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Beobachtungen bei der Handaufzucht und späteren Aussetzung einer Fuchsfähe (Vulpes vulpes)

Date post: 02-Oct-2016
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ZTierpsychol., 28, 534-541 (1971) 0 1971 Vcrlag Pnul I'arcy. Berlin wid Hamburg Aus dem Staatlichen Naturhistoriscben Museum und dem Zoologiscben Institut der TU Braunschweig Beobachtungen bei der Handaufzucht und spateren Aussetzung einer Fuchsfahe (Vulpes vulpes) Von OTTO und HEIDE VON FRISCH Mit 3 A bbildungen Eingegungen uni 6. 2. 1970 Einleitung Uber die Ethologie des Rotfuchses liegen ausfuhrliche Arbeiten vor (SEITZ 1950, TEMBROCK 1957a, b). Uber die Jugendentwicklung hand- aufgezogener Welpen berichten u. a. GRILL (1863), SCHMID (1930), SEITZ (1950), BECHTLE (1959). Vor allem bei SEITZ und TEMBROCK finden sich die sehr umfangreichen Literaturangaben aus Jagd- und anderem popular- wissenschaftlichem Schrifttum. Was uns veranlant uber das Verhalten unserer Fahe zu berichten, sind die mangelnden Angaben uber Raumorientierung, Orts- und Individuen- gedachtnis in der Fuchsliteratur. nunerdem gibt es anscheinend keine Be- obachtungen uber das Verhalten zahmer und in die Freiheit entlassener Fuchse. Die meisten Welpen kommen zudem erst in einem Alter in mensch- liche Pflege, wenn die Augen bereits offen sind (4-5 Wochen) und selten in einem sehr fruhen Stadium. Aufzucht und Haltung der Welpen Am 10. Marz 1967 erhielten wir 3 Fuchswelpen, die beim Saubern einer Betonrohre unter einem Feldwcg gcfunden worden waren. Sie offneten am 21. 3. die Augen, konnten also am Fundtag erst 4-5 Tage alt gewesen sein, da der Zeitpunkt dcs Augenoffnens mit dem 14.-15. Lebenstag ange- geben wird (SEITZ 1950, KOENEN 1951, PEDERSEN 1959, GERBER 1960). Es waren 263 und l?, ein 3.6 war am Bau erschlagen worden. Die Kleinen wurden in einem groDeren Pappkarton mit cincr Schlafkoje untcrgebracht, mittels einer Warmflasche gewarmt und his zum 28. 3. mit der Flaschc ernahrt. Sie bekamen vom 10.-24. 3. WET,PI und PELARGON im Verhaltnis 1 : 1 (bis zum 16. 3. funfmal taglich, dann bis zum 24. 3. viermal taglich). Ab 24. 3. gaben wir IPEVET und MELUPA (1 : 1). Ab 28. 3. wurden sie umgestellt auf 10% fetthaltige Buchsenmilch, MELUPA- Haferschleim (3 Loffel auf 100 g Milch), gekochte Milz, zerdruckte rohe Leber, Schiergehacktes und gcriebene Mohren. Dam Gaben von Futterkalk und VIGANTOL fur Tierc. Solange wir die Fuchse unter Kontrolle hatten, wurden sie niemals mit anderem rohem Fleisch oder Ticren gefuttert. Wir tauften die Fuchse Peter, Paul und Trixi. Bis zum Tag des Augenoffnens koteten und harntcn sic nur bei Rciben des Bauches und der Aftcrregion mit einem fcuchten Lappchcn, ab dem 20. 3. konnten sie es allein und verlieRen dam ihre Schlafecke. ,,Pyramidenbildung" durch Zusammenkriechen und Kopfhochlegen zeigtcn sie ab 17. 3., im Alter von 11-12 Tagen also (Abb. 1). Nach TEMBROCK tritt cs erst in der 3. Lebenswoche auf. Da Pctcr und Trixi am 15. 3. Durchfall, Blahbauche und I-Iaarausfall bekamen, machten wir am 23. 3. cinc erste Wurmkur mit PIPERAZIN-Paste (die 2. am 1. 4.), worauf sich das Befinden sofort besserte. Obwohl Peter und Trixi fast das gesamte dunkclbraunc Welpcnfcll vcrloren, wuchsen die jetzt rotlichen Haare sogleich und gut wieder nach. Paul kam ,,ungeschorcn" durch.
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Page 1: Beobachtungen bei der Handaufzucht und späteren Aussetzung einer Fuchsfähe (Vulpes vulpes)

ZTierpsychol., 28, 534-541 (1971) 0 1971 Vcrlag Pnul I'arcy. Berlin wid Hamburg

A u s dem Staatlichen Naturhistoriscben Museum und dem Zoologiscben Institut der TU Braunschweig

Beobachtungen bei der Handaufzucht und spateren Aussetzung einer Fuchsfahe (Vulpes vulpes)

Von OTTO und HEIDE VON FRISCH

Mit 3 A bbildungen

Eingegungen uni 6. 2. 1970

Einlei tung

Uber die Ethologie des Rotfuchses liegen ausfuhrliche Arbeiten vor (SEITZ 1950, TEMBROCK 1957a, b). Uber die Jugendentwicklung hand- aufgezogener Welpen berichten u. a. GRILL (1863), SCHMID (1930), SEITZ (1950), BECHTLE (1959). Vor allem bei SEITZ und TEMBROCK finden sich die sehr umfangreichen Literaturangaben aus Jagd- und anderem popular- wissenschaftlichem Schrifttum.

Was uns veranlant uber das Verhalten unserer Fahe zu berichten, sind die mangelnden Angaben uber Raumorientierung, Orts- und Individuen- gedachtnis in der Fuchsliteratur. nunerdem gibt es anscheinend keine Be- obachtungen uber das Verhalten zahmer und in die Freiheit entlassener Fuchse. Die meisten Welpen kommen zudem erst in einem Alter in mensch- liche Pflege, wenn die Augen bereits offen sind (4-5 Wochen) und selten in einem sehr fruhen Stadium.

Aufzucht und Ha l tung der Welpen Am 10. Marz 1967 erhielten wir 3 Fuchswelpen, die beim Saubern einer Betonrohre unter einem

Feldwcg gcfunden worden waren. Sie offneten am 21. 3. die Augen, konnten also am Fundtag erst 4-5 Tage alt gewesen sein, da der Zeitpunkt dcs Augenoffnens mit dem 14.-15. Lebenstag ange- geben wird (SEITZ 1950, KOENEN 1951, PEDERSEN 1959, GERBER 1960). Es waren 2 6 3 und l ? , ein 3.6 war am Bau erschlagen worden. Die Kleinen wurden in einem groDeren Pappkarton mit cincr Schlafkoje untcrgebracht, mittels einer Warmflasche gewarmt und his zum 28. 3. mit der Flaschc ernahrt. Sie bekamen vom 10.-24. 3. WET,PI und PELARGON im Verhaltnis 1 : 1 (bis zum 16. 3. funfmal taglich, dann bis zum 24. 3. viermal taglich). Ab 24. 3. gaben wir IPEVET und MELUPA (1 : 1). Ab 28. 3. wurden sie umgestellt auf 10% fetthaltige Buchsenmilch, MELUPA- Haferschleim (3 Loffel auf 100 g Milch), gekochte Milz, zerdruckte rohe Leber, Schiergehacktes und gcriebene Mohren. Dam Gaben von Futterkalk und VIGANTOL fur Tierc. Solange wir die Fuchse unter Kontrolle hatten, wurden sie niemals mit anderem rohem Fleisch oder Ticren gefuttert.

Wir tauften die Fuchse Peter, Paul und Trixi. Bis zum Tag des Augenoffnens koteten und harntcn sic nur bei Rciben des Bauches und der Aftcrregion mit einem fcuchten Lappchcn, ab dem 20. 3. konnten sie es allein und verlieRen dam ihre Schlafecke.

,,Pyramidenbildung" durch Zusammenkriechen und Kopfhochlegen zeigtcn sie ab 17. 3., im Alter von 11-12 Tagen also (Abb. 1). Nach TEMBROCK tritt cs erst in der 3. Lebenswoche auf.

Da Pctcr und Trixi am 15. 3. Durchfall, Blahbauche und I-Iaarausfall bekamen, machten wir am 23. 3. cinc erste Wurmkur mit PIPERAZIN-Paste (die 2. am 1. 4.), worauf sich das Befinden sofort besserte. Obwohl Peter und Trixi fast das gesamte dunkclbraunc Welpcnfcll vcrloren, wuchsen die jetzt rotlichen Haare sogleich und gut wieder nach. Paul kam ,,ungeschorcn" durch.

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Abb. I : Pyramidenbildung, 6 'rage alt

Am 29. 3. siedelten dic Fuchse auf unseren Balkon in einen Kisten-Bau mit 2 Abteilen und einem 1 qm Auslauf urn. D:I wir in unserer damaligen Stadtwohnung im 4. Stock unmoglich 3 Fuchse halten konnten, wurde Paul a m 2. 4., Peter am 11. 4. an Bekannte abgegeben. Trixi behielten wir. Sie hatte ihren ,,Bau" au€ dern Balkon, konnte jederzeit in die Wohnung, begleitcte mich fast taglich ins Museum und blieb bis zu ihrer Aussctzung in standigem Menschenkontakt.

Spielen

Erstes Spielen, uiid zwar ein Maul-zu-Maul Schupsen und Beifien, wurde am 21. 3. (15.-16. Lebenstag) beobachtet, noch sehr kutz und un- sicher. Am 2. 4. erstes Spiel von Paul mit einem kleinen roten Gummiball, den er mit der Nase vcx sich her s toh . Trixi lernte ab der 4. Lebenswoche sehr schnell Balle und anderes Spielzeug zu bringen, damit man es ihr wieder hinwarf. Sie lien sich Gummi, Holz und andere nicht weiche, nicht fell- oder federartige Gegenstande stets ohne weiteres aus dem Fang nehmen. Alles Weiche (Wollknauel, Steifftiere, Lappen) loste jedoch sofort Beuteverhalten aus. Sie hielt es fest, lief: damit in eine Ecke (vor den Geschwistern in Sicher- heit bringen!) und keckerte und knurrte, wollten wir es ihr fortnehmen.

Am 12. 4. entdeckte Trixi ihre Lunte. Das Spiel mit dieser, die Versuche sie fangen zu konnen oder im Sitzen mit den Vorderpfoten wie beim Mausen draufzuspringen behielt sie bei, solange wir sie beobachten konnten.

Verhalten gegen Personen und Hunde

Trixi war meiner Frau und mir gegenuber vollig zahm. Fremde Personen scheute sie ab der 4. Lebenswoche stets und reagierte bei deren Auftauchen mj t Sichverstecken oder Flucht. Bei langerer Anwesenheit Fremder im Zimmer kam sie mit der Zeit herbei, um die Sache zu untersuchen, blieb aber immer

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auf dem Sprung zur Fluchtbereitschaft und lien sich nicht anfassen oder greifen. Kinder bis zu etwa 10 Jahren unterschied sie deutlich von Erwachse- nen und zeigte ihnen gegenuber viel weniger Scheu (GroGe?). Ich hatte den Eindruck, daB Kinder fur sie nicht ,,Menschen" sondern ,,Hunde" waren, da sie auch vor fremden Hunden nie Furcht hatte. Unsere beiden eigenen Kinder, damals 2 und 6 Jahre ah, liebte sie ebenso wie uns. Da Trixi mit fremden Erwachsenen nie eine schlechte Erfahrung gemacht hatte, war ihre Scheu vor diesen, nicht aber vor Kindern oder Hunden merkwurdig. Sie gewohnte sich spater, zur Zeit ihrer Freilassung, nur noch an einen ihr vorher fremden Erwachsenen, meine Schwester (s. u.).

Schwanzwedeln zur Begruhng und Begruhngswinseln (TEMBROCK 1957a, S. 407) trat bei Trixi zum 1. Ma1 im Alter von 7 Wochen auf, wenn wir nach langerer Abwesenheit zu ihr oder sie zu uns kam. Noch mehr als zu meiner Frau, zu mir oder zu unseren Kindern hingezogen fuhlte sich Trixi zu unseren beiden Hunden, einer Deutsch-Langhaar- und einer Cockerspaniel- Hundin (Abb. 2). Die beiden waren damals schon alt und hatten fur den

A b b . 2: Trixi beim Spiel mit meinem Hund, 6 Wochen alt

quirrligen Jungfuchs nicht viel uber, bissen ihn oft weg und knurrten ihn an, was aber dessen Anhanglichkeit keinen Abbruch tat. Waren wir alle zusammen, hielt sich Trixi stets zu den,Hunden, forderte sie zum Spiel auf und legte sich zu ihnen. Bei Spaziergangen lief sie hinter einem Hund, nicht hinter uns Menschen her. Diese Vorliebe von Jungfuchsen fur Hunde beschreibt schon GRILL.

Unsere Hunde, beide jagdlich erfahren, hatten von Anfang an die Welpen nicht als Wild erkannt. Als Trixi spater mit fremden Jagdhunden zusammen- traf, reagierten auch diese nicht auf sie wie auf Wild, sondern wie auf Hund.

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Als Beispiel sei die 13egegnung mit einem Rauhaardackel, der mehrfache Fuchsbauerfahrung besaI3, kurz geschildert :

2. 6. 1967. Im Garten der Schwiegereltern. Rauhaardackel Waldi sol1 rnit Trixi bekannt- gemacht werden. Ich halte den Fuchs am Halsband, der Dackcl ist an der Leine. Trixi ist aufmerksam und ruhig, der Dackel bleibt 2 Meter vor ihr stehen. Nach '12 Minute beginnt er heftig zu wedeln und mieft. Da er keineswegs angriffslustig scheint, lasse ich ihn von der Leine nehmen. Er lauft schwanzwcdelnd zum Fuchs, sic beriechen sich Schnauze an Schnauze, dann geht Waldi zum nachsten Baum und markiert, kommt zuriick, der Fuchs fordert zum Spielen auf und die beiden toben ab durch den Garten. Ahnliche Situationen erlebten wir auch noch mit anderen Jagdhunden und sie werden ebenfalls von BECI-ITLE geschildert.

BECHTLES Fuchs ,,,Knitz" stank nicht, unsere Trixi roch ebenfalls nie nach Fuchs, auch nicht, nachdem wir sie freigelassen hatten. Ihr Bruder Peter roch kurz nachdem er zu Bekannten gekommen war schon sehr intensiv nach Fuchs und die meisten anderen gefangenen Fuchse, die ich kenne, tun das auch. Wir vermogen nicht zu entscheiden, ob es das Fehlen bestimmter geruchlicher Eigenheiten oder anderes ist, was das freundliche Verhalten fremder Hunde bedingt.

Trixis Bindung an meine Hunde war so groB, daB sie mich zweimal nach langerer Abwesenheit nur an den Hunden wiedererkannte.

Fall 1: Vom 13. 5.-25. 5. muRten wir Trixi zu Freunden in Pflege geben, da wir verreisten. Sie war damals rund 2 Monate alt. Bei diesen Freunden schloR sich der Fuchs sehr rasch an die jiingste Tochter an und erkannte mich, als ich ihn am 25. abholte, zuerst nicht. Er fliichtete vor mir, weder Locken noch Rufen rnit dem ihm vertrauten Namen und Tonfall wirkten. SchlieRlich fing die kleine Tochter den Fuchs und brachte ihn auf dem Arm zu meinem Auto, in dem meine Lang- haarhiindin lag. Beim Offnen der Wagentiire erkennt Trixi den Hund, springt hinein, wedelt und winselt, dreht sich sofort zu niir urn, begriint auch mich mit allen Zeichen hochster Freude und ist von da an so vertraut wie zuvor.

Fall 2: Anfang August 1.967 komme ich nach achtwochiger Abwesenheit zu unserem Ferien- haus am Wolfgangsee, wo Trixi seit mehreren Wochen frei lebt und nur abends von meiner Frau gefuttert wird. Gleich am 1. Abend bin ich mit meiner Frau und meiner Schwester beim Futternapf (ohne Hund). Trixi kommt, beginnt zu fressen. Als ich sie leise anrufe, verschwindet sie sofort und scheut genauso wie vor Fremden. Sie erkennt mich bestimmt nicht. Auch am nachsten Abend scheut sie vor mir zuriick. Spater, es ist schon dunkel, gehe ich mit der Deutsch-Langhaar-Hiindin in die Wiese hinter dem Haus. Die I-Iiindin ist etwa 10 m von mir entfernt. Plotzlich ist Trixi schwanz- wedelnd und winselnd und aul3er sich vor Freude bei ihr. Ich rufe den Hund, der sofort kommt, Trixi im Gefolge. Und im nachsten Moment begrunt der Fuchs mich ebenso stiirmisch, wirft sich auf den Riicken, IaRt sich kraulen und auf den Arm nehmen und alles ist wie friiher.

In beiden Fallen war die Verbindung Hund-Herrchen beim Fuchs

Eine von GRILL aulgezogene Fahe erkannte diesen noch nach 7 Monaten voilkommen klar erkennbar.

wieder.

Orientierungsvermogen

Bis zur 5. Lebenswoche war es unseren Jungfuchsen egal, wo sie sich aufhielten, solange sie in engem Kontakt mit dem Pfleger bleiben konnten. Danach stellte sich bei der uns verbliebenen Fahe spontan eine Abneigung gegen ihr unbekannte Raumlichkeiten oder Umgebungen ein. Sie vermied es fremde Zimmer zu betre1:en und wenn sie es doch tat, dann erst nach langerem Zogern. Der Fluchtweg vom Innern unserer Wohnung auf den Balkon und in den ,,Bau" war fest eingefahren, was sie im Laufe der Zeit wohl erlernt haben konnte. Um neue, ihr vorher unbekannte Wege zu lernen, benotigte Trixi mitunter nur wenige Erfahrungen, in zwei Fallen genugte eine einzige. So lernte sie innerhalb von 4 Tagen den Weg aus der Wohnung im 4. Stock, die Treppen hinunter in mein Auto und beim Museum den Weg vom Auto ins Haus und zwei Treppen hoch durch verschiedene Raume in mein Arbeits- zimmer. Anfangs (2 Tage) trug ich sie auf dem Arm, am 3. Tag ging sie,

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wenn auch oft stehenbleibend und scheuend, an der Leine mit, am 4. Tag lief sie bereits an der Leine voraus, aber nur die Strecke, die ihr bekannt war. Spater lief sie ohne Leine, aber immer blieb die Strecke von der Wohnung zum Wagen und vom Wagen in mein Arbeitszimmer (oder abends anders- herum) fur sie Fluchtweg und nicht Spaziergang. Sie sauste so schnell sie konnte die Treppen hinauf und hinunter, angstlich und nervos und wurde erst wieder ruhig, wenn sie entweder im Arbeitszimmer oder in der Wohnung angelangt war. Auch das Auto war fur sie vertraut, allerdings auch nur mein Auto. Als wir sie im Sommer an den Wolfgangsee mitnahmen in einem geliehenen VW-Bus, benahm sie sich wie irr, bekam Durchfall, suchte un- unterbrochen einen Ausweg aus dem Wagen und beruhigte sich erst kurz vor Munchen nach mehr als achtstundiger Fahrt.

Im Museum nahm ich Trixi zweimal zum Futtern meiner Vogel mit, die in einer Voliere im Hof lebten. Dazu muf3te sie mit mir die Treppen hinunter, durch einen Vorraum, durch die Hinterture hinaus und dann rechts urn zu der Voliere. Ich fuhrte sie beide Male an der Leine. Beim 3. Ma1 kam sie freiwillig und ohne Leine mit. Ohne, dan ich es merkte, fie1 die Hausture hinter uns zu, wahrend wir bei den Vogeln waren. Da tauchte am anderen Hofende (60 m entfernt) der Hausmeister auf. Trixi erstarrte, beobachtete kurz und fluchtete sofort. Sie lief von der Voliere zum Haus, deutete vor der geschlossenen Ture eine versuchte Linkswendung an, rannte weiter bis zur nachsten Moglichkeit links abzubiegen und war damit durch den Zaun auf dem Gehsteig an der Strane. Zum Gluck wurde sie von Passanten erschreckt, fluchtete zuruck und kam mir in die Hande. Als ich sie griff, bin sie ernsthaft und heftig zu. Sie war vollig verschreckt.

Dan sie einen nur einmal gemachten und nicht einmal selbst gelaufenen Weg seitenverkehrt als Fluchtweg wiederfinden konnte, bewies ihr erster Ausflug im Park meiner Schwiegereltern. Sie war 5 1 / 2 Wochen alt und kannte das Haus von innen, nicht aber die Umgebung. Ich trug sie auf dem Arm vom Haus fort, um sie etwas im Park laufen zu lassen und ging mit ihr, sie immer- fort tragend, einen Weg von etwa 150 m kreuz und quer. Dann lien ich sie 10s und sie folgte mir 40 m bei Fun. Ein auf der StraBe kommender Radfahrer erschreckte sie dann, sie machte kehrt und lief genau den selbst gegangenen und vorher getragen gewordenen Weg zuruck zum Haus.

Fur Jungfuchse, die zunachst in naherer, dann in gronerer Entfernung von ihrem Bau umherstreifen, mu8 es von entscheidender Wichtigkeit sein, dafi sie bei Gefahr den Bau sofort wiederfinden. Durch diese bei Trixi so stark ausgepragte Fluchttendenz war es aber nie moglich sie in unbekanntem Gelande auf Spaziergange mitzunehmen, wie es z. B. SEITZ und BECHTLE rnit ihren Fuchsen gemacht haben. Als sie spater frei lebte, ging sie auf unseren nachtlichen Spaziergangen nur solange mit, bis wir offenbar die Grenze ihres ihr bekannten Reviers erreicht hatten. Dann blieb sie zuruck und wartete, bis man wiederkam. Selbst die Hunde konnten sie dann nicht zum Weiterkommen veranlassen.

Freilassung

Vom 2.-4. 6. 67 waren meine Frau und ich mit Hunden und Fuchsin bei den Schwiegereltern in Hannover. Trixi kannte damals bereits das Haus und den Park gut. Sie war knapp 3 Monate alt und lief jetzt auch im Garten und Park ohne Scheu. Da sie am 2. 6. bereits den ganzen Tag uber rnit den Hunden und Kindern im Garten geblieben war, zwischendurch irgendwo in

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einer Hecke geschlafen hatte, beschlossen wir den Versuch zu machen, sie auch nachts draunen zu lassen. Wir futterten sie gegen 18 Uhr vor dem Haus, sahen sie dann noch mil: dem Dackel Waldi zusammen uber die Wiese streifen, aber dann kam der Hund ohne Fuchs zuruck. Nachts war nichts von Trixi zu horen, aber um 5 Uhr morgens weckten uns warnende Krahen, die auf den am Misthaufen vor dem Haus schlafenden Fuchs hafiten. Als die Kinder am Morgen in den Garten liefen, war Trixi sofort bei ihnen, spielte wieder den ganzen Tag uber vor dem Haus mit Kindern und Hunden, zog sich aber zwischendurch manchmal fur 2-3 Stunden in ein nicht zu entdeckendes Versteck zuruck. Auch die 2. Nacht blieb sie im Freien. Am Tag darauf fuhren wir zuruck in die Stadt und nahmen sie wieder mit. Immerhin wufiten wir jetzt, dan sie in einer ihr bekannten Umgebung bleiben konnte und nicht fortlief, was wir wegen ihrer Scheu vor allem Unbekannten aucli nicht er- wartet hatten.

Am 9. 6. kam dann die bereits oben geschilderte Fahrt mit dem Bus uber Munchen nach unsereni Ferienhaus in Brunnwinkl am Wolfgangsee. Dieses Haus liegt, begrenzt vom See, von Wald- und Wiesenhangen, und ab vom Verkehr gunstig fur eine Aussetzung. Am Ankunftstag (10. 6.) regnete es stark. Ich richtete Trixi in einem Holzschuppen neben dem Haus ihren ,,Bau" mit ihrer Decke und gab ihr abends Futter. Obwohl ihr die Umgebung fremd war, blieb sie doch wegen der Anwesenheit von uns, den Kindern und den Hunden recht vertraut, wollte allerdings unbedingt zu uns ins Haus, was wir aber nicht zuliefien. Am nachsten Morgen war sie fort. Sie wurde in einem Keller eines Neubaus (Luftlinie etwa 200 m) von dessen Besitzer entdeckt. Da sie zum Gluck noch ihr Halsband anhatte, wurde sie nicht erschlagen, sondern meiner Frau auf Umwegen zuruckgebracht. Ich war inzwischen abgereist. Trixi blieb dann die nachsten 4 Wochen frei ums Haus, begrunte meine Frau und die Kinder regelmalSig am Morgen, bekam mittags und abends ihr Fressen, spielte rnit den Kindern und lag bei der Familie in der Sonne. Als Bau hatte sie sich unter dem Schuppen ein Loch gegraben. Sie benahm sich vollig vertraut und bis auf larigere Ruheperioden am Tag und in der Nacht nicht vie1 anders als ein Hund. Erst als mein Vater und meine Schwestern auch zum Ferienaufenthalt ins Haus zogen, verschwand sie tagsuber aus der naheren Umgebung des Hauses. Wo sie ihren Bau dann hatte, blieb stets ungeklart. Da sie jetzt nur mehr am Abend in der Dammerung kam, um zu fressen, war nicht zu sehen, von wo :;ie kam, und alle Versuche, uns von ihr zu ihren Bau fuhren zu lassen, scheiterten.

Trixi gewohnte sicli schlienlich, wie schon beschrieben, noch an meine eine Schwester. Rief diese oder meine Frau am Abend, kam sie, begrunte kurz, frafi dann und lief anschliefiend hinter das Haus, wo sie darauf wartete, dan man zu ihr kam, urn sie zu streicheln und mit ihr zu spielen.

So war die Situation, als ich nach acht Wochen wiederkam und sie mich am 2. Tag erkannte. In den folgenden 14 Tagen kam Trixi jeden Abend in der Dammerung zum Haus, frafi (Abb. 3), lief dann hinter das Haus und wartete auf mich. Waren Fremde anwesend, die den Fuchs sehen wollten, kam sie oft nicht zum Vorschein oder verschwand sofort, wenn sie die Un- bekannten wahrnahm. Mir, meiner Frau und meiner Schwester gegenuber war sie nach wie vor vollig zutraulich. Sie lien sich von mir Zecken abklauben, ins Maul nach den Zahnen sehen, bursten, streicheln und kraulen. Anleuchten rnit einer Taschenlampe storte sie nicht. Sie ging uberall mit spazieren, solange ich nicht die Grenze ihres Reviers uberschritt oder auf fremde Men- schen traf. Morgens und tagsiiber sahen wir sie nie. Trixi war damals 5 Monate

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Abb. 3: Die letztc Aufnahme von Trixi nach der Freilassung am 4. August wihrend dcr abendlichen Futterung

ah. TEMBROCK (1957a) schreibt, daI3 die Pflegehandlungen der fuhrenden Fahe ungefahr nach 4 Monaten erloschen und dann das Abwehrverhalten gegenuber den Jungen einsetzt. Nach seinen Gefangenschaftsbeobachtungen sind die Jungen nicht der aktive Teil beim Zerfall der Familie. Trixis bleibende Anhanglichkeit spricht dafur.

Am 15. August reisten wir ab. Bis zum 25. September ubernahm meine Schwester die abendliche Futterung. Der Fuchs kam weiter, blieb zwischen- durch auch manchmal einige Abende unsichtbar. Er fraB nie sehr viel, so daB ich annehme, er versorgte sich zum Teil selbst. Anfang August hatte ich ihn abends einmal beim Mausen in der Wiese beobachtet. Was er fing, war nicht zu erkennen.

Nach dem 25. September versorgte eine standig in Brunnwinkl lebende Cousine von mir den Fuchs allabendlich mit Futter. In den ersten Tagen lien er sich von ihr noch beobachten, spater nicht mehr. Den ganzen Winter uber wurde die Futterung beibehalten, im Schnee waren Fuchsspuren festzustellen, und die Art und Weise, wie und was gefressen wurde, lien darauf schlieflen, daB Trixi nach wie vor kam. Im Sommer 1968 unterblieb zeitweise das Futtern, wurde aber im Winter 68/69 wieder aufgenommen. Im Januar 1969 sah Frau G. FRISCH auf 6 m Abstand einen Fuchs aus der Futterschussel fressen. Durch Anleuchten mit der Taschenlampe lien er sich nicht storen, war also offenbar immer noch Trixi.

Zusammenfassung 3 Jungfuchse wurden von ihrem 5. Lebenstag an mit der Flasche auf-

gezogen, eine Fahe davon 3 Monate in der Wohnung gehalten und dann unter Kontrolle freigelassen. Die Fahe scheute alles Fremde, war ihren Pflege-

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eltern, Kindern und H.unden gegeniiber aber sehr vertraut und erkannte sie nach langerer Abwesenheit wieder. Einige Beobachtungen zum Orientierungs- vermogen werden geschildert. Nach der Freilassung kam die Fahe zuerst regelmaI3ig zur Futterung und behielt ihre Anhanglichkeit gegenuber den ihr bekannten Menschen und Hunden, spater wurde sie scheu, blieb aber noch mindestens 2 Jahre in iinmittelbarer Nahe.

Summary Observatioris of hand-raised female fox (F'ulpes vulpcs)

Three young foxes were hand-reared from the fifth day of life. One female was kept 3 months and then released. She exhibited shyness toward everything unfamiliar but trusted and recognized her adopted parents, children and dogs even after lorig absence. One observation on the sense of direction is described. After being set free, the female appeard regularly for feeding and maintained her attachment to the people and dogs she was raised with. Later she became shy but nevertheless was observed in the area over a period of two years.

Literaturverzeichnis BECI-ITLE, W. (1959): Knitz, die Geschichte meines Fuchses. Franckh-Verlag Stuttgart

GERBER, R. (1960) : Wildlebende Raubtiere Deutschlands. Neue-Brehm-Biicherei, Ziemsen Verlag Wittenberg GRILL, F. W. (1863): Beobachtungen an gefangenen Tieren. Der Zool. Garten 4 0

KOENEN, F. (1951) : Der Rotfuchs. Neue-Brehm-Biicherei, Ziemsen Verlag Wittenberg e PEDERSEN, A. (1959): Der Eisfuchs. Neue-Brehm-Biicherei, Ziemsen Verlag Wittenberg SCHMID, B. (1930): Aus der Welt des Tieres. Salk Berlin, 23-33 Ders. (1937): Zur Psychologie der Caniden Wolf- Hund-Fuchs. Besprochen ZfT 1, 91/2 Ders. (1954): Begcgnung mit Tieren, 3. Aufl. Mosse u. Hirth SEITZ, A. (1950): Untersuchungen iiber angeborene Verhaltensweisen bei Caniden. I. Teil: Beobachtungen an Fiichsen (Vulper Briss.). Z. Tierpsychol. 7, 1-32 Ders. (1950): Verhaltens- studien an Caniden. 11. Teil: Fortgesetzte Beobachtungen an Fiichsen. Z. Tierpsychol. 7, 32-46 o TEMBROCK, G. (1957a): Das Verhalten des Rotfuchses. Handb. Zool. 8, 10 (15), 1-20 Ders. (1957 b): Zur Ethologie des Rotfuchses ( Vii/per vdper [L.]), unter besonderer Beriicksichtigung der Fortpflanzung. Der Zool. Garten 23, 289-532.

Anschrift des Verfassers : Prof. Dr. 0. v. Frisch, Staatliches Naturhistorisches Museum, 3300 Braunschweig, Pockelsstrak 1.0 a


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