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Christian Rätsch Die Königin von Saba - AT Verlag · 2019. 8. 23. · Christian Rätsch Die...

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Christian Rätsch Die Königin von Saba Düfte aus dem Orient Räucherstoffe, Rezepte, Rituale
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Christian Rätsch

Die Königin von Saba

Düfte aus dem Orient

Räucherstoffe, Rezepte, Rituale

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Düfte aus dem Orient

Räucherstoffe, Rezepte, Rituale

Christian Rätsch

Die Königin von Saba

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© 2019

AT Verlag, Aarau und München

Lektorat: Diane Zilliges, Murnau

Umschlagbild: Roberto Bulgrin, Stuttgart

Fotos: Karl-Christian Lyncker, Hamburg, soweit nicht anders vermerkt

Grafische Gestaltung und Satz: Adrian Pabst

Druck und Bindearbeiten: Druckerei Uhl, Radolfzell

Printed in Germany

ISBN 978-3-03902-024-9

www.at-verlag.ch

Der AT Verlag, AZ Fachverlage AG, wird vom Bundesamt für Kultur

mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Die Entdeckung des Weihrauchs

Alles begann in Äthiopien

Panchaia, die »Insel der Glückseligkeit«

Die geheimnisvolle Königin

Die altorientalische Götterwelt

Sonne, Mond und Venusstern

Isis und Osiris

Der mesopotamische Skorpion

Astarte und Aphrodite

Die Göttinnen von Mekka

Die Götter und Göttinnen der Phönizier

Bes, der Schutzgott aus dem alten Ägypten

Von den Dschinn, den Feuergeistern

»Gute« und »böse« Dschinn

Amulette und Talismane

Der Phönix und die Weihrauchschlangen

Wie real ist der Phönix?

Weihrauchschlangen

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Räuchern, Tanz und Trance

Der Kult der Zar

Bauchtanz und Schleiertanz

Die orientalischen Räucherstoffe aus Pflanzen von A bis Z

Wichtige Vorbemerkung

Adlerholz

Aloe

Asa foetida (Teufelsdreck)

Bdellium

Bernstein

Bilsenkraut

Cumin (Kreuzkümmel)

Drachenblut

Galbanum

Gewürze

Gummi arabicum

Haschisch

Jawi (Benzoë)

Kassia

Kolophonium

Koriander

Labdanum

Mastix

Myrrhe

Narde

Olibanum (echter Weihrauch)

Opium und Mohn

Opopanax

Pinienharz

Safran

Sandarak

Sandelholz, weiß

Sargina

Steppenraute, syrische

Styrax

Zeder

Zimt

Tierdrogen als Zutaten zu orientalischem Räucherwerk

Minerale als Zutaten zu orientalischem Räucherwerk

Alaun

Glimmer (Muskovit)

Schwefel

Das Komponieren orientalischer Räucherwerke

Kyphi, der Sonnenweihrauch

Bokhor, arabisches Räucherwerk

Anhang

Musik für Räucherrituale

Literatur

Der Autor

Danksagung

Verzeichnis der Pflanzennamen

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Vorwort

»In den Wohlgerüchen wohnt der Geist der Götter.«Aus: Salammbo (Flaubert 1979a: 59)

Die Königin von Saba wird gern mit orientalischer Pracht, exotischen Wohl-

gerüchen, üppiger und freiheitlicher Sinnlichkeit, ekstatischer Musik und ero-

tisierendem Bauchtanz, enormem Reichtum an Räucherstoffen und Gold und

allen Verlockungen des alten Orients in Verbindung gebracht. Sie ist geradezu

ein Symbol des europäischen Orientalismus. Wegen ihrer Eigenständigkeit

und ihrer am Volk orientierten Politik wird sie auch gern von Matriachats-

forscherinnen zitiert und bewundert. Manche kennen sie aus der Bibel, von

ihrem Treffen mit König Salomon. In Äthiopien, dem antiken »Troglodyten-

land«, wird sie als jüdisch-christliche Religionsstifterin verehrt. In der Kunst-

geschichte ist sie ein oft gemaltes Sujet. Sie tritt in Romanen, Opern und Hol-

lywood-Filmen auf. Kurz, sie hat eine immer noch währende Zauberkraft. Sie

beflügelt Fantasie und Vorstellungskraft.

Doch wer war sie historisch?

Wahrscheinlich war die Königin von Saba gar keine individuelle Frau;

sondern »Königin von Saba« war der für viele Herrscherinnen verwendete

Titel. Sie regierte über das antike Land Saba, dessen archäologische Überreste

wir im südlichen Jemen und in der Provinz Dhofar des Oman finden. Als

sicher gilt ihre Bedeutung als Herrin des Weihrauchhandels und der großen

Opferfeste, bei denen sie den beiden Hauptgöttern, Sonne und Mond, Rauch-

opfer dargebracht hat.

In Salala, der Hauptstadt von Dhofar, blüht der Weihrauchhandel bis

heute. Dabei ist sehr bemerkenswert, dass der Handel mit Räucherstoffen,

Duftölen und Parfüms ausschließlich in der Hand von Frauen liegt. Man trifft

auf Beduininnen wie auf Araberinnen. Und von ihnen geht nach wie vor der

Zauber der Königin von Saba aus.

Angeregt durch eine Reise in den Oman, zusammen mit meiner Frau

Claudia Müller-Ebeling, habe ich mit den Räucherstoffschätzen des Weih-

rauchbasars von Salala experimentiert. Dabei ist eine Mischung aus grünem

Olibanum, Myrrhe, Adlerholz, weißem Sandelholz, Amber, Styrax und Mastix

herausgekommen, die ich wegen ihres unerhörten Wohlduftes »Königin von

Saba« genannt habe. Und daraus wiederum ist die Idee für das vorliegende

Buch entstanden. Darin werden die wichtigsten Räucherstoffe, die im Orient

traditionell benutzt werden, in Monografien dargestellt. Abgerundet wird es

durch einleitende Kapitel zur Räucherkultur und durch viele Rezepte und

Hinweise auf passende Musik für Räucherrituale.

Dieses Buch möchte zum Verstehen der orientalischen Kulturen beitra-

gen. Angesichts der olfaktorischen Pracht kann es vielleicht zu einem besseren

Verständnis und größeren Respekt für den Reichtum anderer Kulturen führen

und damit einen kleinen Beitrag zu einer integrativen globalen Gesellschaft

leisten. »Ergänzung statt Ausschluss«, wie der Chemiker, LSD-Entdecker und

Mystiker Dr. Albert Hofmann (1906–2008) immer wieder betont hat. Heute

fängt der Orient oftmals schon bei unseren Nachbarn an.

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Einleitung

»In der europäischen Wahrnehmung stand der Begriff des Orients von jeher auch für den Genuss von Tabak, Opium und anderen Drogen (...). Und wann immer Künstler diese Wesenszustände in Bilder fassten, hatten diese nicht nur eine erotische Komponente, sondern auch eine enge Beziehung zu den typischen Haremsszenen.«(Diederen 2010: 1969)

Der orientalische Gebrauch von Räucherwerk ist keine moderne Erfindung,

sondern ein traditionelles Kulturgut aus vorislamischen Zeiten. Der bis heute

im Orient geschätzte Kult um betörendes Räucherwerk geht auf die heidni-

schen Araber zurück. Die bis heute überlebenden heidnischen Kulturelemente

zeigen sogar eine Verbindung bis in den paläolithischen Schamanismus.

Das Räuchern ist meist in eine spirituelle Weltsicht eingebettet. Es ent-

steht dabei eigentlich kein oder nur sehr wenig Rauch. Die Räucherharze ver-

dampfen auf der Kohle, sie verbrennen nicht. Der Dampf ist lediglich das Harz

in einem anderen Aggregatzustand. Es erfährt auch keine pyrochemischen Ver-

wandlungen. Der schlängelnd aufsteigende Dampf ist eine direkte Verbindung

zum Spirituellen, eine Pforte zu einer anderen Wirklichkeit, zum mystischen

Reich, in die Anderswelt, zu einem inneren Universum.

Wenn wir den Dampf einatmen oder gar die »Seele« der jeweiligen

Pflanze, dann inhalieren wir sie und verbinden uns direkt mit der Pflanze.

Wenn man so will, verschmelzen wir mit der Pflanzenseele oder dem Baum-

geist. Unsere Sinne machen es möglich, mit der Pflanze und/oder Seele zu

kommunizieren, und der Duft ist die Botschaft bei dieser geradezu intimen

Verbindung zur Natur.

Wenn wir uns vertieft mit Räucherwerk beschäftigen, lernen wir, einen

anderen Kontakt zur Natur aufzubauen. Aber was heißt denn »Natur« eigent-

lich? Die »wunderbare« Natur, mit der wir uns verbunden glauben oder mit

der wir zusammengehören wollen? Was haben wir genau im Kopf, wenn wir

völlig unbedacht von »der Natur« sprechen? Das Wort ist ein Fremdwort im

Deutschen. Es leitet sich von der römischen Göttin Natura ab, der nicht dar-

stellbaren Göttin, die alles erschafft, alles erhält und alles zerstört.

Diese Göttin hieß im alten Griechenland Physis.1 Auch sie wurde nie

bildlich dargestellt. In der orphischen Hymne an die Natur (Physis) heißt es:

»Natur, du allerzeugende Göttin,

Mutter, reich an Erfindung,

Ehrwürdige, Himmlische, Göttin der Völker,

Herrin, Allmächtige, Unbezwungne,

Allen sichtbare Lenkerin!«

Der Göttin Natur bringt man dazu »ein Rauchopfer von Gewürzen« dar.

Der römische Naturforscher Lukrez (ca. 97–55 v. Chr.) schrieb in sei-

nem naturwissenschaftlichen Buch Von der Natur einen grundlegenden Ge-

danken nieder: »Die Natur schafft eins aus dem andern und duldet kein Wer-

den, wenn nicht des einen Geburt mit dem Tode des andern verknüpft wird«

(I, 263f.). Die Natur ist »der Welt Urschöpferin«. Sie kommt aber nicht ohne die

»lebensspendende« Venus, die »Wonne der Menschen und Götter« aus, denn

die Liebesgöttin Venus »befruchtet die Keime zu jedem beseelten Geschöpfe«

(V, 1361; I, 1ff., 4).

Wenn man sich mit Räucherstoffen und dem rituellen Räuchern beschäf-

tigt, kann man ganz neue Einblicke in das Wesen der Natur erhalten. Die Räu-

cherstoffe sind Teile der allesumfassenden Natur um uns herum; aber ihr Duft

und ihre möglicherweise psychoaktiven Wirkungen erfassen unseren Geist,

der genauso wie unser Körper zur allumfassenden Natur gehört. Düfte kön-

nen Befindlichkeiten und Emotionen verändern und erweitern, Erregung bis

hin zum Wahn auslösen. Wenn wir ein Räucherharz auf glühende Kohle legen,

wird sich durch unsere Atmung die äußere mit der inneren Natur vereinen.

Räuchern ist Natur als Erlebnis pur.

1 Im Altgriechischen hat physis auch die Bedeutungen »Naturanlage«, »Naturell«. Die Naturwissenschaft hieß

physike, und die frühen Philosophen nannten sich Physikoi.

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Die frühesten Kulte, bei denen rituell geräuchert wurde, sind für das alte

Südarabien durch zahlreiche Inschriften auf Kultsteinen und Bronzetäfelchen,

die Heiligtümern und Tempeln gestiftet wurden, belegt. »Wir verfügen mit

über 10 000 Inschriften über einen sehr reichen Fundus an Informationen,

zumal in den meisten dieser Inschriften einzelne oder gleich mehrere Gott-

heiten angesprochen werden«, heißt es im Katalog Glückliches Arabien (2017:

92). In diesem Fundus gibt es so manche Textstelle, die sich auf Räuchern und

Weihrauch bezieht. Im alten Reich der Königin von Saba, also in Südarabien,

wurde bei archäologischen Grabungen zudem eine ganze Reihe von Altären,

vor allem kleine aus Stein gehauene Räucheraltäre und kleinere Weihrauch-

brenner geborgen. Sie wurden hauptsächlich im privaten Hauskult genutzt,

aber ebenfalls den großen öffentlichen Heiligtümern gestiftet. Sie dienten bei

Totenfeiern auch als Grabbeigaben. Sehr ähnliche prähistorische Räucher-

altäre wurden in Saudi-Arabien gefunden, wie der eben zitierte Katalog belegt.

Im sabäischen Kulturraum gab es viele heidnische Tempel mit zahlrei-

chen Opferaltären, auf denen im Staatskult Olibanum und Myrrhe geräuchert

wurden. Der bedeutendste Schüler des gerühmten Aristoteles, Theophrast

(um 370–287 v. Chr.), schrieb schon in seiner Pflanzenkunde, »dass die Sabäer

ihren Weihrauch und ihre Myrrhe in den Sonnentempel bringen, welcher von

bewaffneten Wächtern geschützt wird« (H. pl. 9, 4, 1). Der Sonne wurde das

Olibanum geweiht, dem Mond die Myrrhe. Als heilige Tiere wurden an den

Tempeln Stiere, Steinböcke, Antilopen, Strauße und Schlangen dargestellt.

Stiere und Steinböcke waren dem Gott Almaqah geweiht (in Glückliches Ara-

bien 2017: 94ff.). Bei Daum heißt es in diesem Zusammenhang: »So ist es eben

doch kein Zufall, wenn die Figur der Königin von Saba von Anfang an mit dem

Traditionelle Räuchergefäße

aus dem heutigen Oman.

(Foto: Claudia Müller-Ebeling)

Diese steinzeitliche Stele aus Sandstein

wird auf etwa 4000 v. Chr. datiert. Sie wurde

in Saudi-Arabien gefunden. Dargestellt ist

ein Mensch, der Ketten und einen breiten

Gürtel trägt. In oder hinter dem Gürtel steckt

ein Kultmesser, wie sie noch heute von

traditionellen Arabern im Oman und Jemen

getragen werden. Am oberen Ende ist

das sabäische Zeichen für Weihrauch zu

sehen. Vielleicht wurde diese Stele früher

mit Räucheropfern verehrt.

Sonne-Mond-Symbol, oben Darstellung

auf einem sabäischen Weihrauchbrenner aus

dem alten Südarabien, unten auf einer Stele

aus dem prädynastischen Ägypten. Farbliche

Rekonstruktion mit Pigmenten, die in der

Antike bekannt waren, durch den Autor.

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Im Weihrauchbasar von Salala.

Unten rechts: Ein traditioneller Kleiderständer

zum Beräuchern (Oman).

Rechte Seite: Weihrauchopfer am Grab des

Hiob (Oman). (Fotos: Claudia Müller-Ebeling)

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»Der Alte Orient mit seinen drei wichtigsten Kulturzentren Ägypten, dem Zweistromland (Mesopotamien/Irak) und Syrien hat, bevor die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam mit ihrem patriarchalischen Schöpfer- gott dem sinnenfrohen ›heidnischen Treiben‹ sukzessive ein Ende setzten, in hohem Maße auch Göttinnen verehrt und zumindest in einigen Regionen das weibliche Göttliche über das männliche gestellt.«Ekkehard und Gernot Rotter (1996: 16)

Beginnen möchte ich dieses Kapitel mit einem weiteren, einem desillusio-

nierenden Zitat aus dem Katalog Glückliches Arabien?: »Obwohl wir für ganz

Südarabien rund 100 Götternamen kennen, wissen wir in sehr vielen Fällen

nicht, wofür diese Götter standen und wie sie miteinander korrelierten. Wir

wissen sehr oft nicht einmal, ob die Gottheit weiblich oder männlich war. Er-

schwerend kommt hinzu, dass wir es nicht mit einem einheitlichen Pantheon

für ganz Südarabien zu tun haben, sondern mit einer Vielzahl von Kulten, die

sich nach Ort und Zeit teils erheblich voneinander unterscheiden« (2017: 92).

Vor den monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam)

waren alle Orientalen »Heiden«. Erst seit Abraham gibt es monotheistische,

alle anderen Götter und Göttinnen verneinende, ausgrenzende, patriarchali-

sche Anschauungen. Das Wort »Religion« wurde erstmals von dem römischen

Gelehrten Ciceros definiert: als »Gottesfurcht«.

Der griechische Philosoph Plutarch (ca. 45–120 n. Chr.) sieht im Mono-

theismus ebenfalls »Gottesfrucht«. Das griechische Wort für »Gottesfrucht« ist

deizidaimonia und war gleichbedeutend mit Aberglaube.

Vor Jahwe (oder Jehova oder Allah) gab es geradezu unendlich viele Göt-

ter und Göttinnen. Sie wurden in meist lokalen Kulten verehrt, indem man sie

anrief, beräucherte und ihnen Opfergaben darbrachte. In den mythologisch

geprägten Kulten waren die Gottheiten nicht jenseits der Natur verortet, son-

dern Teil der Natur, genauso wie alle anderen Wesen und Menschen. So glaubte

man nicht an einen Donnergott, man konnte ihn beim Gewitter direkt erleben.

Der Donner war der Gott. Nur in manchen Kulturen verlieh man den Göt-

tern und Göttinnen eine anthroponorphe Gestalt. Manchmal wurden auch

menschengestaltige Götterfiguren geschaffen. Andererseits stellte man sich die

Gottheiten auch in anderen Teilen der Natur anwesend vor, so etwa in Sternen,

Vulkanen, Meeren, Pflanzen, Tieren und Steinen. Wahrscheinlich sind die äl-

testen Gottheiten der Menschheit in unbearbeiteten Steinen zu finden. Selbst

der Stein in der heute islamischen Kaaba (»Würfel«) war ein besonderer Stein,

ein »Himmelsstein«, also ein Meteorit. Er wurde schon in der Steinzeit kultisch

verehrt und war ein uraltes Pilgerziel. Die Kaaba hatte Charisma, eine magi-

sche Ausstrahlung. Sie war die Schnittstelle von Natur und Kultur.14 Schon

im vorlislamischen Orient galt sie als wichtiger Knotenpunkt, nicht nur für

Pilger verschiedenster Couleur, sondern auch für Händler und Handwerker.

Zahlreiche Stämme trafen sich dort. Viele von ihnen brachten Statuen ihrer

eigenen Götter und Göttinnen mit und stellten sie bei der Kaaba ab. Hier, an

diesem heiligen Orte, durften alle Götter und Göttinnen sein; sie waren alle-

samt gleichwertig und gleichbedeutend. Niemand scherte sich darum, ob sich

unter ihnen ein »wahrer Gott« befand.

14 Interessante Ausführungen zum Charisma finden sich bei Meller/Michel 2018.

DIE ALTORIENTALISCHE GÖTTERWELT

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In diesem Kapitel gebe ich nur eine knappe Übersicht über die Götter

und Göttinnen des alten Orients, die mit dem Gebrauch von Räucherwerk in

direkter oder indirekter Verbindung stehen. Vor allem haben die Gestirngott-

heiten mit dem rituellen Räuchern zu tun.

Sonne, Mond und Venusstern

In den Inschriften von Saba werden am häufigsten drei Gottheiten genannt,

die sogenannte Göttertrias des antiken Saba: Athtar, Schams und Almaqah.

Der Name Athtar geht möglicherweise auf den mesopotamischen Namen Isch-

tar (Venusgöttin) zurück. Deshalb hat man sie oft »Venussterngott« genannt.

Schams ist das alte sabäische und heute noch arabische Wort für »Sonne«

(Daum 1988: 169). So hieß die sabäische Sonnengöttin. Ihr wurde sicherlich

Olibanum von höchster Qualität geopfert, das schon in den ältesten Inschrif-

ten von Saba erwähnt wird (Daum 1988: 190).

Almaqah hieß der Mond- und Reichsgott von Saba. Die Angehörigen des

Stammes Saba bezeichneten sich selbst als »Kinder Almaqahs« und weihten

ihm wahrscheinlich die Myrrhe. Dieser Mondgott wird in antiken Texten auch

»Herr der Steinböcke« genannt. Sein eigentliches Symboltier war dennoch der

Stier. In der sabäischen Kultur galt als sein Zeichen ein Blitzbündel (Lurker

1989: 18). Darin ähnelt er dem babylonischen Adad oder Hadad (in Syrien),

»Wind«, dessen Symboltier ebenfalls der Stier und dessen Zeichen auch ein

Blitzbündel war.

Baschamum hieß ein verwandter altsüdarabischer Gott. Sein Name ist

möglicherweise von arabisch basham, »Balsamstrauch«, abgeleitet. Leider ist

dieser Balsamstrauch botanisch nicht zu identifizieren (Vgl. Plinius XII, 111).

Er hatte wie Almaqah einen direkten Bezug zu Steinböcken und Räucherwerk.

Man hat auch vermutet, dass er ein Arztgott war (Lurker 1989: 65).

Das sabäische Symbol für Räucherwerk war die Darstellung »Viertel-

mond-Sonne«.

Die himmlische Vereinigung von Athtar und Schams ist die Heilige

Hochzeit: »Die mythische Hochzeit stellte den Sieg des Lichts über die Dun-

kelheit dar; sie erfolgte in der hellsten Nacht des Monats, der Vollmondnacht.

Bis heute ist die Vollmondnacht im Jemen der präferentielle Termin für eine

Hochzeit« (Daum 1988: 174).

Das Viertelmond-Sonne-Symbol auf

einer sabäischen Stele mit Augen und

einer altarabischen Inschrift. Farbliche

Rekonstruktion mit Pigmenten, die in der

Antike bekannt waren, durch den Autor.

Das sabäische Symbol

der Heiligen Hochzeit. Das

Zeichen wird meistens als

»Blitzbündel« oder »Doppel-

griffel« bezeichnet. Es besteht

aus den sabäischen Zeichen

für den Weihrauch, dem

heiligen Stier, der Schlange

und der Himmelsleiter.

Farbliche Rekonstruktion

mit Pigmenten, die in der

Antike bekannt waren,

durch den Autor.

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»Schaut her, ihr Wissenschaftler, und versteht!Hier habt ihr die Erfüllung der Kunst, wie Bräutigam und Braut zusammengefügt werden und eins werden.Hier habt ihr die Pflanzen und ihre Vielfalt.« Die weise Alchemistin Kleopatra31

31 Aus dem alchemistischen Buch des Komarios; zitiert nach Luck 1990: 461.

DIE ORIENTALISCHEN RÄUCHERSTOFFE AUS PFLANZEN VON A BIS Z

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Der Orient besteht aus Nordafrika, Arabien, dem Vorderen Orient und Per-

sien (Iran). Das Kernland des Weihrauchs ist definitiv der Oman. Oder, wie

es Carmen Rohrbach ausdrückt: »Das wirkliche Weihrauchland war Dhofar

weit im Osten, das heutige Oman« (1999: 147). Doch Weihrauch war und ist

zugleich nicht der einzige bedeutsame Räucherstoff des Orients. Ich stelle hier

die wichtigsten bis heute benutzten vor. Überwiegend stammen sie von Pflan-

zen, nur sehr wenige sind Tierprodukte, hinzu kommen ein paar Minerale.

Olibanum, Myrrhe, Mastix, Zimt, weißes Sandelholz, Schwarzkümmel,

Cumin (Kreuzkümmel), Kardamom und Adlerholz gehören zu den belieb-

testen Räucherstoffen und tauchen in vielen Rezepten für Bokhor, arabisch

»Räucherwerk«, »Räuchermischung«, auf. Aber nicht alle orientalischen Räu-

cherstoffe stammen aus dem Orient, sondern auch aus anderen Gegenden Asi-

ens. Zum Beispiel kommen das hochgeschätzte Adlerholz oder das betörende

weiße Sandelholz aus Indien, Benzoë aus Malaysia, Muskat von den Molukken

und Mastix aus Griechenland. All diese Räucherstoffe werden seit alters her

über die Seidenstraße oder übers Meer ins Morgenland gebracht.

Ein Zentrum für den Handel mit Räucherstoffen war das Reich der

Königin von Saba. Von dort aus wurden Räucherharze (vor allem Olibanum,

aber auch Myrrhe) über die legendäre Weihrauchstraße nach Mesopotamien,

in den Vorderen Orient, nach Griechenland und Rom gebracht. Der einträg-

liche Handel mit wertvollen Harzen aus dem sabäischen Land blühte bereits

im 8. Jahrhundert v. Chr. (Glückliches Arabien? 2017: 64). Er wurde sehr wahr-

scheinlich aber bereits im Neolithikum betrieben.

Der intensive internationale Weihrauchhandel gedieh erst mit dem Ka-

mel: Im Laufe des 2. Jahrtausends v. Chr. wurde an der Südostküste der Arabi-

schen Halbinsel das dort heimische Wildkamel domestiziert – eine Datierung,

die in der letzten Zeit anhand von Genanalysen möglich wurde. Erst mit den

Dromedaren (Camelus dromedarius) wurde der Transport größerer Mengen

wertvoller Harze mit Karawanen möglich. So konnten die südarabischen

Schätze gen Norden gebracht werden – trotz der arabischen Wüste. Das Kamel

hat Arabia felix, das »Glückliche Arabien«, reich gemacht.

Olibanum und das alte China

Dass Olibanum aus dem Reich der Königin von Saba schon sehr früh über

die Seidenstraße ins alte China gebracht wurde, ist durch archäologische

Funde und die alten chinesischen Kräuterbücher (Pen-tsao) bewiesen. Der

Oman wurde von den Chinesen Weng-man genannt.

Das Olibanum nannte man schon früh ju hsiang, »Weiße Milch«;

und das Räuchern (damit) wengxiang, »dem Weihrauch lauschen«. Schon

in der ersten Pharmakopöe werden die aromatischen Heilmittel unter

dem Begriff hsinang yao zusammengefasst. Bronzene Weihrauchbrenner

wurden bereits in der Zeit der Shang-Dynastie, etwa 1700 bis 1050 v. Chr.,

höchst kunstvoll hergestellt (Highet 2006: 44).

Nördlich der Berge von Dhofar im Oman wurde eine neolithische

Kultaxt aus chinesischer Jade aus dem Reich der Mitte gefunden. Das

würde bedeuten, dass es bereits einen jungsteinzeitlichen Warenaustausch

zwischen Arabien und China gab! Wie die Beziehung tatsächlich aussah,

wissen wir leider nicht.

Prähistorischer Petroglyph, der ebenso

ein Kamel darstellt wie einen Krieger oder

Schamanen mit einer Straußenfederhaube.

An einem Felsen bei Tadvat Acacous,

Libyen (Umzeichnung).

Der sehr seltene »weiße«

Luban oder Olibanum aus

Dhofar. Diese eher gelblichen

Harztränen werden auch

»Wüstenperlen« genannt und

können geräuchert (am besten

pur) und gekaut bzw. gegessen

werden. Sie enthalten viel

magische Heilkraft und sollen

das Denken klären. Olibanum

ist gut fürs Gehirn.

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Wir Europäer haben den Weihrauch schon um 1400 v. Chr. kennenge-

lernt. Bei der archäologischen Untersuchung von Resten eines minoischen

Handelsschiffes, das in der Inselwelt der Nordsee gestrandet war, wurden min-

destens zwei Duftharze geborgen: Olibanum aus Somalia (Boswellia frereana)

und ein Copal aus Südostafrika (Harz von Guibourtia sp.).32 Das heißt, die

Räucherharze wurden zuerst von Afrika nach Kreta gebracht und von dort bis

Nordeuropa verschifft. Wohlgemerkt in der Bronzezeit!

Wichtige Vorbemerkung

Ich beschreibe die Gerüche, Düfte, Aromen und so weiter nicht detailliert, da

unser Vokabular dafür sehr mangelhaft ist. Aber die Prädikate »köstlich« und

»stinkend« kommen natürlich vor. Ich empfehle generell, dass man unvor-

eingenommen den Geruch eines Räucherwerks erkundet. Unsere Nase sagt

uns dann – ganz ohne Worte – vieles darüber aus. Wenn man das Räuchern

erlernen will, sollte man zunächst nur Einzelsubstanzen (Harze, Samen, Blüten

etc.) räuchern und sie pur kennenlernen. Erst später lässt sich dann gut mit

Mischungen anfangen. Wie gesagt: Unsere Nase führt uns am besten durch die

olfaktorischen Räucherwelten. Jeder entscheidet für sich selbst, welche Räu-

cherstoffe und Räucherwerke ihn auf welche Weise bezaubern.

Auch über die Wirkungen der einzelnen Räucherstoffe und Räucher-

werke schreibe ich kaum etwas. Es bringt viel mehr Freude, wenn man ihre

Wirkungen auf den eigenen Geist selbst erforscht. Was der eine schätzt, kann

32 Vgl. Duerr 2008: 11. Neben den Harzbrocken wurde eine Schale der Pantherkaurischnecke (Cypraea

pantherina), die nur im Roten Meer vorkommt, entdeckt. Sie war den alten Ägyptern schon heilig; bei den

Griechen wurde diese Schneckenschale als »Muschel der Aphodite« verehrt. Übrigens war der Aphrodite

das Olibanum geweiht und als Räucheropfer dargebracht worden. Zum afrikanischen Copal Kongo siehe

Rätsch 2004: 29f.

dem anderen widerwärtig sein. Daher: Nur Mut zum Experimentieren und

zum Sammeln von Erfahrungen. Die eigenen Erfahrungen – so sagte mir

meine Oma als Kind – können einem von niemanden genommen werden. Sie

sind unser größter Schatz.

Adlerholz

Als ich einmal in San Franciscos Japan-Town einen Koh-Laden, also einen

Shop für erlesenes Räucherwerk, entdeckt hatte, sah ich im Schaufenster ein

riesiges Stück Adlerholz, so groß wie vier Fäuste und so ungewöhnlich bizarr

geformt, dass der pure Anblick schon fantasievolle Bilder aufsteigen ließ. Ich

fragte den Räucherwerkhändler, wie viel das im Fenster gelegene Stück denn

kosten würde. Der alte Japaner lächelte: Oh, das würde sicherlich ein paar Mil-

lionen Dollar bringen, aber er verkaufe es sowieso nicht.

Von Brahmanen wird heute noch Adlerholz geräuchert, wenn sie die hei-

ligen Texte lernen, die auf Sanskrit verfassten vedischen Schriften, die mindes-

tens 3500 Jahre alt sind. Das heilige Adlerholz ist ein sehr gut für die olfaktori-

sche Begleitung aller Arten von Meditation geeigneter Räucherstoff. Es vertieft

das Gedächtnis und klärt den Geist.

Afrikanischer Copal aus

Madagaskar, wahrschein-

lich ein subfossiles Harz.

Afrikanischer Copal gelangte

bereits in der Bronzezeit nach

Nordeuropa. Ein starker Beleg

für die frühbronzezeitlichen

Handelsbeziehungen. Die

Minoer wollten entlang der

Ostsee Baltischen Bernstein

erwerben.

Links: Adlerholz zweiter Wahl aus dem

internationalen Räucherstoffhandel.

Unten: Ein sehr großes Stück Adlerholz

(7 mal 15 Zentimeter), das verharzte

Stammholz des asiatischen Adlerbaumes

(Aquilaria agallocha), erworben im

Souk von Fes (Marokko). Der Weihrauch-

händler gab an, dass seine kostbare

Ware aus Kambodscha stamme.


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