V13 - 1
Brückenstatik gestern und heute –
Nachrechnung Straßenbrücke über DB Mannheimer Straße in Weinheim
Prof. Dr.-Ing. Walter Pauli, Hochschule Darmstadt
Zusammenfassung: In Deutschland gibt es ca. 120 000 Brücken. Im Zusammenhang mit einem
immer höher werdenden Verkehrsaufkommen und der Änderungen der grundlegenden Regelwerke
wird in den kommenden Jahren im Zuge der Instandhaltung verstärkt die Nachrechnung einzelner
Brücken erforderlich werden. In diesem Beitrag wird anhand der Nachrechnung einer
Straßenbrücke auf mögliche unterschiedliche Berechnungsmethoden eingegangen.
Summary: In Germany there are about 120 000 bridges. Due to ever-increasing traffic volumes and
changes in the Design Codes in the coming years, the recalculation of individual bridges will be
more required as part of scheduled maintenance. In this article different methods of calculations are
discussed on the basis of the recalculation of a road bridge.
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1 EINFÜHRUNG
1.1 Straßenbrücken in Deutschland
Das deutsche Straßennetz umfasst ca. 650.000 km, davon sind 11.427 km Autobahnen und 41.386
km Bundesstraßen, über 86.000 km Landes- und Staatsstraßen sowie 91.000 km Kreisstraßen. Die
ca. restlichen 420.000 km sind nicht klassifizierte befestigte Straßen im Verantwortungsbereich der
Kommunen. Die Zahl der Brücken in Deutschland dürfte bundesweit bei ca. 120.000 liegen, das
heißt auf 5,4 km Straße kommt eine Brücke. Das deutsche Brückenvermögen wird von Fachleuten
auf 80 Mrd. Euro geschätzt [1].
Alle Brücken werden vierteljährlich auf ihre Verkehrssicherheit hin überprüft. Dabei wird vor allem
die Funktionssicherheit von Einbauteilen, wie Fahrbahnübergängen und Entwässerungseinrichtun-
gen sowie der Schutzvorrichtungen, wie Geländer und Lärmschutzwänden kontrolliert. Einmal
jährlich wird jede Brücke intensiv besichtigt, im Falle von Hochwassern oder Unfallbeschädigun-
gen auch häufiger. Alle drei Jahre folgt eine genaue Prüfung hinsichtlich der Tragfähigkeit,
Standsicherheit und des baulichen Zustandes. Alle Über- und Unterbauten werden untersucht, alle
funktionellen Einbauteile, Brückenausrüstungen, Sicherheitsmaßnahmen und überführte Leitungen
geprüft. Im Rhythmus von sechs Jahren erfolgt eine Hauptprüfung, die erste direkt nach
Fertigstellung des Bauwerkes. Dabei werden alle Bauwerksteile untersucht, die Spannweite der
Maßnahmen reicht vom Abklopfen der Betonflächen und der Kontrolle des festen Sitzes von
Verbindungsmitteln bis zum Messen von Rissen oder Verformungen. Hinzu kommen chemischen
Untersuchungen um z. B. das Korrosionsrisiko abzuschätzen. Ziel dieser Untersuchungen ist es, den
Erhalt der Funktionstüchtigkeit und der Standsicherheit von Brückenbauwerken zu gewährleisten.
Mit den für den Brückenbau gültigen Teilen der EN 1991-3 (Eurocode 1, Teil 3), „Verkehrslasten
für Brücken“ liegen Lastannahmen für Brücken vor, die in naher Zukunft für die Berechnung von
Brücken in ganz Europa verbindlich sein werden. Bis zu einer vollständigen Harmonisierung sind
zusätzlich die nationalen Anwendungsdokumente mit nationalen Festlegungen, Ergänzungen und
Änderungen zu beachten. Für Deutschland gilt hier der DIN Fachbericht 101. Die dort vereinbarten
Lastmodelle berücksichtigen bereits das aktuell wachsende Verkehrsaufkommen insbesondere im
Hinblick auf den Schwerlastverkehr.
Dem Großteil der bestehenden Brücken in Deutschland liegen jedoch die Lastmodelle der DIN
1072 zugrunde. Damit wird in aller Regel bei der Nachrechnung bestehender Brücke eine
Diskrepanz zwischen dem seinerzeit verwendeten und dem aktuell gültigen Lastmodel bestehen.
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Die Nachweise bezüglich der Trag- und Gebrauchsfähigkeit sind bei einer Großzahl der
Bestandsbrücken aus Stahlbeton und Spannbeton gemäß DIN 1045 und DIN 4227 geführt. Im
Vergleich zur aktuellen Norm DIN 1045-1 bzw. der in naher Zukunft gültigen europäischen Norm
EN 1992 (Eurocode 2) hat sich das Sicherheits- und Nachweiskonzept grundlegend geändert.
Beide Punkte – Lastannahmen und Nachweiskonzept – bedingen, dass die Nachrechnung eines
Brückenbauwerks punktuell kaum noch vergleichbar ist. Einzig die Beurteilung der Bemessungser-
gebnisse und daraus abgeleitete Aussagen hinsichtlich der Gebrauchs- und Tragfähigkeit erlauben
eine Wertung.
Über die normativen Unterschiede hinaus lässt sich die Berechnungsmethode als ein weiteres
Kriterium bezüglich der Vergleichbarkeit anführen. Wurde eine statische Berechnung vor ca. 30
Jahren noch mehr oder weniger als Handrechnung erstellt, so steht dem heute meist eine
elektronische Komplettberechnung entgegen. Die Handrechnung bedingte eine Vereinfachung der
statischen Systeme, bei einer elektronischen Berechnung versucht man eher möglichst genau zu
rechnen. Diese Schere bei den Berechnungsmethoden macht die Vergleichbarkeit der Ergebnisse
nicht einfacher. Es könnte sogar soweit kommen, dass man die seinerzeit vorgenommen
Vereinfachungen als nicht mehr zutreffend erachtet und somit bereits infolge der Berechnungs-
methoden Differenzen zwischen einer Ursprungsstatik und einer Nachrechung erhält, die sich auf
die Beurteilung der Standsicherheit auswirken.
2 BAUWERK
2.1 Bauwerksbeschreibung
Bei dem hier vorgestellten Bauwerk handelt es sich um einen fünfzelligen Hohlkasten, der über
zwei Felder zur Überführung der Bundesstraße 38 (Mannheimer Straße in Weinheim) über die
Gleisanlagen der DB dient. Der Überbau ist auf zwei Widerlagern und einem Mittelpfeiler gelagert.
Die Stützweiten betragen 27.60 m und 23.10 m. Der Hohlkasten hat eine Querschnittshöhe von
1.22 m und eine Breite von 11.245 m. Die Dicke der Fahrbahnplatte beträgt 24 cm und die
Bodenplatte hat eine Dicke von 12 cm. Die Außenstege sind mit einer Breite von 40 cm und die
Innenstege mit einer Breite von 35 cm ausgeführt.
Je Fahrtrichtung sind zwei identische nebeneinander liegende Überbauten vorhanden. Die beiden
Überbauten sind mit einer Schleppplatte miteinander verbunden. Jeweils seitlich der Schleppplatte
bzw. innerhalb der innen liegenden Hohlkastenzellen sind Schienen für den Straßenbahnverkehr
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vorhanden. Jede Brückenhälfte ist für zweispurigen Straßenverkehr und auf den außen liegenden
Kragarmen mit einem Fußweg ausgelegt.
Der Überbau ist ein gedrungener Hohlkasten mit sechs Stegen in Längsrichtung. Die Längsträger
sind mittels einer dem Momentverlauf angepassten Spanngliedlage vorgespannt. Die Vorspannung
in den Längsträgern erfolgt nach dem Spannverfahren von Bauer-Leonhardt mit 7-drähtigen Litzen
St 155/180. Vorgespannt wird von dem freien Auflager des längeren Feldes aus. Der Überbau ist in
der Längsrichtung voll vorgespannt. Die obere sowie die untere Platte ist in Querrichtung
beschränkt vorgespannt. Zur Vorspannung wurden Leoba Spannstäbe St 60/90 mit Ø 26 mm
verwendet. Querstege sind jeweils in den Drittelspunkten sowie am Anfang, in der Mitte und am
Ende angeordnet.
Abbildung 1: Straßenbrücke über die Gleisanlagen der DB, Mannheimer Straße in Weinheim
2.2 Unterlagen
Die Ursprungsstatik des Brückenbauwerks stammt aus dem Jahre 1956. Der Überbau wurde als
Zweifeldträger komplett per Hand nachgewiesen. Weitere Planunterlagen stammen aus dem Jahre
1990, die im Zuge der Erneuerung der Gehwege erstellt wurden.
2.3 Veranlassung
Im Juni 2008 wurden am Überbau Umbaumaßnahmen in Erwägung gezogen, die eine statische
Untersuchung erforderlich machten. In einem ersten Ansatz wurde der fünfzellige Stahlbetonhohl-
kasten als Trägerrost abgebildet und mit den Lastannahmen der Ursprungsstatik nachgerechnet.
Zusätzlich wurden die erhöhten Eigengewichtslasten aus einer Erneuerungsmaßnahme des
Gehwegs aus dem Jahre 1990 und die daraus resultierenden Lastexzentrizitäten berücksichtigt. Im
ersten Vergleich wurden die Schnittgrößen der Ursprungsstatik mit der Trägerrostberechnung
verglichen. Die Ergebnisse der Trägerrostberechnung führten zu dem Schluss, dass aktuell
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Tragfähigkeitsdefizite nicht ausgeschlossen werden konnten, so dass als vorübergehende
Maßnahmen eine Rückstufung in Brückenklasse 16 veranlasst wurde.
Abbildung 2: Ursprungsstatik aus dem Jahre 1956
Abbildung 3: Längsschnitt Überbau
Abbildung 4: Querschnitt Überbau
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3 NACHRECHNUNG
3.1 Mögliche statische Systeme
Im Wesentlichen bieten sich drei Möglichkeiten bezüglich der Abbildung als statisches System an.
Statisches System
Grad der
statischen
Unbestimmtheit
1. Stabwerk
n = 1
2. Trägerrost
n = 252
3. Faltwerk
n ≈ 100 000
Tabelle 1: Mögliche statische Systeme
3.2 Nachrechnung als Stabwerk
Die Abbildung als Stabwerk, stellte zum Zeitpunkt als die Ursprungsstatik erstellt wurde, die
nahezu einzig realisierbare Variante dar. Die Möglichkeiten hochgradig statisch unbestimmte
Systeme zu berechnen waren 1956 mangels rechentechnischer Möglichkeiten begrenzt. Die
Ursprungsstatik für den Überbau umfasste ca. 50 Seiten Handrechnung.
3.3 Nachrechnung als Trägerrost
Die sechs Stege in Brückenlängsrichtung sowie die über den Auflagern und in den Drittelspunkten
angeordneten Querträger suggerieren geradezu ein statisches System als Trägerrost, zumal der
Aufwand hinsichtlich einer EDV-Eingabe überschaubar bleibt. Die Auswertung der Ergebnisse
kann im Wesentlichen anhand von Stabschnittgrößen der Längsträger erfolgen.
V13 - 7
3.4 Nachrechnung als Faltwerk
Der Aufwand bezüglich der Abbildung als Faltwerk ist ungleich höher gegenüber einer
Trägerrostberechnung. Höhere Rechenzeiten und insbesondere ein deutlicher Mehraufwand bei der
Ergebnisauswertung addieren sich hinzu.
3.5 Vergleich der Ergebnisse
In Tabelle 2 bis Tabelle 5 sind die Schnittgrößen drei unterschiedlichen statischen Systeme
gegenübergestellt. In den Tabellen sind jeweils die Feldmomente und das Stützmoment für die
Achsen 1 bis 6 und zusätzlich für den gesamten Querschnitt (quasi Summe der Einzelergebnisse)
angegeben. Bei der Faltwerksberechnung wurden die Elementspannungen in Schnitten quer zur
Längsachse zu Schnittgrößen aufintegriert. Diese Vorgehensweise wurde einmal an den einzelnen
Längsträgern getrennt für jede Achse und einmal am Gesamtquerschnitt durchgeführt.
In Tabelle 4 und Tabelle 5 sind die Eigengewichtslasten einschließlich der daraus resultierenden
Lastexzentrizitäten infolge des auskragenden Fußweges, einmal mit den Lastansätzen aus dem Jahre
1956 und ein zweites mal mit einem erhöhten Lastansatz, der den Erneuerungsmaßnahmen aus dem
Jahr 1990 Rechnung trägt, gegenüber gestellt. Dabei wirken sich die insgesamt ca. 7 % größeren
Eigengewichtslasten hinsichtlich der Gesamtschnittgrößen nur unbedeutend aus. Die Schnittgrößen
bei der Trägerrostberechnung auf den äußeren Randträger in Achse 1 weisen jedoch erhebliche
Abweichungen gegenüber einer Stabwerksberechnung und einer gleichmäßigen Verteilung auf.
Lastfall System Schnittkraft Achse 6 Achse 5 Achse 4 Achse 3 Achse 2 Achse 1 gesamt
max M1 12402min Mb -17400max M2 6498
max M1 1337 2129 2201 2363 2665 2164 12859min Mb -1955 -2932 -2946 -3146 -3651 -3325 -17955max M2 745 1178 1188 1281 1506 1251 7149
max M1 1454 2360 2385 2436 2530 1617 12782min Mb -1970 -3015 -3087 -3206 -3425 -2512 -17215max M2 788 1260 1278 1320 1399 917 6962
max M1 12799min Mb -17228max M2 6924
2133-28711154
2067
LF 1
: E
igen
gew
icht
Faltw
erk
Faltw
erk
kom
plet
tR
ost
orig
inal
Sta
tik
1083-2900
Tabelle 2: Gegenüberstellung der Schnittgrößen infolge Eigengewicht
V13 - 8
Lastfall System Schnittkraft Achse 6 Achse 5 Achse 4 Achse 3 Achse 2 Achse 1 gesamt
max M1 -15000min Mb 21600max M2 -9948
max M1 -1946 -2771 -2680 -2675 -2757 -1970 -14799min Mb 3087 4206 3996 3988 4181 3120 22578max M2 -1423 -1979 -1883 -1879 -1967 -1439 -10570
max M1 -1725 -2837 -2813 -2810 -2859 -1749 -14793min Mb 2794 4239 4186 4182 4261 2824 22486max M2 -1231 -2018 -1986 -1984 -2032 -1263 -10514
max M1 -14812min Mb 22498max M2 -10082
-25003600-1658
LF 4
: V
orsp
annu
ng
orig
inal
Sta
tikFa
ltwer
kR
ost
Faltw
erk
kom
plet
t -24693750-1680
Tabelle 3: Gegenüberstellung der Schnittgrößen infolge Vorspannung
Lastfall System Schnittkraft Achse 6 Achse 5 Achse 4 Achse 3 Achse 2 Achse 1 gesamt
max M1 1917min Mb -2681max M2 1012
max M1 -90 8 147 372 717 925 2079min Mb 109 68 -65 -344 -897 -1547 -2676max M2 -33 -21 34 164 413 592 1149
max M1 137 273 331 396 462 334 1933min Mb -86 -228 -349 -500 -724 -731 -2618max M2 58 119 168 231 301 239 1116
max M1 1850min Mb -2620max M2 1017
320-447169
308-437170
LF 2
: E
igen
gew
icht
aus
Kra
garm
mit
orig
inal
Las
ten
orig
inal
Sta
tikR
ost
Faltw
erk
Faltw
erk
kom
plet
t
Tabelle 4: Gegenüberstellung der Schnittgrößen aus Eigengewicht auf den Kragarm (original)
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Lastfall System Schnittkraft Achse 6 Achse 5 Achse 4 Achse 3 Achse 2 Achse 1 gesamt
max M1 2039min Mb -2853max M2 1077
max M1 -101 -2 146 388 766 1012 2209min Mb 120 84 -52 -349 -954 -1696 -2847max M2 -36 -28 28 166 439 651 1220
max M1 144 287 350 421 495 358 2055min Mb -86 -236 -369 -534 -778 -789 -2792max M2 61 124 177 245 323 256 1186
max M1 1965min Mb -2795max M2 1079
180
328-466180
340-476
LF 2
: E
igen
gew
icht
aus
Kra
garm
mit
aktu
elle
n La
sten
Ros
tFa
ltwer
kor
igin
alS
tatik
Faltw
erk
kom
plet
t
Tabelle 5: Gegenüberstellung der Schnittgrößen aus Eigengewicht auf den Kragarm (aktuell)
Diese Beobachtung war dann letztendlich der Grund, dass man den Ergebnissen aus der Träger-
rostberechnung, zumindest für den Randträger nicht traute und sich entschloss eine verfeinerte
Berechnung vorzunehmen.
4 SEITENEFFEKTE BEI DER TRÄGERROSTBERECHNUNG
4.1 Steifigkeiten der Längsträger
Die Biegesteifigkeiten des Gesamtquerschnittes bzw. die Summe der aufgelösten Querschnitte der
Längsträger bei dem Trägerrostsystem sind nahezu identisch. Bei den Torsionssteifigkeiten ergeben
sich jedoch erhebliche Unterschiede.
( )4
333
026.0
35.004.112.017.224.017.231
m
I t
=
=⋅+⋅+⋅⋅≈ ( )4
333
029.0
4.004.112.028.124.028.131
m
I t
=
⋅+⋅+⋅⋅≈
Abbildung 5: Einzelquerschnitte je Längsachse
0.00 -1.00
1.22
1.28
SM
2.00 1.00 0.00
1.22
2.17
SM
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Berechnet man zunächst die Einzelquerschnitte Näherungsweise als dünnwandige offene Profile mit
∑ ⋅⋅≈ 3
31 tbI t , so erhält man als Summe 416.0029.02026.04 mIges t =⋅+⋅≈ .
Eine Abschätzung mit der zweiten Bredt’schen Formel ∫ ⋅
⋅=
dst
AI mt 1
4 2
als einfacher Hohlkasten liefert
dagegen ein deutlich höheres Torsionsträgheitsmoment (vgl. Abbildung 5 und Abbildung 6). Damit
lässt sich unmittelbar erklären, dass der Lastabtrag, insbesondere bei exzentrischen Lastanteilen,
unterschiedlich vonstatten geht.
42
2
61.3
4.004.12
12.085.10
24.085.10
28.114
28.1104.185.10
04.12/12.02/24.022.185.104.025.11
mI
mAmh
mb
t
m
m
m
=⋅
++
⋅=
=⋅=
=−−=
=−=
Abbildung 6: Hohlkasten als Gesamtquerschnitt
4.2 Geometrische Form des Randträgers bei der Trägerrostberechnung
Der wesentliche Problempunkt bei der Trägerrostberechnung und zwar hinsichtlich der Abbildung
des statischen Systems und der Ergebnisauswertung war der Randträger. Die Vereinfachung des
Querschnitts führt unmittelbar zu den in Abbildung 7 aufgeführten Schwierigkeiten hinsichtlich
einer Berechnung nach der technischen Biegelehre.
Daraus stellt sich ein Tragverhalten ein, das in der Form nicht gewollt ist und im Hinblick auf den
Gesamtquerschnitt unrealistisch ist. In Abbildung 8 sind diverse Möglichkeiten angeführt, die rein
rechnerisch eine Verbesserung der Ergebnisse bewirken und zumindest teilweise eine
Kompensation der in Abbildung 7 aufgezählten Seiteneffekte bewirken. Es bleibt das ungute
Gefühl, dass im Gegenzug mit den erzwungenen Vereinfachungen die Wirklichkeit wiederum ein
Stück weit zurecht gebogen wird.
10.85
1.04
Y 10.00 8.00 6.00 4.00 2.00 m
Z0.
00
1.22
11.25
SM
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Abbildung 7: Querschnitt Randträger für die Trägerrostberechnung
Abbildung 8: Vereinfachte Querschnittsabbildung des Randträgers
5 FALTWERKSBERECHNUNG
5.1 Vorgehensweise zur Ermittlung von Stabschnittgrößen
Um die in Kapitel 0 angeführten Bedenken hinsichtlich einer Trägerrostabbildung genauer zu
verifizieren wurde das Tragwerk als räumliches Faltwerk berechnet. Dazu wurden jeweils die
Boden- und Fahrbahnplatte sowie die Stege des Hohlkastens und die Querträger mit QUAD-
Elementen abgebildet. Damit sollte das Tragverhalten des Hohlkastens, insbesondere im Hinblick
auf Lastexzentrizitäten, realitätsgetreuer erfasst werden.
M 1 : 10X
YZ
Y 0.50 0.00 -0.5 0 -1 .00 -1.50 m
Z1
.00
0.50
0.00
Querschnitt Nr 3 Längsträger Achse 6
SMO O
8
7
65
4
3
2
1
M 1 : 10X
YZ
Y 0.50 0.00 -0.50 -1.00 -1.50 m
Z1.
000.
500.
00
Querschnitt Nr 3 Längsträger Achse 6
SMO O
8
7
65
4
3
2
1
M 1 : 10X
YZ
Y 1.50 1.00 0.50 0.00 -0.50 m
Z1.
000.
500.
00
Querschnitt Nr 3 Längsträger Achse 6
S
M
OO
2
3
4
56
7
8
9
10
11 12
1
1. erzwingen einer Zwangssymmetrie
2. zentrische Vorspannung bezüglich
der z-Achse
3. Querschnitt vereinfacht
1. Drehung der Hauptachsen
2. Unterschiedliche Lage von
Schwerpunkt und Schubmittelpunkt
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Für eine sinnvolle Auswertung der Ergebnisse und insbesondere um einen direkten Vergleich mit
der Trägerrostberechnung bzw. der Stabwerksberechnung der Ursprungsstatik vornehmen zu
können, ist es zweckmäßig die Spannungen der QUAD-Elemente zu Stabschnittgrößen
aufzusummieren. Im Zusammenspiel mit WinGRAF und SIR lässt sich dieser Arbeitsschritt sehr
elegant erledigen [2]. Zum einen kann man einen Schnitt durch den kompletten Überbau quer zur
Fahrbahnlängsachse legen und erhält so die Gesamtschnittgrößen, zum anderen lassen sich
zusätzlich mehrere Schnitte je Längsträger anordnen, sodass man direkt vergleichbare
Schnittgrößen zur Trägerrostberechnung erhält. In Abbildung 9 sind links exemplarisch die
Biegemomente infolge Eigengewicht am Gesamtquerschnitt dargestellt. Hierzu wurde in
Brückenlängsachse je Feld jeweils in den 10 tels Punkten ein Schnitt quer zur Längsachse gesetzt
und in diesem Schnitt sind die Elementspannungen mit SIR zu Stabschnittgrößen aufsummiert. In
der rechten Bildhälfte wurden in Brückenlängsrichtung identische Schnitte gesetzt, jedoch beim
Aufsummieren wurde in Querrichtung jeweils nur der Anteil berücksichtigt, der zu einem
Längssteg des Hohlkastens gehört. Die so gefunden Ergebnisse sind zahlenmäßig auch in Tabelle 2
bis Tabelle 5 aufgeführt.
Abbildung 9: Momente infolge Eigengewicht a) Gesamtquerschnitt b) je Hohlkasten-Längsträger
5.2 Beurteilung der Ergebnisse
Bei einer annähernd kontinuierlichen Lasteinleitung (Eigengewicht und Vorspannung, Tabelle 2
und Tabelle 3) sind die Schnittgrößen ingenieurmäßig vergleichbar. Die unterschiedlichen
statischen Systeme führen bei den Schnittgrößen bezogen auf die Mittenträger zu nahezu
identischen Ergebnissen, während die Randträger zahlenmäßige Unterschiede aufweisen. Diese
Unterschiede sind jedoch in einem noch vertretbar vernachlässigbaren Bereich.
Bei den exzentrisch wirkenden Lastanteilen ist ein zahlenmäßiger Vergleich der Schnittgrößen
jedoch nicht mehr möglich. Bei der Trägerrostberechnung ziehen insbesondere die direkt belasteten
Randträger die Schnittgrößen unmittelbar an. Geht man dann noch einen Schritt weiter und führt die
Nachweise in den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit bzw. der Tragfähigkeit separat an den
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einzelnen Längsträgern gemäß dem Trägerrostmodell, so werden nicht vertretbare Tragfähigkeits-
defizite suggeriert.
5.3 Stille Reserven
Speziell in der ursprünglichen statischen Berechnung der Straßenbrücke in Weinheim wurden, für
damals vermutlich schwer abzuschätzende Effekte, diverse stille Reserven vorgehalten. So war man
sich der Problematik exzentrischer Lasten bewusst und hatte infolge einer Abschätzung gemäß der
Querverteilung für Fahrbahnplatten nach Rüsch einen globalen Zuschlag von 26 % bei den
Verkehrslasten angesetzt. Zusätzlich wirkte sich die damalige Bauweise, Brücken voll
vorzuspannen, positiv aus. Dadurch wurde die Dimensionierung im Wesentlichen durch die
Gebrauchstauglichkeit bestimmt und es verblieben deutliche Reserven hinsichtlich der Bruch-
sicherheit.
6 ZUSAMMENFASSUNG
Eine Trägerrostberechnung bei einem mehrzelligen geschlossenen Hohlkasten ist vorsichtig und
kritisch zu bewerten. Insbesondere bei den Randträgern treten Seiteneffekte auf, die in ihren
Auswirkungen nur schwer durch geeignete Gegenmaßnahmen zu kompensieren sind.
Bei der genaueren Betrachtung hat sich gezeigt, dass die Berechnungsansätze der Ursprungsstatik
aus dem Jahre 1956 basierend auf den damals gültigen Lastannahmen weitgehend zutreffend waren.
Zusätzliche damals getroffene Annahmen hinsichtlich einer globalen Lasterhöhung der
Verkehrslasten zur Berücksichtigung der Lastexzentrizitäten stellen heute stille Reserven dar. Die
Ausführung des Überbaus mit „voller Vorspannung“ erweist sich im Hinblick auf den Zustand der
Brücke als ausgesprochen robust. Der Überbau ist quasi frei von Rissen und die Bruchsicherheit
verfügt über Reserven. Bei den Brückenuntersuchungen vor Ort konnte dem Bauwerk für sein Alter
ein erstaunlich guter Zustand bestätigt werden und aufgrund der genaueren Berechnung wurden die
zunächst vermuteten Bedenken bezüglich vorhandener Tragfähigkeitsdefizite entkräftet.
7 LITERATUR
[1] www.deutsche-bruecken.de
[2] WINGRAF – Grafische Darstellung Finiter Elemente und Stabwerke, SOFiSTiK AG