen die rechte Hand des Trainers. Sie müssen eine na-türliche Autorität haben, welche die Führungs-rolle rechtfertigt. Auf dieser Basis lege ich Linien fest und kommuniziere, wo sich jeder Spieler in Bezug auf diese Linien befindet. Entscheidend sind neben sportlichen Faktoren Persönlichkeits-merkmale, Alter und Erfahrung.

Wo ist der captain wichtiger? im oder neben dem Spiel?Überall: auf dem Spielfeld, im Training, in der Öffentlichkeit. Auch sein privates Verhalten in der Freizeit ist wichtig, da er von den Leuten erkannt und mit dem Club identifiziert wird. Der Captain muss ein Vorbild sein, was seine professionelle Einstellung betrifft, aber auch mit seiner ganzen Persönlichkeit. Innerhalb der Mannschaft ist der Captain in jeder Beziehung die rechte Hand des Trainers.

gehört zu dieser rollendefinition auch, dass Sie ihren ersten captain, Stepanovs, bei gc wegen einer tätlichkeit entlassen haben?Ja, aber ich habe das selbstverständlich nicht allein entschieden. Eine Entlassung erfolgt nach einem strukturierten Prozess mit klaren Verantwortlichkeiten. Dabei nehme ich meine Verantwortung wahr. Aber es ist so, wie ich bereits gesagt habe: Der Captain muss nicht nur auf dem Platz Vorbild sein. Detaillierter kann ich nicht Auskunft geben.

Sie haben jeweils elf Spieler, die spielen. Aber wahrscheinlich sind die Spieler auf der ersatzbank und auf der tribüne nicht

weniger wichtig für das teamgefüge. Wie gehen Sie mit diesem problem um?Das darf meiner Meinung nach kein Problem sein. Alle Spieler sind Profis, die wissen, dass der Trainer exakt elf Spieler für die Startauf-stellung auswählt, auch wenn sich 13, 14 oder 15 für den Einsatz empfohlen haben. Natürlich gibt es deswegen eine Konkurrenzsituation zwischen den Spielern, das soll aber auch so sein. Die Entscheidungen, wer wann spielt, fallen immer mit gutem Grund. Es ist verständ-lich, dass jene, die auf der Bank sitzen müssen oder manchmal auf der Tribüne landen, damit unzufrieden sind, das muss auch so sein.

Jeder muss den Wunsch haben, zu spielen und sich mit diesem Ziel optimal einsetzen. Dies alles muss in einem Rahmen bleiben, der den Erfolg begünstigt, sonst kann die Konkur-renzsituation für die gesamte Truppe gefährlich werden. Ich bin jetzt seit einem Jahr hier und habe damit keine Probleme. In dieses Kapitel gehört auch, dass alle Spieler die Spielregeln kennen. Der Rest ist Aufgabe des Cheftrainers und seines Stabs.

in diesem prozess ist ihre Autorität als cheftrainer zweifellos entscheidend. Worauf bauen Sie ihre Autorität auf? Was sind die wichtigsten Faktoren für ihre Autorität gegenüber dem team?Ich habe manchen anderen Trainern gegen-über den Vorteil, dass ich zuvor sehr gut Fussball gespielt habe. Damit habe ich eine

Ich habe den Vorteil gegenüber anderen Trainern, dass ich zuvor sehr gut Fussball gespielt habe.

Im Gespräch mit

Bernhard Schneider

reflektiert Krassimir

Balakov über die

Rollen im Team und

wie er als Trainer

diese mitprägt.

Widerstand ruft nach offenem GesprächDer ehemalige bulgarische Nationalspieler Krassimir Balakov führt seit Januar 2006 das Team der Zürcher Grasshoppers als Cheftrainer. Zuvor hat er viele Jahre als Spieler und Assistenztrainer in der deutschen Bundesliga gearbeitet. Im Gespräch mit «Communications» äussert er sich über seine Rolle im Club, das Rollenverständnis, das er von seinen Spielern erwartet, sowie über die Kommunikation mit den Medien und der Öffentlichkeit.

KrASSiMir BALAKov

communications: Welche kommunikativen und teambezogenen Fähigkeiten benötigt ein Fussballer, um sich erfolgreich in ein team integrieren zu können?Balakov: Ich möchte vorausschicken, dass ich relativ neu in der Rolle des Cheftrainers bin, ein erfahrener Kollege würde diese Frage vielleicht differenzierter beantworten. Wichtig ist sicher die sprachliche Begabung. Ein Spieler sollte mindestens zwei bis drei Sprachen sprechen, um sich im Team mit allen Kollegen verständi-gen zu können. Für die Mannschaftsführung ist es wesentlich, dass neben dem fussballeri-schen auch das sprachliche Verständnis in der Mannschaft funktioniert. Die Sprache ist nötig, um das spielerische Konzept, die Philosophie und die Führungsleitlinien zu verstehen. Fuss-ball ist heute sehr flexibel geworden, ein Spie-

ler muss das spielerische Konzept rasch er-kennen, um sich ins Team zu integrieren. Wenn wir eine Saison betrachten, geschehen während dieser Phase viele Veränderungen. Das Team wandelt sich und damit manchmal auch die Spielanlage. Einzelne Spieler können sich unter Umständen in kurzer Zeit enorm entwickeln und damit das ganze Teamgefüge ändern. Flexibilität ist daher eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg im Team.

Wie wichtig ist die integrationsfähigkeit des einzelnen in einer gruppe?Die Integrationsfähigkeit ist wichtig, reicht aber für sich allein nicht aus. Die Kommunikation mit Trainer und Trainerstab, die Auseinander-setzung mit dem Verein und seiner Philosophie gehören auch dazu. Leider gibt es heute ein-

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sagen, wie ich persönlich seine Situation beur-teile. Solche Situationen gibt es fast jeden Tag.

Wie wichtig ist der einzelne Spieler in ihrem Konzept? ist grundsätzlich jeder Spieler überall ersetzbar oder kann es sein, dass Sie das Spielkonzept um einen Spieler herum bauen?Auch das ist alles flexibel und erfolgsabhängig. Wenn man Erfolg hat, bleibt man meist beim Konzept. Wenn man damit keinen Erfolg hat, analysiert man und versucht, das Konzept an-zupassen. Man kann heutzutage nie sagen, wir spielen konsequent vier-eins-vier-eins oder vier-drei-drei. Ideal ist für mich, wenn man das

Konzept nicht aufgrund der Qualität der Spie-ler aufbaut, sondern umgekehrt: Die Qualität der einzelnen Spieler sollte zum Konzept pas-sen, so dass jeder Spieler mit seiner Qualität in der für ihn besten Position als Teil des Sys-tems auf dem Platz spielt. In der Praxis geht das natürlich nicht immer. Einen Ailton ver-suche ich nicht zu verändern, ich weise ihn nicht an, plötzlich 50 Prozent defensive Arbeit zu leisten, was er während seiner ganzen Lauf-bahn noch nie gemacht hat. Das werde ich nicht tun. Auch einen Spieler, der hervorragend in seine Position hineingewachsen ist und ein gewisses Alter hat, wie Ristic zum Beispiel, den lasse ich sicher nicht im defensiven Mittelfeld statt im Sturm spielen. Konzept und Spieler müssen sich in einer Wechselwirkung einander anpassen.

Bei jungen Spielern habe ich oft den eindruck, dass Sie mit den rollen, die sie wahrnehmen, experimentieren.Bei jungen Spielern ist das eine ganz andere Geschichte. Bei ihnen ist man nicht sicher, was ihre optimale Position ist. Kay Voser zum Beispiel ist als Verteidiger im Kader, kann aber auch im Mittelfeld eine unglaubliche Rolle spielen. Rechts hinten habe ich bereits Scott Sutter, der auch ein sehr guter Spieler ist. Gegen Thun habe ich Voser rechts vor Sutter genommen, und er hat gezeigt, dass er in verschiedenen Konzepten zwei, drei Positionen wahrnehmen kann. Er ist jung genug, um zu experimentieren und so die richtige Position für sich und in der Mannschaft zu finden. Erfahrene Spieler dagegen kann man nicht einfach hin und her schieben.

Krassimir Balakov gestaltet

sein Verhältnis zum Team

überlegt und auf der Basis

seiner eigenen Erfahrungen

als Spieler. Von zentraler

Beutung ist für ihn die Rolle

als Vorbild.

natürliche Autorität von vornherein. Dazu kommt, dass ich meine Linie habe, die, wie gesagt, erkennbar sein muss. Diese Linie muss

der Trainerstab einheitlich um-setzen, und die Spieler, die mit

uns arbeiten, müssen sie kennen und akzeptieren. Wer das nicht akzeptieren kann, hat die freie Wahl, sich trotzdem anzupas-sen oder zu gehen. Ich rede mit meinen Spielern ganz offen. Ich war genügend lang Spieler, um zu wissen, dass ein Spieler manchmal anders

denkt als der Trainer. Meine Aufgabe ist, dies zu spü-ren und meine Position zu erklären. Insbeson-dere wenn ein Entscheid auf Widerstand stösst, ist es wichtig, ein offenes

Gespräch darüber zu führen.

Für wie wichtig erachten Sie ihr charisma? Das ist sicher wichtig. Ich will weder ein Dik-tator noch ein persönlicher Freund der Spieler sein. Distanz und Achtung sind für das Cha-risma von Bedeutung. Ich will meine eigenen Anforderungen erfüllen, benötige klare Vor-stellungen, die ich vermitteln kann und will zudem flexibel bleiben. Nur so kann ich auch von meinen Spielern Flexibilität verlangen. Ich will auf jede Situation eingehen können, wach sein, konzentrierter als manche Spieler, um jeden Tag das Geschehen zu analysieren und

entsprechend zu handeln. Das ist mir, glaube ich, bis jetzt gelungen. Wichtig ist zudem, dass ich keine Vorurteile pflege und dass ich keine Schablonen anwende. Ich will jedem die Chance zur Veränderung geben, das ist nicht nur im Fussball so, sondern überhaupt im Leben.

Welche rolle spielt die clubführung?Das gute Einvernehmen ist sehr wichtig. Der Trainer ist davon abhängig. Wenn er nicht dieselbe Sprache spricht wie die Clubführung, nicht deren Philosophie teilt, hat er bei den Spielern und gegenüber der Öffentlichkeit keine Chance. Entstehen Differenzen zwischen Trainer und Clubführung, spürt dies die Mannschaft

sogleich. Solche Differenzen untergraben daher die Autorität des Cheftrainers.

Das team ist ja keine geschlossene einheit, es existiert ein umfeld, das zum Beispiel aus Spielerberatern und Medien besteht. Wie gross sind die Störungen von aussen für die Arbeit mit dem team?Mittlerweile sehr gross. Es ist immer schwierig, wenn solche externen Einflüsse zu dominant wirken. Ich kenne natürlich viele Spielerberater persönlich. Viele von ihnen machen ihren Job einwandfrei, andere sind eigennützige Schlitz-ohren, die nur an ihre Geschäfte denken und sich nicht für die Zukunft der Spieler interessie-ren. Diese erschweren unsere Arbeit ungemein.

Das heisst also: Mit einem konstruktiven Spielerberater, der einen Spieler aufbauen will, können Sie auch konstruktiv zusam-menarbeiten?Das kann man so sagen, aber grundsätzlich muss man auch mit nichtkonstruktiven Bera-tern zusammenarbeiten und versuchen, dabei erfolgreich zu bleiben. Jeder Spieler hat seine Berater, konstruktive und weniger konstruktive. Auch der destruktive Berater ist ein Faktor, den man nicht ignorieren kann. Als Trainer muss man immer einen Weg finden, um das Beste für Verein und Mannschaft zu erzielen. Proble-matisch wird es manchmal, wenn solche ex-ternen Berater ins Training kommen. Es gibt viele Beispiele junger Spieler, die irgendwohin verkauft worden sind, und nach zwei, drei Jahren hört man nichts mehr von ihnen. Das Einzige, was man diesbezüglich tun kann, ist, seine Führungsverantwortung transparent wahrnehmen.

Bedeutet das, dass auch Sie ihre Spieler in Bezug auf ihre Karriere beraten? Ja, indirekt schon. Natürlich ist unser Interesse, dass ein guter Spieler hier bleibt. Aber wenn ein guter Spieler von 27 oder 28 Jahren ein deut-lich besseres Angebot von einem ausländischen Verein erhält, der ihm auch eine bessere Zu-kunftsperspektive bietet, stehen wir ihm auf keinen Fall im Weg, selbst wenn er für uns ein extrem wichtiger Spieler ist. Eduardo war zum Beispiel fünf Jahre hier und wollte noch andere Erfahrungen sammeln. Ob er den richtigen Schritt gemacht hat, ist ein anderes Thema. Ich kann ihm nicht im Weg stehen und auf einen laufenden Vertrag pochen, ich kann ihm nur

Wie stellen Sie die Mannschaft für ein Spiel zusammen? ist das jedes Mal auch eine Auseinandersetzung mit dem momentanen gegner?Wenn ich genügend Qualität in meiner Mann-schaft habe, interessiert mich der Gegner für mein Konzept und die Spielerliste nicht. Für Meisterschaftsspiele beschäftige ich mich mit meiner Mannschaft. Aber wenn ich beispiels-weise auf europäischer Ebene das Gefühl habe, die Qualität reiche nicht ganz aus, dann be-schäftige ich mich bis zu 50 Prozent in der Vor-bereitung mit der anderen Mannschaft. Das wirkt sich auch auf das Training aus: Wenn ich in der Mannschaft genügend Qualität habe,

trainiere ich vor allem das Spiel mit dem Ball, also den eigenen Ballbesitz. Bei einem stärke-ren Gegner trainieren wir mehr Arbeit gegen den Ball, also das Spiel, wenn der Gegner im Ballbesitz ist.

Wie arbeiten Sie mit ihrem vorbild? Spielen Sie im training auch selbst mit? Ich spiele selten mit, zeige nur ab und zu einmal etwas, wenn ich denke, dass es klarer ist, wenn ich es zeige, als wenn ich es sage. Selbst spiele ich nur bei lockeren Trainings ohne taktische Funktion mit, beispielsweise bei einem Regenerationstraining zusammen mit dem ganzen Trainerstab in einer lockeren

Distanz und Achtung sind für das Charisma wichtig.

Konzept und Spieler müssen sich in einer Wechselwirkung einander anpassen.

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Der heute 41-jährige ehemalige

bulgarische Nationalspieler

Krassimir Balakov spielte

1983–1990 in seinem Heimat-

land bei Etar Veliko Tarnovo,

bevor er für fünf Jahre zu

Sporting Lissabon wechselte.

Seine Karriere als Fussballer

beschloss der Mittelfeldregis-

seur, der jedem Club bemer-

kenswert lang die Treue hielt,

1995–2003 beim VfB Stuttgart,

wo er anschliessend als

Co-Trainer wirkte. Im Januar

2006 engagierte ihn der

Grasshopper Club Zürich als

Cheftrainer.

10 Ausgabe 2007 11Ausgabe 2007

Krassimir Balakov erwartet

von Medienschaffenden

Fairness und Sachkenntnis

als Voraussetzung für ein

partnerschaftliches Verhältnis

zwischen Medien und Sport.

Schweigt und hört mir zuEine besondere Art der Kommunikation findet im Theater statt. Der Leiter des Theater-hauses Gessnerallee, Niels Ewerbeck, äussert sich über den Dialog zwischen Künstlern, die Führung eines Hauses der freien Theaterszene, seine Rolle als Impresario und den Zugang einiger «Wahnsinniger» zur kindlichen Fantasie.

Atmosphäre und mit Spass, das ist ab und zu auch für die Spieler wichtig.

Wie ist der umgang mit den Medien? Wie gross ist deren einfluss in ihrem Business?Medien und Fussball sind wie Geschwister. Das eine geht nicht ohne das andere. Der Fussball lebt von Medien. Die Leute lesen, sehen und hören in den Medien, was wir leisten. Hier wird das Image eines Vereins gebildet, was für die Mitarbeiter dieses Vereins wiederum von

grosser Bedeutung ist. Ich glaube aber, dass die Kommunikation zwischen den Vereinen und den Medien nicht immer gut genug ist. In Deutschland ist das etwas anders, aber in der Schweiz braucht es noch mehr, um die Kultur des Fussballs dem Publikum zu vermitteln.

Sind Sie regelmässig im gespräch mit Medienschaffenden?Wenn die Medien wollen, bin ich im Gespräch. Und wir haben jede Woche eine Pressekonfe-renz. Dabei läuft die Kommunikation nicht im-mer so, wie ich es mir wünsche. Ein Beispiel: An der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Thun habe ich gesagt, dass es mir wichtig ist, dass wir drei Punkte gewinnen, egal, ob wir gut oder schlecht spielen, da ich Ruhe benö-tige, um mit den neuen Spielern zu arbeiten, und die habe ich, wenn wir in den nächsten Spielen punkten. Es hat Journalisten gegeben,

die das geschrieben haben, mich aber nach dem Spiel gefragt haben, ob ich trotz des Sieges zufrieden sei, da das Spiel nicht über-zeugend gewesen sei. Es ist eine Frage der Pro-fessionalität, dass ein Journalist noch weiss, was er am Vortag geschrieben hat.

haben Sie das gefühl, dass die Qualität der Fussball-Berichterstattung in Deutschland insgesamt besser ist als in der Schweiz?Es ist nicht unbedingt eine Frage der Qualität, ich habe aber das Gefühl, dass die Medien in

Deutschland mehr für die Fussballkultur tun und sich entsprechend mehr Menschen für Fussball interessieren. Nächstes Jahr findet in der Schweiz und in Österreich die Europameis-terschaft statt, aber man hört hier fast nichts davon, während in Österreich bereits Veran-staltungen mit allem Drumherum stattfinden.

Aber macht das ihr Leben als trainer eher einfacher oder schwieriger?Das ist eine schwierige Frage. Einfach und schwierig, müsste die richtige Antwort sein. Vom Stress her gesehen wahrscheinlich etwas einfacher. Aber für alle, die im Fussballgeschäft arbeiten, gehört Stress dazu. Deshalb ist es mir lieber, wenn die Fussballkultur näher an die Öf-fentlichkeit herangetragen wird, wenn die Zei-tungen mehr über Fussball berichten und eine positive Stimmung zum Beispiel für die Europa-meisterschaft aufbauen.

und am Schluss auch mehr publikum ins Stadion bringen?Die Vermarktung ist im Fussball lebensnotwen-dig, und dabei nehmen die Medien natürlich eine grosse Rolle ein. Als zum Beispiel Ailton sei-ne ersten Stunden im Training bei uns absolviert hat, waren hier so viele Journalisten wie noch nie, seit ich hier bin. Das muss auch ein wenig aufgebaut werden, manchmal sogar künstlich, um die richtige Stimmung zu bewirken.

Wie wichtig ist ihnen ein volles Stadion?Das ist verdammt wichtig. Es ist ein riesiger Unterschied, ob 3000 oder 15’000 Zuschauer und Zuschauerinnen im Stadion sind. Im vollen Stadion wird die Fussballqualität besser, die Stimmung steigt, der Fussball präsentiert sich ganz anders. Es ist mein Wunsch, dass sich dies hier in der Schweiz verbessert. Interview bs

nieLS eWerBecK üBer Die eSSenz von KoMMuniKAtion iM theAter

Am Theater fesselt mich der Schauspieler, der auf die Bühne tritt und mit diesem Akt mitteilt: Ich hab was zu sagen, schweigt und hört mir zu. Das ist die Essenz von Kommunikation: der Wille und das Selbstbewusstsein, zu gestalten, um damit möglichst viel kommunikativ hinüber zu bringen.

Theater ist ein Ort, wo eine bestimmte Art von Kommunikation stattfindet, die natürlich selektiv ist. In welchen Kontext stelle ich meine Künstler? In welchem Kontext fühlen sie sich wohl? Wo fühlen sie sich verstanden? In wel-chem künstlerischen Rahmen können sie kom-munizieren? Diese Fragen sind entscheidend, ganz besonders in einem Haus wie der Gessner-allee. Da wir hier ohne ein festes Ensemble arbeiten, ist die Bandbreite des künstlerischen Pools, aus dem wir schöpfen können, riesig. Mit einem festen Ensemble bestünde die Auf-gabe in der Überlegung, mit welchen Stücken,

mit welcher Spielplandramaturgie wir unsere Künstler konfrontieren und fördern könnten. Für uns dagegen steht die Frage im Zentrum, wie wir Zusammenhänge herstellen, die, ohne die Künstler einzuengen, den Zuschauern eine dem Ort entsprechende Prägnanz vermitteln, nachvollziehbar in ihrer ästhetischen Prägung.

Ich spiele hier in der Gessnerallee die Rolle eines klassischen Impresarios, der Leute zusammen bringt und damit Produktionen ins Leben ruft, die zwar von den Künstlern generiert werden, die aber durch die Zusammenfügung verschie-dener Künstlerpersönlichkeiten erst zu einem Ganzen werden. Ich sehe meine Aufgabe also nicht so sehr in der Begleitung des Probenpro-zesses. Meine Funktion ist, den Dialog aufzu-bauen. Viele unserer Aufführungen sind also Produkte der Kommunikation zwischen Men-schen, die ich als Theaterleiter zusammen bringe. Wir nehmen vor allem in der Konzeptphase

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Medien und Fussball sind wie Geschwister. Das eine geht nicht ohne das andere.

Kommunikation braucht Wille und Selbstbewusstsein, hinzustehen, um möglichst viel hinüber zu bringen.

Das Restaurant Reithalle gehört mit zur einmaligen Aus-strahlung des Theater-hauses Gessnerallee, das sich in den reno-vierten Stallungen der ehemaligen Zürcher Kaserne an der Sihl befindet.

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12 Ausgabe 2007 1�Ausgabe 2007

Der 43-jährige Niels Ewerbeck leitet das

Theaterhaus Gessnerallee, Zürichs Bühne für

die freie Theater- und Tanzszene, seit Sommer

2004. Er ist ausgebildeter Kaufmann und

Kunsthistoriker, arbeitete als Galerist in Wien

und kam als Regieassistent an die Schaubühne

Berlin. Er baute das Forum Freies Theater

(FFT) in Düsseldorf mit auf und leitete es

während fünf Jahren bis zum Amtsantritt in

der Gessnerallee. Neben dem Theater liegt

sein Augenmerk auf dem zeitgenössischen

Tanz. Besonders am Herzen liegen ihm

Produktionen für Jugendliche.

Einfluss. Wenn der Prozess, den wir ausgelöst haben, im Rollen ist, greifen wir kaum mehr ein. Selbst unsere Dramaturginnen beteiligen sich meist erst an den Endproben. Unsere Arbeit unterscheidet sich je nach den beteiligten

Künstlern und der Art der Produktion. Lukas Bangerter beispielsweise schreibt die Stücke der Gruppe Plasma selbst. Er beginnt erst zu proben, wenn der Text durchkomponiert ist. Mit anderen Gruppen arbeiten wir projektmässig, das heisst, viele Texte entstehen erst während der Proben, oft in improvisatorischen Auseinan-dersetzungen mit den Schauspielern,Choreo-grafen, Tänzern. Vielfach vermischen sich die Genres, gelegentlich lässt sich kaum mehr sagen, ob eine Produktion ursprünglich aus der Bühnenkunst, dem Sprech- oder dem Tanz-theater kommt. Etwa zwei Drittel unserer Produktionen enthalten Elemente, die aus Im-provisationen heraus entstanden sind. Es liegt

mir sehr am Herzen, dass die Künstler, die regel-mässig an unserem Haus arbeiten, intensiv mitverfolgen, was hier sonst noch läuft. Das ist natürlich abhängig von der Künstlerpersönlich-keit. Man kann niemanden dazu verdonnern,

aber ich merke, dass diese Haltung bei den Künstlern zunimmt, seit wir hier in diesem Geist arbeiten.

Ein idealtypisches Beispiel ist ein Projekt von Marisa Godoy, mit dem wir voraussichtlich die nächste Spielzeit im Oktober 2007 eröffnen werden. Die brasilianische Choreografin und Tänzerin, die seit vielen Jahren hier in Zürich lebt und mit einem Schweizer Tänzer verheira-tet ist, plant ein Stück, für das sie sowohl einen Regisseur, Michel Schröder, als auch zwei Choreografen beizieht. Einer davon, Massimo Furlan, arbeitet zwischen Theater, bildender Kunst und Tanz, der zweite, Marco Berrettini, ist

ein frankofoner Choreograf mit italienischen Wurzeln. Marisa Godoy hat die drei geholt und gebeten, für sie drei Stücke zu entwickeln, die sie dann zu einer abendfüllenden Vorstellung vereint. Sie verbindet dabei drei theatrale An-sätze und gleichzeitig drei der vier Landesspra-chen der Schweiz. Alle Beteiligten sind Künstler, die im Umfeld unseres Hauses arbeiten.

Das wunderbare an Kunst und Theater ist, dass man auf manches emotional und intuitiv rea-giert. Oft fällt es schwer, etwas zu versprach-lichen. Dies zeigt gerade Massimo Furlan auf höchstem Niveau. Sein letztes Stück, Palo Alto, enthält praktisch keinen Text. Es beruht auf vielschichtigen Bildern und Assoziationen, die er in Brennpunkten kristallisiert. Er versetzt sich zurück in ein Kind im Alter von sieben bis neun Jahren, zu Besuch bei seinen Grosseltern, denen er zusammen mit seiner Schwester selbst er-fundene Zirkusnummern vorgespielt hat. Das Vorführen unserer eigenen Ideen ist ein unmit-telbar menschliches, kindliches Bedürfnis. Furlan spielt mit einer unglaublichen Fantasie und Vorstellungskraft, versetzt sich in eine Bilder-welt hinein, die er dem Publikum in allen Farben kommuniziert. Das Kind ist frei von Hemmun-gen und Hintergedanken, es überlegt nicht,

wie es wirkt, es spielt einfach. Peinlichkeit ist dem Kind bis zu einem bestimmten Alter fremd. Der Sündenfall kommt irgendwann, das haben wir ja alle erlebt. Massimo Furlan geht hinter diesen Sündenfall zurück, spielt mit der Ernsthaf-tigkeit des Kindes, das die Frage, was Spiel und was Realität sei, weder bedenkt noch zulässt.

Das Spiel ist in diesem Moment seine unmittel-bare Wahrheit. Das ist die Quintessenz von Kunst überhaupt, dass es ein paar «Wahnsin-nige» in dieser Welt gibt, die sich mit erwachse-nem Verstand in die Lage des Kindseins zurück versetzen und sich der kindlichen Fantasie hin-geben. Das ist die Verabredung, wenn wir ins Theater gehen: Wir wissen, hier ist ein Theater, ein geschützter Raum, und wir begeben uns da hinein, weil wir diese Vereinbarung treffen wollen. Wir wollen hier auf eine bestimmte Art und Weise spielen, auch als Zuschauer.

Ein ganz anderes Beispiel ist «Si Je t’M», das wir Anfang Mai im Rahmen von «Blickfelder tanzt aus der Reihe» aufführen. Es handelt sich

hier ursprünglich um eine Gruppe Pariser Kids aus den Banlieues, aus einer multikulturellen Bevölkerung mit vielen arabischen und nord-afrikanischen Einflüssen, die man früher viel-leicht als randständig bezeichnet hätte. Die beiden Leiter dieser Kompanie haben ein Projekt gegründet mit dem Ziel, Jugendliche von der Strasse zu holen und mit ihnen Kunst und Kultur zu machen über einen Weg, der ihnen sehr nahe liegt, nämlich über Hip-Hop und Rap. In den vergangenen Jahren hat sich der Hip-Hop-Tanz zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt, sehr akrobatisch, mit einer identitätsstiftenden Musik. Der Rap ist ja durch und durch ein Kommunikationsinstru-ment. Die Texte sind wie Buschtrommeln mit eigenen Codes, mit welchen die Kids unter-einander Informationen und Meinungen in Musikform austauschen.

Für mich sind zwei Aspekte daran besonders interessant: Es ist ungeheuer schwer, Jugend-liche zu Theater und Tanz als Kunstform zu führen, doch mit Hip-Hop gelingt dies sehr gut. Damit, dass der Tanz von ihresgleichen ausgeführt wird, entsteht eine intensive Nähe, eine starke Identifikation zwischen Publikum und Bühne. Zweitens finde ich, dass die jungen

Tänzer auf eine grossartige Art und Weise an sich naiv-kindliche Messages auf eine äusserst virtuose Art in eine Kunstform überführen. Ob-wohl wir uns als experimentelles Theater ver-stehen, sind wir daran interessiert, mit neuen Formen Popularität zu erreichen.

Faszinierend am Theater und an Kunst über-haupt ist für mich, dass die Kommunikation bei weitem nicht da aufhört, wo Wissen, Infor-mation und Verständnis beginnen. Es geht in mindest so starkem Mass um Dinge, die wir nicht wissen, die uns von der Ratio her ver-schlossen bleiben. Hier findet die Kunst einen Weg, etwas zu beschreiben, zu vermitteln, das sich jenseits des rationalen Verständnisses bewegt. Die Kunst vermittelt ein Gefühl bei-spielsweise aus den Banlieues, das sich rein intellektuell gar nicht verstehen liesse. Das ist die visionäre Kraft, die Künstler in die Lage bringt, Erfahrungen seismografisch als Reflex auf ihre unmittelbare Gegenwart in Kunst zu packen. Auszug aus einem Gespräch mit Niels Ewerbeck

Meine Funktion besteht darin, einen dialogischen Prozess zwischen verschiedenen Künstlern auszulösen.

Mit der Fantasie und Vorstellungskraft eines Kindes lassen sich die Schranken des Erwachsenen brechen.

Black Blanc Beur, Si Je t’M, Hip Hop vom 7. bis 9. Mai 2007 in der Gessnerallee. «Es ist ungeheuer schwer, Jugendliche zu Theater und Tanz als Kunstform zu führen, doch mit Hip Hop gelingt dies sehr gut …

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Das Theaterhaus Gessnerallee ist auf die

Saison 1989/90 hin eröffnet worden. Ohne

eigenes Ensemble, dafür mit einem kleinen,

hoch motivierten Team und schlanker Ver-

waltungsstruktur wird das Profil des Hauses

von Gastspielen und Koproduktionen aus

dem In- und Ausland sowie neuen Projekten

freier Zürcher Gruppen, die im Haus erarbei-

tet werden, geprägt. Der hohe Stellenwert,

den Zürich dem Theaterhaus beimisst, zeugt

von der Vielfalt und dem liberalen Geist der

städtischen Kulturpolitik.

www.gessnerallee.ch

… dadurch, dass der Tanz von ihresgleichen ausge-führt wird, entsteht eine intensive Nähe, eine starke Identifikation zwischen Publikum und Bühne», sagt Niels Ewerbeck.

14 Ausgabe 2007 1�Ausgabe 2007

Während Jahrhunderten musste man sich von einem Ort zum anderen bewegen, um sich mit jemandem zu unterhalten. Eine teure Alterna-tive waren in der Antike und dann wieder in der Frühen Neuzeit Briefe, die von privaten Boten oder der Post transportiert wurden und deren Übermittlung viel Zeit erforderte. Kommunika-tion war mithin grundsätzlich real, sie erfolgte direkt von Mensch zu Mensch. Dies ermöglichte den Obrigkeiten eine weit gehende Kontrolle der vermittelten Informationen.

Bedürfnis nach Information wächstZu Beginn der Industrialisierung um 1800 wuchs nicht nur das Bedürfnis nach Güteraustausch, sondern auch nach rascher und präziser Kom-munikation. In Sicht- oder Hörweite konnten einfache Informationen mit Feuerzeichen und Rufposten übermittelt werden. Eingesetzt wur-den solche Techniken seit der Antike vor allem im Militär. Zur Vermittlung von Informationen gewannen Zeitungen an Bedeutung, was be-reits einen ersten Schritt zur Virtualisierung von Information darstellte. Eng mit den Anfängen der Telekommunikation verknüpft war die Ent-wicklung der Elektrotechnik im 19. Jahrhun-dert. Der erste Telegraf wurde 1837 patentiert. Fünf Jahre später konnte er nach dem Bau der

Telegrafenleitung von Washington nach Baltimore erstmals eingesetzt werden. Die Telegrafie setzte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in Europa durch. Ein weltweites System zur Übermittlung von Bot-schaften vor allem im industriellen Bereich ent-stand unter Einsatz enormer Investitionen. Auf der Basis der Telegrafentechnologie entstand im 20. Jahrhundert der Telex, ein Schreibgerät, das für die Anwender fast wie eine Schreibma-schine zu bedienen war und erst in den 1990er Jahren vom E-Mail verdrängt wurde.

Drahtlose Übermittlung als QuantensprungEine zweite Entwicklung war die drahtlose Über-mittlung. 1894 wurde erstmals mithilfe elek- trischer Wellen drahtlos eine Nachricht übermit-telt. Aus dieser Technologie wurden später Radio und Mobilfunk entwickelt. Einen ähnlichen Verlauf nahm die Telefonie. Ein Massenmarkt war erforderlich, damit sich die Technologie durchsetzen konnte. Der erste Telefonapparat, den der Deutsche Philipp Reis 1861 fertigstellte, hatte noch keinen unmittelbar praktischen Nutzen, aber er bot die Basis für die spätere Entwicklung, die gegen Ende des 19. Jahrhun-derts einsetzte und den Kommunikationsbe-reich nachhaltig veränderte.

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chic

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Individualität und DemokratieDie Entwicklung der Kommunikationstechnologien seit der Einführung der Telefonie hat den Prozess der Globalisierung ermöglicht und vorangetrieben. Von praktisch jedem Teil der Erde aus ist es möglich, auf dem Internet Texte, Bilder, Töne und Videos zu publizieren. Dies kann zwischen Kulturen vermitteln, aber auch nivellieren, Demokratiebewegungen unterstützen und Ängste auslösen. Es kann zur Aufdeckung wie zur Ausübung von Verbrechen dienen.

virtueLLe unD reALe KoMMuniKAtion

1880 eröffnete eine private Gesellschaft in Zürich das erste Telefonnetz der Schweiz. Ende des Jahres leisteten sich 144 Personen den Luxus eines Telefonanschlusses, der es ihnen zwischen 7 und 21 Uhr erlaubte, die Zentrale anzurufen, wo ein freundliches Fräulein die ge-wünschte Verbindung zu einem der 143 ande-ren Anschlüsse herstellte. In der Zwischenkriegs-zeit wurden die Telefonsysteme nach und nach automatisiert. Die Telefonie war zwar vorerst noch teuer, doch erlaubte sie es grundsätzlich, rund um die Uhr eine andere Haushaltung an-zurufen, um über Distanz zu kommunizieren.

1989 erfolgte mit der Einführung des ISDN (Integrated Services Digital Network) die Digita-lisierung des Telefons und damit die Basis für eine schnelle Datenübermittlung. Gleichzeitig mit der Digitalisierung des Festnetzes entstand der Mobilfunk. Hier zeigte sich dasselbe Pro-blem: Zuerst war ein Massenmarkt erforderlich, um im ganzen Land Verbindungssicherheit auf-zubauen – doch ein Netz lässt sich nur finanzie-ren, wenn ein Bedürfnis dazu besteht. Die ersten Versuche waren wenig erfolgreich. Das erste nationale Autotelefonnetz, das Natel A («Natel» ist eine eingetragene Marke von Swisscom), ent-

stand zwischen 1978 und 1980. Die schweren Geräte füllten nahezu den Kofferraum eines Autos. Erst das analoge Natel-C-Netz setzte sich dank wesentlich kleinerer Geräte auf dem Markt durch und zählte maximal 320’000 an-geschlossene Apparate. Der Durchbruch gelang mit dem digitalen Mobilnetz Natel D, dessen Aufbau 1993 begann. Ergänzend dazu erlaubt das 2001 eingeführte UMTS-Netz (Universal Mobile Telecommunications System) die rasche mobile Datenübermittlung.

Paralell dazu setzte sich ab Mitte der 1990er Jahre das Internet durch. In rascher Folge wur-den die Übermittlungstechnologien beschleunigt und die Datenkapazitäten erhöht. Gleichzeitig sanken die Preise dank der Marktliberalisierung in einem Mass, das am Anfang der Entwicklung undenkbar gewesen wäre. Internet und Telefo-nie sind zum globalen Massenmarkt geworden, der nur dank der tiefen Preise funktioniert.

Realität und RelevanzViel zur Vermischung von Virtualität und Realität tragen die Medien Fernsehen und Computer-

spiele bei. Doch auch alle anderen Massenmedien können eine Welt aufbauen, die nichts mit der Realität der Konsumentinnen und Konsumenten zu tun hat und doch als real wahrgenommen wird. Liebesgeschichten an Königshöfen oder skurrilen, irgendwo auf der Welt verübten Ver-brechen kommt zwar die Funktion moderner Märchen zu, nur vermittelt ihnen die Tatsache, dass sie formal gleichwertig neben Informatio-nen von realer Bedeutung stehen, die Illusion eines Realitätsbezugs.

Die Entwicklung der Informationstechnologien seit Mitte der 1990er Jahre ist von enormer gesellschaftlicher Sprengkraft. Der Informations-austausch, zuvor innerhalb der Familie oder des Unternehmens kontrolliert, ist individuell geworden. Gleichzeitig ist der Preis für die Publikation von Inhalten exponenziell gesun-ken. Mit einem Blog (Internet-Tagebuch) kann sich jeder und jede mithilfe eines Internetan-schlusses und eines Computers spontan äus-sern, und dies mit einem globalen Empfänger-potenzial. Vor allem totalitäre Regimes, ja selbst demokratische Staaten wie die USA, bekunden Mühe mit Internet und Mobilfunk. Filter sollen nicht nur illegale, sondern auch

regierungskritische Inhalte vom Internet, ja sogar aus privaten E-Mails entfernen. SMS ermöglichen es Demonstranten, sich flexibel zu gruppieren. Mit Blogs und E-Mails können Menschenrechtsverletzungen rasch und effizi-ent ins Ausland gemeldet werden. In Ägypten wurde ein Blogger im Februar 2007 wegen Diffamierung des Islam und des Staatspräsiden-ten exemplarisch zu einer vierjährigen Gefäng-nisstrafe verurteilt. Dass Mobilkommunikation und Internet zusammenfliessen, macht die Entwicklung noch komplexer.

Die neuen Kommunikationstechnologien verän-dern nicht die Menschen, aber sie geben ihnen unglaublich effiziente Instrumente in die Hand, die kreativ oder destruktiv genutzt werden können wie jedes Instrument. Sie lassen es zu, illegale Inhalte herunterzuladen, sie erlauben es kriminellen Banden, sich effizient zu organi-sieren, sie ermöglichen aber auch Kreativität, vielfältige kostengünstige Publikationsmöglich-keiten, den Ausbruch aus einer patriarchalen Kontrolle und den Aufbau von Demokratiebe-wegungen in totalitären Staaten. bs.

2500 Jahre auf 44 SeitenDie «Kleine Geschichte der

Kommunikation» vermittelt

einen Abriss der Geschichte

der Kommunikation und

der Mobilität. Die von

Bernhard Schneider für das

Projekt «Schulen ans Inter-

net» verfasste Broschüre

kann für Unterrichtszwecke

kostenlos bezogen werden

über www.swisscom.com/

schule. Einzelexemplare

können zum Verkaufspreis

von 8 Franken per E-Mail

bestellt werden unter:

[email protected].

Glossar zu Informatik und

Telekommunikation:

www.schneidercom.ch/

Glossar.html

Die Entwicklung der Informationstechnologien beinhaltet enormen gesellschaftlichen Sprengstoff.

Die langen Holztische

in der «Öpfelkammer»,

dem einstigen Stamm-

lokal Gottfried Kellers

in Zürich, vermitteln

eine Vorstellung der

kommunikativen Funk-

tion, die Wirtschaften

seit Jahrhunderten vor

allem für die männliche

Bevölkerung wahr-

nehmen (Bild oben).

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Weder sinnvoll noch finanzierbarDie Behinderteninstitutionen wurden in der Schweiz bisher pauschal von der IV finanziert. Die neue Finanz-ordnung (NFA) überträgt deren Finanzierung den Kan-tonen. Bedenken wegen eines Leistungsabbaus steht die Chance gegenüber, mit gezielteren Vergütungen die Mittel effizienter einzusetzen. Der Bedarf an Wohn- und Pflegeheimen nimmt lang- fristig aus zwei Gründen zu: einerseits erhöht die de-mografische Entwicklung den Bevölkerungsanteil der älteren Menschen, anderseits führen die Erfolge der Spitzenmedizin dazu, dass beispielsweise Unfallopfer häufiger überleben, aber anschliessend pflegebedürftig bleiben. Heute zählt die Schweiz etwa 310‘000 Unter-

stützungsbedürftige. Um das Jahr 2030 dürften es 400‘000 sein. Die Hälfte der schweizerischen Pflegehei-me wird betriebswirtschaftlich als zu klein betrachtet. Die Kantonalisierung der Heimfinanzierung birgt nun die Gefahr, dass die Heime noch kleiner werden, wenn die Kantone alle Bedürfnisse selbst abdecken wollen. Zudem ist die bisherige Praxis, Heime pauschal zu sub-ventionieren, nicht nur teuer, sondern auch aus Behin-dertenoptik fragwürdig, wie Stefan Sutter betont, der bei Curaviva, dem Verband Heime und Institutionen Schweiz, www.curaviva.ch, zuständig ist für den Be-reich erwachsene Behinderte: «Der anhaltende Kosten­druck führt dazu, dass sich viele Institutionen gegen die Aufnahme ‹hoher Risiken› sträuben. Das heisst in der Praxis, dass schwerstbehinderte Menschen zunehmend Schwierigkeiten haben, ein Umfeld zu finden, das eine adäquate Unterstützung und Assistenz garantiert.» Auch in der Behindertenpolitik stehen kommunikative Fragen im Zentrum: Finden sich die Kantone zusam-men, um einheitliche und sachgerechte Lösungen zur Finanzierung von Behindertenheimen gemeinsam zu entwickeln? Auf politischer Ebene ist entscheidend, ob die populistische «Schein-Invaliden»-Kampagne an der Urne mehr wiegt als eine qualifizierte Auseinander-setzung mit Behindertenpolitik.

Sinnvoller SpassIn der Umwelt- und der Gesundheitspolitik sind die Ziel-setzungen weit weniger umstritten als entsprechende Massnahmen: wo sind staatliche Regelungen notwendig, wo ökonomische Steuerungsinstrumente, was soll der Eigenverantwortung überlassen werden?Die Schweiz setzt häufig auf Eigenverantwortung und führt entsprechende Kampagnen durch. Beispiele sind Programme für energieeffiziente Fahrzeuge von Energie-Schweiz oder die Präventionskampagne des Bundesamtes für Gesundheit gegen Übergewicht. Ein Projekt, das beide Anliegen vereint, ist NewRide, www.newride.ch, das Förderprogramm zur Unterstützung der Marktein-führung von Elektrozweirädern. Diese eignen sich als Ersatz für Motorfahrzeuge und leisten damit einen Bei-trag zur Reduktion der Emissionen von Kohlendioxid und anderen Schadstoffen. Gleichzeitig ist der Einsatz eines E-Bikes gesund, da es ein rasches Fortkommen mit regelmässiger, aber mässiger Bewegung erlaubt. Entscheidend für den Markterfolg von E-Bikes ist, dass sie nicht nur sinnvoll sind, sondern auch Spass bereiten – am meisten, wenn das gewählte Modell der Leistungs-fähigkeit der Fahrerin, des Fahrers optimal entspricht.

EnergieSchweiz unterstützt ein Forschungsprojekt, das die Leistung von E-Bikes in Abhängigkeit der menschlichen Tretleistung ermittelt. Das Forschungsprojekt ist auf un-mittelbaren praktischen Nutzen ausgerichtet und erfüllt so zwei kommunikative Anliegen: erstens führen zufrie-dene Anwenderinnen und Anwender zu Mund-zu-Mund-Propaganda, zweitens werden zu den Testanlässen des Forschungsprojektes interessierte Medienleute gezielt eingeladen, was sich in qualifizierten Medienberichten spiegelt. Der Zwischenbericht des E-Bike-Reichweitentests zur Ermittlung der Alltagstauglichkeit von Elektrobikes kann per E-Mail bei [email protected] bestellt werden.

Damit der Zug für Behinderte nicht abfährt, sind Sachverstand und Wille zum Dialog erforderlich.

Forschung und Spass schliessen sich nicht aus: Foto nach einem mehrstündigen E-Bike-Testanlass.

FöDerALiStiSche ALLeingänge:

e-BiKe-ForSchungSprojeKt

Ausgabe 2007


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