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Berichte & Studien: Osttimor und die Krise des indonesischen Vielvölkerstaates in der ... ·...

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Berichte & Studien Osttimor und die Krise des indonesischen Vielvölkerstaates in der Weltpolitik Peter L. Münch-Heubner Akademie für Politik und Zeitgeschehen Hanns-Seidel-Stiftung eV
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Osttimor und die Krisedes indonesischenVielvölkerstaates in der Weltpolitik

Peter L. Münch-Heubner

Akademiefür Politikund Zeitgeschehen

Hanns-Seidel-Stiftung eV

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Osttimor und die Krise des indonesischen Vielvölkerstaates in der Weltpolitik

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Berichte und Studien der Hanns-Seidel-Stiftung e.V.München

Band 82

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Osttimor und die Krise desindonesischen Vielvölkerstaatesin der Weltpolitik

Peter L. Münch-Heubner

Akademiefür Politikund Zeitgeschehen

Hanns-Seidel-Stiftung eV

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ISBN 3-88795-214-6 2000 Hanns-Seidel-Stiftung MünchenVorsitzender: Alfred Bayer, Staatssekretär a.D.Hauptgeschäftsführer: Manfred Baumgärtel

Verantwortlich für Publikationen, Presse- und Öffentlichkeitsarbeitder Hanns-Seidel-Stiftung: Burkhard Haneke

Redaktion:Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-StiftungDr. Reinhard C. Meier-Walser (Chefredakteur)Wolfgang D. Eltrich M.A. (Redaktionsleiter)Barbara Fürbeth M.A. (stellv. Redaktionsleiterin)Irene Krampfl (Redaktionsassistentin)

Druck: Bosch-Druck GmbH, LandshutKein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung der Redaktion reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Das verwendete Papier ist chlor- und säurefrei.

Über den Autor:

Dr. Peter L. Münch-Heubner, 40, Studium der Geschichte, Politikwissen-schaft und Orientalistik. Mehrjährige wissenschaftliche Tätigkeit an derLudwig-Maximilians-Universität München und der Universität der Bundes-wehr München/Neubiberg. Arbeitet heute als Publizist und freier Journalistfür verschiedene Tages- und Wochenzeitungen. Autor mehrerer Studienüber den australisch-südwestpazifischen Raum.

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Inhaltsverzeichnis

A. Vorwort 9

B. Zusammenfassung 10

C. Einführung 13

I. Der Konfliktgegenstand: Osttimor1. Die Eskalation des Konfliktes Mitte 1999:

Volksabstimmung – Bürgerkrieg – UN-Intervention 172. Geschichte und Bevölkerung 213. Geschichte und Religion als identitätsstiftende Faktoren 234. Die Invasion vom November/Dezember 1975 27

II. Regionale und außerregionale Akteure im Osttimor-Konflikt1. Indonesien: Der zentralistische Vielvölkerstaat 321.1 Der Javazentrismus 331.1.1 Der Javazentrismus und seine Ursprünge 341.1.2 Unabhängigkeit und Nationsbildungsprozess 361.2 Der javanische Expansionismus 371.2.1 Irian-Yaya 1963: Der Präzedenzfall für Osttimor? 381.2.2 Der Dschungelkrieg auf Borneo 1963–1965 39

2. Die neue „Regionalmacht“ Australien 412.1 Australiens regionale Sicherheitskonzeption 432.2 Indonesien und Osttimor in den sich verändernden regionalen

Sicherheitskonzeptionen Australiens 462.2.1 Indonesien und Australien: Die schwierige Nachbarschaft 472.2.2 Australien und die Annexion Osttimors 512.3 Die Wende in der australischen Osttimor-Politik:

Das australisch-indonesisch-osttimoresische Beziehungsdreieck im Wandel 54

2.3.1 Australiens neue Rolle in Südostasien: Indonesien inden sicherheitspolitischen Konzeptionen der 90er-Jahre 56

2.3.2 Australien, die UN und Osttimor 59

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3. Die USA und die osttimoresische Unabhängigkeit 613.1 Die Politik der Groß-, Pazifik- und Regionalmacht USA

in Südostasien 643.2 Die USA, Indonesien und Osttimor 683.2.1 Die wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen

der USA im Malaiischen Archipel 683.2.2 Die USA und die „territoriale Integrität“ des indonesischen

Vielvölkerstaates 703.3 Die USA und die indonesische Armee 743.4 Die amerikanische Indonesienpolitik im Spannungsfeld

zwischen Sicherheit und Menschenrechten 76

4. Die ehemalige Kolonialmacht Portugal 814.1 Portugal, Osttimor und die Vereinten Nationen 834.2 Portugal, Osttimor und Indonesien 884.3 Portugal, Osttimor und Australien 90

5. Die ASEAN-Staaten: Das unabhängige Osttimor als Unsicherheitsfaktor 91

5.1 Die ASEAN und die Furcht vor der Balkanisierung Südostasiens 94

5.2 Indonesien: Der Kopf der ASEAN und Motor bzw. Gestalter ihrer Politik? 96

5.3 Die ASEAN und der neue osttimoresische Staat 100

6. Die Volksrepublik China: Akteur oder Zuschauer? 101

7. Europa und Deutschland: Periphere Faktoren in der Osttimor-Frage 104

7.1 Europa und Osttimor 1047.2 Das deutsche Interesse an Osttimor 1077.3 Deutschlands „neue“ Verantwortung im „internationalen System

der Friedenssicherung“ am Beginn des 21. Jahrhunderts? 111

III. Das südostasiatisch-südpazifische Umfeld des neuen Staates Osttimor: Eine Region im Umbruch

1. Die neue australisch-amerikanische Sicherheitspartnerschaft 1151.1 Die amerikanisch-australische Allianz und Südostasien:

Pax Americana oder Pax Australis? 115

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1.2 Die weitere Annäherung der amerikanischen und australischenInteressenlagen im Malaiischen Archipel 117

1.3 Die neue Bedeutung Australiens für die amerikanischeSicherheitspolitik 118

1.4 Australien, die USA und der wankende Riese im Archipel 121

2. Der politische Islam als Faktor in der Politik Südostasiens 1232.1 Islam und Staat in Indonesien 1272.1.1 Die Besonderheiten des indonesischen Islams 1292.1.2 Modernistischer und traditioneller Islam 1322.1.3 Der politische Islam und die Krise des Indonesien

der „Neuen Ordnung“ 1352.1.4 Der fragmentierte indonesische Islam 1362.2 Die Rolle des Islams im Prozess der Transformation

der politischen Ordnung: Islam und Demokratie in Indonesien 139

3. Demokratisierung und Föderalisierung in Südostasien 1403.1 Die Krise der „Asiatischen Werte“ 1403.2 Föderalismus als Lösungsmodell für die Probleme

des indonesischen Vielvölkerstaates? 145

IV. Der neue osttimoresische Staat und seine Zukunftsperspektiven

1. Osttimor und Indonesien 1521.1 Unsicherheitsfaktor TNI: Vergangenheitsbewältigung

als Grundlage neuer Beziehungen? 1521.2 Die politische Macht der indonesischen Armee 155

2. Osttimor und die UN: Die neue Rolle der Vereinten Nationen 157

3. Die wirtschaftliche Zukunft Osttimors 159

D. Ergänzende Literatur und Quellen zu einzelnen Themenbereichen 161

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A. Vorwort

Für die Anregung zum Thema der vorliegenden Studie möchte ich mich aufdas Herzlichste bei Herrn Dr. Reinhard C. Meier-Walser, dem Leiter derAkademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, be-danken.

Für die Durchführung dieser Studie über das Osttimor-Problem war dieHilfe der Informations- und Dokumentationsstelle der Hanns-Seidel-Stif-tung von besonderer Bedeutung. Mein Dank gilt hierbei im BesonderenFrau Monica H. Forbes M.A., die die Internet-Recherchen für dieses Projektanleitete und mich in dieses neue Medium einführte. Frau Margaritha Huthsei ebenfalls für ihre Unterstützung bei den Presserecherchen gedankt.

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B. Zusammenfassung

Osttimor: „Der Anfang vom Ende?“1 In einer solchen oder ähnlichen Formwird bislang der Loslösung der früheren portugiesischen Kolonie aus demindonesischen Staatsverband, in den sie 1976 zwangsintegriert wordenwar, die Rolle der Ursache der Destabilisierung des Vielvölkerstaates derRepublik Indonesien zugewiesen. Doch scheint die Unabhängigkeit dieseskleinen Landes nicht nur in Indonesien selbst Spuren hinterlassen und etwaden Separationsbestrebungen anderer Volksgruppen dort Auftrieb gegebenzu haben. Auch auf der Ebene der internationalen Politik sorgte das Schick-sal von 800.000 Timoresen für Aufsehen – und für Missstimmungen:

Osttimor als Auslöser einer Krise in den australisch-indonesischen, ja denaustralisch-asiatischen Beziehungen generell, als Grund für Verstimmungenzwischen den Staaten der ASEAN und der EU, Osttimor als Zankapfelzwischen Washington und Peking, als Problem der US-amerikanischenAsienpolitik, ja als Auslöser eines „Konflikts der Kulturen“ des Westens unddes Fernen Ostens; das alles zeigte, dass die Auseinandersetzung umdieses Territorium von der Größe Schleswig-Holsteins Mitte letzten Jahresweltpolitische Dimensionen erreicht hatte.

Doch hat die Osttimor-Krise weder auf regionaler noch auf internationalerEbene bis dahin ruhende Steine ins Rollen gebracht. Der Erfolg der ost-timoresischen Unabhängigkeitsbestrebungen beschleunigte in Indonesienselbst vielmehr lediglich jene zentrifugalen Kräfte, die in diesem multi-ethnischen Staatsverband als Reaktion auf die Dominanz einer einzigenEthnie schon lange am Wirken waren. Und so waren der Sturz Suhartos imMai 1998 in der Folge der Wirtschaftskrise der sog. „Tigerstaaten“ und derdann einsetzende Demokratisierungsprozess jene Ereignisse, die diegegenwärtigen Prozesse katalysierten. Der Osttimor-Konflikt war daher inseinem Charakter der offensichtlich gewordene Ausdruck von Problemen,deren Wurzeln weit in die indonesische Geschichte zurückreichen. Das giltauch für die Ursachen der interkonfessionellen Auseinandersetzungen aufden Molukken. Zwar fühlen sich die dortigen christlichen Minderheitendurch das Beispiel des erfolgreichen Unabhängigkeitskampfes der katho-lischen Osttimoresen in ihrer Hoffnung bestärkt, auch für sich selbst mehrEigenbestimmung erfechten zu können. Doch ist jener „politische Islam“,

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1 Jetschke, Anja: Der Anfang vom Ende. Indonesien nach Ost-Timor, in: Internatio-nale Politik, Nr.1/2000, S. 38.

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den z.B. die auf Ambon lebenden Christen wie zuvor die Osttimoresen alsBedrohung wahrnehmen, schon seit langem ein Faktor in der Innenpolitikdes Vielvölkerstaates, mit dem sich schon Sukarno beschäftigen musste.

Auch was das Verhältnis Jakartas zu seinen unmittelbaren Nachbarn an-betraf, schuf der Osttimor-Konflikt keine grundlegend neuen Konstellatio-nen: Traditionell auf der Seite Indonesiens standen und stehen die anderenASEAN-Partnerstaaten, die selbst mit unruhigen und nach staatlicherEigenständigkeit strebenden Minderheiten und Volksgruppen auf ihrenStaatsgebieten zu kämpfen haben.

Auch dem Verhältnis zu Australien hat die „gegenwärtige Krise in Ost-Timor“ allein keinen so „schweren Schaden zugefügt“, wie Heribert Dieterfeststellen zu können glaubt.2 Denn die Beziehungen zwischen diesenbeiden Ländern konnten sich, wie Richard Baker konstatierte, vor allenDingen in der Gesamtschau ihrer fünfzigjährigen Geschichte hier lediglich„vom Schlechten zum Schlechteren“3 wenden. So hat die Aufkündigungdes australisch-indonesischen Sicherheitsvertrags durch Jakarta – erfolgtam 16. September des letzten Jahres – die Politik in Canberra kaum be-unruhigt. Auch hatte der fünfte Kontinent 1976 die Annexion Osttimorsnicht etwa aus einem freundschaftlichen Verhältnis zu seinem Nachbarnheraus anerkannt, sondern aus Gründen, die auf dem Meeresboden derTimorsee zu finden sind.

Grundlegend gewandelt haben sich in den letzten Jahrzehnten hingegendie weltpolitischen Konstellationen, die die Rahmenbedingungen für die„Osttimor-Frage“ dargestellt haben. Die Rolle, die die Insel und die Unab-hängigkeitsbestrebungen ihrer Bewohner in den geostrategischen, sicher-heits- und menschenrechtspolitischen Konzeptionen der USA gespielthaben, ist nicht von derjenigen Indonesiens in der Weltpolitik und im Ost-West-Konflikt zu trennen. So haben die Vereinigten Staaten 1975/76 imRahmen ihrer Politik der „Schadensbegrenzung“ nach dem Zusammen-bruch in Indochina und angesichts der damit verbundenen größeren geo-strategischen Wichtigkeit Indonesiens dessen Griff nach der damaligen

2 Dieter, Heribert: Australien und Asien. Bündnispartnerschaft auf die Probegestellt, in: Internationale Politik, 1/2000, S. 36.

3 Baker, Richard W.: Indonesia-Australia: Relations Moving from Bad to Worse.Pacific Forum CSIS: Comparative Connections. An E-Journal on East AsianBilateral Relations; http://www.csis.org/pacfor/cc/993Qindo_aus.html (Abgerufenam 20.12.1999).

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portugiesischen Kolonie hingenommen bzw. hinnehmen müssen. Heutehingegen kommt dem instabilen Vielvölkerstaat im Malaiischen Archipelnicht mehr jene als „exklusiv“ zu bezeichnende Bedeutung für die Geostra-tegen im Pentagon zu wie noch vor 25 Jahren.

Auch die Vereinten Nationen haben noch in den 60er-Jahren dem indo-nesischen Expansionismus in der Region Vorschub geleistet, indem sie dieÜbernahme von Holländisch-Neuguinea durch Jakarta zu einem Akt derEntkolonisierung machten und dabei einen „Präzedenzfall“ für Osttimorschufen. Im Falle Osttimors aber sekundierten die UN später dem „Java-nischen Expansionismus“ dann nicht mehr. Jetzt wurde Indonesien als„Kolonialmacht“ gebrandmarkt. Unterschiedliche weltpolitische Konstel-lationen bewirkten auch auf dieser Ebene jeweils unterschiedliche Beur-teilungen von an sich ähnlichen Vorgängen.

Durch die Auflösung der bipolaren Weltordnung waren zum Nachteil Indo-nesiens auf vielen Ebenen aus früheren Interessengegensätzen, von derenAusnutzung es profitieren konnte, Interessenkonvergenzen geworden, wäh-rend der südostasiatische Staat nunmehr selbst ins politische Abseitsgeriet.

All diese Veränderungen ebneten Osttimor auf internationaler Ebene denWeg in die Eigenstaatlichkeit.

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C. Einführung

Als der im Oktober 1999 neugewählte indonesische StaatspräsidentAbdurrahman Wahid Anfang Februar 2000 Deutschland besuchte, kam ernicht zuletzt auch, um für „dringend benötigte Investitionen in seinemLand“ zu „werben“.4 Zwar ging fast zur gleichen Zeit der Indonesien-Spre-cher der deutschen Wirtschaft im Asien-Pazifik-Ausschuss davon aus,dass die Zeit für deutsche „Großinvestitionen“ in dem von der Krise desJahres 1997 besonders schwer betroffenen südostasiatischen Staat nochnicht reif sei5, und das Inselreich war schon in der Vergangenheit auch als„Boomland“ nicht der wichtigste Handelspartner Deutschlands in derASEAN-Region sowie auch als Investitionsstandort für deutsche Kapital-anleger weniger interessant als Malaysia oder Singapur.6

Doch mittlerweile wagen nun im neuen Jahrtausend immer mehr deutscheUnternehmen und Kapitalanleger den „Sprung nach Indonesien“.7Auch aufeiner Tagung des German Centre for Industry and Trade in Jakarta wurdeAnfang Februar 2000 betont, dass für „ausländische Investoren“ aufgrundder Entwicklungsfähigkeit des Marktes des größten ASEAN-Staates „be-rechtigterweise“ Grund zur Zuversicht bestehe.8 So werden gegenwärtigdie Schätzungen bezüglich des dort zu erwartenden Wirtschaftswachstumsimmer mehr nach oben korrigiert: Prognostizierten so die deutschen Aus-landshandelskammern für Indonesien für das Jahr 2000 vor kurzem einBIP-Wachstum von zwei Prozent,9 so geht der IWF nun davon aus, dass„die indonesische Wirtschaft … im laufenden Jahr stärker wachsen“ wird„als die bislang erwarteten 3 bis 4%“.10 Angesichts eines auch von ihmselbst gewürdigten „ehrgeizigen“ Programmes „zur Belebung der Wirt-

13

4 Yahoo! Schlagzeilen, Deutschland; dpa: Schröder trifft Wahid; Freitag, 4. Februar2000; http://de.news.yahoo.com/000204/4/jabs.html (Abgerufen am 8.2.2000).

5 Jakarta wartet auf Wirtschaftserfolge, in: Handelsblatt, 18./19.2.2000.6 Siehe auch unter dem Kapitel „Europa und Deutschland.“7 Große Fortschritte, in: Wirtschaftswoche, 6.4.2000.8 German Centre for Industry and Trade: GERMANews: Critical Market Trends

in Recovering Indonesia, 04 Feb 2000; http://www.germancentre.co.id/dbs...anews_showarticlepv.asp?ItemID=74 (Abgerufen am 24.2.2000).

9 Deutsche Auslandshandelskammern; Indonesien: Wirtschaftsdaten;http://www.ahk.de/de/id/business.data.html (Abgerufen am 24.2.2000).

10 IWF erwartet höheres Wachstum in Indonesien, in: Handelsblatt, 15.3.2000.

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schaft“ hatte der Internationale Währungsfonds der Regierung in JakartaAnfang Februar einen Kredit „in Höhe von fünf Mrd. USD“ gewährt.11

Doch gewisse Unsicherheiten sind nach den Einbrüchen des Jahres 1997zurückgeblieben. Und auch wenn sich deutsche Baustoffkonzerne wie dieHeidelberger Zement AG in Indonesien engagieren wollen12, auch wennsich deutsche Maschinenhersteller über einen neuen Absatzboom dortfreuen und Firmen wie LJ Elektronik ihren Umsatz „in diesem Jahr glatt …verdoppeln“ wollen13, so geht doch die Weltbank davon aus, dass es inganz Südostasien noch „mehrere Jahre dauern“ wird, bis die dortigenVolkswirtschaften wieder das Leistungsniveau der Vorkrisen-Jahre erreichthaben werden.14 Und vor allen Dingen Indonesien macht dem IWF nundoch wieder Sorgen, da die hier von ihm angemahnten Reformen, die mehr„Transparenz“ in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik schaffen sollen, „nichtso schnell“ vorankommen, wie es wünschenswert wäre.15 Und auch wenn,nachdem die ausländischen Direktinvestitionen 1999 einen Tiefststanderreicht haben, für das Jahr 2000 wieder mit einem stärkeren Kapital-zustrom gerechnet wird, so ist gegenwärtig noch nicht einmal das vor derKrise zurückgewichene „Fluchtkapital“ zurückgekehrt.16

Zu den politischen Rahmenbedingungen, die für ein Anhalten der wirt-schaftlichen Erholung und einen (Wieder-)Aufschwung im Lande von Be-deutung sind, zählen, wie andernorts auch, Stabilität und Berechenbarkeit.Doch um die ist es im Malaiischen Archipel zu alledem auch nicht gutbestellt. Die Rufe nach einem „Heiligen Krieg“ gegen die christlichen Glau-bensgruppen auf den Molukken wollen nicht verstummen, seit dort – vordem Hintergrund sozialer Spannungen – ein regelrechter Religionskriegzwischen Christen und Muslimen ausgebrochen ist.17 Und die destabilisie-rende Wirkung dieser interkonfessionellen Unruhen in den Ostprovinzen der

14

11 Yahoo! Finanzen, Deutschland; vwd/AFP: IWF gewährt Indonesien Kredit in Höhevon fünf Mrd. USD, Montag, 7. Februar 2000; http://de.biz.yahoo.com/000207/34/jg8s.html (Abgerufen am 8.2.2000).

12 Heidelberger Zement plant strategische Expansion in Asien, in: Handelsblatt,18./19.2.2000.

13 Große Fortschritte.14 Die Weltbank gibt Asien gute Noten, in: Handelsblatt, 27.3.2000.15 Der IWF bleibt in Südostasien in der Pflicht, in: Handelsblatt, 9.3.2000.16 Jakarta verspielt den Wirtschaftsaufschwung, in: Handelsblatt, 25.4.2000.17 5.000 Protesters Threaten A Holy War in Moluccas, in: International Herald

Tribune, 7.4.2000.

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Indonesischen Republik droht immer mehr auf die benachbarten Gebieteüberzugreifen, wo, wie auf den Südinseln der Philippinen, ähnliche Kon-fliktpotenziale vorhanden sind. Das Beispiel der Terrorgruppe Abu Sayyafund ihrer Aktionen zeigt gerade gegenwärtig wieder, wie schnell die vielenlokalen Konfliktherde zu einem den gesamten Archipel zwischen Asien undAustralien erfassenden Flächenbrand zusammenwachsen könnten.18

Der größte Staat Südostasiens ist von jenem Zustand der Stabilität, wie ihnMatthias Kamp in der Wirtschaftswoche erkennen zu können glaubte, nochein gutes Stück entfernt. Die Lage im Vielvölkerstaat zeichnet sich vor allenDingen deswegen immer noch durch politische Unberechenbarkeit aus,weil die von Kamp angeführten Gründe für dessen etwaige erfolgreicheStabilisierung durch den Reformpräsidenten Wahid so nicht gegeben sind.So sind die nach Unabhängigkeit strebenden Volksgruppen im Archipel wiedie der Achinesen noch lange nicht befriedet. Und die Gefahr eines Militär-putsches ist ebenfalls nicht definitiv abgewendet. Eben aus diesem Grundbefindet sich auch der von Daniel Kestenholz in der Welt so bezeichneteProzess der „Vergangenheitsbewältigung“19, d.h. der nicht nur juristischenAufarbeitung der in den letzten Jahrzehnten von Teilen der Streitkräftedurchgeführten ethnischen Säuberungen und der an Oppositionellenbegangenen Verbrechen, noch in der Schwebe. Und zu diesem Komplexder „Vergangenheitsbewältigung“ zählt auch das ‘Kapitel Osttimor’.

Der Reformpräsident will den Prozess der Wiederaussöhnung zwischenden Völkern des Archipels vorantreiben, und so hat die indonesische Justizversprochen, den Osttimoresen „Gerechtigkeit“ widerfahren zu lassen.20 ImFalle der „Armeevergehen“ in der Provinz Aceh stehen jetzt die erstenAngeklagten vor Gericht21, und Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman hatein Ermittlungsverfahren gegen den Altpräsidenten Suharto eingeleitet.22

Indonesien will seine Vergangenheit vom Anbeginn seiner Präsidentschaftan „bewältigen“. Der Fall Osttimors zeigt aber, dass das Kapitel der Auf-arbeitung der neueren indonesischen Geschichte kein internes, innenpol-itisches Problem ist, sondern internationale Bedeutung erreicht.

15

18 Zu Abu Sayyaf siehe u.a.: Palette der Gewalt. Moslem-Kämpfer von Abu Sayyafwollen einen eigenen Staat, in: Frankfurter Rundschau, 26.4.2000.

19 Die Angst vor Kommunismus spaltet Indonesien, in: Die Welt, 14.4.2000.20 Annan will kein Tribunal für Osttimor einrichten, in: Handelsblatt, 17.2.2000.21 Indonesien stellt Soldaten wegen Massakers in Aceh vor Gericht, in: Die Welt,

20.4.2000.22 Suharto soll nicht länger verschont bleiben, in: Die Welt, 8.3.2000.

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Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.8.1999F.A.Z. -- Grafik Heumann/F.A.Z. -- Karte Sieber

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I. Der Konfliktgegenstand: Osttimor

1. Die Eskalation des Konfliktes Mitte 1999: Volksabstimmung – Bürgerkrieg – UN-Intervention

Am 30. August 1999 votierten die Einwohner von Osttimor in einemReferendum für die Loslösung von Indonesien. Gefragt, ob sie den von derRegierung in Jakarta vorgeschlagenen „besonderen“ Autonomiestatus fürihre Provinz „innerhalb des Unitarischen Staates der Republik Indonesien“„akzeptieren“ oder sich für eine „Separation von Indonesien“23 ausspre-chen würden, entschieden sich 78,5% der Osttimoresen für die zweiteOption.

Die auf diese Entscheidung folgende Welle der Gewalt, mit der proindo-nesische Milizen das Land überzogen, zwang die Vereinten Nationen am15. September zum militärischen Eingreifen. Die internationale Völker-gemeinschaft war mit der Osttimor-Frage schon seit langem befasst: 1976hatte sie die Annexion der portugiesischen Kolonie durch Indonesien nichtanerkannt und seither in mehreren Resolutionen für völkerrechtswidrigerklärt. Seit Juli 1983 bemühten sich die Generalsekretäre der UN in densog. „Dreiparteiengesprächen“ mit Regierungsvertretern der ehemaligenKolonialmacht Portugal, die „de jure“ weiterhin die Hoheitsrechte über dasTerritorium ausübte, und der „Besatzungsmacht“ Indonesien um eine„gerechte, umfassende und international hinnehmbare Lösung der Ost-timor-Frage.“24

Neben die Außenministertreffen unter der Ägide der UN traten im Juni 1995auf Burg Schlaining in Österreich die Gespräche des „All-inclusive Intra-East Timorese Dialogue (AIETD)“, die allerdings kein „paralleles Gleis“ zum„Dreiparteien-Verhandlungsprozess“ darstellen, sondern ein „Forum“ seinsollten, auf dem die Osttimoresen „aller Schattierungen der politischen

17

23 United Nations. General Assembly/Security Council: Question of East Timor:Agreement between the Republic of Indonesia and the Portuguese Republic onthe question of East Timor; Annex II; B. Question to be put before the voters; UN,A/53/951, S/1999/513, 5 May 1999, S. 24.

24 Agreement between the Republic of Indonesia and the Portuguese Republic onthe question of East Timor, Annex I, S. 4.

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Meinungen“ ihre Vorstellungen über die Zukunft ihres Landes vortragenkonnten.25

Die „Burg Schlaining Declaration“ des Jahres 1996 visierte aber auchschon „praktische Maßnahmen“ zur Wahrung der „Kultur, der Sprache, derGebräuche und der Tradition des Territoriums“ an.26

Der Sturz Suhartos im Mai 1998 ließ dann in den Reihen des DecolonizationCommittee der UN die Hoffnung aufkommen, dass „der Geist der Reform,der Indonesien durchströmt“, innerhalb der Regierung in Jakarta auch die„Bereitschaft“ fördert, „einen neuen Standpunkt“ Osttimor gegenübereinzunehmen.27

Tatsächlich kündigte der neue indonesische Präsident Habibie dann imJanuar 1999 an, die Bevölkerung der Provinz in einem Referendum überden künftigen Status ihrer Heimat abstimmen zu lassen. Im indonesisch-portugiesischen Übereinkommen vom 5. Mai 1999 wurde dann das Pro-zedere für eine solche Volksabstimmung festgelegt.

Einen „historischen Durchbruch“ nach sechzehn Jahren fruchtloser Ver-handlungen stellte dabei Habibies Zusage dar, im Falle einer Ablehnungdes von ihm vorgelegten Verfassungsentwurfs für eine „Special Auto-nomous Region of East Timor (SARET)28 „alle verfassungsmäßigen Schrittezur Auflösung“ aller „Bindungen mit Osttimor einzuleiten, um somit den vonOsttimor bis zum 17. Juli 1976 gehaltenen Status … wiederherzustellen.“29

18

25 United Nations: Press Release, 20 October 1997, SG/2040: Third All-inclusiveIntra-East Timorese Dialogue begins in Austria; http:// www.un.org/peace/etimor/1997pr/sg2040.htm (Abgerufen am 18.10.1999).

26 United Nations: Press Release, 22 March 1996 SG/2021: Intra-East TimoreseDialogue adopts ‘1996 Burg Schlaining Declaration’; Calls for continuing talks;http://www.un.org/peace/etimor/1996pr/sg2021.htm (Abgerufen am 18.10.1999).

27 United Nations: Press Release, 2 July 1998 GA/COL/2985: Decolonization Com-mittee is told Spirit of Reform in Indonesia should lead to Fresh Look at Situationof East Timor; http://www.un.org/peace/etimor/1998pr/gaco2985.htm (Abgerufenam 18.10.1999), S. 1.

28 Siehe: Agreement between the Republic of Indonesia and the Portuguese Repu-blic on the question of East Timor, Appendix.

29 Ebenda, Article 6.

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Doch schon nach der Aufstellung der United Nations Mission in East Timor(UNAMET) – die ihr Mandat durch die UN-Resolution 1246 vom 11. Juni1999 erhalten hatte und die für einen reibungslosen Ablauf der Volks-abstimmung sorgen sollte – beklagte man in New York fortlaufende indo-nesische Verstöße gegen das Abkommen vom 5. Mai. So gefährdeten nacheinem Bericht des UN-Generalsekretärs vom 22. Juni die gewalttätigenÜbergriffe der Milizen der Prointegrationisten, d.h. der Befürworter derAnnexion Osttimors, die allgemeine „Sicherheitslage“. Die offensichtlicheUnterstützung, die diese Milizen von „Elementen“ der indonesischen ArmeeTNI (Tentara Nasional Indonesia) erhielten, wurde in diesem Bericht eben-falls schon hervorgehoben.30

Am 9. August meinte Annan noch, dass die Zusammenarbeit von UNAMETund TNI zur „Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung“ „gut“ verlaufe.31

Doch die nach der Bekanntgabe des Ergebnisses des Referendumseskalierende Gewalt führte im UN-Sicherheitsrat zu der Überzeugung, dassjene Bestimmungen der Übereinkunft vom 5. Mai, die die für die „Interims-phase“ zwischen Abstimmung und Unabhängigkeit fortdauernde „Ver-antwortlichkeit“ Indonesiens für Sicherheit und Ordnung betrafen, einer„Ergänzung“ bedurften. Auch nach Ansicht von US-Präsident Bill Clintonwaren die indonesischen Streitkräfte „verantwortlich“ für das „systema-tische Dahinmorden“ der Zivilbevölkerung, ganz gleich ob sie selbst bzw.„Elemente des Militärs … das, was geschehen ist, unterstützt haben“32

oder – wie Jakarta vorgab – „ nicht in der Lage“33 waren, die Situation unterihre „Kontrolle“ zu bringen.

19

30 United Nations, Security Council, S/1999/705, 22 June 1999: Question of EastTimor. Report of the Secretary -General.

31 United Nations, S/1999/862, 9 August 1999; Question of East Timor, Report ofthe Secretary-General; http://www.un.org/peace/etimor/9923160e.htm (Abgeru-fen am 14.10.1999).

32 The White House, Office of the Press Secretary, Christchurch, New Zealand,September 15, 1999: Press Conference of President Clinton and New ZealandPrime Minister Shipley;http://www.usia.gov/regional/ea/timor/nzpressc.htm (Abgerufen am 25.10.1999),S. 5.

33 The 211 Million Gentle People of Indonesia: The Realities of East Timor. wysi-wyg://252/http://members.trip...imor-east/ramoshortacomment1.html (Abgerufenam 18.10.1999), S. 16.

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Für die Weltorganisation ging es nach Einschätzung von Beobachtern zudiesem Zeitpunkt aber schlichtweg schon um ihre „Glaubwürdigkeit“, da„Indonesien … Schlitten mit den UN“ gefahren sei.34

Am 15. September beschloss der Sicherheitsrat daher die Entsendungeiner „multinational force“ (INTERFET) zur „Wiederherstellung von Friedenund Sicherheit“ und um „UNAMET bei der Ausführung ihrer Aufgaben zuschützen und humanitäre Hilfsaktionen zu erleichtern“. Er „autorisierte“ dieStaaten, deren Soldaten an dieser „International Force for East Timor“ teil-nehmen sollten, dazu, „alle zur Erfüllung dieses Mandats notwendigenMaßnahmen zu ergreifen“.35

Nach dem am 1. November 1999 abgeschlossenen Rückzug der TNI sowiedem Abzug der INTERFET-Einheiten im Februar 2000 hat nun „Phase III“der Übergangsregelungen für Osttimor begonnen. Die „Hoheitsgewalt“über das Territorium üben nun die Vereinten Nationen aus. Die von ihnennun eingesetzte und aufgebaute „Übergangsverwaltung für Osttimor“(UNTAET: United Nations Transitional Administration in East Timor)36 soll ineiner vom UN-Generalsekretär am 4. Oktober 1999 noch auf ca. zwei bisdrei Jahre angesetzten Zeitspanne die Zivilverwaltung in dem völlig zer-störten Land aufbauen und, ausgestattet mit einem „robusten Mandat“,den Aufbau einer rechtsstaatlichen Ordnung und einer parlamentarischenDemokratie auf der Insel in die Wege leiten. Das weitgesteckte Ziel vonUNTAET ist es jetzt, in Osttimor ein neues Rechtssystem, politische Institu-tionen und einen Polizeiapparat sowie die wirtschaftlichen Grundlagen füreine „soziale Rekonstruktion“ des Landes zu schaffen.

Doch ob die Vereinten Nationen mit diesem Programm wirklich Erfolghaben werden, hängt letztlich mit den Entwicklungen und der Stabilität inder gesamten Region und vor allen Dingen mit den Hintergründen der „Ost-timor-Frage“ selbst zusammen. Denn die Wurzeln dieses Konflikts reichen

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34 Eine angekündigte Katastrophe, in: Frankfurter Rundschau, 8.9.1999.35 United Nations, S/RES/1264 (1999): Resolution 1264 (1999). Adopted by the

Security Council at its 4045th meeting, on 15 September 1999; http://srch.un.org:80/plweb-cgi/f...plateName=predoc.tmpl&setCookie=1 (Abgerufenam 14.10.1999), S. 2.

36 Vgl: United Nations; S/1999/1024: Report of the Secretary-General on the situa-tion in East Timor, 4 October 1999; http://www.un.org/peace/etimor/sg1024.htm(Abgerufen am 14.10.1999).

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weit in die Geschichte zurück. Dem europäischen Beobachter verschließensich angesichts der Gräueltaten der Prointegrationisten zumeist dessenvielschichtige Dimensionen, die sich nicht so einfach auf eine Auseinander-setzung „Osttimoresen contra Indonesier“ reduzieren lassen. Denn schondem Ethnologen stellt sich a priori die Frage: Was sind Indonesier und wassind Osttimoresen?

2. Geschichte und Bevölkerung

Mit seinen 14.874 Quadratkilometern Fläche ist Osttimor nicht sehr vielgrößer als ein bayerischer Regierungsbezirk.37 Auf dieser Fläche lebtennach letzten Schätzungen – der letzte Zensus wurde im Jahre 1950 er-hoben, die letzten „offiziellen“ Einwohnerzahlen stammen aus dem Jahre1970 – kurz vor dem Referendum ca. 800.000 Menschen.38 (siehe Karte auf S. 16)

Den letzten von der portugiesischen Kolonialmacht vor dreißig Jahrenveröffentlichten Zahlen zufolge waren damals noch 98,4% der EinwohnerOsttimors „Timoresen“39. Seit 1976 wanderten nach Angaben der neuen„Besatzungsmacht“ ca. 150.000 „Indonesier“ zu. Das bedeutet, dass durchdie von der Regierung in Jakarta in ganz Indonesien verfolgte Politik der„Transmigration“, d.h. der zielgerichteten „Umsiedlung von Indonesiern“40,d.h. in erster Linie von Javanern in zumeist von nicht-javanischen Völkernbewohnte Teile der Inselrepublik, der Anteil der nicht-timoresischen Be-völkerung von 1,6% 1970 auf ca.19% 1999 angestiegen ist.

Doch diese häufig angeführten Zahlen führen noch nicht zum Kern desProblems. Denn der von der Unabhängigkeitsbewegung geführte Kampf

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37 Aus unerfindlichen Gründen gibt Roderich Ptak die Fläche Osttimors mit „knapp19.000“ Quadratkilometern an. Auch die gesamte Insel Timor ist ein wenig größerals jene von ihm geschätzten „rund 30.000“ Quadratkilometer. (Ptak, Roderich:Osttimor, in: Dahm, Bernhard; Ptak, Roderich (Hrsg.): Südostasien-Handbuch.Geschichte, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur, München 1999, S. 285).

38 Ost-Timor entscheidet über seine Zukunft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,30.8.1999, S. 11.

39 Hiorth, F.: Timor: Past and Present; South East Asian Monographs, No. 17, JamesCook University of North Queensland, 1985, S. 13.

40 amnesty international: Indonesien und Osttimor. Kein Paradies für Menschen-rechte, 2. Auflage, Bonn 1995, S. 55.

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um die Erhaltung der kulturellen Identität Osttimors und die in den letztenzwei Jahrzehnten von Jakarta unternommenen Versuche, eben diese Kul-tur zu schwächen, könnten auf den ersten Blick auf einen rein ethnischenKonflikt hindeuten. Doch in Wirklichkeit gibt es keine „Indonesier“ undkeine „Timoresen“ in dem Sinne, wie es in Europa Deutsche, Franzosenoder Italiener gibt.

Die häufig anzutreffende Klassifizierung der „Timoresen“ als „austrone-sische Mischbevölkerung“41 stiftet mehr Verwirrung, als dass sie Klarheitschafft, denn auch die meisten der Bürger Indonesiens sind Austronesen.Der Begriff „Austronesier“ ist ein Sammelbegriff, unter dem alle indone-sischen bzw. malaiopolynesischen, polynesischen und melanesischenSprachgruppen und damit insgesamt nach Hiorth mehr als 500, nachNothofer „etwa tausend Sprachen“42 zusammengefasst werden.

Und so stellt auch die Verwendung dieses Begriffes in Bezug auf Timor einewissenschaftliche Verlegenheitslösung dar, die über die Unsicherheiten beider ethnologischen Einordnung der Einwohner der Insel hinwegtäuschensoll. So macht F. Hiorth „circa 18 Sprachen“ auf Timor aus.43 James Dunnhingegen spricht von „mehr als dreißig verschiedenen ethno-linguistischenGruppen“ allein in Osttimor.44 Die am meisten gesprochenen Sprachenstellen Tetum und Atoni dar, wobei Tetum in Ost- und Atoni in Westtimorüberwiegt. Beide sind wie die Mehrzahl der anderen auf der Insel anzutref-fenden Sprachen und Idiome der austronesischen Familie – und hier in derHauptsache den indonesischen und den melanesischen Zweigen zuzu-rechnen. Neben diesen sind aber auch einige – nicht-austronesische –Papuasprachen vertreten. So bezeichnete Hiorth Timor denn auch als ein„zerteiltes“ Land. Das Attribut „vermischt“ würde den Sachverhalt aberebenso gut treffen, denn ein nicht geringer Teil des timoresischen Volkes istaus einer ethnischen Vermischung der unterschiedlichen einheimischenVolksgruppen mit den zugewanderten Portugiesen hervorgegangen. Dieberühmtesten Vertreter dieser „Mischbevölkerung“, die Larantuqueirosoder „Schwarzen Portugiesen“, schafften es sogar, Teile der Insel unter ihreGewalt zu bringen. Für Monika Schlicher hat es Portugal vor allen Dingendiesen Larantuqueiros zu verdanken, dass seine Herrschaft auf Osttimor

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41 Ost-Timor entscheidet über seine Zukunft.42 Nothofer, Bernd: Die Sprachen Südostasiens, in: Südostasien-Handbuch, S. 67 f.43 Hiorth, S. 10 ff.44 Dunn, James: Timor. A People Betrayed; Sydney 1996, S. 3.

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auch nach dem 17. Jahrhundert noch bestehen blieb. Aus einem ihrer Herr-schaftsgebiete sollte später die Enklave Oekusi hervorgehen.45 Aus der Ver-mischung von deportierten Strafgefangenen mit einheimischen Frauen gingdie Gruppe der Mestiços hervor, die noch in den 70er-Jahren ca. 10.000Angehörige zählte.46

So drängt sich angesichts dieser ethnischen Fragmentierung die Frage auf, für welche „kulturelle Identität“ der Nationale Widerstandsrat CNRM(Conselho Nacionalista Resistenca Maubére), in dem die größten Wider-standsorganisationen zusammengeschlossen sind, eintritt.

Eine andere statistische Zahl und ein Blick auf die Geschichte jedochscheinen wesentlich mehr über das osttimoresische Identitätsbewusstseinauszusagen als diese ethnischen Klassifizierungen. Obwohl die gegen-wärtig in den Medien kursierenden Zahlenangaben über die Religionszu-gehörigkeit der Osttimoresen als Quellenmaterialien höchst unzuverlässigsind – so bleibt bei den von der FAZ genannten 765.000 Katholiken von insgesamt 800.000 Einwohnern47 die Frage nach den 150.000 Transmigran-ten unbeantwortet –, so ist dennoch davon auszugehen, dass die kath-olische Religion bei den hier Geborenen feste Wurzeln gefasst hat: So gibtHiorth – unter Berufung auf indonesische Quellen – die Anzahl der Katho-liken im Jahre 1980 mit 446.444 bei einer Gesamtbevölkerung von 550.741an.48 Auch die politische Rolle, die die Kirche seit 1976 im Widerstandgespielt hat, deutet auf die Religion als denjenigen Faktor hin, der das„nationale“ osttimoresische Selbstbewusstsein geprägt hat.

3. Geschichte und Religion als identitätsstiftende Faktoren

Für Monika Schlicher ist die Tatsache, dass sich heute 90% der Osttimore-sen zur katholischen Religion bekennen, darauf zurückzuführen, dass ihnen„die katholische Kirche Rückhalt … im Kampf gegen die indonesischeFremdherrschaft“ geboten hat.49 Tatsächlich betrug der Anteil der Katho-

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45 Schlicher, Monika: Portugal in Ost-Timor. Eine kritische Untersuchung zur portu-giesischen Kolonialgeschichte in Ost-Timor 1850 bis 1912, Hamburg 1996; Diss.Heidelberg 1994, S. 287 f.

46 Schlicher, S. 249.47 Ost-Timor entscheidet über seine Zukunft.48 Hiorth, S. 15.49 Schlicher, S. 312, Anm. 926.

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liken an der Gesamtbevölkerung vor dem Abzug der Portugiesen 1975noch nicht einmal 30%.50 Doch drückte sich der Einfluss Roms in der Ge-schichte des Landes nicht durch Zahlen allein aus.

Als ein europäischer Reisender im Jahre 1699 die Insel Timor besuchte,beschrieb er die Einwohner als Katholiken, die stolz auf ihre portugiesischeHerkunft seien.51 Er sprach dabei nicht von den „weißen“ Kolonialherren,von denen er in Lifao nur drei – davon zwei Priester – zählte.

Die Hafenstadt Lifao – heute Oekusi – an der Nordküste Timors war damalsneben Macao einer der wenigen Überreste des einstmals mächtigen portu-giesischen Kolonialreiches in Südostasien. Gescheitert waren die Portugie-sen als Kolonialherren im Malaiischen Archipel indes nicht nur an den mitihnen dort konkurrierenden Holländern, sondern auch an der Religion desIslams, die seit dem Ende des 13. Jahrhunderts in die Region vorgedrun-gen war. Die Portugiesen, die, wie es der Südostasienexperte John Villiersformuliert, mit dem „Glauben“ gekommen waren, „es wäre ihre heiligePflicht, den Islam zu vernichten“, machten sich die meisten der hier herr-schenden Sultane durch ihren Missionsdrang zu Feinden.52 Die Holländer,die „in erster Linie am Handel interessiert“ waren und nicht mit „religiösenBekehrungsansprüchen“53 auftraten, konnten sich diese Feindschaft fürihre eigenen Ambitionen zunutze machen.

Nur auf den Inseln im Südosten des Archipels, zu denen der Islam nochnicht gelangt war und auf denen noch animistische Bräuche vorherrschten,konnten die Portugiesen noch Fuß fassen. Hier fanden sie eine ähnlichgünstige Ausgangslage für ihre Bestrebungen vor wie die Spanier vielerortsauf den Philippinen, wo nach Einschätzung von Villiers der Animismus einerVerbreitung des Katholizismus weniger im Weg stand als der Islam weiterwestlich.54

Zwar beschränkte sich die direkte Herrschaft Lissabons auf Timor – diewirtschaftlich am Sandelholz der Insel interessiert war – noch lange auf dieKüstenstreifen, und die „Inbesitznahme“ des Landesinnern war erst im

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50 Ebenda, S. 302.51 Siehe bei Hiorth, S. 6.52 Villiers, John: Südostasien vor der Kolonialzeit; Weltbild Weltgeschichte, Band 18

(Lizenzausgabe der Reihe Fischer Weltgeschichte) Augsburg 1998, S. 277.53 Ebenda, S. 285.54 Ebenda, S. 264.

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Jahre 1912 abgeschlossen.55 Was den indirekten Einfluss jedoch anbetraf,so äußerte sich dieser in der freiwilligen oder auch unfreiwilligen Konversionder Könige bzw. Stammesoberhäupter vieler kleiner Reiche zum katho-lischen Glauben.56 Der portugiesisch-holländische Teilungsvertrag von1854 bzw. 1858/59 zeigte durch die in den Vertragstext aufgenommenenRegelungen der Glaubensfragen bei der Grenzziehung zwischen den pro-testantischen und den katholischen Kolonialherren doch, welche Bedeu-tung dem Christentum auf der gesamten Insel zu diesem Zeitpunkt bereitszukam.

In späteren Jahren dann konnte die katholische Kirche vor allen Dingen aufdem Feld der Erziehung ihren Einfluss geltend machen, denn während diestaatlichen Schulen Portugiesen und Assimilados vorbehalten blieben,öffneten sich die Einrichtungen der Jesuiten auch anderen Volksgruppen.57

So werden die Philippinen nun schon bald nicht mehr wie noch vor kurzem„das einzige katholische Land im Fernen Osten“58 bleiben. Doch ob mit derUnabhängigkeit Osttimors allein den historisch gewachsenen Gegeben-heiten und Strukturen in der Region Rechnung getragen und Frieden undStabilität dort einkehren wird, bleibt fraglich. Denn Osttimor stellt nur einTeilstück in einem Mosaik dar, das auch andernorts im Archipel so vorzu-finden ist.

So haben die Holländer zwar die Portugiesen auch im Südosten des Archi-pels aus vielen ihrer Besitzungen wie Solar und Flores und auch aus demWesten Timors verdrängt. Die Naturreligionen, auf die sie hier stießen,ermunterten aber auch sie dazu, missionarisch tätig zu werden – nachdemsie auf Inselgruppen wie den Molukken lediglich die zuvor von den Portu-giesen zum Katholizismus bekehrten Einwohner zum Protestantismus kon-vertiert hatten.59

Als Folge davon ist auch der Westteil der Insel kein islamisch geprägtesTerritorium wie der Großteil Indonesiens, zu dem er schon seit dessenUnabhängigkeit gehört. Im Gegensatz zu jenem Eindruck, der durch ein

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55 Schlicher, S. 284.56 Ebenda, S. 183 f.57 Vgl. ebenda, S. 302.58 Villiers, S. 264.59 França, António Pinto da: Portuguese Influence in Indonesia, Lissabon 1985,

S. 34.

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oberflächliches Rezipieren der Medienberichterstattung über die Verhält-nisse auf der „geteilten“ Insel entstehen könnte, wird auch Westtimor voneiner mehrheitlich christlichen, in diesem Falle protestantischen Bevölke-rung bewohnt.

Die Situation wird hier sogar noch dadurch kompliziert, dass durch denportugiesisch-holländischen Teilungsvertrag auch Gebiete unter hollän-dische Herrschaft kamen, die zu diesem Zeitpunkt bereits katholischgeprägt waren, während andererseits die von den Niederländern zumProtestantismus bekehrten Einwohner des Königreiches Maubara jetzt zuPortugal gehörten. Als Folge des in diesem Vertrag festgeschriebenenGrundsatzes der Glaubensfreiheit konnten ab den 1880er-Jahren dannzudem niederländische Jesuiten nicht nur die katholische Bevölkerung inWesttimor betreuen, sondern sogar eine „Rekatholisierung“ der anderenKleinen Sundainseln einleiten.60 So finden sich in den Bezirken TimorTengah Utara und Belu ebenfalls deutliche katholische Bevölkerungsmehr-heiten.

Dass diese Konfessionszugehörigkeiten auch hier schon Artikulationen aufpolitischer Ebene zur Folge hatten, beweisen u.a. jene Wahlergebnisse ausdem Jahre 1971, die Hiorth in seiner Untersuchung in anderem Zusam-menhang aufgeführt hat. So erstaunen bei diesen Wahlen die Stimmen-anteile, die „Konfessionsparteien“ erzielen konnten, obwohl in ganz Indo-nesien zu diesem Zeitpunkt neben der Staats- bzw. Präsidenten-ParteiGolkar eigentlich nur zwei weitere „staatstreue“ Oppositionsparteien zuge-lassen waren: Im „protestantischen“ Kupang, dem Hauptort Westtimors,erreichte die „Protestantische Partei“ fast ebenso viele Stimmen wie dieGolkar-Partei, in Timor Tengah Utara konnte die „Katholische Partei“ dieVertreter Jakartas sogar hinter sich lassen.61 Osttimor ist daher kein „Son-derfall“, wie US-Verteidigungsminister William Cohen meinte feststellen zukönnen.62

Aber nicht nur auf den Kleinen Sundainseln, überall im Archipel sind Kon-fliktpotenziale vorhanden, die den Fortbestand des Vielvölkerstaates Indo-

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60 Schlicher, S. 123.61 Siehe bei Hiorth, S. 15.62 U.S. Department of State; Office of the Assistant Secretary of Defense (Public

Affairs), Washington, D.C: Background Briefing. Subject: SecDef’s Trip to South-east Asia, Friday, September 24, 1999; http://www.usia.gov/regional/ea/timor/cohnasia.htm (Abgerufen am 25.10.1999), S. 8.

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nesien gefährden könnten. So demonstrierten nur wenige Tage nach demAbzug der letzten indonesischen Soldaten aus Osttimor in der im NordenSumatras gelegenen Provinz Aceh Tausende von Menschen für eine Los-lösung von Jakarta. Wenn da der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte imPazifik, Admiral Dennis Blair, davon ausgeht, dass „Osttimor nicht Indo-nesien“ ist und die Idee, „dass Indonesien fragmentiert werden könnte wieJugoslawien“ als übertriebene Schreckensvision abtut63, so spricht dieRealität der interethnischen und interreligiösen Beziehungen dort gegeneine solche Einschätzung. Solch offiziellen Stellungnahmen und Lage-beurteilungen zum Trotz scheint man sich in Washington jedoch der Ge-fahren, die von einer „Balkanisierung“ des Inselreiches ausgehen könnten,bewusst zu sein. Darauf, dass Osttimor aber nicht als die Ursache diesesDesintegrationsprozesses angesehen wird, sondern als eine Folgeerschei-nung der diesem Prozess zugrunde liegenden Probleme, weist Cohens anJakarta ergangene Aufforderung hin, das „Problem“ der anderen separa-tistischen Bewegungen nicht wie in der Vergangenheit durch „Repression“,sondern durch „Dialog und Diskussion“ zu lösen.64

Hiorth indes ging schon im Jahre 1985 davon aus, dass sich Indonesien mitder Annexion Osttimors selbst keinen Gefallen getan, sondern sich nureinen zusätzlichen Unruheherd einverleibt hat, von dem aus sich einesTages ein Lauffeuer über die ganze Region ausbreiten und die Sprengkräfteim ganzen Staatsverband freisetzen könnte.

4. Die Invasion vom November/Dezember 1975

Als am 7.12.1975 die Streitkräfte Indonesiens auf die osttimoresischeHauptstadt Dili vorrückten, so taten sie dies nach eigenen Verlautbarungenauf Wunsch der Osttimoresen selbst.65 Im Gegensatz zu sowjetischenDarstellungen, die die Invasionen der Roten Armee in den Staaten des vor-maligen Warschauer Paktes immer mit ominösen „Einladungen“ recht-

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63 U.S. Department of State: Office of the Assistant Secretary of Defense (PublicAffairs), Washington, D.C.: DoD News Briefing. Admiral Dennis Blair, Commanderin Chief, U.S. Pacific Command, Friday, September 24, 1999: http://www.usia.gov/regional/ea/timor/dodtimor.htm (Abgerufen am 25.10.1999), S. 6.

64 U.S. Department of State: Background Briefing, S. 8.65 Siehe u.a.: Lawless, Robert: The Indonesian Takeover of East Timor, in: Asian

Survey, 16.10.1976.

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fertigten, entspricht diese jedoch offensichtlicherweise den historischunleugbaren Begebenheiten.

Monika Schlicher behauptet in ihrer Untersuchung, dass Indonesien „unterdem Vorwand, einem Hilferuf gefolgt zu sein“, Osttimor „überfiel.“66 Dochdie Abläufe des Jahres 1975 sind nicht mit dem gewaltsamen Ende desPrager Frühlings oder der sowjetischen Invasion in Afghanistan ver-gleichbar.

So hatte sich die União Democrática de Timor (UDT) im August 1975 fürden Anschluss der portugiesischen Kolonie an Indonesien ausgesprochen.Die UDT war indes keine „Marionettenorganisation“ Jakartas, sondern einZusammenschluss konservativer, proportugiesischer und katholischerKräfte und eine der drei großen Parteien in der Kolonie. Bis zu diesem Zeit-punkt galt die UDT zudem als eine Befürworterin eines Verbleibens Ost-timors in einer Art Föderation mit dem Mutterland.67

Ebenso wie die UDT sprachen sich auch Repräsentanten der katholischenKirche für ein militärisches Eingreifen des nördlichen Nachbarstaates aus.68

Diese aus heutiger Sicht überraschende Haltung wurde damals von innen-und außenpolitischen Faktoren bestimmt, die beide unmittelbar ineinandergriffen. So schufen die Ereignisse „daheim“ in Portugal die Voraussetzun-gen für die indonesische Intervention. Denn der Sturz der MilitärdiktaturSalazar in Lissabon hatte dort im Jahre 1974 zunächst eine Linksregierungan die Macht gebracht, die das Vertrauen der UDT nicht mehr besaß, weilsie auf eine schnelle „Dekolonisierung“ setzte und dabei die linken Rebel-lengruppen in Osttimor zu unterstützen schien. Dieser Eindruck hatte sichnoch erhärtet, als die größte dieser Gruppen, FRETILIN (Frente Revo-lucionária de Timor Leste Independente), nach dem Ausbruch einer mili-tärischen Auseinandersetzung mit den antikommunistischen Parteien imSeptember 1975 zu einer Offensive ansetzte, die ihr die Kontrolle über fastdie gesamte Kolonie einbrachte. Die Führer der UDT – und mit ihnen vielePriester – waren daraufhin vor den Einheiten der FRETILIN – deren Name,wie Hiorth feststellt, nicht zufälligerweise an die promarxistische Frelimo-Organisation in dem damals sich ebenfalls von Portugal lösenden Moçam-bique erinnerte – in den Westteil der Insel geflohen.

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66 Schlicher, S. 16.67 Zu den osttimoresischen Parteien zu diesem Zeitpunkt siehe u.a.: Nicol, Bill:

Timor. The Stillborn Nation; Camberwill, Victoria 1978. 68 Siehe Hiorth, S. 29.

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Zusammen mit der bis dahin eher unbedeutenden proindonesischen ParteiAPODETI (Associação Popular Democrática Timorense) bildete die UDTnun das Movimento Anti-Communista (MAC), das auf indonesische Unter-stützung hoffte, nachdem Australien den an ihn herangetragenen Gedan-ken an ein militärisches Eingreifen in diesen Bürgerkrieg verworfen hatte.

Am 30. November 1975 gaben die Führer des MAC, zusammen mit an-deren kleineren Gruppierungen, eine Erklärung ab, in der sie Jakarta offiziellzur Intervention aufforderten:

„… 2. Es ist so weit offensichtlich geworden, dass FRETILIN kein auf-richtiges Verlangen nach einer friedvollen Lösung des Problems von Portu-giesisch Timor gezeigt hat. ...4. Nachdem wir für mehr als 400 Jahre durch die Kolonialmacht Portugalgewaltsam von den starken Bindungen des Blutes, der Identität, der ethni-schen und der moralischen Kultur an das Volk von Indonesien abgetrenntworden waren, scheint uns nun der richtige Augenblick für das Volk vonPortugiesisch Timor gekommen zu sein, formell diese starken Bindungenmit der indonesischen Nation wiederherzustellen. 5. Im Namen Gottes, des Allmächtigen (was hier im Originaltext nicht zu-fällig an jene, allen Suren im Koran vorangestellte arabische Einleitungs-formel erinnert, die auch im täglichen Leben der Muslime eine wichtigeRolle spielt, Anm. d. Verf.), erklären wir deshalb feierlich die Unabhängigkeitund Eingliederung des gesamten früheren kolonialen Territoriums von Por-tugiesisch Timor in die Republik Indonesien. …6. Wir rufen die indonesische Regierung und das Volk dazu auf, unverzüg-lich Schritte einzuleiten, um das Leben von Menschen zu schützen, die sichnun selbst als Indonesier betrachten und die bis jetzt noch unter dem Ter-ror und den faschistischen Praktiken der von der portugiesischen Regie-rung bewaffneten und unterstützten FRETILIN-Bande leiden.“69

Die Führung des MAC teilte nun die Sorge der Regierung in Jakarta, dasssich an der Südflanke des Inselreiches eine „vorgeschobene Basis“70 desKommunismus etablieren könnte. Der Vorsitzende der UDT, Francisco

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69 Joint Proclamation by APODETI, UDT, KOTA and the Partido Trabilhista, Issued atBatugade, 30 November 1975, in: Krieger, Heike (Hrsg.): East Timor and the Inter-national Community: Basic Documents, Cambridge International DocumentsSeries, Volume 10, Cambridge 1997, S. 40.

70 Hiorth, S. 29.

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Lopes da Cruz, wollte nun lieber unter indonesischer Herrschaft als unterder eines marxistischen Regimes leben.

So leisteten zunächst nur die Mitglieder von FRETILIN den InvasorenWiderstand. Ein Vierteljahrhundert später haben sich die Konstellationen inund um Osttimor herum grundlegend gewandelt. Heute sitzen die Gegnervon gestern, die Vertreter von FRETILIN und die der Nachfolgeorganisatio-nen der UDT, Seite an Seite im Widerstandsrat.

Heute scheinen jene 2.000 bis 3.000 Opfer, die die FRETILIN-Offensive1975 forderte, wesentlich weniger zu wiegen als jene 250.000 Osttimore-sen, die seither im Zuge der Okkupationspolitik Jakartas ihr Leben lassenmussten.

Doch nicht erst nach so langer Zeit, sondern schon bald nach der Invasionhatte sich die UDT von Jakarta betrogen gefühlt, denn die von ihr an-gestrebte Eingliederung Osttimors in die Nachbarrepublik als „autonome“Region fand nicht statt. Wie zuvor schon 1950 die Einzelstaaten der indo-nesischen Föderation und 1963 dann Westneuguinea nach erfolgterAnnexion gleichgeschaltet wurden, so verlor auch Osttimor als Provinzohne eigene Hoheitsrechte jegliche Selbstbestimmung.

Zwar wurde Ende 1975 eine „Provisorische Regierung“ von Osttimor ge-bildet und eine „Repräsentative Volksversammlung“ in Dili einberufen. Unddiese Regierung, der noch die UDT und mit ihr an führender Stelle Lopesda Cruz angehörte, begrüßte es noch am 17. Dezember 1975, dass das„gesamte Territorium von Osttimor von terroristischem Einfluss befreit wor-den ist“.71

Als die Volksversammlung am 31. Mai 1976 die vormalige KolonieLissabons dann zu einem „vollständigen Bestandteil der Republik Indo-nesien“72 erklärte, waren da Cruz’ Namen und die der anderen Vertreter derUDT und der Arbeiterpartei aus den offiziellen Regierungsdokumentenverschwunden. Nur mehr Arnaldo dos Reis Araujo von APODETI zeichnete

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71 Declaration on the Establishment of a Provisional Government of the Territory ofEast Timor, 17 December 1975, in: Basic Documents, S. 44.

72 Cable Sent by the Provisional Government of East Timor to the Secretary-Gene-ral of the United Nations, the Chairman of the Special Committee on Decoloniza-tion, and Mr. Vittorio Winspeare Guicciardi, the Special Envoy of the Secretary-General, 1 June 1976, in: Basic Documents, S. 44.

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jetzt als Vorsitzender der Volksversammlung und später als „Chief Exe-cutive“ der provisorischen Regierung für alle Dekrete allein verantwortlich.73

In indonesischen Gefängnissen mussten die Funktionäre der UDT nun ihrVertrauen in Präsident Suharto bereuen.

Osttimor ist aber nur ein Glied in einer Kette, die, vom Jahre 1950 aus-gehend, bis in die heutige Zeit reicht und deren Zurückverfolgung zu deneigentlichen Hintergründen der gegenwärtigen Krise des indonesischenVielvölkerstaates führt. Denn die Sezessionsbewegungen verstehen sichdort als Reaktion auf eine Jahrzehnte schon währende Politik des „Java-zentrismus“ und des „Javanischen Expansionismus“.

31

73 Siehe Basic Documents: Documents 26–30.

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II. Regionale und außerregionale Akteureim Osttimor-Konflikt

1. Indonesien: Der zentralistische Vielvölkerstaat

Mitte 1995 protestierten in Dili osttimoresische Studenten gegen die vonihnen so wahrgenommene gewaltsame „Islamisierung“ ihrer Heimat.74

Am 12. Oktober 1999 versammelten sich am anderen Ende des Archipels35 aus Aceh stammende Abgeordnete des im Juni zuvor zum ersten Maleseit vierzig Jahren wieder frei und demokratisch gewählten indonesischenParlaments zur Erarbeitung eines Entwurfs für ein „autonomes Aceh“.75

Gleichzeitig forderten sie das Parlament dazu auf, die Menschenrechts-verletzungen in ihrer Provinz wie die in Osttimor geschehenen auch zuuntersuchen und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Zwischen 1.300 und 2.000 Menschen sollen in Aceh seit 1989 gewaltsamzu Tode gekommen sein.76 150.000 Achinesen sollen nach ihrer gewalt-samen Vertreibung aus ihren Heimatorten in Lagern leben. Dazu kommenauch hier die Folgen der Politik der Transmigration. Das Muster erinnertauch im Falle Acehs an Osttimor.

Mit diesen – wie Ron Moreau es in Newsweek formulierte – „ethnischenSäuberungen“ reagierte Jakarta auf die am 1.12.1976 – also ein halbes Jahrnach der Annexion Osttimors – von der achinesischen Separatisten-bewegung Gerakan Aceh Merdeka (GAM) proklamierte Unabhängigkeit derProvinz. Im Gegensatz zum Widerstandsrat in Osttimor kämpft AcehMerdeka aber für die Errichtung eines islamischen Staatswesens. DieReligionszugehörigkeit allein ist es in diesem Falle also nicht, die die Achi-

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74 Special Committee on the Situation with Regard to the Implementation of theDeclaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples,East Timor-Working Paper Prepared by the Secretariat, 22 June 1995, BasicDocuments, S. 214.

75 Yahoo! News, Asia. AFP: Indonesian MPs call for broad autonomy for troubledAceh; http://asia.yahoo.com/headlines/1…9805860-91013091151.newsasia.html(Abgerufen am 13.10.1999).

76 Vgl. dazu u.a. The Winds of Rage, in: Newsweek, 30.8.1999, sowie: Indonesienund Osttimor. Kein Paradies für Menschenrechte, S. 15 u. 88.

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nesen in einen deutlichen Gegensatz zum indonesischen Zentralismusgebracht hat.

Die Provinz Aceh und mit ihr das alte Atjeh (Malaiisch: Acheh) galt vielmehrals das Einfallstor des Islams nach Indonesien. Das Gebiet mit der früher sobedeutenden Hafenstadt gleichen Namens (heute: Banda Aceh) ragte inder Geschichte des Archipels durch seine Unbeugsamkeit fremden Herrengegenüber heraus, ganz gleich, ob diese nun Portugiesen oder Holländerwaren oder aus dem Süden Sumatras und aus Java, aus den Königreichenvon Mataram oder Sri Vijaya kamen.77

Nichtsdestotrotz aber gaben die Achinesen dann nach dem Ende desZweiten Weltkrieges ihrer „patriotischen Hinwendung“ zum neuen Indone-sien Sukarnos Ausdruck. Jedoch bedeutete diese „Hinwendung“ eine zudem föderativen Staatswesen der „Vereinigten Staaten von Indonesien“und nicht zu der von Sukarno dann 1950 mit der Hilfe der Militärs geschaf-fenen „Unitarischen Republik“.

Die nach 1950 bei den Einwohnern der Provinz einsetzende Enttäuschungglich der Desillusionierung der Osttimoresen angesichts ihrer eigenen „Inte-gration“ in den indonesischen Einheitsstaat ein Vierteljahrhundert später.

Nicht erst seit der Volksabstimmung in Osttimor scheinen daher die Vor-gänge im West- und im Ostteil des Archipels in einem direkten Zusammen-hang miteinander zu stehen. Denn auch wenn das Außenministerium inJakarta davon ausgeht, dass Aceh „nicht Osttimor“ ist78, so wollen dochauch die Achinesen heute das „javanische Kolonialregime“ loswerden79

und über ihre eigene Zukunft in einem Referendum abstimmen, wie es dieOsttimoresen getan haben.

1.1 Der Javazentrismus

Von der indonesischen Politik wurde der auch von vielen Wissenschaftlernerhobene Vorwurf des „Javazentrismus“ auch in der jüngeren Vergangen-heit gar nicht erst zurückgewiesen. Die Tatsache, dass die indonesische„Nation“ und ihr Staat von „javanischen Charakteristika dominiert“ werden,

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77 Vgl. Villiers, an mehreren Orten.78 Verlieren wir Aceh, löst sich Indonesien auf, in: Die Welt, 9.11.1999.79 Zitiert ebenda.

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wird nicht als anstößig empfunden, da 150 von 200 Millionen Staatsbürgernder Unitarischen Republik Javaner seien und der Bevölkerungsschwer-punkt damit zweifelsfrei auf dieser Mittelinsel liege.80

Auch wenn eine solche Zahl angezweifelt werden kann – das Bureau ofEast Asian and Pacific Affairs des State Department gibt den Anteil derJavaner an der Gesamtbevölkerung mit ca. 45% an81 –, da nicht jeder aufJava Lebende Javaner ist, sondern z.B. auch Sundanese oder Maduresesein kann82, so offenbaren sich in einer solchen Darstellung die im Prinziprelativ simplen ‘mathematischen’ Grundlagen des Javazentrismus, die allenicht-javanischen Volksgruppen und Minderheiten zu Minderwertigkeitenherabstufen.

Diese mit den Größenordnungen begründete Vorrangstellung einer Ethniestieß bei den anderen aber seit jeher auf Widerstand.

1.1.1 Der Javazentrismus und seine Ursprünge

Die indonesische Geschichte seit dem Jahre 1950 kann als eine nichtenden wollende Abfolge von regionalen Revolten gegen die Zentralgewaltin Jakarta angesehen werden. So erschütterten in den Jahren von 1956 bis1958 Aufstände im sundanesischen West-Java, auf Sumatra, auf Borneound im südlichen Sulawesi die noch junge Republik. Regionalräte über-nahmen vielerorts die Macht und forderten ein größeres Maß an Selbst-bestimmung für die Provinzen.83 Und überall wie auf den Molukken flamm-ten die Unruhen auch später immer wieder auf, und es zeigte sich, dassdiese Regionen weitgehend mit den Territorien jener vielen Staaten iden-

34

80 The Realities of East Timor, S.126 ff.81 U.S. Department of State: Background Notes: Indonesia, August 1999;

http://www.state.gov/www/background_notes/indonesia_899_bgn.html (Abge-rufen am 21.10.1999), S. 1.

82 So gibt Nothofer die Zahl der in Westjava Sundanesisch sprechenden Menschenmit 30 Millionen an, während er die Zahl der Javanisch sprechenden Einwohnerder Insel auf 70 Millionen eingrenzt, was bedeuten würde, dass der Anteil derLetzteren an der indonesischen Gesamtbevölkerung noch unter dem vom StateDepartment angegebenen Prozentsatz liegen würde. (Nothofer, S. 75.) Hierbeifehlen wiederum allerdings die in andere Provinzen „transmigrierten“ Javaner.

83 Vgl. dazu ausführlich: Kahin, Audrey R./Kahin, George McT.: Subversion asForeign Policy. The Secret Eisenhower and Dulles Debacle in Indonesia, New York1995.

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tisch waren, die früher dort oft über Jahrhunderte hinweg bestandenhatten. So regierten in Kalimantan wie in Aceh in ,vorindonesischer’ Zeiteigenständige Sultane, auf den Molukken teilten sich ebenfalls islamischeHerrscher die Macht und das reiche Makassar beherrschte Celebes. DasVolk der Minangkabauner, das in der Geschichte der Ausbreitung desIslams in der Region eine ebenso wichtige Rolle gespielt hat wie die Achi-nesen84, folgte den Rebellen der Jahre 1956–58 ebenfalls aus Enttäu-schung über die Entmachtung der Gliedstaaten der Föderation sechs Jahrezuvor.85 1956 zeigte sich, dass Sukarno mit seinem Versuch, ein „indonesi-sches Volk“ zu definieren, gescheitert war.86 Wie in anderen Staaten derDritten Welt, die als Produkte der Kolonialzeit gelten und die wie in Afrikaihre „Legitimität größtenteils aus den Umständen ihrer Ursprünge alswillkürliche Schaffungsakte“87herleiten, hatte auch er versucht, keine ethni-sche, sondern eine „territoriale Nation“ Indonesien zu „schmieden.“ Seine„geopolitischen Argumente“ für seinen „indonesischen“ Nationalismus,seine mit Pathos vorgetragene Überzeugung, dass die Inselgruppe zwi-schen Asien und Australien ähnlich wie z.B. die griechischen oder die japa-nischen Inseln eine „von Gott“ geschaffene „Einheit“ darstellen würden88

und daher auch die Holländer mit ihren Kolonialbesitzungen eben eine sol-che geschaffen hätten89, überzeugten seit der Mitte der 50er-Jahre immerweniger Nicht-Javaner. Der Rücktritt des aus Sumatra stammenden Vize-Präsidenten Muhammad Hatta, der nicht nur von den Minangkabaunern als„oberster Repräsentant“ der westlichen Provinzen bei der Zentralregierungangesehen wurde und der sich auch nach 1950 immer noch für einendezentralen und föderalen Staatsaufbau ausgesprochen hatte90, lösteschließlich am 1. Dezember 1956 die Unruhen mit aus. Denn der Natio-nalismus Sukarnos offenbarte nun in den Augen der meisten Völker desArchipels seinen „javanischen“ Charakter.

35

84 Vgl. Villiers, S. 260 f.85 Vgl. Kahin/Kahin, S. 58.86 Zum Nationalgedanken bei Sukarno siehe: Dahm, Bernhard: Sukarnos Kampf um

Indonesiens Unabhängigkeit. Werdegang und Ideen eines asiatischen Natio-nalisten; Band XVIII der Schriften des Instituts für Asienkunde in Hamburg; Frank-furt am Main/Berlin 1966.

87 Smith, Anthony D.: State and Nation in the Third World. The Western State andAfrican Nationalism, New York 1983, S. 125.

88 Zitiert bei Dahm (1966), S. 257.89 Dahm, Bernhard: History of Indonesia in the Twentieth Century, London 1971,

S. 143.90 Kahin/Kahin, S. 41 f.

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1.1.2 Unabhängigkeit und Nationsbildungsprozess

Im Gegensatz zu anderen Entwicklungsländern war der indonesischeEinheitsstaat zudem kein Produkt des Kolonialismus, was die von Smitherwähnte legitimatorische Basis für einen territorialen Nationsbildungs-prozess hätte darstellen können. Denn die Holländer hatten nicht wie ande-re Kolonialherren mit ihren Grenzziehungen Völker voneinander getrenntoder unterschiedliche Volksgruppen in neuen Gemeinwesen ,zusammen-gepfercht’. Als sie 1949 den Archipel räumten, hinterließen sie das alteStaatensystem, das sie dort am Beginn ihrer Kolonialherrschaft angetroffenhatten, weitgehend unberührt.

Denn im Rahmen ihrer „indirekten Herrschaft“, die viele der Fürstentümer„durch Verträge“ an sich band oder unter der Oberhoheit der General-staaten der Niederlande stehende Gebiete von „angestammten ,Regenten’verwalten“ ließ91, war ein Mosaik von unterschiedlichen, abhängigen undhalbabhängigen Einzelstaaten und -territorien entstanden. Dieses Musterüberlebte auch die Zentralisierung der holländischen Kolonialverwaltung im20. Jahrhundert, so dass die Entwicklung nach dem Abzug der Nieder-länder nach Einschätzung von David K. Fieldhouse eigentlich auf ein für dieRegion „charakteristisches“ und den Gegebenheiten dort Rechnung tra-gendes „föderatives Regierungssystem“ hätte hinauslaufen müssen.92

Tatsächlich wurde im Jahre 1949 unter den Auspizien der UNO auch nichtdie heute existierende „Unitarische Republik Indonesien“ in die Unabhän-gigkeit entlassen, sondern eine Föderation mit dem Namen „VereinigteStaaten von Indonesien“ (USI, United States of Indonesia), denen nebender „Republik Indonesien“ – deren Gebiet sich gemäß dem Abkommen vonLinggadjati im Jahre 1946 auf die Inseln Java, Madura und Sumatraerstrecken sollte93 – fünfzehn weitere Staaten und Territorien angehörten.Später wurde im Renville-Abkommen vom 17.1.1948 das Gebiet derRepublik dann noch einmal auf Mitteljava und das Hochland von Sumatraeingegrenzt. Dies geschah mit Rücksicht auf die vielen regionalen Wider-standsbewegungen, die sich wie das Sundanese Separation Movement(SSM) in Westjava den panindonesischen Herrschaftsansprüchen Sukarnos

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91 Fieldhouse, David Kenneth: Die Kolonialreiche seit dem 18. Jahrhundert, WeltbildWeltgeschichte, Bd. 29, Augsburg 1998, S. 281.

92 Fieldhouse, S. 283.93 Siehe: The Linggadjati Agreement, Djakarta, November 15th, 1946, Article 1.

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widersetzten.94Artikel 3 des Linggadjati-Abkommens hatte zudem den Ein-zelstaaten die Möglichkeit offen gelassen, durch die Abhaltung von Volks-abstimmungen ihren Willen oder Unwillen zur Zugehörigkeit zu den USIkundzutun. Aber diese Möglichkeit gestand ihnen Sukarno nach 1950 nichtmehr zu.

Und wenn der Javazentrismus den Keim der zentrifugalen Kräfte bereits insich trug, so hat der vielzitierte „Javanische Expansionismus“ diese nochverstärkt und durch sein Übergreifen auf benachbarte Regionen auch zueinem internationalen Problem werden lassen.

1.2 Der javanische Expansionismus

Auch Hiorth erörtert in seiner Abhandlung über die Osttimor-Frage dasProblem des „Javanese Expansionism“. Er kommt in seiner Arbeit jedochzu dem Schluss, dass die Annexion Osttimors mit einem solchen für dieindonesische (Außen-)Politik angeblich charakteristischen Streben nachterritorialer Ausbreitung nicht zusammenhänge.95 Sie sei vielmehr eineReaktion auf die drohende Machtübernahme durch die FRETILIN und diedamit von der Südostflanke des Inselreiches ausgehenden geostrate-gischen Bedrohung gewesen.

Bei einem solchen Erklärungsversuch stellt sich allerdings die Frage,warum sich Indonesien nach der Invasion nicht mit der Einsetzung einerprowestlichen UDT-Regierung begnügt hat, sondern gerade diese zunächstfreundlich gesinnten Kräfte wie die FRETILIN auch verfolgt hat.

Zu weit gehen andererseits aber Autoren, die unter Herbeizwingung frag-würdiger historischer Analogieschlüsse in diesem Zusammenhang voneinem „Anschluss“ sprechen, der Ausfluss einer aggressiven „Greater Indo-nesia“-Ideologie gewesen sei.96

Expansionistische Tendenzen lassen sich jedoch zweifelsfrei in der PolitikJakartas erkennen, denn Osttimor war 1975 nicht das erste Territorium, das

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94 Vgl: Addison to Australian Government, Cablegram D511, London, 9 June 1947;zit. in: Dorling, Philip (Hrsg.): Diplomasi. Australia & Indonesia’s Independence.Documents 1947, Canberra 1994, S. 79 f.

95 Hiorth, S. 45 f.96 Siehe: Roff, Sue Rabbitt: Timor’s Anschluss. Indonesian and Australian Policy in

East Timor 1974–1976, Lewiston, New York u.a. 1992.

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sich die Unitarische Republik nach ihrer Unabhängigkeit einverleibte bzw.einzuverleiben versuchte.

1.2.1 Irian-Yaya 1963: Der Präzedenzfall für Osttimor?

Ist in der Literatur von Menschenrechtsverletzungen in Osttimor die Rede,fällt der Blick der Autoren immer auch auf die Situation in der indone-sischen Provinz Irian-Yaya. Denn diese Provinz teilt nach Auffassung vielerBeobachter das Schicksal der früheren portugiesischen Kolonie, da dasvormalige Niederländisch-Neuguinea zwölf Jahre vor Osttimor ebenfallsunfreiwillig im indonesischen Staatsverband aufgegangen war.

Jakarta hat in der Auseinandersetzung um den Westteil Neuguineas jedochden Vorwurf des Expansionismus mit dem Hinweis auf das Linggadjati-Abkommen zurückgewiesen, das in Artikel 4 das Staatsgebiet des künf-tigen Indonesien auf das „gesamte Territorium von Niederländisch-Indien“ausdehnte. Doch meinte dieser Vertragstext nicht die Republik Indonesien,sondern die Vereinigten Staaten von Indonesien. Aber selbst den USIwollten viele neuguinesische Politiker 1948 nicht beitreten. Sie forderten,dass ihre Heimat „außerhalb des Einflusses der Vereinigten Staaten vonIndonesien“ verbleiben solle.97

Mit dem Hinweis darauf, dass die aus Papuas und verschiedenen melane-sischen Volksgruppen bestehende Bevölkerung der Insel nicht-indone-sischer Abkunft sei98 sowie mit Blick auf jene zusätzlichen 100.000 „Indo-europäer“, die als „displaced persons“ auf ihrer Flucht vor der Republik ausden anderen Teilen des Archipels nach Neuguinea gekommen waren99,hatte sich vor allen Dingen Australien 1948/49 für einen Verbleib der Kron-kolonie bei Den Haag ausgesprochen.100 Das musste Sukarno erstaunen,denn er selbst hatte die Australier, die unter Labor-Premier Curtin seinerSache noch sehr gewogen zu sein schienen, als Vermittler in seine

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97 Landale to Burton, Departmental Dispatch Hag 57/48, The Hague, 1 November1948, in: Documents on Australian Foreign Policy 1937–49, Volume XIII, Indo-nesia 1948, Canberra 1996, S. 343.

98 Kelly to Burton, Minute, Canberra, 11 June 1947, in: Diplomasi. Australia & Indo-nesia’s Independence, Documents 1947, Canberra 1994, S. 84.

99 Officer to Burton, Departmental Dispatch Hag 13/48, The Hague, 17 February1948, in: Documents on Australian Foreign Policy, Volume XIII, S. 81.

100 Kelly to Burton, S. 85.

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Verhandlungen mit den Niederländern und auch in die auf der Ebene derVereinten Nationen miteingeschaltet.

Die Vereinten Nationen einschließlich der USA folgten dieser Argumenta-tion, und so blieb das Gebiet zunächst holländisch.

Am 1. Mai 1963 fiel es dann aber doch an Indonesien und auch das ge-schah auf einen UN-Beschluss hin. Unter den Vorzeichen nunmehr ver-änderter Konstellationen in der Weltpolitik und einer gleichzeitig bedrohlichanwachsenden Stärke der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) hatteman es in Washington nun vermeiden wollen, die Position Sukarnos - denman hier als einen „Nationalisten“ betrachtete – zu unterminieren. DieAustralier ließen die USA nun am Beginn der 60er-Jahre wissen, dass eine„Einnahme Westneuguineas durch Indonesien ein ,akzeptabler Preis’ dafürsei, um Indonesien aus dem kommunistischen Lager herauszuhalten“.101

Das sollte sich nur kurze Zeit später als Irrtum herausstellen.

Im Falle Irian-Yayas setzte die Führung in Jakarta nach 1963 nun zumersten Male in großem Umfang ihre Politik der Transmigration – d.h. einer,wie Kritiker es formulieren würden, „Kolonisierungs- und Assimilierungs-politik“102 – ein, um für ihre territorialen Ansprüche im Nachhinein einedemographische Rechtfertigungsbasis zu schaffen. Der „javanische Ex-pansionismus“ sah sich indes durch diesen außenpolitischen Erfolg desJahres 1963 zu weiteren Ausdehnungsversuchen ermuntert.

1.2.2 Der Dschungelkrieg auf Borneo 1963–1965

Das Scheitern der – wie australische Zeitungen es damals mit zynischerÜbertreibung nannten – amerikanischen „Appeasement“-Politik Sukarnogegenüber103 hatte sich indes schon Ende 1962 angedeutet, als sich derindonesische Präsident innenpolitisch mit den Kommunisten arrangierteund außenpolitisch nach Peking und Moskau zu blicken begann. Als einerder Wortführer der Bewegung der Blockfreien, der „sich neu entwickelnden

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101 Edwards, Peter: Crises and Commitments. The Politics and Diplomacy of Aus-tralia’s Involvement in Southeast Asian Conflicts 1948-1965, North Sydney 1992,S. 203 f.

102 Indonesien und Osttimor, S. 55 f. 103 Vgl. Edwards, an mehreren Orten.

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Kräfte“, bezog er nun Stellung gegen „Neokolonialisten und Impe-rialisten“.104

Zur ersten Zielscheibe seiner „antiimperialistischen“ Politik wurde die 1961zum ersten Male ventilierte Föderation zwischen Malaya, Singapur und denbritischen Kolonien im Norden Borneos, welche dann als Malaysia ohneBrunei und Singapur zustande kam.

Jakarta erhob nun auch Ansprüche auf den Norden Borneos.

Am 17. August 1964 erklärte Sukarno seinen Landsleuten, dass ein „Jahrdes gefährlichen Lebens“ vor ihnen liege.105 Noch am Tag der Proklamationder „Politik der Konfrontation“ (Konfrontasi) landeten die ersten von indo-nesischen Luftlandetruppen unterstützten Untergrundkämpfer auf derMalaiischen Halbinsel.

Der vor allen Dingen von Australien befürchteten „Achse Peking-Jakarta“aber stand nun ein weitgehend geschlossener und zum militärischenGegenschlag bereiter Westen gegenüber: Die Vereinigten Staaten signa-lisierten Canberra und London nun, dass sie eine „Niederlage“ der imNorden Borneos stationierten britischen und australischen Truppenkontin-gente nicht „zulassen“106 würden.

Auch wenn die indonesischen Aspirationen bezüglich Nordborneo durchdiese Demonstration militärischer Verteidigungsbereitschaft in die Schran-ken gewiesen und auch später die dort infiltrierten Guerillas von denbritischen und australischen Soldaten über die Grenze in den indone-sischen Teil der Insel zurückgetrieben werden konnten, so ging man imForeign Office in London auch danach noch davon aus, dass „Sukarnosterritoriale Ambitionen“ die größte Gefahr für die Sicherheit in der Regiondarstellten. Denn diese bedrohten nicht nur Malaysia, sondern auch diePhilippinen und Osttimor.107 Und: Hatte Sukarno nicht selbst von der„Einheit“ des Malaiischen Archipels gesprochen?

Wenngleich Edwards diese britischen Einschätzungen als „over-simplifica-tions „abtut, so glaubte man dennoch auch im australischen Außen-

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104 Zitiert ebenda, S. 257.105 Zitiert ebenda, S. 306.106 Zitiert ebenda, S. 259.107 Ebenda, S. 258.

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ministerium seit langem schon an die Gefährlichkeit eines solchen indo-nesischen Expansionismus.

So hatten australische Politiker und Diplomaten schon in den Jahren1948/49 die Ängste ihrer portugiesischen Kollegen geteilt, dass „Provo-kateure der Indonesischen Republik“ mit ihren „Anstiftungen zur Unruhe“auch Timor nicht verschonen würden.108

Die australische Politik zumindest fühlte sich dann spätestens seit denEreignissen in Malaysia in ihrer Auffassung bestärkt, dass dem „indo-nesischen Expansionismus Einhalt geboten werden muss“.109 Umsoerstaunlicher ist daher auch die Tatsache, dass Australien im Jahre 1976die einzige Nation des Westens war, die die Annexion Osttimors de jureanerkannte.

2. Die neue „Regionalmacht“ Australien

Einundzwanzig Jahre, nachdem die australische Außenpolitik Osttimor als„Teil Indonesiens“ anerkannte, hat sie sich 1999 zum Garanten für dessenUnabhängigkeit gewandelt.

Im Ausland wurde die Tatsache, dass der fünfte Kontinent bei der Auf-stellung der INTERFET-Einheiten eine „führende Rolle“ übernahm und4.500 von insgesamt 7.500 Soldaten der Eingreiftruppe stellte, mit der„unrühmlichen Rolle“, die er bei der Annexion der früheren portugiesischenKolonie durch Indonesien gespielt hat, in Verbindung gebracht und damitals ein Akt der Wiedergutmachung an den 200.000 bis 250.000 Opferndieser ,Politik des Zuschauens’ angesehen.110

Zeitzeugen und Wissenschaftler bezichtigen die australischen Regierungender 70er-Jahre beider Couleur jedoch nicht nur der Passivität in der Ost-timor-Frage, sondern sogar der Komplizenschaft mit Jakarta. So geht PeterHastings in seiner Untersuchung davon aus, dass der damalige Labor-Premier Gough Whitlam schon während seines Jakarta-Besuches im

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108 Officer to Evatt, Ministerial Despatch Hag 26/47, The Hague, 8 October 1947, in:Diplomasi, S. 348.

109 Edwards, S. 259.110 Siehe dazu u.a. Australische Soldaten sind abmarschbereit, in: Frankfurter

Allgemeine Zeitung, 16.9.1999.

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September 1974 die portugiesische Kolonie an Indonesien „ausgeliefert“habe.111 So soll Whitlam dort seinen Gastgebern gegenüber geäußerthaben, dass „Osttimor eine natürliche Erweiterung der IndonesischenRepublik“ darstelle.112

John Howard, der gegenwärtige konservative Regierungschef in Canberra,ist sich dieser Altlasten der australischen Außenpolitik durchaus bewusst,und so rühmt er sich auch nicht ohne Grund, einen „Wandel“ in der Ost-timor-Politik seines Landes herbeigeführt zu haben.113

Unterstellte Hiorth 1985 den Australiern noch, dass ihnen „gute Beziehun-gen mit 140 Millionen Indonesiern“ wichtiger seien als mit 600.000 Timo-resen114, so beklagt sich Howard heute darüber, dass alle Premiers vor ihm„nicht dazu bereit gewesen sind, die Beziehungen zu Indonesien einesFortschritts in Osttimor wegen belastet zu sehen“.115

Wenn Howard aber nun in der Osttimor-Debatte des Repräsentanten-hauses in Canberra ausgerechnet den Satz Palmerstons zitierte, dassNationen keine „permanenten Freunde, sondern nur permanente Inte-ressen“ haben116, so fragt sich, warum 1999 die Stationierung australischerTruppen in Osttimor dem „nationalen Interesse“ diente,117 während GoughWhitlam im Jahre 1975 noch der Überzeugung war, dass es nicht im Inter-esse Australiens läge, sich dort militärisch „einzumischen“.118

Diese gegensätzlichen Standpunkte sind aber nicht nur eine Folge derunterschiedlichen Parteizugehörigkeiten der beiden Premiers, sondernauch und vor allen Dingen der „geopolitischen Realitäten“ in der Region.Und die haben sich in den letzten 25 Jahren grundlegend gewandelt. Zwargalt Whitlam in den Augen seiner Gegner als unbelehrbarer Pazifist. Doch

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111 Hastings, Peter: The Timor Problem I, II, III, in: The Australian Outlook, Canberra,April, August and December 1975.

112 Zitiert bei Millar, T.B.: From Whitlam to Fraser, in: Foreign Affairs, Baltimore 55:4,July 1977, S. 866.

113 Commonwealth of Australia: Parliamentary Debates. House of Representatives;Official Hansard, Tuesday, 21 September 1999, S. 10027.

114 Hiorth, S. 41.115 Parliamentary Debates, S. 10027.116 Parliamentary Debates, S. 10029.117 Ebenda, S. 10031.118 Zitiert bei Roff, S. 44.

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weisen seine Äußerungen, dass angesichts des mit dem Rückzug der Por-tugiesen seit Mitte 1975 entstandenen Machtvakuums und der FRETILIN-Offensive119 Indonesien die „einzige Macht“ gewesen sei, die den „Friedenin Portugiesisch-Osttimor“ wiederherstellen konnte, auf einen sehr real-machtpolitischen Hintergrund hin.120

Ende 1975 lag zudem der Fall von Saigon erst ein halbes Jahr zurück,waren die Staaten Indochinas erst sechs Monate zuvor im kommunis-tischen Machtbereich aufgegangen. Immer näher rückte damit die Be-drohung auf jene Gebiete des Malaiischen Archipels zu, denen im austra-lischen Verteidigungskonzept der „forward defense“ größte Bedeutungbeigemessen wurde. Am Ende der 40er-Jahre entwickelt, bestimmte diesesKonzept die regionale Sicherheitspolitik des fünften Kontinents in den 50er-und 60er-Jahren. Heute scheint sich im Denken der Verteidigungsstrategenum John Howard eine Rückkehr zu eben dieser Sicherheitsdoktrin ab-zuzeichnen, von der Kritiker allerdings schon früher behaupteten, sie seinicht darauf ausgerichtet gewesen, „Australiens Sicherheit ,in’ der Region“zu gewährleisten, sondern habe die „Verteidigung Australiens ‘gegen’ dieRegion“121 zum Ziel gehabt. Und in Indonesien warnt man mit Blick auf dieGeschichte der Beziehungen des fünften Kontinents zu seinen nördlichenNachbarn auch davor, dass als Folge der INTERFET-Mission in Osttimoreine erneute „Spaltung zwischen Farbig und Weiß“122 drohe.

2.1 Australiens regionale Sicherheitskonzeptionen

„Den Großteil der letzten beiden Jahrhunderte über haben die Australier vorden Asiaten Angst gehabt. Wir hatten Angst davor, sie in unserer Mitteleben zu lassen und fürchteten sie als äußere Bedrohung für AustraliensSicherheit.“123

43

119 Whitlam, E. Gough: Australia, Indonesia and Europe’s Empires, in: AustralianOutlook, Canberra 34/1980.

120 Whitlam zitiert bei: Roff, S. 44.121 Fry, Greg: Australia’s Regional Security Doctrine: Old Assumptions, New Chal-

lenges, in: Fry, Greg (Hrsg.): Australia’s Regional Security, North Sydney 1991, S. 1.

122 The Realities of East Timor, S.10.123 Ball, Desmond; Kerr, Pauline: Presumptive Engagement. Australia’s Asia-Pacific

Security Policy in the 1990s, St Leonards NSW/Canberra 1996, S. 8.

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So scheinen die Spuren dieser Urängste die Geschichte der schon in derfrühen Literatur vielzitierten „jungen weißen, am Fußende Asiens sich selbstüberlassenen Kolonie“124 zu durchziehen, die sich in dieser als misslichempfundenen Lage auf die Suche nach einem „weißen“ Verbündetenmachte. Dazu kam auch noch die Erkenntnis, dass der spärlich besiedelteKontinent aus eigenen Kräften heraus nicht zu verteidigen ist. Man löstesich daher nur ungern von den Rockzipfeln des Mutterlandes Großbritan-nien. Doch der Zusammenbruch der britischen Verteidigungslinien inSüdostasien im Zweiten Weltkrieg hatte gezeigt, dass auf London allein indieser Frage kein Verlass mehr war. Andererseits aber hatte 1945 dieNiederlage des schon fast als Verkörperung des „gelben Übels“125 ange-sehenen Japans und mit ihm das Ende des Zweiten Weltkrieges die Welt-ordnung so weit verändert, dass auch eine Überholung des australischenWeltbildes angesagt gewesen wäre.

Doch auch wenn am anderen Ende der Welt seit dem Ende der 40er-Jahreein mögliches „Übergreifen des Kommunismus“ auf den südostasiatischenund den pazifischen Raum als primäre Bedrohung angesehen wurde, soüberlebten doch Relikte des alten Denkens seither jede historische undpolitische Wende. Und diese Relikte standen gerade jenem von Canberranun anvisierten regionalen System der kollektiven Sicherheit unter Ein-bindung der USA häufig im Wege. Denn auch wenn man sich unter demEindruck der weltpolitischen Veränderungen von der früheren Fixierung aufein „zentral koordiniertes System der Commonwealth-Verteidigung“126

gelöst hatte, so zeichneten sich die Australier noch bis in die 60er-Jahrehinein den Asiaten gegenüber durch ihre postkolonialen Attitüden aus. Undso ging es der von ihnen entwickelten „Containment“-Politik nicht um dieVerteidigung einer ,westlichen’, sondern einer ,weißen’ Einflusssphäre imSüdwestpazifik. Das hier angestrebte „westliche Bündnis“ sollte eines dervor Ort präsenten Kolonialmächte und keines mit den jungen National-bewegungen des Nachbarkontinents sein. Sowohl Labor- als auch Tory-Premiers forderten daher nach 1945 eine „Restauration der kolonialenAutorität“127nicht nur der Briten, sondern auch der Franzosen, der Nieder-länder und der Portugiesen in ganz Südostasien.

44

124 Zitiert ebenda, S. 7.125 Zitiert ebenda, S. 10.126 Edwards, S. 10.127 Ebenda, S. 14.

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So tauchte denn auch am Ende der 40er-Jahre und in den 50er-Jahren einzweiter, neuer „Unsicherheits- bzw. Instabilitätsfaktor“ für die Konzeptionender „forward defense“ auf – die „neuen unabhängigen südostasiatischenStaaten“.128

Aus dieser Einstellung heraus erkannte man noch vor den USA den von derfranzösischen Kolonialmacht in Vietnam als Kaiser eingesetzten Bao Dai anund unterstützte die Position Frankreichs in Indochina, als sich Washingtonnoch zurückhaltend verhielt und einen „Kolonialkrieg“ nicht unterstützenwollte.129 Ab dem Mai 1954, nachdem die USA in ihrer Haltung zu Vietnamlangsam umzuschwenken begannen, lieferte Australien bereits Waffen andie französischen Militärs dort.

Und aus eben demselben Grund stellte auch nicht die SEATO, sondern derANZUS-Pakt den Eckpfeiler der Sicherheitspolitik Canberras dar. Aber dieUSA reagierten oft mit Missfallen auf so manche Verlautbarung ausCanberra, die dieses Bündnis in Asien als einen „white man’s pact“ er-scheinen ließ.130 Zwar begrüßte man in Australien offiziell die Schaffungeiner „asiatischen NATO“, doch als John Foster Dulles eine Ersetzung desANZUS-Paktes durch die SEATO erwog, wies man diesen Vorschlag kate-gorisch zurück.131

So war die Trauer über die Auflösung der SEATO 1977 in Australien nichtallzu groß, die Krise des ANZUS-Paktes wenige Jahre später wurde jedochals „Krise der regionalen Sicherheit“132 betrachtet, nicht zuletzt deswegen,weil dieses Bündnis ein „Symbol einer regionalen Präsenz der VereinigtenStaaten“133 darstellte.

Für die erwünschte militärische Präsenz westlicher Mächte vor der ,eigenenHaustür’ war man andererseits aber auch bereit, Gegenleistungen zuerbringen und sich selbst an der Seite dieser Mächte in Südostasien zuengagieren. So erfolgte die nicht nur personelle Unterstützung der Britenbei der Aufstellung der Far East Strategic Reserve in Malaya in den Jahren

45

128 Fry, S. 5.129 Edwards, S. 108.130 Williams, John: ANZUS: A blow to Britain’s self-esteem, in: Review of Inter-

national Studies, vol.13, no.4, October 1987, S. 243 ff.131 Edwards, S. 142.132 Fry, S. 7.133 Ebenda, S. 4.

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1950 und 1955 nicht nur aus der Überlegung heraus, dass bei einem Ge-lingen des Aufstandes dort der Kommunismus eine Bastion gewinnenkönnte.134

Ähnliches galt auch für die Entsendung eines Bataillons nach Südvietnam.Charakteristisch für die Beweggründe, die zu dieser Entscheidung führten,war jedoch die von Canberra an Washington gestellte Bedingung, dassaustralische Soldaten in Vietnam nur einem amerikanischen Kommandounterstellt werden sollten und auf keinen Fall einem vietnamesischen.135 DieAngst vor einer kommunistischen Expansion vermischte sich hier immernoch mit den Vorbehalten, mit denen man den Nachbarstaaten im Nordenbegegnete. Und wenn die Sicherheitsexperten des fünften Kontinents amBeginn der 50er-Jahre erklärten, dass – wenn Malaya fällt – die Sicherheitdes Landes morgen schon von Timor aus bedroht werde136, so stellte sichimmer die Frage, von wem sich die Australier wirklich bedroht fühlten.

2.2 Indonesien und Osttimor in den sich verändernden regionalen Sicherheitskonzeptionen Australiens

Als am 3. Juni 1986 der damalige australische Verteidigungsminister demParlament in Canberra den „Dibb Report“ vorlegte, hatte dieser in ersterLinie die „indonesische Bedrohung für die Sicherheit Australiens“ zumGegenstand.137

Die Beziehungen zu Jakarta verschlechterten sich daraufhin „dramatisch“.Doch war es auch zuvor nicht zum Besten mit ihnen bestellt gewesen.Denn die sog. „indonesische Gefahr“ geisterte jahrzehntelang durch dieKöpfe der Politiker des fünften Kontinents. Auch Hiorth konstatierte zurMitte der 80er-Jahre „eine latente Feindschaft gegen und Furcht vor Indo-nesien“ und glaubte, dass „die Timor-Affäre“ diese Gefühle bei den Be-wohnern des fünften Kontinents noch verstärkt habe. Umso weniger kannauch er es sich erklären, warum gerade ihr Land am 20. Januar 1978 an-erkannte, „dass Osttimor ein Teil Indonesiens war“.138

46

134 Vgl. Edwards, S. 162.135 Ebenda, S. 371.136 Ebenda, S 38.137 O’Brien, Carolyn: Problems in Australian Foreign Policy July-December 1986, in:

The Australian Journal of Politics and History, Vol. 33, 1987, No. 2, S. 8.138 Hiorth, S. 41.

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Im Verhältnis Canberras zu seinem Nachbarn im Norden hat es jedochauch immer schon Tauwetter-Perioden gegeben, wenngleich auch an denEckpfeilern der „forward defense“-Doktrin nie ernsthaft gerüttelt wurde. Sostand auch das australische Eintreten für die Unabhängigkeit Indonesiensin den Jahren 1948/49 durchaus nicht im Widerspruch zu den Prinzipiender „Eindämmungspolitik“ des „Weißen Australiens“ in den 40er- und 50er-Jahren.

2.2.1 Indonesien und Australien: Die schwierige Nachbarschaft

Ohne die Zustimmung Großbritanniens und vor allen Dingen der USA, dieim Unabhängigkeitskrieg der Indonesier gegen die Holländer in den Jahren1945-49 eine „Politik der Neutralität“ verfolgten,139 brachte Australien dieseAuseinandersetzung vor die Vereinten Nationen.140 Als unter den Auspiziender UNO die Verhandlungen um die Dekolonisierung Niederländisch-Ost-indiens dann einer Schiedskommission übertragen wurden, wurde derfünfte Kontinent von der Indonesischen Republik sogar als deren Reprä-sentant in diesem Committee of Good Offices benannt141, während Belgiendie Sache der Niederlande vertrat und die USA die Rolle des dritten Un-parteiischen übernahmen.142 Der Premierminister Indonesiens bedanktesich schließlich für die australische Hilfe und gab seiner ÜberzeugungAusdruck, dass das „Indonesische Volk … und das australische Volk inihrem gemeinsamen Kampf für die Sache der Freiheit und der Demokratie“miteinander verbunden bleiben werden.143

Dass in Canberra in diesem Falle augenscheinlich von der 1945 noch auf-gestellten Forderung nach einer Rückkehr der europäischen Kolonialherrenin die benachbarte Region Abstand genommen wurde, mag oberflächlich

47

139 Documents on Australian Foreign Policy 1937-49, Volume XIII: Indonesia 1948,Canberra 1996, xi.

140 Chifley to Attlee, Cablegram 200, Canberra, 28 July 1947, in: Documents onAustralian Foreign Policy 1937–49, Volume XI: Indonesia 1947, Canberra 1994,S. 167.

141 Eaton to Burton, Cablegram 298, Jogjakarta, 6 September 1947, in: Dorling,Philip (Hrsg.): Diplomasi. Australia & Indonesia’s Independence. Documents1947, Canberra 1994, S. 296.

142 Vgl: Australian Delegation, United Nations, to Department of External Affairs,Cablegram UN784, New York, 23 August 1947, in: Documents on AustralianForeign Policy 1937–49, Vol. XI, S. 278 ff., sowie auch Volume XIII, xii.

143 Sjarifuddin to Chifley, Jogjakarta, 10 August 1947, in: Diplomasi, S. 248.

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damit erklärt werden, dass dort zu jenem Zeitpunkt ein Labor-Premierregierte, der glaubte, dass Australien eine „ mehr und mehr mit Asien ver-bundene Macht“ werde, die deshalb gute Beziehungen zu den „Völkern inunserer unmittelbaren nördlichen Nachbarschaft“144 benötige. Doch schonim November 1945 ging man hier davon aus, dass die Holländer ihreStellung in den Netherlands East Indies (NEI) nicht mehr lange werdenhalten können und sie am Ende die Verlierer in diesem Machtkampf seinwerden. Ein zu lange währender Unabhängigkeitskrieg indes könnte, so diedamalige Einschätzung schon, die NEI zu einem „Brennpunkt des Konflik-tes zwischen Ost und West“ machen145, was den „long-term security inte-rests“146 Australiens in der Region schade.

Aber auch wirtschaftliche Erwägungen spielten bei der Festlegung dereigenen Position den Konfliktparteien im Archipel gegenüber eine Rolle. So wirft ein „Ratschlag“, den der damalige Trade Commissioner für Indo-nesien 1947 dem Außenminister in Canberra gab, ein nicht uninteressantesLicht auf das Engagement des fünften Kontinents für die Unabhängigkeitder NEI:

„Mit Blick auf die Intensität, mit der gewisse andere Länder ihre Handels-beziehungen mit Indonesien vorausplanen, fürchte ich, dass Australien sehrgravierende Nachteile auf diesem sehr wertvollen Markt entstehen könnten,wenn nicht schnell positive Schritte unternommen werden. Zur gegen-wärtigen Zeit liegt der Vorteil noch auf Seiten Australiens. Politisch stehenunsere Aktien hoch in Indonesien. Zweitens ist der wechselseitige Handeldergestalt, dass er sich hervorragend in die australische Wirtschaft einfügtund drittens liegt dieser Markt vor unserer Hintertür.“147

Doch erreichte die Begeisterung für die „unabwendbare“ UnabhängigkeitIndonesiens ihre natürlichen Grenzen da, wo es um die Eckpfeiler der for-ward defense-Strategien ging. Und ein solcher Eckpfeiler war Neuguinea.Die Ansprüche Sukarnos auf die holländischen Besitzungen dort wurdendenn auch mit dem Hinweis auf die hier zur Disposition stehenden elemen-tarsten Sicherheitsinteressen des fünften Kontinents zurückgewiesen.

48

144 Zit. bei Dorling, xvii.145 Ball to Burton. Memorandum. Batavia, 22 November 1945, in: Documents, Vol.

VIII, Canberra 1989, S. 629.146 Chifley to Evatt, Cablegram 1802, Canberra, 26 November 1945, Documents,

Vol. VIII, S. 641.147 Campbell to Evatt, Sydney, 26 March 1947, in: Diplomasi, S. 24.

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Das Außenministerium in Canberra sah somit die „Zukunft Holländisch-Neuguineas“ mit anderen Augen als das in Jakarta:

„3. Holländisch-Neuguinea ist wirtschaftlich nicht gut entwickelt, aber seinePotenziale sind unermesslich groß. Es ist jetzt bereits eine Ölquelle.4. Holländisch-Neuguinea nimmt eine Position von großer strategischerund taktischer Bedeutung ein, da es den westlichen Zugang zur TorresStraße und den nördlichen Zugang nach Darwin schützt. Seine westlichenund besonders nördlichen Küsten besitzen eine Reihe von erstklassigenHäfen und Luftstützpunkten. ...Australien sollte die Position einnehmen, (I) dass Holländisch-Neuguineanicht der Kontrolle irgendeiner asiatischen Autorität unterstellt wird und (II)dass die Holländer darüber informiert werden sollten, dass Australienwünscht, dass Holländisch-Neuguinea eine Kolonialbesitzung der Nieder-lande bleibt, und dass wir von den Niederlanden erwarten, dass sieAustralien gewisse positive Zusicherungen in Bezug auf die Fürsorge für dieEingeborenen, die wirtschaftliche Entwicklung und über militärischeMöglichkeiten in Holländisch-Neuguinea geben.“ 148

Die indonesischen Ansprüche auf dieses Territorium stellten auch ange-sichts der Tatsache, dass das umstrittene Gebiet damals direkt an austra-lisches Kolonial- bzw. Mandatsgebiet im Ostteil der Insel angrenzte, einenständigen Streitpunkt zwischen Canberra und Jakarta dar.

Nachdem Dulles noch 1957 auf einer Konferenz der ANZUS-Staaten dieaustralische Position in diesem Disput unterstützt und mit Blick auf denwachsenden Einfluss der PKI davor gewarnt hatte, Westneuguinea einemLand anzugliedern, das sich in Richtung auf das kommunistische Lager zu-bewege, sah er es schon ein Jahr später nicht mehr als opportun an, denNationalisten Sukarno innenpolitisch weiter zu schwächen. Nun war es fürihn widersinnig geworden, Holländisch-Neuguinea um jeden Preis zu„retten“, „während gleichzeitig Indonesien selbst kommunistisch“ wird.149

Die Gegensätze zwischen der australischen Politik, die, wie Harper esformuliert, in „regionalen“ Kategorien dachte, und den „globalen“, von den

49

148 Kelly to Burton, Minute, Canberra, 11 June 1947, in: Diplomasi, S. 85.149 Dulles zitiert bei: Harper, Norman: A Great and Powerful Friend. A Study of

Australian American Relations between 1900 and 1975, St Lucia, Queensland1987, S. 300.

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Realitäten des Ost-West-Konfliktes diktierten Sicherheitsinteressen derUSA traten kaum deutlicher zutage als in diesem Falle.

Zusammen mit den Niederlanden entwickelte die Regierung in Canberradann den Plan, den holländischen und den australischen Teil Neuguineasmiteinander zu vereinigen und als einen einheitlichen Staat in die Unabhän-gigkeit zu entlassen.150 Das Scheitern dieses Plans – maßgeblich verur-sacht durch die USA – und die „Übergabe“ der holländischen Kronkoloniean Indonesien 1963 betrachtete sie daher auch als einen Schlag gegen dieSicherheit ihres Landes.

Als das Defence Committee im Oktober 1964 auf angenommene, vonJakarta aus gesteuerte „subversive Aktivitäten“ in Ostneuguinea verwies,brach im Lande eine regelrechte kollektive Angstpsychose aus. DasKomitee bezeichnete nun Indonesien als „einzige direkte Bedrohung fürAustralien und sein Territorium“.151 Als am 28. Oktober 1964 australischeEinheiten auf der Malaiischen Halbinsel in Kampfhandlungen mit dortinfiltrierenden indonesischen Soldaten verwickelt wurden, wurde dieÖffentlichkeit über „die Gefahr eines Konfliktes mit Indonesien“ informiertund auch darüber, dass der militärischen Verteidigung Ostneuguineas jetzt„oberste Priorität“ eingeräumt werde. In den Medien das Landes hieß esnun, dass sich „Australien auf einen Krieg mit Indonesien vorbereitet“.152

Wie ernst die Neuguinea-Krise wirklich genommen wurde, zeigte, dass sieEnde 1964 zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Australien führte.

Im Gegensatz dazu betrachtete man in der Hauptstadt des fünften Kon-tinents ein Jahrzehnt später die Annexion Osttimors sehr schnell als ein„Fait accompli“.153 Auf den ersten Blick scheint es sich anzubieten, diesenSinneswandel den Ausdehnungsbestrebungen des Nachbarlandes imNorden gegenüber mit den dort im Zeitraum zwischen der Guinea-Kriseund der Invasion in Osttimor erfolgten innenpolitischen Veränderungen inVerbindung zu bringen.

Denn der Sturz Sukarnos zur Mitte der 60er-Jahre hatte innen- wie außen-politische Folgen. Innenpolitisch wurde die Kommunistische Partei aus-

50

150 Vgl. Edwards, S. 201.151 Zitiert ebenda, S. 327.152 Sydney Morning Herald, 11.11.1964.153 Dunn, S. 342.

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geschaltet, und der neue Präsident Suharto und sein „New Order Govern-ment“ verfolgten nunmehr einen prowestlichen Kurs. In Richtung aufMalaysia, Großbritannien und Australien schien die Einstellung der Feind-seligkeiten auf Borneo eine neue Phase der Entspannung in Südostasieneinzuleiten. Für Australien schienen nun die „von der Konfrontation be-reiteten Probleme“ vorüber zu sein.154 Ab 1966 griff Canberra seinemwirtschaftlich aufstrebenden Nachbarn mit finanziellen Hilfeleistungen unterdie Arme, am Ende der 60er-Jahre leistete es sogar Militärhilfe.155

Doch lag andererseits Osttimor auch im Jahre 1975 noch in jener geo-graphischen Zone, die Australien als seinen eigenen Sicherheitsbereichbetrachtete.

2.2.2 Australien und die Annexion Osttimors

Die Quellen zur australischen Außenpolitik weisen der Insel Timor eineungefähr gleiche strategische Bedeutung zu wie Neuguinea. Wie im FalleHolländisch-Neuguineas suchte man auch hier nach Absprachen mit derbetreffenden Kolonialmacht, d.h. hier mit den Portugiesen, die Canberra„ein gewisses Maß an politischem und wirtschaftlichem Einfluss“ auf derInsel sichern sollten.156 Den besten Weg, „unsere Ziele durchsetzen“ zukönnen, sah man dabei in einer „direct assistance“ sowie in einer „persön-lichen“ Einflussnahme auf die portugiesische Administration. So fürchteteman 1948/49 auch das Übergreifen der „anti-holländischen Propaganda“der Indonesischen Republik auf Timor.157 Auch der Westteil war hiergemeint, denn noch im Jahre 1947 waren die meisten australischen Poli-tiker der Überzeugung, dass alle unter die Hoheit des holländischenResidenten in Kupang fallenden Inseln, d.h. alle Inseln östlich von Lombok,nicht automatisch dem neuen indonesischen Staat eingegliedert werdendürften.158 Nachdem das aber nicht zu verhindern war, konzentrierte man

51

154 Catley, Bob; Dugis, Vinsensio: Australian Indonesian Relations since 1945. TheGaruda and The Kangaroo, Aldershot u.a. 1998, S. 147.

155 Ebenda, S. 149 ff.156 Burton to Wheeler, Memorandum, Canberra, 2 July 1947, in: Documents, Vol. XI,

S. 106.157 Officer to Evatt, Ministerial Despatch Hag 26/47, The Hague, 8 October 1947, in:

Diplomasi, S. 348.158 Burton to Officer, Letter, Canberra, 7 November 1947, in: Documents, Vol. XI,

S. 387.

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sich in finanzieller Hinsicht auf die Stabilisierung der portugiesischen Herr-schaft im Ostteil Timors.

Ein Vierteljahrhundert später jedoch lagen die Dinge dann ganz anders. DieFrage nach den Gründen dieser nun australischen „Appeasement“-PolitikJakarta gegenüber beschäftigt bis heute Politiker und Politikwissenschaft-ler auf dem fünften Kontinent. Eine eindeutige Antwort hierauf hat bislangaber noch niemand gefunden.

Die Darstellung, dass der damalige Labor-Premier Gough Whitlam, der in den Jahren 1972–75 nach einem gutnachbarschaftlichen Verhältnis zu den Staaten Südostasiens strebte, Osttimor auf dem Altar der neuenaustralisch-indonesischen Beziehungen geopfert habe,159 leidet an demManko, dass hier übersehen wird, dass Australien nicht über Nacht dasInteresse an einer portugiesischen Präsenz in der Timorsee verloren hat.Vieles deutet aber darauf hin, dass die Vorgänge in Portugal und die mitihnen verbundenen Rückwirkungen auf das Kolonialreich Lissabons diePolitik in Canberra relativ unvorbereitet getroffen haben.

Mit erstauntem Entsetzen beobachtete man dort den in der ersten Jahres-hälfte 1975 auf der benachbarten Insel vollzogenen Abbau der portugie-sischen Streitkräfte und die damit verbundene Reduzierung der Mann-schaftsstärken um 80%.160

Die Anmerkung von Hiorth, dass sich auch andere Staaten in der Regionwie Singapur, die Philippinen, Malaysia oder Papua-Neuguinea ähnlichverhalten und Jakarta „unterstützt“161, wohlweislich die spätere Annexionaber nicht anerkannt haben, führt wieder zu jenem in der Literatur so häufigzitierten „Kuba-Syndrom“ hin, das wohl nicht als Auslöser für die indone-sische Invasion anzusehen ist, wohl aber als Grund für deren stillschwei-gende Hinnahme durch die anderen staatlichen Akteure ringsum geltenkann. Whitlams bereits angeführte Äußerung, dass Indonesien damals dieeinzige „Macht“ gewesen sei, die die FRETILIN-Offensive zum Stillstandhat bringen können, korrespondiert hier durchaus mit der Begründung, mitder er ein Eingreifen der australischen Armee ablehnte. „Nach der Tragödie

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159 Viviani, Nancy: Of Voices, Visions and Texts, in: Fry, S. 26.160 Hiorth, S. 28.161 Ebenda, S. 41.

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von Vietnam“, so Whitlam, hätte eine „weiße Macht“ in keine weiteren „Ter-ritorialkriege“ auf asiatischem Boden mehr verwickelt werden dürfen.162

Der Zusammenbruch in Indochina stellt so jenen Hintergrund dar, vor demdie Reaktion nicht nur Australiens auf die Geschehnisse in Timor 1975 zusehen ist. Denn nach Vietnam, Laos und Kambodscha wäre ohne jeglichesEingreifen von außen ein weiterer moskauorientierter Staat in zusätzlichnoch vorgerückter Position entstanden.

Zwar war Whitlam seit 1972 an einer Neuorientierung weg von den „ColdWar attitudes“ und hin zu einer neutralistischeren Politik interessiert.163

Doch hat er, was nicht nur sein Festhalten am ANZUS-Pakt zeigte, diesePolitik gar nicht „ausgeführt“.164

Osttimor und Vietnam zusammengenommen markieren vielmehr nichtsanderes als den Kollaps der „forward defense“-Konzeptionen.

Die Folge hieraus war eine Phase des Neoisolationismus, der frustriertenOrientierungs- und Hilflosigkeit, die eine teilweise Abwendung vom süd-ostasiatischen Schauplatz in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre bis weit indie 80er-Jahre hinein zur Folge hatte. Der „sowjetischen Bedrohung“ wollteman jetzt zuerst im Südpazifik entgegentreten. Nach Norden hin setzte mannun auf das Konzept der „direkten Verteidigung von Australien selbst.“165

Und dies mag auch erklären, warum sich gerade in der Phase der Anerken-nung der indonesischen Annexion Osttimors durch Canberra die austra-lisch-indonesischen Beziehungen trotzdem wieder „deutlich“ verschlech-terten.166

Der Grund für den international umstrittenen Schritt der Regierung Fraservom 20.1.1978 war daher auch nicht sicherheits- oder außenpolitischer,sondern rein wirtschaftspolitischer Natur. Denn der Streit um die Aus-beutung der Rohstoffe auf dem Grund der Timorsee hatte die Sicherheits-partner Australien und Portugal 1974 auf ökonomischem Gebiet entzweit.Die weitere Präsenz Portugals dort war für Australien damit in dieser Hin-sicht schon vor 1975 verzichtbar geworden. Mit Indonesien hingegen hatte

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162 Zitiert bei Roff, S. 44.163 Viviani, S. 26.164 Fry, S. 6.165 Ebenda, S. 7.166 Catley/Dugis, S. 159.

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man sich in den Jahren 1971 und 1972 bereits über die „seabedboundaries“ zwischen beiden Ländern geeinigt, vor allen Dingen imHinblick auf die „Erforschung des Meeresgrundes und … seiner natürlichenRessourcen“.167 Bei dieser Grenzziehung musste 1972 das Problem Ost-timor noch ausgeklammert werden.168 Die Verhandlungen über diese noch offene Frage begannen dann am 14. Februar 1979169, nachdem deraustralische Außenminister im Verlauf seines Treffens mit seinem indone-sischen Amtskollegen am 15. Dezember 1978 die am 20. Januar desselbenJahres von ihm abgegebene Erklärung, dass Osttimor ein „Teil Indone-siens“ sei,170 noch einmal explizit als „de jure recognition“ der Annexionverstanden wissen wollte.171

Den Labor-Regierungen der 80er- und der 90er-Jahre kam dieses Faitaccompli dann mehr als nur gelegen bei ihrem Versuch, eine erneuteAnnäherung an Jakarta in die Wege zu leiten.

2.3 Die Wende in der australischen Osttimor-Politik: Das australisch-indonesisch-osttimoresische Beziehungsdreieck im Wandel

Als Premierminister John Howard am 21. September 1999 vor dem Reprä-sentantenhaus in Canberra seine Rede zu Osttimor hielt, musste er sichvon der oppositionellen Labor Party den Vorwurf eines politischen „Fehl-schlages“ Indonesien gegenüber gefallen lassen. Nicht aber, weil die aus-tralische Teilnahme an INTERFET die Beziehungen zum Nachbarstaat be-lastet habe, wurde der Regierungschef von Kim Beazley, dem Sprecher derOpposition, angegriffen, sondern weil er zu spät gehandelt habe undJakarta gegenüber zu nachgiebig gewesen sei.172

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167 Agreement between the Government of the Commonwealth of Australia and theGovernment of the Republic of Indonesia Establishing Certain Seabed Bounda-ries in the Area of the Timor and Arafura Seas - Supplementary to the Agreementof May, 1971, Done at Jakarta, 9 October 1972, in: Basic Documents, S. 342.

168 Daher rührt auch der Begriff der „Timor-Lücke“ (Timor Gap), die 1972 bei derersten Grenzziehung noch offen gelassen wurde.

169 Siehe: Basic Documents, Doc. 112e.170 Announcement Made by the Minister for Foreign Affairs, Mr. A.S. Peacock,

20 January 1978, in: Basic Documents, S. 333.171 Announcement by the Minister for Foreign Affairs, Mr. A.S. Peacock, 15 Decem-

ber 1978, Basic Documents, S. 335.172 Parliamentary Debates, Tuesday, 21 September 1999, S. 10034.

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Den Beobachter der australischen Politik erstaunten solche Äußerungenzutiefst, denn entweder hat Kim Beazley ein schlechtes Gedächtnis, oder ervollzieht zum gegenwärtigen Zeitpunkt in den Südostasien-Konzeptionenseiner Partei eine geradezu revolutionäre Wende um 180 Grad.

Denn gerade unter Labor-Regierungen war noch bis 1996 versucht worden,die Beziehungen zu Jakarta auf eine vollkommen neue Basis zu stellen. Mitalten Vorbehalten den Nachbarn gegenüber wollte ab 1991 vor allen DingenPremier Paul Keating Schluss machen, der Australien zu einem „Teil“ Asi-ens machte, der die „ökonomische Integration“ seines Landes in den asia-tischen Wirtschaftsraum vorantreiben wollte und auch eine Verteidigungs-politik anstrebte, die sich nicht mehr „gegen die Region“ richten sollte.173

Keating war der Überzeugung, dass der von ihm eingeschlagene „Wegnach Asien“ über Jakarta verläuft. Sein Vorgänger Bob Hawke hatte bereitsein Hindernis auf diesem Weg entfernt, als er sich am 11. Dezember 1989mit der indonesischen Regierung auf die gemeinsame Ausbeutung derRohstoffe auf dem Grund der Timorsee einigte. Endgültig wurde jetzt der„continental shelf“ „zwischen der Provinz Osttimor und Nordaustralien“ ineine „Zone der Kooperation“ umgewandelt und dabei in drei „areas“ auf-geteilt. In den beiden äußeren Zonen übten die jeweiligen beiden Anrainer-staaten die Vollzugsgewalt aus und waren dort für die Vergabe der Lizenzenund der „exploration permits“ zuständig. Jedoch waren zehn Prozent derSteuereinnahmen an den jeweils anderen Partnerstaat abzuführen. FürZone A, die Zone der „joint control“, war ein Ministerrat beider Länderzuständig und eine dem Ministerrat verantwortliche „Joint Authority“.174

Beide Vertragsparteien gingen davon aus, dass der Vertrag der UN-Konvention über das Seerecht entspreche. Vom Völkerrecht war hier nichtdie Rede. Die Regierung in Lissabon sah in ihm einen „eklatanten Bruchdes internationalen Rechts“.175

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173 Smith, Gary: Australia’s Political Relationships with Asia, in: McGillivray, Mark;Smith, Gary (Hrsg.): Australia and Asia, Melbourne u.a. 1997, S. 100 ff.

174 Siehe: Treaty between Australia and the Republic of Indonesia on the Zone ofCooperation in an Area between the Indonesian Province of East Timor andNorthern Australia, Done over the Zone of Cooperation, 11 December 1989, in:Basic Documents, S. 346 ff.

175 Note of the Embassy of Portugal in Canberra to the Department of ForeignAffairs and Trade, 13 December 1989, Basic Documents, S. 361.

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Für die Labor-Regierungen in Canberra aber bedeutete diese Einigungjedoch den Beginn einer neuen Ära, in der auch über eine gemeinsameSicherheitspolitik mit Jakarta verhandelt werden sollte.

2.3.1 Australiens neue Rolle in Südostasien: Indonesien in densicherheitspolitischen Konzeptionen der 90er-Jahre

Als am 18. Dezember 1995 in Jakarta der australische AußenministerGareth Evans und sein indonesischer Amtskollege Ali Alatas ihren beider-seitigen Willen bekundeten, „die lebendige Freundschaft“ zwischen ihrenbeiden Nationen „zu stärken“, zeitigte dieser Wille auch konkrete Er-gebnisse. Regelmäßige Konsultationen der Verteidigungsminister wurdenvereinbart und ein schon fast klassischer und für die europäischenBündnissysteme des 19. Jahrhunderts charakteristischer bilateraler Bei-standspakt für den Fall einer Aggression von dritter Seite abgeschlossen.„Nützliche kooperative Aktivitäten auf dem Sicherheitsfeld“ wurden eben-falls vereinbart.176

Dieses Abkommen war Bestandteil eines neuen australischen Konzepts zur„regionalen Sicherheit“, im Rahmen dessen eine Reihe bilateraler „regio-naler Sicherheitsabkommen“ mit den Staaten Südostasiens – wie etwaauch mit Thailand – abgeschlossen werden sollte.177 Das diesbezüglichabgefasste und schon im Dezember 1989 der Öffentlichkeit vorgestellteKonzeptpapier der Regierung Hawke hatte zuvor schon die RückkehrAustraliens nach Südostasien nach eineinhalb Jahrzehnten einer weit-gehenden sicherheitspolitischen Abwesenheit dort markieren sollen. Undan die Stelle der früher angestrebten Kooperation mit nicht-asiatischenMächten, sollte nun – mit Ausnahme der USA, die weiterhin als ,Schutz-patron’ des fünften Kontinents angesehen wurden – eine Zusammenarbeitmit den asiatischen Staaten selbst treten.

Indonesien selbst taucht zwar auch in diesem Dokument, wie das früherschon der Fall war, als „protective barrier“ auf,178 wird hier aber anders als

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176 Agreement Between the Government of Australia and the Government of theRepublic of Indonesia on Maintaining Security, Jakarta, 18 December 1995,Article 1, 2, 3.

177 Australia’s Regional Security; Ministerial Statement by Senator the Hon GarethEvans QC, Minister for Foreign Affairs and Trade, Canberra, December 1989,Paragraph 77 ff.

178 Para 47.

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in den „forward defense“-Papieren als „area“ definiert, „durch“ welchequasi hindurch von noch weiter nördlich her eine „militärische Bedrohung“erfolgen könne.

Immerhin, so wird das Papier schon eingeleitet, könne man angesichts derwirtschaftlichen Interessen, die hier auf dem Spiel stehen, einer Region mitden – damals noch – „höchsten ... Wachstumsraten“ nicht mehr so einfachden Rücken kehren.179

Auf äußerst fragwürdige Art und Weise allerdings glaubte sich der damaligeAußenminister im Rahmen dieser neuen Sicherheitspartnerschaft eineraußenpolitischen Altlast entledigen zu können. So schrieb er in den Para-graphen 112 und 113 seines Strategiepapiers:

„112. Es ist vom Gesichtspunkt der Nationalen Sicherheit aus gesehenhöchst wünschenswert, dass es uns gelingt, unseren wirtschaftlichenBindungen zu Südostasien und dem Südpazifik mehr Substanz zu geben.Dies nicht nur wegen der wirtschaftlichen Vorteile, die von der einen oderder anderen Seite gezogen werden können. Der Punkt ist, dass solcheBindungen wechselseitige Interessen und Interdependenzen schaffen.Wenn solche wirtschaftlichen Bindungen genügend Substanz erhalten,kann das Bewusstsein bezüglich ihres Wertes zu einer bedeutendenSchranke gegen jeglichen Versuch werden, zu einem militärischen KonfliktZuflucht zu suchen.

113. Ein exzellentes Beispiel hierfür ist das vorgeschlagene Abkommen mitIndonesien über die Ausbeutung der Ressourcen auf dem Meeresgrund derTimor-Lücke. Wenn Öl in dieser höchst Erfolg versprechenden Gegendgefunden wird, werden die gemeinsamen Abkommen beiden Ländern zumwirtschaftlichen Vorteil gereichen. Die Timor-Gap-Resolution ist ein klaresBeispiel für eine nicht-militärische Lösung eines Problems, das geschicht-lich bislang oft zu Konflikten geführt hat.“

Die völkerrechtlich gesehen immer noch existierende ,Dritte Partei’, die derTimoresen, wurde hier vollkommen außer Acht gelassen.

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179 Para 25.

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Heute ist Premier Howard nicht mehr dazu bereit, „gute Beziehungen zuIndonesien um jeden Preis“ zu unterhalten. Er will heute in Osttimor „dasRichtige, unseren eigenen Werten Entsprechende“ tun.180

Seine Feststellung, dass die Soldaten des fünften Kontinents immer schonim „nationalen Interesse“ gehandelt haben, weil sie für das gekämpfthaben“, was diese Gesellschaft für richtig empfindet“181, hat historischenHintergrund.

Doch haben zweifelsohne jene „Veränderungen, die in Indonesien statt-finden“ und die mit ihnen einhergehenden Schwierigkeiten diese Wende inder australischen Außenpolitik unter John Howard mit verursacht.182 Genauwie US-Präsident Clinton begrüßt auch er den Prozess der Demokratisie-rung in Indonesien. Doch den Ereignissen dort ungleich näher stehend,scheint er die Entwicklungen im Archipel mit etwas mehr Skepsis zu be-obachten und deren Rückwirkungen auf Australien selbst zu fürchten. EinAuseinanderbrechen des Vielvölkerstaates oder ein Militärputsch scheinenim Kabinett Howard als Optionen schon lange gehandelt zu werden. So hatdie Regierung schon kurz nach dem Sturz Suhartos mit Hinweis auf dieunsichere Lage im Nachbarland die Einreisebedingungen für Indonesierverschärft. Auch hat der Regierungschef nie einen Hehl daraus gemacht,dass Suhartos Nachfolger oder auch Megawati Sukarnoputri für ihn nur„transition figures“ sind. Und die Zukunft Indonesiens bleibt in den Plan-spielen australischer Politiker eine ungewisse Größe.

So scheint es auch kein Zufall zu sein, dass sich John Howard kurz vorWeihnachten 1998 an den damals noch amtierenden indonesischenStaatspräsidenten Habibie wandte, um diesem ein neues, „anderes Heran-gehen an Osttimor“ ans Herz zu legen und ihm gegenüber die „Option einerAutonomie für Osttimor mit einem Akt der Selbstbestimmung“ ins Spiel zubringen.183

Wie die Verteidigungsstrategen des fünften Kontinents in den 50er und60er-Jahren angesichts des von ihnen so wahrgenommenen Unsicherheits-bzw. Bedrohungsfaktors Indonesien dafür plädierten, die aus ihrer Sichtstrategisch wichtigen Knotenpunkte im Bereich der östlichen Inseln des

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180 Parliamentary Debates, S. 10030.181 Ebenda, S. 10031.182 Ebenda, S. 10030.183 Parliamentary Debates, S. 10027.

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Archipels der Kontrolle Jakartas zu entziehen, so ist ihnen heute in Anbe-tracht der Instabilität des Vielvölkerstaates im Norden der Spatz in derHand, d.h. das kleine unabhängige Osttimor, wichtiger als die unsichereindonesische Taube auf dem Dach. So sind trotz aller augenscheinlichenBrüche in der Außen- und Verteidigungspolitik Canberras Kontinuitäten undKonstanten in der nationalen Interessenlage erkennbar, die eben dieseBrüche zu erklären scheinen.

Dies gilt auch für die Bereitschaft, eine aktive Rolle bei der Lösung vonKonflikten in der Nachbarregion zu übernehmen. Heute soll dies allerdingsnicht mehr im Konzert nur mit anderen „weißen“ Mächten geschehen, son-dern in Zusammenarbeit mit den Asiaten und auf der Ebene der UN.

2.3.2 Australien, die UN und Osttimor

„… es gibt ein wachsendes Interesse an der Friedenssicherung (peace-keeping), erzeugt allgemein durch die Beteiligung Australiens an einerReihe von Operationen, aber … besonders im Hinblick auf Australienswichtigen Beitrag zur diplomatischen und operationalen Lösung desKonflikts.“184

Der Konflikt, von dem Lieutenant-General Sanderson hier sprach, war abernicht der um Osttimor. Seine Äußerungen stammen vielmehr aus demJahre 1994 und beziehen sich auf die UN-Mission in Kambodscha von1991 bis 1993. Als Kommandeur der „Militärischen Komponente“ der „Uni-ted Nations Transitional Authority in Cambodia“ (UNTAC) war er dort u.a.für den Rückzug aller „foreign forces“ aus diesem Land, die Überwachungdes Waffenstillstandes und die Entwaffnung bzw. Demobilisierung allermilitärischen Kräfte sowie die Konfiszierung aller Waffen verantwortlich.185

Nach Doyle war die Kambodscha-Mission zu diesem Zeitpunkt vor allenDingen wegen der „Rolle“ der Vereinten Nationen „bei der Garantierung derDemokratie“ „einzigartig“ und auch deswegen, weil die Völkergemeinschaft

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184 Lieutenant-General John M. Sanderson: UNTAC: The Military Component View;Conference Papers of the International Conference in Singapore, August 1994,in: The United Nations Transitional Authority in Cambodia (UNTAC): Debriefingand Lessons. Report and Recommendations of the International Conference,Singapore, August 1994, London u.a. 1995, S. 125.

185 Doyle, Michael W.: UN Peacekeeping in Cambodia. UNTAC’s Civil Mandate,London/Boulder, Colorado 1995, S. 29 f.

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hier „zum ersten Male … die Aufgabe übernommen hatte, eine nationaleWahl (nicht nur lediglich zu … überwachen), sondern zu organisieren unddurchzuführen“.186

Die Grundzüge des Projekts für eine „umfassende Lösung“ des Kam-bodscha-Problems „unter den Auspizien“ der UN hatte der damaligeaustralische Außenminister - in Anlehnung an den Sihanouk-Plan – schonEnde 1989 entworfen187 und dabei die Schaffung einer von den VereintenNationen getragenen „Interimsverwaltung“ in Phnom Penh bis hin zurAbhaltung freier Wahlen vorgeschlagen. Der sog. „Evans-Plan“ wurde aufmehreren Kambodscha-Konferenzen in den Jahren 1990 und 1991 zurDiskussionsgrundlage. Er bedeutete nach allgemeiner Einschätzung eine„radikale Abkehr“ von den althergebrachten UN-Prinzipien, die sich bisdahin nur mit „Treuhandschafts-Verantwortungen“ („trusteeship“) begnügthatten.188

Schon vor dem Jahre 1998 war die Idee einer Anwendung dieses UNTAC-Modells auf Osttimor ventiliert worden, ging es doch in beiden Fällen umdie Gewährleistung der „Staatssouveränität“ gegenüber „Ambitionen“ vonaußen – im Falle Kambodschas „vis-à-vis“ Vietnam, im Falle OsttimorsIndonesien gegenüber.189 Und so plante Gunn schon 1997 in Anlehnung anUNTAC die Schaffung einer ähnlichen UN-Übergangsverwaltung – hierauch schon UNTAET genannt – für Osttimor.190

In Canberra hingegen schwenkte man erst später auf diese Linie ein. Undauch nach Ankündigung der Volksabstimmung wurden dort nach Ein-schätzung vieler Beobachter und vor allen Dingen der Medienvertreter jeneLehren, die man aus Kambodscha hätte ziehen müssen, nicht gezogen undoffensichtlicherweise auch noch zusätzliche Fehler begangen: WährendGareth Evans am 24. November 1989 die von den Vietnamesen in PhnomPenh eingesetzte Regierung Hun Sen schon als Vorbedingung für dieDurchführung einer UN-Mission zum Rücktritt aufforderte191 und sich die

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186 Doyle, S. 29 und 31.187 Gunn, Geoffrey C; Lee, Jefferson: Cambodia watching Down Under, Chula-

longkorn University Bangkok 1991, S. 273.188 Gunn, Geoffrey C.: East Timor and the United Nations. The Case for Intervention,

Lawrenceville NJ/Asmara, Eritrea 1997, S. 91.189 Gunn, S. 91.190 Ebenda, S. 93.191 Gunn/Lee, S. 273.

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vietnamesische Armee tatsächlich im Jahre 1989 aus dem Nachbarlandzurückgezogen hatte, stand man ein Jahrzehnt später auf dem Standpunkt,dass ein Rückzug der TNI aus Osttimor vor Abhaltung des Referendumsnicht notwendig sei. Da aber Australien 1978 Osttimor als „Teil Indo-nesiens“ anerkannt hatte, stand Howard vor dem Problem, dass eineVorgehensweise wie in Kambodscha, d.h. ein Einrücken australischer Ver-bände, schon vor dem Tag der Volksabstimmung und ohne die Zustim-mung Jakartas einer Verletzung der Souveränität des Nachbarlandesgleichgekommen wäre. Das hätte bedeutet, Jakarta, wie der Premier esselbst formuliert hat, den „Krieg zu erklären“.192

Aus moralischer Sicht hätten die „Fehler“, die nach Einschätzung Doyles inKambodscha begangen wurden, in Osttimor eigentlich vermieden werdenmüssen. Denn die beiden Hauptfehler der UNTAC-Mission – die unzu-reichende Entwaffnung der „military forces“193 und damit verbunden auchdie Gefährdung der Abhaltung von wirklich „freien und fairen“ Wahlen194 –schienen sich nun in Osttimor zu wiederholen.

Doch John Howard tat sich schwer bei seinem Versuch, sich aus den vonseinen Vorgängern gelegten Fußangeln in der Osttimor-Frage zu befreien.Dafür droht er sich nun in denen der australisch-südostasiatischen Be-ziehungen zu verfangen, denn viele ASEAN-Staaten nehmen ihm seinEintreten für die Unabhängigkeit Osttimors übel. Im Gegensatz dazu sinddie USA über die Bereitschaft Australiens, die Rolle einer Mittelmacht in derRegion zu übernehmen, mehr als nur erfreut.

3. Die USA und die osttimoresische Unabhängigkeit

Am 4. September 1999 begrüßte US-Außenministerin Madeleine Albright inJerusalem das Votum der Osttimoresen für eine staatliche Eigenständig-keit:

„Mit ihren Stimmen haben die Menschen von Osttimor laut und deutlichgesprochen. Die historische Befragung ist ein wichtiger Schritt hin zurGeburt einer neuen Nation. … Die Vereinigten Staaten und viele andere

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192 Parliamentary Debates, S. 10029.193 Doyle, S. 34.194 Ebenda, S. 55 f.

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Mitglieder der internationalen Gemeinschaft haben diesen Prozess unter-stützt, und sie werden fortfahren, ihn energisch zu unterstützen.“195

Dennoch wollte man im State Department in Washington jedoch keinenZweifel daran lassen, dass man an dem Wunsch nach einem „starken US-Verhältnis zu Indonesien“ festhalte und sich auch in Zukunft ein „sicheresund stabiles Indonesien“ als Sicherheitsgaranten in der Region wünsche.196

Doch zeigen die gegenwärtigen Ereignisse in Südostasien, dass der Ver-such, dort das Selbstbestimmungsrecht der Völker durchzusetzen undgleichzeitig die Stabilität in der Region aufrechterhalten zu wollen, einerQuadratur des Kreises gleichkommt.

Zwischen diesen beiden Polen bewegte sich die US-amerikanischeSüdostasien- bzw. Indonesienpolitik aber schon immer, ja sie musste diesaufgrund der dortigen Gegebenheiten schon immer tun. Wie weit dasPendel dabei in Richtung auf das Prinzip des Selbstbestimmungsrechtsausschlagen konnte bzw. sogar durfte, hing immer auch von sicherheits-politischen Erwägungen ab. Der Zusammenbruch des Ostblocks hat auchhier zu einer Veränderung der Determinanten der amerikanischen Süd-ostasien- und Indonesienpolitik geführt, wenngleich auch hier – im Gegen-satz zu Europa – noch kommunistische staatliche Akteure wie Vietnam oderdie Volksrepublik China anzutreffen sind. Das wirft die Frage auf, welcheBedeutung Indonesien heute in Washington noch beigemessen wird. Gehtman hier ähnlich wie in Canberra davon aus, dass der Zerfall des Viel-völkerstaates nur mehr eine Frage der Zeit ist und man sich rechtzeitigselbst einige Stücke aus dem Kuchen herausschneiden bzw. strategischund wirtschaftlich bedeutende Reststücke aus der Konkursmasse „retten“sollte?

Auch wenn es gegenwärtig noch heißt, dass Indonesien nicht Jugoslawienist, so kennt US-Verteidigungsminister William Cohen die Gefahren, die von

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195 U.S. Department of State: Office of the Spokesman. For Immediate ReleaseSeptember 4, 1999: Statement by Secretary of State Madeleine K. Albright:Results of Vote in East Timor; http://www.usia.gov/regional/ea/timor/alb904.htm(Abgerufen am 28.10.1999).

196 U.S. Department of State: Office of the Assistant Secretary of Defense (PublicAffairs), Washington, D.C. 20301: Background Briefing. Subject: SecDef’s Trip toSoutheast Asia, Friday, September 24, 1999; http://www.usia.gov/regional/ea/timor/cohnasia.htm (Abgerufen am 25.10.1999), S. 2 und 8.

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den vielen innerindonesischen Konflikten ausgehen, nur allzu gut. Vor demHintergrund der Entwicklungen in Aceh und Irian Yaya wird auch Cohen inseinen Planspielen die Beilegung dieser Konflikte allein durch „Dialog undDiskussion“197 nicht als die wirklich einzige Option betrachten.

Angesichts der indonesischen Drohungen mit dem Ausspielen der ,chinesi-schen Karte’ und der Tatsache, dass muslimische Separatistenorganisatio-nen wie Aceh Merdeka ähnlich wie die auf Mindanao auf den Philippinen inder Vergangenheit schon von Libyen unterstützt wurden, droht das gegen-wärtige Engagement des Westens für Osttimor vor allen Dingen seineeigene Position in der Region zu gefährden.

Doch zeigt andererseits gerade das Beispiel der früher so antiamerika-nischen FRETILIN, dass in den 90er-Jahren so manche Unabhängigkeits-bewegung im Archipel erkannt hat, dass nur mehr die USA als Weltmachtübrig geblieben sind und man diese Macht auf seine Seite ziehen muss, umetwas erreichen zu können. Darüber hinaus verfügen die USA – auch wenndies zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum Erwähnung findet – gerade hiertraditionell über durchaus gute Beziehungen zu verschiedenen, auch mus-limischen, regionalen Dissidentenorganisationen.

Eine der Hauptaufgaben der US-amerikanischen Indonesienpolitik bestanddaher auch seit den 50er-Jahren im Austarieren dieser gegensätzlichenKräfte. Unter dem Eindruck sich verändernder weltpolitischer Konstella-tionen wurde daher auch wechselweise jeweils der einen Option Vorrangvor der anderen eingeräumt. So nahm in den Krisenjahren 1956–58 die US-Administration unter Präsident Eisenhower die Gefahr eines Auseinander-brechens der Unitarischen Republik in „kleinere Segmente“ bewusst inKauf198, weil der Javanische Zentralismus und Expansionismus die Sicher-heitsinteressen der Vereinigten Staaten in Südostasien bedrohte. ZwanzigJahre später war in den Augen von Präsident Ford ein intaktes Indonesieneben für diese Interessen dann unverzichtbar geworden. UnterstützteEisenhower noch die Separatistenbewegungen auf Sumatra und im süd-lichen Sulawesi, so hatte Ford gegen eine Ausdehnung des indonesischenStaatsgebietes auf Osttimor zumindest nichts einzuwenden. Das Einwirkeneines vierten Akteurs bzw. eines zweiten außerregionalen Akteurs hattediese unterschiedlichen Haltungen Washingtons zu den regionalen Akteu-

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197 Background Briefing, S. 8.198 Gardner, Paul F.: Shared Hopes, Separate Fears. Fifty Years of U.S.-Indonesian

Relations, Boulder, Colorado/Oxford UK 1997, S. 133.

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ren bestimmt. Auch die regionalen Akteure hatten sich verändert bzw. ebenaufgrund des Einwirkens dieses vierten Akteurs innerhalb dieses Be-ziehungsvierecks jeweils unterschiedliche Positionen eingenommen.

War Eisenhower ein in seine einzelnen Bestandteile zerfallendes Indonesienlieber als eines „unter kommunistischer Herrschaft“, so stand der Ford-Administration nun ein einheitlicher, anti-kommunistischer indonesischerStaat näher als die „unmittelbare Schaffung eines unabhängigen marxis-tischen Staates“ im östlichen Teil Timors.199

3.1 Die Politik der Groß-, Pazifik- und Regionalmacht USA in Südostasien

Im Kontext des Ost-West-Konflikts betrachtete Washington Südostasienspätestens seit den beginnenden 50er-Jahren als die nach Europa – dem„sicherheitspolitischen Schwerpunkt“200 – „zweite strategische Front vongeopolitischer Bedeutung“.201

Spätestens der Sieg Mao Zedongs in China hatte gezeigt, dass eineeffektive Containment-Politik nicht nur in Europa ansetzen durfte, sonderndass versucht werden musste, deren Eindämmungs-„Linie“ nach Asien hin„zu erweitern“.202 Doch schon lange vor Ausbruch des Kalten Krieges, d.h.seit dem Ende des spanisch-amerikanischen Krieges 1898, waren die USA„zu einer der maßgeblichen Ordnungsmächte im gesamten pazifischenRaum“ geworden.203

Der im Friedensvertrag mit Spanien geregelte Erwerb der Philippinenmachte die USA zu einer asiatischen Macht, die so – im Falle dieses Insel-staates bis zum Jahre 1946 – direkt und „territorial“ in der Region präsentwar, und damit zu einem Staat, dessen „Grenzen“ durch den südostasia-tischen Archipel bzw. durch „Insel-Asien“ verliefen.

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199 Gardner, S. 285.200 Portugall, Gerd: Amerikanische Sicherheitspolitik gegenüber Südostasien:

Funktionalitätsanalyse eines regionalen amerikanischen Sicherheitssystems;1975–1989, Frankfurt am Main u.a. 1993, zugl. Univ., Diss. , Saarbrücken 1993,S. 33.

201 Robert L. Pfaltzgraff, zitiert bei Portgall, S. 33.202 Levine, Alan J.: The United States and the struggle for Southeast Asia,

1945–1975, Westport CT/London 1995, S. 1. 203 Portugall, S. 22.

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Verblieben sind den Vereinigten Staaten auch nach 1946 noch andere,pazifische’ und strategisch nicht unwichtige Erwerbungen der Jahre1898/99 wie das Wake-Atoll, die südöstlichen Samoa-Inseln und auchGuam, das „als wichtiges Sprungbrett nach Südostasien gilt“.204

Gleichzeitig übernahmen die USA nach 1945 von der UNO die Treuhand-schaft über eine Reihe japanischer Völkerbundsmandate wie die Nörd-lichen Marianen, die Marshall-Inseln, Palau und Mikronesien, welche heuteentweder wie die Marianen als „US-Außengebiete“ gelten oder wie Palau,die Marshall-Inseln und Mikronesien durch Assoziierungsabkommen mitdem amerikanischen „Festland“ verbunden geblieben sind.

Nach der „geopolitischen Umorientierung“ der amerikanischen Außen- undSicherheitspolitik hin auf Europa in der Phase des beginnenden KaltenKrieges205 lenkte die „Zhdanov-Periode“206 in der UdSSR und deren nichtnurpropagierte Unterstützung antikolonialistischer Befreiungsbewegungendie Aufmerksamkeit der Politikgestalter in Washington wieder auf denWestpazifik. Die Aufstände und Rebellionen, die nach 1948 ganz Südost-asien erschütterten, führten hier zu der Überzeugung, dass auch das öst-liche Asien in ein umfassendes Sicherheitssystem integriert werden müsse,wie dies in Europa mit der Gründung des Nordatlantikpaktes im April 1949bereits geschehen war. Der Unabhängigkeitskrieg im indonesischen Archi-pel 1948/49 aber hatte hier schon das grundsätzliche Dilemma der US-amerikanischen Eindämmungspolitik in dieser Region offenbart. Denn werhier auf die Zusammenarbeit mit nichtkommunistischen staatlichen Akteu-ren setzte, der musste auch dafür sorgen, dass es solche in einem damalsnoch zwischen europäischen Kolonialmächten aufgeteilten Gebiet über-haupt erst gab. Konkret erforderte das eine Annäherung an die nationalenBefreiungsbewegungen – um deren Gunst auch Moskau buhlte –, wasWashington zwangsläufig in einen nicht unproblematischen Interessen-gegensatz zu jenen Kolonialherren bringen musste, die in Europa NATO-Bündnispartner werden sollten.

Im Zuge ihres „Antikolonialismus“ bewahrten so die Truman- und zunächstauch die Eisenhower-Administration kritischen Abstand zum Krieg derFranzosen in Indochina und ergriffen mitunter auch Partei für Sukarno wie

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204 Ebenda, S. 21.205 Ebenda, S. 31.206 Levine, S. 9.

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z.B. im Falle der holländischen „Polizeiaktion“ gegen ihn und seine Be-wegung im Dezember 1948.207

In Südostasien und im Pazifik gingen aus diesen Anstrengungen um einesicherheitspolitische Kooperation mit den regionalen Akteuren am 1. Sep-tember 1951 der ANZUS-Pakt und am 8. September 1954 der Manila-Pakt– die spätere SEATO – mit den asiatischen Partnerstaaten Pakistan, Thai-land und den Philippinen neben den USA, Großbritannien, Frankreich,Australien und Neuseeland hervor.

Japan, Südkorea und Taiwan wurden im Rahmen bilateraler Sicherheits-abkommen in das amerikanische Netzwerk von Verteidigungsbündnissenmiteinbezogen, und für Indochina sollte laut Manila-Vertrag eine Sicher-heitsgarantie der SEATO gelten. Malaya und Birma hingegen waren bereitsdurch die britische Präsenz dort als ,abgedeckt’ zu betrachten.

Das von den USA installierte Sicherheitssystem aber hatte schon in seinenJahren bis zum Ende des Indochinakrieges mit einigen grundlegendenProblemen zu kämpfen:

• Zu allererst entwickelte sich die SEATO nicht zu einer südostasia-tischen NATO. Sie wurde den Ruch eines Bündnisses mit „westlicherDominanz“208, d.h. eines „Paktes des weißen Mannes“, nie richtig los.Zum Gegenspieler der SEATO war in den 50er-Jahren ausgerechnetdas Indonesien Sukarnos geworden. Washington und Canberra hättensich eine SEATO-Mitgliedschaft gerade dieses wichtigen Regional-faktors gewünscht, doch Trumans anfänglich antikolonialistische Poli-tik hatte hier keine Früchte getragen und Sukarno nicht von seiner Wahlfür die Blockfreiheit abbringen können. In Indochina leitete der Fall vonDien Bien Phu dann endgültig die Abkehr der USA von der Linie desAntikolonialismus ein, was es Indonesien nun leicht machte, die SEATOals ein „Instrument des Neokolonialismus“ zu verunglimpfen.209

• Auch innerhalb der verschiedenen Paktsysteme offenbarten sichgrundlegende Divergenzen bei den jeweiligen Bedrohungswahrneh-mungen. Wie Portugall hervorhebt, betrachteten viele asiatischeStaaten wie Malaysia – so wie auch das Indonesien Suhartos – nicht

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207 Vgl. Gardner, S. 81 ff. 208 Portugall, S. 60.209 Gardner, S. 112.

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wie die USA Nordvietnam, sondern die Volksrepublik China als den„bedrohlichsten staatlichen kommunistischen Akteur“ in der Region.210

Diese unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich der eigentlichenGefahrenquellen mussten schließlich im Gefolge der chinesisch-ame-rikanischen Annäherung seit 1972 zwangsläufig zu einer weiterenEntfremdung zwischen den Partnern diesseits und jenseits des Pazifiksführen.211

Die von US-Präsident Nixon 1969 auf Guam angekündigte „Disengage-ment-Politik“, d.h. die Politik der „Vietnamisierung“ des Vietnamkonfliktesund des teilweisen militärischen Rückzugs der USA nicht nur aus Indo-china, forcierte diesen Entfremdungsprozess weiter. Zwar wollten die USAnur ihre direkte Präsenz in der Region verringern, ihre militärischen Hilfs-leistungen an Südvietnam z.B. aber nicht einstellen. Den Staatsmännern inden südostasiatischen Hauptstädten aber drängte sich jetzt der Eindruckauf, dass sich die Strukturen der alten Bündnissysteme aufzulösen be-gannen und man jetzt auf eigenen Füßen stehen – und auch eine eigen-ständige China-Politik betreiben werden müsse. Als sich so der Vietnam-krieg seinem Ende näherte, schien in Südostasien die „Stunde Indone-siens“ als Relaisstation zwischen Washington und Fernost gekommen zusein.

Indonesien betrachtete einerseits wie seine Nachbarstaaten die Volksrepu-blik China als „eine weit größere Gefahr als die Sowjetunion“.212 Anderer-seits hatte Suharto seit 1966 die militärische Zusammenarbeit mit den USAverstärkt, obwohl das Land formal am Prinzip der Blockfreiheit festhielt.213

Durch seine Initiative zur Gründung der ASEAN hatte Indonesien seit 1967seine Isolation in der Region überwinden und das Vertrauen seiner Nach-barstaaten gewinnen können.214 Und in Washington betrachtete jenerRichard Nixon, der eine „Asianisierung“ der asiatischen Politik herbeiführenwollte, Indonesien jetzt als „eine Mittelmacht“, die „eine ziemlich wichtigeRolle in Südostasien zu spielen“ hat.215 Und gerade deswegen, so folgertPaul Gardner aus solchen Äußerungen, weil diese Mittelmacht im Zentrum

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210 Portugall, S. 76.211 Siehe: Shee, Poon-Kim: A Decade of ASEAN, 1967-1977, in: Asian Survey,

August 1977.212 Gardner, S. 265.213 Portugall, S. 112.214 Gardner, S. 264.215 Zitiert ebenda, S. 266.

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der geopolitischen und geostrategischen Überlegungen stand und Ost-timor hier nur von „peripherer“ Bedeutung war, hätte Präsident Fordwährend seines Besuches in Jakarta am 6. Dezember 1975 auch keine Be-denken gegen eine militärische Intervention Indonesiens dort geäußert.216

3.2 Die USA, Indonesien und Osttimor

Paul Gardners Argumentation aber bleibt in diesem Punkt in sich wider-sprüchlich und trotz ihrer simplifizierenden Darstellungsweise eigentlichauch schwer verständlich und auch unlogisch. Denn die Tatsache, dass –wie noch zu sehen sein wird – der Westen des Malaiischen Archipels ausder Sicht der USA strategisch wichtiger war und ist als der Osten, mussnicht bedeuten, dass das letztere Gebiet in dieser Hinsicht vollkommenunbedeutend ist. Dazu kommen zum damaligen Zeitpunkt natürlich auchdie Vorgänge in Indochina selbst.

Logischer aufgebaut erscheint da die von Gerd Portugall angeboteneArgumentationskette zur Erklärung des indonesisch-amerikanischen„Agreements“ vom Dezember 1975. Denn diese Übereinstimmung bringtder Wissenschaftler in direkten Zusammenhang mit der von Washingtonnach dem Zusammenbruch in Vietnam betriebenen Politik der „Schadens-begrenzung“ in Südostasien.217 Portugall geht davon aus, dass die Vor-gänge in Osttimor im Jahre 1975 sehr wohl die sicherheitspolitischen Inter-essen der USA direkt tangiert haben. Er unterstreicht dabei, dass für dieVereinigten Staaten und die nicht-kommunistischen Länder der Region voneiner promarxistischen Regierung in Dili die „Gefahr eines ,neuen Kuba’“ausgegangen wäre.218 Wenngleich auch dieser Vergleich die Perspektiveder USA mit einer in geographischer Hinsicht wohl wollenden Dislozierungbeschreibt – es könnte sich hier wohl eher um ein australisches Argumenthandeln –, so trifft er doch den Kern der Sache. Und Osttimors Bedeutungist nicht nur dieser Natur.

3.2.1 Die wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der USA im Malaiischen Archipel

Im Gegensatz zu vielen heute anzutreffenden Darstellungen ist Osttimorkein ,Land ohne Wert’. Zwar stimmt es, dass eine Industrie nach westlichen

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216 Ebenda, S. 285.217 Portugall, S. 119.218 Ebenda, S. 121.

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Maßstäben „nicht bzw. kaum vorhanden“ ist und bei den Wirtschaftssek-toren die Landwirtschaft dominiert.219 Noch 1985 waren 70% der Bevöl-kerung von „Subsistenzlandwirtschaft“ abhängig, und Hiorth bezeichnetdie Insel als zu den „am wenigsten entwickelten Teilen des IndonesischenArchipels“ gehörend.220 Doch ist die Insel ein bedeutender Rohstoff-lieferant, was sich vor allen Dingen auf die immensen Öl- und Gasvor-kommen in der Timorsee bezieht. Diese Vorkommen wurden 1988 bzw.1995 auf 5.000–7.000 Millionen Barrel geschätzt, was nach unparteiischerMeinung ein Vorkommen von „beträchtlichem Wert“ darstellt.221

Osttimor ist dabei aber nur Teil einer Region, die insgesamt als eines derbedeutendsten Rohstofflager der Welt angesehen werden kann. In Süd-ostasien befinden sich generell „beachtliche Erdöl- und Erdgasreserven“.222

Die weltweit größten Zinnvorkommen finden sich ebenfalls hier, verteilt aufMalaysia mit dem größten Anteil sowie auf Laos, Thailand und Indonesien.Im Falle Malaysias und Indonesiens weist Portugall auch auf die hier vor-gefundenen „Mengen“ des Minerals Bauxit hin und hebt dabei die „Import-abhängigkeit der USA bei diesem Mineral“ hervor, das vor allen Dingen imFlugzeugbau und bei der Geschützherstellung Anwendung findet.223

Die „geostrategische Bedeutung“ Südostasiens ergibt sich für Portugallaus seiner „doppelten Eigenschaft als Landriegel zwischen Indischem undPazifischem Ozean einerseits sowie als Inselbrücke zwischen dem asia-tischen und dem australischen Festland andererseits“.224

So könne einerseits jede „konventionelle Bedrohung“ Australiens nur ,über’diesen Landriegel hinweg bzw. ,durch’ ihn hindurch erfolgen. Andererseitssind „offene Transitrouten“ im Archipel nicht nur für die regionalen Akteurevon Bedeutung. Eine Schließung der Seewege hier könnte nicht nur wirt-schaftlich verheerende Folgen nach sich ziehen, sondern auch militärischeSchwierigkeiten mit sich bringen. Von „zentraler Bedeutung“ unter allen

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219 Ost-Timor entscheidet über seine Zukunft, in: FAZ, 30.8.1999.220 Hiorth, S. 1.221 International Court of Justice: Case Concerning East Timor (Portugal v. Austra-

lia), Judgement of 30 June 1995, in: Basic Documents, S. 422; zu den Schät-zungen siehe auch: Petroleum Gazette, No. 3, 1988.

222 Portugall, S. 85.223 Ebenda.224 Ebenda, S. 83.

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Wasserstraßen ist hier die Straße von Malakka und dies auch für die US-Militärs: „Doch schon eine plötzliche und kurzfristige Schließung derMalakka-Straße würde für die Siebte US-Flotte die Fahrzeit zwischen Indikund Pazifik um zwei bis vier Tage verlängern, was in Krisen- oder garKriegszeiten von ausschlaggebender Bedeutung sein kann.“225

Das würde bedeuten, dass die wirtschaftlichen und die geostrategischenInteressenschwerpunkte der USA im westlichen Teil des indonesischenArchipels liegen, während die der Australier eher im Osten zu finden sind,wo dem „Zugang zur Torres Straße“ eine ähnliche Wichtigkeit in denSicherheitskonzeptionen Canberras zukommt wie der Malakka-Straße indenen der Vereinigten Staaten. Die amerikanischen und die australischenInteressenlagen in diesem Raum sind also nicht als per se deckungsgleichzu bezeichnen. Anders als im Falle Australiens würde diese Ausgangslageaus der Sicht Washingtons für die Verfolgung einer proindonesischen Poli-tik sprechen. Die USA sehen zudem ihre eigenen Sicherheitsinteressenauch mit denen Japans verbunden, für das eine Krisensituation in Südost-asien „wirtschaftlich kritisch“ werden könnte226, da z.B. 90 Prozent derErdöllieferungen nach Japan durch die Malakka-Straße erfolgen.227 Diebetont proindonesische Politik Tokios findet ihre Erklärung u.a. auch hierin.

Doch welchen der beiden eingangs dargestellten Optionen in der Indone-sienpolitik der USA Priorität eingeräumt wurde, das hing auch vom innerenZustand des Vielvölkerstaates ab. Nicht erst ein Mal hat man dabei imWeißen Haus den Wunsch nach einem stabilen Indonesien ganz aus denAugen verloren.

3.2.2 Die USA und die „territoriale Integrität“ des indonesischen Vielvölkerstaates

Am 26. September 1999 erklärte US-Außenministerin Madeleine Albrightnach einem Treffen mit Xanana Gusmão, dem Führer der osttimoresischenUnabhängigkeitsbewegung, dass die amerikanisch-indonesischen Be-

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225 Ebenda, S. 84.226 Levine, S. 10.227 Portugall, S. 84.

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ziehungen so lange nicht auf einer „normalen Basis“ stünden, so lange dieProbleme in Osttimor nicht gelöst seien.228

Doch dieser „normalen Basis“ ermangelte es den amerikanisch-indone-sischen Beziehungen des Öfteren schon, und das Interesse Washingtonsan der „territorialen Integrität“ dieses südost-asiatischen Staates ist als keinsehr permanentes zu bezeichnen. Interessant ist es dabei zu beobachten,wie dieselben Determinanten der Außenpolitik der Vereinigten Staaten zuunterschiedlichen Zeiten und unter dem Einfluss sich verändernder Ko-determinanten zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen in deren Indone-sienpolitik geführt haben.

So musste sich der National Security Council (NSC) in Washington nachdem Ausbruch der Unruhen und Rebellionen auf Sumatra und im südlichenSulawesi 1956 mit dem „möglichen Auseinanderbrechen Indonesiens“beschäftigen.229

Bereits am 14. März hatte Allan Dulles, der Bruder von John Foster Dulles,dem NSC Bericht darüber erstattet, dass „sich der Prozess der Desinte-gration in Indonesien bis zu einem Punkt fortgesetzt hat, an dem nur mehrdie Insel Java unter der Kontrolle der Zentralregierung verbleibt. Die Streit-kräfte aller Äußeren Inseln haben ihre Unabhängigkeit von der Zentralregie-rung in Jakarta erklärt“.230

In einem Memorandum schließlich, in dem alle „breakup scenarios“ durch-gespielt wurden, wurden die Argumente für ein Eingreifen der USA zu-gunsten der Sezessionisten vorgebracht. Diese Argumente, die dafürsprachen, „dass die USA die Separation Sumatras und der anderen wich-tigen Äußeren Inseln von der Republik mit Genugtuung betrachten, wennnicht vertraulich fördern sollten“, zeigten, wie sehr die Überlegungen zudiesem innerindonesischen Konflikt von den Realitäten des Ost-West-

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228 U.S. Department of State: Office of the Spokesman, New York, September 26,1999: Remarks by Secretary of State Madeleine K. Albright and East TimoreseIndependence Leader Xanana Gusmão; http://www.usia.gov/regional/ea/timor/alb926.htm (Abgerufen am 25.10.1999), S. 4.

229 Zitiert bei: Kahin, Audrey R.; Kahin, George McTurnan: Subversion as ForeignPolicy. The Secret Eisenhower and Dulles Debacle in Indonesia, New York 1995,S. 87.

230 Zitiert ebenda, S. 86.

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Konfliktes überlagert und auch von den grundlegenden und permanentenstrategischen Ausgangslagen bestimmt wurden:

„1. Die kommunistische Stärke konzentriert sich auf die Insel Java. DieÄußeren Inseln andererseits sind die Hochburgen der religiösen Parteien,streng antikommunistisch in ihrer Ausrichtung.2. Die Zentralregierung verfolgt eine neutralistische Politik und scheintlinksgerichteten Einflüssen unterworfen zu sein. …4. Die Äußeren Inseln Indonesiens, besonders Sumatra, verfügen durch dieProduktion von Gummi, Öl, Petroleum, Zinn und anderer strategischer Roh-stoffe über einen hohen Prozentsatz des Deviseneinkommens Indonesiens.Es wäre vorteilhaft, die Quellen solcher Waren unter einer verlässlicherenpolitischen Kontrolle zu haben.5. Sumatra beherrscht zusammen mit der Malaiischen Halbinsel die Straßevon Malakka und ist von großer strategischer Bedeutung.“231

Diese strategische Komponente erklärte die Unterstützung der Rebellen aufSumatra, die dann über die US-Stützpunkte im Pazifik erfolgte. Als Er-klärung für die militärischen Hilfsleistungen, die an die Sezessionisten aufSulawesi gingen und die über die Niederlage der Aufständischen aufSumatra hinaus fortgesetzt wurden, reicht sie allein allerdings nicht mehraus. Der zentrale Punkt hierbei war, dass sich in Washington die Über-zeugung gefestigt hatte, dass die „kommunistische Kontrolle über Java“und die Zentralregierung „bedrohlich“ geworden sei. Robert Cutler, derSpecial Assistant von Präsident Eisenhower, stellte daher auch fest, dasses in dieser Lage besser sei, wenn „Indonesien in Stücke falle, mit einemJava, das kommunistisch werde und dem Rest der Inseln, die nichtkom-munistisch bleiben.“

Anfängliche Berührungsängste mit islamischen Dissidentenorganisationenschwanden im Verlauf der Aktion dahin. Wurde einer der lokalen Militär-kommandeure und Anführer der Revolte auf Sumatra, Ahmad Hussain, indem bereits erwähnten Memorandum noch als ein Mann geschildert, dervon „orthodoxen Muslimzirkeln“ beeinflusst wird, so zählte er bald zu jenenSchlüsselfiguren der Rebellion, auf die John Foster Dulles setzte. Wurdendie achinesische Separatistenbewegung und der Dar’ul-Islam in demselbenDokument noch als „fanatische“ Muslimorganisationen beschrieben, sozählten sie in den Jahren 1958 und 1959 zu den Hauptempfängern der

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231 Zitiert ebenda, S. 87 f.

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amerikanischen Nachschublieferungen nach Sumatra, Westjava und nachSulawesi.232

Doch der „Special Report on Indonesia“, der im Januar 1959 im NSC vor-gelegt wurde, markierte hier einen erneuten Wendepunkt in der Indone-sienpolitik Washingtons. Als die „hauptsächliche Gefahr“, mit der man imArchipel „konfrontiert“ sei, wurde nun eine „Kombination aus innerer Insta-bilität, wirtschaftlicher und militärischer Hilfe des sino-sowjetischen Blocksund einer wachsenden kommunistischen Stärke“233 betrachtet. Die Stabili-sierung des Vielvölkerstaats wurde nun als das beste Mittel zur Ein-dämmung des Kommunismus angesehen.

Seit 1958 schon bezog die Zentralregierung in Jakarta wieder Waffen ausden USA, wenngleich auch Eisenhower die Rebellen nicht gänzlich fallenlassen wollte und die Schaffung einer Situation anstrebte, in der „wir mitbeiden Seiten spielen“ können.234

Doch der Aufstand der Jahre 1956-58 hatte auch einen anderen Faktor inder indonesischen Politik wieder in das Blickfeld der Politikgestalter imWeißen Haus und im Pentagon gerückt: die indonesische Armee. So hattesich deren Führung im Verlauf der Unruhen über verschiedene Kanäle inWashington darüber beschwert, dass die US-Unterstützung für die Sezes-sionisten die Position der proamerikanischen Militärs schwäche, von denenviele noch dazu in den USA ausgebildet worden waren. Ab der zweitenHälfte des Jahres 1960 ging die Armee zudem in mehreren Landesteilengegen die Kommunistische Partei vor und dies, so vermerkte man in deramerikanischen Botschaft in Jakarta, auch gegen den Willen Sukarnos. Voneinem bevorstehenden „clash“ zwischen dem Präsidenten und der Armeesprach man hier daher schon zu diesem Zeitpunkt.235

Mit Sicherheit zählen konnte man auf diese Militärs aber in der gesamtenersten Hälfte der 60er-Jahre noch nicht, denn trotz amerikanischer Waffen-hilfen wog die Loyalität zu Sukarno noch immer schwer, wie das Beispielder „Konfrontationspolitik“ in Malaysia zu beweisen schien. Auch schienendie ebenfalls zu jener Zeit erfolgten sowjetischen Waffenlieferungen ihreWirkung nicht verfehlt zu haben. So reagierte man in Washington in den

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232 Ebenda, S. 208.233 Zitiert ebenda, S. 209.234 Ebenda, S. 210.235 Gardner, S. 164.

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Jahren 1965/66 erst einmal „mit Vorsicht“ auf die neue Lage, die sich durchGeneral Suhartos langsame, aber kontinuierliche Machtübernahme er-geben hatte.236 Erst im Oktober 1966 wurde ein größeres militärischesHilfsprogramm genehmigt, das unter Präsident Nixon dann ausgebautwurde, ebenso wie die Wirtschaftshilfe.237

Doch die Vorgänge des Jahres 1965 und hier das Vorgehen der Militärsgegen die KP des Landes hatten ein gewisses Maß an Misstrauen hinter-lassen. So zeigten sich vor allen Dingen US-Diplomaten über die Vor-gehensweise der Armee bei ihrem Rachefeldzug beunruhigt. So hatte dieArmeeführung, um selbst saubere Hände zu behalten, Waffen an para-militärische Organisationen und andere zivile „Gruppen“ – etwa von Bauern– verteilen lassen, die vorher von den Kommunisten terrorisiert wordenwaren. Und während sich in der Hauptstadt ein weitgehend „friedlicherMachtkampf“238 abspielte, machten diese, wie der US-Konsul in Medan esformulierte, „blutrünstigen Haufen“239 nun auf eigene Rechnung Jagd aufalle Verdächtigen, die ihnen unterkamen. Ob daher all jene 300.000 bis500.000 Menschen, die diesem Säuberungsfeldzug zum Opfer gefallensein sollen, wirklich Kommunisten waren, blieb bis heute unklar. DasSchema, das hier angewandt wurde, erinnert aber an jenes, das denBerichten der Indonesischen Kommission für Menschenrechte zufolgenoch bis zum Sturz Suhartos bei der Verfolgung von Oppositionellen inganz Indonesien erkennbar ist. Und es erinnert vor allen Dingen an dieGeneral Wiranto jetzt im Zusammenhang mit den Massakern auf Osttimorvorgeworfene Vorgehensweise.

3.3 Die USA und die indonesische Armee

Am 24. September 1999 äußerte sich der Oberbefehlshaber der US-Streit-kräfte im Pazifik (CINPAC) vor Journalisten in Washington zur Rolle der TNI-Streitkräfte im Osttimor-Konflikt und im Prozess der Demokratisierung inIndonesien selbst, aber auch zu den indonesisch-amerikanischen Be-ziehungen und zu den bilateralen militärischen Kontakten, die schließlichzur Lösung des Konfliktes beitrugen:

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236 Ebenda, S. 240.237 Ebenda, S. 247.238 Ebenda, S. 229.239 Zitiert ebenda, S. 231.

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„Nun, es war uns möglich, mit Leuten in einer gemeinsamen Sprache zusprechen und Worte zu verwenden, die wir alle aufgrund unserer Kontaktein der Vergangenheit verstanden haben. … Ich denke, was Sie über die TNIwissen müssen, ist, dass es hier eine lange Geschichte gibt, die von denSuharto-Jahren bis hin zum Abtritt Präsident Suhartos … reicht. Die TNIagierte zum Zeitpunkt des Abtritts des Präsidenten in einer sehr gutenWeise in dem Sinne, dass sie die Verfassung unterstützte und nicht eineeinzelne Person. Dann gab es eine Wahl (die Parlamentswahlen in Indo-nesien im Juni 1999, Anm. d. Verf.), bei welcher die TNI … die Sicherheit fürdas, was als eine sehr freie und faire Wahl angesehen und faktisch beurteiltwurde, garantierte. … Besonders in Osttimor war für uns das insgesamtFestgehaltene dann sehr viel unklarer. … Im Vorfeld des Referendumswurde die Ordnung kaum aufrechterhalten, und dann nach dem Refe-rendum gab es einen schlimmen Zusammenbruch der Ordnung, zu demeinige Elemente der TNI beigetragen haben, anstatt ihn zu verhindern. ….Wenn Sie daher auf die gesamte Bandbreite dessen blicken, was die TNIgetan hat, so ergibt sich ein gemischtes Bild. Unsere Beziehungen zu ihrsind ebenfalls gemischter Natur. … Es ist daher diese Art von gemischtemBild, mit dem wir arbeiten. Es ist wirklich weder ein schwarzes noch einweißes.“240

Wenngleich auch Admiral Dennis Blair die Beziehungen seines Landes zuJakarta mit den von ihm so betonten „gemischten“ Gefühlen betrachtet, sohat doch die Clinton-Administration dieses Beziehungsgeflecht im Zugeihrer Osttimor-Initiativen gründlich ,entmischt’. So erwähnte Blair am 24. September auch, dass alle militärischen Kontakte zwischen beidenLändern bis auf weiteres „suspendiert“ wurden, und aus dem State Depart-ment verlautete gleichzeitig, dass alle Formen der „military-to-military co-operation“ erst wieder aufgenommen würden, wenn der Prozess der„democratic transition“ in Indonesien sich ordnungsgemäß vollziehe unddie Timor-Frage endgültig vom Tisch sei.241

Dies alles erweckte den Anschein, als wären die indonesisch-amerika-nischen Beziehungen zu diesem Zeitpunkt zum ersten Male seit dem Sturz

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240 U.S. Department of State: Office of the Assistant Secretary of Defense (PublicAffairs), Washington, D.C. 20301. DoD News Briefing. Admiral Dennis Blair,Commander in Chief, U.S. Pacific Command, Friday, September 24, 1999;http://www.usia.gov/regional/ea/timor/dodtimor.htm (Abgerufen am 25.10.1999),S. 4 f.

241 Background Briefing. Subject: SecDef’s Trip to Southeast Asia, S. 5.

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Sukarnos wieder auf einem Tiefpunkt angelangt. In Wirklichkeit aberbewegten sie sich lange schon auf diese Talsohle zu, und Osttimor scheintnur jener Punkt gewesen zu sein, an dem die bis dahin eher diskret ab-gehandelten Dissonanzen offen zutage traten.

So beschuldigte das State Department schon in seinem für das Jahr 1998abgefassten Bericht über die Lage der Menschenrechte in Indonesien vorallen Dingen die Streitkräfte, für „schwerwiegende“ Menschenrechts-verstöße verantwortlich zu sein.242

Konkret wurden in diesem Bericht die dokumentarisch nachweisbarenMenschenrechtsverletzungen aufgeführt, unter denen nicht nur die demo-kratischen Oppositionsparteien zu leiden hatten, sondern auch die, die sichgegen die Unabhängigkeitsbewegungen in Osttimor, Aceh und Irian Yayarichteten. Das von Präsident Clinton 1999 verhängte Verbot von Waffen-lieferungen aller Art an Indonesien setzte dann einen vorübergehendenSchlussstrich unter das Kapitel einer militärischen Kooperation, die unterdem Eindruck des „Vietnam-Syndroms“ nach 1975 zunächst in großemAusmaß erweitert wurde, die jedoch vom Anbeginn der 90er-Jahre untereinem sinkenden Stern stand.

3.4 Die amerikanische Indonesienpolitik im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Menschenrechten

Portugall hebt als eines der konstituierenden Elemente der US-amerika-nischen Außenpolitik den Willen der Amerikaner hervor, „ihr innerstaat-liches“ Ordnungsmodell „zu verbreiten“ oder, wie Fulbright es formulierte,auf internationalem Parkett „Demokratie zu lehren“.243

Diesen Vorsatz galt es aber seit jeher, mit den „realistischen sicherheits-politischen“ Gegebenheiten in Einklang zu bringen. Besonders in Süd-ostasien bildete sich – im Gegensatz zu der Situation in Europa – einSpannungsfeld zwischen diesen beiden Polen heraus, in das auch dieIndonesienpolitik Washingtons seit 1975 hineingeriet.

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242 U.S. Department of State: Indonesia Country Report on Human Rights Practicesfor 1998; Released by the Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor,February 26, 1999; http://www.usia.gov/regional/ea/timor/indohr.htm (Abgerufenam 28.10.1999), S. 1.

243 Portugall, S. 27.

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So wurde mit dem Jahre 1975 das blockfreie, aber unter Suharto prowest-liche Indonesien immer wichtiger – vor allen Dingen nach dem von Bangkokgeforderten Abzug der US-Militärs und der damit verbundenen Tatsache,dass damit ab dem Jahre 1976 „das südostasiatische Festland vollständigvon US-Streitkräften geräumt“ war.244

An einen Ausgleich dieser fehlenden Militärpräsenz auf dem Festland durcheine neue im Archipel war aber vor dem Hintergrund sowohl der ab 1977von der Carter-Administration zunächst weiterverfolgten Disengagement-Politik als auch der auf indonesischer Seite prinzipiell fortgesetzten Politikder Blockfreiheit nicht zu denken.

So konzentrierten sich die amerikanischen Sicherheitsstrategien auf denBereich der Militärhilfe. Gerade dieser Sektor offenbart aber die von denoben genannten Faktoren geradezu erzwungenen Schwerpunktverlagerun-gen in den Südostasien-Konzeptionen Washingtons nach 1975:

Führte so Thailand noch bis zum Jahre 1977 die Liste der Empfängerländeramerikanischer Militärhilfen in der Region an, so wurde es nun von Indo-nesien überholt, das 1978 zum neuen „Spitzenreiter“ dieser Auflistungwurde,245 nachdem bereits von 1975 auf 1976 in einem Zeitraum von nureinem Jahr diese Hilfen an die Unitarische Republik um 127,4% erhöhtworden waren.346 Bezeichnenderweise kam auch die Carter-Administration– die neben ihren Disengagement-Strategien in Südostasien im Ost-West-Konflikt auf die Errichtung einer weltweiten „kooperativen Ordnung“ zu-sammen mit der UdSSR setzte247 – unter dem Eindruck der Auflösung derSEATO 1977 an Suharto nicht vorbei. Zudem strebten nun einige frühereSEATO-Partnerstaaten wie Thailand unter den neuen Bedingungen der„Post-Vietnam“-Ära nach einer Normalisierung ihrer Beziehungen zu denkommunistischen Staaten China und Vietnam.248

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244 Ebenda, S. 133.245 Ebenda, S. 152.246 Ebenda, S. 126.247 Vgl: Czempiel, Ernst-Otto/Schweitzer, Carl-Christoph: Weltpolitik der USA nach

1945. Einführung und Dokumente, 3. Auflage, Bonn 1989, S. 337 f.248 Vgl: Weinstein, Franklin B./Lewis, John W.: The Post-Vietnam Strategic Context

in Asia, in: Weinstein, Franklin B. (Hrsg.): U.S.-Japan Relations and the Securityof East Asia. The Next Decade, Boulder /Colorado 1978, S. 132 f.

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Ein Stolperstein im Verhältnis Washington-Jakarta aber blieb in den Carter- als auch in den Reagan-Jahren die US-Politik Peking gegenüber.Jakarta sprach sich zwar im Gegensatz zu Thailand für eine fortgesetztemilitärische Präsenz der USA in der Region aus – wohlgemerkt aber nichtauf indonesischem Territorium –, stufte aber nach wie vor die chinesischenAmbitionen dort als weitaus gefährlicher ein als etwa die vietnamesischen.Dieser Grunddissens verhinderte auch eine grundlegende Übereinstim-mung zwischen der Politik Suhartos und der „Politik der Stärke“, wie sievon Präsident Reagan dann verfolgt wurde. Die von 1981 an in der US-Außenpolitik wieder deutlicher erkennbaren Tendenzen hin zur Eindäm-mungspolitik wurden zwar nach den Jahren der Verunsicherung unterJimmy Carter in ganz Südostasien begrüßt. Da aber auch die Reagan-Administration damit in erster Linie die Sowjetunion meinte und daher z.B.im vietnamesisch-chinesischen Konflikt für Peking Partei ergriff, waren dieDissonanzen zwischen Washington und Jakarta hier unüberhörbar gewor-den. So herrschte, obwohl die USA im November 1982 eine einseitigeSicherheitsgarantie für Indonesien abgegeben hatten, zwischen denAußenministern beider Staaten herzliche Uneinigkeit darüber, von welcherSeite her Indonesien wirklich Gefahr drohe.249 Offen zutage traten dieseDivergenzen bei der Bedrohungswahrnehmung dann 1986, als auf einemTreffen der ASEAN-Außenminister mit Präsident Reagan auf Bali der Ver-treter Indonesiens zusammen mit seinem Amtskollegen aus Malaysia deneigentlichen Sinn und Zweck der amerikanischen Sicherheitsgarantien inZweifel zog, da der potenzielle Aggressor in der Region nicht Moskau, son-dern Peking heiße.250

Als Folge davon obsiegte der Konkurrent Thailand gerade in diesen Jahrenwieder im Wettbewerb der Hauptrivalen um die Gunst der Militärhilfspolitikder Vereinigten Staaten, und dies sehr deutlich: Von 1981 bis 1985 wurdeThailand – das sich der China-Politik Ronald Reagans nicht so deutlich ver-schloss – fast doppelt so viel an Militärhilfe gewährt wie Indonesien, das indieser Rangliste nun sogar noch mit weitem Abstand hinter die Philippinenan die dritte Stelle zurückgefallen war.251 Seit diesem Zeitpunkt schonerreichte die Republik Suhartos die ihr zunächst nach 1975 zugedachtePosition eines besonderen Günstlings Washingtons in Südostasien nichtmehr.

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249 Habir, Ahmad D.: Indonesia in 1982. Economic Realities and Political Consolida-tion, in: Southeast Asian Affairs, 1983.

250 Portugall, S. 258.251 Ebenda, S. 234 f.

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Dabei hatte sich Präsident Suharto am Beginn der 80er-Jahre zunächstdarüber erfreut gezeigt, dass sich die Reagan-Administration zumindestnach außen hin in der Frage der Einhaltung der Menschenrechte zurück-zuhalten schien. Der Menschenrechtsbericht des State Department ausdem Jahre 1983 hob zudem diesbezügliche Verbesserungen der Lage inganz Südostasien und damit auch in Indonesien hervor.252 Doch dass einescheinbar passive Rolle bei der Durchsetzung von Menschenrechten in derAußen- und Sicherheitspolitik nicht immer „grünes Licht“ aus Washingtonfür fragwürdige Maßnahmen aller Art bedeutete und dass andererseits einebetont menschenrechtsorientierte Außenpolitik bei weitem nicht die Hint-ansetzung sicherheitspolitischer Erwägungen nach sich zog, zeigt schonder Vergleich der Carter’schen und der Reagan’schen Politik auf diesemFelde. Und so hat auch Suharto aus seiner Sicht zu früh dem Falschenapplaudiert, als er den Abgang Carters begrüßte. Hatte sich die indone-sische Seite über dessen „Idealismus“ mokiert, so war es gerade die anrepublikanischen Präsidenten wie Nixon zuvor so geschätzte – und nun vonReagan erwartete – „Realpolitik“,253 unter deren Bedingungen jene Ent-wicklung ihren Anfang nahm, in deren Verlauf nicht nur die totalitärenSysteme des Kommunismus fielen, sondern auch manch autokratischerHerrscher in Südostasien – angefangen mit Ferdinand Marcos auf denPhilippinen 1986 – unter die Räder geriet. War es gerade im Verlauf jenervon Jakarta so beklagten Phase des Carter’schen „Moralismus“ gewesen,in der sich der US-Präsident selbst über die Bedenken des zu seiner Amts-zeit geschaffenen Ressorts für Menschenrechte im State Department aussicherheitspolitischen Erwägungen hinwegsetzte und Indonesien zu seinembevorzugtesten Waffenbruder in der Region machte, so wurde gerade unterder Präsidentschaft des Republikaners George Bush – nach dem Zurück-fahren der Militärhilfe schon unter Ronald Reagan – das Ende diesesKapitels eingeleitet. Hatte Carter mit der bis zu seinem Amtsantritt vonseinen Vorgängern bei der Durchsetzung menschenrechtspolitischerZielsetzungen bevorzugten „quiet diplomacy“ gebrochen und die Führungin Jakarta hier offen der Verbrechen beschuldigt,254 so ließ er sich dennochaufgrund der „enormen strategischen Bedeutung“255 Indonesiens nicht von den Berichten aus dem State Department leiten. Nachdem seinerepublikanischen Nachfolger aber offiziell wieder auf die „stille Diplomatie“

79

252 Ebenda, S. 236.253 Gardner, S. 265 f.254 Ebenda, S. 292.255 Portugall, S. 151.

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setzten256, wurde diesen Berichten mehr Gewicht beigemessen. So rücktedie „Besatzungspolitik“ des südostasiatischen Staates auf Osttimor, an derJimmy Carter noch verschämt vorbeigeblickt hatte257, jetzt immer mehr indas Zentrum des Interesses.

Die USA drängten Suharto seit Mitte der 80er-Jahre zur Aufhebung der her-metischen Abschließung der Insel nach außen hin und wurden in Jakartaauch wegen der sich mehrenden Berichte über die „Misshandlung“ derdortigen Bevölkerung vorstellig.258 Nach dem Massaker von Dili am 12. November 1991, als indonesische Soldaten auf dem Friedhof der Stadtwahllos in eine Prozession feuerten, wurde Osttimor schließlich zum Haupt-grund der zunehmenden Verstimmungen zwischen beiden Ländern. Soverhängte das State Department ein Waffenembargo über das Inselreich,das alle leichteren Waffen (small arms) sowie alle unter dem Begriff „crowdcontrol equipment“ zusammengefassten Materialien anbetraf. Kurz danachsuspendierte der Kongress in Washington die militärischen Ausbildungs-beihilfen (funding for all military training assistance). Das alles ereignetesich noch vor dem Amtsantritt von Bill Clinton.

Doch so sehr man sich um die Wahrung der Menschenrechte in Osttimorsorgte, so wenig dachte man in Washington noch an dessen Unabhängig-keit. Vielmehr sah man die Probleme dort im Kontext der Menschenrechts-probleme im ganzen Inselreich. Und so hieß es in einem von Gardner zitier-ten „Osttimor-Papier“ des State Departments aus dem Jahre 1991 auch:

„Dies erkennt die Realität an, dass Indonesien Osttimor seit 1975 besitztund dass es es nicht aufgeben wird. Dies erlaubt uns auch ..., ein Verhält-nis (zu Indonesien) aufrechtzuerhalten, das vielfache Vorteile mit sich bringt:Einen Zugang, um Menschenrechtsthemen zur Sprache zu bringen; dieAufrechterhaltung einer wichtigen Handels-, Investment- und Sicherheits-beziehung mit dem fünftgrößten Land der Erde.“259

80

256 Vgl: Fifield, Russel H.: The Reagan Administration and Southeast Asia, in: South-east Asian Affairs 1983, sowie: Masyk, Eva-Maria: Die Außenpolitik der Vereinig-ten Staaten von Amerika gegenüber ASEAN unter der Reagan-Administration,München 1986.

257 Portugall, S. 151 f.258 Gardner, S. 287.259 Department of State paper entitled: „The November 12 Incident in East Timor“,

January 13, 1992, Department of State Archives, zitiert bei Gardner, S. 286.

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Jakarta war nun unter zunehmenden Druck aus Washington geraten, dennder „Präzedenzfall“ der Philippinen hatte gezeigt, dass sich der Vielvölker-staat der sich von dem Umsturz in seinem Nachbarland ausgehenden,Demokratisierungswelle’, die das Gesicht der ganzen Region veränderthat, nicht auf Dauer verschließen würde können. Ebenso verdeutlichte dieArt und Weise, in der die USA auf den Sturz von Marcos reagierten und wiesie einen solchen Demokratisierungsprozess selbst „mit“gestalteten, dassdas Eis, auf dem Suharto stand, dünner wurde. Und eine solche Demokra-tisierung bedeutete auch, dass der „Fall Osttimor“ nun wieder von neuemaufgerollt werden konnte.

4. Die ehemalige Kolonialmacht Portugal

Auch in Portugal hielt die Politik nach dem Sturz Suhartos die Zeit für eineLösung des Timor-Problems für gekommen. Als ehemalige Kolonialmacht,deren Außen- bzw. Timor-Politik nach Darstellung des Ministério dosNegócios Estrangeiros in Lissabon auch nach 1976 immer „auf einer ausüber vier Jahrhunderten einer gemeinsamen Geschichte resultierendenSolidarität“260 und vor allen Dingen auf der Tatsache basierte, dass dieVereinten Nationen Portugal als die für Osttimor weiterhin verantwortliche„Administrative Power“ betrachteten261, war man seit langem schon inVerhandlungen mit den Außenministern Jakartas und unter den Auspiziender UN darum bemüht, dem „Recht“ der Osttimoresen „auf Selbstbestim-mung“ zum Durchbruch zu verhelfen.262

Als eine der beiden Signatarmächte der Übereinkunft vom 5. Mai 1999spielte Portugal eine entscheidende Rolle bei der Entlassung des Landes indie Unabhängigkeit, auch wenn die Initiative in dieser Frage nach dem 15. September 1999 an Australien und die USA gegangen ist. So hat manals „Fürsprecher seiner früheren Kolonie“263 1.000 Soldaten für die INTER-

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260 Ministério dos Negócios Estrangeiros: Timor. Foreign Policy; http://www.min-nestrangeiros.pt/politica/documentos/enggovtimor.html (Abgerufen am 12.1.2000.)S. 1.

261 Ebenda.262 Ministério dos Negócios Estrangeiros: Statement by H.E. Dr. Jaime Gama, Mini-

ster for Foreign Affairs of Portugal. Statement to the Fifty-First Session of UnitedNations General Assembly (September 27, 1996); http://www.min-nestran-geiros.pt/politica/discursos/gama/eng6.html (Abgerufen am 12.1.2000), S. 5.

263 Portugiesische Empörung wegen Osttimor, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ),10.9.1999.

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FET-Truppen zur Verfügung gestellt und schon zuvor hatte der portugie-sische Ministerpräsident als erster westlicher Regierungschef AnfangSeptember die Aufstellung einer UN-Eingreiftruppe gefordert.

Doch auch wenn beispielsweise Repräsentanten sozialistischer timore-sischer Organisationen oft ihrem Wunsch nach einer „Rückkehr“ Portugals„als … Kolonialmacht in Osttimor“ Ausdruck gaben, damit diese den 1975durch „Indonesiens … Invasion unterbrochenen Dekolonisierungsprozess“zu Ende bringen könne264, so verschwand doch die Frage der portugie-sischen Mitschuld an den Ereignissen der Jahre 1975/76 niemals von derBühne der politischen Diskussion.

Und auf den Zusammenkünften des Dekolonisierungskomitees der Verein-ten Nationen stand die indonesische Seite meist nie allein da, wenn siemeinte, dass sich Lissabon mit seinem „Akt der Preisgabe (Osttimors, Anm.d. Verf.) 1975“ selbst aller „Rechtsansprüche auf das Territorium“ entledigthabe.265

So hatte auch der Vorsitzende der osttimoresischen Organisation EmaMata dalan ba Progressu auf einer Sitzung dieses UN-Komitees den vonder Associação Socialista de Timor eingebrachten Vorschlag strikt ab-gelehnt:

„Die wahre Geschichte Osttimors muss die bitteren Erfahrungen der por-tugiesischen Ausbeutung mit einschließen. … Die Portugiesen haben denDekolonisierungsprozess nicht abgeschlossen, aber die Osttimoresenpreisgegeben. Als Konsequenz werden die Osttimoresen den Portugiesenniemals gestatten, nach Osttimor zurückzukehren.“266

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264 United Nations: Press Release, 17 June 1997, GA/COL/2967; Special Commit-tee on Decolonization continues Hearings on East Timor Question;http://www.un.org/peace/etimor/1997pr/gaco2967.htm (Abgerufen am 18.10.1999),S. 3.

265 United Nations: Press Release, 2 July 1998, GA/COL/2985: DecolonizationCommittee is told Spirit of Reform in Indonesia should lead to Fresh Look atSituation of East Timor; http://www.un.org/peace/etimor/1998pr/gaco2985.htm(Abgerufen am 18.10.1999). S. 6.

266 Special Committee on Decolonization continues Hearings on East Timor, S. 7.

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In diesem Komitee wurde daher auch festgestellt:

„Portugal hatte es verabsäumt, den Dekolonisierungsprozess in Portu-giesisch Timor auf normalem und rechtschaffenem Weg durchzuführen. Eshatte mit dem Schicksal von Hunderten von Tausenden von Menschengespielt, welche es kolonisiert hatte. Es hatte eine Zeitbombe hinter sichzurückgelassen, welche die Stabilität der Region gefährdete.“267

Restlos aufgeklärt sind die Zusammenhänge um jene in der Literatur mitt-lerweile vielzitierte „Preisgabe Osttimors“ durch Lissabon aber durchausnicht. So wurde gerade auch den Vereinten Nationen selbst vorgeworfen,durch ihre eigene Passivität 1975 Timor den Indonesiern ausgeliefert zuhaben. So habe die UNO im Herbst 1975 das portugiesische Gesuchbezüglich der Aufstellung eines Friedenskontingents „ignoriert“ und damitAustralien dabei geholfen, jeglichen internationalen Interventionsversuch zu„sabotieren.“ Hätten, so der Einwurf zur Entlastung Lissabons, die Verein-ten Nationen im Jahre 1975 ihre „peacekeeping responsibilities“ wirklich„ernst genommen“, hätte die indonesische „Invasion“ verhindert werdenkönnen.268

4.1 Portugal, Osttimor und die Vereinten Nationen

„1. Sie sind sich der ehrlichen Intentionen der portugiesischen Regierungbewusst, die, bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, klare Beweise ihres Willenserbracht hat, den Prozess der Dekolonisierung aller Territorien unter ihrerVerwaltung in Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen und derResolution 1514 (XV) der Generalversammlung vom 14. Dezember 1960zum Abschluss zu bringen. …3. In diesem Zusammenhang wurde das Verfassungsgesetz 7/75 vom 17. Juli 1975 veröffentlicht, welches den Dekolonisierungsplan, den dieportugiesische Regierung vorgeschlagen hat, in Timor durchzuführen, fest-gesetzt hat. ...4. Seit dem 10. August … hat sich die politische Situation in Timor ernstlichverschlechtert. …

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267 Ebenda.268 United Nations: Press Release, 1 July 1998, GA/COL/2983: East Timor

Petitioners plead for Self-Determination, others advocate Integration withIndonesia; http://www.un.org/peace/etimor/1998pr/gaco2983.htm (Abgerufenam 18.10.1999), S. 9.

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5. Gemäß den letzten Informationen … kann die Situation in Timor wie folgtbeschrieben werden: Ein Ausbreiten bewaffneter Konflikte zwischen riva-lisierenden politischen Faktionen, die Todesfälle und Verletzungen unter derlokalen Bevölkerung zur Folge haben …, eine Beteiligung fast aller ein-geborenen Militärs in Timor, die die sich bekämpfenden Fraktionen dar-stellen, was es für die portugiesischen Autoritäten unmöglich gemacht hat,die Situation unter Kontrolle zu halten. …9. In Anbetracht der Vorgänge hat die portugiesische Regierung keineandere Wahl, als die Vereinten Nationen durch Sie, den Generalsekretär, zualarmieren. ...“269

Einen Tag, nachdem der portugiesische Außenminister diesen ersten „Hilfe-ruf“ an den UN-Generalsekretär gerichtet hatte, übersandte er ihm eineStellungnahme des Gouverneurs in Dili, der angesichts des Vorgehens derFRETILIN-Kämpfer die sofortige „Intervention internationaler Streitkräfte“forderte. Falls alle Verhandlungen scheitern würden, betonte der Außen-minister, werde eine „internationale Aktion“ notwendig.270

Am 29. November informierte Lissabon die UNO über die ersten indone-sischen militärischen Operationen „zu Land, zu Wasser und in der Luft“ undüber die kurz zuvor erfolgte einseitige Unabhängigkeitserklärung derFRETILIN. Gleichzeitig wurde die Haltung der portugiesischen Regierungerläutert, die weder diese Unabhängigkeitserklärung noch eine gewaltsame„Integration“ Osttimors in irgendwelche „Drittstaaten“ anerkennen wollte.271

Am 7. Dezember bat dann der ständige Vertreter Portugals bei den Verein-ten Nationen darum, an den Beratungen des Sicherheitsrates teilnehmenzu können.272

Am 22. Dezember schließlich „antwortete“ der Sicherheitsrat – nachdemsich die Generalversammlung am 12. Dezember zur Befürwortung einerEntsendung einer „fact-finding mission“ nach Osttimor durchgerungen

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269 Letter from the Minister for Foreign Affairs of Portugal to the Secretary-General,22 August 1975, in: Basic Documents, S. 38.

270 Letter from the Minister for Foreign Affairs of Portugal to the Secretary-General,23 August 1975, in: Basic Documents, S. 38.

271 Communiqué Issued by the Portuguese National Decolonization Commission,29 November 1975, in: Basic Documents, S. 39 f.

272 Letter from the Permanent Representative of Portugal to the United NationsAddressed to the President of the Security Council, 7 December 1975, in: BasicDocuments, S. 42 f.

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hatte – mit der Verabschiedung der Resolution 384 (1975) auf die bereitserfolgten Eingaben. In dieser Resolution verurteilte er die indonesischeInvasion und forderte die Truppen Jakartas zum Rückzug auf.

Vor zwanzig Jahren aber eröffnete sich mit dieser Resolution der Reigengegenseitiger Schuldzuweisungen und der gegenseitigen Vorwürfe desVersagens in der Osttimor-Frage, denn der Sicherheitsrat „bedauerte“ es indiesem Text, dass Portugal seinen „Verantwortungen als administrativerMacht in dem Territorium“ nicht nachgekommen sei.273

Lissabon wies solche Vorwürfe zurück und betonte, dass die VereintenNationen ständig über die Lage in seiner damaligen Kolonie informiert wor-den seien.274 Doch wenn die portugiesische Seite behauptet, dass sie dieUN im Herbst 1975 um die Aufstellung eines Friedenskontingents ersuchthabe, so trifft dies nicht zu. Denn ihr damaliger Repräsentant bei den Ver-einten Nationen gestand schon in der Debatte vom 15.12.1975 ein, dassseine Regierung „kein formales Gesuch für eine internationale Aktion dieserArt“ an die UN gerichtet hatte. Selbst die Entsendung einer „specialmission“ des Special Committee der UN wurde in Lissabon „unter dengegebenen Umständen“ als nicht sinnvoll angesehen.275 Der Grund fürdiese Haltung war, dass sich die portugiesische Regierung strikt an die vonihr selbst vorgegebene Leitlinie ihrer Dekolonisierungspolitik halten wollte.Und diese im Verfassungsgesetz 7-74 vom 27. Juli 1974 niedergelegteLeitlinie besagte, dass die „Regelung von kriegerischen Auseinander-setzungen in überseeischen Territorien eine politische und nicht militä-rische“ Angelegenheit sei.276

So löblich dieser Vorsatz in der Theorie auch war, so wenig erfolgreich hatteer sich aber schon vor Timor in Angola und Moçambique in die Praxisumsetzen lassen.

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273 UN Security Council Resolution 384 (1975) of 22 December 1975, in: BasicDocuments, S. 53.

274 Extracts from the Debates of the UN Security Council Concerning UN SecurityCouncil Resolution 384 (1975), 36 a: Security Council Official Records (SCOR),30th Year, 1864th Meeting, 15 December 1975, in: Basic Documents.

275 Ebenda, S. 56.276 Portuguese Council of State, Constitutional Law 7-74, 27 July 1974, Article 1, in:

Basic Documents, S. 34.

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Auch in Osttimor scheiterte man an der Aufgabe, die gegnerischen Parteienan einen Verhandlungstisch zu bringen. So fand schon die Timor-Konferenzvon Macao Ende Juni 1975 ohne FRETILIN-Vertreter statt und das Ergebnisdieser Zusammenkunft, das die Abhaltung freier Wahlen zu einer Volks-versammlung vorsah, erwies sich bald als wertloses Stück Papier.277

Die Behauptung Lissabons, dass „die große Distanz zwischen Timor undPortugal“ die Durchführung einer eigenen „effektiven militärischen Inter-vention“ erschwert habe278, entbehrt auch angesichts der Lage im Mutter-land selbst nicht einer gewissen Stichhaltigkeit. Doch warum man auchnoch nach jenem im Zusammenhang mit dem Vorwurf der „Preisgabe“denkwürdigen Datum des 27. August 1975 noch immer auf eine politischeLösung des Konfliktes setzte, blieb nur den Politikern in Lissabon selbstverständlich. Denn als an diesem Tag der portugiesische Gouverneur vonOsttimor die Hauptstadt Dili „aufgibt“ 279 und mit der Zivilverwaltung auf derInsel Atauro vor dem Bürgerkrieg „Zuflucht sucht“280, wird deutlich, dassdieser Ausweg versperrt war.

Unklar bleibt auch, warum erst am 29. November 1975 von indonesischenMilitäraktionen gesprochen wurde, obwohl die ersten TruppenverbändeJakartas schon im September die Grenze zwischen West- und Osttimorüberschritten und dort – wie Budjardo angibt – bereits am 14. OktoberMaliana besetzt hatten.

Als Fazit dieses Rekonstruktionsversuches der Vorgänge des Jahres 1975kann festgehalten werden, dass sich Portugal und die UN beide in derFrage, wer die Osttimoresen ihrem Schicksal „preisgegeben“ hat, sehrwenig vorzuwerfen haben.

Vielleicht auch gerade deswegen blieb Portugal für die Vereinten Nationen,die die indonesische Annexion Osttimors am 1. Dezember 1976 und am 28. November 1977281 völkerrechtlich nicht anerkannten, auch jene de jure

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277 Extracts, in: Basic Documents, S. 55.278 Extracts, S. 55.279 Budjardo, Carmel and Liem Soei Liong: The War Against East Timor, London

u.a., 1984, ix.280 Extracts, Basic Documents, S. 55.281 General Assembly Resolution 31/53: Question of Timor, 1 December 1976 und:

General Assembly Resolution 32/34: Question of East Timor, 28 November1977, in: Basic Documents, S. 123 f.

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für dieses Territorium weiterhin zuständige „administrative power“, als diees von der Generalversammlung am 12.12.1975 damit beauftragt wurde,„alle Anstrengungen zu unternehmen, um Bedingungen zu schaffen, diedas Volk von Portugiesisch Timor dazu befähigen, sein Recht auf Selbst-bestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit frei auszuüben“.282

1982 „behielten“ dann die Vereinten Nationen in einer ihrer Resolutionendies alles dann „im Gedächtnis“.283 Die Resolution vom 23. November 1982sollte dann für längere Zeit das vorerst letzte UN-Sicherheitsrats- bzw. Generalversammlungsdokument bleiben, das sich mit Osttimor be-schäftigte.

Nichtsdestotrotz aber hielten die Vertreter von FRETILIN und UDT an ihrenKontakten zu Lissabon fest. Denn noch am 12. September 1980 hatte dortder Ministerrat erklärt, für das Selbstbestimmungsrecht der Timoreseneintreten zu wollen.284 Und so übermittelten im Jahre 1988 die Vertreter bei-der Gruppen dem portugiesischen Präsidenten Mario Soares ein Dokumentzur Lage in Osttimor. Nach ihren Vorstellungen sollte nun Portugal währendeiner „Übergangsperiode“ die Verantwortung für den Ostteil der Insel über-tragen werden, damit es den „Dekolonisierungsprozess“ beenden könne.Im „Friedensplan“ von Xanana Gusmão vom 5. Oktober 1989 finden sichdiese Vorstellungen dann zunächst wieder.285

Zwei Jahre später schloss Gusmão dann einen seiner Briefe an Soares mitden Worten „Lang lebe Portugal. Lang lebe Osttimor.“ Bedanken wollte ersich in diesem Brief für die portugiesischen Reaktionen auf das Massakerauf dem Friedhof von Santa Cruz in Dili am 12. November 1991.286

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282 Siehe: General Assembly Resolution 3485 (XXX): Question of Timor, 12 Decem-ber 1975, in: Basic Documents, S. 123.

283 General Assembly Resolution 37/30: Question of East Timor, 23 November1982, in: Basic Documents, S. 128.

284 General Assembly Resolution 35/27: Question of East Timor, 11 November1980; in: Basic Documents, S. 126.

285 Letter from the Nationalist Convergence of Timor to the President of the Portu-guese Republic, Accompanied by the Document „East Timor: Assessment of theSituation and Proposal for a Solution“, 9 March 1988, in: Basic Documents, S. 279 f. und: „Peace Plan“, presented by the „Leadership of the Resistance,Xanana Gusmão, 5 October 1989, in: Basic Documents, S. 280 f.

286 Message from Xanana Gusmão, National Council of Maubére Resistance,FALINTIL, 24. November 1991, in: Basic Documents, S. 283 f.

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4.2 Portugal, Osttimor und Indonesien

Nur kurze Zeit nach den Vorfällen vom November 1991 nahmen im Jahre1992 die Außenminister Portugals und Indonesiens unter der Schirmherr-schaft des UN-Generalsekretärs jene Treffen auf, die im Mai 1999 zum Ost-timor-Abkommen von New York führen sollten. Schon 1984 hatte es einenersten, aber erfolglosen Anlauf in diese Richtung gegeben.287

Missstimmungen gehörten aber auch bei diesem zweiten Anlauf zur Tages-ordnung, auch wenn sich die Minister darum bemühten, „ohne Vorein-genommenheit bezüglich ihrer jeweiligen Grundsätze in Bezug auf denpolitischen Status von Osttimor“ die „bilateralen Beziehungen zwischenIndonesien und Portugal“ intakt zu halten.288 Während Portugal aber dieillegale Okkupation Osttimors anprangerte, wurde es selbst als „euro-päische Kolonialmacht“ angegriffen.289

Dabei waren eben diese Beziehungen in den Jahren 1991/92 ohnehin aufeinem Tiefpunkt angelangt und dies nicht nur deswegen, weil Lissabon das„schändliche Massaker“ von Santa Cruz vor die Vereinten Nationengebracht hatte und Indonesien damit wieder einmal auf dessen Initiative hinauf dem internationalen Pranger stand. Der erste Versuch des UN-General-sekretärs, ein „Dreiparteiengespräch“ zu Stande zu bringen und denBesuch einer portugiesischen Parlamentarierdelegation in Osttimor zuorganisieren, hatte nur kurz vor dem Zwischenfall in Dili ohnehin schon miteinem Eklat geendet, weil die Regierung in Jakarta einige Journalisten,denen sie „Feindschaft gegen Indonesien“ vorwarf, nicht mit einreisenlassen wollte.290

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287 Ministério dos Negócios Estrangeiros; Gama, Jaime; Foreign Minister of Portu-gal: A Nobel Peace Prize for East Timor; http://www.min-nestrangeiros.pt/politi-ca/timor/engtimor.html (Abgerufen am 12.1.2000.) S. 2.

288 United Nations: Press Release, 16 January 1996, SG/SM/5875; Secretary-General holds Seventh Round of Talks on East Timor in London with ForeignMinisters of Indonesia and Portugal; http://www.un.org/peace/etimor/1996pr/sgsm5875.htm (Abgerufen am 18.10.1999), S. 1.

289 Decolonization Committee is told Spirit of Reform in Indonesia should lead tofresh look at Situation of East Timor.

290 Permanent Mission of Portugal to the United Nations, Press Release, Reasonsfor the Suspension of a Visit by a Portuguese Parliamentary Delegation to EastTimor, 31 October 1991, in: Basic Documents, S. 286 f.

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Die Parlamentarier hingegen führten an, dass man ihnen Kontakte zuvorher nicht ausgesuchten Gesprächspartnern verweigert hatte. Um dieLage in Dili darzustellen, zitierte der ständige Vertreter Portugals bei denVereinten Nationen den Bischof von Setubal, der geschildert hatte, wie dieindonesischen Militärs die Einheimischen auf den Besuch der auslän-dischen Delegation ,vorbereitet hatten’:

„Jetzt, wo der Besuch der portugiesischen Parlamentarierdelegationnäherrückt, haben die indonesischen Behörden eine Kampagne des Terrorsund der Bedrohung gestartet. Wer immer sich den Portugiesen nähert, wirdumgebracht werden.“291

Die Versammlung der Republik in Lissabon sprach nun mit der Zustimmungaller Parteien zum ersten Male von einem „systematisch durchgeführtenGenozid“ an den Osttimoresen, zu verantworten von der „diktatorischenRegierung des Generals Suharto“.292

Aber sowohl 1992 wie auch jetzt noch während der New Yorker Unterre-dungen kehrten jene zweifelhaften Erinnerungen an die Zusammenkünfteder Außenminister dieser Länder Ende 1975 in Rom wieder, die für vielePortugiesen bis heute den Beweis dafür darzustellen scheinen, dass manden Indonesiern nicht „über den Weg trauen“ kann. Denn am 1. und 2. November 1975 schienen sich beide Seiten darüber geeinigt zu haben,dass die „grundlegende Verantwortung für die Dekolonisierung Portugie-sisch Timors bei Portugal“ liege.293

Seit Beginn der 90er-Jahre sorgte dann Lissabon dafür, dass die Außen-ministergespräche nicht die einzige Ebene blieben, auf der über Osttimordiskutiert wurde. So wurden den Vereinten Nationen seither auch eigene

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291 Permanent Mission of Portugal to the United Nations, Press Release, Indonesia’sJustification for its Obstruction to a Portuguese Parliamentary Delegation to VisitEast Timor, 29 November 1991, in: Basic Documents, S. 289.

292 Motion Submitted to the Assembly of the Republic of Portugal, 14 November1991, in: Basic Documents, S. 285.

293 Joint Press Statement Concerning Talks between the Foreign Minister of Portu-gal and Indonesia, Held at Rome on 1 and 2 November 1975, 3 November 1975,in: Basic Documents, S. 39.

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Berichte über Menschenrechtsverletzungen vorgelegt, die von Jakarta be-stritten worden waren.294

Auf internationaler Ebene riskierten die Portugiesen wegen Osttimor auchin Bezug auf andere Länder die Verschlechterung so manch bilateralerBeziehungen. Das traf besonders auf Australien zu, das nach demAbschluss des Timor Gap-Vertrages im Dezember 1989 in das Kreuzfeuerder Kritik geraten war.

4.3 Portugal, Osttimor und Australien

Am 22. Februar 1991 brachte die portugiesische Regierung den „Fall“ desTimor Gap Treaty vor den International Court of Justice in Den Haag.295 Amselben Tag richtete die Botschaft Lissabons in Canberra eine in deutlichemTon verfasste Note an das australische Außenministerium, in der die Posi-tion des „Klägers“ dargelegt wurde:

„Die portugiesische Regierung ist der Meinung, dass die Verhandlung, dieUnterzeichnung, die Ratifizierung und das Inkrafttreten des australisch-indonesischen Vertrags, unterzeichnet am 11. Dezember 1989, eine sehrernste Verletzung einiger der grundlegendsten Regeln des internationalenRechts darstellen, namentlich jene, die das Recht auf Selbstbestimmungder Völker, das Recht der territorialen Integrität nicht selbstregierenderTerritorien und der permanenten Souveränität der Völker über ihre natür-lichen Ressourcen betreffen. Überdies missachten sie offen die Charta derVereinten Nationen. … Dies ist der australischen Regierung mit Bestimmt-heit zur Kenntnis gebracht worden.“296

Weil der Vertrag die Rechte Portugals als der „verwaltenden Macht“ inOsttimor verletze und nur diese Macht einen solchen Vertrag hätte ab-schließen dürfen, strengte Lissabon nun diese Klage an. Das Vorhaben

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294 Vgl. dazu u.a.: Ministério dos Negócios Estrangeiros: Memorandum on theHuman Rights Situation in East Timor; http://www.min-nestrangeiros.pt/politi-ca/timor/memotimor.html (Abgerufen am 12.1.2000).

295 Vgl: International Court of Justice, Case Concerning East Timor (Portugal v. Aus-tralia), Application Instituting Proceedings of the Government of the PortugueseRepublic, filed in the Registry of the Court on 22 February 1991, Basic Docu-ments, S. 371 ff.

296 Note of the Portuguese Embassy in Canberra to the Department of ForeignAffairs and Trade, 22 February 1991, in: Basic Documents, S. 363.

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misslang, weil sich der Gerichtshof für nicht zuständig erklärte. Da Indo-nesien die Verbindlichkeit seiner Rechtsprechung nicht anerkannte297 unddeshalb der Verhandlung fernblieb, sahen sich die Richter außer Stande „indem laufenden Falle“ ein Urteil zu fällen.298

Auch die Antwort Canberras auf diese Note war in unmissverständlichemTon abgefasst. Portugal, so hieß es da, könne „… nicht länger irgendeinrelevantes, fortdauerndes rechtliches Interesse oder irgendeine Gewalt in Bezug auf die zu Osttimor gehörenden küstennahen Gebiete“ bean-spruchen.299 Verhandlungen mit Lissabon lehnte man aus diesem Grundkategorisch ab.

Für José Ramos Horta jedoch stellte die Stellungnahme des Gerichtshofeseinen ersten großen internationalen Erfolg für sein Volk dar, da die Richterhier dessen Recht auf Selbstbestimmung bekräftigt hätten.300 Die Osttimo-resen begannen nun immer mehr, sich mit den Interessen der Europäer undAmerikaner zu identifizieren und sich immer weniger als „Asiaten“ zu fühlen.

5. Die ASEAN-Staaten: Das unabhängige Osttimor als Unsicherheitsfaktor

Neben den Australiern und den Portugiesen gehörten auch Soldaten ausasiatischen Staaten den INTERFET-Truppen an. Neben 400 Südkoreanernstammten dabei rund 1500 Mann aus zwei Partnerstaaten Indonesiens inder ASEAN, aus Thailand und von den Philippinen. Doch haben diesebeiden Staaten mit ihrer Teilnahme an der Friedenssicherungsaktionkeineswegs Partei gegen Jakarta ergriffen. Im Gegenteil, denn sie gehörenzu jenen „befreundeten Staaten“301, die auf den ausdrücklichen WunschIndonesiens hin INTERFET-Kontingente nach Osttimor entsandten.

91

297 Vgl. Basic Documents, Doc. 136.298 I.C.J., Case Concerning East Timor (Portugal v. Australia), Judgement of 30 June

1995, Basic Documents, S. 406.299 Response of the Department of Foreign Affairs and Trade to the Note of 22

February 1991, in: Basic Documents, S. 364.300 Statement by Mr. José Ramos-Horta, Special Representative of the National

Council of Maubére Resistance (CNRM) on the I.C.J.’s Sentence on the Portugalv. Australia case (Timor Gap), 30 June 1995, Basic Documents, S. 476.

301 Die Hürden Jakartas - Indonesien stellt zur Entrüstung der UN Bedingungen fürdie Friedensmission in Osttimor; in: Frankfurter Rundschau, 14.9.1999.

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Anfänglich hatte Jakarta eine rein „asiatische“, d.h. von ASEAN-Staatendominierte Eingreiftruppe gefordert, war damit aber bei den VereintenNationen und deren Generalsekretär Kofi Annan auf wenig Gegenliebegestoßen. Denn die Gemeinschaft südostasiatischer Staaten hatte es nachAusbruch der Gewalttätigkeiten auf Osttimor vermieden, „mit politischenStellungnahmen“ hervorzutreten, „die Jakarta vor den Kopf stoßen“ hättenkönnen.302 Wie der Korrespondent der FAZ es formuliert hatte, schien sichdas Bündnis dabei an das von ihm schon früher in der Osttimor-Fragebevorzugte „Prinzip des Nichtstuns“303 halten zu wollen.

Und auch nachdem Jakarta seinen Widerstand gegen eine von einem aus-tralischen Kommandeur geführte INTERFET-Mission aufgegeben hatte304,kamen noch immer Störfeuer aus den ASEAN-Hauptstädten. Mit derBemerkung, dass die Entscheidung, das Kommando an Australien zu über-geben, eine „Fehlentscheidung“ gewesen sei, zog Malaysia am 16.9. seinAngebot zur Entsendung von 1.000 Soldaten nach Osttimor wiederzurück.305 Und Thailand, das schließlich das größte asiatische Kontingentstellte, hörte nicht auf, sich über die Vorgehensweise der Australier zubeschweren.306 Weiter ging der malaysische Regierungschef Mahathir, alser die Ablösung von Peter Cosgrove forderte und das „,aggressive’ Vor-gehen“ nicht-asiatischer Soldaten gegen „unbewaffnete Zivilisten“ ver-urteilte.307 Diese Worte kamen von Politikern, die zuvor „Verständnis“ fürdie indonesische Politik gezeigt hatten308 und für die das Dahinmorden vonTausenden von Menschen durch die Prointegrationisten weit weniger„martialisch“ gewesen war.

Wenn in den Medien häufig hervorgehoben wurde, dass im Verlauf der UN-Intervention die „Fronten … zwischen Ost und West“309 mitten durch dasFriedenskontingent selbst verliefen, so schienen die Stellungnahmen

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302 Ambivalente Haltung der Asean zu Osttimor, in: Neue Zürcher Zeitung,17.9.1999.

303 Ost-Timor sich selbst überlassen. Letzte westliche Beobachter reisen ab, in:FAZ, 9.9.1999.

304 Siehe: Beratungen über militärische Intervention, in: NZZ, 15.9.1999.305 Ambivalente Haltung der Asean zu Osttimor, in: NZZ, 17.9.1999.306 Indonesiens blutiger Abschied von Ost-Timor, in: FAZ, 27.9.1999.307 Entschiedenes oder „aggressives“ Eingreifen? Die Rolle der australischen Streit-

kräfte in Osttimor, in: NZZ, 6.10.1999.308 Ambivalente Haltung der Asean zu Osttimor.309 Asiaten vor den Kopf gestoßen, in: Frankfurter Rundschau, 28.9.1999.

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von Offiziellen eine bedrohlich weiter werdende Kluft zwischen westlich-abendländischen und asiatischen Wertvorstellungen und einem damitverbundenen unterschiedlichen Unrechtsempfinden zu offenbaren. In vielensüdostasiatischen Hauptstädten wurden dabei häufig die Slogans der Pro-paganda Jakartas übernommen. So sah man sich dort dazu veranlasst,unter Bezugnahme auf die Epoche des Kolonialismus gegen den hier sowahrgenommenen „Neokolonialismus“ und den „weißen Hochmut“ derwestlichen Nationen Stellung zu beziehen und zu mutmaßen, „dass die Ver-einten Nationen ein Instrument des Weißen Mannes seien“.310

Fehlgeschlagen schienen damit die Bemühungen der UN und der USA,eben einen solchen Eindruck zu vermeiden und durch die Teilnahme derASEAN-Staaten den INTERFET-Truppen ein „asiatisches Gesicht“ zugeben.311

Doch wenn der stellvertretende Ministerpräsident Malaysias feststellen zukönnen glaubte, dass es den Australiern als „weißem“ Volk am „nötigenTakt und Respekt für die asiatischen Völker“ mangele312, so stellten sichviele Vertreter der westlichen Medien die zynische Frage, ob es AbdullahBadawis Vorstellungen von „Respekt“ und „Takt“ mehr entspricht, wennproindonesische Milizen Osttimoresen – und damit auch Asiaten – er-morden. Und die Neue Zürcher Zeitung hat es nicht ohne eine gewisseIronie der mangelnden „Kriegserfahrung“ des malaysischen Regierungs-chefs zugeschrieben, wenn dieser die Prointegrationisten als „harmloseZivilisten zu bezeichnen vermag“.313

Solche Statements mochten damit zu erklären sein, dass sich der mus-limische Politiker zu diesem Zeitpunkt im Wahlkampf befand.

Die Tatsache, dass aber auch andere ASEAN-Staaten auf eine solche Linieeinschwenkten, lässt sich nur mit einem Blick auf das Bündnis selbsterklären. Denn es stellt sich die Frage, ob sich um den Osttimor-Konfliktherum tatsächlich ein Konflikt der Kulturen des Westens und des FernenOstens aufgebaut hat.

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310 Zitiert ebenda.311 Erstes Kontingent der Uno-Friedenstruppe in Dili, in: NZZ, 20.9.1999.312 Asiaten vor den Kopf gestoßen.313 Entschiedenes oder „aggressives“ Eingreifen, in: NZZ, 6.10.1999.

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5.1 Die ASEAN und die Furcht vor der Balkanisierung Südostasiens

„Zur selben Zeit, nach dem Aufruhr von 1965 und 1966, erklärte Indonesienseine fortgesetzte Verpflichtung zur nationalen Politik der ethnischen, ras-sischen und religiösen Toleranz, der Einheit in der Vielfalt, die die Nationzusammengehalten hat und immer noch zusammenhält. Dies hatte einenberuhigenden Effekt auf die potentiellen Partner in der ASEAN, von denenalle in der einen oder anderen Form … von ethnischer Zersplitterungbedroht wurden. Jede Erosion dieser Politik der Toleranz in Indonesienwürde bei seinen Nachbarn die Furcht vor Ansteckung verursacht haben.… Aufsplitterung in Indonesien hätte so zu unüberbrückbaren regionalenAufteilungen in Südostasien führen können.“314 Diese vom Generalsekretärder ASEAN bezeichnenderweise nur vier Tage vor der Volksabstimmung inOsttimor abgegebene Erklärung offenbart in wenigen Worten den Grund,aus dem heraus die Staaten Südostasiens seit jeher dem Gedanken an einunabhängiges Osttimor nur wenig Positives abringen konnten.

Dass eine Implosion des Vielvölkerstaates im Archipel wie ein SchwarzesLoch wirken und die ganze Region in einen regelrechten Sog der Frag-mentierung mit hineinziehen könnte, zählt zu den Urängsten philippinischer,thailändischer oder malaysischer Politiker. Alle Staaten der Region kenn-zeichnen sich durch ein jeweils variierendes Maß an ethnischer Fragmen-tierung oder auch Segmentierung, ganz egal, ob sie wie die Philippinenebenso wie Indonesien selbst als Vielvölkerstaaten zu bezeichnen sind oderwie der alte Nationalstaat Thailand mit unruhigen Minderheiten in einzelnenRegionen zu kämpfen haben. Wie Malaysia teilen sie zudem mit Indonesiendas von ihnen so bezeichnete „Problem“ chinesischer Minderheiten, die inden malaiischen Staaten traditionell von den dortigen Volksgruppenmehr-heiten angefeindet wurden und werden.

In den 70er-Jahren trat zudem der Ost-West-Konflikt als verschärfendeKomponente zu den zentrifugalen Tendenzen im Staatensystem Südost-asiens hinzu, da nicht wenige der Separatistenbewegungen von Moskauunterstützt wurden oder dem kommunistischen Lager zuneigten.

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314 ASEAN Secretariat, Jakarta, 26 August 1999: Indonesia and the Future ofASEAN; Keynote address by H.E. Rodolfo C. Severino, Secretary-General of theAssociation of Southeast Asian Nations, at a conference on „ASEAN Into theNew Millenium: The Road Ahead“; http://www.asean.or.id/secgen/rd_ahead.htm(Abgerufen am 20.12.1999), S. 2.

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Zum „Kuba-Syndrom“ des Jahres 1975, d.h. zu dem Faktor einer mög-lichen äußeren Bedrohung durch eine promarxistische Regierung in Dili,kam für viele Regierungen damit der der inneren hinzu, wobei sich beidewechselseitig zu verstärken bzw. aufzuschaukeln drohten.

Im Jahr der indonesischen Intervention auf Timor sah sich so die Regierungin Bangkok von zwei Seiten her gleichzeitig bedrängt: In den Grenzgebietenzu Laos und Kambodscha operierten kommunistische Partisanen und imSüden des Landes kämpften muslimische Guerillas für eine Lostrennungder islamisch geprägten Provinzen auf der Malaiischen Halbinsel von Thai-land.315

Auch auf den Philippinen hatte die 1973 gegründete „National DemocraticFront“ – eine Art „Volksfront“, wie Portugall sie bezeichnet – 1975 ca.„1.500 Mann unter Waffen“, während auf den südlichen Inseln wie Min-danao die 15.000 bis 20.000 Muslimrebellen der „Moro National LiberationFront“ ein schwer wiegendes „Sicherheitsproblem“ darstellten.

In dem nur sechs Jahre zuvor, 1969, von Rassenunruhen zwischen Chine-sen und Malaien erschütterten Malaysia waren in beiden Landesteilen, d.h.sowohl auf der Malaiischen Halbinsel als auch im Norden Borneos,verschiedene kommunistische Guerillagruppen aktiv. Auch in Singapur und– damals – Birma sorgten linksgerichtete Untergrundorganisationen fürUnruhe.

Und in Indonesien selbst tat sich die nunmehr in die Illegalität abgedrängteKommunistische Partei noch immer durch „subversive“ Aktivitäten aufvielen der kleineren Inseln hervor.316

So kam es denn auch vor diesem Hintergrund zu dieser Zeit zu den erstenkonkreten Formen einer regionalen Sicherheitskooperation, – zunächstnoch auf jeweils bilateralen Ebenen – die für die Staaten Südostasiensschon bald wesentlich bedeutender werden sollte als deren transregionaleVariante, die SEATO. Im November 1975 – zum Zeitpunkt der Invasion aufOsttimor – einigten sich Indonesien und Malaysia auf ein größeres Maß anKoordinierung bei der Guerillabekämpfung, auf den gegenseitigen Aus-tausch von Informationen, sowie dann ein Jahr später auf gemeinsameRüstungsprojekte. Mit den Philippinen hatte man sich schon 1974 ebenfalls

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315 Siehe: Portugall, S. 97 f.316 Vgl. Portugall, S. 98 ff.

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im Zuge einer wirksameren Abwehr von Untergrundaktivitäten auf gemein-same Patrouillenfahrten der philippinischen und der indonesischen Marinein den Grenzgewässern zwischen beiden Staaten geeinigt.317

Die Probleme des Separatismus existieren wie in Mindanao bis auf denheutigen Tag und so ähneln sich auch die jeweiligen Konfliktsituationen imBündnisbereich. Die auf dem dritten „Informal Summit“ der ASEAN inManila am 28. November 1999 abgegebene Erklärung zur Wahrung der„territorialen Integrität der Republik Indonesien“318 liest sich daher auch wieeine wechselseitige Versicherungserklärung zum Fortbestand der staat-lichen Einheit aller Mitgliedsländer der Organisation.

Mit dem Schicksal Indonesiens verbunden fühlen sich die anderen ASEAN-Staaten aber auch noch aus anderen gewichtigen Gründen. Denn immerhinist dieser Partnerstaat das Herzstück und, so scheint es auch, der Kopf desPaktes, der 1967 gerade auf sein Betreiben hin geschaffen wurde. Suhartohat das Erscheinungsbild des Zusammenschlusses und dessen Politikgeprägt. Beinahe hilflos reagierte da auch der ASEAN-Generalsekretär aufdessen Sturz nur mit der Frage:

„Nun, da Präsident Suharto nicht mehr länger an der Macht ist ... was wirdmit ASEAN geschehen?“319

5.2 Indonesien: Der Kopf der ASEAN und Motor bzw. Gestalter ihrer Politik?

Ein Blick auf die nebenstehende Tabelle zeigt schon bei den Basisdatendas Übergewicht der Unitarischen Republik innerhalb der Organisation: Siestellt etwas mehr als zwei Fünftel aller Einwohner der ASEAN-Staaten underwirtschaftet mehr als 40% des Bruttosozialprodukts aller neun bzw. zehnMitgliedsstaaten. Dieses Übergewicht war bis zum Beitritt Vietnams 1995und dem von Myanmar und Laos 1997 noch deutlicher.

Dazu kommt, dass das Inselreich das Rohstofflager der Region und z.B.einer der größten Erdölproduzenten der Erde sowie am Beginn der 90er-

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317 Shee, Poon-Kim: A Decade of ASEAN; 1967-1977, in: Asian Survey, 8/1977. 318 Chairman Press Statement, ASEAN 3rd Informal Summit, 28 November 1999,

Manila; http://www.asean.or.id/summit/inf3rd/prsum99.htm (Abgerufen am20.12.1999), S. 1.

319 Indonesia and the Future of ASEAN, S. 1.

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Jahre der weltgrößte Hersteller und Exporteur von Flüssiggas gewordenist.320

Indonesien war von Anfang an das ‘Schwergewicht’ in der Reihe der Pakt-staaten. Von Anfang an wurde die ASEAN als eine „Ausdehnung“ des indo-nesischen Prinzips der „‘national resilence’ auf die Ebene der Region“angesehen.321

Und so war es für den heutigen Generalsekretär der ASEAN auch der ‘indo-nesische Geist’, der der Organisation Leben einhauchte:

„Was den Stil und den Ansatz anbetraf, war es das indonesische Beharrenauf mushwarah und mufakat, das die Vorliebe der anderen Südostasiaten

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320 Frederick, William H.; Worden Robert L. (Hrsg.): Indonesia. A country study,Washington D.C. 1993, S. 188 ff.

321 Gardner, S. 264.

Mitglieder Einwohnerzahl GDP (ppp) Mitglied seit(Mio.) Mrd. US$

Brunei 0,3 4,6 1/84

Indonesien 206,0 710,9 8/67

(Kambodscha) 0,8 7,0 –

Laos 4,9 5,2 7/97

Malaysia 19,9 193,6 8/67

Myanmar 45,9 47,0 7/97

Philippinen 74,4 179,7 8/67

Singapur 3,3 66,1 8/67

Thailand 58,8 416,7 8/67

Vietnam 73,9 97,0 7/95

Quelle: Auswärtiges Amt: ASEAN-Datenblatt; http://www.auswaertiges-amt.de/3_auspol/2/3-2-4e.html (Abgerufen am 20.12.1999).

Tab. 1: ASEAN-Datenblatt

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für Konsultation und Konsensus als dem Modus für die regionale Entschei-dungsfindung bestärkte. … Das ist als Asean way bekannt geworden. Dasindonesische Konzept der nationalen und der regionalen Beweglichkeit …festigte die südostasiatische Überzeugung bezüglich der engen Verbin-dung von politischer Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung.“322

Vor allen Dingen aber war, so Severino, Suhartos „Neue Ordnung“ nach1965 in ökonomischer Hinsicht zum Modell für die ganze Region geworden:

„Was Indonesien in die ASEAN zum Zeitpunkt ihrer Entstehung einbrachte,war etwas, was ASEAN Gewicht, Stärke und einen Kurs verlieh, etwas, dasASEAN in der Tat erst möglich machte. … Seit 1967 hatte Indonesien seineWirtschaftspolitik und seine Haltung seinen Nachbarn und der Welt in ihrerGesamtheit gegenüber geändert. Die neue Priorität hieß Entwicklung …sowohl inländisch wie international. … Von einer statischen, merkantilis-tischen, importsubstituierenden Wirtschaft hatte sich die WirtschaftIndonesiens zu einer vom Markt angetriebenen entwickelt, exportorientiertund offen für den Außenhandel und Investment. … Ohne eine solche Trans-formation der Wirtschafts- und der Außenpolitik in Indonesien wäre dieASEAN so wie wir sie kennen, nicht zustande gekommen. … So räumtendie fünf Gründungsmitglieder der ASEAN …, den Anforderungen der Ent-wicklung entsprechend, den wirtschaftlichen Überlegungen in ihrer Innen-und Außenpolitik Vorrang ein. … sie optierten für einen Standpunkt, der dieKräfte des Marktes favorisierte.“323

In diesem Umfeld, in dem seit 1967 die maßgeblichen wirtschaftspoli-tischen Impulse von Jakarta ausgingen, machte sich in Bangkok, Manila,Singapur oder Kuala Lumpur auch niemand Gedanken darüber, dass die-ser Impulsgeber schon zum Zeitpunkt der Gründung der ASEAN gegeneine völkerrechtlich verbindliche Übereinkunft verstoßen hatte und dieBevölkerung von Irian Yaya nicht, wie es die Vereinbarung mit den Verein-ten Nationen vom 15. August 1962 über den „Transfer“ der Kontrolle überdieses Territorium an Indonesien vorgesehen hatte324, bis spätestens 1969über ihr eigenes Schicksal abstimmen ließ. Doch was zählten solcheFakten schon angesichts jener Anziehungskraft, die das indonesischeWirtschaftswunder in der Region ausübte: Von 1965 bis 1996 erhöhte sich

98

322 Indonesia and the Future of ASEAN, S. 2.323 Ebenda, S. 1 ff.324 Harper, S. 304.

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das BSP im Inselreich pro Kopf von umgerechnet 70 auf mehr als 1000 $.Das jährliche Wachstum des BSP betrug von 1987 bis 1997 durchschnitt-lich 7%.325

Ähnliche Erfolge konnten auch die anderen ASEAN-Partnerstaaten ver-buchen, was die Region in den 90er-Jahren zu einem der Epizentren derweltwirtschaftlichen Entwicklung machte.

Auch nach der Krise von 1997 richten sich die Augen der Südostasiatentrotz der Tatsache, dass die indonesische Wirtschaft heute am Tropf desInternationalen Währungsfonds hängt und eine „Wachstums“rate für 1998von –13,7% aufzuweisen hat, wieder auf Jakarta und dessen Krisen-management.

Und so setzen die vom IMF noch Suharto abgerungenen Zusagen bezüg-lich einer weiteren „Öffnung“ von Wirtschaft und Gesellschaft und einesgrößeren Ausmaßes an Pluralismus in beiden Bereichen jetzt schon Maß-stäbe für eine ASEAN-weite Transformationspolitik: So wie das alte„System“ aus einem „Netzwerk“ von „persönlichen Beziehungen“ zwischenPolitikern, Bürokraten und „Tycoons“, das sich durch ein großes Maß an„Lichtundurchlässigkeit“ ausgezeichnet hat, jetzt im größten Mitgliedsstaateinem grundlegenden Umbau unterzogen wird, sollen nach SeverinosVorstellungen in ganz Südostasien „Neuordnungen in der politischen undsozialen Ordnung ... in Angriff genommen werden“.326

Doch vom Gelingen dieser Reformpolitik zuallererst in Indonesien hängt fürSeverino das Wohl der ganzen Region ab, denn nur in einem Zustand derStabilität kann das Land „zur Beständigkeit und zum Gleichgewicht derASEAN signifikant beitragen“.327

In diesem Kontext wird Osttimor zum Störfall, denn die Art und Weise, wiedie Unitarische Republik das Problem der „ethnischen Aspirationen“„managt“, wird als rückwirkend auf alle ASEAN-Staaten empfunden.

99

325 U.S. Department of State: Background Notes: Indonesia, August 1999;http://www.state.gov/www/background_notes/indonesia_899_bgn.html (Abge-rufen am 21.10.1999), S. 7.

326 Indonesia and the Future of ASEAN, S. 4.327 Ebenda, S. 5.

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5.3 Die ASEAN und der neue osttimoresische Staat

Zu alledem passt ein unabhängiges Osttimor konsequenterweise auch –noch? – nicht in die sicherheitspolitischen Konzeptionen der Bündnis-staaten. Als reine Wirtschaftsunion gegründet, befindet sich die ASEAN nunauch auf der Suche nach einer sicherheitspolitischen Kooperation aufBündnisebene – wie etwa im Rahmen des ASEAN Regional Forum (ARF).328

In diesem Zusammenhang erörterten die Staats- und Regierungschefs desPaktes auch auf ihrem Treffen in Manila Ende November 1999 das „CurrentSecurity Environment“ in Südostasien. Es verwunderte da auch kaum, dassdie Konferenzteilnehmer hier ihrer Hoffnung Ausdruck gaben, dass derneue indonesische Präsident Wahid mit seinen Bemühungen um eine„friedliche Lösung“ der Probleme in Aceh erfolgreich sein werde und damiteine Abspaltung der Provinz verhindern könne.329

Vor diesem Hintergrund ist es andererseits aber auch verständlich, dasssich das unabhängige Osttimor außenwirtschafts- und sicherheitspolitischerst einmal an seinen südlichen Nachbarn anlehnt. Die jetzt mit der aus-tralischen Regierung abgeschlossenen vertraglichen Regelungen zurFörderung der Öl- und Gasvorkommen in der Timorsee stellen eine ersteGrundlage für die Schaffung einer eigenständigen osttimoresischen Volks-wirtschaft dar, ohne dass dabei eine Ankoppelung an den südostasiati-schen Wirtschaftsraum nötig wäre.

Auch die „australische Sicherheitszone“ ist dem jungen Staat momentannoch näher als das ARF, auch wenn – oder vielleicht gerade weil – sie sichnicht unwesentlich gegen eine Bedrohung aus der nördlichen Nachbar-region richtet. Denn Australier wie Timoresen scheinen sich heute unterdem Eindruck der Ereignisse der letzten Monate in gleichem Maße keineIllusionen über eine etwaige Partnerschaft mit Südostasien mehr zumachen.

Die transregionale, d.h. hier südostasiatisch-südpazifische militärischeKooperation hat sich ohnehin immer schwierig gestaltet. Das hatte schondas Schicksal der SEATO und auch das des „Five Powers DefenceArrangement“ (FPDA) bewiesen, durch das der fünfte Kontinent direkt an

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328 Vgl. Gardner, S. 269 f.329 Chairman Press Statement: ASEAN 3rd Informal Summit, 28 November 1999,

S. 1.

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den britischen Teil des Netzwerkes der Sicherheitssysteme in Südostasienangeschlossen war. 1971 von Großbritannien, Australien, Neuseeland,Malaysia und Singapur gegründet, war das FPDA-Bündnis von den USAaber immer schon als „schlummernde (und) relativ harmlose Gruppierung“angesehen worden.330

Denn die Australier zogen es vor, in ihrer ,Familie’, d.h. unter dem Schutzdes ANZUS-Paktes zu verbleiben, während die Südostasiaten entwederdie bilaterale Kooperation mit einem außer-asiatischen Akteur, d.h. denUSA, bevorzugten oder als multilaterale Alternative dazu ein regionalesBündnis bevorzugten bzw. dem ASEAN-Pakt mit der Zeit immer mehrsicherheits- und verteidigungspolitische Bedeutung beizumessen be-gannen.

In Dili steht man heute südlich jenes Grabens zwischen Südostasien und dem „weißen“ Süd(west) Pazifik, den der Konflikt um Osttimor zwarnicht neu geschaffen, aber doch wieder aufgerissen hat – auch wenn die ASEAN-Staaten mittlerweile daran gehen, ihre zunächst auf WunschJakartas zu Stande gekommene INTERFET-Beteiligung nun zu ihrem Bei-trag zur Entstehung eines neuen Staates im Archipel umzumünzen.331

6. Die Volksrepublik China: Akteur oder Zuschauer?

Angesichts der aus indonesischer Sicht einseitigen Parteinahme desWestens für die osttimoresische „Minderheit“ drohte man in Jakarta denUSA im Gegenzug mit einem chinesisch-indonesischen „Verteidigungs-pakt.“

Da die Ehre Indonesiens „durch den Schmutz gezogen“ worden sei unddas Land durch das Waffenembargo der Europäer keine dringend not-wendigen Nachschublieferungen mehr erhalte, könnte ein Albtraum für dieUSA Wirklichkeit werden, nämlich ein Bündnis zwischen 211 MillionenIndonesiern und mehr als einer Milliarde Chinesen.332

101

330 Siehe: Portugall, S. 108 u. 231. 331 Südostasien will nicht mehr verlängerte Werkbank Japans sein, in: Handelsblatt,

6.3.2000.332 The Realities of East Timor; wysiwyg://252/http://members.trip...imor-east/

ramoshortacomment1.html (Abgerufen am 18.10.1999), S. 14 f.

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Historische Analogieschlüsse wurden dabei auch angestrengt, um auf-zuzeigen, wie nahe sich beide Völker stünden:

„China war oft diesen westlichen Predigten und Vorurteilen ausgesetzt, undauch in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts grausamen Verbrechen derBriten ausgeliefert und es kennt die Position Indonesiens genau, und eswird seine Politik Indonesien wahrscheinlich nicht diktieren.“333

Doch in Washington reagierte man mit Gelassenheit auf diese Androhungen,verließ man sich doch darauf, dass das Militär in Jakarta jegliche Annähe-rung an Peking wie 1965 schon verhindern werde und dass die antichinesi-schen Gefühle bei den Bewohnern des Archipels noch immer tief sitzen.334

Auch die die indonesische Sicherheitspolitik bestimmenden Determinantenließen ein solches Szenario von Anfang an als sehr unwahrscheinlich er-scheinen, war die Volksrepublik doch seit Mitte der 60er-Jahre schon vonJakarta als das primäre Sicherheitsrisiko in der Region betrachtet worden.

Doch von der Interessenlage der jeweiligen Partner her nur schwer er-klärbare und nur unter dem Motto „Der Feind meines Feindes ist meinFreund“ zu Stande gekommene Bündnisse hat es in der Geschichte schonhäufig gegeben. Das Schreckgespenst einer indonesisch-chinesischenAllianz geisterte aber nur sehr kurz durch Südostasien. Bemerkenswerter-weise war es Peking, das diesem Spuk ein Ende bereitete. Nachdem mansich dort im Vorfeld der UN-Entschließung vom September 1999 auffälligzurückgehalten hatte, stimmte die Volksrepublik China im UN-Sicherheits-rat zusammen mit den USA der Entsendung einer Eingreiftruppe nach Ost-timor zu, sowie sie sich ebenfalls schon für die UNAMET-Mission ausge-sprochen hatte.335 Die USA betonten, sie hätten mit der chinesischen Dele-gation im Sicherheitsrat „sehr gut zusammengearbeitet“.336 Dabei hatte derPräsident der Volksrepublik gerade dort zuerst mit einem Veto gedroht.337

102

333 Ebenda, S. 15.334 Vgl. dazu u.a. Möller, Kay: Nur die Spitze des Vulkans, in: FAZ, 22.9.1999.335 Vgl.: United States Information Agency: Digital Video Conference with Beijing

on U.S. Policy Toward East Timor, Indonesia, September 28, 1999;http://www.usia.gov/regional/ea/timor/928dvc.htm (Abgerufen am 25.10.1999),S. 1 u. 5.

336 Ebenda, S. 6. u. 11.337 Ost-Timor sich selbst überlassen, in: FAZ, 9.9.1999.

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Kurz vor dem 15. September hörte sich der Außenminister Pekings dannschon kompromissbereiter an, als er die Zustimmung seines Landes zueinem UN-Einsatz in Osttimor und sogar eine eigene Teilnahme daran vonder Zustimmung Jakartas abhängig machte.338 Beobachter brachten dieseplötzliche Kehrtwendung mit den zu diesem Zeitpunkt fast zeitgleich abge-haltenen amerikanisch-chinesischen Gesprächen über einen möglichenBeitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO in Verbindung.339

Die Frage, ob die USA ihre Zustimmung zu einer chinesischen WTO-Mit-gliedschaft von einem „Ja“ Pekings zu INTERFET abhängig gemachthaben, muss gegenwärtig noch unbeantwortet bleiben. Die zeitliche Ko-inzidenz beider Vorgänge aber fällt zumindest ins Auge. In Europa und hierz.B. in Berlin glaubte man aber, auf die „konstruktive Rolle“ Chinas in derOsttimor-Frage hinweisen zu müssen,340 während die „etwas reservierteHaltung der asiatischen Staaten“341 allgemein kritisiert wurde.

Denn zwischen der EU und der ASEAN war es auf der Ebene der VereintenNationen im Verlauf der Timor-Debatte zu nicht unerheblichen Miss-stimmungen gekommen. Als die Europäer bei der UNO-Menschenrechts-kommission einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusseszur Aufklärung der von den Prointegrationisten begangenen Verbrecheneinbringen wollten, brachten ihn die ASEAN-Staaten zu Fall. Erst als derenMitarbeit bei diesen Untersuchungen gesichert war, stimmten sie zu.342

Viele asiatische Beobachter allerdings stellten die Frage, warum sich ge-rade die Europäer nun als Anwälte der Osttimoresen präsentierten, hattensie sich doch ebenfalls in den Jahren seit 1976 in dieser Frage vornehmzurückgehalten.

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338 Die Hürden Jakartas.339 Ohne die Zustimmung Chinas läuft in Osttimor gar nichts, in: die tageszeitung,

13.9.1999.340 Bundesminister Joschka Fischer am 7.10.1999 vor dem Deutschen Bundestag

zur deutschen Beteiligung an dem internationalen Streitkräfteverband in Ost-timor (Interfet); http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/2/r/r991012a. htm(Abgerufen am 20.12.1999), S. 1.

341 Staatsminister im Auswärtigen Amt Christoph Zöpel am 29.9.1999 vor demDeutschen Bundestag zu deutschen Hilfsmaßnahmen für Osttimor (Auszüge);http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/2/r/r990929a.htm (Abgerufen am20.12.1999), S. 2.

342 Uno-Untersuchungskommission für Osttimor?, in: NZZ, 28.9.1999.

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7. Europa und Deutschland: Periphere Faktoren in der Osttimor-Frage

7.1 Europa und Osttimor

In einem Interview mit dem Stern setzte der osttimoresische Friedens-nobelpreisträger José Ramos Horta, gefragt nach seinen Einschätzungenbezüglich der „wirtschaftlichen Zukunft“ seines Landes, seine Hoffnungennicht nur auf die Zusammenarbeit mit Australien, sondern auch auf denHandel mit der EU.343

Generell ordnet sich das unabhängige Osttimor heute im Koordinaten-system des Nord-Süd-Gefälles eher nicht in die Reihe der Länder derDritten Welt ein. Für die antikolonialistischen Rituale in vielen Entwick-lungsländern, für die Behauptung, dass die alten Kolonialmächte und derWesten für alle Fehlentwicklungen in Afrika und Asien verantwortlich seien,hat ein Mann wie Ramos Horta mit Blick auf die Geschichte seines eigenenLandes nur wenig Verständnis:

„Indonesien ist selber eine Kolonialmacht geworden, viel schlimmer, als esPortugiesen und Holländer je waren. Vergleichen Sie mal, was die in Ost-Timor, in Aceh, in West-Irian getan haben. Fragen Sie die Leute dort, wassie über die indonesische Armee denken. Manche Dritte-Welt-Länder redenpausenlos über westlichen Kolonialismus, aber die neuen Herren dieserLänder – wie Indonesien – betragen sich millionenfach schlimmer als diefrüheren Kolonialmächte.“344

Die Europäer selbst aber haben kaum zur Entstehung solch einer ihnen sowohlgesonnenen Haltung beigetragen. Mit Ausnahme Portugals haben sichdie einzelnen Länder der Gemeinschaft von 1975 bis zum Ausbruch derGewalttätigkeiten nach dem 30. August 1999 eher zurückgehalten.

Die Niederlande, die ehemalige Kolonialmacht in Indonesien, gingen davonaus, dass „die demokratische Republik von Osttimor (so proklamiert vonFRETILIN, Anm. d. Verf.) als Staat nicht existiert“.345

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343 Geplant wurde alles in Jakarta, in: Stern, 7.10.1999.344 Ebenda.345 The Democratic Republic of East Timor, ‘Fretilin (Frente Revolucionária de Timor

Leste Independente) and 15 Other Natural and Legal Persons v. The State of theNetherlands, District Court of The Hague, 21 February 1980, in: Basic Docu-ments, S. 298.

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Das Massaker von Santa Cruz leitete 1991 hier aber eine erste Wende ein,die der bis zu diesem Zeitpunkt offensichtlichen Untätigkeit der EU be-züglich der Osttimor-Problematik ein Ende setzte. Großbritannien reagiertenun offiziell auf die Lage der Menschenrechte in Osttimor.346 Die Regierungin London hob nun hervor, dass das Vereinigte Königreich „nicht wie einesehr große Anzahl anderer Länder … Indonesiens Annexion von Osttimor“anerkannt habe.347

Schon kurz zuvor war als Folge der portugiesischen Vorstöße vor demInternationalen Gerichtshof in der Frage des Timor Gap-Vertrags auch derEuroparat aktiv geworden und hatte festgestellt, dass die Annexion desJahres 1976 „die Jurisdiktion und die Rechte eines Mitglieds des Europa-rates“ verletzt habe.348

Von einem Völkerrechtsbruch sprach nun ein Gremium der Gemeinschaftzum ersten Male349 nachdem eine im Jahre 1980 von der sozialistischenFraktion im Europaparlament eingebrachte Resolution nur die Lage vonFRETILIN-Mitgliedern zum Gegenstand gehabt hatte.350

An ein Waffenembargo, wie es im September 1999 von der EU für einenZeitraum von vier Monaten verhängt wurde351, dachte man in keinereuropäischen Hauptstadt nach. Im Gegensatz zu Washington, das 1992seine militärische Kooperation mit Indonesien als Antwort auf das Mas-saker auf dem Friedhof von Dili eingeschränkt hatte, ging man beispiels-weise in London davon aus, dass die mit der Lieferung von Waffen anJakarta verbundenen Auflagen und hier insbesondere die Bedingung, dassbritische Waffen nicht „zur Repression der Bevölkerung“ benutzt werden

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346 Siehe: Basic Documents, Doc. 91, S. 300 ff.347 Statement of Minister of State, Foreign and Commonwealth Office, Mr. Alastair

Goodlad, 10 February 1993, in: Basic Documents, S. 302.348 Council of Europe – Parliamentary Assembly of the Council of Europe, Report on

East Timor (Rapporteur: Mr. Pontillion, France, Socialist), 13 May 1991, BasicDocuments, S. 303.

349 Council of Europe-Parliamentary Assembly of the Council of Europe, Forty-ThirdOrdinary Session Resolution 966 (1991) on East Timor, 28 June 1991, BasicDocuments, S. 303.

350 European Parliament – Resolution on the Situation in East Timor of 23 May 1980,Basic Documents, S. 307 f.

351 Vgl. u.a.: Bundesminister Fischer am 16.9.1999 vor dem Deutschen Bundestag;http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/2/r/r990916a.htm (Abgerufen am20.12.1999), S. 2.

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dürfen, indonesischerseits auch eingehalten würden. Auch die Ausbildungindonesischer Militärs in Großbritannien erfolge in erster Linie zu demZwecke, diese mit „unseren Prinzipien“ vertraut zu machen.352

Immerhin ging es dabei aber auch um ein sehr lukratives Geschäft, denndas Vereinigte Königreich schickte sich gerade an, in die von den USA seit1992 aufgelassenen Positionen nachzurücken: War es schon am Beginnder 90er-Jahre zu einem der wichtigsten Waffenlieferanten Indonesiensgeworden353, so rückte es in dieser Hinsicht bis zum Vorabend des Refe-rendums an die erste Stelle vor.354 Auch New Labours „ethische Außen-politik“ hatte daran zunächst nichts geändert. Erst das von der EUverhängte Waffenembargo hat die Regierung Ihrer Majestät hier augen-scheinlich in Zugzwang gebracht. Doch war das mittlerweile in Groß-britannien hochverschuldete südostasiatische Land schon vorher zwischendem Handels- und dem Außenministerium zum Streitobjekt geworden.

Als „Permanentes Mitglied des Sicherheitsrates“ sah sich London dannnach den Worten von Außenminister Cook Anfang September 1999 dazuveranlasst, „Druck auf Indonesien“ auszuüben, damit dieses sich an dieNew Yorker Vereinbarungen halte.355 Doch die von Sir Jeremy Greenstockangeführte UN-Delegation hat bei Präsident Habibie offensichtlicherweiseweniger Eindruck hinterlassen als die konkrete US-amerikanische Initiative.Prinzipiell erklärte man sich vor dem Hintergrund der eigenen Rolle bei denUN jedoch von Anfang an dazu bereit, zu einer etwaigen „peacekeepingforce“ für Osttimor beitragen zu wollen. Für den Kommentator der NZZdienten dann aber jene 270 Gurkas, die für INTERFET bereitgestelltwurden, Tony Blair in erster Linie der „Gesichtswahrung“. Auch mit jenem14-köpfigen „Kontingent“, das nun für UNTAET bereitgestellt wurde, hat ersich nicht allzu sehr in den Vordergrund gedrängt.356

Von osttimoresischer Seite allerdings droht nicht nur das Kapitel dereuropäischen Militärhilfe für Indonesien zum nicht nur moralischen Druck-

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352 House of Lords, Official Report, Parliamentary Debates, Unstarred Question-Indonesia: Aid and Human Rights, 16 July 1992, in: Basic Documents, S. 302.

353 House of Lords, Basic Documents, S. 300.354 Londons „ethische Außenpolitik“ im Test, in: NZZ, 16.9.1999.355 Foreign & Commonwealth Office London: Survey of Current Affairs, Volume 29,

Number 9, September 1999, S. 317 ff.356 Survey of Current Affairs, Vol. 29, No. 11, November 1999, S. 396.

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mittel gegen die Europäer selbst umfunktioniert zu werden. So wurde vonRamos Horta deutschen Gesprächspartnern schon die „moralische Ver-antwortung“ ihres Landes für die Stärkung der TNI unter die Nase gerieben,weil z.B. nach der Wiedervereinigung „fast die komplette Flotte der DDR“an Suharto verkauft wurde.357

Für die deutsche Außenpolitik aber wurden Osttimor und die am 7. Oktober1999 beschlossene Entsendung eines Sanitätskontingents der Bundes-wehr in das nordaustralische Darwin aber nicht nur aus diesem Grund zueinem Problemfall. Für eine Kritikerin dieses Bundeswehreinsatzes wieMonika Schlicher blieb diese Entscheidung eine „Verlegenheitsgeste, diedarüber hinwegtäuschen sollte, dass im Vorfeld die deutsche Politikgegenüber Indonesien und Osttimor völlig versagt hat“.358

7.2 Das deutsche Interesse an Osttimor

„Bei unserer Politik gegenüber der indonesischen Regierung war zu be-achten, dass Indonesien nicht nur die größte Militärmacht in der Region ist, sondern dass im Falle einer Militärdiktatur das Land in einen Bürger-krieg zu geraten droht und angesichts auch anderer Minderheitenproblemeauseinander brechen könnte. Dann würden Gewaltpotentiale freigesetzt,die bei weitem über das hinausgingen, was wir jetzt so schrecklich in Ost-timor erlebt haben.“359

Das Interesse an der Stabilität des Vielvölkerstaates teilen die westlichenNationen ebenso wie den Wunsch nach einer erfolgreich verlaufendenDemokratisierung des Landes. Doch dessen Auseinanderbrechen würdedeutsche Sicherheitsinteressen nicht direkt tangieren.

Ebenso wie für die USA und Australien ist auch für Deutschland Indone-sien nicht der wichtigste Markt in Südostasien, sondern Singapur. 1998rangierte die Unitarische Republik bei den deutschen Ausfuhren nach

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357 Geplant wurde alles in Jakarta, in: Stern, 7.10.1999.358 Das Ende einer Verlegenheitsgeste; Die Bundeswehr beendet ihren umstrittenen

Sanitätseinsatz in Osttimor, in: taz, 24.2.2000; http://www.taz.de/tpl/2000/02/24/a0042.fr/text?re=in (Abgerufen am 24.2.2000.), S. 1.

359 Bundesminister Fischer am 16.9.1999 vor dem Deutschen Bundestag, S. 1 f.

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Südostasien sogar noch hinter Malaysia erst an dritter Stelle.360 NachEinschätzung von Klaus von Menges, dem Vorstandsvorsitzenden derFerrostaal AG und gleichzeitigen „Indonesien-Sprecher“ der deutschenWirtschaft im Asien-Pazifik-Ausschuss (APA), wird sich die deutsche Indus-trie im einstigen Wirtschaftswunderland zudem noch für einige Zeit auf„beschränkte Geschäftserwartungen“ einstellen müssen.361 Weiter denn jescheint man heute von jenem Boomjahr 1997 entfernt, als der indonesischeMarkt sich anschickte, in seiner Bedeutung für die deutsche Export-industrie mit dem australischen fast gleichzuziehen. Doch schon 1998 be-liefen sich die deutschen Ausfuhren nach Australien auf fast das 1,9fachederjenigen nach Indonesien.362

Auch als Investitionsstandorte waren Malaysia und Singapur für deutscheKapitalanleger bislang immer interessanter als der größte ASEAN-Staat.363

Das deutsche Eintreten für die osttimoresische Eigenstaatlichkeit – und fürdie australische Position in dieser Frage – hätte demnach der jeweils unter-schiedlichen Gewichtung der deutschen Wirtschaftsinteressen in den bei-den benachbarten Regionen durchaus entsprochen. Doch hat Deutschlandandererseits gerade von einem unabhängigen Osttimor wirtschaftlich nichtszu erwarten, da die hauptsächlich von den neuen Förderbedingungen inder Timorsee profitierenden Parteien US-amerikanische und australischeÖl-Konzerne sein werden.364 Sicherheits- und wirtschaftspolitisch ist undbleibt Osttimor daher unbedeutend für die Berliner Außenpolitik.

Der Entschluss zur Leistung eines deutschen Beitrags zu INTERFET hatdamit in erster Linie mit den indirekten deutschen Interessen an der Ost-timor-Problematik zu tun. Auch Bundesaußenminister Joschka Fischer hatkeinen Hehl daraus gemacht, dass die aus seiner Sicht für die Entschei-dung vom 7. Oktober 1999 ausschlaggebenden Gründe keine in derRegion selbst zu findenden gewesen sind:

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360 Statistisches Jahrbuch 1999 für die Bundesrepublik Deutschland; Wiesbaden1999, S. 290. 1998 gingen so deutsche Ausfuhren im Wert von 5,2 Milliarden DMnach Singapur, im Wert von 3,4 Milliarden DM nach Malaysia und im Wert von3,3 Mrd. DM nach Indonesien.

361 Jakarta wartet auf Wirtschaftserfolge, in: Handelsblatt, 18./19.2.2000.362 Vgl. Statistisches Jahrbuch 1999 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 290.363 Vgl.: Statistisches Jahrbuch 1998 für die Bundesrepublik Deutschland, Wies-

baden 1998, S. 694.364 Wahid entschuldigt sich in Osttimor – US-Firma investiert Milliarden in Gas-

förderung, in: Handelsblatt, 1.3.2000.

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„Die entscheidende Frage, die sich für uns stellte, war, ob wir uns beidiesem Thema abseits stellen können oder ob wir uns nicht im Rahmenunserer vertretbaren Möglichkeiten beteiligen müssen. Meine Damen undHerren, wenn wir uns hier nicht beteiligt hätten, wäre der Eindruck ent-standen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland auf Europa zurück-zieht, dass wir uns zwar im Kosovo mit allem, was wir haben, und beijedem Risiko engagieren, dass wir aber nicht bereit sind, gemeinsam mitunseren europäischen Partnern für die Vereinten Nationen Solidarität zuzeigen und Verantwortung zu übernehmen.“365

An anderer Stelle hat Fischer der gleichen Begründung noch eine weitereKomponente hinzugefügt:

„Wenn wir uns (in Osttimor) nicht beteiligt hätten, wäre sofort ein fataler Ein-druck entstanden: Deutschland ist bereit, sich unter amerikanischerFührung in Europa voll zu engagieren, wenn die NATO ruft. Aber ansonstenschiebt man Gründe vor.“366

Ging es also tatsächlich weniger „um Hilfe für Osttimor, als vielmehr darum,,Flagge zu zeigen‘“, wie es die taz der deutschen Außenpolitik unterstellthat?367 Doch dieses „Flaggezeigen“ ist im Falle Osttimors im In- undAusland unter politischen Beschuss geraten. Als eine Generalprobe für eine„neue deutsche Rolle als Weltpolizist“ und als ein im EU-Rahmen be-denklicher Rückfall in eine „nationale Außenpolitik“ wurde das Osttimor-Engagement Fischers in so mancher europäischen Hauptstadt angesehen,ebenso wie sich auch der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion imBundestag, Karl Lamers, gegen eine „universale Verschickung deutscherSoldaten“ aussprach368 und eine „gemeinsame Außen- und Sicherheits-

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365 Bundesminister Joschka Fischer am 7.10.1999 vor dem Deutschen Bundestagzur deutschen Beteiligung an dem internationalen Streitkräfteverband in Ostti-mor, S. 2.

366 Bundesminister Joschka Fischer am 18.10.1999, in: Der Spiegel zum Einsatz derBundeswehr in Osttimor und zur Rolle Deutschlands in den Vereinten Nationenund in der internationalen Politik (Auszüge);http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/2/n/n991018a.htm (Abgerufen am20.12.1999), S. 1.

367 Intervention als Politikersatz, in: taz, 24.2.2000; http://www.taz.de/tpl/2000/02/24/a0104.fr/text?re=me (Abgerufen am 24.2.2000).

368 Angeschlagener Wunderknabe, in: FAZ, 16.10.1999.

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politik der Europäer“ gewahrt wissen wollte.369 Aber auch Lamers war derÜberzeugung, dass Deutschland in dieser Frage nicht „abseits“ stehendürfe. Und so sprachen sich auch CDU und CSU für den Osttimor-Einsatzder Bundeswehr aus.370 Doch die Kritik an Joschka Fischers „Prestige-objekt“ hielt an. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger be-merkte anlässlich seines Aufenthaltes in Dili, dass es „absolut sinnvollereArten“ gebe, „das Geld auszugeben“.371 Und für den Focus befindet sichdie Außenpolitik der Regierung Schröder auf dem Weg „schnurstracks inRichtung weltweiter Krisenintervention“.372

An Sinn und Zweck des Ende Februar 2000 beendeten Einsatzes derBundeswehrsanitäter scheiden sich immer noch die Geister, auch wenndessen Kosten sich nach gegenwärtigen Einschätzungen auf etwas weni-ger als die zunächst für ihn veranschlagten fünf Millionen Mark belaufenwerden. Dass die Aktion billiger kam als anfänglich geplant, ist daraufzurückzuführen, dass die deutschen Sanitätsflieger vor Ort „weniger“ zutun hatten als erwartet. Wenn die Bundeswehrsoldaten nach den Wortendes australischen INTERFET-Kommandeurs Cosgrove ihren „Auftrag er-folgreich“ beendet haben, so ist das für die Vertreter der OrganisationWatch Indonesia nur blanker Zynismus. Nach deren Einschätzung sei die„Hauptaufgabe der deutschen Sanitäter“ nicht die Gesundheitsversorgungder Osttimoresen, sondern die der INTERFET-Soldaten gewesen.373 Tat-sächlich flogen die Transall-Maschinen der Bundeswehr auf ihren „gerademal 18“ Flügen bis Mitte Dezember 1999 in der überwiegenden Mehrzahlleicht verletzte INTERFET-Angehörige aus Timor aus.374 Auch die Schluss-bilanz von insgesamt 49 Einsätzen, die dem Transport von 230 Verwun-deten dienten375, konnte nicht über gewisse diesbezügliche Ungereimt-heiten hinwegtäuschen.

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369 Zitiert in: Morgen in alle Welt; Außenminister Fischer schickt Sanitäter nach Ost-timor. Der UN-Sicherheitsratssitz lockt, in: Focus, 11.10.1999.

370 Breite Mehrheit für Einsatz in Ost-Timor, in: Handelsblatt, 7.10.1999.371 Osttimor-Mission: Shuttle für Fußkranke, in: Der Spiegel, 13.12.1999.372 Morgen in alle Welt.373 Das Ende einer Verlegenheitsgeste.374 Shuttle für Fußkranke.375 Vgl.: Ehrhart, Hans-Georg: Wachablösung in Ost-Timor, in: Blätter für deutsche

und internationale Politik, Heft 4/2000.

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So bringen die Kritiker diesen Sanitätseinsatz in erster Linie mit demWunsch von Außenminister Fischer nach einem deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat in Verbindung.

7.3 Deutschlands „neue“ Verantwortung im „internationalen System der Friedenssicherung“ am Beginn des 21. Jahrhunderts?

Als Bundesaußenminister Joschka Fischer am 22. September 1999 in NewYork vor den Vereinten Nationen sprach, unterbreitete er seinen Zuhörerneine Reihe von Reformvorschlägen, die es der Weltorganisation künftig er-lauben sollen, effektiver „Friedenssicherung“ betreiben zu können. Beson-dere Bedeutung maß er dabei einer „Reform des Sicherheitsrats“ bei, dienicht nur auf eine Abschaffung des unilateralen Vetos hinauslaufen sollte,sondern auch auf eine künftig repräsentativere Zusammensetzung dieserInstitution. Seine Forderung nach einer „Erweiterung“ der Mitgliederzahldieses Gremiums brachte er dabei eindeutig in Verbindung mit der „Bereit-schaft“ Deutschlands, „in diesem Zusammenhang dauerhaft mehr Verant-wortung zu übernehmen“.376

Mehr internationale Verantwortung zu übernehmen schickte sich daswiedervereinigte Deutschland aber seit Beginn der 90er-Jahre schon an.Von 1973 bis 1998 hat die Bundesrepublik insgesamt 24 UN-Missionenzumeist in „humanitärer“ Hinsicht unterstützt, davon 12 mit Bundeswehr-soldaten. Als Blauhelmsoldaten kamen die ersten Deutschen 1992/93 inKambodscha zum Einsatz, 1993 wurden 1790 Bundeswehrsoldaten zur„logistischen Unterstützung“ und „humanitären Hilfe“ nach Somaliageschickt, seit 1992 auch in das ehemalige Jugoslawien und nach Geor-gien. Auch für die Arbeit von UNSCOM im Irak wurden Experten zur Ver-fügung gestellt. Der Bundesgrenzschutz beteiligt sich seit 1989 an UN-Missionen.377

Doch ein Sitz im Sicherheitsrat schwebte damals Bundeskanzler HelmutKohl – im Gegensatz zu Fischers Amtsvorgänger Klaus Kinkel – noch nicht

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376 Fischer: Rede vor der 54. Generalversammlung der Vereinten Nationen. Rededes Bundesministers des Auswärtigen Joschka Fischer am 22. September 1999in New York; http://www.auswaertiges-amt.de/3_auspol/3/3-3-2f.htm (Abge-rufen am 10.11.1999), S. 2 f.

377 Auswärtiges Amt: 25 Years of German Participation in United Nations Peace-keeping Operations, Bonn, Juni 1998, S. 19 ff.

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vor, schien er doch eine eindeutige Verpflichtung für eine globale Einsatz-und Interventionsbereitschaft im Krisenfalle mit sich zu bringen.378

„Gut gelernt“ hatte der „westdeutsche Michel“ – wie es Michael Wolffsohnnoch zur Mitte der 90er-Jahre konstatierte – „seine Lektion“ aus der „Um-erziehung“ und so, wie die immer währenden „deutsch-amerikanischenAuseinandersetzungen über die Anwendung von militärischen Mitteln in derPolitik“ unter den Regierungen Brandt, Schmidt und auch Kohl zu zeigenschienen, „der Politik der Stärke“ abgeschworen.379 Es entbehrte daherauch für Christian Hacke nicht einer gewissen Ironie, dass „gerade vondieser rot-grünen Bundesregierung“ nach Jahren, in denen die beidenheutigen Regierungspartner aus der Opposition heraus gegen die Be-mühungen des damaligen Verteidigungsministers Volker Rühe „für einstärkeres militärisches Engagement der Bundesrepublik“ Stellung bezogenhatten, nun im Frühjahr 1999 im Kosovo „staatspolitische Verantwortung imnationalen und Bündnisrahmen“ gezeigt wurde.380 Und so demonstrierteDeutschland nach 25 Jahren logistischer und humanitärer Hilfe für die Mis-sionen der UN „im Luftkrieg gegen Serbien … eine neue Qualität vonmilitärischer und politischer Verantwortung“.381 Der Kosovokonflikt stelltedamit nicht nur die von Fischer in New York hervorgehobene „Zäsur“ in derPolitik der Vereinten Nationen dar, sondern anscheinend auch eine „Zäsurin Deutschland“382 und einen Wandel der moralischen Grundlagen und deraus der Geschichte abgeleiteten Prämissen deutscher (Außen-) Politik.

Joschka Fischers Ausspruch „Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg,sondern auch: Nie wieder Auschwitz“ stellte eine augenscheinlich neueAntwort auf die Frage dar, welche Form der Verantwortung sich vor demHintergrund der Geschichte für die deutsche Politik ergibt. War „Auschwitz“so früher „Begründung einer fast absoluten Friedensverpflichtung der

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378 Siehe: Morgen in alle Welt.379 Wolffsohn, Michael: Verwirrtes Deutschland? Provokative Zwischenrufe eines

deutschjüdischen Patrioten. 2. Auflage, München 1994, S. 11.380 Hacke, Christian: Deutschland und der Kosovokonflikt, in: Die Kosovo-Krise –

eine vorläufige Bilanz, in: POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 4/1999, S. 48 u. 55.

381 Ebenda, S. 54.382 Meier-Walser, Reinhard C.: Der Kosovo-Krieg im Spiegel der Feuilletons. Streif-

lichter der deutschen Intellektuellen-Diskussion, in: Die Kosovo-Krise – einevorläufige Bilanz, in: POLITISCHE STUDIEN, Sonderheft 4/1999, S. 93.

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Deutschen“383 so wurde es nun „zum deutschen Argument für ein militä-risches Eingreifen, so wie die Westmächte ihr ,München’ und ihre Angst voreiner Appeasement-Politik haben“.384

Da verwunderte es auch kaum mehr, dass der deutsche Außenministernach seinem Auschwitz-Ausspruch in der Kosovo-Diskussion nun im FalleOsttimors vor den Vereinten Nationen das Wort „Pogrom“ verwendete, dasauch hier eine spezielle deutsche Verantwortung für die Verhinderung einesVölkermords unterstreichen sollte. Doch neben der Gefahr, dass einesolche Überstrapazierung von Holocaust- und anderen historischen Ver-gleichen zu einer inadäquaten Relativierung dieses in seiner Dimensioneinmaligen Verbrechens führen kann, stellt sich langfristig die Frage, obDeutschland tatsächlich als „Weltpolizist“ bei allen „Interventionen zu-gunsten der Menschenrechte“385„Flagge zeigen“ soll.

„Denn bislang“ – so Sönke Petersen in der Abendzeitung zum Bundes-wehreinsatz in Osttimor – „fehlen auch nur halbwegs objektive Kriteriendafür, wann Deutschland, das nicht wie die USA eine Welt –, sondern eineeuropäische Mittelmacht ist, im Rahmen der UN Soldaten einsetzt. Klar istnur, dass die Deutschen weder die Weltpolizisten-Rolle spielen wollen nochkönnen. Wann und wo also sind wir mit von der Partie? Heute in Asien,morgen in Afrika und bald auch in Südamerika? Es ist keine Ohne-mich-Einstellung, solche Fragen zu stellen. Politik braucht Klarheit und Be-rechenbarkeit. Nur dem Prestige-Denken Joschka Fischers zu folgen, reichtnicht aus.“386

Doch haben andererseits nicht auch die Australier, die keinen Sitz imSicherheitsrat anstreben, im Rahmen ihres Beitrags zur internationalenFriedenssicherung, an UN-Missionen fernab ihrer eigenen Haustür, imNahen Osten und in Afrika teilgenommen?

Die von Reinhard C. Meier-Walser während des Kosovo-Krieges bei nichtwenigen Intellektuellen festgestellte „beklemmende Ratlosigkeit“387 scheintauch die Diskussion um den Osttimor-Einsatz der Bundeswehr zu durch-

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383 Frank Schirrmacher, zitiert bei Meier-Walser, S. 93.384 Heinz D. Kittsteiner, zitiert ebenda.385 Intervention als Politikersatz.386 Joschkas Prestige, in: Abendzeitung, 7.10.1999.387 Meier-Walser, a.a.O., S. 91.

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ziehen und zu offenbaren, wie unsicher sich die Deutschen nach wie vorüber ihre künftige Rolle in der Weltpolitik sind.

Die allgemeine Aufregung um diesen Einsatz überrascht vor allen Dingendeswegen, weil er daselbst außenpolitisch durchaus keinen so großen Wurfdarstellte, wie Joschka Fischer glaubte, noch so eine immense Kosten-frage aufwarf, wie seine Gegner meinten. Im Prinzip war er nichts weiter als einer jener rein humanitären Einsätze, an denen Bundeswehrsanitäterseit 25 Jahren schon – und hier auch schon in Lateinamerika – teilnahmen.Sogar viele jener UN-„peacekeeping operations“, an denen die Bundes-wehr nicht beteiligt war, die aber deutscherseits mitfinanziert wurden,kamen den Bundeshaushalt oft um das bis zu Zehnfache teurer zu stehenals INTERFET.388 Die Aufwertung, die diesem „Prestigeobjekt“ JoschkaFischers zuteil wurde, ist ohne jene „Ratlosigkeit“ bzw. „Verwirrung“ des„deutschen Michel“ bei der eigenen Standortbestimmung in der inter-nationalen Politik im Gefolge des Kosovo nicht zu erklären.

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388 Vgl.: 25 Years of German Participation in United Nations Peacekeeping Opera-tions, S. 12.

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III. Das südostasiatisch-südpazifische Umfelddes neuen Staates Osttimor: Eine Region im Umbruch

1. Die neue australisch-amerikanische Sicherheitspartnerschaft

Ob dem Streben des fünften Kontinents danach, in „unserer Region vonstrategischem Interesse“ eine „Führungsrolle“ zu übernehmen389, Erfolgbeschieden sein wird, hängt nicht zuletzt vom Goodwill Washingtons ab.Dies umso mehr, da Australien mit dieser Politik in der Region vollkommenallein dasteht, nachdem auch Neuseeland, das im September 1999 nochaus Solidarität mit Canberra heraus 700 Soldaten nach Osttimor geschickthat, nach einem Regierungswechsel Ende letzten Jahres und nun untereiner Labor-Regierung von der Linie einer „gemeinsamen Sicherheitspolitikmit Australien“ abgerückt ist.390

1.1 Die amerikanisch-australische Allianz und Südostasien: Pax Americana oder Pax Australis?

Sowohl in Washington als auch in Canberra wurde in den letzten Wochenund Monaten betont, dass die Kooperation zwischen der australischen undder amerikanischen Regierung für das Zustandekommen von INTERFETvon entscheidender Bedeutung gewesen ist.391

Der australische Verteidigungsminister John Moore stellte anlässlich einesTreffens mit seinem amerikanischen Amtskollegen William Cohen in Darwinam 29. September 1999 fest, dass die „Allianz“ zwischen beiden Länderngut „funktioniert“392 John Howard und US-Präsident Bill Clinton seienschnell übereingekommen, dass Australien „die Führung“ von INTERFET

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389 Forward march, in: The Bulletin, February 29, 2000.390 Neuorientierung in der Sicherheitspolitik: Neuseeland rückt von Australien ab, in:

Handelsblatt, 23.3.2000.391 U.S. Department of State; Office of the Spokesman, September 16, 1999:

Statement by James B. Foley, Deputy Spokesman: East Timor – U.S.-AustralianCooperation; http://www.usia.gov/regional/ea/timor/austimor.htm (Abgerufenam 25.10.1999.)

392 U.S. Department of State: Joint Press Briefing, Royal Australian Air Force Base,Darwin N.T. Australia. Wednesday, September 29, 1999; http://www.usia.gov/regional/ea/timor/cohn929.htm (Abgerufen am 25.10.1999), S. 2.

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übernehmen solle. Die indonesischen Einsprüche gegen diese Plänewurden im Weißen Haus nicht zur Kenntnis genommen und so kommen-tierte der Pressesekretär des Präsidenten die von den ASEAN-Staaten vomZaun gebrochene Diskussion darüber, wer die Truppen „anführen“ solle,nur kurz und knapp mit den Worten:

„Ich habe keine Kenntnis davon, dass es hier einen alternativen Standpunktgäbe oder dass man nach einem anderen Land suchen würde, das dieseAnstrengung leiten sollte.“393

Canberra wiederum hatte Cohens Standpunkt, dass sich die USA nicht überall auf der Welt in gleichem Maße engagieren könnten und daherdie Aktion in Osttimor nur logistisch unterstützen würden, sehr schnellakzeptiert.

Trotzdem oder gerade deswegen waren die US-amerikanisch-australischenBeziehungen und deren wichtige Rolle für das Zustandekommen der UN-Mission Gegenstand kontrovers geführter Diskussionen. In Umlauf ge-brachte Gerüchte sprachen davon, dass die USA „Druck“ auf Canberraausgeübt hätten, um den fünften Kontinent zur Übernahme der „Koordinie-rung“ der Aktion zu zwingen. Im Gegensatz dazu hieß es aus anderen Quel-len, dass der amerikanische „Widerwillen“, Bodentruppen bereitzustellen,die australische Regierung „sich selbst überlassen“ hätte. Eine dritteVariante ist die, dass Australien gerne und bereitwillig die Rolle des„deputy“ der USA in der Region übernommen habe.394 Diese Variante wirdvon beiden Seiten vehement zurückgewiesen, jedoch ist mehr als nur einkleines Fünkchen Wahrheit in ihr zu erkennen. So wäre es übertrieben, voneinem amerikanisch-australischen Interessenkonflikt in der Osttimor-Fragezu sprechen. Weder scheinen die USA Australien auf Osttimor allein-gelassen zu haben, – die Kooperation der Generalstäbe beider Länderschon im Vorfeld des 15. September ist kein Geheimnis mehr395 – nochmusste offensichtlicherweise Canberra zur Übernahme der Verantwortung

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393 The White House: Office of the Press Secretary (Auckland, New Zealand),September 12, 1999. Press Briefing by Joe Lockhart; http://www.usia.gov/regional/ea/timor/wh091299.htm (Abgerufen am 28.10.1999), S. 5.

394 Baker, Richard W.: Indonesia-Australia: Relations Moving from Bad to Worse.Pacific Forum CSIS: Comparative Connections. An E-Journal on East Asian Bila-teral Relations; http://www.csis.org/pacfor/cc/993Qindo_aus.html (Abgerufenam 20.12.1999), S. 4.

395 Press Briefing by Joe Lockhart, S. 2.

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für die Militäraktion gezwungen werden. War früher nicht unbedingt voneiner Deckungsgleichheit der Interessenlagen der beiden Verbündeten imArchipel zu sprechen - was etwa die aus beiden Perspektiven jeweils unter-schiedliche strategische Bedeutung der Wasserwege anbetrifft – so habensich hier in den letzten fünf Jahren Annäherungen ergeben. Über- unduntergeordnete Interessen, – d.h. regionale und transregionale Sicher-heitsinteressen – fielen in immer größerem Umfang zusammen. Auch diejeweiligen Wahrnehmungen bezüglich der wirtschaftlichen BedeutungIndonesiens näherten sich nun immer mehr einander an. So scheinen heutedie australischen, d.h. regionalen geostrategischen und sicherheits-politischen Konzeptionen so gut wie selten zuvor in den Rahmen der über-regionalen Geostrategien Washingtons hineinzupassen. Diese zunehmendeInteressenkonvergenz führte auch aus der Sicht von William Cohen zu einerneuen Form der amerikanisch-australischen Arbeitsteilung in Südostasien,zu der der fünfte Kontinent als selbständiger Akteur beiträgt:

„Ich glaube nicht, dass Australien der Deputy von irgendjemandem oderirgendetwas ist. Australien ist ein souveränes Land und eine Regionalmachtals solche. Es hat die Führungsrolle übernommen. Wir begrüßen dieseFührungsrolle. Wir unterstützen Australien bei der Übernahme dieserRolle.“396

1.2 Die weitere Annäherung der amerikanischen undaustralischen Interessenlagen im Malaiischen Archipel

Analog zu Portugall, der die amerikanische Außenpolitik seit jeher undspeziell seit 1945 als von den beiden – nicht selten auch in einem Span-nungsverhältnis zueinander stehenden – Gesichtspunkten „ideell-welt-anschaulicher“ und „real-machtpolitischer“397 Überlegungen determiniertsieht, befindet sich auch für Sheldon W. Simon vom Center for AsianStudies and Program in Southeast Asian Studies der Arizona State Uni-versity die Indonesienpolitik seines Landes in einem ständigen „Dilemma“,in dem sich die „strategische Bedeutung Indonesiens“ und die der Men-schenrechte gegenüberstehen.398

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396 Joint Press Briefing, Royal Australian Air Force Base, Darwin N.T., S. 4.397 Portugall, S. 28 ff.398 Simon, Sheldon: Relations with Vietnam and the East Timor Tragedy. Pacific

Forum CSIS: Comparative Connections. An E-Journal on East Asian BilateralRelations; http://www.csis.org/pacfor/cc/993Qus_asean.html (Abgerufen am20.12.1999), S. 2.

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Doch bleibt zu hinterfragen, wie groß das von Simon perzipierte „Dilemma“der amerikanischen Außenpolitik im Falle Osttimors in den letzten Monatentatsächlich gewesen ist, und wie „schwer“ sich die US-Diplomatie damittat, die eigenen Interessen an einem stabilen, mehr als 200 Millionen Ein-wohner umfassenden, rohstoffreichen Indonesien denen an einem un-abhängigen, 800.000 Einwohner zählenden und im Vergleich zu seinemNachbarn im Norden doch rohstoffärmeren Osttimor nachzuordnen.

Wenn Simon die „schwierige diplomatische Herausforderung“, die die„Osttimor-Tragödie“ an die Vereinigten Staaten gestellt habe, hervorhebt,so bleibt seine Erklärung für den doch so nachhaltigen Druck der USA aufJakarta doch sehr unbefriedigend. Dass die USA etwa deswegen mit derZurückhaltung der IMF-Anleihen gedroht hätten, weil sie aufgrund desAblaufes der Geschehnisse und ihrer eigenen Menschenrechtspolitik in die„Rolle“ eines Parteigängers Osttimors „hineingeschlittert“ wären und dabeinolens volens einer Entwicklung freien Lauf gelassen hätten, die an ihremEnde auch alle anderen „Nachbarn in ein Meer der Aufruhr“ stürzenkönnte,399 mag kaum überzeugend klingen.

Indes scheint einiges dafür zu sprechen, dass sowohl die USA wie auchAustralien schon seit Mitte der 90er-Jahre genau jenes von Simon dar-gestellte Untergangsszenario im Malaiischen Archipel in ihre nicht nurgeostrategischen Planspiele miteinbezogen haben bzw. miteinbeziehenmussten.

Zu alledem kommt, dass die Straße von Malakka auch für Washingtonheute nicht mehr jene als „exklusiv“ zu bezeichnende geostrategischeBedeutung besitzt wie noch vor zehn Jahren. Zu diesem Bedeutungsverlusthat die neue, 1996 initiierte bilaterale australisch-amerikanische Sicher-heitspartnerschaft beigetragen, die an die Stelle der seit den 80er-Jahrenineffizienten trilateralen Kooperation im Rahmen des ANZUS-Paktes ge-treten ist.

1.3 Die neue Bedeutung Australiens für die amerikanische Sicherheitspolitik

Noch bis zum Jahre 1996 verfolgten die USA und Australien im Hinblick aufAsien unterschiedliche menschenrechtspolitische Linien. Die Labor-Regie-rungen Hawke und Keating zeigten sich im Rahmen ihrer Annäherungs-

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399 Simon, S. 2 f.

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politik an den südostasiatischen Raum dazu bereit, die vielzitierten „AsianValues“ – d.h. u.a. „die Ehrerbietung gegenüber der Autorität und dieVerpflichtung gegenüber der Gemeinschaft“, die wichtiger sei als „dieWünsche des Individuums“ – anzuerkennen und demgegenüber die For-derung nach Einhaltung der Menschenrechte zurückzustellen.400

Seit dem Amtsantritt der Regierung Howard im März 1996 haben die Ver-suche Canberras, „mäßigend“ auf die amerikanische Menschenrechts-politik vor allem „im Hinblick auf China und Indonesien“401 einzuwirken,aber erkennbar nachgelassen.

Aus der Feststellung, dass die westlichen und die asiatischen Wertesys-teme unterschiedlicher Natur seien und Australien als Vorposten der west-lichen Zivilisation in der Region eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen habe,leitet man in Canberra heute die Verpflichtung dazu ab, zur Verbesserungder Lage der Menschenrechte in den Nachbarländern beizutragen. Trotzigund bewusst werden heute die „Australian Values“ – d.h. u.a. der „Respektvor dem Individuum“ und das Eintreten für dessen „persönliche Freiheiten“– ihrem asiatischen Gegenstück entgegengehalten.402

In diesem Punkt scheint die australische Außenpolitik heute von einemähnlich „ideell-weltanschaulichen“ Ansatz auszugehen, wie ihn Portugall imFalle der USA beschrieben hat.

Doch auch was die „real-machtpolitische“ Ebene anbetrifft, haben sichbeide Standpunkte einander angenähert. Ihren sichtbaren Ausdruck fanddie neue australisch-amerikanische Sicherheitspartnerschaft in den „Aus-tralia-United States Ministerial Talks“ (AUSMIN). Als fest gefügte ,Allianz’’geht AUSMIN heute nach den Worten von Howard weit über die Form einer„formalen Verteidigungskooperation“ hinaus.403 Howards Angebot an dieUSA, weitere Stützpunkte zur „Präpositionierung“ militärischer Einrich-tungen ,vis-à-vis Südostasien’ bereitzustellen – ausgesprochen vor dem

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400 Barker, Bill: The human rights question, in: Tow, William T.: Australian-AmericanRelations. Looking Toward the Next Century, New York 1998, S. 176 ff.

401 Ebenda,. S. 179.402 Australia – Effective Action on Human Rights; Speech by the Hon Alexander

Downer MP, Minister for Foreign Affairs, to the NSW Branch of the AustralianInstitute of International Affairs, Sydney, 5 August 1999; http://www.dfat.gov.au/media/speeches/foreign/990805_aiia.html (Abgerufen am 28.10.1999), S. 1.

403 The Canberra Times, 18.11.1996.

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Hintergrund des Schicksals der US-Basen auf den Philippinen – schwebtnoch im Raume und hatte zusammen mit der engeren Zusammenarbeit inallen militärischen Teilbereichen weitreichende Nebenwirkungen:

Neben der Straße von Malakka wurden nun „Alternativrouten“ zwischenPazifik und Indik entwickelt. Der Südwestpazifik ist heute nicht mehr nur ein„Appendix“ des südostasiatischen Schauplatzes, sondern ein „wichtigerAnkerplatz“ für die US-Streitkräfte, die in der Region operieren.404

Mit dieser Achsenverschiebung der geostrategischen Verbindungslinienzwischen den beiden Ozeanen korrespondiert auch ein anderer, relativer –nicht absoluter – Bedeutungsverlust der südostasiatischen Inselwelt in den sicherheitspolitischen Konzeptionen Washingtons, der ebenfalls eineAufwertung Australiens mit sich brachte:

Da nach Einschätzung von Richard K. Betts nicht Südost-, sondern Nord-ostasien sowie Taiwan auf der Prioritätenliste der Außenpolitik Washingtonsin strategischer Hinsicht vor den ASEAN-Staaten liegen405, hätte sich, wieCoral Bell konstatierte, in Südostasien eine „diffusion of power“, eineArbeitsteilung zwischen der Großmacht USA und der Mittelmacht Austra-lien geradezu angeboten.406

So hätten der „südliche“ und der „nördliche Anker“ des US-amerikanischenSystems bilateraler Allianzen – Australien und Japan – als „strategischunabhängige“, aber westliche Mächte ihre Aufgaben zur Erhaltung diesesin der Form eines Dreiecks gespannten „Netzwerks“ zu erfüllen.407

Dieses Muster der Arbeitsteilung aber würde augenscheinlich nur danneffektiven Nutzen bringen, wenn Australien zu seinen nördlichen Nachbarnungestörte und freundliche Beziehungen unterhalten würde. Davon kannaber nun ,nach Osttimor’ nicht mehr die Rede sein. Doch scheint die neueAUSMIN-Allianz von Anfang an in weiten Zügen bereits eine auf dieMöglichkeit einer dramatischen Verschlechterung der politischen Groß-

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404 Trood, Russell; Tow, William T.: The strategic dimension, in: Tow, William T., S. 113.

405 Betts, Richard K.: Emerging trends: An American perspective, in: Tow, S. 128 ff.406 Bell, Coral: The Future of American Policy in the Pacific, in: Klintworth, Gary

(Hrsg.): Asia-Pacific Security: Less Uncertainty, New Opportunities?, Melbourne1996.

407 Trood/Tow, S. 114.

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wetterlage in Südostasien hin ausgerichtete Allianz gewesen zu sein undauch heute noch zu sein. So ist es bezeichnend, dass bei den Über-legungen zu den Alternativrouten unter Umgehung der Straße von Malakkavon dem in naher Zukunft nicht unwahrscheinlichen Fall der Kontrolle derSeewege im Archipel durch eine „feindliche regionale Seemacht“ aus-gegangen wurde.408

1.4 Australien, die USA und der wankende Riese im Archipel

In Washington und Canberra begann man 1996/97, für die „Post-Suharto-Ära“ zu planen und dabei alle Eventualitäten in die diesbezüglichen Plan-spiele miteinzubeziehen. Das kam nicht von ungefähr, denn im Juli 1996hatten schwere Unruhen Indonesien erschüttert. Die Reaktionen auf dievon Suharto veranlasste Absetzung von Megawati Sukarnoputri als derVorsitzenden der Demokratischen Partei (PDI) hatten gezeigt, dass weiteTeile der Bevölkerung mit den Prinzipien der „gelenkten Demokratie“ nichtmehr einverstanden waren. Die im Gefolge der Wahlen von 1997 danneinsetzende „Nachfolge-Diskussion“409 musste bei denjenigen, die dieStabilität des Inselreichs als Conditio sine qua non für die Stabilität dergesamten Region betrachteten, erste ernsthafte Sorgen hervorrufen.

Zu der abnehmenden strategischen Wichtigkeit Indonesiens kam ab 1997auch der wirtschaftliche Abstieg des Landes hinzu. Mit der Krise der Tiger-staaten nahm auch die – so weit vorhandene – Bedeutung des Landes alsHandelspartner des Westens ab. Die Krise und ihre Folgeerscheinungenunterminierten zudem „das Vertrauen der Investoren in die ,EmergingMarkets’“ der Region.410

Als Markt spielte der ASEAN-Raum mit Indonesien für die USA aberohnehin nicht jene Rolle, die ihm oft zugeschrieben wird. Denn obwohl derasiatisch-pazifische Wirtschaftsraum in seiner Gesamtheit den euro-päischen an Bedeutung für die amerikanische Wirtschaft längst überrundethat, liegen hier – ähnlich wie im strategischen Bereich – die Schwerpunkte

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408 Ebenda, S. 113.409 Vgl. dazu: Strassner, Renate: Islam in Indonesien – ein Thema ohne Brisanz?, in:

Rill, Bernd (Hrsg.): Aktuelle Profile der islamischen Welt, Berichte und Studiender Hanns-Seidel-Stiftung eV, Band 76, München 1998, S. 336.

410 Green, Stephen K.: Die Asienkrise und ihre Bedeutung für die Weltwirtschaft; in:POLITISCHE STUDIEN, Heft 366, Juli/August 1999, S. 18.

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der Handelsbeziehungen in Ost- bzw. Nordostasien. Nur 2,5% der US-amerikanischen Exporte gehen heute nach Südostasien.411

Schwerer getroffen hat der „economic downturn“ in Asien die australischeExportwirtschaft. Allein im Geschäftsjahr 1998/99 gingen hier die Ausfuh-ren nach Ostasien um 7% zurück. Nach Einschätzung von AußenministerDowner besteht die Hauptaufgabe für die Exporteure seines Landes nundarin, nicht mehr nur allein nach Asien zu blicken. Vielmehr sollten sie „ihreMärkte“ „diversifizieren“.412 Und dieses „realignment“ des Außenhandelshat die wirtschaftliche Bedeutung der asiatischen Märkte für Australien inden letzten beiden Jahren deutlich gemindert. So konnten die Verluste, dieaufgrund des „Nachfragerückganges in Asien“ entstanden sind, durch ver-mehrte Ausfuhren nach Europa und Nordamerika mehr als nur ausge-glichen werden. Im Jahre 1998 stiegen die Ausfuhren in die Länder der EUum 25% und die in die Vereinigten Staaten sogar um 41% an.413 So konnteAustralien auch angesichts der Asienkrise 1998 noch ein Exportwachstumverzeichnen, während der Anteil der nichtasiatischen Märkte am austra-lischen Gesamtexport von weniger als 40% am Beginn der 90er-Jahre aufjetzt 49% angestiegen ist. Von herausragender Wichtigkeit aber war derindonesische Markt für die Exporteure des fünften Kontinents aber auchschon vor der Krise nie. Er rangierte in eben dieser Bedeutung auf einerStufe mit den Märkten Singapurs, Hongkongs oder Taiwans. ,Die’ heraus-ragende Stellung im Asienhandel Australiens nahm und nimmt Japan ein,dessen Markt z.B. 1996/97 fast 1,2-mal so viel an australischen Exportenaufnahm wie der gesamte ASEAN-Raum.414

Auf der anderen Seite wiederum belaufen sich trotz des gewaltigen Unter-schiedes bei den Bevölkerungszahlen die amerikanischen Ausfuhren nachAustralien mit seinen 18 Millionen Einwohnern auf beinahe das Vierfacheder Ausfuhren nach Indonesien mit seiner Bevölkerung von über 200 Mil-lionen Menschen.415 Auch die amerikanischen Investoren haben in Austra-

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411 Green, S. 20.412 Australia and Asia – Traders and Partners; Speech by the Hon Alexander Downer

MP, Minister for Foreign Affairs, to the Asia Society, AustralAsia Centre; Perth, 19August 1999; http://www.dfat.gov.au/media/speeches/foreign/990819_asia_society.html (Abgerufen am 28.10.1999). S. 6.

413 Australische Botschaft, Bonn: Minister Fisher präsentiert Handelsbilanz, in:Lagebericht aus Australien, Januar/Februar 1999, S. 3.

414 1998 Year Book Australia, Canberra 1998, S. 769.415 Statistical Abstract of the United States 1998, Washington, DC, 1998, S. 801 f.

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lien dreieinhalb mal so viel Dollar angelegt wie in Indonesien.416 Als Investi-tionsstandort ist die Unitarische Republik in der Region aus amerikanischerSicht weniger attraktiv als Singapur oder die Philippinen.

All diese Entwicklungen im Auge, registrierte Außenminister Downer imAugust 1999 eine wachsende Bedeutung seines Landes für die USA undderen Interessen in der Region:

„Australiens Bedeutung als regionaler Partner ist durch unsere Führungs-rolle bei den Bemühungen um eine Bekämpfung der Nachwirkungen derökonomischen Krise der Region, miteinbezogen die gegenwärtigen poli-tischen Veränderungen, denen einige Länder gegenüberstehen, sehr auf-gewertet worden.“417

Zu den „politischen Veränderungen“, die man fürchtete, zählte jetzt aucheine mögliche Islamisierung Indonesiens.

2. Der politische Islam als Faktor in der Politik Südostasiens

Ganz egal, ob die künftigen Regierungen in Dili dies wollen oder nicht, dieunmittelbare Nachbarschaft des Staates Osttimor mit seinen katholischenEinwohnern zum bevölkerungsreichsten islamischen Land der Erde wird eindeterminierender Faktor nicht nur ihrer Außenpolitik sein.

Wie die Politikwissenschaftlerin Renate Strassner noch 1998 feststellte,spielte Indonesien zu diesem Zeitpunkt als das „größte islamische Landüberhaupt“ dennoch „in der Debatte um einen ,Kampf der Kulturen’, die umeine zukünftige Auseinandersetzung zwischen dem Islam und dem Westengeführt wird, ... keine oder allenfalls eine marginale Rolle“.418

Das lag nicht unwesentlich darin begründet, dass der so bezeichnete tra-ditionelle indonesische Islam keinen Nährboden für „fundamentalistische“,

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416 Ebenda, S. 793.417 Australia and the United States: Old Friends and New Priorities; Speech by the

Hon Alexander Downer MP, Minister for Foreign Affairs, to the American Cham-ber of Commerce, Sydney, 5 August 1999; http://www.dfat.gov.au/media/spee-ches/foreign/990805_acc.html (Abgerufen am 28.10.1999), S. 2.

418 Strassner, S. 314.

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d.h. „radikale, gewaltbereite oder terroristische“419 Strömungen darzu-stellen schien.

Doch schon 1998 schloss auch Strassner eine „Hinwendung der Gesell-schaft zu islamisch-fundamentalistischen Prinzipien“ in naher Zukunft nichtmehr aus.

Zwei Jahre später scheint Indonesien geradezu ein Paradebeispiel für einen„clash of civilizations“ abzugeben: Auf den Molukken ist ein „Glaubens-krieg“ zwischen Christen und Muslimen ausgebrochen, dem ungenauenAngaben zufolge seit Januar 1999 schon „Tausende von Menschen“ zumOpfer gefallen sind.420 Die Unruhen auf Inseln wie Ambon haben mittler-weile zu einer politischen Mobilisierung der muslimischen Bevölkerung inanderen Landesteilen und ganz besonders auf der Zentralinsel Java ge-führt. Um die Welt gingen Anfang Januar 2000 die Bilder einer von meh-reren Muslimorganisationen des Landes veranstalteten Massendemonstra-tion in Jakarta, an deren Ende zum „Heiligen Krieg“ gegen die Christen aufden Molukken aufgerufen wurde.421

Das Wort „Jihad“ schien bislang in der Sprache indonesischer Muslimekeine große Rolle zu spielen. Der „Kampf in Allahs Weg“, der allen Mus-limen nach Sure 2, 212 des Koran „vorgeschrieben“ ist, war für sie überJahrhunderte hinweg eher das, als was er in dieser Sure ebenfalls be-zeichnet wird, „ein Abscheu“.422 Doch das hat sich anscheinend seit demOsttimor-Konflikt geändert. So sollen Mitglieder der MuslimorganisationNahdlatul Ulama (NU) im September 1999 zu einem „Heiligen Krieg“ gegenAustralien und den Westen aufgerufen haben.423 In den Medien des Landeswurde das Osttimor-Problem daher auch als Bestandteil einer „Verschwö-rung“ des Westens bezeichnet, die zum Ziel habe, die „größte muslimischeNation der Welt zu ,unterminieren’“.424 Während man so in Jakarta diezunehmende Fanatisierung vieler Muslimgruppen als einen Reflex auf dieEinmischung des Westens in innere Angelegenheiten sieht, begründeten

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419 Ebenda, S. 315.420 Glaubenskrieg zwischen Christen und Muslimen auf Ambon, in: FAZ, 30.12.1999.421 Vgl. u.a.: Muslims Call On Jakarta To Intervene In Moluccas, in: International

Herald Tribune, January 8–9, 2000.422 So in der Koran-Übersetzung von Max Henning, Stuttgart 1960.423 Erstes Kontingent der Uno-Friedenstruppe in Dili, in: NZZ, 20.9.1999.424 Nach dem Referendum herrschen in Ost-Timor wieder Angst und Schrecken, in:

FAZ, 10.9.1999.

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die Osttimoresen ihr Unabhängigkeitsstreben mit einer drohenden Islami-sierung ihrer Heimat.425

Ein wachsender politischer Einfluss des Islam scheint seit dem SturzSuhartos in Indonesien in der Tat unverkennbar zu sein.

Bei den Parlamentswahlen im Juni 1999 konnten Parteien mit islamischemHintergrund knapp 40% der Stimmen auf sich vereinigen. Die beiden größ-ten dieser Gruppierungen, die Partei des Nationalen Erwachens (PartaiKebangkitan Bangsa, PKB) und die Nationale Mandatspartei (PartaiAmanat Nasional, PAN) machten zusammen mit der Golkar-Partei die Neu-besetzung des Präsidentenamtes unter sich aus. Neuer Präsident derRepublik ist nun seit Oktober 1999 ein islamischer Gelehrter und Vertreterder Organisation der Ulama, der gleichzeitig Vorsitzender der PKB ist.

Doch hat Abdur’rahman Wahid im Zusammenhang mit den Ausschreitun-gen auf Ambon deutlich gemacht, dass der Staat einen Jihad gegen diechristliche Minderheit verhindern werde. Er unterstrich gleichzeitig, dass anden Fundamenten der Verfassungsordnung und an der ihr zugrundeliegenden Staatsphilosophie nicht gerüttelt werden wird:

„Ich kümmere mich nicht darum, ob sie einen Heiligen Krieg wollen odernicht, oder irgendetwas anderes, aber sobald die Sicherheit des Staates ...gefährdet ist, werden wir Maßnahmen ergreifen.“426

Zur selben Zeit erhielt Wahid Unterstützung vom Rat der Ulamas (MUI), derseine Zustimmung zur Ausrufung eines Heiligen Kriegs verweigerte undfeststellte, dass die Beilegung des Konfliktes eine Angelegenheit desStaates sei.427

Den Vorstellungen all jener zum Trotz, die in Osttimor nur einen „Flugzeug-träger der USA“ sehen428 hat Wahid nur fünf Wochen nach seiner Wahl mit

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425 Dein Hemd könnte rot werden – Katholiken in Ost-Timor, in: FAZ, 24.8.1999.426 Gus Dur vows to be tough on jihad issue in Maluku; The Jakarta Post, January

12, 2000; http://www.thejakartapost.com:889...details&id=657355&category_code=a (Abgerufen am 12.1.2000).

427 Ebenda.428 Wenn eintritt, was die Mächtigen in Jakarta fürchten, in: Frankfurter Rundschau,

2.9.1999.

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dem osttimoresischen Unabhängigkeitsführer Gusmão die baldigstmög-liche Aufnahme normaler Beziehungen vereinbart.429

So wird der Staatspräsident in den internationalen Medien als Vertretereines „modernen, aufgeklärten Islam“,430 als muslimischer Bischof Tutuangesehen. Manche Beobachter gingen sogar so weit, seine Glaubens-vorstellungen als „Christlam“ zu bezeichnen.431

Tatsächlich hat Wahid in seiner Laufbahn als islamischer Gelehrter den Dia-log mit den anderen Religionen gesucht.432 Als Vorsitzender der NU, der er1984 wurde, hat er die Pancasila-Prinzipien433auch für sich selbst als bin-dend anerkannt. So verhinderte er auch, dass die NU zu einer politischenOrganisation wurde und koppelte zur Enttäuschung vieler Muslim-Akti-visten die von ihm 1998 gegründete PKB von der NU ab. Die PKB sollteauch Nicht-Muslimen offen stehen, auch wenn sie zweifelsohne eine vonMuslimen geprägte Partei blieb.434

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429 Indonesien: Enge Beziehungen mit Osttimor vereinbart, in: Die Welt, 1.12.1999.430 Indonesiens angeschlagene moralische Instanz, in: NZZ, 21.10.1999.431 The cleric and the president’s daughter, in: The Bulletin, November 2, 1999.432 The Jakarta Post: Who’s Who: Abdurrahman „Gus Dur“ Wahid; http://www.the-

jakartapost.com:8890/members_who_gusdur.htm (Abgerufen am 21.10.1999).433 Sukarnos 1945 vorgestellten und bis heute als offizielle Staatsdoktrin beibe-

haltenen „‘5 Grundpfeiler’ des zukünftigen indonesischen Staates“ (Dahm, 1966,S. 255) sahen zwar nicht wie die sechs kemalistischen Prinzipien in einem ihrerPunkte die Schaffung eines explizit laizistischen Staatswesens vor. Sein fünftesPrinzip, der „Glaube an den allmächtigen Gott“, wollte der „säkulare“ NationalistSukarno aber nicht nur in rein theistischem Sinne, sondern als eine rechtlicheGleichstellung aller Religionen verstanden wissen. Eine Staatsreligion sollte esdamit nicht geben. Auch wenn in der Literatur – wie bei Dahm – häufig betontwird, dass die Pancasila-Prinzipien – Nationalismus, Humanität, Konsensdemo-kratie, soziale Gerechtigkeit und die Gleichstellung der Religionen – von den drei„Grundlehren“ Sun Yat-sens (Nationalismus bzw. Volkstum, Demokratie bzw.Volksrechte und Sozialismus bzw. Volkswohl) beeinflusst worden sind, ist hiersowohl im Bereich der Religionspolitik sowie der „Säule“ des „humanistischenNationalismus“ der Einfluss kemalistischer „Prinzipien“ unverkennbar. (ZuAtatürk vgl. u.a.: Karal, Enver Ziya: Les principes du kémalisme, in: Kazancigil,Ali; Özbudun, Ergun (Hrsg.): Atatürk, fondateur de la Turquie moderne, Paris u.a.1984. Zu den Lehren Sun Yat-sens siehe: Kindermann, Gottfried-Karl (Hrsg.):Konfuzianismus, Sunyatsenismus und chinesischer Kommunismus, Freiburg1963, S. 90 ff.

434 Vgl. ebenda.

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Doch folgten zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr alle NU-Mitgliederihrem Anführer. So ging aus der Ulama-Bewegung noch eine zweite Partei,die PKU, die muslimische Partei des Erwachens, hervor. Auch steht dieAllianz zwischen PKB und PAN heute an ihrem Scheideweg, denn die PANist zum Jihad gegen die Christen auf Ambon entschlossen.

Folglich scheint sich heute in Indonesien in erster Linie ein „clash of Islams“anzubahnen. Doch die Bruchlinien innerhalb des indonesischen Islam sindnicht erst durch die neueren Entwicklungen aufgeworfen worden. Ihre Ur-sachen reichen vielmehr weit in die Geschichte der Region zurück.

2.1 Islam und Staat in Indonesien

Qua Verfassung ist Indonesien, wie Renate Strassner betont, „zwar keinrein säkularer Staat, in dem die Religion reine Privatsache ist“.435 Dochführte Sukarno 1945 bzw. 1949 die Trennung von Staat und Religion durchund folgte damit dem Beispiel seines erklärten Vorbildes Mustafa KemalAtatürk.436Denn Atatürk hatte mit der Säkularisierung des türkischenStaates, so Sukarno, einem „historischen Muss“ Rechnung getragen.

Anders als Kemal Atatürk aber, der den „Kampf gegen (den) religiösen Kon-servatismus ... zu seinem logischen Ende“ brachte, der „die politischeMacht der islamischen Religion“ aufzuheben suchte,437 der „die türkischeJugend vom osmanischen Kulturerbe“ fern halten und sie dazu veranlassenwollte, „die traditionellen islamischen Riten in Frage zu stellen“438, verstandsich der Gründer des modernen Indonesien als gläubiger Muslim und alsjemand, der auf die Geschichte und die Traditionen seiner Heimat und aufden politischen Faktor Islam bewusst zurückgriff. Zwar war auch Sukarnoder „Gedanke, dass die konservativen, in orthodoxen Glaubenssätzengefangenen Ulamas im Bereiche der praktischen Politik ein Mitsprache-recht haben sollten … unerträglich“.439 In deutlicher Abgrenzung zu seinem

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435 Strassner, S. 321.436 Dahm, Bernhard: Sukarnos Kampf um Indonesiens Unabhängigkeit. Werdegang

und Ideen eines asiatischen Nationalisten. Band XVIII der Schriften des Institutsfür Asienkunde in Hamburg, Frankfurt am Main/Berlin 1966, S. 155.

437 Kinross, Lord ( Balfour, John Patrick Douglas): Atatürk. The Rebirth of a Nation,London 1964, S. 387.

438 Grunebaum, Gustave Edmund: Der Islam II. Die islamischen Reiche nach dem Fallvon Konstantinopel, Weltbild Weltgeschichte, Band 15, Augsburg 1998, S. 149 ff.

439 Dahm (1966), S. 156.

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Vorbild in der Türkei aber erklärte er: „Gut, wir akzeptieren die Trennung vonStaat und Religion, aber wir werden das ganze Volk mit dem Feuer desIslam entflammen.“440

Anders als Atatürk schaffte er auch die Gremien der Ulamas nicht ab unddie indonesischen Nationalisten suchten im Unabhängigkeitskampf immernach einer Zusammenarbeit mit Muslimorganisationen wie der Masjumioder der Muhammadiyya.441 Anders als Atatürk hatte Sukarno von dieserSeite sogar teilweisen Zuspruch für seine Pancasila-Prinzipien zu erwarten.Die 1943 von der japanischen Besatzungsmacht als Zusammenfassung derwichtigsten Muslimorganisationen gegründete Masjumi (Majelis SjuroMuslimin Indonesia)442 akzeptierte so in der „Jakarta-Charta“ 1945 dieTrennung von Staat und Religion als Grundlage der neuen Staatsphilo-sophie.

Widerspruch gegen den Aufbau eines laizistischen Staatswesens war indiesem Zusammenschluss orthodoxer und reformistischer Kräfte nur vonSeiten der Reformer, der Modernisten zu erwarten. Dieses anscheinendeParadoxon erklärt sich aus einer aus abendländischer Sicht zunächstverwirrenden Bezeichnung für eine islamische Strömung der Neuzeit, dienicht nur ein indonesisches Phänomen war und ist.

Denn der Begriff des „Modernismus“ steht im innerislamischen Kontext fürdie im 19. Jahrhundert „in der gesamten islamischen Welt einsetzendeReform“ und damit für den „Versuch, den ,reinen’, ,ursprünglichen’, ,unver-dorbenen’, ,progressiven’ Islam aus den Tagen des Propheten und derRechtmäßigen Kalifen wiedereinzuführen“.443 „Modernismus“ bedeutet indiesem Sinne „den Schritt zurück, um besser nach vorne springen zukönnen“, was, wie Geertz anführt, auch die Grundlage der Reformation inEuropa dargestellt hat, im Islam jedoch damit endete, dass der Schrittzurück zum Sprung selbst wurde.

In Südostasien und vor allen Dingen im Archipel stieß dieser Modernismus,der nun, wie Bernhard Dahm es formuliert, dort eine „zweite islamische

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440 Zit. ebenda. S. 158.441 Vgl. dazu Dahm (1966), S. 197 f. u. 225 f.442 Vgl.: Dahm, Bernhard: History of Indonesia in the Twentieth Century, London

1971, S. 92. 443 Geertz, Clifford: Religiöse Entwicklungen im Islam. Beobachtet in Marokko und

Indonesien, Frankfurt am Main 1988, S. 105 f.

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Welle“ einleitete,444 mit seiner „Zurück-zum-Koran-Programmatik“445

jedoch auf einen Volksislam der „ersten Welle“, der sich dieser neuenStrömung entgegenstellte, da diese „ihre Inspiration aus dem westlichenTeil der islamischen Welt, also von ,außerhalb’“ bezog.446 Während so der„Neo-Fundamentalismus“ im Vorderen Orient den – weil fremden – abend-ländischen „westlichen Modernismus“ zum Hauptfeind erklärte,447 wurde erselbst von den traditionalistischen Lehrern des indonesischen Volksislamabgelehnt, die sich „einem allzu ‘arabischen’, d.h. fremden, Islam wider-setzten“.448

Diese Aufspaltung des indonesischen Islam brachte auch eine erste Welleder Gewalt mit sich, denn die Modernisten, die sich die Errichtung einesGottesstaates zum Ziel gesetzt hatten, wollten die althergebrachten gesell-schaftlichen und politischen Strukturen aufbrechen, die die erste Islamisie-rung überlebt hatten.

2.1.1 Die Besonderheiten des indonesischen Islams

Vom indonesischen Islam wird allgemein als von einem „synkretistischenIslam … mit ausgeprägt hinduistischen, buddhistischen und teilweiseanimistischen Elementen“ gesprochen, „der sich dadurch wesentlich vomIslam arabischer Form unterscheidet“.449

Diese noch etwas genauer auf den traditionellen bzw. Volksislam ein-zugrenzende Charakterisierung bringt auch die Fakten der geschichtlichenEntwicklung des muslimischen Glaubens in Südostasien auf den Punkt.Kaum erwähnt bleiben aber oft die Rahmenbedingungen, unter denen sich der Islam in der Region entwickelte, d.h. damit auch die Art und Weise,wie er dorthin vordrang. Gerade Art und Weise des Vordringens diesesGlaubens so weit außerhalb des ,direkten’ islamischen Herrschafts-bereiches aber sind für die Herausbildung dieser Variante von Bedeutung.

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444 Dahm (1971), S. 4 f.445 Geertz, S. 106.446 Schumann, Olaf: Die Ausprägungen des Islams im heutigen südostasiatischen

Archipel, in: Draguhn, Werner (Hrsg.): Der Einfluß des Islams auf Politik, Wirt-schaft und Gesellschaft in Südostasien, Mitteilungen des Instituts für Asien-kunde, Nr.133, Hamburg 1983, S. 21.

447 Schumann, S. 15 u. 25.448 Ebenda, S. 24 f.449 Strassner, S. 318.

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So kann nur ein kurzer Vergleich mit der Ausbreitung dieser Religion imVorderen Orient erklären, warum sie im Hinteren Orient einen so gänzlichanderen Charakter angenommen hat. Renate Strassner betont, dass es„bedeutsam“ war, dass sich die „Verbreitung des Islam in der Gesamt-region auf friedliche Weise“ abgespielt hat.450 Das war im Vorderen Orientanders. Die Tatsache, dass die heute dort islamischen Gebiete von denArmeen des Propheten und seiner Nachfolger ‘mit dem Schwert’ erobertwurden bzw. „,durch Vertrag’ unterworfen wurden“451, führte – was indiesem Zusammenhang noch viel wichtiger ist – zur Ausformung des„islamischen Staates“ nahöstlicher Prägung, wie ihn der Orientalist nochbis zur Abschaffung des Sultan-Kalifats durch Atatürk kennt. Dieser„islamische Staat“ blieb in Ostasien unbekannt. So musste in Indonesiendann zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch Sukarno bei seinem Versuch, einmodernes Staatswesen aufzubauen, anders als Atatürk keine Scheriat-Gerichtshöfe schließen lassen.

Im Nahen Osten stellten jene „Kapitulationsbedingungen“452, die die „Er-oberer“ den „Unterworfenen“ stellten, jene Grundlagen dar, auf denen sichdie neue Staatsbildung im Gefolge der arabischen Expansion vollzog. DieEinzelnen, mit den jeweils eroberten Städten wie etwa Damaskus geschlos-senen Schutzverträge - die man im heutigen Sprachgebrauch eher alsBesatzungsstatute bezeichnen würde – entwickelten sich in ihrer Gesamt-heit zu jener Basis, auf der die „Besatzungsarmee“ als „oberste Gewalt“ihre Beziehungen zu den Nicht-Muslimen regelte, die oft noch die ein-deutige Bevölkerungsmehrheit darstellten.453 Denn im Gegensatz zu weitverbreiteten Meinungen scheint, wie Cahen betont, „den Eroberern nichteinmal der Gedanke an eine allgemeine Bekehrung gekommen zu sein“.454

Die christlichen und jüdischen Gemeinschaften lebten vielmehr als Rechts-gemeinschaften von minderwertigem Status, als abhängige, nicht mehrterritorial, sondern personal definierte „Nationen“ weiter. Über diese unter-worfenen quasi ,Kleinstaaten’ stellten die Eroberer ihren, den islamischenStaat, in dem – und nur für den – ihr Recht galt und der vom Glauben nichtzu trennen war. Diese Organisationsform prägte den islamischen Viel-

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450 Ebenda, S. 316.451 Cahen, Claude: Der Islam I. Vom Ursprung bis zu den Anfängen des Osmanen-

reiches, Weltbild Weltgeschichte, Band 14, Augsburg 1998, S. 25.452 Ebenda.453 Vgl. zu diesem Kapitel: Fattal, Antoine: Le statut légal des non-musulmans en

pays d’Islam, Beyrouth 1958. 454 Cahen, S. 25.

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völkerstaat und somit auch das Millet-System (Millet, türkisch=Volk, heute:Nation), auf dem noch der staatliche Aufbau des Osmanischen Reichesberuhte.

Das Sultanat von Malakka, die erste bedeutende islamische Macht imMalaiischen Archipel, kannte eine solche staatliche Organisationsform hin-gegen nicht. Nicht Armeen, sondern persische, arabische und indischeHändler hatten den Islam nach Südostasien gebracht, wo sich seit demEnde des 13. Jahrhunderts und nach dem Untergang des hinduistischenKönigreiches von Majapahit die ersten muslimischen Staatsbildungen voll-zogen.455 So durchdrang die neue Religion hier nicht wie im Nahen Ostenvon oben, von der Spitze des staatlichen Aufbaus her, die Gesellschaften,sondern auf dem Weg durch die handeltreibenden Mittelschichten. Aufdiesem Weg traf sie auf Gesellschaftsordnungen, in denen das Klimazwischen den beiden bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Religionendes Hinduismus und des Buddhismus von gegenseitiger Offenheit geprägtwar.456

Dieses Klima der Offenheit hatte schon zwischen diesen beiden Religionenzu den unterschiedlichsten Formen des Synkretismus geführt. Ein neuerGlaube, der hier Fuß fassen wollte und der gleichzeitig nicht von oben heraufoktroyiert werden konnte, musste sich zwangsläufig diesen Begeben-heiten anpassen. So prägte hier die Gesellschaft den Typus des neuenStaates, der neuen Sultanate, und nicht der neue Staat die Gesellschaft wieim Vorderen Orient. Und so wurde auch der Islam in den von Villiersbeschriebenen Synkretisierungsprozess mithineingezogen und z.B. an denHöfen mit hinduistischen Elementen vermischt.457 Auch die Scharia konntedas Gewohnheitsrecht der indonesischen Völker, das Adat-Recht, nieverdrängen. Des Weiteren überlebten auch die matriarchalischen Ordnun-

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455 Vgl. Villiers, S. 109 ff. u. S. 258 ff.456 Auf den z.B. von Schumann verwendeten Begriff der „Toleranz“ soll hier im Hin-

blick auf die Diskussion um die sog. „Toleranz des Islam“ in den Nahostwissen-schaften bewusst nicht zurückgegriffen werden, da er dort oft in kontrastiverAbsicht herangezogen wird, um die bis zur Neuzeit vergleichsweise „duld-samere“ Haltung islamischer Herrscher in Glaubensfragen dem mittelalterlichenEuropa und z.B. auch das Spanien der Mauren dem der Reconquista und derInquisition gegenüberzustellen.

457 Villiers, S. 266.

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gen vieler Völker den Prozess der Islamisierung, was u.a. die vier weib-lichen Sultane in Atjeh (Aceh) noch im 17. Jahrhundert erklärt.458

Diese Entwicklung aber hatte auch zur Folge, dass der traditionelle IslamIndonesiens bzw. der synkretistische Volks-Islam der „Abangankultur“459

keine homogene Erscheinungsform darstellt, sondern von Region zuRegion unterschiedliche Varianten hervorgebracht hat.460

Diesem fragmentierten traditionellen bzw. Abangan-Islam stellt die Wissen-schaft heute den Santri-Islam gegenüber, der im Gegensatz dazu ein weit-gehend in sich geschlossenes Gedankengebäude darzustellen scheint. DerSantri-Islam wird oft als die indonesische Variante des Modernismusbetrachtet, die am Beginn des 19. Jahrhunderts in Anlehnung an dieWahabiyya in Arabien entstand. Beide Begriffe – santri und modernistisch –dürfen aber keineswegs als identisch angesehen werden.

2.1.2 Modernistischer und traditioneller Islam

Die Ursachen für die Verbreitung des modernistischen Islam in Südostasiensind zunächst unpolitischer Natur und hängen mit der fortschreitendenEntwicklung der Dampfschifffahrt im 19. Jahrhundert zusammen, die„Singapur zu Malayas Tor zur islamischen Ökumene“ machte und gleich-zeitig die bis dahin unbedeutende Zahl der Mekka-Pilger aus dem Archipelexplosionsartig ansteigen ließ.461 Diese Hajis brachten die Gedanken desÄgypters Muhammad Abduh, des Begründers der Reformbewegung derSalafiyya, von ihren Reisen mit nach Hause und versuchten nun, in denReligionsschulen, den Pesantren – wovon sich eben das Wort santri ableitet– den in ihren Augen reinen und unvermischten Islam zu lehren. 1912 orga-nisierte sich dieser puristische Islam in der Muhammadiyya.462

Diese „zweite Welle“ aber hat sich seither in mehreren weiteren kleinerenund größeren Brandungswellen fortgesetzt. Externe und interne Faktoren

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458 Ebenda, S. 260 u. 294 ff.459 Strassner, S. 317.460 Diesen „Jedem-das-Seine“-Islam teilt Geertz noch ein in den der „privilegierten

Klassen“, wo hinduistische Traditionen überwiegen, und den der „Masse derBauern“, wo die „lokalen Geister“, Familienrituale und Animismus vorherrschen.(Geertz, S. 70 u. 101 f.).

461 Grunebaum, S. 299 u. Dahm (1971), S. 10.462 Vgl. u.a. Dahm (1966), S. 142 f.

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haben dabei den von der Wissenschaft so bezeichneten Prozess der„Santrinisierung“463 vorangetrieben.

Ein wichtiger externer Faktor war die – nicht-islamische – Besatzungs-macht Japan im Zweiten Weltkrieg, die an einer Stärkung der lokalenantiwestlichen Strömungen interessiert war und daher die Gründung einerDachorganisation der Muslim-Vereinigungen – der Masjumi – vorantrieb.464

Die Traditionalisten der NU - die als Reaktion auf die Muhammadiyyaentstanden war – widersetzten sich allerdings jeglichen Vereinnahmungs-versuchen. Zuerst stachelten sie einen Aufstand gegen die japanischenBesatzer an,465 wenige Jahre später verließen sie schließlich wieder dieMasjumi.

Im Lande selbst unterstützten zunächst die Nationalisten die Idee einer„Modernisierung des Islam“. Sukarno war seit Beginn seines Unabhängig-keitskampfes auf der Suche nach einem „gemeinsamen Nenner“466 für dievielen Völker des Archipels und dem Faktor Religion kam hier zwangsläufigeine tragende Rolle zu. Demonstrativ trugen die Mitglieder seiner Partei dieKupiah, den Fez als „Symbol des nationalen Gedankens“467 auf ihrenKöpfen, auch wenn dies von ihrem Leitbild Atatürk in der Türkei verbotenworden war.

Sukarnos Versuch, den Islam für die nationale Idee einzuspannen, schiengeglückt, als sich die Masjumi 1945 in ihrer Gesamtheit zu einem be-jahenden Votum zu den Grundlagen der Pancasila-Lehre durchringenkonnte. Als Gegenleistung nahmen die Nationalisten einen Punkt in dieJakarta-Charta auf, der bestimmte, dass der künftige Präsident Indone-siens ein Muslim sein müsse.468 Fünfzehn Jahre später sollte Sukarno dann

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463 Zum Begriff der „santrinisation“ siehe: Wessel, Ingrid: State and Islam in Indo-nesia, in: Südostasien Working Papers, Humboldt-Universität Berlin, Institut fürAsien- und Afrikawissenschaft Nr. III, Berlin 1996.

464 Siehe: Dahm (1971), S. 92.465 Siehe: Benda, Harry Jindrich: The Crescent and the Rising Sun, The Hague/

Bandung 1958.466 Dahm (1966), S. 256.467 Bianco, Lucien: Das moderne Asien, in: Weltbild Weltgeschichte, Band 33,

Augsburg 1998, S. 98.468 Dahm (1966), S. 226.

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die Masjumi verbieten lassen, denn er drohte der Geister, die er gerufenhatte, nicht mehr Herr zu werden.

Dass der Versuch der Instrumentalisierung des Islam bzw. des Modernis-mus für die nationale Idee nicht ungefährlich war, hatte er bereits amBeispiel des Sarekat Islam erfahren müssen, dem er selbst auch angehörthatte. Trotz des Namens war diese Organisation ein Bestandteil zunächstder nationalen Bewegung gewesen. Mit ihrer antichinesischen Ausrichtungwar sie anfänglich keine ,Muslimische Vereinigung’, sondern eine Ver-einigung von Muslimen, in der „der Lehre Mohammeds nur eine sekundäreBedeutung beigemessen wurde“.469 Doch im Zuge der Hinwendung desNationalismus zum Modernismus kam der Sarekat mit der Idee desPanislamismus in Berührung und wandte sich gegen Sukarnos Partei.

Die Masjumi war zwar im Gegensatz dazu nach der Unabhängigkeitzunächst zu einer mehr oder weniger staatstragenden Kraft geworden,doch in den 50er-Jahren kam es über das Konzept des „IslamischenStaates“ zu immer häufigeren Auseinandersetzungen zwischen den ge-mäßigten Kräften und den „Zeloten“.470 Das militärische Aufbegehren desDar ‘ul-Islam, der mit der Linie der Masjumi brach und sich nun offen für dieErrichtung des „Islamischen Staates von Indonesien“ einsetzte471, zeigteSukarno, dass sein Experiment außer Kontrolle zu geraten drohte.

Auch Suharto versuchte sich in der Kunst der Steuerung bzw. Instrumen-talisierung einer Islamisierungs- bzw. Modernisierungswelle, die das Landab dem Ende der 80er-Jahre erreicht hat.472 Diese Welle ist im Gegensatzzu allen vorherigen vor dem Hintergrund der sozialen Probleme und offen-sichtlichen Fehlentwicklungen im Wirtschaftswunderland Indonesien zusehen und damit mit den Auswüchsen des Suharto’schen Nepotismus undder zunehmenden Verslumung der Städte verbunden.

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469 Ebenda, S. 133.470 Kahin/Kahin, S. 44.471 van Dijk, C.: Rebellion under the Banner of Islam: The Darul Islam in Indonesia,

The Hague, 1981.472 Vgl. dazu: Strassner, S. 327 ff.

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2.1.3 Der politische Islam und die Krise des Indonesien der „Neuen Ordnung“

Suhartos Antworten auf diese Welle waren zunächst defensiver Natur,indem er wie Sukarno den Islamisten gegenüber Entgegenkommen signa-lisierte. Die Aufhebung des Verbots für Frauen, Kopftücher oder Schleier zutragen, wurde von den Anhängern der Pancasila-Doktrin ebenso als Bruchmit der Staatsideologie angesehen wie die Förderung von islamischenSchulen und die Aufnahme islamischer Rechtselemente in die Recht-sprechung des Landes.473 Maßnahmen wie die Gründung der „Indo-nesischen Muslimischen Intellektuellen-Vereinigung“ ICMI werden vonverschiedenen Wissenschaftlern jedoch als Versuch angesehen, denislamischen Protest zu kanalisieren und ihn zu kontrollieren.474 Umstrittenbleibt die These, dass Suharto, dessen Verhältnis zu den Militärs seit demEnde der 80er-Jahre immer schlechter wurde, mit Organisationen wie ICMInur ein „Gegengewicht“ zur Armee schaffen wollte.475

Auf eine dagegen sehr persönliche Hinwendung Suhartos zu einem Islammodernistischer Prägung weist hingegen sein bewusster Bruch mit denPrinzipien der religiösen Offenheit, der sich in der Entlassung nicht-muslimischer Minister manifestierte.

Gleichzeitig wuchs auch die Gewaltbereitschaft fundamentalistischerMuslimgruppen. Im Februar 1998 kam es im Westen Javas zu den erstengrößeren antichristlichen und antichinesischen Ausschreitungen. DieseUnruhen waren auch nach Einschätzung von Beobachtern im State Depart-ment in Washington auf die „sozioökonomischen und politischen Span-nungen zwischen armen Muslims und vergleichsweise wohlhabenderenethnisch chinesischen Christen“ zurückzuführen.476

Die von ihrer Intention her eigentlich nicht auf eine Verbreitung des Islam,sondern auf das Ziel der Javanisierung hin ausgerichtete Politik der Trans-

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473 Vgl. dazu: Strassner, S. 328.474 Vgl. dazu: Schwarz, Adam: A Nation In Waiting; Indonesia in the 1990s, St Leo-

nards NSW 1994.475 Siehe: Schwarz, S. 176 u. Strassner, S. 329 ff.476 U.S. Department of State: Annual Report on International Religious Freedom for

1999: Indonesia. Released by the Bureau for Democracy, Human Rights, andLabor; Washington, DC, September 9, 1999; http://www.state.gov/www/global/h.../irf_rpt/1999/irf_indonesi99.html (Abgerufen am 28.10.1999), S. 6.

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migration hat den Samen dieses „Glaubenskrieges“ schon während derletzten Jahrzehnte auch in die Provinzen des östlichen Archipels hinein-getragen. Aber auch ,freiwillige’ Zuwanderer aus den westlichen Landes-teilen brachten wie auf den Molukken den Geist des islamischen Modernis-mus mit, was die bis dahin hier „guten Beziehungen zwischen Christen undMuslimen“ belastete.477

In der Folge begehrte nicht nur die christliche Bevölkerung in der damalsnoch indonesischen Provinz Timor Timur gegen die so perzipierte „Isla-misierung“ ihrer Heimat auf. Auch in den benachbarten Provinzen NusaTenggara Timur, Maluku und Irian Yaya begannen die Menschen, sichgegen die Folgen dieser demographischen Verschiebungen zu wehren.Schon vor dem Referendum des Jahres 1999 brannten in all diesen Pro-vinzen aufgewühlte Massen die Moscheen der Transmigranten nieder.478

Doch bei all jener augenscheinlichen ,Übersichtlichkeit’, in der die Front-linien in diesem islamisch-christlichen Konflikt heute zu verlaufen scheinen,stellt sich die Gesamtsituation doch komplexer und komplizierter dar.

2.1.4 Der fragmentierte indonesische Islam

Wie aus dem bereits zitierten Bericht des State Department hervorgeht,zählen seit Ausbruch der Unruhen nicht nur Nicht-Muslime zu den Opfernfundamentalistischer Gewalt, sondern auch Abangan-Muslime. So wurdeauf Java eine bislang nicht genauer bestimmbare Anzahl von sog. „reli-giösen Mystikern“ getötet, die beschuldigt wurden, „traditionelle Magie zupraktizieren.“

In das in den Medien gezeichnete Bild eines Religionskrieges passen auchdie muslimischen Rebellen in Aceh nicht hinein. Sie offenbaren vielmehrden fragmentierten Zustand des indonesischen Islam, der nicht nur entlangder Bruchlinien zwischen Santri- und Abangan-Islam in viele unterschied-liche Bruchstücke und damit auch territoriale Segmente zerfällt.

Das klassische Einteilungsmuster der einheimischen Muslime in Santri- undAbangan-Muslime und dessen Verständnis stellt in groben Umrissen eineGrundlage für das Verständnis der aktuellen Entwicklungen im Archipel dar.Doch verschwimmen die Trennlinien zwischen diesen beiden Grundrich-

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477 Ebenda, S. 5.478 Ebenda, S. 5 f.

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tungen seit langem schon. Die Begriffe „santri“ und „modernistisch“ sindnicht miteinander identisch, geschweige denn auseinander zu halten. Dennnicht jede islamische Schule, die sich von den neuen, „arabischen“Glaubenselementen hat inspirieren lassen, hat sich auch dem religiösenFundamentalismus zugewandt.

Das beste Beispiel für eine Vermischung von traditionellem und Santri-Islam ist Staatspräsident Wahid selbst. Seine in seiner Jugend an einerindonesischen pesantren begonnenen Studien setzte er in den 60er-Jahrenan der König ‘Abdul ‘Aziz Universität in Kairo und dann später in Bagdadfort. Erst nach einem zehnjährigen Aufenthalt im Vorderen Orient kehrte erin seine Heimat zurück,479 wo er dann allerdings der NU beitrat.

Andererseits sind auch Teile des Volksislam mit rigoristischen Strömungenin Berührung gekommen. So war Aceh in den 50er-Jahren zur Bastion derseparatistischen Bewegung des Daud Beureu’eh geworden, die mit demDar’ul-Islam in Westjava kooperierte.480 Ein diesbezüglich bemerkenswerterBericht des Office of Southwest Pacific Affairs in Washington aus demJahre 1957 spricht von den „fanatischen Muslim-Atjenesen“ und rechnetden Anführer der späteren Revolte in Sumatra eher dem Lager des „fana-tischen Darul Islam“ als dem der gemäßigten Organisationen der Masjumiund der Nahdlatul Ulama zu.481 Daud Beureu’eh führte schließlich alslokaler Dar’ul-’Islam-Führer seine Rebellion für einen Gottesstaat in einerProvinz, die im 17. Jahrhundert noch von Frauen regiert worden war, bis1961 fort.482

Der achinesische Islam ist heute vor dem Hintergrund der unterschied-lichen geschichtlichen Entwicklungsströme ausgesprochen schwierig zuklassifizieren. Einerseits hat sich Aceh Merdeka mit der christlichen Un-abhängigkeitsbewegung in Osttimor solidarisiert und die Muslime imNorden Sumatras sind weit davon entfernt, an einem „Heiligen Krieg“gegen die Christen auf den Molukken teilzunehmen. Andererseits aberfordern die Rebellen in der „muslimischsten“ aller Provinzen, die auch als„the front porch of Mecca“ bezeichnet wird, die Einführung der Scharia. DieArmut hat hier der Ausbreitung fundamentalistischer Strömungen Vorschub

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479 The Jakarta Post: Who’s Who: Abdurrahman „Gus Dur“ Wahid, S. 1.480 Kahin/Kahin, S. 44.481 Ebenda, S. 88.482 Ebenda, S. 78 f., S. 201 f. u. S. 214 f.

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geleistet. Das hat in der gesamten Region die Frage aufgeworfen, welche„Art von Islam“ ein unabhängiger Staat Aceh annehmen würde.483

Aufgrund der horizontalen wie vertikalen Fragmentierung des indone-sischen Islam ist die Möglichkeit der Entstehung einer „Islamischen Repu-blik Indonesien“ im Stil des Iran heute aber noch so gut wie auszu-schließen. Den zweiten Sachverhalt, der gegen eine solche Entwicklungspricht, hat Präsident Wahid selbst erwähnt, als er die Mitglieder der PANund der ebenfalls dem islamischen Lager zuzurechnenden „Entwicklungs-partei“ PPP484 als Querulanten bezeichnete, hinter denen nicht die „wirk-liche Mehrheit“ des Volkes stehe.485 In der Tat haben im Juni 1999 fast 60% der Indonesier – und damit auch die Hälfte der Muslime – Parteienohne islamischen Hintergrund gewählt.486 Zwar wird der Anteil von –weniger als – 40% für Parteien mit islamischem Hintergrund oft schon alsIndikator für eine spürbare Islamisierung der indonesischen Gesellschaftangesehen, doch ein Vergleich mit der bis zum Jahre 1999 bislang einzigenfreien Wahl zu einem gesamtindonesischen Parlament 1955 relativiert dieseThese. Vier Jahrzehnte sind zwar ein langer Zeitraum, in dem die sozio-politischen Strukturen eines Landes langfristigen Veränderungen unterwor-fen sind. Dennoch fällt bei einem solchen Vergleich auf, dass auch im Jahre1955 die beiden damals zur Wahl angetretenen islamischen ParteienMasjumi und NU ebenfalls knapp 40% der Stimmen auf sich vereinigenkonnten.487 Der Grad der Islamisierung der indonesischen Gesellschaft undderen Ausdruck auf politischer Ebene scheint sich also über diese großeZeitspanne hinweg kaum verändert zu haben.

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483 Emmerson, Donald K.: Indonesia’s Eleventh Hour in Aceh. CSIS: PacNet News-letter, December 17, 1999; http://www.csis.org/pacfor/pac4999.html (Abgerufenam 20.12.1999), S. 2.

484 Indonesia’s election 99: Under the Islamic influence; wysiwyg://339/http://www.megastor...asia/indonesi/polls/islamists.htm (Abgerufen am 8.2.2000).

485 Gus Dur vows to be tough on jihad issue in Maluku.486 Vgl: The Jakarta Post. com: Latest Result of the 1999 General Election;

http://www.thejakartapost.com:8890/elec99.htm (Abgerufen am 23.12.1999).487 Die Masjumi erreichte damals 20,9% der Stimmen, die NU 18,4%. Siehe dazu:

Frederick/Worden, S. 48.

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2.2 Die Rolle des Islams im Prozess der Transformation der politischen Ordnung: Islam und Demokratie in Indonesien

Im Hinblick auf diese Mehrheitsverhältnisse kann der „politische Islam“,anders als etwa Daniel Kestenholz in der Welt schreibt,488 durchaus nichtaus eigenen Kräften heraus und allein in einer Art parlamentarischemStaatsstreich und durch ein Misstrauensvotum Präsident Wahid stürzen.Und der „politische Islam“, der Wahid mit einem solchen Schritt droht, istzudem auf die PAN und die PP einzugrenzen.

Somit gibt es angesichts der Fragmentierung des indonesischen Islamauch auf die Frage nach dessen Verhältnis zur Demokratie als Herrschafts-form auch mehrere Antworten. Die Aussage Strassners, dass die „For-derungen nach mehr Demokratie“ in der Endphase der Suharto-Ära „vorallem von islamischen Kreisen erhoben“489 wurden, bedarf – nicht nur imHinblick darauf, dass hier die Demokratische Partei Megawati Sukarno-putris, die PDI-P, die von ihrer Größe, Stärke und ihrem Wählerpotential herallein fast allen islamischen Kräften zusammengenommen ebenbürtig ist,vollkommen außer Acht gelassen wurde – einer gewissen Ent-Generalisie-rung. Denn trotz der Tatsache, dass das Engagement des von Wahid schonin den 90er-Jahren gegründeten Forum Demokrasi hier beispielgebend war,ist und bleibt der Einfluss modernistischer Gedanken auf den politischenIslam ein nur schwer zu berechnender Faktor in der Innenpolitik.

In diesem Zusammenhang ist dem vorwiegend von Modernisten einge-brachten Hinweis auf „demokratische Elemente, … die bereits im Koranfestgelegt sind“490, mit kritischer Distanz zu begegnen. Denn diese Argu-mentationsweise ist aus dem Nahen Osten bereits hinlänglich bekannt undberuht auf der Ablehnung der dynastischen Erbfolge durch den Modernis-mus, die in dessen Augen für die „Verunreinigung“ des „wahren“ Glaubensseit dem Ende des 7. Jahrhunderts verantwortlich gemacht wird. Das vonihm bevorzugte Schura-Prinzip (Schura = Rat), das die Übertragung derHerrschaft an eine Person nur „gemäß dem Konsensus“ der Rechtsgelehr-ten vorsieht491, ist am ehesten noch mit den Prinzipien eines Art Wahl-königtums zu vergleichen und hat daher mit der Idee der Volkssouveränitätnichts gemein.

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488 Krawalle auf indonesischer Ferieninsel, in: Die Welt, 20.1.2000.489 Strassner, S. 348.490 Ebenda, S. 348.491 Williams, John Alden: Der Islam, Stuttgart/Herrsching 1981, S. 156.

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Der Modernismus befindet sich in seiner Grundlinie nicht nur mit den jahr-hundertealten Traditionen Südostasiens im Widerstreit, weil er, wie OlafSchumann schon vor längerer Zeit es formulierte, „wenig empfänglich istfür kulturelle Vielfalt und ein gewisses Laissez-faire in Fragen der Doktrinund religiösen Praxis“. Sein „Drang zur Vereinheitlichung und damit zurDogmatisierung“492 bringt ihn auch in Widerspruch zu den Spielregeln desPluralismus.

Doch wie der Islam modernistischer Prägung in Indonesien heute im Pro-zess der politischen Transformation eine destabilisierende Rolle spielenkönnte, so könnte auch der traditionelle Islam eine stabilisierende Wirkungentfalten.

Der Umbruch, der sich gegenwärtig vollzieht, findet damit im Spannungs-feld eines regelrechten Dreiecks von „Asian Values“, modernistischen Vor-stellungen und denen der Demokratiebewegung statt. Denn auch denParteigängern einer „traditionellen“ indonesischen Politik sind westlicheVorstellungen von Demokratie und Pluralismus suspekt. Doch die Ver-fechter der traditionellen „Asian Values“ scheinen sich heute in ganz Süd-ostasien auf dem Rückzug zu befinden.

3. Demokratisierung und Föderalisierung in Südostasien

Die Unabhängigkeit Osttimors fällt heute nicht nur in eine Phase ökono-mischer Umbrüche in Ostasien. Die Krise der dortigen Volkswirtschaftenhat auch die Diskussion um die sog. „Asian Values“ weiter vorangetriebenund damit jenen Demokratisierungsprozess noch weiter beschleunigt, derim Jahre 1986 von den Philippinen aus seinen Lauf nahm.

3.1 Die Krise der „Asiatischen Werte“

Dass die westlichen Vorstellungen von einer „Herrschaft des Volkes“ nichtso einfach in alle Weltregionen zu exportieren und das abendländischeModell eines parlamentarischen Systems Gesellschaften, die die Phasendes Humanismus und der Aufklärung nicht durchlaufen haben, nicht soeinfach aufoktroyiert werden kann, ist eine der wesentlichen Erkenntnisse,die auch in der Wissenschaft die Abkehr von einem eurozentrischen Den-ken mit sich gebracht hat. Dass ein solcher Standpunkt allerdings auch zur

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492 Schumann, S. 25.

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Legitimierung autoritärer Herrschaftsansprüche missbraucht werden kann,wenn diese schon lange nicht mehr den gesellschaftlichen Realitäten ent-sprechen, scheint heute das Beispiel vieler südostasiatischer Staaten zubeweisen.

Denn mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 1997 ist das Gebäude der„,typisch asiatischen’ Verhaltensnormen“, deren Verständnis für RenateStrassner z.B. „für das Verständnis von Islam und Politik in Indonesien“493

unverzichtbar ist, ins Wanken geraten.494

Die Ineffizienz der alten Systeme, des jetzt unter negativen Vorzeichengesehenen „Asian authoritarianism“ und die Auswüchse des „cronyism“,der undurchsichtigen Verflechtungen von Staat, Banken und Wirtschaftsowie die damit verbundene Selbstbereicherung ganzer Familienclans vorAugen, plädieren heute auch die politischen Eliten Ostasiens selbst für dieErrichtung eines Systems der „open governance“.495

Und für Francis Fukuyama ist so der Sturz Suhartos ein Zeichen dafür, dassauch Asien „den Weg des Westens“ beschreiten wird.496 Doch schon das,was Fidel Ramos als Präsident der Philippinen während seiner Amtszeitvon 1992 bis 1998 als „People empowerment“ verstand, und die Art, wie ereine Demokratie auch für den „einfachen Bürger“ schaffen wollte497 undseine eigenen Reformen als eine Art Initialzündung für einen „Übergang zurDemokratie“498 in der gesamten Region sah, rüttelte an den Grundfesteneiner „hierarchischen Gesellschaftsordnung“, in der nach Strassner auchheute noch „jeder seinen bestimmten Platz hat“.499

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493 Strassner, S. 319.494 Vorausschickend, dass es keine einheitliche ostasiatische Kultur gibt, sondern

deren mehrere, werden in der Literatur jedoch als gemeinsame Grundlagen der„Asian Values“ – wie bereits zitiert – der Respekt vor der Autorität und das Har-monie- und Konsensstreben erwähnt.

495 Democracy and Crisis, in: Asiaweek, April 9, 1999.496 Ebenda.497 Ebenda.498 Münch-Heubner, Peter Ludwig: Interview mit Fidel Ramos über die Perspektiven

von Politik und Wirtschaft in Südostasien, in: POLITISCHE STUDIEN, Heft 367,September/Oktober 1999, S. 128.

499 Strassner, S. 319.

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Doch schon am Ende der 80er-Jahre beobachtete Franz von Magnis-Suseno in Indonesien eine Krise der „traditionellen Harmonie-Ethik“.500 Die„traditionellen Sozialstrukturen des Dorfes“, die die Grundlagen dieserschon fast als ständisch zu bezeichnenden Ordnung darstellten, befandensich zu diesem Zeitpunkt schon aufgrund der ökonomischen Umwälzungenin der Auflösung. Der Übergang von der althergebrachten Subsistenz-wirtschaft im Agrarbereich zur modernen Profitwirtschaft brachte so für diejavanischen Bauern den „Zusammenbruch der alten, ihre Existenz garan-tierenden sozialen Ordnung“ mit sich.501

Die „Unterschiede zwischen arm und reich“, die in der „alten Ordnung“noch durch die soziale Verantwortung der Gemeinschaft für die Besitzlosenübertüncht wurden, brachen nun auf.

Zum anderen aber modernisierte sich jetzt eine früher statische Gesell-schaftsordnung und zeichnete sich nun durch ein größeres Maß an sozialerMobilität aus. Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und der Zugangzum Studium führten zur Herausbildung eines neuen Bildungs-“Adels“502,der sich auch ein neues Weltbild aneignete.

Diese Veränderungen subsumierend, sah Magnis-Suseno schon vor zehnJahren die gesellschaftlichen Grundlagen für das nach Strassner 1998noch erkennbare „Verhaltensmuster“ gemäß dem Konsensprinzip in derindonesischen Politik als nicht mehr gegeben an.503

Die von Suharto weiter betriebene Ausrichtung der Parlamentsarbeit aufdas Übereinstimmungs-, das „Mufakat“-Prinzip504, das die einstimmigeVerabschiedung aller Gesetze vorsieht, widersprach somit seit längeremschon den soziopolitischen Realitäten.

Die Betrachtung der Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert lässtzudem die Frage, ob die traditionellen indonesischen Demokratievor-stellungen ebenfalls nicht seit längerer Zeit schon begannen, ,westlicheren’

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500 Magnis-Suseno, Franz von: Neue Schwingen für Garuda. Indonesien zwischenTradition und Moderne. Fragen einer neuen Weltkultur, Band 4, München 1989,S. 87.

501 Magnis-Suseno, S. 85.502 Ebenda, S. 83.503 Ebenda, S. 82 ff.504 Vgl. Strassner, S. 320.

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zu weichen, als nicht unberechtigt erscheinen. Denn auch wenn der gegen-wärtige Demokratisierungsprozess von ausgesprochen fragiler Natur ist, sosind in Indonesien doch wie in kaum einem anderen Entwicklungsland dieKeimzellen für eine solche Entwicklung vorhanden, was sowohl aus derGeschichte des Landes selbst herrührt, als auch mit dem Einfluss derholländischen Kolonialherrschaft zu tun hat. Das von Sukarno erstmalspolitisch definierte und von ihm als der „Indonesische Weg“505 zur Ent-scheidungsfindung propagierte Mufakat-Prinzip scheint auch von ihmselbst schon zum Zwecke der Machterhaltung missbraucht worden zu sein.

An die „indonesische Tradition“ der kommunalen Demokratie anknüpfend,gemäß derer in den Versammlungen der „Dorfgemeinschaften bis hinauf inhöchste Beratungsgremien … die Entscheidungen nicht nach einem Mehr-heitsbeschluss …, sondern nach dem Mufakat-System“ gefällt wurden,506

wollte Sukarno dieses Modell auf die nationale Ebene übertragen. Daswestliche Modell der Mehrheitsentscheidungen lehnte er ab, weil es Min-derheiten benachteilige. Er begründete dies mit seiner Sorge um dieBewahrung der nationalen Einheit.507 Wie bei einer Überbetonung der isla-mischen Komponente in seiner Staatsphilosophie fürchtete er auch hier,dass Mehrheitsentscheidungen in einem gesamtindonesischen Parlamentethnische und religiöse Minderheiten an den Rand drängen und damitebenfalls Sezessionsbestrebungen bei diesen forcieren würden.

Doch 1945 wurden die Ideen Sukarnos von den westlich orientierten ,Intel-lektuellen’ „vom Tisch gefegt.“508 Ihr Modell war ein Parlament westlicherPrägung, das dann im Jahre 1955 tatsächlich gewählt wurde. Von Anfangan hatten Teile der Unabhängigkeitsbewegung den 1918 von der nieder-ländischen Kolonialmacht ins Leben gerufenen Volksraad zum Brennpunktihrer politischen Emanzipationsbestrebungen gemacht. So unvollkommender Volksraad als Volksvertretung auch war – erst 1927 wurde das be-ratende Gremium zum „Mitgesetzgeber“ erhoben509 die Hälfte seinerMitglieder wurde nach einem Zensuswahlrecht gewählt und die andereernannt, erst gegen Ende der holländischen Kolonialherrschaft stellten

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505 Zit. bei Dahm (1971), S. 65.506 Dahm (1966), S. 63.507 Vgl. ebenda, S. 258.508 Ebenda, S. 248.509 Ebenda, S. 67.

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indonesische Abgeordnete die Mehrheit dar510 – und er deswegen vonTeilen der Nationalbewegung boykottiert wurde, so sahen andere Parteiendie Transformation dieser Institution zu einem „full parliament“511 als eineerstrebenswerte Alternative zu dem Modell Sukarnos an.512

Die Krise in der zweiten Hälfte der 50er-Jahre jedoch bot diesem dieMöglichkeit, das Experiment des liberalen Demokratiemodells, das erwegen dessen „Ineffektivität“ bei der innerindonesischen Konfliktregu-lierung angriff,513 zu beenden. An dessen Stelle trat jene autoritäre Präsi-dialverfassung, die Sukarno – dem, wie Dahm bemerkte, in den Jahren derjapanischen Okkupation der „Gedanke des Führerstaates“ immer vertrautergeworden war514 – nun unbeschränkte Vollmachten und die „Kontrolle“über die Parteien gab, die er so verachtete. Einige von ihnen wurden auf-gelöst, die anderen konnten die ihnen im Rahmen des Konzeptes der„gelenkten Demokratie“ zugedachte Rolle übernehmen.515

Forthin war auch deutlich geworden, was Mufakat nun bedeutete: Überein-stimmung mit Sukarno. Suharto schließlich vereinfachte das unter Sukarnogeschaffene „gelenkte“ Parlamentssystem noch mehr und wies im Februar1970 die noch zugelassenen Parteien an, sich in drei großen „Formationen“zusammenzuschließen516, die dann bis zu seinem Sturz fortbestanden.

Doch wollten sich diese „Formationen“ mit den ihnen zugedachten Rollenin den 90er-Jahren nicht mehr zufrieden geben. Die Auseinandersetzungum die Führung der PDI-P im Jahre 1997 markierte das endgültige Endedes Systems der „gelenkten Demokratie“. Aber lange vorher schon wareneindeutige Tendenzen weg von der Harmonieethik und hin zu einemoffenen Mehrparteiensystem erkennbar und nur mit Gewalt zu unter-drücken gewesen.

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510 Zum Volksraad siehe u.a.: Wal, S.L.: De Volksraad en de Staatkundige Ontwik-keling in Nederlands-Indië, Tweede Stuk 1927–1942, Groningen 1965.

511 Dahm (1971), S. 159.512 Bei all den auch wissenschaftlichen Kritiken an dieser Institution sollte aber nicht

vergessen werden, dass sich auch die Volksvertretungen in Europa aus solchenKeimzellen heraus entwickelt haben.

513 Kahin/Kahin, S. 38.514 Dahm (1966), S. 227. 515 Vgl.: Frederick/Worden, S. 49 ff.516 Dahm (1971), S. 264.

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Ebenso tendierte die Entwicklung im Archipel schon zu Zeiten des Unab-hängigkeitskampfes zum Aufbau eines dezentralen Staatswesens, wasSukarnos „demokratischer Zentralismus“517 ebenfalls gewaltsam verhin-derte.

3.2 Föderalismus als Lösungsmodell für die Probleme des indonesischen Vielvölkerstaates?

Während seines Deutschland-Aufenthaltes am 4. Februar 2000 wurdeStaatspräsident Wahid in Berlin deutscherseits angeboten, sich „über diedeutschen Erfahrungen mit föderalen Strukturen zu unterrichten“.518 DiesesAngebot kam nicht von ungefähr, denn vierzig Jahre nach dem ersten„Föderalismus“-Experiment der „Vereinigten Staaten von Indonesien“ hatAbdurrahman Wahid nun angesichts des drohenden Auseinanderbrechensseines Vielvölkerstaates wieder „das Tabuwort Föderalismus in den Mundgenommen“.519

Waren die zentrifugalen Tendenzen im indonesischen Staatswesen seitlangem schon unübersehbar geworden, so kam dem Osttimor-Problem1999 die Rolle jenes Auslösers zu, der nicht nur den Separationsbe-strebungen anderer Volksgruppen in anderen Teilen des Inselreichs Auftriebgab, sondern auch das Stichwort „Föderalismus“ in die Diskussion um dieZukunft Indonesiens mit einbrachte. Denn der von den Osttimoresen ab-gelehnte Autonomieentwurf diente Anfang Oktober 1999 dann 35 aus derProvinz Aceh stammenden Abgeordneten der Konsultativen Volksver-sammlung als Vorbild für einen projektierten Autonomiestatus für ihreeigene Provinz.520

Der Staatspräsident nähert sich heute der Meinung von führenden Poli-tikwissenschaftlern seines Landes an, die der Überzeugung sind, dass nurdurch eine weitreichende Dezentralisierung der Macht, durch einen um-fangreichen Transfer von Gesetzgebungskompetenzen und Entscheidungs-befugnissen von der Zentralmacht hin zu den Provinzen, die heute nicht

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517 Dahm (1966), S. 227.518 Mehr Hilfe – Der indonesische Staatspräsident Wahid besucht Deutschland, in:

FAZ, 3.2.2000. 519 Jakartas Wettlauf mit der Zeit, in: FAZ, 15.11.1999.520 Yahoo! News, Asia. AFP: Indonesian MPs call for broad autonomy for troubled

Aceh; http://asia.yahoo.com/headlines/1...9805860-91013091151.newsasia.html(Abgerufen am 13.10.1999).

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sehr viel mehr als Verwaltungseinheiten sind, das fragile Staatsgebildenoch zusammengehalten werden kann. Auch außerhalb Indonesiensglauben Beobachter und Wissenschaftler wie Donald K. Emmerson vomAsia/Pacific Research Center der Stanford University, dass eine Trans-formation der Unitarischen Republik in eine „Föderation autonomer, aberkooperierender Staaten“ der einzige Weg sei, um zu verhindern, dass Acehzu einem „Tschetschenien Indonesiens „ wird.521

Das bislang unter dem Eindruck der Geschehnisse der Jahre 1950/51negativ belastete und mit anderen Erscheinungen wie Desintegration undSezession in Zusammenhang gebrachte Föderalismusmodell soll nun ge-rade im Gegenteil als neues Heilmittel gegen gerade diese Phänomeneeingesetzt werden.

Die Regierungspolitik bricht damit heute mit der Geschichtslegende, dassdie USI im Jahre 1949 nur auf Betreiben der holländischen Kolonialmachthin ins Leben gerufen worden seien, die so den Einfluss der Republik vonIndonesien nur hätte eingrenzen, sowie die fünfzehn anderen Mitglied-staaten der Föderation gegen diese und auch gegenseitig untereinander imSinne einer klassischen „divide et impera-Politik“ ausspielen wollen.

Dass diese Geschichtsversion, die sich letztlich auch bis heute in vielenwissenschaftlichen Abhandlungen so findet,522die Handschrift Sukarnosträgt, ist ebenso unbestreitbar wie die Tatsache, dass die Holländer tat-sächlich die Gründung einiger der sechzehn Staaten der USI maßgeblichunterstützt haben523, obwohl sie doch selbst seit Beginn des 20. Jahrhun-derts ihr eigenes Verwaltungssystem zentralisiert und mit der Politik derindirekten Herrschaft gebrochen hatten. Doch ob diese mit dem Ziele derSchwächung der Nationalbewegung verbundene holländische Patenschaftbei der Gründung einiger „Staaten“ allein der Grund dafür war, dass dasföderale System der USI auf schwachen Füßen stand und daher vomAugenblick der Unabhängigkeit an „reif für den Kollaps“ war524, bleibt vordem Hintergrund der weiteren geschichtlichen Entwicklung zweifelhaft.Selbst die japanische Besatzungsmacht, die Sukarnos pan-indonesischenNationalismus nach außen hin unterstützt hatte, war ironischerweise in

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521 Emmerson, Donald K.: Indonesia’s Eleventh Hour in Aceh, S. 3.522 Vgl. z.B. Frederick/Worden, S. 46 f., Dahm S. 143 ff., Bianco und andere.523 Siehe: Schiller, A.A.: The Formation of Federal Indonesia, The Hague/Bandung

1955.524 Dahm (1971), S. 145.

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ihren eigenen Planspielen für eine ost-asiatische Nachkriegsordnung imSommer 1944 davon ausgegangen, dass Indonesien nur als ein „föderalerStaat“ überlebensfähig und der Staat Sukarnos auf Java einzugrenzen sei.Um den Verbündeten aber nicht zu verprellen, sollten diese Pläne „einst-weilen“ „nicht publik gemacht“ werden.525

Ebenso fraglich bleibt deshalb auch, ob die von dem „Abenteurer“ Wester-ling im Jahre 1950 angezettelte Revolte in Westjava wirklich nur ein letztesAufbäumen der Kolonialherren war, das nicht auf die Unterstützung derEinheimischen zählen konnte. Denn zur Mitte der 50er-Jahre sollte West-java wieder zu einem der Brennpunkte eines Aufstands gegen die Zentral-gewalt werden und dieses Mal hatten die Niederlande nicht mehr ihre Handim Spiel.

Der Westerling-Aufstand indes lieferte Sukarno den geeigneten Vorwandfür eine rigorose Entmachtung der Einzelstaaten. Im Gefolge der Interven-tion der Armee in Westjava gingen auch die Staaten Südsumatra, Ostjava,Madura und Zentraljava in der Republik auf. Von Westjava wurden dieTruppen dann nur wenig später nach Ost-Indonesien, nach Ambon, ge-schickt, wo mittlerweile die Republik der Südmolukken ausgerufen wordenwar. Am Ende dieser Auseinandersetzung stand auch das Ende Ost-Indo-nesiens und damit die Schaffung der Unitarischen Republik.

Doch über fünfzig Jahre hinweg flammten in den Regionen, die 1950 alsBundesstaaten aufgelöst worden waren, immer wieder Unruhen auf.

Am Ende der Suharto-Ära macht sich diese Unzufriedenheit nach Jahrender gewaltsamen Unterdrückung im Klima des neuen und demokratischenIndonesien wieder Luft. Doch eignen sich heute weder das Verfassungs-modell der USI aus dem Jahre 1949 noch das des deutschen Föderalismusals Lösungsmodell für die gegenwärtigen Probleme des Vielvölkerstaatesim Archipel.

Gemäß Heinrich Oberreuter „vermindert sich“ die „potentielle Sprengkraft“von „ethnisch-kulturellen Differenzierungen“ in einem Föderalstaat, wenn

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525 Proposal of the Ministry of Greater East Asia, August 25, 1944: Items concerningthe independence of Java and other areas, in: Benda, Harry J.; Irikura, James K.;Kishi, Koichi: Japanese Military Administration in Indonesia: Selected Docu-ments, Translation Series No. 6, Southeast Asia Studies, Yale University 1965,Doc. No. 66, S. 249.

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sich diese „nicht territorial verfestigen.“ Wo hingegen ethnische „Span-nungsverhältnisse“ sich „territorial verfestigen“, seien eher zentrifugaleTendenzen bzw. konföderale Föderalismusvarianten zu erwarten.526

Doch lässt sich der Problemfall Indonesien nicht so einfach kategorisieren.

Das jetzt im Falle Acehs diskutierte Autonomiemodell stellt in erster Linieein föderalstaatliches Konfliktlösungsmodell für eine multiethnische Gesell-schaft mit territorial verfestigten Differenzierungen, d.h. für eine ethnischsegmentierte Gesellschaft dar. Doch das Modell, das den Konflikt in Acehunter Umständen noch lösen könnte, ist nicht unbedingt auf andere Regio-nen wie z.B. die Molukken übertragbar. Denn die indonesische Gesellschaftist heute nicht mehr nur ethnisch und religiös segmentiert, sondern auch invielen Regionen ethnisch und religiös fragmentiert. Die in der Folge tiefgreifender wirtschaftlicher Veränderungen eingetretenen demographischenVerschiebungen sowie die Politik der Transmigration haben bewirkt, dassauf dem gesamten Staatsgebiet schon lange nicht mehr überall nurbestimmte Volksgruppen in leicht zu umreißenden Territorien leben. EinAutonomiestatus oder eine wie in den 50er-Jahren ausgerufene Republikder Südmolukken würde heute den Bürgerkrieg zwischen Christen undMuslimen auf Ambon wohl kaum mehr beenden können.

Und dort, wo wie in Aceh eine Volks- bzw. hier Religionsgruppe dominiert,käme es in erster Linie auf deren Willen an, in einer Föderation zu ver-bleiben.

Und gerade hier trifft die Diskussion auf jenen wunden Punkt, auf denWissenschaftler wie Emmerson hinweisen, wenn sie fürchten, dass es füreine föderalstaatliche Lösung in dieser speziellen Konfliktsituation längst„zu spät“ sein könnte.527

„Wir sind zu lange betrogen, unterdrückt, misshandelt und ausgebeutetworden“, begründen die Rebellen von Aceh Merdeka heute ihre Ablehnungvon Wahids Angebot, weitreichende steuerrechtliche Gesetzgebungs-kompetenzen an die Provinz abzutreten.528

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526 Oberreuter, Heinrich: Föderalismus, in: Staatslexikon, Freiburg 1986, S. 634.527 Emmerson, S. 3.528 Jakartas Wettlauf mit der Zeit.

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Solche Äußerungen indes sind Wasser auf die Mühlen der Kritiker einerDezentralisierungspolitik, die davon ausgehen, dass eine „Föderation“, wie sie Emmerson vorschwebt, zu einer Art GUS und damit nur zu einerZwischenstufe auf dem Weg hin zum endgültigen Auseinanderbrechen desStaatsverbands werden könnte. Wie die Völker im ehemaligen Macht-bereich Moskaus hätten es auch die vielen Volksgruppen des Inselreichsnach jahrzehntelanger Fremdbestimmung satt, über die Reichtümer ihrerjeweiligen Territorien nicht selbst verfügen zu können. Das Beispiel Ost-timors zudem vor Augen, wo der Vorschlag einer Autonomieregelungtatsächlich „zu spät“ kam, wird allgemein davon ausgegangen, dass eineähnliche Abstimmung in Aceh ebenfalls mit einer Sezession der Provinzenden würde. Denn über fünfzig Jahre hinweg kam der RohstoffreichtumAcehs nur dem Haushalt der Zentralregierung zugute. So argumentieren dieUnabhängigkeitskämpfer, dass das in ihrer Provinz geförderte Erdöl undErdgas 20% der insgesamt aus Indonesien exportierten Menge dieserRohstoffe ausmacht und verbittert konstatieren sie: „Wir könnten so reichsein wie Kuweit oder Brunei.“529 Ihren Angaben zufolge machen die staatli-chen Einnahmen aus der Besteuerung des in ihrer Region gefördertenErdöls und der hier vergebenen Lizenzen 13% der gesamten Haushalts-einnahmen der Regierung in Jakarta aus, die aber nur ein Dreißigstel davonwieder nach Aceh zurückfließen lasse.

Dass ein Föderalismus, der in einer Situation zur Staatsform erhobenwerden soll, in der im Gegensatz zu den klassischen Föderalismusmodel-len in Europa, Nordamerika und Australien und deren geschichtlicher Ent-wicklung nicht ein Prozess des Zusammenwachsens forciert, sondern einerdes Auseinanderfallens aufgehalten werden soll, auf einen interstaatlichenFöderalismus und nicht auf einen innerstaatlichen wie etwa in Deutschland,d.h. auf einen Staatenbund und nicht auf einen Bundesstaat hin tendiert,scheint beinahe zwangsläufig zu sein.

Tatsächlich tragen alle bislang bekannten, aber noch sehr vagen Modellefür eine „Indonesische Föderation“ den Charakter einer zwischenstaat-lichen Organisationsform, bei der nur noch die Kompetenzbereiche derAußenpolitik und der Verteidigung bei der Zentralregierung verbleiben wür-den. Der von den aus Aceh stammenden Abgeordneten eingebrachteEntwurf würde sogar noch den Bereich der Fiskalpolitik beim Zentralstaatbelassen.530

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529 Ebenda.530 Indonesian MPs call for broad autonomy for troubled Aceh.

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Ebenso charakteristisch für die gegenwärtige Diskussion ist auch, dassBegriffe wie Autonomie(-regelungen) und Föderalismus so behandeltwerden, als seien sie miteinander austauschbar.

Das Endprodukt eines solchen Föderalisierungsprozesses würde daherauch, wenn er denn gelänge, vor dem Hintergrund der jeweils unterschied-lichen Problemstellungen in den verschiedenen Regionen kein einheitlichesBild ergeben, sondern ein Nebeneinander von Autonomieregelungen dar-stellen, das die Bezeichnung „(Kon-)Föderation“ eher verdienen würde alsdie eines Föderalstaates. Mit dem gängigen Modell eines weitgehendsymmetrisch aufgebauten föderalen Verbundsystems wird eine solcheFöderation kaum zu vergleichen sein. Ebenso wenig wird sie auch demHomogenitätsprinzip entsprechen können.

Das Fehlen des zweiten „konstitutiven Elements einer föderalstaatlichenOrdnung“531, das die Teilhabe der Gliedstaaten an der Gesetzgebung desZentralstaats garantieren würde, überrascht bei all diesen Entwürfen eben-falls nicht. Die „draft constitution“ der USI, die am 29. Oktober 1949 vonden Verhandlungspartnern im holländischen Scheveningen unterzeichnetworden war, hätte die Schaffung eines Senats vorgesehen, in den jeder dersechzehn Staaten zwei Senatoren entsenden hätte können.532 Doch vondiesem Punkt ist man gegenwärtig noch weit entfernt. Für Wahid geht esheute in erster Linie darum, eine Föderation zu schaffen, die den „Frieden“im Archipel wiederherstellen soll.533 Dazu müssen aber erst einmal alleVerhandlungsparteien an einen Tisch gebracht werden.

Erste Erfolge zeichnen sich hier ab, denn die Führung von Aceh Merdekahat sich im Gegensatz zur sog. Exilregierung der Südmolukken AnfangFebruar 2000 zu Verhandlungen bereit erklärt.534 Wahid wird hier jedochweiter gehen müssen, als bei jenem neuen Gesetz, demzufolge die Achine-sen 35 Prozent ihrer Ressourceneinkommen für sich behalten dürfen sollen.

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531 Münch-Heubner, Peter Ludwig: Dezentralisierung und Verfassungsreform inKanada und Australien, in: Meier-Walser, Reinhard C.; Hirscher, Gerhard (Hrsg.):Krise und Reform des Föderalismus. Analysen zu Theorie und Praxis bundes-staatlicher Ordnungen, München 1999, S. 193.

532 Dahm (1971), S. 145 f.533 Indonesien und Niederlande normalisieren Beziehungen, in: Die Welt, 4.2.2000. 534 Gus Dur says Aceh rebels agree to cease-fire;: The Jakarta Post, February 3,

2000; http://www.thejakartapost.com:8890/iscp_render?menu_name=frontpage(Abgerufen am 3.2.1999).

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Auch wurden schon vor den Wahlen vom Juni 1999 erste konkrete Schrittehin zu einer „Macht-Dezentralisierung“ unternommen, als das Repräsen-tantenhaus in Jakarta mit der Verabschiedung eines neuen Gesetzes zurRegionalautonomie den Provinzversammlungen ein „größeres Mitsprache-recht“ in den Bereichen der Industriepolitik, der Forstwirtschaft, des Touris-mus und der Häfen einräumte.535 Doch dieses „Mitspracherecht“ bedeutetnoch lange keine Kompetenzverteilung im Sinne einer vertikalen Gewalten-teilung. Ebenso müssen auch die Provinzialversammlungen erst noch wiedas Bundesparlament zu wirklichen, vom Volk gewählten Parlamententransformiert werden. Die ersten freien Wahlen auf dieser Ebene stehenjetzt im Jahr 2000 an.

Demokratisierung und Föderalisierung finden in Indonesien aber auch imSpannungsfeld zwischen dem drohenden Auseinanderbrechen des Staats-wesens und einem möglichen Putsch der Militärs statt, die sich als Wahrerder nationalen Einheit verstehen und sich dazu berufen fühlen, den Zer-fallsprozess mit allen Mitteln aufzuhalten. Nicht verstummen wollen daauch die Gerüchte, dass die Streitkräfte bzw. Teile der Streitkräfte dieUnruhen weiter schüren, um ihr eigenes Eingreifen zu provozieren.

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535 Munzinger-Archiv/IH-Länder aktuell: Infobase Land. Anfrage: [F Land: indonesi-en]. (Abgerufen am 8.2.2000).

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IV. Der neue osttimoresische Staat und seine Zukunftsperspektiven

1. Osttimor und Indonesien

1.1 Unsicherheitsfaktor TNI: Vergangenheitsbewältigung als Grundlage neuer Beziehungen?

Schon im November 1999 vereinbarten der osttimoresische Widerstands-führer Xanana Gusmão und der neue indonesische Staatspräsident Wahiddie Aufnahme normaler und enger Beziehungen zwischen beiden Län-dern.536 Schon kurz zuvor hatte Gusmão der Führung in Jakarta vor-geschlagen, in bilateralen Verhandlungen den Grundstein für eine „neueZukunft der Freundschaft und Zusammenarbeit“537 zu legen. Dennochsollte vor dem Hintergrund der von den Einheiten der TNI zu verantworten-den Kriegsverbrechen deren strafrechtliche Ahndung und damit ein StückVergangenheitsbewältigung die Grundlage für eine Entspannung der ost-timoresisch-indonesischen Beziehungen darstellen. So sollen die Schul-digen vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden. Gusmão macht auchkeinen Hehl daraus, dass er General Wiranto als den Hauptverantwort-lichen für die im Gefolge der Volksabstimmung verübten Massaker ver-urteilt sehen will.

Abdur’rahman Wahid reagierte auf diese Forderung aus Dili umgehend,indem er den führenden Generälen seiner Armee mit der Einleitung vonGerichtsverfahren drohte und die Indonesische Kommission für Menschen-rechte mit der Untersuchung der Vorgänge in Osttimor im vergangenenJahr und der Rolle, die die dort stationierten Einheiten der TNI sowie derenFührung dabei spielten, beauftragte. Gleichzeitig sollte Wiranto, den Wahidals neuen Sicherheitsminister nicht ganz freiwillig in sein Kabinett über-nommen hatte, von seinem Posten zurücktreten.538

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536 Indonesien: Enge Beziehungen mit Osttimor vereinbart, in: Die Welt, 1.12.1999.537 Indonesien: Gusmão bietet vor Treffen mit Wahid „Freundschaft“ an, in: Die Welt,

30.11.1999.538 „Sollte Wiranto schuldig sein, tritt er zurück“ – Indonesiens Reformregierung

droht Generälen mit Prozess wegen Armeeverbrechen in Osttimor, in: Die Welt,16.12.1999.

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Am 31. Januar 2000 legten die indonesische Kommission und die der Ver-einten Nationen ihre Berichte vor, denen zufolge die militärische Führungum General Wiranto für die Verbrechen an der Zivilbevölkerung verantwort-lich zu machen sei.539

Bereits zuvor hatte die UN-Untersuchungskommission, der auch diefrühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ange-hörte – die Abwicklung der Verfahren vor einem Gerichtshof der VereintenNationen gefordert.540

Wahid jedoch lehnte dies ab und gestand lediglich einen Prozess vor einem„internen Gericht“ zu.541

Am 6. Februar machte der Präsident der Reform, als den sich Wahid gerneselbst sieht, einen offensichtlichen Rückzieher von seinen bisherigen Posi-tionen, als er Wiranto für den Fall einer Verurteilung eine Begnadigung inAussicht stellte:

„Wie schuldig er auch immer sein sollte“, verkündete das Staatsoberhaupt,das zuvor eine schonungslose Aufklärung aller Kriegsverbrechen angekün-digt hatte, Wiranto „war der oberste Kommandeur und wir werden ihnrespektieren“.542

Nicht zufällig kursierten in Jakarta gerade an jenem Tag, als Wahid dieseAnkündigung machte, auch wieder Gerüchte um einen angeblich bevor-stehenden Militärputsch.

Nur eine Woche später dann entließ Wahid seinen Sicherheitsminister undwies den Generalstaatsanwalt an, eine Untersuchung gegen Wiranto ein-

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539 Yahoo! Schlagzeilen, AP: Militärführung für Gräuel in Osttimor verantwortlichgemacht – Berichte der UN und der indonesischen Menschenrechtskommissionveröffentlicht – Internationale Eingreiftruppe übergibt Kommando an UN-Blau-helme, Dienstag, 1. Februar 2000; http://de.news.yahoo.com/000201/4/j1wx.html (Abgerufen am 8.2.2000).

540 Kommission fordert UN-Gerichtshof für Osttimor, in: Frankfurter Rundschau,26.1.2000.

541 Militärführung für Gräuel in Osttimor verantwortlich gemacht.542 Yahoo! News; Reuters, Monday February 7: Indonesian President to Pardon

Wiranto; http://dailynews.yahoo.com/h/nm/20000207/wl/indonesia_leadall_23.html (Abgerufen am 8.2.2000).

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zuleiten.543 Nur kurz zuvor hatte Wirantos Nachfolger im Amt des Kom-mandeurs der Streitkräfte dem Präsidenten gegenüber seine Loyalitätbekundet.544

Diese Vorfälle zeigten, dass das Kapitel der Aufarbeitung der Kriegsver-brechen der TNI auf Osttimor die künftigen indonesisch-osttimoresischenBeziehungen für längere Zeit noch überschatten wird und gleichzeitig imProzess der Transformation der politischen Ordnung in Indonesien zumGegenstand einer innenpolitischen Auseinandersetzung geworden ist bzw.im internen Machtkampf zwischen ziviler und militärischer Führung inzunehmendem Maße auch für andere Ziele instrumentalisiert zu werdendroht.

Mit der Ernennung von Juwono Sudarsono zum neuen Verteidigungs-minister hatte Abdurrahman Wahid schon am Beginn seiner Präsident-schaft ein neues Kapitel in der indonesischen Geschichte aufgeschlagen.Denn Sudarsono ist kein Militär, sondern der erste zivile Verteidigungs-minister seines Landes. Die Entscheidung für ihn markierte, wie auch dieinternationale Presse konstatierte, „einen Bruch mit der Vergangenheit“ undstand für die beginnende Unterstellung der Armee unter die Kontrolle derZivilgewalt.545

Doch schon wenige Wochen nach seiner Ernennung erklärte Sudarsono,dass der „Prozess, die Armee aus der Politik zu entfernen“ wohl noch einlangwieriger und lang dauernder sein werde.546 Denn neben Wiranto, dernach seinem Auszug aus dem Verteidigungsministerium den Posten einesSicherheitsministers übernahm, saßen zunächst noch drei weitere hoch-rangige Offiziere der TNI am Kabinettstisch von Wahid, obwohl sie demGesetz nach von ihren militärischen Positionen eigentlich zurücktretenhätten müssen. Als sie dies, nach alten, eher ,gewohnheitsrechtlichen’Praktiken handelnd zunächst nicht taten, wurden sie Ende Januar 2000vom Präsidenten dazu per Erlass gezwungen.547

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543 Yahoo! Schlagzeilen, AP: Indonesischer Präsident suspendiert Sicherheitsminis-ter Wiranto, Montag, 14. Februar 2000; http://de.news.yahoo.com/000214/4/k43w.html (Abgerufen am 14.2.2000).

544 Indonesische Armee sagt Wahid Unterstützung zu, in: Handelsblatt, 11./12.2.2000.545 Indonesian general exploits new role, in: Guardian Weekly, December 9–15 1999.546 Ebenda.547 Wahid begrenzt Einfluss der indonesischen Streitkräfte, in: NZZ, 27.1.2000.

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Wahid hatte anscheinend die erste Runde im Machtpoker mit der Militär-führung gewonnen und sie ihrer „politischen Funktion“ im Staate beraubt.

1.2 Die politische Macht der indonesischen Armee

„Die Idee der Teilhabe der Armee an der politischen Verantwortung, die einebedeutende Rolle in der indonesischen Geschichte bis zur gegenwärtigenZeit gespielt hat, trat somit in den frühesten Tagen der Republik in den Vor-dergrund.“548

Einer der geistigen Väter der „Dwifungsi-Doktrin“ war der erste Ober-kommandeur der am 5. Oktober 1945 ins Leben gerufenen „NationalenVerteidigungsarmee“ (Tentara Keamanan Rakjat), die Anfang 1946 in„Armee der indonesischen Republik“ (Tentara Republik Indonesia), späterin ABRI umbenannt wurde. Die tragende Rolle, die seinen Streitkräften beider Erlangung der Unabhängigkeit zukam, veranlasste General Sudirmandazu, für sie eine „politische Rolle“ im künftigen Staatswesen zu rekla-mieren.549 Allein die Tatsache, dass die Armee vor dem Staat existierte, hat deren Rolle und Selbstverständnis maßgeblich geprägt. Auch in derSuharto-Ära blieb sie die „wichtigste Macht im Staate“, der gemäß derDwifungsi-Doktrin eine „militärische“ wie auch eine „soziopolitische“ Funk-tion zugestanden wurde.550

Als politische Kraft beanspruchten die Militärs eine bestimmte Anzahl vonSitzen im Parlament, die nach der Demokratisierung zwar auf 38 von 500Sitzen im Repräsentantenhaus verringert wurde, deren Präsenz dort alsnicht vom Volk gewählte „Parlamentariergruppe“ aber ein noch immer‘undemokratisches Element’ in einer ansonsten demokratisch gewähltenVolksvertretung darstellt.

Bis auf die unterste Verwaltungsebene hinunter sind zudem den zivilenBeamten Vertreter in Uniform zugeordnet, die auch noch ihre eigenen Wirt-schaftsunternehmen unterhalten.551

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548 Dahm (1971), S. 117.549 Dahm (1971), S. 116 f.550 Munzinger-Archiv/IH-Länder aktuell: Infobase Land. Anfrage: [F Land:indone-

sien] (Abgerufen am 8.2.2000).551 Vgl. dazu u.a.: Der Präsident will Dialog, die Armee Gewalt, in: Tages-Anzeiger,

8.2.2000; wysiwyg://283/http://www.tages-anzeiger.ch/000208/197251.HTM(Abgerufen am 8.2.2000).

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Die Entflechtung dieses militärischen Machtkomplexes ist eine der Haupt-aufgaben der neuen Regierung, zumal die Streitkräfte nicht nur wegen dervon ihnen geduldeten und unterstützten Übergriffe in Osttimor in dasKreuzfeuer der Kritik geraten sind. Die Misshandlung von Oppositionellen inganz Indonesien wird ihnen zur Last gelegt, wie auch die Unterhaltungregelrechter Todesschwadronen, die für die Ermordung zahlreicher Zivilis-ten die Verantwortung tragen sollen.552 Zur besseren Aufklärung dieser Vor-würfe wurde am 1. April 1999 schon die Polizei des Landes aus der mili-tärischen Organisationsstruktur ausgegliedert. Die Polizei hatte zwar schonfrüher die Untersuchung einiger politischer Mordfälle übernommen, alsBestandteil der TNI jedoch häufig die diesbezüglichen Nachforschungenauf höheren Befehl hin „suspendieren“ müssen.553

Dennoch bleibt das Bild, das die indonesische Armee heute bietet, un-deutlich und zugleich verwirrend. Wie schon Admiral Blair auf jener bereitserwähnten Pressekonferenz feststellte, wäre die Einleitung eines Demo-kratisierungsprozesses in Indonesien ohne die konstruktive Rolle, die dieMilitärs dabei spielten, nie denkbar gewesen.

Wiranto selbst soll Suharto im Mai 1998 zum Rücktritt veranlasst bzw.gezwungen haben und in den darauf folgenden Wochen selbst und ohneden Druck der Politik die ersten Maßnahmen getroffen haben, die den Ein-fluss der Militärs in der Politik zumindest „verringern“ sollten.554

Gleichzeitig aber haben die Generäle an der Spitze der TNI nach Ein-schätzung des Repräsentanten der USA bei den Vereinten Nationen ver-sucht, die Aufklärungsarbeiten der Menschenrechtskommissionen der UNund Indonesiens zu behindern.555 In diesem Zusammenhang wurde auchauf einen möglichen Putsch als jenen letzten Ausweg verwiesen, den dieMilitärführung beschreiten könnte, um eine Klärung der Schuldfrage nichtnur in Osttimor zu verhindern.

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552 Siehe dazu: U.S. Department of State: Indonesia Country Report on HumanRights Practices for 1998.

553 Vgl. dazu ebenda, S. 6.554 Yahoo! Schlagzeilen, AP: Dem steilen Aufstieg Wirantos folgt der Fall, Donners-

tag, 3. Februar 2000;http://de.news.yahoo.com/000203/4/j7w9.html (Abgerufen am 8.2.2000).

555 Wahid Denounces Foes In Military as ,Cowards’, in: International Herald Tribune,January 28, 2000.

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Bei alledem aber stellt sich die Frage, wie ,putschfähig’ die Armee heutenoch ist. Nicht nur durch die Neubesetzung wichtiger Posten hat Wahidjetzt schon eine Bresche in die Reihen der ,alten Garde’ geschlagen. Unddie Tatsache, dass die ,neue Garde’ heute bereit zu sein scheint, Wiranto zuopfern, zeigt, dass die traditionellen Loyalitäten sich nun in einer Art Auf-lösungsprozess zu befinden scheinen.

Für José Ramos Horta stellte die Entlassung Wirantos einen „unumgäng-lichen“ Schritt dar.556 Doch wollen sich die Osttimoresen lieber auf dasUrteil eines UN-Tribunals verlassen, ebenso, wie sie das Schicksal ihreseigenen Landes für die nächsten zwei bis drei Jahre nun in die Hände derVereinten Nationen gelegt haben.

2. Osttimor und die UN: Die neue Rolle der Vereinten Nationen

Am 4. Oktober 1999 legte der Generalsekretär der Vereinten Nationen ein„Rahmenprogramm“ für die UN-Übergangsverwaltung für Osttimor UNTA-ET vor.557 In den nächsten zwei bis drei Jahren soll diese Übergangs-verwaltung die Grundlagen für den Aufbau eines modernen Rechtsstaatesmit all seinen politischen Institutionen, einem Rechtswesen, einem Polizei-apparat etc. schaffen. Damit haben die UN nach den zwiespältigen Er-fahrungen von Kambodscha nun einen ungleich erklärteren Schritt da-hingehend unternommen, es bei ihren Missionen nicht mehr nur bei denklassischen Interventionsmodellen der „Friedensschaffung“ (peacemaking)und der „Friedenserhaltung“ (peace-keeping) zu belassen558, sondern nunzum ersten Male eine effektive Form der „Friedenskonsolidierung“ (post-conflict peace-building) durchzuführen. Dazu benötigt es aber der „Bereit-schaft zu einem mehr als nur kurzfristigen Engagement durch externe

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556 Indonesischer Präsident suspendiert Sicherheitsminister Wiranto.557 United Nations; S/1999/1024: Report of the Secretary-General on the Situation

in East Timor, 4 October 1999; http://www.un.org/peace/etimor/sg1024. htm(Abgerufen am 14.10.1999).

558 In der Praxis sind diese beiden Phasen bzw. Arten von Maßnahmen nicht immereindeutig voneinander zu trennen, weil hier „Überschneidungen bestehen.“(Siehe: Liese, Andrea: Friedenskonsolidierung bei internen Konflikten. Die Rolleder Vereinten Nationen in Kambodscha, Mosbach 1996, S. 40). Im Falle Ost-timors haben die UN den Einsatz von INTERFET auf der Basis von Kapitel VII derCharta der Vereinten Nationen beschlossen (Vgl. Resolution 1264 [1999] desSicherheitsrats).

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Akteure“, woran es, wie Liese im Falle Somalias betonte, der internatio-nalen Gemeinschaft jedoch bislang immer ermangelte.559

Ist die Zeit des „klassischen Peacekeeping-Einsatzes“, wie Manfred Eiseleanmerkte, schon vor kurzem „zu Ende“ gegangen und an dessen Stelle der„,robuste’ Peacekeeping-Einsatz“ getreten560, so hat der Sicherheitsratgerade UNTAET nun mit einem solchen „robusten Mandat“ versehen.561

Dieses bezieht sich aber nicht nur auf die militärische Komponente vonUNTAET, sondern auch und vor allen Dingen auf deren Auftrag, den Demo-kratisierungsprozess in dem kleinen Land zu einem erfolgreichen Ende zubringen. Die Vereinten Nationen haben sich damit, wenngleich auch in einerwesentlich kleineren Dimension, eine ähnliche Aufgabe vorgenommen, wiesie die Alliierten in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bewältigthaben: Die Erziehung eines ganzen Volkes zur Demokratie.

Das ist ein bislang einzigartiges Projekt und es könnte vor allen Dingen ineiner Zeit, in der die alte bipolare Weltordnung der Vergangenheit angehört,beispielgebend sein für viele andere Konfliktlösungs- und Friedenssiche-rungsvorhaben andernorts. Denn gerade hier haben, wie nicht nur Liesefeststellte, die UN seit dem Zerfall des Warschauer Paktes immer weit-reichendere Aufgaben übernommen bzw. erst seither übernehmen können.Nach jahrzehntelangen Selbstblockaden könnte ein nunmehr handlungs-fähigerer Sicherheitsrat eine wichtige Rolle als Friedens- bzw. Demokratie-garant übernehmen. Aber hier wird sich gerade in Osttimor erst zeigenmüssen, ob die internationale Gemeinschaft eine solche Aufgabe bewäl-tigen kann. Das Ziel ist hoch gesteckt und gerade deswegen wären auchdie Folgen eines Scheiterns der Völkergemeinschaft an der Aufgabe, quasiaus dem Nichts heraus einen funktionsfähigen Rechtsstaat aufzubauen,schon jetzt unabsehbar. Aus all diesen Gründen ist die Frage, ob das von Ramos Horta so bezeichnete „Timor-Experiment“562 gelingt, nicht nurfür die Einwohner der Insel von Bedeutung. Denn nicht nur für die Ost-timoresen gilt, was Eisele trotz aller Unvollkommenheit und Mängel der UNkonstatiert:

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559 Liese, a.a.O., S. 59.560 Eisele, Manfred: 50 Jahre UN-Blauhelme – Eine kritische Bilanz, in: POLITISCHE

STUDIEN, Heft 365, Mai/ Juni 1999, S. 27.561 Report of the Secretary-General on the Situation in East Timor, S. 5.562 Nachgefragt: José Ramos Horta: Das Timor-Experiment darf nicht scheitern, in:

Handelsblatt, 7.12.1999.

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„Dennoch bleiben die Vereinten Nationen die Hoffnung der Menschen undVölker für eine friedliche Zukunft.“563

Doch hängt die Zukunft des bislang bettelarmen Landes an der Südost-flanke Indonesiens nicht zuletzt auch von wirtschaftlichen Faktoren ab.

3. Die wirtschaftliche Zukunft Osttimors

Nach den Worten von Martin Kingham von der australischen ConstructionForestry Mining and Energy Union (CFMEU) könnte Osttimor schon balddas „nächste Bali“ sein.564 Doch die CFMEU und ihr „Timor constructionarm“, der Australian Construction Industries East Timor ReconstructionAppeal, haben nicht nur begonnen, Hotels und andere touristische Ein-richtungen in Dili zu bauen. Die CFMEU hat auch „Infrastruktur- und andere,Projekte’“ auf der Insel übernommen, wie etwa die Errichtung von „Hos-pitälern, Universitäten, Wasseraufbereitungsanlagen, Straßen, Brücken,Dämmen, Schulen und öffentlichen Gebäuden“.565

Auch Geschäftsgebäude sollen in der osttimoresischen Hauptstadt ent-stehen. Mehr noch als auf den nicht unerheblichen Kaffeeexporten, andenen vor allen Dingen die Handelskammer von Nordaustralien regstesInteresse bekundet hat, basiert die Hoffnung australischer Investoren aufeinen regelrechten Wirtschaftsboom in Osttimor auf den Öl- und Gas-vorkommen in der Timorsee und deren Ausbeutung. In Stellvertretung füreine noch nicht existierende osttimoresische Regierung hat UNTAET EndeFebruar 2000 bereits ein Abkommen mit Canberra getroffen, das nun an dieStelle des alten Timor Gap-Vertrages getreten ist.566 Unter der Führung desUS-amerikanischen Ölkonzerns Philips Petroleum Corp. wird ein internatio-nales Konsortium, in dem auch die australische Santos Oil vertreten ist, indie Bayu-Undan-Ölfelder investieren.

Doch schon die Tatsache, dass heute in Dili der australische Dollar dashauptsächliche Zahlungsmittel ist, wirft die nicht unerhebliche Frage auf,wer in erster Linie von diesem Boom profitieren wird und ob die Zukunft

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563 Eisele, S. 28.564 Invasion of the booty snatchers, in: The Bulletin, 18.1.2000.565 Ebenda.566 Wahid entschuldigt sich in Osttimor – US-Firma investiert Milliarden in Gas-

förderung, in: Handelsblatt, 1.3.2000.

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des noch jungen Staates nicht – wie Kritiker behaupten – die einer Wirt-schaftskolonie des fünften Kontinents sein könnte.

Es stellt sich die Frage, wer in den Geschäftsgebäuden in Dili und auf denÖlfeldern arbeiten wird, denn nach 25 Jahren indonesischer Fremdherr-schaft und vor allen Dingen sozialer Unterdrückung gibt es keine ausge-bildeten osttimoresischen Fachkräfte, in welchem Berufszweig auch immer.Die im Rahmen der Übergangsverwaltung geplanten (Ausbildungs-)Maß-nahmen zur Behebung dieses gravierenden Missstandes und die Program-me zur „ökonomischen und sozialen Rekonstruktion Osttimors“567 werdenzudem erst in ein paar Jahren greifen.

So geht Ramos Horta heute davon aus, dass sein Land vor allen Dingendann eine rosige Zukunft vor sich habe, wenn die „Unabhängigkeitsregie-rung“ auch ein „gutes Steuersystem errichtet“, durch welches die Bevöl-kerung des Landes an den Gewinnen der Ölkonzerne teilhaben kann.568

Was er darunter versteht, und ob er weiß, dass man andererseits aber aucheine Kuh, die man melken möchte, nicht schlachten darf, muss zum gegen-wärtigen Zeitpunkt noch offen bleiben.

Und trotz Wirtschaftsboom wird auch Osttimor, wie Indonesien selbst,wahrscheinlicherweise noch für unabsehbare Zeit am „Hilfstropf“ der Welt-bank hängen.569

Das australische Übergewicht auf der Insel auszugleichen aber schickensich mittlerweile – nicht unbedingt zum Nachteil der Osttimoresen – diePortugiesen an, die ihren Escudo in den Konkurrenzkampf mit dem „Aussi-Dollar“ geschickt und schon die erste Bank in Dili eröffnet haben. UndLissabon will in den nächsten Jahren seine ehemalige Kolonie mit Entwick-lungshilfsgeldern unterstützen: Nach den bereits bis Ende 1999 geleistetenHilfen in Höhe von 60 Millionen US-Dollar sollen es ab 2000 jährlich 75 Mio.US-$ sein.570

So könnte es trotz aller Widrigkeiten den Osttimoresen in naher Zukunftvielleicht besser gehen als so manchem ASEAN-Staat. Das „Experiment“Osttimor könnte von dieser Ausgangslage ausgehend durchaus gelingen.

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567 Vgl. Report of the Secretary-General on the Situation in East Timor, S. 10 f.568 Nachgefragt.569 Ebenda.570 Portugal zeigt in Timor wieder Flagge, in: Handelsblatt, 7.12.1999.

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D. Ergänzende Literatur und Quellen zu einzelnen Themenbereichen

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