+ All Categories
Home > Documents > Andrea Dziemba - Was macht Ihr Arzt eigentlich beruflich

Andrea Dziemba - Was macht Ihr Arzt eigentlich beruflich

Date post: 24-Jan-2022
Category:
Upload: others
View: 3 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
11
Transcript

Andrea Dziemba

Was macht Ihr Arzt

eigentlich beruflich?

Das BuchKunstfehler sind die Königsdisziplin der Medizin. Und sie können jedem passieren: dem Urologen Dr. Bückmann, der Zahnärztin Frau Dr. Deckbiss oder Herrn Professor Dr. Schwell-nuss, seines Zeichens Hals-Nasen-Ohrenarzt. Ihre mehr oder weniger überfüllten Wartezimmer erwarten uns fünf Tage in der Woche und die Gelegenheiten falsch, unzureichend oder gar nicht behandelt zu werden, sind schier unerschöpflich.Wie man sich davor schützen kann, vorzeitig Bekanntschaft mit den Pathologen Dr. von Hinüber oder Professor Fleischhacker zu machen, erzählt dieses Buch. Aus autobiografischer Sicht und anhand wahrer Geschichten, die lebensverlängernd sein kön-nen. Gesetzt den Fall, man verschluckt sich nicht beim Lachen.

Die AutorinAndrea Dziemba wurde 1964 als Arzt-Enkelin in Bad Nauheim geboren. Umgeben von medizinisch ambitionierten Familien-mitgliedern entschied sie sich dennoch gegen die Arbeit am menschlichen Körper und wurde Werbetexterin. Nach vie-len Jahren in internationalen Werbeagenturen arbeitet sie seit 2000 als Freelancerin im Marketing. Daneben ist sie frei journalistisch tätig und engagiert sich für unterschiedliche soziale Projekte. Sie lebt mit ihrem Mann auf dem Land in der Nähe von Frankfurt am Main.

5

© 2013 Andrea DziembaHerstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, NorderstedtAlle Rechte vorbehalten.

ISNB 9783732250998

Umschlagkonzeption: Andrea DziembaArtdirection: Michael Bell/1000herz.comArztkoffer: Leihgabe Patrizia Grimm Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliertebibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Für Wolfgang, meinen geliebten Onkel.Für Heiko, den unvergesslichsten aller Kollegen.Für alle, die gerne noch wären, aber nicht mehr sind.

6 7

Patient:„Herr Doktor, wenn ich HIER drauf drücke,

tut es schrecklich weh!“

Arzt:„Dann drücken Sie DA nicht drauf –

dann tut’s auch nicht weh!“

Inhalt

Die schwarze Haarzunge oder: Wenn dieses Buch eine Pille wäre 11

1. Von der Kunst, einen Fehler zu machen: Der Tod ist die schnellste Heilung 142. Die wahren Helden: Ganz in Weiß 163. Der Nächste, bitte: Vom Leben und Sterben eines Kassenpatienten 254. Alle Mann an Bord: Im Vierbettzimmer zum Schafott 39

98

Allein unter Ärzten: Von Geburt an geheilt 57 1. Wer rumkrückt, stirbt! 582. Mahlzeit! Zu Tisch mit Darmpolyp und Knötchenflechte 643. Lass mich mal: Reden heilt 704. Alles Körperbeherrschung: Ich glaub’, mir wird schlecht 735. Operation Hummer: Sch(m)erz beiseite 786. Diagnose Familienfeier: Alle mal freimachen! 827. Doc am Ring: Zum Boxenstopp ins Separee 898. Auf die Knie: Das blaue Wunder von Tirol 94

Jetzt wird’s ernst: Qualen nach Zahlen 100

Hurra, wir leben noch! 105Zwölf herb-heitere Geschichten über das Unheil beim Heilen

1. Gelb, gelb, gelb sind alle meine Farben 1062. Augen zu und durch: Eine Frau sieht rot 1203. Oben ohne: Die Dritten mit Vierzig 1304. Bloody Arthur und der Master of Desaster 1385. Hao Ruck: Der Renker, dem die Frauen vertrauen 1466. Endoskopie, Laparaskopie, Katastrophie 1557. Au Backe: Erst probieren, dann studieren 1688. Wer misst, misst Mist 1789. Sprachlos in Hessen: Wasser marsch! 18810. Hands up, baby hands up: Die Hoffnung stirbt nach dem Gewebe 20211. Es geht eine Blase auf Reisen 21512. Die Unheilpraktiken des Dr. M. 225

Appendix oder: Ein Schlusswort für alle mit und ohne Blinddarm 245

Danksagungen 247

1110

Die wahren Helden:Ganz in Weiß.

Ärzte sind einfach fantastisch.Wenn man einmal davon absieht, dass die meisten von ih-

nen in ihren Kitteln so attraktiv aussehen wie tageslichtscheue Fleischkäsekontrolleure (zu fett, zu klein, zu kahl), sind Ärzte schon eine extrem erotisierende Berufsgruppe. Denn Ärzte ha-ben Macht. Weil sie Leben retten. Zumindest theoretisch. Zum Beispiel mit dem unsterilen Werbekugelschreiber eines Schei-denpilzpräparate-Herstellers.

Stellen wir uns einfach mal vor: Ein fünfzigjähriger Internist will nach einem langen Arbeitstag in der Cocktailbar um die Ecke einen Horny Baby Woodoo trinken, damit er die depri-mierenden Folgen des neuen Kostendämpfungs-Ergänzungs-gesetzes im Gesundheitswesen für ein paar Minuten vergessen kann. Wir können es zwar kaum glauben: Aber auch Ärzte sind nur Menschen.

Kaum aber hat der besagte Internist seine Cocktailbestel-lung abgegeben, da passiert es: Neben ihm steht ein Gast, der unbedingt einen frauenfeindlichen Witz absondern muss1. Beim Lachen atmet und schluckt er gleichzeitig und bekommt dabei eine Erdnuss in den falschen Kanal.

Noch lachen alle, der Gast hustet, sein Freund klopft ihm auf den Rücken, was zwar merkwürdig hohl klingt, aber auch nicht hilft. Dann verändert sich seine Gesichtsfarbe von einem ungesunden Verkehrsrot in ein morbides Fallobstvoilett (was angesichts seines eben zum Besten gegebenen Witzes nicht ei-ner gewissen Ironie entbehrt, siehe unten).

Der nach Luft Ringende presst noch ein letztes Blöken her-vor und macht dann die Sache noch schlimmer, indem er sich mit der Hand am Hals würgt: eine gern vollzogene pantomi-1 „Was ist blau und rennt durchs Zimmer? Ich kann doch meine Frau anmalen, wie ich

will! Hahaha ...“

Auszug aus Teil 1 Kapitel 2

12 13

mische Vorführung, die seine Atemnot aber leider noch poten-ziert.

Und dann geht alles sehr schnell.Der Internist zerlegt in Windeseile den erwähnten Werbe-

kugelschreiber mit der Aufschrift „Vagifunga“. Dann führt er die Mine desselbigen durch den kleinen Einschnitt unter dem Kehlkopf des Erstickenden ein. Der Barkeeper hatte zuvor hochkooperativ sein scharfes Zitronenmesser für diesen Ein-griff zur Verfügung gestellt.

Einigen wird jetzt direkt schlecht, Fans der Serie Private Practice und Royal Pains filmen mit ihren Smartphones und posten Anschauungsmaterial auf dem internationalen Ge-sichtsbuch-Portal.

Durch die hohle Kugelschreibermine haucht der erfreuli-cherweise aus seiner Melancholie erwachte Doktor dem fall-obstfarbenen Opfer nun neues Lebenselixier ein2. Eine Sache von Sekunden – ein Auftritt für die Ewigkeit!

Unglaublich! Eben noch war dieser Internist in Zivil nur ein Mann unter anderen – und in der nächsten Sekunde machte er sich unsterblich. Mit dem Scheidenpilzkuli (Marke Ritter-Pen, Lieferzeit circa drei Wochen, Gewicht dreizehn Gramm) zum Highlander! Und das Fantastischste daran ist: Das Leben eines Arztes ist voller Gelegenheiten, sich in Szene zu setzen. Zumindest dort, wo Leben ist. Denn wo immer sich Menschen aufhalten, haben sie die Angewohnheit, sich oder andere ganz spontan, dämlich und grotesk zu verletzen, sich mit einem un-bekannten Virus anzustecken oder die Funktion eines Organs einzustellen. Und wenn dann ein Arzt in der Nähe ist, dann können alle anderen Aufschneider um ihn herum sofort ein-packen und im Sammel-Taxi nach Hause fahren.

Wer will schließlich noch einem abgelebten Formel-1-Renn-stallbesitzer mit sonnengegerbtem Kehlsack zuhören, wie viele

2 Auch Luftröhrenschnitt oder Tracheotomie genannt. Das kommt aus dem Griechischen und da fackelt man nicht lange, weil man ganz andere Sorgen hat.

Millionen er im Jahr abschöpft, wenn zwei Reihen weiter an Bord der Langstreckenmaschine ein junger Assistenzarzt eine Zwillingsgeburt abwickelt? Und wer will schon neben einem fehlpigmentierten Tennisprofi bei der Bambiverleihung Papaya- süppchen mit Kartäuserklößchen essen, wenn er stattdessen dem gut gebräunten Bizeps eines Internisten bei der Herz-druckmassage am Fingerfood-Buffet zusehen darf?

Was sind schon die Lippen eines sexsüchtigen Popstars ge-gen die eines Operateurs, zart vom hauchdünnen, blassgrünen Vlies des Mundschutzes benetzt?

Glaubt man den Statistiken, so wünschen sich 78 Prozent (!) der Frauen und 71 Prozent der Männer (?!) einen Mediziner als Partner. Doch hatten wir das nicht längst geahnt?

Was Ärzte so atemberaubend macht, sind aber nicht nur ihre Taten. Viel imposanter als ein lässig durchgeführter Trauma-check während der Mittagspause im Starbucks ist das Privileg, die folgenden Sätze in die breite Masse der Amateure schleu-dern zu dürfen:

A: „Lassen Sie mich durch – ich bin Arzt ...“B: „Achtung: Eins, zwei, drei ... alle weg vom Tisch!“ C: „Ich glaube, wir verlieren ihn!“ Ich bin mir absolut sicher: Diese Momente entschädigen

jeden Arzt für sechs Jahre Studium und einen Einstiegs- stundenlohn von 2,62 Euro bei sechzig Wochenstunden, die Dienste nicht mitgerechnet.

Man darf es natürlich nicht übertreiben. „Gehen Sie mal zur Seite – ich bin Arzt ...“ in der Warteschlange an der Notrutsche einzusetzen, ist ziemlich schäbig. Kreativer ist es da, die Arzt-im-Dienst-Plakette zu missbrauchen, um einen exponierten Fußgängerzonen-Parkplatz im Vorweihnachtsgeschäft zu er-gattern.

1514

Auch die Dialoge der Arztserien geben mir recht: Ärzte und ihre Bewunderer können gar nicht genug bekommen von A), B) oder C).

Die besondere Wirkung dieser Sätze liegt natürlich in der Art, wie routinierte Mediziner diese aussprechen: äußerst un-aufgeregt, ohne große Betonungen, eher klanglos monoton, weil das noch souveräner wirkt und sie damit unterstreichen können, wie lässig sie ihre Macht doch macht.

Ganz gleich, wie fade, kleinwüchsig oder humorlos ein Me-diziner auch sein mag: Sogar selten genutzte Floskeln wie „Das könnte jetzt ein bisschen weh tun“ oder „Sie sollten mir da jetzt einfach vertrauen ...“ lösen oftmals spontane Subordination und Faszination aus, nicht selten begleitet von körperlichen Reaktionen.

„Keine Angst, ich mache das nicht zum ersten Mal ...“ führt beim Jahrestreffen der christlichen Hausgehilfinnen sicher au-genblicklich zu willkommener Aufregung und löst bei jeder der anwesenden Frauen über fünfzig eine spontane außerzyklische Ovulation aus. Nicht auszudenken, was ein gut gebauter Arzt im Praktikum mit diesem Satz erst auf einer Dessous- Party ländlicher Singlefrauen ausrichten könnte.

HurrA, WIr lEBEn nocH!

Zwölf herb-heitere Geschichten über das Unheil beim Heilen

Fortsetzung im Buch!

Auszug aus Teil 3 Kapitel 1

16 17

Gelb, gelb, gelb sind alle meine Farben

Sven kam nach vierzehn Tagen auf allen Vieren aus den Staaten zurück. Als freier Werbefilmproducer war er im Auf-trag einer internationalen Agentur mit der Crew eines Fernseh-senders erst nach L. A., und dann weiter nach Florida gereist, um für eine Castingshow untergewichtige Mädchen mit über-gewichtigem Ego zu begleiten.

Im Schlepptau hatte er während der unendlichen zwei Wochen nicht nur unzählige unerwartete Probleme, sondern auch noch einen jungen Abgesandten des Auftraggebers, dessen Selbstüberschätzung proportional zu den Heraus- forderungen der Filmarbeiten stieg.

Der ganze Job war von Anfang bis Ende ein pain in the arse. Viele von Svens gelieferten Ideen waren erst frenetisch gefeiert worden und dann entweder nicht bezahlbar, oder rechtlich nicht umsetzbar. In Kalifornien war es ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit, die erste gebuchte Location brannte kurz vor dem ersten Drehtag aufgrund eines unsachgemäß entzündeten Kamins vollständig aus. Svens Jetlag wollte nicht enden und schon morgens saß er mit Karnickelpuls3 völlig fertig in seinem Hotelzimmer. Wenn die Crew abends essen ging, flüchtete er in sein Bett: Er wollte nur schlafen und Kraft tanken für den näch-sten Tag. Eine Erschöpfung in dieser Dimension war ihm fremd und das ständige Geläster über seine „Verrentnerung“ trug nicht dazu bei, dass er diese Reise ins Herz schloss. Er wusste, dass für diesen Job andere ihre Ehefrau in Säure aufgelöst hätten, denn nicht nur die Bezahlung war extrem gut, sondern auch der potenzielle Ruhmfaktor – aus Sicht des gemeinen Privatsender-Zuschauers ein Sechser im Lotto. Aber Sven wollte nur noch eines: nach Hause.

3 130 bis 325 Schläge pro Minute

Im Rahmen seiner Aufgabe als koordinierender Produk- tionsleiter der Agentur hatte er auch einige Parts vor der Kamera und betrachtete auf den Aufzeichnungen mit leichter Besorgnis sein betongraues Gesicht und die cheeseburger- großen Augenränder.

Irgendetwas war nicht in Ordnung mit ihm, aber anderer-seits hielt er es für legitim, sich nach wochenlangem Dauer-stress, Schlafmangel und Nervengesäge nicht gerade wie ein frisch gesäugtes Kitz zu fühlen.

Mit einem Tag Verspätung und nach einer außerplan- mäßigen Zusatznacht ohne Gepäck kam Sven endlich wieder in Deutschland an. In den nächsten vier Tagen schlief er, aß, schlief, oder schlief und aß. Aber trotz ausgiebiger Erholung kam er nicht wirklich auf die Beine. Circa zehn Tage nach der Rückkehr wachte er mit starker Erkältung auf, die sich anschlie-ßend zu einer Angina entwickelte. Sein Hausarzt verschrieb ihm ein Antibiotikum. Die Packung enthielt nur drei Tabletten, die allerdings so groß waren wie Backgammonsteine und sich in etwa so leicht schlucken ließen wie kokaingefüllte Kondome. Sven war zu erschöpft, um zu protestieren und würgte sie tapfer hinunter. Er wollte sich einfach wieder gesund und fit fühlen und hatte zudem den Schreibtisch voller Arbeit.

Vierzehn Tage nach der Rückkehr bekam er plötzlich explosionsartigen Durchfall. Das Frühstück hatte er noch aus-giebig mit seiner Frau genossen, dann ging es rapide bergab mit ihm.

Zu dem Durchfall gesellte sich eine überirdische Übelkeit. „Verdammt, auch das noch“, dachte er. „Da haben wir uns aber einen beneidenswerten Magen-Darm-Virus mitgebracht, aus dem Land des ungebrochenen Pioniergeistes.“

Im Verlauf des Samstags schaukelten sich die Symptome auf Rekordniveau hoch. Vor allem die Übelkeit nahm groteske Ausmaße an. Sven kotzte sich die Seele aus dem Leib und

1918

hatte am Sonntagmittag den Eindruck, durch sein Gewalt- würgen noch aus der hinterletzten Untiefe seines Körpers Organmasse hervorzaubern. Vorsichtshalber war seine Frau schon nach Einsetzen der ersten Anzeichen ins Wohnzimmer umgezogen und benutzte das zweite Bad.

Alle infrage kommenden Medikamente gegen die üblichen Verdächtigen hatten sich als wirkungslos erwiesen. Die Übel-keit war höllengleich und er am Ende seiner Kräfte. Langsam machte sich in ihm der Verdacht breit, dass es sich um etwas anderes als ein gemeines Virus handeln könnte. Samstagabend gegen 20 Uhr rief er in einer der seltenen Kotzpausen den Ärzt-lichen Notdienst in der achtzehn Kilometer entfernten Kreis-stadt an. Die Dame am anderen Ende der Leitung teilte ihm mit, der im Dienst befindliche Arzt hätte gleich Dienstschluss. Sven solle doch einfach vorbeikommen, dann könne sich der Kollege nach Schichtwechsel sein Problem „ja mal ansehen“.

Sven fand ihren Vorschlag in etwa so konstruktiv, wie den, einen Verwirrten zum Anführer eines Orientierungslaufs zu machen. „Ich kann nicht zu Ihnen kommen“, würgte er hervor. „Ich kotze mir seit fast drei Tagen meinen eigenen Körper aus dem Leib. Ich kann noch nicht mal die Autofahrt überstehen! Der Notarzt muss zu mir kommen“, erklärte er entschlossen.

Aber auch die Dame am anderen Ende hatte eine genaue Vorstellung davon, wie die Sache ablaufen könnte.

„Sie sind kein Notfall. Das müssen Sie mit dem Arzt bespre-chen ...“

Sven kratzte den letzten Rest Renitenz zusammen: „Wann bitte ist man denn ein Notfall? Wenn man tot ist? Dann holen Sie eben den Doktor ans Telefon. Bis dahin versuche ich, aus-nahmsweise nicht lebensbedrohlich zu dehydrieren.“

Sie wisse nicht, ob das so einfach ginge, erklärte die Dame schließlich. Der Arzt hätte wie erwähnt im Grunde gleich frei für heute. Sven solle mal seine Nummer hinterlassen. Und bei

welcher Kasse er versichert sei, wollte sie auch noch wissen. Der Doktor riefe zurück.

Nach drei Toilettengängen klingelte sein Telefon. Ein Herr mit einem orientalisch anmutenden Kolorit und leicht gelang-weiltem Unterton war am Apparat. Er sei der diensthabende Notarzt und hätte Feierabend. Was genau es denn „so Schlim-mes“ gäbe?

In wenigen Sätzen war die Geschichte der überbordenden Übelkeit erzählt und alle Begleiterscheinungen geschildert.

„Ja, dann fahren Sie eben mal in die Apotheke und holen sich ein paar Kohletabletten. Und Vomex gegen die Übel- keit ...“, lautete sein origineller Vorschlag.

Auf die Idee, etwas gegen Durchfall und Erbrechen ein- zunehmen, war Sven in den vergangenen zweiundsiebzig Stunden auch schon gekommen.

„Hilft so viel wie Luft anhalten“, lautete daher sein Resümee.

Und seine eindringliche Bitte danach:„Bitte, kann der Kollege nicht vorbeikommen? Mir geht es

wirklich sehr schlecht! Ich kotze mir die Seele aus dem Leib! So übel ist es einem vielleicht nach sechzehn Flaschen Wodka oder der Hotdog-Weltmeisterschaft. Ich kann nicht mehr ...“

Der Doktor hatte keine Lust auf Svens Lamento. So viel war herauszuhören.

„Bei einem Magen-Darm-Virus ist einem halt ein paar Tage schlecht. Deshalb kommt doch kein Notarzt vorbei! Und außerdem muss ich jetzt zur Übergabe.“

Zu der musste auch Sven, wenn auch in etwas anderer Form.Damit war die Sache geklärt. Zumindest für den Arzt. Svens Frau fuhr in die Notdienstapotheke, holte Kohle-

kompretten und eine neue Packung Antibrechpillen. Beides eine großzügige Spende an die Kanalisation der Gemeinde,

20 21

denn sein Körper beförderte alles zu sich Genommene inner-halb weniger Minuten wieder hinaus.

Am kommenden Montag rief er in der Praxis seines Haus-arztes an und schilderte seinen Zustand. Der war mittlerweile als grenzwertig zu beschreiben.

„Na, dann kommen Sie einfach vorbei, der Doktor sieht Sie sich dann an“, schlug die fröhliche Sprechstundenhilfe vor.

„Nein, ich kann nicht vorbeikommen, es sei denn Sie wollen, dass ich die Patiententoilette dauerbesetze oder ins Wartezimmer kotze“, teilte Sven ihr nach nunmehr vier Tagen Leidensweg mit. „Der Doktor muss herkommen!“

Gut, beschloss die Sprechstundenhilfe. Dann müsse er aber bis heute Abend warten, da bei ihnen heute der Bär steppe.

Ihm war alles egal. Er wollte nur, dass jemand kam, der ihn aus seinem erbarmungswürdigen Zustand befreite.

Am Abend vorher hatte er den folgenschweren Leichtsinn begangen, sich in der Küche im Untergeschoss eine Packung Salzstangen abholen zu wollen. Seine Frau hatte sich gerade eine stattliche Nürnberger Bratwurst in die Pfanne gelegt. Der Ekel haute ihn fast um, als ihm der Geruch entgegen schlug. In der Geschwindigkeit, die nur der Jamaikaner Usain Bolt überbieten könnte, war er auf die Toilette gestürzt. Auf beiden Kniescheiben hatte er mittlerweile blaue Flecken vom zu Boden gehen vor der Schüssel. Aus Erschöpfung hatte er sich dort ein Lager aus Kopfkissen und Decke gebaut. Der Weg bis zum Bett und zurück war oft nicht mehr zu schaffen. Daher kampierte Sven auf den Bodenfliesen. Von Schlafen konnte keine Rede sein.

Am frühen Abend betrat der Hausarzt mit Mundschutz und Handschuhen das Haus. Sven hatte einen schmerzenden, geschwollenen Leib und war ein Fähnchen im Wind, was seine Konstitution anbelangte. Das Erbrechen hatte etwas nach-

gelassen, dennoch gehörte es immer noch zu seinen Lieblings-beschäftigungen.

„Ich spritze Ihnen jetzt mal etwas gegen die Krämpfe und die Übelkeit“, schlug der Hausarzt vor. „Sie haben sich da ordentlich was eingefangen ...“

Die Injektion war gerade einige Minuten in Svens Körper angekommen, als sein Kreislauf völlig kollabierte. Ihm wurde schwindelig, sein Puls raste, er war kurz vor einer Ohnmacht. „Auch das noch“, befand der Doktor. „Sie machen ja vielleicht Sachen ...“

Fortsetzung im Buch!


Recommended