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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911 Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 31. Jahrg., H. 2 (1914), pp. 289-347 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40906000 . Accessed: 18/06/2014 12:55 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 62.122.78.91 on Wed, 18 Jun 2014 12:55:27 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions
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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 31. Jahrg., H. 2 (1914), pp. 289-347Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40906000 .

Accessed: 18/06/2014 12:55

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetz- entwurf vom 30. November 19111).

A. Allgemeiner Teil. 1. Das geltende Gemeindesteuerrecht.

Der Rechtszustand auf dem Gebiete des Gemeindesteuerwesens ist in Kürze folgender.

Die Gemeindeordnungen enthalten in den Abschnitten über die Gemeinde- leistungen (§§ 25 ff. der Revidierten Städteordnung, §§ 16 ff. der Revidierten Landgemeindeordnung) nur einige allgemeine Richtungslinien, die im wesent- lichen für Städte und Landgemeinden dieselben sind. Die Steuerordnungen müssen durch die Aufsichtsbehörden, bei indirekten Abgaben durch das Mini- sterium des Innern genehmigt werden. Bei Landgemeinden ist zunächst der bestehenden Ortsverfassung nachzugehen; neue Feststellungen der Gemeinde- leistungen setzen 2, mindestens 14 Tage auseinanderliegende Beschlussfassungen voraus.

Der direkten Besteuerung unterliegen alle Gemeindemitglieder; Grund- besitz und Gewerbebetrieb sind nur in der Belegenheits- und Betriebsgemeinde steuerpflichtig. Gewisse Ausnahmen hiervon sind zulässig, Doppelbesteuerung daher nicht ausgeschlossen.

Die sachlichen und persönlichen Befreiungen von Gemeindeleistungen sind geordnet.

Jedes Gemeindemitglied hat zu den Gemeindelasten „verhältnismässig" beizutragen; ein Gewerbebetrieb, der ständig in mehreren Gemeinden statt- findet, kann in jeder dieser Gemeinden „verhältnismässig" herangezogen werden. In Landgemeinden ist bei Geldanlagen sowohl das Einkommen vom Grund- besitz, als das aus anderen Quellen in „angemessener" Weise zu berücksichtigen.

Für die Hundesteuer und die Steuer von Wanderlagern treffen die Sonder- gesetze vom 18. August 1868 und 23. März 1880 unter Wahrung der Gemeinde- autonomie Bestimmungen. Eine geringe Besitzwechselabgabe ist durch das Nachtragsgesetz zur Armenordnung vom 5. Mai 1868 geordnet.

Ueberblickt man diese Bestimmungen, so ergibt sich: Die Gemeinden haben bei der Wahl, Ausgestaltung und Belastung der einzelnen Steuerarten, die Aufsichtsbehörden bei der Genehmigung der Steuerordnungen so gut wie freie Hand.

Die Reichsgesetzgebung engt die Besteuerungsrechte der Gemeinden in mehrfacher Beziehung ein.

Die Biersteuer unterliegt weitgehenden Beschränkungen, namentlich in bezug auf ihre Höhe.

Ausser auf Bier sind Verbrauchsabgaben nur auf folgende, zum örtlichen Verbrauche bestimmte Gegenstände zulässig: Brennmaterial, Essig, Malz, Fou- rage und Marktviktualien, dagegen nicht mehr auf Getreide, Hülsenfrüchte, Mehl und andere Mühlenfabrikate, Backwaren, Vieh, Fleisch, Fleischwaren und Fett.

i) Dekrete Bd. III Nr. 19. FinanzarcMv. XXXI. Jahrg. 777 19

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290 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

Ausländische Erzeugnisse, welche mit einem Einfuhrzolle von mehr als. 3 M. vom Doppelzentner belegt sind, müssen mit Ausnahme des Bieres von örtlichen Verbrauchsabgaben freigelassen werden.

Eine weitere Beschränkung der Gemeinden bedeutet das Verbot der Annoncensteuer im Reichspressgesetz, sowie die Ausschliessung kommunaler Erbschaftssteuern durch das Erbschaftssteuergesetz.

Die Zuwachssteuer ist reichsgesetzlich geregelt worden. Die Gemeinden erhalten einen gesetzlich bestimmten Anteil an ihrem Ertrage; durch die Landesregierung kann ihnen die Erhebung von Zuschlägen zur Reichssteuer innerhalb gewisser Grenzen nachgelassen werden.

2. Die tatsächliche Entwicklung. a) Vorbemerkung.

Ueber den tatsächlichen Zustand des Gemeindesteuerwesens hat die Staats- regierung zuletzt im Jahre 1903 äusserst umfängliche Erörterungen angestellt und bearbeitet. Sie sind den Ständekammern in den Anlagen zum Dekrete Nr. 29 des Jahres 1904, die Neuordnung des Gemeindesteuerwesens betreffend, mitgeteilt worden.

Naturgemäss trat vor Einbringung der neuen Gemeindesteuervorlage die Frage auf, ob abermals solche Erhebungen angestellt werden sollten. Es war dabei zu beachten, dass nach den Erfahrungen des Jahres 1903 eine derartige Statistik nicht nur bedeutende Kosten verursacht, sondern auch einen überaus umfangreichen Apparat in Tätigkeit setzt und das Statistische Landesamt, die Aufsichtsbehörden und nicht zuletzt sämtliche Gemeindeverwaltungen schwer belastet. Die Staatsregierung hätte die Wiederholung dieser Opfer nur dann dem Staate und den Gemeinden anzusinnen vermocht, wenn von der neuer- lichen Umfrage neue und für die Gesetzgebung ausschlaggebende Erkenntnisse zu erwarten gewesen wären. Das ist aber nicht der Fall. Die statistische Aufnahme würde nur ziffernmässig dasjenige erhärtet haben, was der Regierung ohnehin in grossen Zügen bekannt war und was sich kurz in wenigen Sätzen zusammenfassen lässt.

Wie aller öffentliche Bedarf, so ist auch der Bedarf der politischen Ge- meinden seit dem Jahre 1902 bedeutend gestiegen. Dies hat ungeachtet der gleichfalls wesentlich gewachsenen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen zu einer Erhöhung der Gemeindesteuern in einer grossen Zahl von Gemeinden geführt. Die Deckung des Mehrbedarfs ist ganz überwiegend bei der Ein- kommensteuer gesucht worden, so class die übrigen Steuern in ihrer Bedeutung noch mehr als früher hinter die Einkommensteuer zurückgetreten sind.

In einer kleinen Anzahl von Gemeinden hat die Einkommensteuer die Kopfsteuer verdrängt. Im übrigen ist das Bestreben, den Einkommensteuer- tarif zu verbessern, insbesondere die übermässige Belastung der kleinen Ein- kommen zu vermeiden, unverkennbar.

Die Grundsteuer, die Besitzwechselabgabe und die Biersteuer haben eine Reihe von Gemeinden gewonnen. Hier und da ist die Vorausbesteuerung des Grundbesitzes, insbesondere bei dem Uebergange von der Kopfsteuer zur Ein- kommensteuer, etwas ermässigt worden.

Auf dem Gebiete der Gewerbesteuer ist die Steuer von Automaten in einigen Landgemeinden eingeführt worden. Die Steuer von Grossbetrieben des Kleinhandels hat keine nennenswerten Fortschritte gemacht.

Die Verbrauchsabgaben auf Lebensmittel sind durch die Reichsgesetz- gebung noch weiter als bisher eingeschränkt und für das Gesamtbild bedeu- tungslos geworden.

Alle diese Veränderungen, so einschneidend sie in dieser oder jener Ge- meinde gewesen sein mögen, sind nicht geeignet, das Bild, das die Statistik von 1903 entrollt hat, in wesentlichen Zügen zu beeinflussen. Die damaligen Ergebnisse können daher auch heute noch als ausreichende Grundlage für ein gesetzgeberisches Vorgehen betrachtet werden. Die Staatsregierung hat unter

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 291

diesen Umständen sich auf Erhebungen über einige wenige, besonders wichtige Punkte, in denen ihr die Ergänzung der früheren Untersuchungen notwendig schien, beschränkt, und glaubt hierbei um so mehr auf die Zustimmung der Stände rechnen zu können, als derartige Erhebungen künftig im Interesse der allgemein erstrebten Geschäftsvereinfachung überhaupt im Rahmen des unbe- dingt Erforderlichen gehalten werden sollen.

Die Ausführungen der Denkschrift über den vorhandenen Zustand des. Gemeindesteuerwesens und die ihr beigegebenen statistischen Tafeln haben seinerzeit im Landtage wie in der Literatur ungeteilte Anerkennung als wissen- schaftlich bedeutsame Leistung gefunden. Sie sind in der Anlage nochmals abgedruckt worden. Mit Rücksicht hierauf konnten die folgenden Ausführungen kurz gehalten werden; sie verfolgen in der Hauptsache den Zweck, das Wichtigste nochmals herauszuheben und dabei die früheren Ergebnisse in einigen Punkten bis auf die jüngste Zeit zu ergänzen.

b) Das Bild im allgemeinen. So verwirrend im einzelnen die Mannigfaltigkeit ist, welche die Steuer-

verhältnisse der Gemeinden in Sachsen aufweisen, so lassen sich doch für ihre Steuerverfassung unschwer zwei Typen als vorherrschend wahrnehmen.

Alle grösseren und entwickelteren Gemeinden erheben als Hauptsteuer eine allgemeine Einkommensteuer und decken mit ihr den weitaus grössten Teil ihres Steuerbedarfs. In den meisten von ihnen besteht daneben als nächst- wichtige Steuer eine Grundsteuer.

In den kleinen Gemeinden des Landes liegt der Schwerpunkt gewöhnlich auf der Grundsteuer. Neben ihr wird regelmässig eine Kopfsteuer erhoben. Ausserdem sind weit verbreitet : die Besitzwechselabgabe, die Hundesteuer, die Lustbarkeitssteuer und die Biersteuer. Finanziell die bedeutendste davon ist die Besitzwechselabgabe.

Hier und da bestehen noch andere Steuern, die jedoch ohne praktischen Belang sind. Bemerkenswert ist, dass eine allgemeine Gewerbesteuer sich nirgends, eine Kapitalrentensteuer sich nur in einer Gemeinde vorfand.

c) Die einzelnen Steuern,

a) Die Einkommensteuer. Bereits im Jahre 1901 wurde Einkommensteuer erhoben in rund 1800 Ge-

meinden mit 3,700,000 Einwohnern, während sie in 1400 Gemeinden mit nur 400,000 Einwohnern fehlte. Es betrug, die drei grossen Städte nicht mit ein- gerechnet, die Durchschnittseinwohnerzahl der Gemeinden mit Einkommensteuer rund 1500, der ohne Einkommensteuer rund 250 Einwohner. 91,4% aller Ein- wohner lebten schon damals in Gemeinden mit Einkommensteuer. Sämtliche Städte besitzen die Einkommensteuer, ebenso sämtliche Landgemeinden in den amtshauptmannschaftlichen Bezirken Annaberg, Chemnitz und Flöha. Seitdem haben weitere 296 Gemeinden diese Steuer bei sich eingeführt, so dass sich die Zahl der Einkommensteuer erhebenden Gemeinden auf rund 2100, diejenige der einkommensteuerlosen auf rund 1100 beläuft.

Die Ausgestaltung der Einkommensteuer im einzelnen weist eine solche Mannigfaltigkeit auf, dass ein Ueberblick nur sehr schwer zu gewinnen ist. Es würde auch nur einen sehr bedingten Wert haben, alle die vorhandenen Unterschiede neuerlich festzustellen. Von Interesse ist in der Hauptsache nur die Beantwortung der Frage, wie weit sich die Gemeindesteuersysteme der Staatseinkommensteuer anschliessen. Dass eine starke Anlehnung an die staat- liche Einkommensteuer insoweit besteht, als es sich um die begriffliche Be- stimmung des steuerpflichtigen Einkommens und die grundsätzliche Behand- lung der Einkommensquellen handelt, konnte bereits die Denkschrift von 1904 feststellen. Es ergab sich damals, dass bei rund 1400 Gemeinden von 1800 die Gemeindeeinkommensteuer mit der Staatseinkommensteuer verglichen werden konnte. Bei den übrigen 400 Gemeinden bestanden zahlreiche Abweichungen,

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292 Begründung zuln sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911 .

so das Verbot des Schuldzinsenabzugs, die Nichtheranziehung des Einkommens aus Grundbesitz, oder dessen Heranziehung nach errechneten Einkommens- sätzen, die besondere Behandlung von Renteneinkommen, gewerblichem Ein- kommen, Arbeitseinkommen bei gewerblichen Arbeitern. Die Annäherung an den staatlichen Einkommensbegriff hat seitdem weitere Fortschritte gemacht.

Das staatliche Einschätzungsergebnis benutzten:

Städte Landgemeinden im Jahre 1890 59 821

„ 1901 94 1341 „ 1910 110 1453

Die staatliche Klasseneinteilung benutzten:

Städte Landgemeinden im Jahre 1890 23 100

„ 1901 29 508 „ 1910 42 548

Zuschläge zur Staatseinkommensteuer erhoben, d. h. sowohl die Klasseneinteilung als auch die Sätze des Staatstarifs benutzten :

Städte Landgemeinden im Jahre 1890 13 229

„ 1901 15 422 „ 1910 28 464

Die übrigen Gemeinden haben, soweit sie überhaupt Einkommensteuer erheben, eigene Tarife, zum Teil auch sog. Einheitssätze (Simplen). Neben völlig proportionalen Einkommensteuern finden sich die verschiedensten Pro- gressionen von grösserer oder geringerer Folgerichtigkeit.

Die Mehrzahl der Gemeinden lässt die Steuerpflicht schon bei einem geringeren Einkommen als der Staat (400 M.) beginnen. Ueberhaupt keine Untergrenze hatten 1901 nicht weniger als 612 Gemeinden, eine niedrigere als der Staat 1354 Gemeinden; daran dürfte sich in der Zwischenzeit nur wenig geändert haben.

b) Die Grundsteuer.

Sie ist, abgesehen von der Hundesteuer, die verbreitetste Steuer. Sie fehlte

in Städten in Landgemeinden 1901 49 252 1910 42 124

Bemerkenswert ist, dass unter den Gemeinden ohne Grundsteuer die Städte einen verhältnismässig grossen Anteil haben. Immerhin zeigt die Entwicklung ein Vordringen der Grundsteuer.

Weitaus die meisten Gemeinden erheben Zuschläge zur staatlichen Grund- steuer (1901: 2906 von 2917 Gemeinden); die Zuschläge haben entweder eine absolut bestimmte Höhe oder richten sich nach der Höhe des Gesamtbedarfs, von dem sie einen bestimmten Bruchteil zu decken haben. Indessen mehren sich von Jahr zu Jahr die Gemeinden, die zu selbständigen Grundsteuern, insbesondere zur Grundsteuer nach dem gemeinen Werte übergehen.

Hier und da sind die Sätze der Grundsteuer ermässigt worden ; aber im ganzen kann man sagen, dass diese Steuer im Fortschreiten begriffen ist und dass Neigung zu ihrer besseren Ausgestaltung sich vielerorten zeigt.

Eine Anzahl von Landgemeinden zieht die auswärtigen Grundbesitzer 780

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(Grundstücksforenser) mit dem 17?fachen, doppelten oder gar 3- 5fachen Satze zur Grundsteuer heran und lässt sie dafür von der Einkommensteuer frei.

c) Die Kopfsteuer ist die älteste und einfachste Form der allgemeinen direkten Steuern. Sie wurde 1901 noch in 17 Städten und in 1506 Landgemeinden erhoben, in ersteren als Nebensteuer, in den letzteren zumeist als Hauptsteuer neben der Grundsteuer. Das bedeutete einen wesentlichen Rückgang in ihrer Verbreitung seit dem Jahre 1890, wo sie noch in weiteren rund 450 Gemeinden bestand. Im Jahre 1910 war sie noch in 1306 Städten und Landgemeinden vorhanden, so dass sich abermals ein Rückgang um 261 Gemeinden ergibt. Zahlreicher sind noch die Schulgemeinden und Kirchengemeinden mit Kopfsteuer, was sich aus den für diese geltenden Bestimmungen erklärt.

Die Sätze der Kopfsteuer sind in den einzelnen Gemeinden überaus ver- schieden und häufig innerhalb der Gemeinde nach den mannigfaltigsten Ge- sichtspunkten abgestuft.

d) Die Gewerbesteuern. Eine allgemeine Gewerbesteuer besteht in keiner Gemeinde, wohl aber

in beschränktem Umfange einige Gewerbesondersteuern, insbesondere die Be- triebssteuer von Gast- und Schankwirtschaften (1901: 611 Gemeinden) und von Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus, sowie die neuerdings in Land- gemeinden in Aufnahme gekommene Automatensteuer. Die Abgabe von Wander- lagern ist landesgesetzlich geregelt, finanziell aber ohne Belang.

Die Sondersteuer von Kleinhandelsgrossbetrieben weist eine rückläufige Bewegung auf; in 17 Gemeinden besteht sie noch, 19 haben sie wieder auf- gehoben.

e) Die Mietsteuer besteht noch in einigen wenigen Landgemeinden und hat ihre frühere Be- deutung völlig eingebüsst.

f) Besitzwechselabgaben wurden nach den Feststellungen der Denkschrift von 1904 im Jahre 1901 in sämtlichen Städten und 2416 Landgemeinden erhoben, wobei freilich diejenigen Landgemeinden noch gar nicht inbegriffen sind, in denen zwar eine solche Abgabe bestand, aber während jenes Jahres keine Besitzveränderung vorfiel. Seitdem ist eine Besitzwechselabgabe in 12 Landgemeinden eingeführt worden, so dass nur wenige Landgemeinden die Besitzwechsel frei lassen dürften. Die Abgabe wird in erster Linie zur Armenkasse, daneben vor allem für Kirche und Schule erhoben; sie schwankt im allgemeinen zwischen V3 und 1% un(i erreicht nur vereinzelt eine Höhe von IV2- 2%.

g) Die Biersteuer wurde erhoben im Jahre

1890 1901 1911 in Städten 42 85 97 in Landgemeinden . . 20 236 434

Hierzu kommt noch die Stadt Leipzig, die zwar die Biersteuer eingeführt, ihre Erhebung aber bis zum 1. April 1912 ausgesetzt hat.

Die Steuer ist gewöhnlich niedriger für Bier mit geringem Alkoholgehalte, wie dies ja vom 1. April 1915 ab ausnahmslos durch Reichsgesetz vorgeschrieben ist. Nur der örtliche Verbrauch wird besteuert; für wieder ausgeführtes Bier wird die Steuer zurückerstattet.

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294 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 80. November 1911.

h) Die übrigen Verbrauchssteuern

sind durch § 13 des Zolltarifgesetzes noch mehr wie bisher beschränkt worden. Sie werden nur noch in Bautzen von Fischen und Brennmaterialien erhoben.

i) Die Hundesteuer

ist durch das Gesetz vom 18. August 1868 allgemein vorgeschrieben und daher die verbreitetste Steuer; sie wurde 1901 in sämtlichen Städten und 3035 Land- gemeinden zur Kasse der politischen Gemeinde, einschliesslich Armenkasse, erhoben, ihre Höhe schwankt zwischen dem gesetzlichen Mindestsatze von 3 M. und 30 M.; zuweilen sind die Sätze gestaffelt. Ermässigungen bestehen für Gebrauchshunde.

k) Lustbarkeitssteuern

wurden 1901 von allen revidierten Städten, von den mittleren und kleinen Städten, mit Ausnahme einer, sowie von 2200 Landgemeinden erhoben; sie fehlten im wesentlichen nur in den kleinsten Gemeinden. Die Steuer fliesst überall in die Armenkasse. In Dresden ist neben die eigentliche Lustbarkeits- steuer im Jahre 1910 eine Billettsteuer nach dem Vorgange vieler preussischer Städte getreten.

1) Die sonst noch vorkommenden kleineren Steuern finden sich nur ganz vereinzelt und sind ohne grössere Bedeutung.

d) Das Steueraufbringen und der Anteil der einzelnen Steuern daran.

I. An Gemeindesteuern aller Art sind im ganzen Königreich erhoben worden rund:

Im Jahre liehe GemeS Für die Schule Für die Kirche Insgesamt

I M. M. M. M.

1890 20,500,000 11,500,000 3,500,000 35,500,000 1901 37,000,000 22,000,000 5,500,000 64,500,000 1910 57,500,000 36,000,000 9,000,000 102,500,000

Die Steigerung beträgt in Prozenten:

1890/1901 80,49 91,30 57,14 81,69 1901/1910 55,40 63,64 63,64 58,91 1890/1910 180,49 213,04 157,14 188,73

Lehrreich ist es, diesen Ziffern das Steuersoll aller Staatssteuern je im gleichen Jahre gegenüberzustellen. Es betrug rund:

Im Jahre 1890 . . . 29,000,000 M. „ 1901 . . . 46,000,000 „ „ 1910 . . . 81,000,000 „

Am auffälligsten und stärksten ist das Anwachsen der Schullasten, das indessen in den allerletzten Jahren wieder hinter die Steigerung des Steuer- bedarfs der bürgerlichen Gemeinde zurückgetreten ist, wie die nachstehende Uebersicht zeigt.

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 295

Im ganzen Königreich sind an Steuern insgesamt erhoben worden :

Für die bürger- . . Im Jahre liehe Gemeinde Für die . Schule Für die . Kirche Insgesamt

M. M. M. M.

1908 47,371,669 30,271,743 7,897,549 85,540,961 1909 51,972,501 31,193,270 8,429,337 94,595,108 1910 57,679,594 35,754,986 8,929,027 102,363,607

Die Steigerung beträgt in Prozenten:

1908-1910 I 21,76 | 18,11 | 13,06 | 19,67

II. Die auf den Kopf berechnete Belastung mit Gemeindesteuern (für bürgerliche, Schul- und Kirchengemeinde) beträgt (in Mark) :

In in den aen Im Durchschnitt vorkommende Niedrigste

vorkommende Höchste

In in den aen vorkommende vorkommende •Gemeinden mit der Jahre

Belastung Belastung Einwohnern 1899/1901 1908/1910 1899/1901 1908/1910 1899/1901 1 1908/1910

- 200 9,2 12,9 0,5 0,5 44,9 41,4 201- 500 7,3 10,5 1,0 0,8 34,2 47,4 501- 1,000 7,0 9,3 1,2 1,2 23,0 30,5

1,001- 1,500 6,9 9,6 1,4 3,4 26,0 47,3 1,501- 2,500 7,6 10,5 0,3 ' 0,2 26,3 43,2 -2,501- 5,000 9,0 12,0 0,8 3,7 20,4 32,1 5,001- 10,000 11,6 15,1 3,7 6,8 31,1 40,1

10,001- 20,000 13,9 18,4 9,0 9,5 20,1 29,0 20,001- 50,000 15,6 19,5 10,8 15,1 21,5 24,3 50,001-100,000 23,4 22,3 22,2 22,3 24,9 22,3

über 100,000 27,0 30,9 23,9 25,3 29,0 34,6

Die Uebersicht zeigt zunächst, dass die Durchschnittsbelastung mit der Einwohnerzahl und mit den Jahren wächst. Nur in den Städten mit einer Einwohnerzahl zwischen 50,001 und 100,000 Einwohnern ist sie seit der vor- letzten Ermittlung etwas zurückgegangen. Im übrigen darf bei Betrachtung der wachsenden Kopfbelastung - wie der meisten hier gegebenen Ziffern über- haupt - das gleichzeitige Steigen der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen nicht ausser acht gelassen werden.

Erneut rnuss auf den bedingten Wert der gegebenen Ziffern für die Beurteilung des Steuerdrucks und der Steuerverteilung hingewiesen werden. Das in der Denkschrift vom Jahre 1904 Gesagte gilt auch jetzt noch.

III. Der Anteil der einzelnen Steuerarten (für bürgerliche, Schul- und Kirchengemeinde zusammen) in absoluten Ziffern und im Verhältnis zum Auf- bringen der gesamten Steuern, und weiter je im Verhältnis zu den direkten oder indirekten Steuern in den Jahren 1908-1910 geht aus der folgenden uebersicht hervor. (Siehe Tabelle S. 296.)

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296 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911,

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 297

Aus dieser Uebersicht und aus ihrem Vergleiche mit der gleichen für die Jahre 1899 - 1901 aufgestellten Uebersicht ergibt sich folgendes.

1. Der Anteil der Einkommensteuer an der Deckung des Gesamtbedarfs ist in stetem Steigen begriffen (1899: 66,02 °/o, 1910: 74,11 °/o).

Untersucht man weiter, genau wie in der Denkschrift des Jahres 1904, den Anteil, welchen die Einkommensteuer bei den 1057 Gemeinden mit 506 und mehr Einwohnern, die das Einkommen aus Grundbesitz in normaler Weise heranziehen, an der Deckung des Gesamtbedarfs und des durch direkte Steuern zu deckenden Bedarfs in den Jahren 1908 - 1910 nimmt, so ergibt sich das aus folgender Tabelle ersichtliche Bild.

Durchschnittseinwohnerzahl Prozente Gemeinden i

des Aufbringens einschhesslich ohne

Zahl Einwohner Städte über 50,000 Einwohner

sämtlicher Steuern - 40 76 63,079 I 830 830

40- 50 77 85,231 1,107 1107 50- 60 142 172,977 1,218 1218 60- 70 222 376,632 1,697 1697 70- 75 132 1,161,714 8,801 2206 75- 80 112 903,723 8,069 3215 80- 85 115 583,339 5,073 4472 85- 90 102 599,542 5,878 4737 90- 95 63 214,752 i 3,409 3409 95-100 16 34,595 2,162 2162

der direkten Steuern - 50 128 128,432 1,003 1003

50- 70 267 311,867 1,168 1168 70- 75 100 162,366 1,624 1624 75- 80 128 271,422 2,120 2120 80- 85 88 833,369 9,470 2825 85- 90 116 1,279,838 11,033 3293 90- 95 100 491,393 4,914 4914 95-100 130 716,897 5,515 4619

Die Uebersicht bestätigt im ganzen nur die Wahrnehmungen der Denk- schrift von 1904. Den Höhepunkt erreicht die Durchschnittseinwohnerzahl nach wie vor bei Stufe 85 - 90°/o, was sich daraus erklärt, class eine Anzahl Städte ohne Grundsteuer die Einkommensteuer in dieser Höhe an der Deckung des Bedarfs teilnehmen lässt. Die Stellung der Grossstädte hat sich etwas ver- schoben; im Jahre 1910 deckte Dresden 71,2 °/o, Leipzig 71,1 °/o, Chemnitz 66,3 °/o, Plauen 84,4 °/o, Zwickau 72,6% des Gesamtsteuerbedarfs durch Einkommen- steuer. Die Grossstädte haben somit eine weitere Verschiebung des Schwer- punktes nach der Seite der Einkommensteuer vermieden, mit alleiniger Aus- nahme von Dresden, das durch den Verlust seiner Eingangsabgaben dazu ge- nötigt war.

2. Die Grundsteuer weist folgenden Anteil am Aufbringen der sämt- lichen und der direkten Steuern bei den bürgerlichen Gemeinden mit 500 und mehr Einwohnern auf, die in ihrer Einkommensteuer hinsichtlich des Grund-

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298 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

besitzes keine von der Staatseinkommensteuer abweichende Bestimmungen haben.

Durchschnittseinwohnerzahl Prozente Bürgerliche Gemeinden

des Aufbringen mit Oûne Zahl Einwohner gfcädte über 50>000 Einwohner

sämtlicher Steuern - 5 62 439,422 7,087 7087

5-10 140 548,529 3,918 3417 10-15 103 1,720,289 16,702 2984 15-20 159 364,451 2,292 2292 20-25 122 189,583 1,554 1554 25-30 99 143,536 1,450 1450 30-40 179 184,988 1,033 1033 40-50 75 67,173 896 896

über 50 17 16,268 957 957 der direkten Steuern

- 5 53 381,119 7,191 7191 5-10 127 549,550 4,327 3778

10-15 98 1,147,888 11,713 3267 15-20 154 908,730 5,901 2099 20-25 99 196,465 1,984 1984 25-30 103 160,088 1,554 1554 30-50 289 300,934 1,041 1041

über 50 33 29,465 893 893

Wenn diese Tafel das umgekehrte Bild wie die vorhergehende für die Einkommensteuer zeigt, indem sich hier die Bedeutung der Grundsteuer mit steigender Einwohnerzahl der Gemeinden vermindert, so beruht dies auf Ur- sachen, denen später nachzugehen sein wird (unten S. 318).

Die gleiche Erscheinung wiederholt sich bei der Betrachtung der Ge- meinden mit weniger als 500 Einwohnern.

Die Grundsteuer betrug:

In Prozenten des In Gemeinden n , onViM*ff Aufbringens der unter 5000 Einwohnern SÄSSl

n , onViM*ff

direkten Steuern ZM Einwohner

über 5-10 20 7,466 373 „ 10-15 31 11,022 358 „ 15-20 60 18,524 309 „ 20-25 76 21,148 278 „ 25-30 87 23,467 270 „ 30-40 272 70,918 261 „ 40-50 328 79,717 243 „ 50 1012 182,919 181

Summe 1886 415,251 II 220

In den Städten mit Revidierter Städteordnung bietet sich folgendes Bild. Von 76 Städten, die in der Einkommensteuer keine Besonderheiten bezüglich

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom SO. November 1911. 299

des Einkommens aus Grundbesitz haben, erhoben 1910 an Grundsteuern in Prozenten des Auf bringens der direkten Steuern :

O°/o 26 1- 5 „ 19 5-10 „ 17

10-15 , 10 15-20 „ 2 20-30 „ 2

Keine Grundsteuer wurde erhoben: Ehrenfriedersdorf, Geyer, Limbach, Frankenberg, Zschopau, Glauchau, Lichtenstein, Waidenburg, Riesa, Lommatzsch, Neustadt, Döbeln, Leisnig, Rosswein, Colditz, Auerbach, Falkenstein, Lengen- feld, Treuen, Markneukirchen, Oelsnitz, Plauen, Eibenstock, Lössnitz, Neustädtel, Schneeberg.

Bis 5% der direkten Steuern erhoben: Adorf, Annaberg, Bischofswerda, Buchholz, Burgstädt, Crimmitschau, Hohenstein- Ernstthal, Kamenz, Löbau, Meerane, Mylau, Netzschkau, Pulsnitz, Reichenbach, Sebnitz, Stollberg, Wald- heim, Werdau, Zittau.

5 - 10%: Aue, Bautzen, Borna, Freiberg, Hainichen, Kirchberg, Markran- städt, Oschatz, Penig, Pirna, Radeberg, Rochlitz, Schandau, Schöneck, Schwarzen- berg, Thum, Zwickau.

10 - 15 °|o : Chemnitz, Dippoldiswalde, Dresden, Grimma, Groitzsch, König- stein, Marienberg, Meissen, Nossen, Würzen.

15 - 20%: Leipzig, Olbernhau. 20- 30°/o: Pegau, Mittweida. 3. Die Kopfsteuer. Der stetige Rückgang der Bedeutung dieser Steuer

ist unverkennbar. Es werden noch durch Kopfsteuer gedeckt:

Prozent des Gesamtbedarfs für In Gemeinden Mit einer die bürgerliche, die Schul- mit mehr als Bevölkerung von und die Kirchengemeinde 500 Einwohnern Einwohnern

-10 62 742,261 über 10-20 50 77,516 „ 20-30 51 47,367 „ 30-40 43 30,576 „ 40-50 33 22,100 „ 50 13 10,043

Zusammen 252 Gemeinden mit 929,863 Einwohnern

Berücksichtigt man, dass sich unter diesen Gemeinden Dresden und Zwickau mit zusammen 620,420 Einwohnern befinden, so ergibt sich, dass es sich im übrigen um Gemeinden mit einer Durchschnittseinwohnerzahl von 1200 Einwohnern handelt. Von den Gemeinden unter 500 Einwohnern erheben noch 1349 Kopfsteuer für die bürgerliche, Schul- oder Kirchengemeinde.

4. Die Bedeutung der Gewerbesteuern - es handelt sich nur um Sondergewerbesteuern - ist ebenso wie diejenige der kleinen direkten Steuern noch weiter gesunken (1899/1901: 0,52%, 1908/1910: 0,32%).

5. Unter den indirekten Steuern ist zwar die Zuwachssteuer neu hinzu- getreten. Trotzdem hat sich ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen weiter nicht unerheblich verringert (von 13,08 auf 10,56%), was durch den Wegfall des grössten Teils der Eingangsabgaben in Dresden erklärt wird.

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300 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

Es deckten:

a) Durch die Besitzwechselabgabe b) Durch Biersteuer

Prozent Gemeinden und einer Prozent Gemeinden und einer ihres mit über Einwohner- ihres mit über Einwohner-

Gesamt- 500 Ein- zahl von Gesamt- 500 Ein- zahl von steuerbedarfs wohnern insgesamt steuerbedarfs wohnern insgesamt

- 1 204 231,625 - 1 5 11,142 - 2 212 377,892 - 2 60 1,010,604 - 3 161 322,552 - 3 103 551,294 - 4 152 1,061,563 - 4 101 518,700 - 5 95 250,851 - 5 55 136,860 über 5-10 268 1,912,172 über 5-10 43 61,150

„ 10-15 64 145,303 „ 10-15 6 5,608 „ 15-20 15 24,129 „ 20-25 8 8,598 „ 25-30 6 5,210 , 30-50 5 3,893 „50 - -

3. Die Mängel der Entwicklung. Wenn man an eine Kritik der bisherigen landesgesetzlichen Vorschriften

geht, so gebietet die Gerechtigkeit, zunächst festzustellen: sie haben den Ge- meinden die Möglichkeit einer glänzenden Entwicklung - weit hinausgehend über alles, was bei ihrem Erlasse überhaupt vorausgesehen werden konnte - gegeben; sie haben eine im allgemeinen brauchbare und feste Grundlage ge- bildet für das Finanzwesen der Gemeinden. Freilich fehlen neben dem Lichte auch die Schatten nicht; die bisherige Entwicklung des Gemeindesteuerwesens weist eine Reihe von Mängeln auf.

1. Die fast unbeschränkte Bewegungsfreiheit, die die Gemeinden bei der Ausgestaltung ihrer Steuerverhältnisse besitzen, hat in einer grösseren Anzahl von ihnen dazu geführt, class an einen Ausbau des Steuerwesens überhaupt nicht gedacht worden ist. Nach wie vor entscheidet ein unsicheres Herkommen, oder es bilden unzureichende ortsgesetzliche Beschlüsse die Grundlage der Abgabenerhebung. Aber auch dort, wo Steuerordnungen bestehen, finden sich vielfach Lücken, Unklarheiten, Widersprüche, Unstimmigkeiten, die eine sichere Handhabung unmöglich machen und die Rechtsprechung fortgesetzt vor schwierige und unfruchtbare Zweifelsfragen stellen. Es hat keinen Zweck, diese Mängel im einzelnen zu belegen; die Entscheidungen des Oberverwal- tungsgerichts geben genügend Zeugnis davon. Der Senatspräsident Dr. Wachler sagt über solche Steuerordnungen in einer Abhandlung (Fischers Zeitschrift Bd. XXV S. 145 f.):

„Sie bewegen sich oft in allgemeinen und unbestimmten Ausdrücken, aus denen der Beteiligte die Voraussetzungen, unter denen er steuerpflichtig sein soll, und den Umfang seiner Beitragspflicht nicht zu erkennen vermag. Nicht selten findet man zwar den allgemeinen Satz, dass der Gemeindebedarf durch eine Einkommensteuer aufzubringen sei, daneben aber weder den Ausspruch, dass sich die Veranlagung der Steuereinkommen der Staatseinkommensteuer anschliessen soll, noch die in Ermangelung eines solchen Anschlusses doch unentbehrlichen Bestimmungen über Begriff und Berechnung des Einkommens, zulässige Abzüge und dergleichen."

Diese Worte, die schon in der Denkschrift von 1904 angezogen worden sind, gelten auch noch heute. Zwar mag zugegeben werden, dass der Grund-

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 301

satz des Oberverwaltungsgerichts, Unklarheiten und Unvollständigkeiten immer zum Vorteil des Steuerpflichtigen und zum Nachteile der Gemeinde auszulegen, vielfach bessernd gewirkt hat, aber gründliche Wandlung hat er doch nicht schaffen können. Aufsichts wegen in allen solchen Fällen einzuschreiten und die Beseitigung jener Unstimmigkeiten zu verlangen, ist bisher, wohl mit Recht, soweit nicht ein unmittelbarer Anlass vorlag, vermieden worden : denn wenn schon eine Abhilfe gegenüber förmlichen Mängeln auf diesem Wege möglich gewesen wäre, so bestand doch keine Gewähr, angesichts der weit reichenden Steuerautonomie der Gemeinden, dafür, dass nicht eine solche er- zwungene Abänderung der Steuerordnung gleichzeitig zu materiellen Umge- staltungen des Steuerwesens führte, deren Nachteile grosser waren als der Vorteil der Behebung jener Mängel. So konnte z. B. das Verlangen der Auf- sichtsbehörde, der Grundsteuer eine bestimmtere und vollständigere Ausgestal- tung zu geben, zu dem ungewollten und unerwünschten Beschluss einer Ge- meinde, die Grundsteuer ganz aufzuheben, den Anlass geben.

Dass der weit gezogene Rahmen der landesrechtlichen Vorschriften von den Steuerordnungen der einzelnen Gemeinde in der verschiedensten Weise würde ausgefüllt werden, war vorauszusehen und widersprach wohl auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Soweit diese Verschiedenheiten den örtlichen besonderen Verhältnissen entspringen und entsprechen, sind sie zweifellos ge- rechtfertigt und verdienen Schutz. Selbst wo ihnen die tiefere Begründung fehlt, können sie unbeanstandet bleiben, sofern sie nur keine vorhandenen be- rechtigten Interessen verletzen. Anders dagegen, wo sie rein willkürlich sind und dem Steuerpflichtigen beschwerlich fallen. Diese letztere Voraussetzung trifft aber leider häufig zu, vor allem im sog. formalen Steuerrecht. Einem Steuerpflichtigen, der in 4 Gemeinden - sei es als Einwohner, sei es wegen Grundbesitz und Gewerbebetriebs - zur Einkommensteuer herangezogen wird, kann es z. B. heute begegnen, dass jede der vier Veranlagungen in ver- schiedener Weise anzufechten ist. In einer Gemeinde besteht kein Reklama- tionsverfahren, in den anderen ist es an Einspruchsfristen von 2, 3 und 4 Wochen gebunden. Nimmt man hinzu, dass diese Einspruchsfristen hier von der Behändigung des Steuerzettels, dort - trotz Zustellung eines Steuer- zettels - von einer vorher oder nachher erfolgenden Bekanntmachung im Amtsblatte, am dritten Orte aber von der öffentlichen Auslegung des Katasters ab laufen, ho wird man nicht verkennen können: derartige, innerlich kaum begründete Verschiedenheiten verlangen von dem Steuerpflichtigen ein unge- wöhnliches Mass von Wachsamkeit, wenn anders er sich nicht Nachteile zu- ziehen will. Sie bilden, vom Standpunkt der Gemeinden aus gesehen, belang- lose Willkürlichkeiten, vom Standpunkte des Steuerzahlers aus betrachtet, einen Uebelstand.

Erscheinen so die Bestimmungen des geltenden Steuerrechts zu weit ge- fasst, so erweisen sie sich anderseits als zu eng. Die tatsächliche Entwicklung hat eben an vielen Stellen den ihr vom Gesetz gesteckten Rahmen gesprengt. Das ist insbesondere bei der Ausgestaltung der Einkommensteuer zu bemerken. Mehr und mehr ist hier, um nur ein Beispiel zu nennen, in Sachsen wie ander- wärts, der Grundsatz der wirtschaftlichen Zugehörigkeit für die Steuerpflicht entscheidend geworden , während die Gemeindeordnungen durchaus noch an dem Grundsatze der Gemeindemitgliedschaft festhalten. Die Folge ist, dass sich das Ministerium des Innern je länger je mehr genötigt sah, von seiner Befugnis, Befreiung von den geltenden Rechtsbestimmungen zu erteilen, Ge- brauch zu machen, und dass heute kaum noch eine Steuerordnung verab- schiedet wird, ohne dass eine solche Befreiung zu einer Mehrzahl von Be- stimmungen erbeten und, im Interesse einer gerechten Besteuerung, erteilt werden muss.

2. Nur sehr unvollkommen regeln die Gemeindeordnungen die Abgren- zung der Besteuerungsrechte mehrerer Gemeinden gegenüber einem und dem- selben Steuerpflichtigen. Das ist an sich nicht wunderbar. Zur Zeit des Er- lasses der Gemeindeordnungen hatte das sog. interkommunale Steuerrecht noch

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302 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

nicht annähernd die gleiche Bedeutung wie heute. Die Fälle, dass jemand in mehreren Gemeinden einen Wohnsitz oder eine gewerbliche Niederlassung hat oder Grundstücke ausserhalb seines Wohnsitzes besitzt, haben mit der wirt- schaftlichen Entwicklung und der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse ausser- ordentlich zugenommen. Und damit haben sich auch die Klagen über die gemeindlichen Doppelbesteuerungen beständig gemehrt. Solche gemeindliche Doppelbesteuerungen werden um so drückender empfunden und für um so unbilliger gehalten, als das Reichsgesetz vom 1. Juni 1870, welches staatliche Doppelbesteuerungen ausschliesst, in dem Rechtsbewusstsein der Beteiligten immer mehr Wurzel gefasst hat. Die Mängel auf diesem Gebiete sind durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts in ein besonders helles Licht gerückt worden. Es hat entschieden, dass die Bestimmungen der Gemeinde- ordnungen, wonach Grundstückseinkommen regelmässig nur in der Belegen- heitsgemeinde, gewerbliches Einkommen regelmässig nur in der Betriebs- gemeinde steuerpflichtig sind, sich nur auf Einkommen aus sächsischem Grund- besitz und Gewerbebetrieb beziehen. Die Folge ist, dass die sächsische Wohn- ortsgemeinde beispielsweise Einkommen aus preussischem Grundbesitz oder Gewerbebetrieb voll zu ihrer Einkommensteuer heranziehen kann, so dass Doppelbesteuerung in vollem Umfange eintreten würde. Erfreulicherweise haben die sächsischen Gemeinden mit wenig Ausnahmen diese Folgerung nicht gezogen, in der richtigen Erkenntnis, dass ein solches Vorgehen nicht nur ein gleiches Verfahren in anderen Bundesstaaten nach sich ziehen, sondern auch dem von manchen Seiten gewünschten Erlasse eines Reichsdoppelbesteuerungs- gesetzes für die Gemeinden , das bei der Verschiedenheit der Verhältnisse in den Bundesstaaten wahrscheinlich grosse Härten für die Gemeinden enthalten würde, die Wege ebnen müsste.

Doppelbesteuerungsfälle, die zu einem Teil ausserhalb des eigenen Staates liegen, werden immer gewisse Schwierigkeiten bieten und durch materielle Gesetzesbestimmungen nicht restlos zu lösen sein. Ihnen begegnen manche der übrigen Bundesstaaten, insbesondere Preussen und Bayern, durch die im Gesetzeswege der Regierung erteilte Ermächtigung, solche Fälle im Wege der Uebereinkunft von Regierung zu Regierung zu ordnen. Da es der sächsischen Staatsregierung zurzeit an einer solchen Ermächtigung fehlt, hat sie sich an den hierauf gerichteten Bestrebungen bisher nicht beteiligen können.

3. Offenkundige und wesentliche Mängel bestehen in vielen Gemeinden auf dem Gebiete der Einkommensteuer, und zwar hinsichtlich der Einkommen- steuertarife. Gewiss gibt es keinen Tarif, der im Gegensatz zu allen anderen als schlechthin gerecht zu bezeichnen wäre ; gewiss ist auch die Wirkung eines jeden Tarifs in hohem Masse davon abhängig, ob seine einfachen Sätze, oder ein Bruchteil oder ein Vielfaches davon erhoben wird. Aber es haben sich doch im Laufe der Jahre in der Theorie wie im Bewusstsein der Allgemein- heit gewisse Anforderungen festgesetzt, denen ein Einkommensteuertarif ent- sprechen muss, wenn anders er als gerecht empfunden werden soll. Hierzu gehört vor allen Dingen die Berücksichtigung der geringeren Leistungsfähig- keit der kleinen, der höheren Leistungsfähigkeit der grösseren Einkommen, mit anderen Worten das Vorhandensein einer folgerichtigen und genügend langen Progression in den Steuersätzen. Vorbildlich ist in dieser Beziehung in Sachsen wie anderwärts der Staatseinkommensteuertarif geworden, der in Sachsen seine Sätze von V2 % hei 400 M. Einkommen bis auf 5 °/o bei 100,000 M. Einkommen ansteigen lässt. Es ist ganz natürlich, dass der Steuerzahler das Opfer, das er und das andere mit grösserem oder geringerem Einkommen für die Gemeinde bringen müssen, an dem misst, was er und was andere für den Staat zu zahlen haben.

Nun fehlt es bei vielen Gemeinden auch heute noch an einem gerechten Opferausgleich, d. h. an einem richtigen Verhältnis der Leistungen der Träger kleinerer und grösserer Einkommen. Zunächst gibt es immer noch Gemeinden, die einen proportionalen Tarif besitzen, also den gleichen Satz, beispielsweise 2 °/o von einem Einkommen von 500 M. wie von einem Einkommen von

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 303

10,000 M. erheben. Dass ein solcher Tarif mit den heutigen Begriffen von Steuergerechtigkeit in Widerspruch steht, bedarf keiner Ausführung. Ander- seits gibt es einzelne Gemeinden, die, wie schon die Denkschrift von 1904 darlegt, die Progression in das Ungemessene steigern, beispielsweise bis zu 80 °/o des Einkommens. Praktisch hat dieses ja nicht viel zu bedeuten ; denn eine solche Gemeinde wird von den Trägern grösserer Einkommen dauernd gemieden werden, so dass ein solcher Tarif nur sehr beschränkt in Anwendung' kommt. Dagegen gibt es viele Gemeinden, in denen der Tarif die folge- richtige Steigerung vermissen lässt : er steigt allmählich an bis zu den mitt- leren Einkommen, flaut aber dann ab, bleibt auf demselben Prozentsatz stehen oder geht gar zurück, um erst bei den grossen Einkommen die normale Auf- wärtsbewegung wieder zu gewinnen.

Aber alle diese Fehler treten an Bedeutung zurück gegen den weit ver- breiteten Hauptfehler: die unverhältnismässige Belastung der kleinen Ein- kommen im Verhältnisse zu den grossen. Hier sprechen Beispiele aus der Praxis deutlicher als allgemeine Ausführungen. Es zahlte im Jahre 1909 an Einkommensteuer der Träger eines

" an den *n c^er Gemeinde

kommens o. , - ,, Staat o. , - von M. ,,

A B C D E

450 1 2,50 9 13,50 12,- 5,20 1,200 13 17,41 36 36,- 32,- 13,90 2,400 46 45,21 83 72,- 64,- 27,80 4,500 140 105,55 162 135,- 120- 55,70 7,000 242 181,26 252 210,- 186,- 93,-

11,500 420 345,62 396 345,- - - 30,500 1235 1012,81 1080 915,- - -

Diese Beispiele sind willkürlich herausgegriffen und treffen nicht die drastischsten Fälle. Wohl aber ist bedeutsam, dass es sich dabei lediglich um Gemeinden handelt, die keine Grundsteuer haben, so dass die Träger der mitt- leren und grösseren Einkommen, die ausser in den grossen Städten des Landes zumeist Eigentümer des Grundbesitzes zu sein pflegen, nicht nur von der wohl- berechtigten Vorausbelastung mit Grundsteuer freibleiben, sondern ausserdem noch eine besondere Begünstigung bei der Einkommensteuer erfahren. Jeden- falls zeigen die Beispiele deutlich, dass in den betroffenen Gemeinden die Ge- meindeeinkommensteuer nach einem Tarife erhoben wird, der den heutigen Begriffen von Steuergerechtigkeit und Opferausgleich in keiner Weise ent- spricht, weil er die oberen Einkommen im Verhältnis zu den kleinsten Ein- kommen durchaus ungenügend heranzieht. Natürlich wiegt dieser Mangel um so schwerer, je einseitiger der Bedarf einer Gemeinde durch Einkommensteuer, ohne Zuhilfenahme anderer Steuern, gedeckt wird. Und damit gelangt man zur Besprechung eines weiteren Uebelstandes in der bisherigen Entwicklung. 4. Das geltende Recht und die Handhabung des Aufsichtsrechts durch die staatlichen Behörden gewährten den sächsischen Gemeinden die anderwärts ungekannte Füglichkeit, in ihr Steuersystem die verschiedensten Steuern auf- zunehmen. Trotzdem sind die Gemeinden fast durchgängig nicht dazu ge- langt, die Deckung ihres Steuerbedarfs auf besonders breiter Basis vorzu- nehmen. Das wird recht deutlich, wenn man die Gemeinden anderer deutscher Staaten zum Vergleich heranzieht. Während anderwärts der Gemeindebedarf zumeist, von kleineren Steuern abgesehen, durch mehrere Realsteuern - Grund-, Gewerbe-, Kapitalrentensteuern - und durch die Einkommensteuer gedeckt wird, die Besteuerung also gleichmässig auf dem Grundsatze des Interesses und demjenigen der Leistungsfähigkeit aufgebaut ist, haben in,

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304 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

Sachsen die Gemeinden je länger je mehr den Schwerpunkt ihres Systems in der Einkommensteuer gesucht. Neben ihr tritt die Bedeutung der übrigen Steuern, mit alleiniger Ausnahme der Grundsteuer zurück; ja eine Reihe von Gemeinden, darunter nicht wenige Städte, sind so weit gegangen, unter völliger Ausschaltung auch der Grundsteuer einzig und allein Einkommen- steuer zu erheben.

Eine derartige Entwicklung widerspricht dem Begriffe der Steuerge- rechtigkeit ebensosehr wie dem Staatsinteresse. Die Wissenschaft ist sich dar- über einig, dass die einseitige Gründung eines Steuersystems auf eine einzige Steuer, sei es auch die Einkommensteuer, verfehlt ist. Dies trifft ganz be- sonders für die Gemeindebesteuerung zu. Die Einkommensteuer kennt allein den Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit; nach ihr richtet sich oder soll sich richten die Steuerleistung des einzelnen. Dagegen wird sie dem zumal für die Gemeinden mit ihren zahlreichen wirtschaftlichen Zwecken wichtigen Grundsatze der Besteuerung nach dem Interesse, d. h. nach dem Masse der Vorteile, welche gewisse Gruppen von Gemeindemitgliedern von der Gemeinde ziehen, nicht gerecht. Hier können nur andere Steuern, die neben die Ein- kommensteuer treten, Aushilfe schaffen. Aber auch dem Grundsatz der Be- steuerung nach der Leistungsfähigkeit wird die Einkommensteuer nicht voll- kommen gerecht, weil sie das Einkommen als solches, ohne Rücksicht auf seine Quelle, und ohne Berücksichtigung seiner Nachhaltigkeit trifft. Auch hier erscheint eine Ergänzung durch andere Steuern am Platze.

Die einseitige Bevorzugung der Einkommensteuer zur Deckung des Ge- meindebedarfs hat schon heute in einer Anzahl Gemeinden diese Steuer auf eine ausserordentliche Höhe getrieben. Da der Gemeindebedarf fast überall in ständigem Steigen begriffen ist und bei der rastlosen Entwicklung des Gemeindewesens mit der Fortdauer dieser Erscheinung gerechnet werden muss, so wird die Höhe der im Steuerwege aufzubringenden Mittel weiter steigen. Hält die einseitige Inanspruchnahme der Einkommensteuer an, so wird die Gefahr ihrer Ueberspannung immer näher gerückt. Denn jede Steuer zeigt, wenn sie eine gewisse Höhe übersteigt, ungesunde Nebenerscheinungen, und diese werden bei der Einkommensteuer um so bedenklicher sein, als sie nicht nur den Gemeinden schaden, sondern auch das Staatsinteresse empfind- lich berühren. Staat und Gemeinde sind auf die Benützung der Einkommen- steuer gemeinsam durch den Gang der Entwicklung angewiesen. Hat nun ihre Ueberspannung die anderwärts beobachteten nachteiligen Folgen, dass grössere Einkommen sich dem Steuerdrucke durch Fortzug des Trägers ent- ziehen, und dass die Neigung zu Steuerhinterziehungen und unrichtigen De- klarationen bedenklich zunimmt, so wird hierdurch auch der Staat in Mit- leidenschaft gezogen.

Es ist unverkennbar, dass diese Erwägungen bisher nicht die nötige Be- achtung gefunden haben, und dass die Richtung, welche die Entwicklung ge- nommen hat, immer weiter von ihnen wegführt. Dafür, aufsichtswegen diesen Mängeln zu steuern, bot das bisherige Recht keine genügende Handhabe.

4. Die bisherigen Reformbestrebungen. 1. Die kurz dargelegten Mängel sind seit langen Jahren Gegenstand der

Erwägung sowohl bei der Staatsregierung als bei den Ständen gewesen. Be- reits in den Jahren 1892 und 1895 hat das Ministerium des Innern in General- verordnungen auf die Gefahren übermässiger Benützung der Einkommensteuer hingewiesen und empfohlen, tunlichst auf die Benützung anderer Steuerquellen durch die Gemeinden hinzuwirken; auch ist auf den Landtagen 1893/94 und 1897/98 eine gesetzliche Neuregelung des Gemeindesteuerwesens in der Zweiten Kammer angeregt worden. Greifbare Gestalt aber gewinnen die auf dieses Ziel gerichteten Bestrebungen zunächst in dem Antrag Mehnert-Georgi. Er enthält in erster Linie ein Reformprogramm für die direkten Staatssteuern, wünscht aber im Anschluss hieran auch eine Neuordnung des Gemeindesteuer- wesens, und zwar in folgendem Sinne:

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. gQ^

„Die Vorschriften über die Aufbringung der Gemeindeanlagen sind be- hufs tunlicher Abgrenzung des Besteuerungsgebiets einerseits des Staats und anderseits der Gemeinden anderweit, und zwar nach der Richtung hin zu regeln, dass der Mitbenützung der Steuerquellen des Staats durch die Ge- meinden bestimmte Schranken gezogen und zum Ersatz hierfür den Gemeinden eigene Steuerquellen eröffnet werden. Hierbei würde namentlich auf Einfüh- rung einer Gewerbesteuer als kommunaler Ergänzungssteuer zur Einkommen- steuer Bedacht zu nehmen sein."

Dieser Antrag wurde von der Zweiten Kammer im Jahre 1900 mit 64 gegen 6 Stimmen angenommen; in der Ersten Kammer kam er nicht mehr zur Behandlung.

2. Im Jahre 1901 legte die Regierung den Ständen eine Denkschrift über die Regelung des Gemeindesteuerwesens vor. Diese gelangte nach Darlegung der bisherigen Entwicklung, ohne bestimmte Vorschläge zu machen, im wesent- lichen zu folgenden Schlüssen :

„Reformbedürftig ist zunächst nur die Stellung der Gemeinden zur Ein- kommensteuer. Die Grenzen zwischen Staats- und Gemeindebesteuerung müssen scharf gezogen werden ; die Einkommensteuer gehört in erster Linie dem Staat. Deshalb ist den Gemeinden die Mitbenützung der staatlichen Einkommensteuer durch Erhebung von Zuschlägen zu untersagen, sie müssen vielmehr, soweit sie überhaupt auf die Besteuerung des Einkommens zukommen wollen, eine eigene Einkommensteuer mit besonderer, den örtlichen Verhältnissen ange- passter ansteigender Skala erheben, deren Höhe auf einen bestimmten Prozent- satz des Einkommens , etwa 3 °/° > beschränkt wird. Im übrigen sind die Ge- meinden auf die Erhebung von Grund- und Gewerbesteuern, die sie nach ihrer Wahl ausgestalten können, zu verweisen."

Zu einer Beschlussfassung über diese Denkschrift ist es im Landtage nicht gekommen, da man die baldige Einreichung einer Gesetzesvorlage er- wartete. In der Verhandlung der Zweiten Kammer gingen die Meinungen weit auseinander ; nur der Gedanke einer allgemeinen Gewerbesteuer fand eine überwiegende Ablehnung.

3. Im Jahre 1904 legte die Staatsregierung den Ständen ein Dekret, die Neuordnung des Gemeindesteuerwesens betreffend (Nr. 29), nebst dem Entwürfe eines Gemeindesteuergesetzes vor. Es enthielt eine Statistik des Gemeinde- abgabenwesens auf breitester Grundlage1). Die wichtigsten Grundgedanken des Gesetzentwurfs waren folgende:

a) Die Gemeindeeinkommensteuer ist eng an die Staatseinkommensteuer anzuschliessen, darf daher nur auf Grund der Veranlagung zu dieser und in der Regel nur in Form von gleichmässigen Zuschlägen erhoben werden. Ein- kommen zwischen 200 und 400 M. dürfen nur mit gewissen Beschränkungen zur Steuer herangezogen werden.

b) In jeder Gemeinde, in der direkte Steuern erhoben werden, muss eine Grundsteuer erhoben werden, durch die in der Regel ein Viertel des durch direkte Steuern aufzubringenden Bedarfs zu decken ist.

c) Ebenso ist überall eine allgemeine Gewerbesteuer zu erheben, deren Höhe im Gesetze geregelt ist und sich nach dem gewerblichen Einkommen, dem Mietwerte der Gewerberäume und der Zahl der gewerblichen Hilfs- personen abstuft.

d) Kopfsteuern dürfen nicht neu eingeführt werden; bestehende unter- liegen der Herabsetzung oder Aufhebung durch die Aufsichtsbehörden, wenn sie Härten im Gefolge haben.

e) Ferner sind vorgeschrieben : eine Betriebssteuer von Gast- und Schank- wirtschaften, sowie dem Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus, eine Tanz- steuer, eine Besitzwechselabgabe, in Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohnern eine Biersteuer im reichsgesetzlichen Höchstbetrage, in Gemeinden mit mehr als 10,000 Einwohnern eine Zuwachssteuer.

!) Der wesentlichste Inhalt wurde mitgeteilt im Finanzarchiv 21 (1904) S. 186 if. Finanzarchiv. XXXI. Jahrg. 793 20

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306 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911».-

f) Das formale Steuerrecht wird geregelt, die Besteuerungsrechte der Ge- meinden in Doppelbesteuerungsfällen gegeneinander abgegrenzt.

g) Von Einkünften aus der Gewerbesteuer sowie von den Sparkassen- überschüssen ist ein Teil an den Bezirksverband abzuliefern, der daraus Zu- schüsse an Gemeinden mit starker Arbeiterbevölkerung, sowie Wegebaubeihilfen zu gewähren hat (sog. Bezirksausgleich).

Der Entwurf fand in der Zweiten Kammer - die erste hat zu ihm keine Stellung genommen - eine fast allgemeine Gegnerschaft, vor allem aus fol- genden Erwägungen : Die Einengung der Gemeindeautonomie gehe weit über das Bedürfnis hinaus. Auf die verschiedenen Verhältnisse und Bedürfnisse der einzelnen Gemeinden sei keine Rücksicht genommen, unannehmbar sei die Gewerbesteuer, unannehmbar auch der Bezirksausgleich. Die Regelung des Steuerwesens der politischen Gemeinden sei nur denkbar, wenn gleichzeitig die Kirchen- und Schulanlagen neu geordnet werden.

Die Gesetzgebungsdeputation, an die der Gesetzentwurf abgegeben worden, war, erstattete einen Bericht, der in eine Reihe von Leitsätzen ausmündete. In Uebereinstiinmung mit ihm beschloss die Zweite Kammer:

I. die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, an Stelle des mittels De- krets Nr. 29 vorgelegten Gesetzentwurfs dem nächsten Landtage einen Gesetz- entwurf über die Neuordnung des Gemeindesteuerwesens vorzulegen, welcher sich auf die politischen, Schul- und Kirchgemeinden bezieht und bei dessen Verabfassung im allgemeinen unter anderem von folgenden Leitsätzen aus- zugehen :

A. Einkommensteuer. 1. In wirtschaftlich entwickelten Gemeinden wird die Gemeindeeinkommen-

steuer nach wie vor als Hauptsteuer beizubehalten sein. 2. Das Gesamtaufkommen der Gemeindeeinkommensteuer soll in der Regel

einen im Gesetz noch festzulegenden Prozentsatz des Aufkommens der Staats- einkommensteuer nicht übersteigen. Ausnahmen von dieser Regel darf 'die Aufsichtsbehörde die Genehmigung dann nicht versagen, wenn neben der Ge- meindeeinkommensteuer Grundsteuer, Besitzwechselabgaben, Schanksteuer und Abgabe vom Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus, gegebenenfalls Zu- wachssteuer und Biersteuer sämtlich in noch zu bestimmender Höhe er- hoben wird.

3. Gemeindesteuern vom Einkommen dürfen nur auf Grund der Veran- lagung zur Staatseinkommensteuer erhoben werden.

4. Der Gemeinde ist nachzulassen, die Gemeindeeinkommensteuer in Form von gleichmässigen Zuschlägen zur Staatseinkommensteuer, oder nach von der Gemeinde zu bestimmenden Klassen und Steuersätzen zu erheben.

Die in den Gemeinderegulativen bestehenden selbständigen Progressionen bleiben aufrecht erhalten, soweit nicht willkürlich und innerlich unbegründete Verschiedenheiten bestehen, welche zu einer ungerechtfertigten und empfind- lichen Ueberlastung der unteren oder mittleren Einkommen bei Schonung der grossen führen oder umgekehrt.

5. Bestimmungen, welche zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Interesse des Steuerpflichtigen dienen (vgl. §§ 12 - 18 des Entwurfs) sind not- wendig und regeln auch zweckmässig das Steuerrecht der beteiligten Gemein- den untereinander.

6. Bezüglich der Befreiungen von der Gemeindeeinkommensteuerpflicht ist im allgemeinen der bestehende Zustand aufrecht zu erhalten.

7. Unter welchen Voraussetzungen Einkommen unter 400 M. ganz von der Gemeindeeinkommensteuer frei zu lassen, oder zu einem ermässigten Steuersatz zur Steuer heranzuziehen sind, ist im Gesetz zu bestimmen.

8. Befreiungen, welche bisher zugunsten des Staatsfiskus bestanden haben, bleiben bestehen, neue Befreiungen des Staatsfiskus sind nicht einzuführen.

9. Die Bestimmungen des § 30 der revidierten Städteordnung und § 23 der revidierten Landgemeindeordnung, nach welchen, wenn Gemeindeanlagen nach dem Massstabe des Einkommens erhoben werden, festes Diensteinkommen,.

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Page 20: Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911

Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. gQy

Wartegeld und Pension nur zu Ajh in Anschlag zu bringen sind, haben im Gesetze nicht Aufnahme zu finden.

Für Personen, welche nach den Bestimmungen der vorerwähnten Gesetzes- paragraphen Ermässigung bei der Gemeindeeinkommensteuer bisher genossen haben, bleiben diese Bestimmungen so lange aufrecht erhalten, als diese Per- sonen nicht Gehalts- oder Lohnerhöhungen erhalten und annehmen.

B. Grundsteuer. 1. In jeder Gemeinde, in welcher direkte Steuern erhoben werden, ist

eine allgemeine Steuer vom Grundbesitz zu erheben. 2. Die Grundsteuer hat in der Regel mindestens das Aufkommen der

Staatsgrundsteuer in der Gemeinde zu betragen. 3. Die Grundsteuer ist über dieses Mass zu erhöhen, wenn den Grund-

besitzern besondere wirtschaftliche Vorteile durch die Gemeinde erwachsen oder Veranstaltungen bestehen, welche den Grundbesitzern vorzugsweise zum Vorteile gereichen und nicht durch besondere Beiträge ausgeglichen werden.

4. Der zulässige Massstab der Veranlagung der Grundsteuer (vgl. §§ 24 bis 26 des Entwurfs) ist im Gesetze zu bestimmen.

5. Die Grundsteuer darf nicht ausser Verhältnis zur übrigen Leistungs- fähigkeit der Gemeinde stehen.

C. Gewerbesteuer. 1. Die Erhebung einer allgemeinen Gewerbesteuer ist nicht vorzuschreiben. 2. Die Einführung von Gewerbesteuern bleibt den Gemeinden gestattet.

D. Kopfsteuer. 1. Kopfsteuern dürfen nicht neu eingeführt werden. 2. Die Aufhebung oder Herabsetzung einer bestehenden Kopfsteuer kann

von der Aufsichtsbehörde zur Beseitigung einer unverhältnismässigen Belastung einzelner Klassen von Steuerpflichtigen angeordnet werden.

E. Schanksteuer für Gast- und Schankwirtschaften. Die Erhebung der gesonderten Abgabe von Gast- und Schankwirtschaften

(Schanksteuer) ist den Gemeinden nachzulassen.

F. Betriebssteuer für den Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus.

1. Für jede Betriebsstätte ist jährlich eine besondere Betriebssteuer zu entrichten.

2. Im Gesetz ist ein Höchstmass und Mindestmass der Betriebssteuer festzusetzen.

3. Die Festsetzung der Betriebssteuer ist den Gemeinden zu überlassen. Als Massstab für die Höhe der Steuer gilt in der Regel der Umsatz.

G. Biersteuer. Den Gemeinden ist die Erhebung von Biersteuer nachzulassen.

H. Andere Verbrauchssteuern. Zur Einführung von anderen Verbrauchssteuern bedarf es der Genehmi-

gung des Ministeriums des Innern.

I. Tanzsteuer. Es sind zunächst Erörterungen über die Durchführbarkeit der Tanzsteuer

sowie darüber anzustellen, ob die Einführung der Tanzsteuer das Einkommen 795

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Page 21: Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911

3Qg .Begründung zum Bächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

der Tanzwirte wesentlich beeinträchtigen, oder ob die Steuer von den Tanz- lustigen getragen werden wird. Es ist eine Tanzsteuer nicht vorzuschreiben, wenn sich durch die Erörterung ergibt, dass dieselbe im wesentlichen vom Tanzwirte zu tragen sein würde.

K. Besitzwechselabgaben. 1. Die Besitzwechselabgabe ist vorzuschreiben. 2. Für die gesetzliche Regelung sind Mindestsätze und Höchstsätze auf-

zustellen. Es ist zu bestimmen, welchem Höchstsatze die Aufsichtsbehörde die Genehmigung nicht versagen darf.

L. Zu wach ss teuer. 1. In allen Gemeinden ist bei Veränderungen im Besitze von unbebautem

Gelände infolge Veräusserung von dem Veräusserer in der Regel eine Steuer nach derjenigen Werterhöhung zu erheben, die durch aussergewöhnliche, d. h. nicht in der regelmässigen Benutzung begründete Verhältnisse herbei- geführt wird. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung des Ministeriums des Innern.

2. Die Höhe der Zuwachssteuer bestimmt die Gemeinde, es ist nur das zulässige Höchstmass im Gesetze festzusetzen und der Massstab für die Höhe (z. B. hohe Wertsteigerung in kurzer Zeit).

M. Bestimmungen über den Bezirksausgleich. Die Bestimmungen über den Bezirksausgleich stehen mit dem Gemeinde-

steuergesetz nur in sehr losem Zusammenhange, es empfiehlt sich, diese Be- stimmungen bei Revision des Gesetzes, die Bildung von Bezirksverbänden und deren Vertretung betreffend, mit zu regeln.

II. die königl. Staatsregierung zu ersuchen, den neu aufzustellenden Ge- setzentwurf vor dessen Vorlegung an die Stände öffentlich bekannt zu geben, damit den beteiligten Kreisen Gelegenheit geboten wird, die Bestimmungen des Entwurfs zu prüfen und ihre Wünsche zu äussern.

III. die eingegangenen Petitionen, soweit sie nicht durch die gefassten Beschlüsse Erledigung gefunden, auf sich beruhen zu lassen.

Die Erste Kammer hat zu diesem Beschlüsse keine Stellung genommen. Die Zeit zwischen diesen Vorgängen und der Einbringung der jetzigen

Vorlage benützte die Staatsregierung, um nochmals die Kreis- und Amtshaupt- mannschaften sowie eine grössere Anzahl von Gemeindevertretern mit ihren Bedenken und Wünschen schriftlich zu hören. Weiter aber gab sie im April dieses Jahres einem Kreise sachkundiger Herren, unter denen sich Mitglieder beider Kammern befanden, Gelegenheit, im Wege des mündlichen Gedanken- austausches die massgebenden Grundsätze für eine Steuerreform zu erörtern. Aus beiden Veranstaltungen sind ihr zahlreiche und wertvolle Anregungen erwachsen*

5. Die leitenden Gedanken des Entwurfs. a. Allgemeines.

1. Ziel der Reform ist die Beseitigung der bereits gekennzeichneten Uebel- stände im Gemeindesteuerwesen. Haben diese ihre letzte Ursache in der all- zuweitgehenden Autonomie der Gemeinden, so ergibt sich, dass ihre Be- kämpfung nicht möglich ist ohne eine Einschränkung des kommunalen Selbst- verwaltungsrechts. Sie kann auf zweifache Weise erfolgen: entweder durch Stärkung der aufsichtsbehördlichen Befugnis oder durch Schaffung gewisser gesetzlicher Grenzlinien für die freie Entschliessung der Gemeinden. Der Entwurf wählt den zweiten Weg. Er hat den Vorzug, dass er den Gemeinden klar und bestimmt den Umfang ihrer Bewegungsfreiheit auf dem Gebiete der Steuerautonomie erkennbar macht, und dass er vor allem die bisher vermisste Einheitlichkeit der Entwicklung für die Zukunft verbürgt.

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November ion. g()9

Ist sonach die Einengung des Selbstverwaltungsrechts unvermeidlich, so soll sie doch auf das unbedingt Notwendige beschränkt werden. In allen Rich- tungen, in denen weder das Interesse des Staats noch dasjenige des Steuer- pflichtigen die Setzung einer Grenze fordert, soll den Gemeinden ihre alte Bewegungsfreiheit erhalten bleiben - in voller Würdigung der Tatsache, dass jene Bewegungsfreiheit an dem Aufblühen der Gemeinden einen wesentlichen Anteil gehabt hat. Sie wird auch in Zukunft eine Bedeutung behalten, die nicht selten über den Kreis der einzelnen Gemeinde hinausgeht. Die Fragen der Steuerlehre befinden sich in beständigem Flusse. Die Gemeinden werden auch künftig befähigt und befugt sein, neuen Erkenntnissen der Theorie und neuen Wünschen der Praxis nachzugehen. Gerade sie sind hierzu weit mehr in der Lage als der Staat, weil sie die Wirkung neuer Massnahmen , die auf dem Gebiete der Besteuerung häufig den Charakter des Experiments tragen, leichter übersehen, und weil sie schneller wieder beseitigen können, was sich nicht bewährt. Ein Beispiel für die Wirksamkeit der Gemeinden nach dieser Richtung ist die Zuwachssteuer, die wohl kaum so bald Reichssteuer geworden wäre , wenn sie nicht von vorgeschrittenen Gemeinden bereits erprobt ge- wesen wäre.

Die Aufstellung gewisser zwingender Richtlinien für das Steuerwesen nötigt naturgemäss eine Anzahl von Gemeinden ihre Steuerverfassung umzu- gestalten. Das ist nicht zu umgehen; denn wollte man all die zahllosen Eigentümlichkeiten, welche sich im Steuerwesen der verschiedenen Gemeinden entwickelt haben, schon deshalb für berechtigt und der Erhaltung wert er- achten, weil sie einmal vorhanden und eingelebt sind, so würde man auf eine wirksame Reform überhaupt verzichten müssen. Wohl aber nimmt der Ent- wurf auf ein Doppeltes Bedacht : einmal in die bestehenden Steuerverfassungen nur insoweit einzugreifen, als es der Zweck der Reform erheischt, und zum andern den Gemeinden zur Anpassung an die neuen Vorschriften eine reich- lich bemessene Zeit zu lassen.

2. Der Entwurf bezweckt eine Steuerreform, keine Gemeindefinanz- reform. Wohl sind wiederholt auch Wünsche laut geworden, die auf eine Finanzreform hinausliefen ; aber selbst wenn sie berechtigt wären, würden sie im Wege einer gesetzlichen Vorlage nicht erfüllt werden können. Die Ge- sunderhaltung und, wo es nötig ist, Besserung der Gemeindefinanzen, ist keine Aufgabe der Gesetzgebung, sondern der Verwaltung, des verständnisvollen Zusammenwirkens von Gemeinde und Aufsichtsbehörde. Von diesen Er- wägungen ausgehend enthält der Entwurf lediglich einige wenige, die Ge- meindefinanzen im allgemeinen betreffenden Bestimmungen, deren Aufnahme um deswillen gerechtfertigt und notwendig erschien, weil von ihrer Durch- führung die Höhe des Steuerbedarfs massgebend beeinflusst wird.

Aus der Beschränkung auf das Steuerwesen, d. h. auf die Regelung der Beziehungen zwischen Gemeinde und Steuerpflichtigen, ergab sich aber weiter, dass für den sog. Bezirksausgleich kein Platz im Gesetze ist. Er befasst sich mit den Beziehungen von Gemeinde zu Gemeinde, zwischen Wohngemeinden und Betriebsgemeinden, und erweist sich bei tieferer Betrachtung nicht als Steuerproblem , sondern als Problem der Verwaltungsorganisation. Die Ein- beziehung dieser schwierigen und bekanntlich überaus bestrittenen Frage in die Gemeindesteuergesetzgebung lehnt die Staatsregierung in Uebereinstim- mung mit den Leitsätzen der Gesetzgebungsdeputation der Zweiten Kammer vom Jahre 1904 ab, behält sich indessen vor, darauf bei anderer Gelegenheit zurückzukommen.

3. Die Staatsregierung hält ferner, gleichfalls in Uebereinstimmung mit der Zweiten Kammer des Jahres 1904, die gleichzeitige Regelung des Steuer- wesens der Schulgemeinden und Kirchengemeinden für einen notwendigen Teil einer gründlichen Steuerreform. Sie legt daher ausser dem Gemeindesteuer- gesetze die Entwürfe eines Schul- und eines Kirchensteuergesetzes vor. Die Summe der Steuern, die für die bürgerliche Gemeinde, die Schulgemeinde und die Kirchgemeinde ausgeschrieben werden, stellt sich auch dort, wo die

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310 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

Ausschreibung nicht in der Form von Zentralanlagen geschieht, dem Steuer- pflichtigen ganz allgemein als Einheitslast dar, deren Verteilung auf die ver- schiedenen Kassen für ihn ohne tieferes Interesse ist. Die Beseitigung von Mängeln im Steuerwesen wird ihm daher nur dann fühlbar werden, wenn sie sich auf alle drei Gemeinden erstreckt.

Ist sonach die gleichzeitige Regelung des Schul- und Kirchensteuerwesens angebracht, so ist doch auf der anderen Seite geboten, diese Regelung der drei Gemeinden getrennt zu halten. Hierzu musste nicht nur der Umstand, dass es sich um drei völlig selbständige, mit Steuerbefugnissen ausgestattete und verschiedenen Aufsichtsbehörden unterstehende Rechtssubjekte handelt, sondern vor allem auch die Rücksicht auf Klarheit und Uebersichtlichkeit der ohnehin nicht immer einfachen Gesetzesvorschriften raten.

4. Neben den bürgerlichen Gemeinden bestehen noch die mit Besteue- rungsrechten ausgestatteten Ortsarmenverbände, die teils mit ihnen zusammen- fallen, teils sich aus einer Mehrheit von Gemeinden und selbständigen Guts- bezirken zusammensetzen. Er könnte einen Augenblick in Frage kommen, ob man die Rollen der Ortsarmenverbände den Gemeinden und Gutsbezirken schlechthin zuweisen, also jede Gemeinde und jeden Gutsbezirk zu einem selb- ständigen Ortsarmenverband machen soll; die Armenlasten würden alsdann nur einen Bestandteil der allgemeinen Gemeindelasten gebildet haben. So er- wünscht die dadurch erzielte Vereinfachung in steuerlicher Beziehung gewesen wäre, so musste doch eine aus der Erfahrung gewonnene Erkenntnis von einem solchen Schritte abraten. Sehr kleine Ortsarmenverbände haben naturgemäss mit einem starken Schwanken der Armenlasten zu rechnen ; während mehrere Jahre hindurch vielleicht überhaupt keine Ausgaben für Armenpflege zu machen sind, treten in der Folgezeit mehrere Unterstützungsfälle gleichzeitig an den Verband heran. Dies führt zu einer unliebsam empfundenen Ungleichmässig- keit des jährlichen Steuerbedarfs ; vor allem aber haben zuweilen die Orts- armen selbst unter dem Umstand, dass schon der einzelne Unterstützungsfall in der Höhe der Steuern fühlbar wird, zu leiden. Mit Rücksicht darauf ist an der bestehenden Organisation nichts geändert worden. Dagegen sind die Bestimmungen über Gemeindesteuern auf die Abgaben zur Armenkasse zwecks Beseitigung der auf diesem Gebiete von jeher bestehenden Zweifelsfälle für anwendbar erklärt worden.

b. Der Schutz der Einkommensteuer vor Ueberspannung. Die Einkommensteuer ist eine Steuerquelle, auf deren gemeinsame Be-

nützung Staat und Gemeinden angewiesen sind. Sie ist überdies, beim Staat wie in der Mehrzahl der Gemeinden, die Hauptsteuer, neben deren Ertrags- fähigkeit die übrigen Steuern zurücktreten. Und sie ist endlich diejenige Steuer, welche die breiteste Basis besitzt, und durch die daher auch bedeutende Mittel im Falle ausserordentlichen Bedarfs in relativ am wenigsten drückender Weise aufgebracht werden können. Die Erhöhungsfähigkeit der Einkommen- steuer bildet mithin die wertvollste stille Reserve des Staats und der Gemein- den für den Fall der Not. Das Staatswohl gebietet, auf eine solche Reserve zu halten. Deshalb ist es eine berechtigte Forderung des Staats gegenüber den Gemeinden, dass sie die Einkommensteuer nicht übermässig in Anspruch nehmen, sie überspannen.

Die Gefahr, dass dies geschieht, liegt unleugbar vor. Der durch den Ertrag eigenen Vermögens nicht gedeckte Bedarf aller vorwärts schreitenden Gemeinden wächst beständig, und zwar in der Regel stärker als die Leistungs- fähigkeit des einzelnen Steuerzahlers; ein Ende dieser Entwicklung ist zurzeit nicht abzusehen. Wird nun dieser Bedarf ausschliesslich oder doch fast aus- schliesslich durch Erhebung von Einkommensteuer gedeckt, so muss diese all- mählich eine Höhe erreichen, die ihre weitere Erhöhung beim Eintritt ausser- ordentlicher Ereignisse untunlich erscheinen lässt. Tatsächlich nimmt in vielen Gemeinden die Entwicklung diesen Lauf, die Einkommensteuer bildet

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30« November 1911. ß^J

dort den einzigen beweglichen Faktor unter den Einnahmen, jede Steigerung des Bedarfs fällt ihr allein zur Last.

Eine solche ausschliessliche Verweisung des steigenden Bedarfs auf die Einkommensteuer führt allmählich zu einer Ueberspannung der Einkommen- steuer und verletzt damit das Interesse des Staats, d. h. der Allgemeinheit der Steuerzahler des ganzen Landes. Sie läuft aber weiter auch dem Interesse der Gemeinde selbst zuwider , indem sie die leistungsfähigsten Steuerzahler zum Wegzug veranlasst und den Zuzug steuerkräftiger Elemente unterbindet. Und nicht zuletzt hat sie eine ungerechte Verteilung der Steuerlast auf die Steuerzahler zur Folge.

Man bezeichnet heute die allgemeine Einkommensteuer als die voll- kommenste Steuer. In der Tat entspricht sie dem heutigen Ideal von Steuer- gerechtigkeit, wie es die überwiegende Mehrheit empfindet, am meisten, weil sie ausschliesslich auf dem Grundsatze der Besteuerung nach der Leistungs- fähigkeit beruht. Es ist unverkennbar , class neben ihm der Grundsatz der Besteuerung nach Massgabe des Interesses - Leistung gegen Leistung - im Volksbewusstsein an Zugkraft verloren hat, obwohl er von Hause aus vielleicht einleuchtender begründet ist. Der Grundsatz der Besteuerung nach der Lei- stungsfähigkeit bildet heute, mit Recht, die Hauptgrundlage jedes öffentlichen Steuersystems, wobei freilich dahingestellt bleiben mag, ob er seine Beliebt- heit in weiten Kreisen nicht dem Umstände verdankt, dass bei seiner Anwen- dung in der Hauptsache „die andern" zahlen, d. h. eine kleine Minderheit der sehr leistungsfähigen.

So berechtigt aber der Grundsatz der Leistungsfähigkeit als Hauptgrund- lage der Besteuerung ist, so verfehlt ist er als alleinige Besteuerungsgrund- lage. Es ist ein Gebot der Billigkeit und eine in der Steuerwissenschaft all- gemein als berechtigt anerkannte Forderung, dass neben ihn der Grundsatz der Besteuerung nach dem Interesse trete, d. h. dass diejenigen Kreise der Bevölkerung, die von den Einrichtungen der Gemeinde und von ihrer Ent- wicklung in erster Linie Vorteil haben, diese Bevorzugung durch eine höhere Steuerleistung einigermassen entgelten. Die Besteuerung des Einkommens vermag diesem Grundsatze nicht gerecht zu werden, und deshalb wirkt sie, als alleiniger Besteuerungsmodus, ungerecht.

Endlich aber entspricht, entgegen der landläufigen Annahme, auch die Einkommensteuer dem Grundsatze der Besteuerung nach der Leistungsfähig- keit durchaus nicht vollkommen. Sie erfasst alle Arten des Einkommens ohne Unterschied in gleicher Weise, obwohl das Besitzeinkommen unbestrittener- massen leistungsfähiger ist als das Arbeitseinkommen. Diesen Mangel , der naturgemäss mit höherer Anspannung der Steuer immer fühlbarer wird, durch die Ausgestaltung der Einkommensteuer selbst auszugleichen, ist bisher in keinem Lande gelungen. Er kann nur behoben werden, indem von einer aus- schliesslichen Inanspruchnahme der Einkommensteuer abgesehen wird und dieser andere Steuern zur Seite gestellt werden.

Alle diese Gründe lassen einen Schutz der Einkommensteuer vor ein- seitiger Inanspruchnahme und Ueberspannung berechtigt und notwendig er- scheinen - ein Ergebnis , zu dem auch die Gesetzgebungsdeputation der Zweiten Kammer im Jahre 1904 gelangt ist.

Die Einkommensteuer kann an sich in dreifacher Weise vor Ueber- spannung bewahrt werden:

1. indem der Bedarf der Gemeinde - durch sparsames Wirtschaften, Masshalten im Eingreifen neuer, nicht durch die Gesetze vorgeschriebener Ge- meindeaufgaben - niedrig gehalten wird,

2. indem der S teu er bedarf der Gemeinde - durch Eröffnung anderer Einnahmequellen - niedrig gehalten wird,

3. indem der Einkomme ns teuer bedarf - durch Erhebung anderer steuern - niedrig gehalten wird.

Die an 1. und 2. Stelle genannten Mittel liegen ausserhalb des Rahmens der Steuergesetzgebung, ja entziehen sich einer wirksamen gesetzlichen Rege-

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gj2 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

lung überhaupt. Das schmälert natürlich ihre Bedeutung nicht, im Gegenteil, je engere Grenzen gerade in Sachsen, wie sich im Laufe der Darstellung noch zeigen wird, der Entlastung der Einkommensteuer durch andere Steuern ge- zogen sind, um so mehr werden die Gemeinden mit ihren finanziellen Kräften haushalten und auf die Beschaffung von Einnahmen aus Gemeindebetrieben, Vermögensnutzungen und Gebühren bedacht sein müssen. Insbesondere er- scheinen die Erträgnisse der gewerblichen Gemeindebetriebe (Wasser-, Gas-, Elektrizitätswerke, Strassenbahnen) je länger je mehr berufen, den Haushalt der entwickelteren Gemeinden zu stützen , ohne dass deshalb das mit ihnen verbundene öffentliche Interesse zu kurz zu kommen brauchte. Bei dem Ver- gleich mit anderen deutschen Staaten fällt vor allem auf, dass viele sächsische Gemeinden aus ihren Wasserwerken keinen Nutzen ziehen, ja nicht einmal die nötigen Rücklagen für Erneuerungen und Erweiterungen erübrigen, obwohl dies häufig durch eine kleine Erhöhung des Wasserpreises zu erreichen wäre. Denn mit der Zeit wird es sich bei der zunehmenden Bevölkerungsdichtigkeit in Sachsen herausstellen, dass auch das Wasser nicht in unerschöpflichen Mengen zu beschaffen ist.

Die vollkommenste Entlastung der Einkommensteuer wäre naturgemäss erreicht, wenn es gelänge, die Gemeinden überhaupt von ihr weg und auf andere Steuern zu verweisen, so dass eine klare Trennung der Steuerquellen des Staates von denjenigen der Gemeinde einträte. Davon kann indessen keine Rede sein. Die Einkommensteuer ist die Hauptsteuer, das finanzielle Rück- grat aller entwickelteren Gemeinden, sie wird es bleiben müssen. Ihr völliger Ersatz durch andere Steuern wäre ein Rückschritt vom Vollkommeneren zum Unvollkommenen. Es kann sich vielmehr nur darum handeln, neben die Ein- kommensteuer in gewissem Umfange andere Steuern zu stellen, die geeignet sind, einen bestimmten Bruchteil des Steuerbedarfs zu beschaffen.

Soviel kann jedenfalls vorausgeschickt werden : Wäre die Staatsregierung in der Lage, den Gemeinden aus Anlass der Reform neue Steuerquellen zu eröffnen oder auch nur neue Steuergedanken an die Hand zu geben, die ihnen bisher unbekannt oder verschlossen waren, so wäre dem Problem viel von seiner Schwierigkeit genommen. Dem ist indessen nicht so, und hierin liegt der fundamentale Unterschied der sächsischen Steuerreform von der preussi- schen des Jahres 1893, bei der den Gemeinden Realsteuern, die sich bereits in Hebung für den Staat befanden, mit einem Ertrage von nicht weniger als 102 Mill. M. Jahresertrag, als Gegengabe für die Beschränkung auf dem Ge- biete der Einkommensteuer überwiesen wurden.

Die Frage, welche Steuern zur Entlastung der Einkommensteuer tauglich sind, setzt zunächst eine nähere Betrachtung darüber voraus, welche Arten von Steuern den Gemeinden überhaupt zur Verfügung stehen und welche Bedeutung einer jeden von ihnen im Gemeindehaushalte zukommt.

Auf dem Gebiete der direkten Steuern besteht nur eine einzige Beschrän- kung für die Steuerautonomie der Gemeinden: das Verbot der Erhebung von Zuschlägen zur staatlichen Ergänzungssteuer. Im übrigen ist ihnen schon bisher unbenommen gewesen, nach jeder beliebigen Steuer ihre Hand auszu- strecken.

An dem Verbot der Mitbenützung der staatlichen Ergänzungssteuer muss die Staatsregierung unter allen Umständen festhalten. Wenn sich diese Steuer, trotz ihrer in der Beschränkung auf das bewegliche Vermögen liegenden eigen- artigen Gestaltung, besser und leichter eingeführt hat, als ursprünglich erwartet werden durfte, so ist dies den sehr massig bemessenen Sätzen zu verdanken. Für eine so hohe Belastung, wie sie durch die Zulassung von Gemeinde- zuschlägen unvermeidlich eintreten müsste, ist aber die Ergänzungssteuer überhaupt nicht, und am wenigsten in ihrer dermaligen Struktur, geeignet. Die Schwierigkeiten, die sich der richtigen steuerlichen Erfassung der ergänzungs- steuerpflichtigen Vermögen, insbesondere des gewerblichen Anlage- und Betriebs- kapitals, gerade wegen der Beschränkung der Steuer auf das bewegliche Ver- mögen und der damit zusammenhängenden Regelung des Schuldenabzugs, ent-

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 31{$

gegensteilen, sind bei den niedrigen Sätzen des jetzigen Tarifs nicht besonders hervorgetreten; sie würden sich bei Erhöhung der Sätze sofort in sehr unlieb- samer Weise zeigen. Eine Vermögenssteuer, die lediglich auf den Kapitalwert des Vermögens abgestellt ist und auf den Ertrag in keiner Weise Rücksicht nimmt, lässt sich nicht beliebig steigern oder ausbauen. In Erkenntnis dieser besonderen Sachlage hat der Staat selbst darauf verzichten müssen, die Er- gänzungssteuer zur Deckung von Fehlbeträgen des durch direkte Steuern auf- zubringenden Teils des Staatsbedarfs mit heranzuziehen. Nach Art. II Abs. 2 des Gesetzes, die direkten Steuern betreffend, vom 3. Juli 1902, sind solche Fehlbeträge lediglich durch Zuschläge zur Einkommensteuer aufzubringen. Unter diesen Umständen kann noch viel weniger den Gemeinden die Mit- benutzung der staatlichen Ergänzungssteuer freigestellt werden.

Uebrigens wäre eine Entlastung der Einkommensteuer durch die Erhebung von Zuschlägen zur Ergänzungssteuer für den Staat ohne Interesse. Denn er würde eine relativ kleine Schonung der Einkommensteuer durch eine starke^ Belastung der Ergänzungssteuer erkaufen, d. h. die Reserve, die er jetzt in der Steigerungsfähigkeit der Ergänzungssteuer im Notfalle hat, lediglich gegen eine Reserve in der Einkommensteuer eintauschen. Er wäre also um nichts gebessert, im Gegenteil: eine starke Ausbildung der Ergänzungssteuer ver- schärft die Gefahr des Wegzugs der grossen Vermögen, der nicht nur eine Einbusse bei der Ergänzungssteuer, sondern auch bei der Einkommensteuer zur Folge haben würde. Zu alledem müsste die Erhebung einer gemeindlichen Ergänzungssteuer auch den Zuzug kapitalkräftiger Zensiten ohne weiteres erschweren und das Steueraufkommen in den sächsischen Gemeinden wie im Staate ungünstig beeinflussen.

Die den Gemeinden zu Gebote stehenden direkten Steuern lassen sich in zwei Gruppen teilen: die grossen Ertrags- (Objekt-, Real-) Steuern: Grundsteuer, Gewerbesteuer, Kapitalrentensteuer, und die kleineren direkten Steuern (Miet- steuer, Hundesteuer, Betriebssteuer usw.).

Die Ertragssteuern spielen im Gemeindesteuersystem fast aller übrigen deutschen Bundesstaaten, sei es in Verbindung mit einer Personaleinkommen- steuer, sei es neben der allgemeinen Einkommensteuer, von jeher eine sehr bedeutende Rolle. Dabei ist freilich nicht zu übersehen, dass ihre Erhebung nicht nur, sondern auch das Mass, in dem der Gemeindesteuerbedarf auf sie zu verteilen ist, regelmässig durch Landesgesetz vorgeschrieben ist. Der Gang der Entwicklung ist doch zumeist der gewesen, dass der Staat allmählich von den Ertragssteuern ab und zu einer allgemeinen Einkommensteuer, ergänzt durch eine Vermögenssteuer, übergegangen ist, und die Realsteuern den Ge- meinden überlassen hat.

Wesentlich anders liegen die Dinge in Sachsen. Hier hat allein die Grundsteuer sich zu einer allgemein verbreiteten Gemeindesteuer entwickelt während die Gewerbesteuer und die Kapitalrentensteuer keinen Eingang ge- funden haben. Eine gesetzliche Vorschrift, die zu ihrer Aufnahme in das Gemeindesteuersystem genötigt hätte, lag nicht vor. Zwar ist auch in Sachsen gegen Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts der Staat von der Gewerbesteuer zur Einkommensteuer übergegangen; aber er hat damals diese Steuer nicht den Gemeinden überwiesen, sondern einfach aussei1 Hebung gesetzt.

Seitdem erfreut sich in Sachsen, im Gegensatz zu allen umgebenden Ländern, das Gewerbe der Freiheit von jeder Sonderbelastung. Und doch lassen sich für eine solche Vorausbelastung gewichtige Gründe geltend machen. Das Gewerbe, insbesondere das Grossgewerbe, hat von einer Entwicklung der Gemeinde, ihrer Kaufkraft und ihrer Verkehrsverhältnisse die grössten Vor- teile, für die eine Sonderbesteuerung die angemessene Gegenleistung bilden würde; anderseits erfährt die Gemeinde gerade durch das Gewerbe, insbesondere das Grossgewerbe, eine namhafte Mehrbelastung. Wo die Industrie sich aus- breitet, steigen infolge des Arbeiterzuzugs und aus anderen Gründen regel- mässig die Aufwendungen für das Schulwesen, das Armenwesen, die Instand-

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314 Begründung zum sächsischen Genieindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

haltung der Verkehrsräume, die Krankenpflege, den Feuerschutz. Diese Mehr- belastung wird durch die Einkommensteuer, zumal beim Schwanken gerade des Einkommens gewerblicher Betriebe, nicht ausgeglichen; hier würde die -allgemeine Gewerbesteuer eine gerechte Ergänzung bilden. Dass sie keine unerträgliche Mehrbelastung des Gewerbes darstellt, zeigen die Erfahrungen der Nachbarstaaten. Ausgeschlossen ist auch, class sich die Industrie der neuen Steuer durch Abwanderung entziehen könnte; denn sie findet die Steuer ausser- halb Sachsens schon überall vor.

Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, sah der Entwurf eines Gemeinde- steuergesetzes vom Jahre 1904 die obligatorische Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer vor. Allein er erfuhr gerade in dieser Beziehung eine nahezu einmütige Ablehnung, und zwar ging sie durchaus nicht nur von dem betref- fenden Erwerbsstande selbst aus, sondern wurde auch von der überwiegenden Mehrheit der Gemeinden geteilt. Es zeigte sich damals recht deutlich, dass gerade die Wiedereinführung einer einmal aufgehobenen Steuer allseitiger Abneigung begegnet, und dass ein Bruch in der Entwicklung, wie er im Jahre 1878 erfolgt ist, fast unheilhar ist.

Die Staatsregierung legt Wert darauf, zu erklären, dass sie an ihrer Ansicht von der Brauchbarkeit der allgemeinen Gewerbesteuer als Gemeinde- steuer auch heute festhält; wenn sie trotzdem auf den Vorschlag der obliga- torischen Einführung dieser Steuer nicht zurückkommt, so trägt sie damit - auf den Wandel der Ansichten im Laufe der Zeit bauend - der gegenwärtigen Stimmung, insbesondere der Gemeinden, Rechnung. Denn nicht eine Gemeinde- steuerreform gegen die Gemeinden, sondern eine Reform mit den Gemeinden ist ihr Ziel.

Von geringerer Bedeutung als die allgemeine Gewerbesteuer ist die Kapitalrentensteuer. Ihr Fehlen im Gemeindesteuersystem erklärt sich leicht aus der Erwägung, dass das weder in Grundbesitz noch in Gewerbebetrieb angelegte Kapital ein sehr unsicheres Gemeindesteuerobjekt ist, dessen Träger £iner ihnen unbequemen Besteuerung durch Wegzug aus dem Wege zu gehen vermögen. Diese Gefahr des Wegzugs, der naturgemäss auch Ausfälle bei der Einkommensteuer zur Folge hat, ist um so grosser, als auch Preussen keine kommunale Kapitalrentensteuer kennt. Die eben genannten Gründe lassen übrigens auch dort, wo eine Kapitalrentensteuer besteht, ihre stärkere An- spannung als untunlich erscheinen.

Von den kleineren direkten Steuern ist die Hundesteuer finanziell noch •am belangreichsten. Daneben treten die verschiedenen Gewerbesondersteuern (Automatensteuer, Steuer von Kleinhandelsgrossbetrieben, Betriebssteuer usw.) an Bedeutung zurück. Die Sondersteuer auf Kleinhandelsgrossbetriebe, die ja ihren Ursprung anderen als finanzpolitischen Erwägungen verdankt, hat finanziell im allgemeinen enttäuscht. Die Betriebssteuer hat sich in einer Anzahl Gemeinden gut eingeführt; naturgemäss hängt die Zweckmässigkeit dieser Steuern und ihr Ertrag zunächst von den örtlichen Verhältnissen ab.

Wohn- und Mietsteuer gehören heute in Sachsen nahezu der Vergangen- heit an. Sie sind durch die Einkorn mensteuer verdrängt worden, und es be- steht keine Aussicht auf ihre Neubelebung. Die mit ihnen verbundenen Uebel- stände: stärkere Belastung der unteren und mittleren Schichten, sowie der kinderreichen Familien, ungenügende Erfassung der wohlhabenden Kreise, fallen in die Augen und erklären die geringe Beliebtheit dieser Steuern, wenn- schon sie sich durch deren geschickte Einpassung in das Steuersystem der Gemeinde mildern lassen.

Die Kopfsteuer endlich, der einst eine grosse Bedeutung zukam, ist heute nur noch in Gemeinden mit primitiven Steuerverhältnissen als Hauptsteuer anzutreffen. In entwickelten Gemeinden besteht sie hier und da als Ergänzung der Einkommensteuer ; sie wirkt alsdann lediglich als Minderung der Degression von den mittleren zu den unteren Einkommenklassen, und könnte ebensogut durch eine veränderte Gestaltung des Einkommensteuertarifs ersetzt werden. An irgendwelche Entwicklung dieser Steuer ist nicht zu denken, im Gegenteil,

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. gjg

-sie wird in absehbarer Zeit, als mit der heutigen Auffassung der Steuer- gerechtigkeit nicht mehr im Einklänge stehend, überhaupt verschwunden sein.

Auf dem Gebiete der indirekten Steuern haben die Gemeinden seit der letzten Vorlage eines Gemeindesteuergesetzes (1904) empfindliche Einschrän- kungen erfahren. Die kommunale Biersteuer, von jeher schon auf 65 Pf. für das Hektoliter begrenzt, ist, unter Belassung einer gewissen tlebergangsfrist, durch das Reichsbrausteuergesetz für alkoholarme Biere auf 80 Pf. herabgesetzt worden. Die Besitzwechselabgabe, an sich die ertragreichste indirekte Gemeinde- steuer, ist in ihrer Erhöhungsfähigkeit dadurch beeinträchtigt worden, dass das Reich die Besitzwechsel gleichfalls mit einer Stempelsteuer von zurzeit 2/3°/o des Kaufwerts heranzieht. Die Zuwachssteuer wurde, als sie eben begann, in den Gemeinden festen Fuss zu fassen, zur Reichssteuer erklärt und den Ge- meinden bis auf 40% des Ertrags entzogen; die ihnen verbleibende Füglich- keit, Zuschläge zu der Steuer zu erheben, lässt sich in ihrer Bedeutung noch nicht übersehen. Die Verbrauchsabgaben auf Getreide, Mehl, Backwaren, Vieh, Fleisch und Fleischwaren sind den Gemeinden durch die Zollgesetzgebung des Reiches seit dem 1. April 1910 entzogen worden; damit hat sich der Kreis der .zulässigen Verbrauchs- oder Eingangsabgaben auf Marktviktualien, Viehfutter, Baumaterialien und Brennstoffe verengt.

Betrachtet man die hiernach verbliebenen Verbrauchsabgaben auf ihren Wert für die Gemeinden, so ergibt sich ohne weiteres, dass Eingangsabgaben auf Viehfutter und Baustoffe nur unter besonderen örtlichen Voraussetzungen in Frage kommen können. Auch der Neueinführung von Abgaben auf Markt- waren wird niemand das Wort reden wollen. Etwas anders dagegen steht es um die Besteuerung der Brennstoffe, oder, wenn man den hauptsächlichsten Brennstoff allein in Betracht zieht, der Kohlen.

Die Gegner der Kohlensteuer finden sich in zwei weit voneinander ent- fernten Lagern. Man wirft ihr einmal vor, dass auch sie die Armen zu sehr belaste, und weiter, dass sie eine schwere Vorausbesteuerung der Industrie •darstelle. Allein diesen Vorwürfen liesse sich manches entgegensetzen. Es ist richtig, dass die Kohlensteuer auch die weniger leistungsfähigen Kreise trifft; allein dies ist an sich noch kein Fehler. Denn da diese Kreise an den politi- schen Rechten in den Gemeinden teilnehmen, so ist es nur billig, dass sie auch zu den Gemeindelasten zu ihrem Teile mit beitragen. Wenn man übrigens die Frage entscheiden soll, ob die unbemittelten Kreise entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu den Gemeindelasten herangezogen werden, so darf man nicht die einzelne Steuer, sondern muss die gesamte Steuerverfassung der Gemeinde betrachten. Da liesse sich nun, wenn die Belastung der schwächeren Schultern durch die Kohlensteuer als zu bedeutend erachtet würde, bei den -direkten Steuern, insbesondere bei der Einkommensteuer, leicht ein Ausgleich schaffen. Uebrigens ergibt schon die Berechnung, dass ein Familienhaushalt, der jährlich 40 Zentner Kohlen verbraucht, bei einer Kohlensteuer von 50 Pf. für die Tonne immerhin jährlich nur 1 M. Steuer zahlt, dass also von einer Ueberlastung der kleinen Leute gar keine Rede sein kann.

Zutreffend ist der zweite Einwand, dass die Kohlensteuer eine Voraus- belastung der Industrie enthält. Allein vom Standpunkte der Gemeinde- besteuerung erscheint diese Vorausbelastung nicht ungerechtfertigt, weil sie eine Gegenleistung bildet für die zahlreichen Opfer, die den Gemeinden durch die Industrie auf den Gebieten der Schul-, Armen-, Wege- und Polizeilasten erwachsen. Und wenn etwa darauf hingewiesen wird, dass die Konkurrenz- fähigkeit der sächsischen Industrie gegenüber der aussersächsischen durch die Kohlensteuer leiden werde, so ist dagegen einzuwenden, dass nahezu alle anderen Länder das Gewerbe mit einer Gewerbesteuer belastet haben, während in Sachsen eine solche Vorausbesteuerung fehlt.

Der Ertrag der Steuer würde ziemlich beträchtlich sein. Man kann sich davon eine Vorstellung machen, wenn man bedenkt, dass der Kohlenverbrauch z. B. Dresdens im Jahre 1905 ohne das von der Stadtverwaltung selbst be- nötigte Quantum auf rund 1 Million Tonnen geschätzt wurde, die Steuer also,

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316 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November löil,

bei Erhebung von 50 Pf. für die Tonne, in dieser Stadt allein 500,000 M. jährlich gebracht haben würde.

Es ist auffallend, dass die Gemeinden sich bisher um eine Steuer, die ihnen grosse Erträge abwerfen würde, mit Ausnahme der Stadt Bautzen, nicht gekümmert haben. Der Grund liegt, wie bei anderen Verbrauchsabgaben, wohl hauptsächlich in den Umständlichkeiten und Unzuträglichkeiten der Er- hebung. Die Gemeinden sind genötigt, entweder ein lästig wirkendes Spür- system, das sich bis in den Einzelhaushalt hinein erstreckt, durchzuführen, oder aber ihre Grenzen mit einem kostspieligen Gürtel von Hebe- und Ueber- wachungsstellen zu umgeben. Es mag dahingestellt bleiben, ob sich dieser Uebelstand durch Bildung grösserer Gemeindeverbände, die die Steuer ein- heitlich erheben, oder auf andere Weise nicht beseitigen liesse. Jedenfalls durfte die Möglichkeit der Kohlensteuer in diesem Zusammenhange nicht über- gangen werden.

Unter den indirekten Steuern pflegen zuweilen die sog. Luxussteuern einem besonderen Interesse zu begegnen. Praktisch haben sie sich indes bisher nicht als Steuerquellen von grösserer Bedeutung erwiesen.

Wertvoll für die grösseren Gemeinden sind die Lustbarkeitssteuern. Ihre Ausbildung zu einer Billett- oder Kartensteuer nach preussischem Muster hat bisher von den grossen Städten allein Dresden unternommen, und zwar mit recht gutem finanziellem Erfolge.

Ausser Betracht bleibt die Tanzsteuer. Die Staatsregierung behält sich vor, auf sie im Zusammenhange mit der Neugestaltung der Bezirksverfassung zurückzukommen.

Dagegen ist hier endlich noch die in Preussen vielfach eingeführte, den sächsischen Gemeinden bisher fremde Schankerlaubnissteuer zu nennen. Sie ist eine einmalige Abgabe, die bei Erlangung der Konzession zum ständigen Betriebe der Gastwirtschaft. Schankwirtschaft oder des Kleinhandels mit Brannt- wein oder Spiritus zu entrichten ist. Die Einträglichkeit der Steuer ist in Preussen, wo die Sätze zwischen 100 und 6000 M., nach der Grosse des Betriebs abgestuft, schwanken, nicht unerheblich. Auch hat die Steuer ihre sozial- politischen Vorteile. Sie hält, besser als das eine Behörde bei strengstem pflichtmässigem Ermessen vermöchte, das „Bedürfnis" im Zaume. Sie schliesst ferner einen grossen Teil der untüchtigen Elemente, die sich zum Schaden des Standes und der Allgemeinheit um Konzession bewerben, so gut wie aus, und sie wirkt endlich hemmend auf die gerade in Schankwirtskreisen verbreitete Neigung, eine Wirtschaft, sobald sie nur einigermassen in die Höhe gebracht worden ist, möglichst schnell mit Nutzen zu verkaufen. Trotz alledem darf die Frage aufgeworfen werden, ob die Zeit zur Einführung einer solchen Steuer geeignet ist. Das Schankwirtsgewerbe, das ohnehin von den meisten Steuern in Mitleidenschaft gezogen wird, hat durch die Reichsfinanzreform eine aber- malige nicht unbedeutende Belastung erfahren. Es nähert sich ausserdem, wenn nicht alles trügt, infolge des Vorwärtsschreitens der Mässigkeits- und Enthaltsamkeitsbewegung, einem Wendepunkte in seiner wirtschaftlichen Ent- wicklung. Bei dieser Sachlage wird sich die Steuer nur unter besonderen örtlichen Verhältnissen zur Einführung eignen.

Fasst man das Gesagte nochmals zusammen, so ergibt sich folgendes. Eine Erweiterung des Kreises der zulässigen Gemeindesteuern kommt nicht in Frage. Als Steuern, die zur Entlastung der Einkommensteuer mehr als bisher herangezogen werden können, sind angesichts der besonderen Verhältnisse der sächsischen Gemeinden im wesentlichen nur anzusehen: die Grundsteuer, die Hundesteuer, die Biersteuer, die Lustbarkeitssteuern, die Besitzwechselabgabe, die Zuwachssteuer, die Kohlensteuer und einige kleinere gewerbliche Sonder- steuern.

Erwägt man, dass alle diese Steuern von jeher schon den Gemeinden zur Verfügung standen, und dass diese trotzdem in grosser Anzahl von ihnen keinen oder doch nur ungenügenden Gebrauch gemacht und lieber die Ein- kommensteuer einseitig angespannt haben, so wird man dem Schluss nicht

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Begründung zum sächsischen Gremeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 317

ausweichen können, dass eine Besserung der Verhältnisse ausgeschlossen ist, solange die Gemeinden nicht durch landesgesetzliche Bestimmungen zum Aus- bau ihres Steuersystems genötigt werden.

Das Eingreifen der Landesgesetzgebung ist nun in zweifacher Richtung denkbar. Entweder sie schreibt den Gemeinden die Erhebung bestimmter Steuern in bestimmter Mindesthöhe neben der Einkommensteuer vor, oder aber sie schliesst für einen Teil des Steuerbedarfs die Deckung durch Einkommensteuer aus und überlässt es den Gemeinden, durch welche Steuern sie diesen Teil aufbringen wollen. Naturgemäss sind zwischen diesen beiden äusseren Linien zahlreiche Mittelwege möglich.

Der Gemeindesteuergesetzentwurf von 1904 wählte den ersten Weg. Er schrieb vor: eine Grundsteuer, die durch mindestens V4 des durch direkte Steuern aufzubringenden Bedarfs zu decken war, eine allgemeine Gewerbe- steuer mit gewissen Mindestsätzen, eine Betriebssteuer, Biersteuer, Tanzsteuer, Besitzwechselabgabe und - für Gemeinden mit mehr als 10,000 Einwohnern - eine Zuwachssteuer. Der jetzige Entwurf dagegen enthält zwingende Vor- schriften nur für die Erhebung der Grundsteuer und Besitzwechselabgabe, und zieht im übrigen den zweiten Weg vor, indem er 25°/o des Steuerbedarfs von der Deckung durch Einkommensteuer ausschliesst, die Art der Deckung dieses Viertels aber in das freie Ermessen der Gemeinde stellt.

Mit dieser Regelung ist der Gemeindeautonomie weit mehr Rechnung getragen als in dem früheren Entwürfe. Es geschieht dies einmal in der Er- wägung, dass das Interesse des Staats nur darauf gerichtet ist, dass die Ein- kommensteuer entlastet wird, nicht aber darauf, dass sie durch irgendwelche im einzelnen bestimmte Steuern entlastet wird, und zum anderen in der Er- kenntnis, dass gerade die Frage, welche Steuern neben die Einkommen- und die Grundsteuer treten sollen, und in welchem Masse sie an der Entlastung der Einkommensteuer teilnehmen sollen, am besten auf Grund der örtlichen Verhältnisse beantwortet wird.

An der Forderung einer Grundsteuer und Besitzwechselabgabe für alle Gemeinden hält auch der neue Entwurf fest. Die Berechtigung der Voraus- belastung des Grundbesitzes in der Gemeinde ist heute fast allgemein anerkannt; der Grundsatz der Besteuerung nach Leistung und Gegenleistung hat hier, schon wegen der politischen Vorrechte des Grundbesitzes, am wenigsten An- fechtung erfahren. Gewiss ist es richtig, dass die bevorzugte Stellung, die der Grundbesitz bei der Zusammensetzung der Gemeindeselbstverwaltungskörper geniesst (Stadtverordnete, Stadtgemeinderat. Gemeinderat), ihren Grund nicht in der höheren Steuerleistung der Grundbesitzer hat. Wohl aber findet sie ihre Rechtfertigung in dem höheren Interesse, das dem ansässigen Teil der Gemeindemitglieder an dem Gedeihen der Gemeinde naturgemäss innewohnt, und es ist nur recht und billig, dass dieser Bevorrechtigung aus dem Gesichts- punkte des Interesses auch eine Vorausbelastung nach dem Grundsatz des Interesses entspreche, mit anderen Worten, dass der Grundbesitz sein erhöhtes Interesse an der Gemeinde nicht nur durch stärkere Mitwirkung beim Selbst- bestimmungsrechte der Gemeinde, sondern auch durch besondere Teilnahme an den Lasten des Gemeinwesens betätige. Das geschieht aber durch die Zahlung der Besitzwechselabgabe bei Erwerbung des Grundbesitzes, und durch Leistung der Grundsteuer während der Besitzzeit. Sowohl die Gesetzgebungs- deputation der Zweiten Kammer, als auch die Referenten für die beiden Steuern auf dem sächsischen Gemeindetage vom Jahre 1905 haben sich für deren obligatorische Einführung ausgesprochen.

Die Tatsache, dass die Grundsteuer bereits in weitaus der Mehrzahl der Gemeinden besteht, und dass die Zahl der Gemeinden ohne Grundsteuer im Rückgange begriffen ist, könnte die Annahme nahelegen, dass der obligatori- schen Einführung der Steuer keine grosse Bedeutung zukomme, und dass man von ihr mit Rücksicht auf den sichtbaren Gang der Entwicklung ganz absehen könne. Allein es darf nicht übersehen werden, dass sich unter den Gemeinden ohne Grundsteuer eine besonders grosse Zahl von Städten: 42, davon 29 mit

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318 Begründung zum sächsischen Geraeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

revidierter Städteordnung, befinden. Die Aussicht, dass diese sich aus freien Stücken zur Einführung einer Grundsteuer verstehen werden, erscheint sehr gering, wenn man bedenkt, dass in der Mehrzahl von ihnen das Stadtverord- netenkollegium statutarisch zu 2/3 aus Ansässigen besteht. Dazu kommt, dass die Vorschrift, Grundsteuer zu erheben, nicht nur die bisher grundsteuerlosen Gemeinden zu ihrer Einführung veranlassen, sondern auch den in manchen Gemeinden vorhandenen Bestrebungen, die Grundsteuer abzuschaffen, einen Riegel vorschieben will. Endlich besteht in vielen Gemeinden zwar eine Grund- steuer, sie ist aber so niedrig, dass sie in keinem Verhältnis zur Leistungs- fähigkeit des Grundbesitzes steht. Dem wird künftig durch die Vorschrift einer Mindesthöhe einigermassen abgeholfen werden.

Die Frage, in welcher Mindesthöhe der Grundbesitz mit Grundsteuer vorausbelastet werden soll, lässt sich aus theoretischen Betrachtungen heraus nicht befriedigend beantworten. Denn der Grundsatz der Besteuerung nach Leistung und Gegenleistung gibt zwar den rechtfertigenden Grund für eine Vorausbelastung überhaupt, nicht aber einen Massstab für die Höhe dieser Vorausbelastung. Es bleibt sonach nur die Leistungsfähigkeit des Grund- besitzes als Anhalt übrig, und diese ist nur durch einen Blick in die Praxis, nämlich durch die Beobachtung, in welcher Höhe die Grundsteuer in gewissen typischen Fällen bereits jetzt ohne grosse Beschwerde getragen wird, zu ermitteln.

Die Belastungsfähigkeit (Leistungsfähigkeit) des Grundbesitzes ist in den einzelnen Arten von Gemeinden sehr verschieden. Wenn in einer kleinen ländlichen Gemeinde der Grundbesitz als solcher einen grossen Teil des Gesamt- bedarfs (50% und mehr) aufbringt, so hat das für den einzelnen Grundsteuer- pflichtigen nicht viel zu bedeuten, einmal, weil die Grundbesitzer eine grosse Zahl im Verhältnis zu der sonstigen Einwohnerschaft und insbesondere zu den Einkommensteuerpflichtigen ausmachen, und weiter, weil sie regelmässig die leistungsfähigsten Elemente - Elemente, deren Leistungsfähigkeit eben gerade auf ihrem Grundbesitz beruht - mitumfassen. In manchen kleinen Gemeinden würde, wenn man die Einkommensteuer an die Stelle des gemischten Steuer- systems setzen wollte, die Lastenverteilung gar nicht sonderlich geändert werden, denn die Grundbesitzer sind zugleich die Hauptträger der steuerbaren Einkommen.

Allein dieses Verhältnis ändert sich mit der zunehmenden Grosse der Gemeinden. In den grösseren Gemeinden, insbesondere in den Städten, wächst die Dichte der Bevölkerung bei weitem schneller als die Zahl der Grundbesitzer; die natürliche Folge ist nicht nur, dass die Grundbesitzer einen immer klei- neren Teil der Einkommensteuerpflichtigen ausmachen, sondern dass auch das Einkommen aus Grundbesitz immer mehr an Bedeutung hinter das Einkommen aus anderen Quellen zurücktritt. Das heisst aber nichts anderes, als dass in den grösseren Gemeinden des Landes die Leistungsfähigkeit des Grundbesitzes, gemessen an der Gesamtleistungsfähigkeit der Einwohner, am geringsten ist. Auch statistisch lassen sich diese Tatsachen einigermassen belegen. Im Jahre 1908 z. B. betrug das Bruttoeinkommen aus Grundbesitz in den sächsischen Städten 10,071 °/° des gesamten, zur Staatseinkommensteuer veranlagten Brutto- einkommens (ohne alle zulässigen Abzüge) ; dagegen machte das Bruttoein- kommen aus Grundbesitz in den 3025 Landgemeinden 17,67 °/o und in den 2995 Landgemeinden mit weniger als 6000 Einwohnern sogar 19,24% des ge- samten Einkommens aus. Die Bedeutung des Grundbesitzes als Einkommens- quelle ist also in den kleineren Landgemeinden nahezu doppelt so gross als in den Städten.

Aus dem Gesagten ergibt sich : Die Frage , welcher Mindestaruchteil des gesamten Steuerbedarfs im Wege der Grundsteuer allein aufgebrbcht werden soll, muss aus den Verhältnissen der grösseren Gemeinden, insbesondere der Städte, heraus beantwortet werden. Was dort schon jetzt ohne Nachteil und ohne berechtigte Beschwerde getragen wird, muss auch in den kleineren Ge- meinden erträglich sein. Findet man nun, dass der Grundbesitz schon jetzt durch Grundsteuer

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30, November 1911. 319»

% des gesamten % des gesamten Steuerbedarfs der Steuerbedarfs der bürgerl. Gemeinde bürgerl. Gemeinde

in Dresden 7,2 in Hohenstein-Ernstthal . 9,2 „ Leipzig 13,5 „ Bischofswerda . . . 12,1 „ Chemnitz 8,6 „ Pegau 20,2 „ Zwickau 8,1 „ Nossen 10,7 „ Freiberg 19,9 „ Königstein 11,8 „ Meissen 11,3 „ Dippoldiswalde . . . 17,8 „ Bautzen 9,2 „ Bernstadt 32,4 „ Crimmitschau .... 8,2 „ Geringswalde .... 12,6 „ Mittweida 14,4 „ Lausigk 13,5 „ Würzen 9,1 „ Neusalza 34,4 „ Aue 10,9 „ Mügeln 59,7

aufbringt, so liegt es nahe, das Mindestaufbringen der Grundsteuer etwa auf 10% des Gesamtbedarfs zu bemessen. Wenn die Staatsregierung trotzdem nur dazu gelangt ist, die Aufbringung von V12 - 8,33% des Gesamtbedarfs durch Grundsteuer vorzuschreiben (§ 48, Ges. § 47 in Verbindung mit § 45), so sind hierbei verschiedene Gründe massgebend gewesen. Einmal war darauf Rücksicht zu nehmen, dass in einzelnen Städten und Landgemeinden die Leistungsfähigkeit des Grundbesitzes hinter der Gesamtleistungsfähigkeit be- sonders stark zurückbleibt. So betrug das Roheinkommen aus Grundbesitz im Jahre 1908

in Meerane nur 6,5 °/o des Gesamtroheinkommens, „ Werdau „ 6.9 °/o „ „ Oelsnitz „ 6,6 °/o „ „ Radeberg „ 6,7 °/o „ „ „ Limbach „ 6,7% „ „ „ Thalheim „ 6,0% „ „ Mügeln bei Pirna . . „5,5 % „ „ „ Wilkau „ 5,1% „ „ Niedergersdorf . . . „ 5,0% „ „

gegen 11,1% in Dresden, 12,2 in Grimma, 12,3 in Geyer, 13,0 in Radebeul, 17,0 in Blasewitz.

Weiter aber darf man nicht aussei* acht lassen, dass die bisherige Ent- wicklung auch künftig anhalten, und daher die Leistungsfähigkeit des Grund- besitzes, gemessen an der Gesamtleistungsfähigkeit, noch weiter zurückgehen wird. Unter 100 M. Einkommen (ohne Abzug der Schuldzinsen) flössen aus Grundbesitz

im Jahre 1878 21,13 M., 1888 17,15 „

„ „ 1898 14,17 „ 1908 12,66 „

Auch dieser Umstand musste dazu führen, die Grenze der Mindest- belastung etwas niedriger zu ziehen.

Endlich sollte auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der Grundbesitz in neuerer Zeit wiederholt, z. B. durch die Reichszuwachssteuer, und durch den Kaufstempel des Reichs, Mehrbelastungen erfahren hat. So gewiss nach Ansicht der Staatsregierung die Vorausbelastung des Grundbesitzes dem Grundsatz der Besteuerung nach dem Interesse entspricht, so gewiss ent- spricht anderseits die Gesunderhaltung des Grundbesitzes dem Interesse der Gemeinden. Die Fragen der Beschaffung von Baugeld und 2. Hypotheken, der Kleinwohnungsbau durch öffentliche Korporationen und gemeinnützige Vereine, die unerlässliche Durchführung einer den Anschauungen der Gesundheitslehre entsprechenden Wohnungspolizei und manches andere stellen insbesondere den städtischen Grundbesitz gegenwärtig ohnehin vor manche Schwierigkeiten, denen gegenüber der Staatsregierung, trotz der von verschiedenen Seiten ver-

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320 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

tretenen gegenteiligen Anschauungen, ein Masshalten in der steuerlichen Be- lastung des Grundbesitzes angezeigt erscheint. Mit der Beschränkung der steuerlichen Mindestbelastung auf V12 = 8,3% des Steuerbedarfs ist diesem Gesichtspunkte in weitestem Masse Rechnung getragen worden.

Die zuletzt geschilderten Erwägungen haben ferner dazu geführt, das Höchstmass der Besitzwechselabgabe für Gemeinde, Kirche und Schule auf 2% •des Kaufwerts zu begrenzen. Die Grenze entspricht der tatsächlichen Ent- wicklung in Sachsen, ebenso wie die Festsetzung der Mindesthöhe der Besitz- wechselabgabe auf 1 °/o für Gemeinde, Schule und Kirche zusammen.

Auch gegenüber der weiteren Frage, welcher Bruchteil des Gesamtsteuer- bedarfs einer Gemeinde unter allen Umständen durch andere Steuern als die Einkommensteuer aufgebracht werden soll, versagen theoretische Betrachtungen. Wohl aber lässt sich auch hier ein Anhalt aus der Praxis gewinnen. Von den sächsischen Städten deckten im Jahre 1910 durch Einkommensteuer:

Prozent des Gesamtsteuerbedarfs der bürgerlichen Gemeinde 90-100% 3 (Lunzenau 92,1%, Johanngeorgenstadt 90,9%, Limbach 90,4%), -80- 90 „ 29 (22 revidierte und 7 mittlere Städte, darunter Plauen 84,4%,

Oelsnitz 85,5%, Reichenbach 86,4%, Werdau 86,3%, Löbau 88.7%).

75 - 80 „ 22 (15 revidierte und 7 mittlere Städte, darunter Riesa, Meissen, Zittau, Schneeberg, Würzen),

70- 75 „ 22 (12 revidierte und 10 mittlere Städte, darunter Dresden 71,2%, Leipzig 72,1%, Zwickau 72,6°/°» Falkenstein).

60 - 70 „ 27 (14 revidierte und 13 mittlere Städte, darunter Bautzen 64,7%, Chemnitz 66,3 °/o),

unter 60 „ 36 (15 revidierte und 21 mittlere Städte, darunter Freiberg 50,3%.

Von den 32 Städten, die über 80 % ihres Bedarfs durch Einkommensteuer decken, haben nicht weniger als 18 überhaupt keine Grundsteuer. Schon ■daraus erklärt sich das Uebergewicht der Einkommensteuer. Umgekehrt ziehen die Städte, die weniger als 60 % ihres Bedarfs auf Einkommensteuer verweisen, zumeist die Grundsteuer besonders stark zur Deckung heran; es ist dies zum Teil auf ihren noch halb ländlichen Charakter, zum Teil auf ihren geringen Steuerbedarf überhaupt, zurückzuführen.

Den ebenmässigsten Ausbau des Steuersystems zeigen die 48 Städte , die zwischen 60 und 75°|o ihres Bedarfs durch Einkommensteuer aufbringen. Während von den 21 Städten mit 75 - 80% Deckung durch Einkommensteuer noch 9 keine Grundsteuer haben, fehlt diese bei den erstgenannten 48 nur in 8 Fällen. Bedeutsam ist auch, dass sich in der mittleren Klasse die Gross- städte Dresden, Leipzig, Chemnitz und Zwickau befinden, also diejenigen Gross- städte, deren Steuersystem verhältnismässig vollkommen ausgebaut ist.

Aus diesen Betrachtungen ergibt sich, dass man an die Städte keine unerfüllbare Forderung stellt, wenn man ihnen als den Mindestsatz, der durch -andere Steuern als die Einkommensteuer aufzubringen ist, 25% des Gesamt- steuerbedarfs vorschreibt (§ 45). Höher zu gehen, erscheint mit Rücksicht darauf, dass es sich um eine Mindestforderung handelt, die auch in Gemeinden Platz greifen soll, wo die kleineren Steuern ausser der Einkommen- und Grund- steuer nur bescheidene Erträge liefern, nicht ratsam.

Für die Landgemeinden eine ähnliche Untersuchung über den Anteil der Einkommensteuer an der Deckung des Steuerbedarfs anzustellen, erübrigt sich. In einer grossen Zahl von ihnen - soweit sie überhaupt Einkommensteuer erheben - deckt die Grundsteuer allein 25% und mehr des Gesamtbedarfs, und die grösseren von ihnen, in denen allenfalls die Grundsteuer an Bedeutung zurücktritt, sind in der Möglichkeit, durch andere Steuern Ersatz zu beschaffen, zum mindesten nicht schlechter gestellt als die Städte von gleicher Grosse. Die für die Städte geltende Beschränkung kann also unbedenklich auch ihnen nuferlegt werden.

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. g21

Dass in grossen Arbeiterwohngemeinden und Industriegemeinden die Ein- kommensteuer häufig - zumeist infolge vernachlässigten Ausbaues der Grund- steuer - sehr einseitig angespannt wird, ergibt die Zusammenstellung auf Seite 181 des Statistischen Jahrbuchs für das Königreich Sachsen. 1911. Aber die gleiche Zusammenstellung zeigt auch, dass dies keine notwendige Erschei- nung ist. So deckt z. B. die Landgemeinde

Briesnitz nur 48,06 °/o Deuben „ 59,21 „ Gröditz „ 60,0 „ Kötitz „ 59.5 „ Leuben „ 63,29 „ Wahren „ 60,87 „ Niederhäslich .... „ 63,44 r

ihres Gesamtsteuerbedarfs durch Einkommensteuer. Es ist nicht zu verkennen, dass der Teil des Steuerbedarfs, der mit der

geplanten Regelung auf andere Steuern als die Einkommensteuer verwiesen wird, wesentlich zurückbleibt hinter dem, was der Entwurf von 1904 durch andere Steuern aufgebracht wissen wollte. Aber dafür ist die jetzige Regelung auch überall durchführbar, und zwar ohne Härten für die Steuerpflichtigen, und ohne dass die betroffenen Gemeinden gezwungen wären, von vornherein die Einführung aller möglichen Steuern ins Auge zu fassen. Die eigentliche Wirksamkeit der Beschränkung liegt naturgemäss erst in der Zukunft : denn da das Erträgnis der übrigen Steuern erfahrungsgemäss nicht in gleichem Masse wächst wie der Steuerbedarf, so werden die Gemeinden ganz von selbst allmählich ihr Steuersystem ausserhalb der Einkommensteuer immer besser und umfassender ausbauen müssen. Wollte man die Gemeinden zwingen, von allen im Bereiche ihrer Wahl liegenden Steuern Gebrauch zu machen und sie schon jetzt bis zur Grenze des Erträglichen anzuspannen, so würde man sicher 35 oder mehr Prozent des Steuerbedarfs augenblicklich mit ihnen decken können; allein bei weiterem Anwachsen des Bedarfs würde sich die Unmöglich- keit herausstellen, diese Relation aufrecht zu erhalten. Soll also die Vorschrift auf die Dauer durchführbar bleiben - und nur dies verbürgt der Einkommen- steuer den erstrebten Schutz - , so wird man sich angesichts der beschränkten Ergiebigkeit der gemeindlichen Steuerquellen bei dem im Entwurf (§ 45) vor- gesehenen massigen Satze bescheiden müssen.

Die Vorschrift , dass für höchstens 3/4 des Bedarfs Deckung bei der Ein- kommensteuer gesucht wird, bietet dieser Steuer natürlich nur einen relativen Schutz. Denn da dem Wachsen des Bedarfs selbst keine Grenze gesetzt ist, so kann auch die Beanspruchung der Einkommensteuer ins Unbegrenzte weiter wachsen. Was also die Verteilung der Bedarfslast auf verschiedene Steuern gebessert hat, das könnte das Steigen des Bedarfs ins Masslose wieder auf- heben, wenn hiergegen keine Schranke geschaffen würde. Eine solche kann freilich nicht darin gesucht werden, dass etwa die Erhebung von Einkommen- steuer über einen gewissen Satz hinaus schlechthin verboten wird. Ein der- artiges Verbot würde sich gegenüber der Macht der Tatsachen, dem Druck der Bedürfnisse nicht durchsetzen können. Wohl aber kann ein Schutz gegen unangemessene Steigerung des Einkommensteuerbedarfs dadurch geschaffen werden, dass die Gemeinden zu der Ueberschreitung eines gewissen Höchst- satzes der Einkommensteuer der vorgängigen Genehmigung des Ministeriums des Innern bedürfen , wie dies übrigens auch in, Preussen geltendes Recht ist. Selbstverständlich muss dann in derselben Weise ein Höchstsatz für die Schul- und Kirchgemeinden ausgeworfen werden. Und noch mehr : Man wird zweck- mässigerweise die Genehmigungspflicht für jede der drei Gemeinden erst dann beginnen lassen, wenn die Summe der von ihnen auszuschreibenden Ein- kommensteuern eine bestimmte Grenze übersteigt. Denn wie schon früher ausgeführt wurde, bilden tatsächlich die Einkommensteuern der politischen Gemeinde, der Schulgemeinde und der Kirchgemeinde für den Steuerpflichtigen ein Ganzes. Ist also die Einkommensteuer der politischen Gemeinde sehr hoch,

Finanzarchiv. XXXI. Jahrg. 809 21

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322 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

diejenige für Schule und Kirche aber nur geringfügig (oder umgekehrt), so wird die auf der einen Seite eintretende Anspannung durch die geringe Be- lastung auf der anderen Seite in etwas ausgeglichen: der Steuerbedarf bleibt, trotz der Anspannung auf seiten der einen oder anderen Gemeinde, erträglich.

Die Regelung (§ 46) ist also so gedacht: Ergibt sich in einer Gemeinde - oder, da sich die Bezirke der politischen, Schul- und Kirchgemeinden nicht immer decken, in einem Teile davon - die Notwendigkeit, für die politische, die Schul- und die Kirchgemeinde zusammen an Einkommensteuer mehr als einen im Gesetz bestimmten Höchstsatz auszuschreiben, so bedarf diejenige der drei Gemeinden, die den ihr gesetzlich an diesem Höchstsatz zustehenden Anteil überschreitet, der Genehmigung ihrer obersten vorgesetzten Behörde. Diese wird alsdann zu prüfen haben , ob die Ursache der ungewöhnlichen Steuerhöhe in Mängeln der Gemeindeverwaltung, insbesondere der Finanzver- waltung und des Steuersystems zu suchen oder auf allgemeine von dem Willen der Gemeinde unabhängige Gründe zurückzuführen ist. Je nach dem Be- funde wird die Genehmigung erteilt, an Bedingungen geknüpft oder ganz ver- sagt werden.

Die Bedeutung einer solchen Bestimmung liegt nicht sowohl in einer Er- weiterung des Aufsichtsrechts der obersten Behörden. Ihnen stand schon bis- her die Befugnis zu, aufsichtswegen die Gesamtverwaltung und insbesondere die Finanzverwaltung einer Gemeinde einer Prüfung zu unterziehen und die Beseitigung von Mängeln anzuordnen. Neu ist nur, dass nunmehr für sie unter bestimmten Voraussetzungen die Pflicht zu einer solchen Nachprüfung gesetzlich gegeben ist. Das Ziel der Bestimmung ist auch nicht etwa, mög- lichst viele Gemeinden an die Mitentschliessung des Ministeriums des Innern zu binden, sondern im Gegenteil, möglichst viele von ihnen zu veranlassen, durch eine vorsichtige und geschickte Finanz- und Steuerpolitik sich die volle Selbständigkeit zu erhalten.

Aus dem Gesagten folgt schon, daß die Grenze, bei der die Genehmi- gungspflicht beginnt, jedenfalls nicht so tief gezogen werden kann, dass etwa die Mehrzahl der Gemeinden alsbald genehmigungspflichtig wird. Sie würde damit ihre Hauptwirkung als Vorbeugungsmassregel von vornherein einbüssen. In Preussen unterfallen die Gemeinden der Genehmigungspflicht, wenn sie über 100 % des Staatseinkommensteuertarifs erheben wollen. Allein dabei ist ein Dreifaches zu beobachten. Einmal, dass die Gemeinden, als jene Grenze ge- setzt wurde, jene grosse Entlastung durch die vom Staat überwiesenen Real- steuern erfuhren, weiter, dass dabei der Bedarf der Kirchgemeinden nicht mit- zählt, und drittens, dass die Grenze aus dem Jahre 1893, also aus einer Zeit stammt, in der die Inanspruchnahme der Einkommensteuer bei weitem noch nicht die Höhe wie heute erreicht hatte. Tatsächlich ist sie im gegenwärtigen Zeitpunkt bereits überholt; denn die preussischen Gemeinden erheben im Durchschnitte 150 °/o des dortigen Staatssteuertarifs und es sind Bestrebungen im Gange, die Grenze der Genehmigungspflicht auf diesen Betrag herauf- zusetzen.

Nach den Feststellungen der Denkschrift vom Jahre 1904 waren von den 1800 Gemeinden, die im Jahre 1901 Einkommensteuer erhoben, in 1385 die Einkommensteuerverhältnisse mit denen des Staats vergleichbar; von diesen 1385 Gemeinden erhoben 784 (56,6 °/o) mit 1,879,251 Einwohnern (60,9%) unter 150 °/o, 601 Gemeinden (43,4 °/o) mit 1,208,236 Einwohnern (39,1%) über. 150°/o der Staatseinkommensteuer. Der Durchschnitt lag also damals etwas unter 150% der Staatseinkommensteuer, und dieses Bild dürfte sich seitdem nur insofern geändert haben, als Gemeinden aus den niederen Klassen in die höheren aufgerückt sind.

Unter Berücksichtigung dieses Verhältnisses setzt der Entwurf in § 46 die Grenze, bei der die Genehmigungspflicht eintritt, auf 175 % des Gemeinde- einkommensteuertarifs der betreffenden Gemeinde fest. Die Verteilung dieses Betrags unter die politische, die Schul- und die Kirchgemeinde soll im Ver- hältnisse von 3:3:1 erfolgen , was im grossen und ganzen der tatsächlichen

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Entwicklung entsprechen dürfte. Dass dabei nicht, wie in Preussen, der Staats- einkommensteuertarif, sondern der Tarif der betreffenden Gemeinde als Mass- stab benützt wird, ist in dem Umstände begründet, dass den Gemeinden vom Staatstarif gewisse Abweichungen freistehen. Sollte der letztere trotzdem als Massstab dienen, so würde sich eine Fülle von schwierigen Rechnungen und von Zweifelsfragen ergeben, deren Vermeidung im Interesse der Klarheit und Einfachheit angezeigt erscheint. Es kann dies um so leichter geschehen, als die Abweichungen der Gemeindeeinkommensteuertarife vom Staatstarif ganz wesentlich beschränkt sind, so dass der praktische Unterschied in der Regel wenig Belang haben wird.

Das Gesetz richtet also in §§ 45 und 46 zwei Schranken zum Schütze der Einkommensteuer gegen Ueberspannung durch die Gemeinden auf: Einmal schreibt es vor, dass nur 3/4 des Steuerbedarfs überhaupt durch Einkommen- steuer beschafft werden dürfen, und zum andern macht es die Erhebung einer Einkommensteuer von mehr als 175 °/o des Gemeindesteuertarifs von einer Ge- nehmigung der obersten Behörden abhängig. Diese Massnahmen dienen dem Schütze der Einkommensteuer in ihrer Totalität. Allein eine Ueberspannung der Einkommensteuer liegt auch schon dann vor, wenn nicht die sämtlichen Steuerpflichtigen, sondern lediglich die Angehörigen einzelner Einkommens- klassen überlastet sind, wie dies z. B. durch eine fehlerhafte Progression des Tarifs eintreten kann. Hier wird nur eine gerechtere Ausgestaltung der Steuer Abhilfe bringen. Davon handelt das nächste Kapitel.

c) Die gerechtere Ausgestaltung der Einkommensteuer. „Die Einkommensteuer ist nicht nur die vollkommenste, sondern zugleich

auch die feinste und schwierigste Steuerform u (Fuisting). In jahrzehntelanger mühevoller Zusammenarbeit haben Wissenschaft und Praxis, Verwaltung und Rechtsprechung die von Haus aus manchen Zweifeln unterworfenen Begriffe des Einkommens, des Reineinkommens, ferner den Kreis der Steuerpflichtigen, die zeitlichen Grenzen der Steuerpflicht, die Berechnung des Einkommens und noch vieles andere einer Klärung entgegengeführt. So haben sich allmählich, und zwar mit Wirkung über die Landesgrenzen hinaus, gewisse Grundzüge der Einkommensbesteuerung herausgebildet und durch die Staatseinkommen- steuer im Volksbewusstsein eingelebt. Der Wert einer solchen Einbürgerung wird nicht leicht zu hoch veranschlagt. Wird nachträglich von solchen Grund- zügen - wenn auch in Fragen , in denen eine veränderte Handhabung mit gleich guten Gründen gestützt werden kann - wieder abgewichen, so wird dies in der Regel als lästig und unbillig empfunden; und noch mehr wird dies der Fall sein, wenn die eine Einkommensteuer erhebende Körperschaft (der Staat) die bewährte Praxis gelten lässt, die andere (die Gemeinde) von ihr abgeht. Alle Steuergerechtigkeit ist relativ; nicht diejenige Massregel, die theoretisch am ausreichendsten begründet werden kann, wird als gut und billig von der Allgemeinheit empfunden, sondern diejenige, die infolge langer Uebung im Volksbewusstsein Wurzel geschlagen hat.

Hieraus ergibt sich : Im Interesse einer befriedigenden Gestaltung wird die kommunale Einkommensteuer der staatlichen Einkommensteuer tunlichst genähert und einheitlich für alle Gemeinden geregelt werden müssen. Ab- weichungen von diesen Grundzügen sind nur insoweit am Platze, als sie aus dem Charakter der Steuer als Gemeindesteuer ihre Begründung erhalten.

1. Der Kreis der Steuerpflichtigen, der Umfang der Steuerpflicht, ihre Voraussetzungen, überhaupt die grundlegenden Fragen der Einkommenbesteue- rung werden im Anschluss an das Staatseinkommensteuergesetz zu ordnen sein* Eine Reihe von Abweichungen, die sich aus der Natur der Gemeinde als vor- zugsweise wirtschaftlicher Verband, und ihr fühlbareren räumlichen Begrenzt- heit (§§ 29-32), zum Teil auch aus dem bisherigen Rechtszustande (§ 27) er- klären, sind indessen den Gemeinden offen zu halten.

2. Die Veranlagungen zur staatlichen Einkommensteuer werden auch, so- fern sich das in der Gemeinde zur Steuer heranzuziehende Einkommen mit.

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dem staatssteuerpflichtigen Einkommen deckt, für die Gemeinden bindend sein müssen. Eine verschiedene Einschätzung zur Staats- und Gemeindeeinkommen- steuer bei sonst gleichen Voraussetzungen wird unvermeidlich das Vertrauen in die Gerechtigkeit der Veranlagung erschüttern; denn die Steuerpflichtigen werden sich sagen, dass nur eine der beiden Schätzungen gerecht und richtig sein kann. Gelten aber im allgemeinen die staatlichen Veranlagungen auch für die Gemeinden, so werden die staatlichen Veranlagungsgrundsätze auch in den minder zahlreichen Fällen zur Anwendung zu kommen haben, wo sich das gemeindesteuerpflichtige Einkommen nicht mit dem staatssteuerpflichtigen deckt, also eine besondere Veranlagung notwendig wird. Weiter aber werden die Entscheidungen auf Rechtsmittel gegen die staatliche Veranlagung auch zugleich für die Heranziehung zur Gemeindeeinkommensteuer wirksam sein müssen.

Welche bedeutende Vereinfachung des ohnehin umfänglichen Veran- lagungswesens hiermit für die Gemeinden erzielt wird, liegt auf der Hand. Aber auch für den einzelnen Steuerpflichtigen, dem in der Regel wenigstens die Notwendigkeit doppelter Steuererklärung, doppelter Reklamation usw. er- spart wird, ist damit eine grosse Erleichterung gewährleistet. Und endlich wird auch der Staat von den zahlreichen Rechtsmitteln entlastet, welche eine doppelte Einschätzung und ein getrenntes Rechtsmittelverfahren naturgemäss im Gefolge hat. Offenbar aus diesen Erwägungen heraus hat denn auch bis her schon die Entwicklung sich immer mehr dem nunmehr einheitlich vorzu- schreibenden Zustande genähert.

3. Auch die Annahme der Klasseneinteilung des staatlichen Einkommen- steuertarifs erscheint am Platze. Erst hierdurch werden die Vorteile des ein- heitlichen Veranlagungs- und Rechtsmittel Verfahrens den Gemeinden voll zu- gänglich gemacht. Zwar wird zuweilen behauptet, dass die Stufen der Staats- skala für die Gemeinden zu gross seien. Allein die Staatsregierung hat sich von der Richtigkeit dieses Einwandes nicht überzeugen können. Die Ab- stufungen der Staatsskala beginnen mit 100 M. Zwischenraum und wachsen sehr allmählich an, sind also ohnehin klein genug. Werden sie noch weiter zusammengedrängt, so verlangen sie eine Genauigkeit der Veranlagung, die mit Sicherheit niemals zu erreichen ist. Die Folge ist eine Steigerung der Zahl der Rechtsmittel. Viele Gemeinden haben denn auch die staatlichen Ab- stufungen schon angenommen, und nicht ohne Grund sind Leipzig und Chemnitz nach mehrfachen Versuchen bei der Staatsskala angelangt. In Dresden hat man sich aus Anlass der letzten Steuerreform nach gründlicher Prüfung über- zeugt, dass ein Abgehen von der staatlichen Skala keinen nennenswerten Mehr- ertrag bringen würde, wohl aber mehr Arbeit.

4. Die schwierigste und wichtigste Frage endlich ist, ob den Gemeinden die Sätze des staatlichen Steuertarifs zwingend vorgeschrieben werden sollen. Vom Standpunkt des Staatsinteresses aus ist sie zu bejahen. Zwar hat der staatliche Tarif seine Mängel wie jeder andere , und es sind andere Tarife denkbar, die ebenso gut sind wie er. Aber einen Vorteil hat er: er ist ein- gebürgert, die Bevölkerung hat sich an ihn gewöhnt und sieht in ihm die Verkörperung eines gerechten Opferausgleichs. Gerade im Punkte des Opfer- ausgleichs weisen, wie schon betont, die meisten Sondertarife der Gemeinden recht bedenkliche Mängel auf. Dass die bisherige Freiheit der Gemeinden, sich einen Steuertarif nach eigenem Gutdünken zu schaffen, nicht aufrecht erhalten werden kann, wenn anders nicht auf eine Verbesserung der bestehen- den Verhältnisse von vornherein verzichtet werden soll, ist für die Staats- regierung ausser Zweifel. Hier bleibt nur die tunlichst enge Anlehnung an den Staatstarif übrig. Sie wird vor allem der ungesunden Neigung mancher Gemeinden, die grossen Einkommen ungenügend zur Steuer heranzuziehen, einen Riegel vorschieben. Aber freilich stehen der unterschiedslosen Anwen- dung des Staatstarifs auf die Gemeindeeinkommensteuer mehrfach praktische Schwierigkeiten entgegen, die dazu führen müssen, gewisse Abweichungen in das Ermessen der Gemeinden zu stellen.

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. g25

a) Der staatliche Steuertarif beginnt bei 400 M. Einkommen. An sich möchte die Staatsregierung wünschen, dass die unter dieser Grenze liegenden Einkommen auch von der Gemeindeeinkommensteuer frei gelassen würden. Ihre Heranziehung vermehrt die Zahl der Mahnungen und Pfändungsaufträge ganz unverhältnismässig, und der Ueberschuss des Steuerertrags über die Er- hebungskosten gestaltet sich relativ gering. Leider zeigt aber ein Blick in die Praxis, dass viele Gemeinden ohne Heranziehung der Einkommen unter 400 M. überhaupt nicht auszukommen vermögen. Es gibt eben doch Gemein- den , in denen 50 % aller Steuerzahler mit ihrem Einkommen unter dieser Grenze bleiben. Wo aber die Träger kleinster Einkommen so zahlreich ver- treten sind, lässt sich, wenn anders man den Kreis der Einkommensteuer- pflichtigen nicht allzusehr beschränken, und insbesondere die mittleren Ein- kommen - grosse pflegen dort überhaupt zu fehlen - nicht überlasten will, der bisherige Zustand, d. h. die Heranziehung der Einkommen unter 400 M., nicht schlechthin beseitigen.

Uebrigens werden auch theoretisch verschiedene Gründe für die Besteue- rung sehr kleiner Einkommen geltend gemacht. Einmal wird die Freilassung jener Einkommen von der S t a at ssteuer dadurch einigermassen ausgeglichen, dass ihre Träger zu den indirekten Abgaben des Reiches beitragen, während bei den Gemeinden ein solcher Ausgleich, der dem wichtigsten Grundsatz der Besteuerung, nämlich der Allgemeinheit der Steuer, Rechnung trägt, fehlt. Weiter pflegen gerade die Träger dieser kleinsten Einkommen in besonderem Masse an den Vorteilen der Gemeinde teilzunehmen und ihre Lasten zu ver- mehren, so dass deren Heranziehung aus dem Gesichtspunkte von Leistung und Gegenleistung nicht ungerechtfertigt ist. Und endlich entspricht es nicht den Tatsachen, wenn man annimmt, dass einem Einkommen unter 400 M. im Gegensatz zu den nächsthöheren Klassen jede Leistungsfähigkeit abgehe. Er- fahrungsgemäß sind die Träger jener Einkommen zum grossen Teil Dienst- boten und jugendliche gewerbliche Arbeiter, denen die Zahlung einer massigen Steuer eher leichter fällt als den in den nächsthöheren Klassen zahlreich vor- handenen Haushaltungsvorständen, die nicht nur für sich allein zu sorgen haben.

Man wird nicht umhin können, die Besteuerung wenigstens der Ein- kommen zwischen 200 und 400 M. den Gemeinden freizustellen. Wohl aber soll gleichzeitig Vorsorge getroffen werden, dass sie nur mit verhältnismässig geringen Sätzen belegt werden dürfen. Das geschieht, indem für Steuer- pflichtige mit mehr als 200 - 300 M. Einkommen der zulässige Satz auf die Hälfte, für Steuerpflichtige mit Einkommen von mehr als 300-400 M. auf 8/4 des die nächsthöhere Klasse treffenden Satzes beschränkt wird (§ 33). Weiter aber wird ihre Besteuerung davon abhängig gemacht, dass in der Ge- meinde keine Kopfsteuer erhoben wird: denn diese ist im Grunde genommen ohnehin nichts anderes als eine Verschlechterung der Progression der Ein- kommensteuer (§ 61).

Eine solche Regelung bildet nach Ansicht der Staatsregierung das augen- blicklich Erreichbare. Am jetzigen Zustande gemessen, ist der damit erzielte Fortschritt immerhin schon beträchtlich. Zu hoffen bleibt aber, dass das Wachsen des allgemeinen Wohlstandes immer mehr Gemeinden in den Stand setzen wird, die Einkommen unter 400 M. von jeder Besteuerung frei zu lassen, und dass die Gemeinden eintretendenfalls von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden.

b) Gegen die Anwendbarkeit des Staatstarifs auf die Gemeihdebesteuerung wird häufig ins Feld geführt, der Staatstarif wirke in vielen Gemeinden in- folge der Höhe der Gemeindelasten und der eigenartigen Klassenzusammen- setzung der steuerpflichtigen Bevölkerung ganz anders als im Staate : er ziehe die unteren Klassen ungenügend heran und belaste die oberen Einkommen so stark, dass deren Träger zum Wegzug veranlasst würden. Wennschon dieser Einwand nicht immer stichhaltig ist, so ist er doch nicht völlig von der Hand zu weisen. Der Staatstarif gewinnt bei seiner Anwendung auf Gemeinden, die gezwungen sind, mehrere 100 °/o Einkommensteuer zu erheben, doch ein wesent-

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326 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

lieh verändertes Aussehen. Er ist eben von Hause aus auf die 100 °/o Steuer, nicht mehr noch weniger, angelegt. Bei dieser Höhe zahlt ein Einkommen von 1000 M. 1 °/o, ein solches von 10,000 M. 3,54 °/o; werden aber beispielsweise 500 % Steuer erhoben, so zahlt das Einkommen von 1000 M. immer erst 5°/o, dasjenige von 10,000 M. aber bereits 17,7% Steuer! Das Bild verschiebt sich also stark zuungunsten der höheren Einkommen.

Wird nun der Staatstarif auf eine Gemeinde angewendet, die bei starkem Anlagebedarf einen oder zwei grosse Steuerzahler, sonst aber nur kleine hat, so wird die Beschwerung der grossen Einkommen im Verhältnis zu der geringen Mitleidenschaft der anderen an den Gemeindelasten unter Umständen so auf- fällig und drückend, dass die Gemeinde die grossen Steuerzahler verliert. Die Folge ist dann, dass die kleinen Steuerzahler die Last, die mit dem Staatstarif von ihnen ferngehalten werden sollte, nun erst recht und dauernd aufgebürdet erhalten.

Es ergibt sich also, dass der Staatstarif wegen seiner stärkeren Degression nach den kleineren Einkommen zu nicht für alle Gemeinden geeignet ist. Will man ihn daher grundsätzlich festhalten, so muss man wenigstens den Gemeinden die Möglichkeit offen lassen, innerhalb gewisser Grenzen diese Degression ab- zuschwächen. Das kann auf zweierlei Weise geschehen: entweder indem man nachlässt, die Progression in den höheren Einkommensklassen zu vermindern (z. B. von 5 % auf 4 %) oder indem man eine Erhöhung in den unteren und mittleren Klassen gestattet. Der erste Weg empfiehlt sich nicht; er würde nur zu leicht zum Umweg werden, auf dem die unverhältnismässige Schonung der grösseren Einkommen, die gerade ausgeschlossen werden soll, ihren Einzug wieder hält. So ist denn der Weg in § 33 Abs. 1 c gewählt worden. Danach können die Gemeinden die Steuersätze für die kleinen und mittleren Einkommen in gewissen Grenzen erhöhen, also das starke Abfallen des Staatstarifs nach unten korrigieren; tun sie es aber, indem sie die Sätze der unteren Klassen erhöhen, so müssen sie diese Erhöhung zur Aufrechterhaltung der logischen Entwicklung der Progression auch bis in die mittleren Einkommen vornehmen, und keinesfalls können sie, wie bisher nur zu oft, die grösseren Einkommen übermässig schonen.

Auch die Zulassung dieser Abweichung vom Staatstarif ist nur ein von den tatsächlichen Verhältnissen aufgezwungener Notbehelf, und hoffentlich wird es in nicht zu ferner Zukunft die wirtschaftliche Entwicklung den Gemeinden möglich machen, die staatlichen Steuersätze ausnahmslos anzuwenden. Nicht genug betont aber kann werden, dass auch dort, wo von der jetzt gebotenen Füglichkeit Gebrauch gemacht werden wird, fast immer eine gerechtere Ver- teilung der Steuerlast als bisher eintreten wird, dass also die Neuerung, wennschon sie nicht alle berechtigten Wünsche befriedigt, doch eine wesentliche Verbesse- rung im Interesse der schwächeren Schultern bringt.

Einige Beispiele zulässiger Abweichungen von der Staatssteuerstaffel gibt folgende Tabelle auf S. 327.

Unbenommen soll es naturgemäss den Gemeinden sein, den Staatssteuer- tarif insoweit abzuändern, als sie die Steuerpflicht erst bei höheren Einkommen als 400 M. beginnen lassen. Dagegen muss die Staatsregierung ablehnen, die Er- höhung des Tarifs für die grösseren Einkommen (von der 21. Klasse aufwärts) in das Belieben der Gemeinden zu stellen. Würde eine solche Erhöhung gleich- zeitig ausser für die grösseren Einkommen auch für die mittleren und kleinen vorgenommen, so würde die Linie der Progression nur wenig anders als beim Staat verlaufen^ die praktische Wirkung also zumeist ohne Belang sein. Würde aber die Erhöhung einseitig für die grösseren Einkommen, oder gar unter Er- mässigung der Sätze für die mittleren und kleinen Einkommen beschlossen, so wäre damit die Gefahr einer Ueberbürdung der grösseren Einkommen in greif- bare Nähe gerückt, und da dies erfahrungsgemäss zum Wegzug der Träger solcher Einkommen führt, so widerspricht sie gleichermassen dem Interesse des Staats wie der Gemeinden selbst.

Der zuweilen gehörte Einwand, die besonderen Verhältnisse in der Ge- meinde erheischten einen besonderen Tarif, der von demjenigen des Staats völlig

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 32 7

Höhe des Ein- Staatssteuer- Beispiele zulässiger Abweichungen Klasse ü^T*!! ™£ staffel von der staatssteuerstaffel

tfllA t"'Á t/Hj t/ftk I t/nJ | t/H'

1 c 200- 300 - -,75 1,- 1,25 lb 300- 400 - 1.10 1,50 1,80 la 400-500 1 1,50 2,- 2,5o1) 1 500- 600 2 2,50 3,- 4,- 2 600- 700 3 5,- 5,- 1 - 3 700- 800 4 8,- 8,- 10,- 4 800- 950 7 11,- 11,- 15,- 5 950-1100 10 15,- 14,- 20,- ]) 6 1100-1250 13 20,- 18,- 25,- 7 1250-1400 16 25,- 23,- 30,- 8 1400-1600 20 31,- 28,- 36,- 9 1600-1900 26 37,- 34,- 42,-

10 1900-2200 36 44,- 41,- 49,- 11 2200-2500 46 52,- 50,- 58,- 12 2500-2800 56 61,- 60,- 68,- 13 2800-3100 67 72 79,- 14 3100-3400 78 84 90,- 15 3400-3700 90 97 102, - .16 3700-4000 105 110 116,- 17 4000-4300 120 125 130,- 18 4300-4800 140 142 146,- 19 4800-5300 160 160 162,- 20 5300-5800 180 21 I 5800-6300 200 22 6300-6800 221 23 6800-7300 242 24 7300-7800 263 25 7800-8300 285

abweiche, hat nach den Wahrnehmungen der Staatsregierung bisher nirgends eine überzeugende Begründung erfahren. Immerhin soll den Gemeinden in Zu- kunft eine solche Beweisführung und damit die Schaffung eines auf örtlichen Besonderheiten aufgebauten Tarifs durch § 33 Abs. 2, übereinstimmend mit Preussen, offen gehalten werden. Es darf aber dabei erwähnt werden, dass in Preussen solche eigene Tarife nur in Frankfurt a. M. und Altona zur Einführung gelangt sind.

5. Es kann nicht ausbleiben, dass bei der Erörterung der gerechten Aus- gestaltung der Einkommensteuer auch die Frage nach einer stärkeren Heran- ziehung des sog. fundierten Einkommens im Wege der Einkommenbesteuerung wieder in den Vordergrund rückt. Dass eine stärkere Heranziehung des Besitz- einkommens der Steuergerechtigkeit entsprechen würde, ist nicht zu verkennen. Das Besitzeinkommen ist dem Arbeitseinkommen durch seine Nachhaltigkeit und Sicherheit sowie durch seine grössere Kreditfähigkeit offenbar überlegen; der Träger eines fundierten Einkommens ist daher im steuerlichen Sinne leistungs- fähiger als der Träger eines gleichhohen Arbeitseinkommens. Ist daher eine höhere Besteuerung des Besitzeinkommens an sich gerechtfertigt, so begegnet sie doch unüberwindlichen Schwierigkeiten; denn es erweist sich bei näherer Prüfung immer wieder als unmöglich, das Arbeits- und das Besitzeinkommen .scharf zu scheiden. Die meisten Einkommen beruhen eben auf einer Verbindung

l) Höchstgrenze. 815

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328 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911...

von Besitz und Arbeit, und es wird nie gelingen, einwandsfrei festzustellen, wieviel davon auf die Arbeit, wieviel auf den Besitz zurückzuführen sei. Das Wort des preussischen Finanzministers Mi quel gilt noch heute : „Vergeblich werden Sie den so berechtigten Versuch machen, das fundierte Einkommen in der Form der Einkommensteuer stärker zu belasten als das unfundierte. "

d) Der Schutz vor Doppelbesteuerung.

Von Doppelbesteuerung spricht man, wenn eine Person in mehreren Ge- meinden gleichzeitig mit ihrem Einkommen oder mit einem aus einer bestimmten Quelle entspringenden Teile davon zur Einkommensteuer herangezogen wird, dergestalt, dass sie ihr Einkommen oder einen Bestandteil davon mehrfach ver- steuert. Dieser Fall kann eintreten, wenn die Person ihren Wohnsitz in mehreren Gemeinden hat oder ausserhalb ihres Wohnsitzes ein Gewerbe betreibt oder Grund- besitz hat. Er ist tatsächlich bisher bei sächsischen Gemeinden sehr zahlreich vorgekommen und hat viele Klagen im Gefolge gehabt. Zu beseitigen ist die Doppelbesteuerung nur dadurch, dass die Besteuerungsrechte der Gemeinden scharf gegeneinander abgegrenzt und zwar so abgegrenzt werden, dass das Besteuerungs- recht der einen Gemeinde jeweilig das Besteuerungsrecht einer anderen Ge- meinde ausschliesst.

An sich ist es nicht richtig, dass eine jede Doppelbesteuerung eine Un- billigkeit enthält. Wenn z. B. jemand aus eigener freier Entschliessung eine Wohnung in der Grossstadt und daneben eine Sommerwohnung in einem Villen- vororte und ausserdem noch ein Landhaus im Gebirge besitzt, so geniesst er eben die Vorteile und Annehmlichkeiten von drei Gemeinden und kann sich nicht beklagen, wenn er das Mehr an Genuss, das er gegenüber anderen hat, durch ein Mehr an Steuern abgilt. Nicht viel anders liegt die Sache, wenn jemand in der einen Gemeinde seine gewerbliche Niederlassung hat, seine Wohnung aber aus Gründen der Bequemlichkeit oder Annehmlichkeit in einer anderen Gemeinde aufschlägt. Nur vergessen diejenigen, die den Gemeinden deshalb ein weitgehendes Doppelbesteuerungsrecht zubilligen wollen, dass diese Fälle unter den Doppel- besteuerungsfällen die Ausnahme bilden, und dass jene Fälle bei weitem über- wiegen, in denen die doppelte Steuerpflicht durch von dem Willen des Betroffenen unabhängige, zumeist wirtschaftliche, zwingende Gründe verursacht ist. Hier aber wirkt die Doppelbesteuerung nur zu leicht hart und unbillig. Es ist auch ganz ausgeschlossen, etwa die verschiedenen Arten der Fälle voneinander sondern zu wollen, wenn anders man nicht die Entscheidung auf Vermutungen und An- nahmen und damit auf Willkür aufbauen will.

Diese Erwägungen haben die Staatsregierung bestimmt, die gemeindlichen Besteuerungsrechte schärfer als bisher gegeneinander abzugrenzen und die Doppel- besteuerung nunmehr so gut wie ganz auszuschliessen. Das Nähere hierüber wird in den Bemerkungen zu den betreffenden Paragraphen ausgeführt. Voraus- setzung für eine solche Abgrenzung war zunächst die erneute klare Umschreibung des Kreises der Gemeindesteuerpflichtigen überhaupt. Nicht als ob es bisher an dieser Umschreibung gefehlt hätte: aber sie erwies sich seit langem als veraltete Die Gemeindesteuerpflicht war nach den Gemeindeordnungen der Ausfluss der Gemeindemitgliedschaft; allein ganz allmählich hat sich an die Stelle des Prinzips der Gemeindemitgliedschaft, hauptsächlich mit der Ausbildung der Einkommen- steuer, das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit gesetzt, dem bisher im Wege der Nachsichtserteilung gegenüber den Bestimmungen in § 16 der revi- dierten Landgemeindeordnung und § 25 der revidierten Städteordnung Rechnung getragen wurde. Nunmehr soll in den §§ 13 ff. des Entwurfs der Grundsatz der wirtschaftlichen Zugehörigkeit allgemein an die Stelle des Grundsatzes der Ge- meindemitgliedschaft treten. Bei dieser Neuordnung mussten auch zwei Begriffe geklärt werden: die Begriffe des Wohnsitzes und der gewerblichen Niederlassung. Für beide ist der Anschluss an das bewährte und eingelebte Reichsdoppelsteuer- gesetz vom 13. Mai 1870 (jetzige Fassung vom 22. März 1909, R.G.B1. S. 332) gesucht worden.

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Begründung zum sächsischen Gemeindestenergesetzentwurf vom 30. November 1911. 3291

Auf diesen Unterlagen bauen die §§ 37 - 44 weiter. Sie verfolgen einen doppelten Grundgedanken:

1. Haben mehrere Gemeinden ein Besteuerungsrecht am Einkommen einer Person, so sollen sie sich in das Steuerobjekt teilen, sei es, dass die einzelne Ge- meinde nur einen Teil des Einkommens besteuert, sei es, dass sie das ganze Ein- kommen nur für einen Teil des Jahres zur Steuer heranzieht. Die Teilung soll den billigen Interessen der Gemeinden entsprechen und jedenfalls den Eintritt der Doppelbesteuerung verhindern.

2. Jeder Steuerpflichtige soll in jeder Gemeinde nach seiner Gesamtleistungs- fähigkeit besteuert werden. Wenn also z. B. ein auswärts wohnender Grund- besitzer mit einem Gesamteinkommen von 100,000 M. in einer Gemeinde, die 100 % nach dem Staatseinkommensteuertarif erhebt, mit 1000 M. Grundstücks - einkommen gemeindesteuerpflichtig ist, so soll er nicht, wie zumeist bisher, in Klasse 5 mit 10 M., sondern nach Klasse 118 mit Vioo von 4940 M., also mit 49,40 M, besteuert werden.

Die schon bisher vorhandenen, wenn auch unzureichenden, Bestimmungen zum Schütze gegen Doppelbesteuerung schützten, wenigstens nach der Recht- sprechung des Oberverwaltungsgerichts, lediglich vor einer Doppelbesteuerung der in Sachsen liegenden Einkommensquellen. Dagegen waren sächsische Gemeinden nicht behindert, Einkommensquellen, die ausserhalb Sachsens, z. B. in Preussen oder Bayern bestanden, ohne Rücksicht auf die dortige Besteuerung voll heran- zuziehen. Auch mit dieser Möglichkeit soll gebrochen werden; die Bestimmungen über die Doppelbesteuerung unterscheiden nicht zwischen Sachsen und den übrigen Bundesstaaten. Die Staatsregierung glaubt damit dem modernen Rechts- gefühl Rechnung zu tragen. Selbst wenn von anderen Bundesstaaten die Gleich- stellung noch nicht in so weitgehendem Masse anerkannt werden sollte, so wird doch derjenige Staat am meisten vorbildlich auf die anderen wirken, der keine Unterschiede diesseits und jenseits der Landesgrenze macht. Daneben wird er die umfänglichen Verhandlungen und Staatsverträge über Einräumung der Gegen- seitigkeit sparen.

Die Nichtübereinstimmung der Vorschriften über die Besteuerung in Sachsen und den übrigen Bundesstaaten lässt trotz alledem immer wieder Fälle möglich erscheinen, in denen eine Doppelbesteuerung eintritt. Hier kann Abhilfe nur durch Verständigung von Staat zu Staat geschaffen werden. Der § 22 sieht diesen Weg in gleicher Weise vor, wie dies in Preussen und Bayern durch Gesetz ge- schehen ist.

e) Vereinheitlichung des formalen Steuerrechts. Die Abschnitte II bis V des Entwurfs regeln im wesentlichen das sog. fermale

Steuerrecht, und zwar in vielen Punkten erschöpfend. Sie gehen davon aus, dass auf den meisten Gebieten des formalen Steuerrechts - insbesondere denjenigen der Veranlagung, der Rechtsmittel, der Verjährung, der Straf bestimmungen - die Gemeinden so gut wie kein Interesse daran haben, nach Gutdünken schalten zu können, dass es dagegen für die Steuerpflichtigen von allergrösstem Wert ist, wenn gerade hier eine gewisse Einheitlichkeit und damit für sie eine grössere Rechtssicherheit als bisher geschaffen wird. Die Bestimmungen schliessen sich teils dem bisherigen Rechte, teils den parallel laufenden Einrichtungen des Staats an; das Nähere darüber ergeben die Bemerkungen zu den einzelnen Paragraphen.

f)Die Besteuerung des Staatsfiskus.

Naturgemäss wird sich das Gemeindesteuergesetz auch mit den Besteuerungs- befugnissen der Gemeinden gegenüber dem Staate befassen und damit eine Frage berühren müssen, die, ähnlich wie umgekehrt die Besteuerung der Gemeinden durch den Staat, in der Praxis von jeher und noch bis auf die neueste Zeit eine Quelle unerquicklicher Zweifel und Meinungsverschiedenheiten gebildet hat und für die sich eine beide Teile befriedigende und alle Differenzen ausschliessende gesetzgeberische Regelung kaum jemals wird finden lassen. Ueberall, wo es sich

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330 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November ion.

um die Besteuerung des Staats durch die Gemeinden handelt, liegt die Rücksicht auf die Allgemeinheit und auf die Gesamtheit der Steuerzahler mit dem Streben der Gemeinden, ihre Mitglieder auf Kosten des Staats soweit als nur möglich zu entlasten, im Widerstreit. Nicht selten begegnet man der unzutreffenden Auf- fassung, dass der Staat im Grunde genommen bei der Gemeindebesteuerung keine andere Behandlung zu beanspruchen habe, als die Mitglieder der Gemeinde. In Wahrheit leitet sich aber das Besteuerungsrecht der Gemeinde vom Staat ab, und der Staat ist nur insoweit gemeindesteuerpflichtig, als er selbst es für an- gemessen befindet, sich freiwillig dieser Steuerpflicht zu unterwerfen, wie denn bekanntlich auch die Reichsverwaltung daran festhält, dass das Reich als poli- tisches Gemeinwesen, welches die Gesamtheit der Bundesstaaten zur politischen Einheit zusammenfasse und insoweit über dem einzelnen Bundesstaate stehe, von -einer Steuerpflicht in den deutschen Einzelstaaten ohne weiteres befreit sei und nur durch Reichsgesetz, nicht aber ohne seine Einwilligung durch die einzel- staatlichen Gesetzgebungen irgendwelchen steuerlichen Verpflichtungen unter- worfen werden könne.

Die Schwierigkeiten der ganzen Materie legen die Frage nahe, ob es nicht möglich ist, alle und jede Besteuerung zwischen Staat und Gemeinden aufzu- heben und so die Regelung überflüssig zu machen. Allerdings würde die wechsel- seitige Befreiung dem Staatsfiskus sehr erhebliche Opfer auferlegen. Berech- nungen hierüber sind von der Staatsregierung im Jahre 1905 angestellt worden. Danach stand die Steuerleistung des Staats an die Gesamtheit der Gemeinden hinter derjenigen der Gesamtheit der Gemeinden an den Staat noch um rund 348,000 M. zurück. Aber selbst wenn der Staat dieses Opfer auf sich nehmen wollte, würde der gegenseitige Verzicht auf die Besteuerung aus anderen Gründen undurchführbar erscheinen.

Die gegenseitige Aufhebung der Besteuerung würde, wie bemerkt, für die Gesamtheit der Gemeinden - einschliesslich der Schul- und Kirchgemeinden - einen beträchtlichen Gewinn bedeuten. Verteilte sich dieser Gewinn gleich- massig oder doch wenigstens annähernd gleichmässig auf die einzelnen bürger- lichen, Schul- und Kirchgemeinden, so würde dem gegenseitigen Verzichte von diesem Standpunkte aus kein Bedenken entgegenstehen. Leider ist aber von einer solchen Gleichmässigkeit keine Rede. Fasst man zunächst die drei Gemeinde - gruppen: bürgerliche, Schul- und Kirchgemeinden, getrennt ins Auge, so kann nach ungefährer Schätzung - genaue Berechnungen waren nach den Unterlagen nicht möglich - angenommen werden, dass der Gewinn der politischen Gemeinden in ihrer Gesamtheit im Jahre 1905 nicht nur 348,000 M., sondern rund 465,000 M. betragen haben würde, und dass diesem Gewinn auf Seiten der Schulgemeinden in ihrer Gesamtheit ein Verlust von etwa 113,000 M. und auf Seiten der Kirch- gemeinden in ihrer Gesamtheit ein Verlust von etwa 4000 M. gegenübergestanden hätte. Aber auch innerhalb der einzelnen Gemeinden des Landes (bürgerliche, Schul- und Kirchgemeinden zusammengenommen) würde der gegenseitige Ver- zicht ganz verschieden wirken. Fast durchgängig würden die wohlhabenden Gemeinden den Vorteil, die armen Gemeinden, insbesondere die Landgemeinden unter ihnen, den Nachteil davon haben. So hätten z. B. im Jahre 1905 in runder Summe gewonnen: Dresden 49,000 M., Leipzig 99,000 M., Chemnitz 23,000 M., Plauen 12,500 M., Zwickau 23,500 M., Freiberg 9000 M., Zittau 25,000 M., Bautzen 5500 M., Löbau 10,500 M. Ganz anders dagegen bei vielen kleinen Gemeinden, in denen der Staat, sei es als Grundbesitzer, sei es als Gewerbetreibender, der hauptsächlichste Steuerzahler ist, dessen Wegfall durch die gleichzeitige Be- seitigung der Staatssteuerpflicht der Gemeinde nicht entfernt aufgewogen wird. So würde, um nur einige Beispiele anzuführen, der Wegfall der Steuerleistung des Staats - trotz des gleichzeitigen Wegfalls der Staatssteuerpflicht der Gemeinde -

in eine Einbusse von Berntitz 74,65% Grosssedlitz 27,94% Kleinstruppen 79,94% Obervogelgescang 37,89 %

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^Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 331

in eine Einbusse von Pillnitz 20,54% Pratzschwitz 26,57 % Reckwitz 45,74 % Zschadrass 47,16 %

der dortigen Einnahmen an direkten Steuern für Gemeinde, Schule und Kirche im Jahre 1905 zur Folge gehabt haben.

Gerade mit Rücksicht auf diese ungleichmässige Wirkung hat die Zweite Kammer im Landtag 1897/98 die damals von der Staatsregierung vorgeschlagene Einkommensteuerbefreiung der Gemeinden abgelehnt.

Der gegenseitige Steuerverzicht zwischen Staat und Gemeinden würde übrigens auch unerwünschte Folgen für das Besteuerungsrecht der Gemeinden gegenüber dem Reich haben. Nach § 3 des Reichsbesteuerungsgesetzes vom 15. April 1911 (R.G.B1. S. 187) kann das Reich, soweit es überhaupt der Ge- meindebesteuerung unterliegt (Grundsteuer, Besitzwechselabgabe, Biersteuer), nur in demselben Umfange herangezogen werden wie der einzelne Bundesstaat. Wird dieser also künftig steuerfrei gelassen, so wird der Reichsfiskus mit seinen ■zahlreichen Grundstücken gleichzeitig keine Gemeindesteuern mehr entrichten - eine Vergünstigung, die er ohne jede Gegenleistung erlangen würde.

Wird sonach die gegenseitige Besteuerung der Gemeinden und des Staats beibehalten werden müssen, so kann es sich bei der Neufassung der darüber geltenden Bestimmungen auch nicht um grundsätzliche Aenderungen des bis- herigen Rechtszustands im einzelnen handeln. Aufrecht erhalten werden soll zunächst

a) die Einkommensteuerpflicht des Staatsfiskus hinsichtlich seines Ein- kommens aus Grundbesitz und gewerblichen Unternehmungen (§ 23 Ziff. 5). Die ausdrücklich in das Gesetz aufgenommene Befugnis des Schuldzinsenabzugs be- deutet keine Neuerung, sondern ist vom Oberverwaltungsgerichte schon seither als zulässig anerkannt worden (Jahrbücher 5, 182). Ausgenommen von der Steuerpflicht bleiben auch künftig das Einkommen aus dem Eisenbahnbetriebe und aus der Landeslotterie. Diese Steuerfreiheit erstreckt sich nach wie vor (Jahrbücher des Oberverwaltungsgerichts 12, 354) nicht auf das Einkommen der Staatseisenbahnverwaltung aus der Vermietung und Verpachtung von Grund- stücken und Grundstücksteilen (Wohnräumen, Bahnhofswirtschaften, Bahnhofs- buchhandlungen, Barbiergeschäften, Grasnutzungen, Speditions- und Lager- schuppen u. dgl.), wohl aber ausnahmslos auf das Einkommen aus dem eigentlichen Staatseisenbahnbetriebe, d. h. aus den unmittelbar für Zwecke des Eisenbahn- dienstes benutzten und bestimmten Räumen und Flächen. Hierzu gehören auch die Eisenbahnnebenbetriebe (Werkstätten, Gasanstalten, Betriebselektrizitäts- werke, Holztränkungsanstalten usw.).

b) Von der Grundsteuer und Einkommensteuer befreit sollen auch künftig alle diejenigen Grundstücke sein, welche unmittelbar öffentlichen Zwecken des Staats dienen, soweit sie solche Befreiung bisher schon genossen haben ( § 50, 26). Dienen solche Grundstücke teilweise anderen Zwecken, so sind sie insoweit steuer- pflichtig.

Ebenso bleiben von diesen Steuern befreit die staatlichen Verkehrsräume, zu denen künftig noch diejenigen Grundstücke treten sollen, auf denen sich die Schienengleise der Staatseisenbahnen befinden. Abgesehen davon, dass diese dem eigentlichen Staatseisenbahnbetriebe dienen, rechtfertigt sich ihre Freilassung schon aus ihrer Natur als öffentliche Verkehrsräume.

c) Wenn dem Staatsfiskus ferner beim Erwerb von Grundstücken zu öffent- lichen Zwecken die Zahlung einer Besitzwechselabgabe nicht angesonnen werden soll, so entspricht dies nicht allein der Billigkeit, sondern enthält auch eine Gleich- stellung mit den Gemeinden und Gemeindeverbänden, die ebenfalls in gleichen Fällen steuerfrei bleiben sollen (§ 10).

d) Die Befreiung der gewerblichen Betriebe des Staatsfiskus von einer Ge- werbesteuer (§56) lehnt sich, soviel die Eisenbahnen und die Landeslotterie an- langt, an das bestehende Recht an. Die Freilassung auch der übrigen Staats-

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332 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

betriebe rechtfertigt sich schon durch die Erwägung, dass der Staat seinerseits darauf verzichtet hat, die gewerblichen Betriebe der Gemeinden zur Ergänzungs- steuer heranzuziehen. Auch darf nicht übersehen werden, dass der Staatsfiskus sich bei mangelndem Gedeihen seiner Unternehmungen nicht in der Lage eines Privatunternehmers befindet, der gegebenenfalls den Betrieb einstellen und sich dadurch von der Gewerbesteuerpflicht befreien würde. Vielmehr ist der Staat nicht selten genötigt, einen bestehenden Gewerbebetrieb ohne jede Aussicht auf Gewinn und mit beträchtlichen Zuschüssen aus der Staatskasse lediglich aus sozialpolitischen Rücksichten auf lange Jahre hinaus fortzusetzen (z. B. den fiskalischen Erzbergbau in Freiberg). Es würde unbillig sein, ihn wegen eines solchen Betriebes zur Gewerbesteuer heranzuziehen.

Genau die gleichen Erwägungen rechtfertigen die Befreiung des Staatsfiskus von den Bestimmungen in § 31, die die stärkere Heranziehung des Gewerbes zur Einkommensteuer aus dem Gesichtspunkt von Leistung und Gegenleistung zum Gegenstand haben.

e) Dass der Staatsfiskus in keiner Gemeinde als Forenser (auswärts wohnender Grundstücksbesitzer oder Gewerbetreibender) angesehen werden kann, war schon bisher vom Oberverwaltungsgericht ausgesprochen worden. Die Bestimmung in § 37 Abs. 2 gibt also nur bestehendes Recht wieder.

f) Grosse Unbilligkeiten haben sich wiederholt bei der Anwendung von Grundsteuern nach dem gemeinen Wert oder nach gewissen angenommenen Er- trägen auf staatliche Grundstücke, die öffentlichen Zwecken dienen, herausgestellt. Es kann unmöglich weiter geduldet werden, dass die Gemeinden Grundstücke, die dauernd zur Unterbringung staatlicher Behörden oder Anstalten bestimmt sind und deren Errichtung oder Bau von den Gemeinden erst mit allen Mitteln und mit dem grössten Hochdruck betrieben zu werden pflegte, nach willkürlich festgesetzten, rein fiktiven Erträgen, die sie nie bringen und nie bringen können, oder nach angenommenen Verkehrswerten besteuern, die für benachbarte private, im freien Verkehr stehende Grundstücke zutreffen mögen, für den Staat aber hinsichtlich seines, wenn nicht rechtlich so doch tatsächlich an die Verwendung zu öffentlichen Zwecken dauernd gebundenen Grundbesitzes völlig unangemessen und niemals realisierbar sind. Abhilfe will hier der § 52 schaffen. Er sichert den Gemeinden, denen, wie schon angedeutet, aus dem Vorhandensein staatlicher Gebäude und Behörden in ihren Gemeindebezirken ohnehin schon mittelbar und unmittelbar regelmässig sehr erhebliche Vorteile zugute gehen, immer noch eine recht ausgiebige Heranziehung des Staates zur Gemeindegrundsteuer auch für die Zukunft.

g) Einer Sonderbehandlung bedarf auch, und zwar im Interesse der Ge- meinden, die Besteuerung des staatlichen Einkommens aus Holzboden. An sich ist auch das Einkommen aus forstwirtschaftlich genutztem Grundbesitz nach Massgabe des tatsächlich erzielten Ertrags zu veranlagen. In Ansehung der kleinen Forstflurstücke, die einzelnen Land- und Forstwirten oder sonstigen Privatpersonen in einer Gemeinde gehören, wird dies für die Grundstücksbesitzer wie für die Ge- meinden kaum zu Ungelegenheiten führen. Diese sogenannten Bauernwälder werden oft nur genutzt, soweit es der eigene Bedarf an Holz erfordert, und bilden wohl vielfach den Reservefonds, den der Besitzer in Zeiten finanzieller Bedrängnis angreift. Das Einkommen aus solchen Holzgrundstücken wirkt daher gegebenen- falls sogar ausgleichend auf das Gesamteinkommen ihrer Eigentümer.

Sind dagegen Gemeindeflurstücke mit grösseren - ausserhalb des Ge- meindebezirks gelegenen - Waldungen (exemten Staatsforstrevieren) wirtschaft- lich verschmolzen, die nach forstwirtschaftlichen Grundsätzen bewirtschaftet werden, so kann diese Art der Besteuerung zu Schwierigkeiten für die Gemeinde selbst führen. Die Hauptnutzungen solcher Forstgrundstücke werden in der Regel bei Kahlschlag gezogen, d. h. nur etwa aller 80 Jahre einmal. In diesem Jahre des Abtriebs ist das Einkommen aus dem Grundstück ganz erheblich. Die in der Zwischenzeit gezogenen Zwischen- und Nebennutzungen dagegen decken oft kaum die Werbungskosten oder übersteigen sie im Höchstfalle ganz unwesentlich.

Eine so geregelte Forstwirtschaft ist daher geeignet, in den Haushaltplänen 820

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 333

der Gemeinden grössere Schwankungen hervorzurufen. Dieser Uebelstand ist namentlich für kleinere Gemeinden sehr empfindlich, zumal wenn dort forst- wirtschaftlich genutzte Grundstücke einen wesentlichen Teil des Gemeindebezirks, aber nur einen geringen Teil des Reviers darstellen und fast gleichzeitig zum Abtrieb kommen. Noch fühlbarer wrird der Umstand dann, wenn bisher land- wirtschaftlich genutzter Boden der Holzzucht zugeführt und so der Gemeinde auf eine lange Reihe von Jahren eine Einkommensteuerquelle entzogen wird.

Durch § 36 sollen die Gemeinden künftig in den Stand gesetzt werden, dem Uebelstand zu begegnen. Daneben wird ihnen auch künftig der Weg einer Verein- barung mit dem Staatsfiskus, der schon bisher vielfach begangen worden ist, nach § 64 (Ges. § 62) offen stehen.

B. Bemerkungen zu den einzelnen Paragraphen. Einleitende Bestimmungen.

§§ i-o. Zu § 1. Nach wie vor sollen die Gemeinden nicht, wie in den meisten

anderen deutschen Staaten, auf die Erhebung bestimmter, im einzelnen aufge- führter Steuern beschränkt werden, sondern ihre weitreichende Autonomie be- halten.

Quantitativ ist das Recht der Gemeinde, Steuern zu fordern, in Abs. 2 be- schränkt, und zwar auf den durch alle sonstigen Einnahmen der Gemeinde nicht gedeckten Bedarf. Satz 2 von Abs. 2 will der Gemeindevertretung eine sichere Rechtsgrundlage geben, Wenn sie angemessene Rücklagen beschliesst; ein Recht der Aufsichtsbehörde, die Einstellung von Rücklagen in den Haushaltplan zu ver- langen, kann und soll aus dieser Bestimmung nicht hergeleitet werden. Im Grunde genommen versteht sich von selbst, dass derartige Rücklagen einen Teil des ordent- lichen Gemeindebedarfs ausmachen. Die tatsächliche Wirtschaftsperiode der Gemeinden ist heute, wo die Gemeinden eine grosse Anzahl weit hinausgreifender Aufgaben zu erfüllen haben, bei weitem länger als die rechtliche, das Haushalt- planjahr. Eine Gemeinde, die ihren Haushaltplan jeweils nur auf ein Jahr aufstellt, ohne sich um das zu kümmern, was nach dieser Zeit notwendig werden wird, handelt, vom volkswirtschaftlichen wie vom kaufmännischen Standpunkt aus betrachtet, gleich verfehlt. Bei weitem nicht alle Ausgaben wiederholen sich, und die sich wiederholen, tun es nicht in jedem Jahre; wohl aber lässt sich bei fast allen schon lange im voraus der Zeitpunkt bestimmen, zu dem sie an die Gemeinde herantreten werden. Zu den ersten Erfordernissen einer geschickten Gemeindewirtschaft gehört es, stossweises Auf- und Abschwellen des Gemeinde- bedarfs tunlichst zu vermeiden. Das Mittel dazu ist die rechtzeitige Einstellung von Rücklagen für Zwecke, die erst in der Zukunft Ausgaben verursachen werden.

Abs. 3 findet sich auch in anderen deutschen Gemeindeabgabengesetzen, ins- besondere denjenigen von Preussen, Braunschweig, Anhalt. Ob ein Unternehmen gewerblicher Natur, d. h. ausschliesslich oder doch wesentlich nebenher auf Ge- winn gerichtet oder in erster Linie dem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt ist, lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden.

Zu § 2. Für das den Ortsarmenverbänden nach § 19 der Armenordnung vom 22. Oktober 1840 zustehende Besteuerungsrecht galten bisher die Bestim- mungen der Armenordnung und des sie abändernden Gesetzes vom 5. Mai 1868. Danach deckt sich der Kreis der Armenabgabenpflichtigen nicht völlig mit den- jenigen der Gemeindesteuerpflichtigen, auch sonst bleiben viele Zweifelsfragen offen. Wenn sich aus diesen Verschiedenheiten und Unklarheiten bisher nur selten Weiterungen ergeben haben, so lag dies einfach daran, dass fast in allen Gemeinden die Armenanlagen widerspruchslos nach den Bestimmungen über die Gemeinde- steuern erhoben wurden. Die tatsächliche Uebung entspricht also schon bisher dem Inhalte des § 2.

Zu § 3. Ueber die Grenzlinie zwischen den direkten und indirekten Steuern herrscht in der Wissenschaft keine Uebereinstimmung. In der Praxis wird in-

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334 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

dessen diese Unterscheidung künftig so wenig wie bisher entbehrt werden können ( § 28 der revidierten Städteordnung, § 19 der revidierten Landgemeindeordnung, § 7 des Entwurfs). Das einfachste wird daher sein, eine klare Trennung im Ge- setz vorzunehmen; dies geschieht in § 3. So wie sie dort vorgenommen worden ist, entspricht sie übrigens auch der herrschenden Lehre. Zweifelhaft ist lediglich, ob die Hundesteuer besser den direkten oder den indirekten Steuern zugezählt werden soll. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat Sachsen sie bisher in jahr- zehntelanger Uebung als direkte Steuer behandelt, eine Uebung, der auch das Gesetz vom 18. August 1868 zum mindesten nicht entgegensteht. Mit Rücksicht hierauf ist die Hundesteuer auch im Entwürfe den direkten Steuern zugezählt worden.

Zu § 4. Dauernde Befreiungen sind solche Befreiungen, die einer Person zufolge eines Rechts zustehen, das ihr durch einen einseitigen Akt der Gemeinde nicht wieder entzogen werden kann. Im Gegensatz dazu stehen die von einer Gemeinde beschlossenen zeitweiligen Befreiungen, deren Aufhebung die Gemeinde jederzeit wieder beschliessen kann, ohne dass dem bisher Befreiten ein Rechts- anspruch auf Fortdauer der Befreiung zustände (z. B. Befreiung der Kriegs- veteranen von der Einkommensteuer). Der Ausschluss der Neuentstehung dauern- der Befreiungen entspricht dem bisherigen Rechte. (§31 Satz 2, § 33 Abs. 1 der revidierten Städteordnung, § 25 Satz 2, § 28 Abs. 1 der revidierten Landgemeinde- ordnung. Die in § 25 des letztgenannten Gesetzes für Geistliche und Lehrer vor- gesehenen Befreiungen sind durch Zeitablauf erloschen.)

Das Mittel zeitweiliger Steuerbefreiung wird von den Gemeinden hin und wieder benutzt, um gewerbliche Betriebe zur Niederlassung zu bewegen. Die Staatsregierung steht solchen Versuchen, wenn nicht ganz besondere Gründe vor- liegen, ablehnend gegenüber. Sie führen nur zu einer gegenseitigen Unterbietung zwischen den Gemeinden. Schon aus diesem Grunde erscheint es notwendig, dass die Genehmigung derartiger Steuerbefreiungen für das ganze Land von einheit- lichem Gesichtspunkte aus gehandhabt wird; sie ist daher dem Ministerium des Innern vorbehalten worden.

Abs. 3 von §4 ist geltendes Recht (§35 Abs. 3 der revidierten Städte- ordnung, § 28 Abs. 3 der revidierten Landgemeindeordnung).

§ 5 gibt die Bestimmungen in § 31 Satz 1 und Abs. 2, § 32, § 33, 1. Halbsatz der revidierten Städteordnung, § 25 Satz 1 und Abs. 2, § 26, § 27, 1. Halbsatz der revidierten Landgemeindeordnung unverändert wieder.

§ 6. Die Besteuerung der Militärpersonen, ehemaligen Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen ist geregelt durch Bundespräsidialverordnung vom 22. De- zember 1868 (Bundesgesetzblatt S. 571), Reichsgesetz vom 28. März 1886 (R.G.BL S. 65), Gesetz vom 10. Februar 1888 (Ges.- u. Ver.-Bl. S. 21), §20 des Reichs- gesetzes vom 31. Mai 1901 (R.G.BL S. 198), §§ 37, 41, 6, 43, 45, 49, 67 des Offiziers- pensionsgesetzes vom 31. Mai 1906 (R.G.BL S. 565), §§ 40, 45,4, 49, 58, 68 des Mannschaftsversorgungsgesetzes vom 31. Mai 1906 (R.G.BL S. 593) und das sächsische Gesetz vom 25. Mai 1902 (Ges.- u. Ver.-Bl. S. 129). Da auf diesem Gebiete die reichsrechtlichen und landesgesetzlichen Bestimmungen eng ineinandergreifen, auch eine Anzahl Uebergangsvorschriften von zeitlich begrenzter Bedeutung be- stehen, so hätte ihre Aufnahme in das Gesetz dieses nur verwickelter gemacht, ohne sonst einen Nutzen zu bringen.

I. Abschnitt.

Á. Indirekte Steuern. §§ 7-12.

Zu § 7. Schon bisher (§ 28 der revidierten Städteordnung, § 19 der revi- dierten Landgemeindeordnung) war die Einführung indirekter Steuern an die Genehmigung des Ministeriums des Innern gebunden. Die Entwicklung der in- direkten Steuern muss von der Zentralstelle aus überwacht werden, einmal um dem Wiederaufleben veralteter Besteuerungsformen vorbeugen zu können, und

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 335-

zum anderen, weil die Staatsregierung dem Reiche gegenüber für die Einhaltung der reichsgesetzlich den Gemeinden, insbesondere durch die Zollgesetzgebung gezogenen Grenzen verantwortlich ist.

Zu § 8. Die Ausgestaltung der Besitzwechselabgabe sol], abgesehen von einigen wenigen Grundzügen, nach wie vor der Gemeindeautonomie überlassen bleiben. Vorgeschrieben ist die Erhebung einer Besitzwechselabgabe von Grund- stücken und gewissen dinglichen Berechtigungen. Die letzteren sind:

1. nach Reichsrecht das Erbbaurecht, 2. nach sächsischem Landesrechte

a) die bis Ende 1899 entstandenen Bau- und Kellerrechte, b) die verliehenen Bergbaurechte, c) die Abbaurechte, d) die Kohlenbergbaurechte, e) vererbliche und übertragbare Nutzungsrechte, die vor dem 1. Januar

1900 entstanden sind, z. B. Fleischbankgerechtigkeiten, ferner Fischerei- rechte und !Fährgerechtigkeiten, sofern diese Rechte ein besonderes- Blatt im Grundbuche erhalten,

f) Realgewerbeberechtigungen, die vor dem 1. Januar 1900 ein besonderes Grundbuchblatt erhalten haben.

Nicht vorgeschrieben, wie auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist die Erhebung von Besitzwechselabgaben in anderen Fällen, z. B. bei Abtretung von Kaufsrechten oder bei Versteigerung beweglicher Gegenstände. Derartige Besitz- wechselabgaben bestehen schon jetzt.

Die vorgeschriebene Besitz Wechselabgabe soll in jedem Falle für die bürger- liche, die Schul- und die Kirchgemeinde zusammen den Mindestbetrag von 1 %.. ausmachen. Erheben also beispielsweise die Schulgemeinde 1/2 %, die Kirch- gemeinde 72 %, so besteht für die bürgerliche Gemeinde keine Verpflichtung, eine Besitzwechselabgabe zu erheben; besteht dagegen weder bei der Schulgemeinde noch bei der Kirchgemeinde eine Besitzwechselabgabe, so hat die bürgerliche Ge- meinde eine solche in Höhe von 1 % zu erheben. Vergleiche hierzu S. 319.

Zu § 9. Die Festsetzung einer Höchstgrenze für die Besitzwechselabgabe entspricht sowohl den von der Zweiten Kammer des Landtags im Jahre 1904 angenommenen Leitsätzen wie den Wünschen beider Referenten auf dem Ge- meindetag des Jahres 1905. Sie kann naturgemäss nur für die bürgerliche, die Schul- und die Kirchgemeinde zusammen vorgenommen werden, wobei zu be- achten ist, dass alle drei Gemeinden von Hause aus den gleichen Anspruch auf die Abgabe haben. Die Grenze von 2 % des Kaufwerts wird zurzeit in Sachsen nicht überschritten, so dass die Bestimmung keine Verkürzung bestehender Ab- gaben bedeutet. Höher zu gehen verbietet sich mit Rücksicht auf die Höhe der übrigen den Grundbesitzweclisel belastenden Abgaben und Kosten, insbesondere auf den im Jahre 1909 eingeführten Reichsstempeî.

Zu § 10. Die Erwähnung des Reichs wäre an sich nicht notwendig, da die Befreiung des Staats zugleich das Reich befreit ( § 3 des Reichsbesteuerungsgesetzes). Sie erscheint aber zweckmässig.

Zu § 11. Für die Pflichtteilsberechtigten ist zum mindesten eine Ermässigung der Abgabe notwendig, wenn anders Härten vermieden werden sollen. Vor allem die Kinder kleiner Haus- und Grundstücksbesitzer sind oft ausserstande, ohne Veräusserung des väterlichen Erbteils die nötigen Barmittel zur Zahlung der Be- sitzwechselabgabe aufzubringen.

§ 12 bezieht sich auf die sog. Kauf dreier und ähnliche seit alters bestehende Abgaben.

B. Direkte Steuern. 1. Allgemeine Bestimmungen.

§§ 13-22. Die §§ 13 - 17 bezwecken den Kreis der in einer Gemeinde Steuerpflichtigen1

fest zu umgrenzen. Sie gehen hierbei nicht, wie bisher die Gemeindeordnungen,.. 823

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;336 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

von dem Grundsatz der Gemeindemitgliedschaft aus, sondern von dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zur Gemeinde.

§ 13 erweitert den Kreis der Gemeindesteuerpflichtigen gegenüber den §§ 14, 16 der revidierten Landgemeindeordnung und den] §§ 16, 25 der revi- dierten Städteordnung in mehrfacher Beziehung.

1. Er verzichtet bei natürlichen Personen auf das Erfordernis der Selb- ständigkeit. Zwar wurden bisher schon mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde, unselbständige Personen „zur angemessenen Mitleidenschaft an den Gemeinde- lasten" gezogen, allein die Bestimmungen, auf denen dies beruhte (§ 17 der revi- dierten Landgemeindeordnung, § 26 der revidierten Städteordnung), waren Aus- nahmebestimmungen und wurden daher vom Oberverwaltungsgerichte eng aus- gelegt, indem insbesondere unter der „angemessenen" Heranziehung eine in jedem Falle hinter der Besteuerung der Selbständigen zurückbleibende Besteuerung verstanden wurde (Jahrbücher 12, 174). Diesen Rechtszustand, der vielen Ge- meinden beschwerlich erschienen ist, aufrecht zu erhalten, liegt keine Veranlassung vor. Denn eine Bevorzugung der Unselbständigen ist weder aus dem Gesichts- punkte von Leistung und Gegenleistung, noch aus demjenigen der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit angezeigt. Die unselbständigen Personen gemessen heute die Vorteile, welche eine Gemeinde bietet, jedenfalls nicht weniger als die Selbständigen, ja in vielen Gemeinden sind besondere Einrichtungen gerade zum Nutzen der Unselbständigen geschaffen worden. Auch haben die meisten Un- selbständigen nur für sich zu sorgen, sind also eher leistungsfähiger als viele Selb- ständige in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen. Das trifft insbesondere in den- jenigen Gemeinden zu, in denen minderjährige Arbeiter dieselben oder annähernd dieselben Löhne beziehen als Selbständige.

2. Der Kreis der Steuerpflichtigen ist, in Uebereinstimmung mit § 4 des Staatseinkommensteuergesetzes, auf die mit dem Rechte des Vermögenserwerbs ausgestatteten Personenvereine, einschliesslich der nicht rechtsfähigen Personen- vereine, die nach ihrer Verfassung von dem Wechsel der Mitglieder in ihrem Be- stehen nicht berührt werden, und Vermögensmassen ausgedehnt worden. Auch dies entspricht dem Bedürfnisse und war bereits in zahlreichen Gemeinden unter Befreiung von den entgegenstehenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen durch die örtliche Steuerordnung eingeführt.

Zu §§ 14 - 16. Der Begriff des Wohnsitzes ist aus dem Reich sdoppelsteuer- gesetz vom 22. März 1909 § 1 herübergenommen, ebenso der Begriff der Betriebs- stätte ( § 3 des Doppelsteuergesetzes). Die Uebereinstimmung mit dem Reichs - gesetze wird eine grössere Rechtssicherheit zur Folge haben, da insbesondere auch die Spruchpraxis, welche sich an das Reichsgesetz knüpft, für die Gemeinden nutzbar wird. Bisher wurde der „Wohnsitz" und „wesentliche Wohnsitz" im Sinne des bürgerlichen Rechts ausgelegt; der Begriff der Betriebsstätte tritt an Stelle des bisherigen Begriffs der gewerblichen Niederlassung, der wesentlich enger war. Der Begriff des Gewerbebetriebs selbst ist aus dem Staatseinkommensteuer- gesetz (§21 Abs. 1) übernommen.

Wegen der Abgrenzung des Begriffs „Grundbesitz" wird auf das zu den §§8 und 49 Gesagte verwiesen.

§ 18 gibt den Besteuerungsmassstab für die direkten Steuern. Sie sind „nach festen und gleichmässigen Grundsätzen" zu verteilen; nach festen Grund- sätzen, d. h. : der Verteilungsmassstab muss bestimmt und klar aus der Steuer- ordnung hervorgehen und eine willkürliche Verteilung ausschliessen ; nach gleich- mässigen Grundsätzen, d. h. : die Besteuerung muss dem Grundsatz der Allgemein- heit entsprechen, in ihr muss die Gleichheit vor dem Gesetz zum Ausdruck kommen. Sie darf nicht einzelne Klassen willkürlich mehr belasten oder freilassen. Da- gegen heisst „gleichmässig

" nicht „gleich", es muss eine verschiedene Behandlung der einzelnen Arten der Steuerobjekte zulässig sein und nur eine gleiche Belastung bei dem Vorhandensein gleicher Verhältnisse gesichert werden. So auch Preussen, Kommunalabgabengesetz § 20 und das dazu ergangene Deklarationsgesetz vom 24. Juli 1906. Die bisherigen Vorschriften der „verhältnismässigen" und „an- gemessenen" Besteuerung (§ 25 der revidierten Städteordnung, §§ 16, 23 der

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 337

Tevidierten Landgemeindeordnung) haben zu so viel Zweifeln und Unklarheiten Anlass gegeben, dass sie in das Gesetz keine Aufnahme gefunden haben.

Weiter aber schreibt § 18 ausdrücklich bei persönlichen direkten Steuern die Berücksichtigung des Grundsatzes der Leistungsfähigkeit vor. Die gewählte Fassung soll zum Ausdruck bringen, dass eine unbegrenzte Steigerung des Opfer- ausgleichs (der Steuerprogression) nach oben nicht Bedingung ist. Eine solche verbietet sich aus praktischen Gründen, wie denn auch der Staat in seinem Ein- kommensteuertarif von einer weiteren Steigerung der Progression bei Einkommen über 100,000 M. absieht.

§ 19 ermöglicht den Gemeinden die Vorausbelastung nach dem Massstabe von Leistung und Gegenleistung. Er stimmt mit § 20 Abs. 2 des Preussischen Kommunalabgabengesetzes überein. Diejenigen Klassen der Steuerpflichtigen, welche besonderen Nutzen von gemeindlichen Veranstaltungen ziehen, können dafür zu einer Gegenleistung in Gestalt einer Vorausbesteuerung herangezogen werden. Die Entscheidung der Frage, bei welchen Klassen die Voraussetzungen zu einer solchen Vorausbesteuerung gegeben sind, ist lediglich von einer Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in der Gemeinde abhängig; sie ist daher nicht der Rechtsprechung, sondern der Verwaltungsbehörde vorzubehalten.

Zu § 20 vgl. § 31 Satz 2 der revidierten Städteordnung, § 25 Satz 2 der revidierten Landgemeindeordnung, § 6, 3 des Einkommensteuergesetzes.

Zu § 22 vgl. S. 329.

2. Einkommensteuer.

§§ 23-46.

§ 23 Ziff. 1 - 4 schliesst sich unmittelbar an das staatliche Einkommen- steuergesetz an, ebenso § 24 Abs. 2 - 4. Die Bestimmung in § 24 Abs. 1 war, ob- gleich ihr Inhalt bei der staatlichen Besteuerung von jeher als selbstverständlich vorausgesetzt worden ist, notwendig, nachdem das Oberverwaltungsgericht (Jahrbücher 16, 73) entschieden hat, dass dingliche Nutzungsrechte nach dem Wortlaute und Sinne der Gemeindeordnungen nicht unter den Begriff des Grund- besitzes fallen.

Zu § 25. Der Freilassung der mit der bürgerlichen Gemeinde ganz oder teil- weise zusammenfallenden Schul- und Kirchgemeinden entspricht die in dem Schulsteuergesetz und in dem Kirchsteuergesetz vorgesehene Befreiung der bürger- lichen Gemeinde von Schul- und Kircheinkommensteuer. Werden aber die bürger- lichen Gemeinden mit ihrem gesamten Einkommen von der Kirchen- und der Schulsteuer freigelassen, so ist es billig, dass auch das Einkommen der Lehen, das doch in erster Linie den eigentlichen Zwecken der Kirch- und Schulgemeinden dient, und nur infolge der geschichtlichen Entwicklung von dem eigentlichen Einkommen dieser Gemeinden getrennt gehalten wird, auch von der Einkommen- steuer der bürgerlichen Gemeinde freibleibt. § 25 b, c, d und e stimmen mit § 6 Ziff. 10, 9, 7 und 11 des Staatseinkommensteuergesetzes inhaltlich überein.

§ 26 a und b sind geltendes Recht, soweit sie sich auf den Staat und die grundsteuerfreien Grundstücke beziehen. Die Befreiung der Kreis-, Bezirks- und sonstigen Gemeindeverbände rechtfertigt sich aus gleichen Erwägungen wie die Freilassung der Kirch- und Schulgemeinden.

§ 26 Ziff. c: § 6 Ziff. 12 des Einkommensteuergesetzes. § 27 a und c ist geltendes Recht: Gesetz vom 23. Dezember 1908. § 27 b

entspricht einem Antrage der Zweiten Kammer. Die völlige Freilassung der sog. Arbeiterrenten soll den Gemeinden freistehen, ist übrigens auch schon bisher in einer Anzahl von Gemeinden im Wege der Nachsichtserteilung zugelassen worden.

§ 28 regelt die Verbrauchsbesteuerung in Anlehnung an § 15 Ziff. 6 des Einkommensteuergesetzes. Sie war schon bisher in vielen Gemeinden in Uebung und vom Oberverwaltungsgericht als zulässig anerkannt.

§§ 29 - 32 geben den Gemeinden die Möglichkeit, ihre Steuerordnungen in verschiedenen wichtigen Punkten von dem staatlichen Einkommensteuergesetz . abweichend zu gestalten. § 29 Punkt b entspricht einem mehrfach aus der Mitte

Finanzarchiv. XXXI. Jahrg. 826 22

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338 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911..

der Ständeversammlung geäusserten Wunsch und ist bereits in einer Reihe von Gemeinden an der österreichischen Grenze mit Nachsichtserteilung in die Praxis umgesetzt worden.

Zu § 30. Die Ausländerbesteuerung ist nicht nur ein Steuerproblem, sondern auch ein Problem der praktischen Fremdenpolitik. Staat und Gemeinden sind in gleicher Weise an der Heranziehung wohlhabender Fremder interessiert, nicht wegen der Steuer, die sie etwa bezahlen, sondern wegen der Mittel, die sie im Lande ausgeben. Erfahrungsgemäss sind aber gerade die Reichsausländer gegen die - ihnen ungewohnte - Einkommen besteuerung und vor allem gegen das Ein- dringen in ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse sehr empfindlich, so dass in dieser Beziehung eine gewisse Schonung, selbst wenn dadurch ein Steuerausfall entsteht, geboten ist. Die Möglichkeit hierzu gibt § 30. Eine derartige Bestim- mung ist um so nötiger, als auch in anderen Bundesstaaten gleiche Rücksichten auf Ausländer und Angehörige anderer Bundesstaaten genommen werden (z. B. Preussisches Kommunalabgabengesetz § 39).

Die in § 31 unter a freigestellte stärkere Heranziehung der Aktiengesell- schaften und ähnlicher Personenvereine bestand ursprünglich auch bei der staat- lichen Einkommensteuer. Wenn sie dort fallen gelassen wurde, so geschah dies, um einen billigen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Ueberschüsse solcher Ge- sellschaften zweimal, einmal bei der Gesellschaft und zum anderen in der Hand des Aktionärs, besteuert werden. Bei einer Gemeinde dagegen wird eine solche Doppelbesteuerung der Ueberschüsse die Ausnahme bilden, da die Aktionäre sich zumeist über einen weit grösseren Kreis verteilen, der Steuergewalt der be- treffenden Gemeinde also gar nicht unterliegen. Deshalb sind auch die Billigkeits- erwägungen, die beim Staate zur Freilassung der Rücklagen, Abschreibungen und Schuldentilgungen geführt haben, für die Gemeinden nicht zwingend. Uebrigens machen bereits zahlreiche und vor allem die grössten Gemeinden des Landes von der Füglichkeit in § 31 a Gebrauch.

Ebenso entspricht die unter b in § 31 vorgesehene Besteuerung gewerblicher Grossbetriebe nach einem fingierten Mindesteinkommen einer schon jetzt weit verbreiteten und vom Oberverwaltungsgericht gutgeheissenen Uebung. Sie recht- fertigt sich aus der Erwägung, dass der Gemeinde aus dem Bestehen eines solchen Grossbetriebs auch dann, und oft gerade dann erst recht, bedeutende Lasten er- wachsen, wenn der Betrieb keine Ueberschüsse oder keine Gewinne erzielt. Bei der Frage, was als Grossbetrieb anzusehen ist, soll in der Regel die Höhe des An- lage- und Betriebskapitals entscheiden, das in dem Gemeindebezirke angelegt ist. Eine genauere Umschreibung der Begriffe Anlage- und Betriebskapital ist nicht Sache des Gesetzes, sondern der Rechtsprechung, die dabei den Einzelfall nach kaufmännischen Grundsätzen zu beurteilen haben wird. Eine feste Regelung im Gesetze würde lediglich Anlass und Möglichkeit zu Gesetzesumgehungen bieten.

Zu Abs. 5 des § 31: oben S. 332. Eine ähnliche Besteuerung auf Grund eines fingierten Mindesteinkommens

lässt § 32 für Kleinhandelsgrossbetriebe und Kleinhandelsbetriebe mit Zweig- geschäften in der Gemeinde zu. Sie ist zuerst in Buchholz, dann in Chemnitz an Stelle der gewerblichen Sondersteuer für diese Betriebe (Warenhaus- und Umsatz- steuer) mit gutem Erfolge eingeführt worden.

Zu §§ 33-35 vgl. oben S. 323 ff. Für die Anwendung der §§ 12 letzter Ab- satz und 13 des Einkommensteuergesetzes sprechen bei der Gemeindeeinkommen- steuer dieselben Billigkeitsgründe wie bei der Staatssteuer.

In § 35 Abs. 3 war die Anwendbarkeit des § 15 Ziff. 6 u. 7 des Staatsein- kommensteuergesetzes auszuschliessen. An Stelle der Ziff. 6 tritt § 28, an Stelle der Ziff. 7 § 37 Abs. 3 des Entwurfs.

Zu § 36 s. oben S. 332 unter g. § 37 regelt die schwierige und wohl niemals restlos befriedigend zu lösende

Frage der Besteuerung der sog. Forenser, d. h. derjenigen Personen, die nur wegen Einkommens aus Grundbesitz oder Gewerbebetrieb in einer Gemeinde steuer- pflichtig sind. Die Schwierigkeit liegt hier in der Hauptsache bei den Grundstücks- forensern. An sich besteht ein Grund weder für die vorzugsweise Heranziehung

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 339

dieser Forenser zu den Gemeindelasten, noch für ihre mildere Besteuerung. Was sie etwa an Vorteilen in der Gemeinde weniger geniessen, weil sie nicht darin wohnen, wird wiederum ausgeglichen durch ihre Befreiung von persönlichen Leistungen und von der Verpflichtung zur Uebernahme von Gemeindeämtern, sowie durch die geringeren Vorteile, welche die Gemeinde aus dem gleichen Grunde von ihnen hat. Die bisherige Rechtslage, wonach Grundstücksforenser lediglich mit ihrem Grundstückseinkommen zur Gemeindeeinkommensteuer herangezogen wurden, hat vielfach zu einer ungerechtfertigten Entlastung der Forenser auf Kosten der Einwohner geführt, und zwar aus doppeltem Grunde. Einmal, weil die Forenser nicht nach ihrer Gesamt leistungsf ähigkeit getroffen wurden : wohlhabende Forenser, die nur ein relativ kleines Einkommen in der Gemeinde haben, wurden von der Progression des Einkommensteuertarifs nur nach Mass- gabe dieses Teiles ihres Einkommens, d. h. ungenügend erfasst. Weiter aber ist in zahlreichen Gemeinden von den Forensern mit Erfolg durch ungewöhnlich hohe hypothekarische Belastung ihrer Grundstücke das steuerpflichtige Einkommen im Wege des Schuldzinsenabzugs so herabgedrückt worden, dass ihre Steuer- leistung aus dem Gesichtspunkte des Interesses unzureichend wurde.

Viele Gemeinden haben seit langem diese Mängel erkannt und zum Teil versucht, ihnen durch Freilassung der Grundstücksforenser von der Einkommen- steuer und durch Erhöhung des Grundsteuersatzes für ihre Grundstücke auf da» l1^-» 2-, 3fache beizukommen. Dieser Ausweg ist annehmbar, wenn die Grund- steuer sich auf massiger Höhe hält und nach dem derzeitigen Ertrage der Grundstücke abgestuft ist. Wenn dagegen der einfache Grund- steuersatz in einer Gemeinde bereits ungewöhnlich hoch ist, beispielsweise 25 bis 30 Pf. für die staatliche Grundsteuereinheit beträgt, so wirkt ihre Verdopplung oder Verdreifachung für die Forenser geradezu unerträglich. Ferner aber führt diese Vorausbelastung bei der Grundsteuer zu den grössten Ungleichheiten in den zahlreichen Gemeinden, die die Grundsteuer noch in Form von Zuschlägen zur staatlichen Grundsteuer erheben, obwohl sich die Ertragsverhältnisse der Grund- stücke gegenüber der staatlichen Einschätzung wesentlich verschoben haben. Diese Ungleichheiten und Härten haben sich mit der Zeit als so zahlreich und so drückend herausgestellt, dass jene Besteuerungsart unbedingt beseitigt werden möchte. Es muss daher in anderer Weise versucht werden, die vorhin gekenn- zeichneten Mängel zu beheben.

Der Hauptfehler, welcher in der Nichtberücksichtigung der Gesamtleistungs- fähigkeit des Forensers liegt, wird durch den Grundsatz in § 37 Abs. 1 beseitigt. Danach wird die Steuer k 1 a s s e, in welcher jeder Steuerpflichtige, und damit auch jeder Forenser gehört, durch sein Gesamteinkommen bestimmt und nur der Steuer s a t z nach Massgabe des in der einzelnen Gemeinde steuerpflichtigen Ein- kommens herabgesetzt.

Eine Rechtfertigung dieses Grundsatzes ist kaum erforderlich. Es entspricht nur dem Erfordernisse eines gerechten Opferausgleichs, dass jeder Steuerpflichtige, ganz gleich, ob er in der Gemeinde sein ganzes Einkommen oder nur einen Teil davon (§38) oder nur das Einkommen aus einer bestimmten Quelle versteuert, von der Progression nach Massgabe seines Gesamteinkommens, also seiner wirk- lichen Leistungsfähigkeit getroffen wird. Wenn trotzdem in Abs. 2 den Gemeinden die Füglichkeit geboten wird, von einer Berücksichtigung der Gesamtleistungs- f ähigkeit bei Forensern abzusehen, so geschieht dies mit Rücksicht auf die Ge- meinden, in denen die mit der Feststellung des Gesamteinkommens verbundene Arbeitslast ausser Verhältnis zu dem Steuermehrertrag steht. Das wird indessen wohl nur in den grossen Städten des Landes der Fall sein.

Es bleibt daher nur noch übrig, Vorsorge zu treffen, dass auch der zweite Mangel - die Umgehung der Einkommensteuer durch übermässige Belastung der Grundstücke - abgestellt wird. Diesem Zwecke dient Abs. 3 Satz 2 des § 37. Darüber, ob ein Bedürfnis für eine solche Bestimmung vorliegt, soll die einzelne Gemeinde entscheiden; da Schuldzinsen bis zur Höhe des halben Ertrags unter allen Umständen abzugsfähig bleiben, ist für die Berücksichtigung einer massigen hypothekarischen Belastung des Forensalbesitzes gesorgt.

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g4_Q Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

Zu § 38 Abs. 2. Der in vielen Gemeinden bestehende Wunsch, dass die Ein- kommen der Ehegatten gemeinsam veranlagt und so mit der höheren Progression getroffen werden können, entspringt der Wahrnehmung, dass sich neuerdings die Fälle häufen, in denen Ehegatten, lediglich um Steuervorteile zu haben, Güter- trennung vereinbaren. An sich ist die Zusammenzählung selbständiger Ein- kommen von Ehegatten ein Ueberbleibsel der veralteten Besteuerung nach Haus- haltungen und als solches noch in Preussen vorhanden. Rechtfertigen lässt sich die gemeinsame Veranlagung dort, wo die Zunahme der Gütertrennungen sie wünschenswert erscheinen lässt, ohne weiteres bei fundierten Einkommen und bei Einkommen, die eine gewisse mittlere Höhe übersteigen. Dagegen erscheint der Versuch einer Veranlagung mit höherem Prozentsatz überall dort sozial ver- fehlt und deshalb unzulässig, wo die Frau einem Broterwerbe nachgehen muss, weil das Einkommen des Mannes für die Bedürfnisse der Familie nicht zureicht. Solche Fälle, denen ein gewisser Notstand zugrunde liegt, eignen sich nicht zu scharfer steuerlicher Erfassung. Sie werden im wesentlichen durch die am Schlüsse von § 38 gezogene Grenze ausgeschlossen.

Die Frage der Einkommenbesteuerung bei mehrfachem Wohnsitz ist noch nirgends in Deutschland befriedigend oder lückenlos gelöst.

I. Hessen weist das Besteuerungsrecht in erster Linie dem Hauptwohnort zu. II. Bayern überlässt dem Steuerpflichtigen die Verteilung auf die ver-

schiedenen Wohnsitzgemeinden. III. Preussen bestimmt in §50 des Kommunalabgabengesetzes : Personen

mit mehrfachen Wohnsitzen dürfen in jeder preussischen Wohnsitzgemeinde nur mit dem der Zahl dieser Wohnsitzgemeinden entsprechenden Bruchteile ihres Einkommens herangezogen werden. Wohnsitzgemeinden, in welchen der Steuer- pflichtige sich im Laufe des vorauf gegangenen Rechnungsjahres überhaupt nicht oder kürzere Zeit als 3 Monate aufgehalten hat, werden hierbei nicht mitgezählt.

Ebenso wie Preussen: Württemberg, Lippe-Detmold, Sachsen- Altenburg und die bisherigen sächsischen Gemeindesteuergesetzentwürfe.

Die Lösung befriedigt nicht, weil sie rein mechanisch ist; vor allem aber be- wirkt der Nachsatz, dass bei Versetzungen unter einstweiliger Beibehaltung des bisherigen Wohnsitzes (für die Familie) die neue Wohnsitzgemeinde für das laufende Jahr überhaupt kein Besteuerungsrecht hat, weil sie nicht „qualifiziert" ist, d. h. im vorauf gegangenen Rechnungsjahre nicht bewohnt war.

IV. Anhalt zieht den Gemeindesteuerpflichtigen, der mehrfachen Wohnsitz hat, soweit er sein Einkommen nicht in den Realgemeinden zu versteuern hat, nur mit einem der Dauer des Aufenthalts entsprechenden Bruchteil zur Ein- kommensteuer heran. Hier gibt also nur der Aufenthalt des Steuerpflichtigen den Ausschlag: Wohnt seine Familie das ganze Jahr hindurch in A, er selbst aber nur 3 Monate dort, die übrige Zeit in B, so versteuert er in A nur 1/i, in B % seines Einkommens. Wird ferner jemand nach A versetzt, lässt aber seine Familie zu- nächst noch in B, so ist die Gemeinde A steuerberechtigt. Auch diese Ergebnisse befriedigen nicht, weil die Gemeinde, in der sich die Familie aufhält, nicht die Berücksichtigung erfährt, die ihr billigerweise zukommt. Denn sie hat regelmässig grössere Aufwendungen zu machen, als die Gemeinde, in der sich lediglich das Familienoberhaupt aufhält.

Der § 39 folgt der Besteuerungsweise Anhalts, will aber weiter der Wohnsitz- gemeinde, in der sich die Familie aufhält, ein Besteuerungsrecht wahren, ohne dass Doppelbesteuerung eintritt.

§40 regelt das Verhältnis der Verbrauchsbesteuerung in der Wohnsitz- gemeinde zur Besteuerung in der Belegenheits- und in der Betriebsgemeinde. Grundsatz ist dabei, dass die Verbrauchsbesteuerung am Wohnorte die Rechte der Belegenheits- und Betriebsgemeinden um nicht mehr als ein Viertel schmälern darf. Besondere Vorsorge ist in Abs. 2 getroffen, dass die Wohnsitzgemeinde nicht auf Kosten der Belegenheits- und Betriebsgemeinden zur Verbrauchs- besteuerung greift, trotzdem der Beitragspflichtige Einkommen in der Wohnsitz - gemeinde hat, das der Besteuerung durch jene Gemeinden entzogen ist. Die Be- schränkung auf sächsische Gemeinden in den Abs. 3 und 4 erklärt sich aus den

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 34 1

Grenzen der Wirksamkeit des Gesetzes; gegenüber aussersächsischen Gemeinden wird der Ausweg des § 22 einzuschlagen sein.

§§41 und 42 lehnen sich an das preussische Kommunalabgabengesetz, überdies aber an die Praxis einer Reihe grösserer sächsischer Gemeinden an. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Auseinandersetzung zwischen mehreren Be- triebsgemeinden ergeben, restlos im Sinne der Billigkeit zu schlichten, wird nie- mals im Wege des Gesetzes gelingen, da fortwährend neue eigenartige Fälle auf- tauchen. Ein letztes Abhilfsmittel bildet die in § 43 vorgesehene Einigungs- befugnis der Gemeinden.

§§45 und 46 sind bereits in Abschnitt 5 b des Allgemeinen Teiles behandelt worden (S. 310 ff.).

3. Grundsteuer.

§§ 47-55 (Ges. §§46-54). Zu §§47, 48 (Ges. §§ 46, 47) Abs. 1 s. oben S. 318 ff. Gemeinden, die keine Einkommensteuer erheben, ersetzen diese regelmässig,

sofern der Steuerbedarf überhaupt von Belang ist, durch die Kopfsteuer oder eine ihr ähnliche allgemeine Steuer, die dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit gar nicht oder doch nur unvollkommener als die Einkommensteuer gerecht wird. Es erscheint deshalb angemessen, in diesen Fällen den Grundbesitzern als annehmbar leistungsfähigstem Teile der Gemeindemitglieder einen grösseren Teil der Ge- meindelasten zuzuweisen, dies um so mehr, als es den Grundbesitz infolge seiner starken Vertretung in den Organen der Gemeinde jederzeit möglich ist, den Ueber- gang zur Einkommensteuer herbeizuführen.

Zu § 49 (Ges. § 48). Dass verliehene Bergbaurechte, Kohlenbergbau- rechte und Abbaurechte nicht der Grundsteuer unterliegen - wie dies übrigens auch in Preussen und anderen Staaten gilt - , rechtfertigt sich ebensosehr durch praktische Erwägungen als durch die Rücksicht auf die Rechtsentwicklung in Sachsen. Diese Rechte sind von jeher nicht unter dem Gesichtspunkte des Grundeigentums, sondern des Gewerbebetriebes zu den öffentlichen Lasten heran- gezogen worden. Das Grundsteuergesetz vom 9. September 1843 - das infolge der Erhebung von Zuschlägen zur staatlichen Grundsteuer auch für die meisten Gemeinden massgebend ist - bezeichnet in § 2 unter a als Gegenstand der Grund - besteuerung ausser dem eigentlichen, der Land- und Forstwirtschaft dienenden Grund und Boden

„andere ertragsfähige Oberflächen, z. B. der Berg- und Hüttenwerke mit ihren Halden, Wasserbehältern und Zimmerplätzen, der Kalk- und anderen Steinbrüche, der Sand-, Lehm-, Mergel- und Tongruben, Torf- stiche, Stein- und Braunkohlengruben usw."

Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die verliehenen und die Kohlen- bergbaurechte von der staatlichen Grundsteuer frei sind. Nur die vom Bergbau- betriebe betroffenen Oberflächen bilden den Gegenstand der staatlichen Grund- steuer. Die Abschätzung solcher Flächen ist ohne Rücksicht auf den Wert der anstehenden Kohle erfolgt. § 100 Abs. 2 der Geschäftsanweisung zur Abschätzung des Grundeigentums usw. vom 30. März 1838 (Mitteilung aus der Verwaltung der direkten Steuern Bd. 2, S. 57) bestimmt ausdrücklich, dass die Nutzungen der in § 2 unter a des Grundsteuergesetzes bezeichneten Gruben, Brüche usw. „als Gewerbenutzungen" von der Grundsteuer ausgeschlossen bleiben.

Schon aus diesem Grunde würde in der Heranziehung der Bergbaurechte zur Grundsteuer eine Abweichung von der bisherigen sächsischen Praxis liegen. Für eine solche Abweichung fehlt es aber auch an der inneren Begründung. Mit dem Besitz von Bergbaurechten sind nicht diejenigen politischen Rechte verbunden, die der eigentliche Grundstücksbesitzer im Gemeindeleben als Ansässiger geniesst und die einer Bevorrechtigung aus dem Gesichtspunkte des Interesses gleich- kommen. Weiter aber haben jene Berechtigten in den meisten Fällen nicht die Vorteile von der Entwicklung der Gemeinden, die dem Grundbesitz zugute kommen und die seine Vorausbesteuerung rechtfertigen. Der Wert der Bergbau- rechte wird durch die Entwicklung der Gemeinde, in der das Grubenfeld liegt,

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342 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

durch die fortschreitende Bebauung mit Häusern, durch den Bau öffentlicher Verkehrsanlagen und die dadurch für den Bergbau sich möglicherweise erhöhende Bergbauschädenersatzpflicht, zum mindesten aber durch die für ihn eintretende Behinderung in der Freiheit des unterirdischen Betriebs und in der wirtschaftlich zweckmässigsten Aufschliessung der Felder viel eher beeinträchtigt als erhöht. Auch das Steigen der Bodenpreise wird den Bergbau treibenden nur unwillkommen sein, weil ihm dadurch die Erlangung des erforderlichen Grund und Bodens für die Bergwerksanlagen über Tage erschwert wird. Um aber der Gemeinde eine Gegenleistung für die Lasten zu bieten, die ihr etwa der Bergbau verursacht (starke Inanspruchnahme der Wege, Arbeiterzuzug, Wasserlaufverunreinigung), ist jedenfalls die Grundsteuer nicht das geeignete Mittel, denn sie trifft den Grubenfeldbesitz ohne Rücksicht darauf, ob darin Bergbau umgeht oder nicht. Hier kann nur die Besteuerung des Bergbaues als Gewerbebetriebes in Frage kommen.

Auch im übrigen ergeben sich beim Bergwerkseigentum Schwierigkeiten. Die Steuer würde ausser dem Inhaber eines verliehenen Bergbaurechtes nur den- jenigen treffen, der ein vom Oberflächengrundstück abgeschriebenes und auf ein besonderes Grundbuchblatt übertragenes Stein- oder Braunkohlenbergbaurecht besitzt. Dagegen würde der Eigentümer eines Grundstücks, von dem das Kohlen- unterirdische nicht abgetrennt ist, von dieser Sonderbesteuerung des Bergbaues verschont bleiben, und zwar nicht nur so lange, als die Kohle unabgebaut liegt, sondern auch dann, wenn er in seinem Grundbesitz einen eigenen Bergbaubetrieb unterhält oder die Gewinnung einem Nutzniesser oder Pächter überlassen hat. Hierin läge eine ungerechtfertigte Benachteiligung der blossen Inhaber von Berg- baurechten. Weiter aber fehlt es für die Erhebung einer Grundsteuer von Berg- baurechten an einem geeigneten Massstab. Bei der Abschätzung des Grundeigen- tums zur staatlichen Grundsteuer bleibt das Vorhandensein bergmännisch gewinn- barer Mineralien unberücksichtigt; es müssten deshalb zunächst die zu besteuernden Rechte nach ihrem Ertrage oder ihrem Kapitalwert abgeschätzt werden, eine Massnahme, die dort, wo die Lagerstätte noch nicht aufgeschlossen ist, oft über- haupt nicht, in den anderen Fällen nur mit ausserordentlichen Schwierigkeiten und hohem Kostenaufwande möglich sein würde.

Wenigstens teilweise anders als bei den Bergbaurechten liegen die Verhält- nisse bei den übrigen dinglichen Nutzungsrechten (Erbbaurechte, sächsische Bau- und Kellerrechte, Fleischbankgerechtigkeiten, Fährgerechtigkeiten, Realgewerbe- berechtigungen usw.). Wennschon auch sie von Hause aus nicht staatsgrund- steuerpflichtig sind und die politischen Vorrechte des eigentlichen Grundbesitzes nicht gemessen, so kommen ihnen doch die Vorteile, die die Entwicklung und das Aufblühen der Gemeinde im Gefolge hat, in gleicher Weise zugute, wie dem Grund- besitz. Auch kann ihre Veranlagung zur Grundsteuer kaum grössere Schwierig- keiten bereiten, da ihr Ertrag oder ihre Ertragsfähigkeit mit hinreichender Sicher- heit zu ermitteln ist. Ihre Heranziehung zur Grundsteuer, die übrigens schon in einer Reihe von Gemeinden erfolgt, erscheint demnach nicht ungerechtfertigt.

Die Befreiungen in § 50 (Ges. § 49) halten sich in den Hauptpunkten an das geltende Recht (§§ 33, 34 der revidierten Städteordnung, § 27 der revidierten Landgemeindeordnung), Punkt b enthält die gleiche Befreiung für die Schul- und Kirchgemeinde, die das Schul- und das Kirchensteuergesetz für die bürgerliche Gemeinde aussprechen. Die Freilassung der öffentlichen Verkehrsräume sowie der im Eigen turne des Staats bestehenden Flussbetten entspricht der Billigkeit; wegen der Gleichstellung der Schienenwege s. oben S. 331 unter b. Die Bestimmung in Abs. 3 trägt der Rechtsentwicklung, die die Verbände wie die Gemeinden behandelt, Rechnung. § 51 (Ges. § 50) Abs. 1 endlich gibt den Gemeinden die Möglichkeit, die Beschränkung in Abs. 2 des §50 (Ges. § 49) fallen zu lassen, ist übrigens ebenso wie Abs. 2 desselben Paragraphen geltendes Recht: § 35 Abs. 2 der revidierten Städteordnung, § 28 Abs. 2 der revidierten Landgemeinde - Ordnung.

§ 52 (Ges. § 51), wegen dessen zweiten und dritten Absatzes auf das S. 332 unter f Gesagte verwiesen wird, belässt den Gemeinden ihre bisherige Freiheit

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'Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911. 343

in der Ausgestaltung der Grundsteuer. Eine bestimmtere Richtungslinie war dabei nur für die Grundsteuer nach dem gemeinen Werte nötig (§ 53, Ges. § 52). Der dieser Steuer hier und da gemachte Vorwurf, sie gehe von angenommenen Werten aus, die in Wirklichkeit nicht bestünden, schlägt zwar nicht durch. Denn jede Grundsteuer stützt sich zum Teil auf angenommene Werte: so die Grundsteuer nach dem Ertrage, sobald ertragsfähige, aber zeitweise ertragslose oder in Eigen- nutzung befindliche Grundstücke in Frage kommen, und am allermeisten die staatliche Grundsteuer. Denn dies beruht vielfach nur auf einem Ertrage, der nach- träglich für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt errechnet wird. Es kommt eben gar nicht so sehr darauf an, ob gegebene oder angenommene Grossen zur Unterlage der Steuer gewählt werden, als vielmehr darauf, dass diese Grossen im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Die Mängel, welche sich allerdings ver- einzelt bei der Grundsteuer nach dem gemeinen Werte fühlbar gemacht haben, sind doppelter Art: einmal wird der Begriff des gemeinen Wertes leicht verkannt, und zum anderen werden die besonderen Verhältnisse des Gewerbes und der Land- wirtschaft nicht genügend berücksichtigt. Es haben sich wiederholt grosse Härten dadurch ergeben, dass Gärtnereien, kleine Landgüter und ähnlicher Grund- besitz, dessen Eigentümer sich von dem Ertrage der Bearbeitung des Landes nährten und nur eine geringe Bodenrente bezogen, nach einem mehr oder weniger problematischen Baulandwerte veranlagt wurden, so dass die Grundwertsteuer eine Höhe erreichte, die das Einkommen des Eigentümers überstieg und ihn, wenn nicht Abhilfe geschaffen wurde, zur Veräusserung des Landes genötigt haben würde. In beiden Beziehungen soll der § 53 (Ges. § 52) vorbeugen, der die Er- fahrungen verwertet, die mit der Grundwertsteuer insbesondere in Dresden ge- macht worden sind und in der dortigen Steuerordnung ihren Niederschlag ge- funden haben.

Zu §§54, 55 (Ges. §§ 53, 54). Die Benutzung der staatlichen Grundsteuer erscheint überall dort unbedenklich, wo die Verhältnisse sich gleichmässig und normal entwickelt haben, wo also eine starke Verschiebung der Erträge und Bodenwerte innerhalb der Gemeinde seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht stattgefunden hat. Wo aber das Gegenteil der Fall ist, stellt die staat- liche Grundsteuer keinen gerechten Massstab für eine Besteuerung in einer den Satz dieser Steuer wesentlich übersteigenden Höhe mehr dar. Es muss daher die Möglichkeit gegeben sein, die Gemeinden, in denen dies der Fall ist, zur Ein- führung einer gerechten Grundbesteuerung zu veranlassen. Die Entscheidung darüber, ob die erforderlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen, ist im reinen Verwaltungswege zu treffen, da sie auf rein tatsächlichen Erwägungen beruht.

4. Gewerbesteuern.

§§ 56-60 (Ges. § 55-58). Die allgemeine Gewerbesteuer steht den Gemeinden nach wie vor zur Ver-

fügung. Besondere Richtungslinien für sie aufzustellen erübrigt sich um so mehr, als die Steuer praktische Bedeutung zurzeit nicht besitzt und als über ihre zweck- mässige Ausgestaltung ausserdem die Ansichten weit auseinandergehen. Das Gesetz kann sich damit begnügen, die Steuerfreiheit des Staats vorzubehalten (§56, s. oben S. 331) und den Schutz vor Doppelbesteuerung auf die Gewerbe- steuer zu erstrecken (§57).

Zu § 58 (Ges. § 55). Die Sonders teuer auf Automaten verdankt ihre Ent- stehung nicht nur steuerpolitischen Erwägungen, ist jedoch auch in dieser Be- ziehung durchaus begründet. Denn die Automaten sind Erwerbsquellen, deren Erträgnisse innerhalb der Gemeinde gewonnen werden, zu den Gemeindelasten da- gegen, weil sie ganz oder zum grössten Teil in die Hand Auswärtiger fliessen, nichts beitragen. Das ist, ganz abgesehen davon, dass die Automaten stellen- weise dem Gewerbe der steuerzahlenden Gemeindemitglieder empfindlichen Ab- bruch tun, schon nach dem Grundsatz von Leistung und Gegenleistung unbillig, denn auch die Automatenbesitzer haben von dem Wachsen und Gedeihender Ge- meinde und von der Hebung des Verkehrs Vorteil.

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344 Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

Zu § 59 (Ges. § 56). Die Erhebung anderer als der in diesem Paragraphen genannten Gewerbesondersteuern soll nicht ausgeschlossen werden, sofern sie nur innerlich begründet sind. Einer Einschränkung bedarf nur die Umsatzsteuer, um eine unbillige Belastung der betroffenen Betriebe und weiter zu verhindern, dass die Steuer, die insbesondere dort, wo Konsumvereine bestehen und davon getroffen werden, die schwächeren Steuerzahler vorzugsweise belastet, einer Entlastung der leistungsfähigen Steuerpflichtigen dienstbar gemacht wird. Dies würde ins- besondere dann der Fall sein, wenn eine Gemeinde mit niederer Einkommensteuer im Wege der Umsatzsteuer die Konsumvereine belasten würde.

Zu § 60 (Ges. § 57). Hinsichtlich der Wanderlagersteuer bleibt es bei dem bisherigen Rechtszustande. Nur ist der Steuersatz von 60 auf 200 M. heraufgesetzt worden. Es entspricht dies einem Antrage des Verbandes sächsischer Gewerbe- und Handwerkervereine, der von sämtlichen Gewerbekammern unterstützt worden ist. Die Regelung der Steuer selbst in das Gesetz aufzunehmen, erwies sich mit Rück- sicht auf die zahlreichen Zusammenhänge mit der staatlichen Wandergewerbe- steuer als untunlich.

5. Kopfsteuer. § 61 (Ges. § 59).

Die Neueinführung von Kopfsteuern soll ausgeschlossen sein. Wo sie aber seit alters bestehen, soll ihre Beibehaltung bis auf weiteres nachgelassen werden, sofern sie nicht eine ungerechte Lasten Verteilung zur Folge haben. Das ist überall dort nicht der Fall, wo die Steuer entweder sehr niedrig ist, oder die wirtschaftlichen Kräfte der Steuerpflichtigen nur geringe Unterschiede aufweisen. Auch ist in einzelnen Gemeinden die Wirkung der Kopfsteuer dadurch gemildert, dass sie nach Ständen abgestuft ist, was einer Berücksichtigung der individuellen Leistungs- fähigkeit wenigstens nahe kommt. Gemeinden mit sehr einfachen Verhältnissen und geringem Steuerbedarf zur Annahme der Einkommensteuer zu zwingen, würde nicht angebracht sein. Wenn aber die Kopfsteuer ungerecht wirkt, sollen die Aufsichtsbehörden einschreiten, wie dies bisher schon wiederholt mit Erfolg geschehen ist. Da es sich um eine reine Ermessensfrage handelt, entscheiden die Verwaltungsbehörden endgültig. Gemeinden, die ohnehin im Wege der Ein- kommensteuer die schwächsten Schultern belasten, sollen keine Kopfsteuer er- heben dürfen. Ebensowenig soll es statthaft sein, Almosenempfängern die ihnen gewährte Armenunterstützung im Wege der Kopfsteuer zu schmälern.

II. Abschnitt.

Von den Steuerberechtigten. §§ 62-66 (Ges. §§ 60-64).

§ 62 (Ges. § 60) ist mit Ausnahme des letzten Satzes geltendes Recht. Dem berechtigten Verlangen des Steuerpflichtigen, dass ihm die in einer Gemeinde gel- tenden Steuerbestimmungen in klarer und bestimmter Fassung zugängig sind, ge- nügten bisher durchaus nicht alle Gemeinden. Bald waren die Vorschriften über die verschiedenen Steuern in einer ganzen Reihe von Regulativen und Nachträgen zerstreut, bald entschied überhaupt nur unsicheres Herkommen. Hier soll künftig die Forderung einer alles zusammenfassenden Steuerordnung Abhilfe schaffen.

Zu §63 (Ges. § 61). Die Möglichkeit, Steuerordnungen auf Widerruf oder Zeit zu genehmigen, möchte der Aufsichtsbehörde gegeben werden, und zwar im* Interesse der Gemeinden. Gerade fortgeschrittene Gemeinden suchen zuweilen in Steuersachen neue Wege, von denen weder sie selbst noch die Aufsichtsbehörde vor ihrer praktischen Erprobung sagen können, ob sie zum Ziele führen oder ob sie nicht unvorhergesehene Härten im Gefolge haben werden. Ist die Aufsichtsbehörde nur in der Lage, solche Versuche entweder endgültig zu genehmigen oder ab- zulehnen, so wird sie leicht im Gefühl ihrer Verantwortung zur Ablehnung ge- langen. Anders, wenn sie in ihrer Genehmigung den Versuchscharakter zum Aus-

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Begründung zum sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom SO. November 1911. 345.

druck bringen kann. Dies möchte ihr ermöglicht werden, damit die weitere Entwicklung des Steuerwesens der Gemeinden nicht unnötig gehemmt und er- schwert wird.

Zu § 64 (Ges. § 62). Vereinbarungen zwischen dem Staatsfiskus und den Gemeinden, insbesondere über die Besteuerung von Forsten, haben sich immer mehr eingebürgert und sind für die Gemeinden insofern von entschiedenem Vorteil* als sie ihnen langwierige und wiederholte Streitigkeiten ersparen und eine gleich- massige Besteuerung des Fiskus auf Jahre hinaus gewährleisten. Aber auch Vereinbarungen mit anderen Steuerpflichtigen können für Gemeinden dann geboten sein, wenn es sich um gewerbliche Betriebe handelt, oder die Erhebung, einer Pauschalsumme an Stelle der Lustbarkeitssteuer zur Ersparung von Kosten beiträgt. Die Gemeinden werden durch derartige Vereinbarungen auch vor un- liebsamen Schwankungen in den Einnahmen ihres Haushalts bewahrt.

Das Erfordernis der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde rechtfertigt sich schon aus der Erwägung, dass jede solche Vereinbarung streng genommen eine Abänderung der Steuerordnung darstellt. Es wird aber weiter der Gefahr vorbeugen, dass Gemeinden in gegenseitigem Wettbewerbe der Grossindustrie^ Vorteile einräumen, die das finanzielle Interesse der Gemeinde verletzen. Bei Verträgen mit dem Staate erübrigt sich naturgemäss die Genehmigung durch die staatliche Aufsichtsbehörde.

Zu § 65 ( Ges. § 63). Die Veranlagung durch einen Steuerausschuss war in Land- gemeinden bisher nur mit Dispensation des Ministeriums des Innern zulässig. Diese Dispensation ist in zahlreichen Fällen erteilt worden, da das Bedürfnis und der Nutzen eines Steuerausschusses klar zutage lag. Es wurde damit die Ueberlastung: des Gemeinderats vermieden, weiter aber auch den Steuerpflichtigen die Offen- legung ihrer Einkommensverhältnisse vor dem gesamten Gemeinderat erspart.

III. Abschnitt.

Von den Steuerpflichtigen.

§§ 67-74 (Ges. §§ 65-72). Die Bestimmungen über Beginn und Ende der Steuerpflicht, die übrigens in

einer grösseren Anzahl von Gemeinden schon gelten, bezwecken den auf diesem Gebiete noch immer in vielen Gemeinden bestehenden Unklarheiten und den daraus entstehenden Möglichkeiten von Doppelbesteuerungen ein Ende zu machen.

Die §§ 68 - 72 (Ges. §§ 66 - 70) ordnen das Reklamationsverfahren, das- bisher noch nicht überall eingeführt ist, und lehnen sich dabei zum Teil an das staatliche Einkommensteuergesetz an (§§48 ff. daselbst). Die Bekanntgabe der Veranlagung erfolgt, je nach der Grosse der Gemeinden und der Art der Steuer, von jeher in verschiedenen Formen. Dabei soll es bleiben, insbesondere um un- nötiges Schreibwerk in den kleinen Gemeinden zu vermeiden.

§68 Abs. 3 (Ges. § 66) = § 49 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes. Die in §70 (Ges. §68) vorgesehene Einsetzung eines besonderen Rekla-

mationsausschusses ist zum Teil schon in den grossen Städten erfolgt; eignet sich indessen auch nur für solche.

Zu § 73 Abs. 3 (Ges. § 71). Je weniger sorgfältig in einer Gemeinde die Veranlagung und die Prüfung der Einsprüche behandelt wird, um so zahlreicher werden die beachtlichen Rekurse sein, die alsdann zu einer empfindlichen Ge- schäftsbelastung der Aufsichtsbehörde anwachsen können. In solchen Fällen entspricht es der Billigkeit, wenn die Gemeinde die Kosten des Rekurses trägt,, und so dem Staate die durch ihr Verschulden entstehenden Aufwendungen wenigstens zum Teil erstattet.

Der § 74 (Ges. § 72) regelt das Rechtsmittelverfahren bei mehrfacher Heranziehung zur Einkommensteuer oder allgemeinen Gewerbesteuer. Er soll dem Steuerpflichtigen einen tunlichst weitgehenden Schutz gewähren. Um dieses Zieles, willen müssen gewisse Weitläufigkeiten mit in Kauf genommen werden.

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346 Begründung zuna sächsischen Gemeindesteuergesetzentwurf vom 30. November 1911.

IV. Abschnitt. Nachzahlungsverfahren und Verjährung.

§§ 75-78 (Ges. §§ 73-76). Das Nachzahlungs verfahren ist in engem Anschluss an das Staatseinkommen-

steuergesetz geregelt. Die längere Frist für die Nachforderung der Zuwachssteuer entspricht dem Reichszuwachssteuergesetz ; die gleiche Behandlung der Besitz - Wechselabgabe rechtfertigt sich nicht nur aus der Erwägung, dass es sich bei ihr gleichfalls um eine Steuer des Rechtsverkehrs handelt, sondern auch aus praktischen Erwägungen. Bei den übrigen indirekten Abgaben, z. B. den Verbrauchssteuern, erscheint die Frist von 1 Jahr ausreichend.

Zu § 78 (Ges. § 76). Das Gesetz vom 29. Juni 1910 bezieht sich nur auf direkte Steuern. Die Einbeziehung der indirekten Steuern erschien wegen der für die staatlichen indirekten Steuern geltenden Bestimmungen nicht tunlich. Dagegen besteht kein Bedenken, es nunmehr auch auf die indirekten Gemeinde- abgaben auszudehnen.

V. Abschnitt.

Strafbestimmungen. §§ 79-84 (Ges. §§ 77-82).

Auch hier ist der Anschluss an das Staatseinkommensteuergesetz gesucht. Da aber die von dort entnommenen Bestimmungen (§79, § 80 Abs. 1, Ges. § 77, § 78 Abs. 1) bei der Verschiedenartigkeit der Gemeindesteuern nicht ausreichen würden, so war den Gemeinden auch auf diesem Gebiete die nötige Selb- ständigkeit zu lassen (§ 80 Abs. 2, Ges. § 78 Abs. 2).

VI. Abschnitt. Schiusa- und Uebergangsbestimmungen.

§§85- 91 (Ges. §§83-89). Für die Uebersichtlichkeit des geltenden Rechts ist es von Bedeutung, dass

die Abschnitte IV der Gemeindeordnungen über Gemeindeleistungen in ihrer Gesamtheit aufgehoben und nicht etwa nur durch Aufhebung derjenigen Bestim- mungen durchbrochen werden, welche von Gemeindesteuern im engeren Sinne handeln. Um dies zu erreichen, mussten in die Schlussbestimmungen einige Vor- schriften aus jenen Abschnitten herübergenommen werden, die nicht unmittel- bar mit dem Gemeindesteuerwesen zu tun haben: nämlich die Vorschriften über persönliche und Naturalleistungen, über die Altgemeinden und die Freiheit des Staatsfiskus von Strassenbaukosten an fiskalischen Strassen im Gemeindebezirke (§§86, 87, 88 Abs. 2, Ges. §§ 84, 85, 86 Abs. 2). Hierbei haben nur die Be- stimmungen über persönliche Dienste und Naturalleistungen einige Abänderungen gegenüber den § 29 der revidierten Städteordnung und § 24 der revidierten Landgemeindeordnung erfahren:

1. Persönliche Dienste konnten bisher in Städten schlechthin, in Land- gemeinden dagegen nur „ausser in dringlichen Notfällen" durch tüchtige Ver- treter geleistet werden, hier wie dort jedoch unter Vorbehalt des Ausschlusses der Stellvertretung im Interesse der Ortssicherheit. Die Stellvertretung wird nunmehr in Landgemeinden gleich wie in den Städten zugelassen. In den wenigen Fällen, in denen heute noch, ausser im Interesse der Ortssicherheit, persönliche Dienste und Naturalleistungen (z. B. Spanndienste) gefordert werden, z. B. für Schneeauswerfen, bei Beerdigungen usw., hat auch die Landgemeinde kaum ein Interesse, einen tüchtigen Stellvertreter auszuschliessen.

2. In Städten war bisher die Geldentschädigung, die von den persönlichen Diensten befreite, gesetzlich nach den „örtlichen Verhältnissen" zu bestimmen. Wie wenig diese Art der Festsetzung, die auf die Leistungsfähigkeit des die Be-

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freiung Erstrebenden keine Rücksicht nimmt, dem Rechtsempfinden entspricht, zeigen die Dispensationen, die von dieser Bestimmung nachgesucht und erteilt worden sind. Künftig wird es überhaupt zulässig sein, die Geldentschädigung nach der Höhe des Einkommens unter Festhaltung eines Mindestsatzes abzustufen.

3. Dass für die Neuordnung persönlicher Dienste im Interesse der Orts- sicherheit die Form des Regulativs genügt, ist bereits durch Verordnung des Ministeriums des Innern vom 14. April 1886 ausgesprochen und durch Ent- scheidung des Oberlandesgerichts vom 16. Juni 1887 (Fischers Zeitschrift Bd. 9, S. 29) anerkannt worden.

Die Regelung der Hand- und Spanndienste, Träger- und Wachdienste geht in manchen Gemeinden weit über die revidierte Landgemeindeordnung zurück. Diese Hess ältere Ordnungen ausdrücklich nach § 20 unberührt. Der Vorschrift, dass die Dienste und Naturalleistungen nach dem Massstab der Gemeindeanlagen zu verteilen sind, entsprechen solche ältere Regelungen natürlich nicht. So sind z. B- zuweilen die Dienste nur auf die selbständigen Hausväter oder auf Ansässige beschränkt. Hieran soll auch jetzt nichts geändert werden (Abs. 4 letzter Satz).

§ 89 (Ges. § 87) soll den Gemeinden reichlich Zeit gewähren, sich auf die Be- stimmungen des Gesetzes einzurichten. Dies steht dem früheren Inkrafttreten des Gesetzes (§91, Ges. § 89) nicht im Wege. Gemeindesteuerordnungen, die den Vorschriften dieses Gesetzes nicht entsprechen, gelten bis zum 1. Juli 1916 ebenso weiter, als wäre zu ihnen vom Minsterium des Innern Dispensation er- teilt worden (§90, Ges. § 88).

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