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Amtsblatt 05 2005

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5a Amtsblatt der Stadt Steyr Erinnerung: 60 Jahre Frieden und 50 Jahre Staatsvertrag 0 5 Gedenken an die im Konzentrationslager Münichholz ermordeten Menschen: An die 700 Teilnehmer marschierten sechzig Jahre nach Kriegsende von der Münichholzer Kirche zum KZ-Mahnmal an der Haager Straße. An einen Haushalt Verlagspostamt 4400 Steyr Österreichische Post AG Postentgelt bar bezahlt RM-01A023457 Erscheinungsort Steyr 8. Juni 2005 48. Jahrgang ste r
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Page 1: Amtsblatt 05 2005

5aAmtsblatt der Stadt Steyr

Erinnerung: 60 Jahre Frieden

und 50 Jahre Staatsvertrag

05Gedenken an die im Konzentrationslager Münichholz

ermordeten Menschen:

An die 700 Teilnehmer marschierten sechzig Jahre

nach Kriegsende von der Münichholzer Kirche zum

KZ-Mahnmal an der Haager Straße.

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Page 2: Amtsblatt 05 2005

nmittelbar nach Ende des Krieges wurden in der Stadt Steyr diese Plakate aufgehängt. Die Steyrer HeimatforscherinLeopoldine Grundner hat die Original-Dokumente für diese Amtsblatt-Sondernummer zur Verfügung gestellt.

m 9. Mai organisierte das MauthausenKomitee Steyr in Zusammenarbeit mit

der Stadt und mit 47 Organisationen eineGedenkveranstaltung zu Ehren der Menschen,die im KZ-Nebenlager Münichholz ermordetworden waren. Unter dem Titel „Requiem 05“wurde das Requiem des französischen Kompo-nisten Gabriel Faure aufgeführt, zwischen denMusikstücken wurden Texte von Überlebendenvorgetragen. Bei der Feier hat man mittels Licht-installation auch die 226 bekannten Namen derim KZ Münichholz ermordeten Menschen sowiedie Namen der 83 Opfer des Faschismus inSteyr sichtbar gemacht. Mag. Karl Ramsmaiervom Mauthausen Komitee Steyr dazu: „Mit die-ser Aktion haben wir den Opfern ihre Namenzurückgegeben, denn die KZ-Häftlinge wurdennur als Nummern geführt.“

Besonders berührend beim Requiem 05 war diesymbolische Erinnerung an jedes Opfer des Na-tionalsozialismus in Steyr: in insgesamt 309Pflastersteinen wurden Kerzen entzündet (imBild rechts).

Requiem 05 im Gedenken an die Steyrer KZ-OpferIm Anschluss an die Feierlichkeiten fand einGedenkmarsch von der Münichholzer Kirche

zum KZ-Mahnmal an der Haager Straße statt.Rund 700 Menschen nahmen daran teil.

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Foto: Kainrath

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David ForstenlechnerBürgermeister der Stadt Steyr

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or 60 Jahren, genau gesagt am 5. Mai1945, sind in Steyr US-Truppen einmar-

schiert und haben den Terror des Nazi-Regimesund somit den Zweiten Weltkrieg für unsereStadt beendet. Im darauf folgenden Jahrzehnt istdie Stadt wieder aufgebaut und modernisiertworden. 1955 ist unter anderem das erste Stey-rer Hochhaus auf der Ennsleite eröffnet worden,im gleichen Jahr ist der legendäre KleinwagenFiat 600 vom Band gerollt. 1955 war auch dasJahr, in dem Österreich den Staatsvertrag be-kommen hat und wieder ein unabhängiger Staatgeworden ist.

n dieser Sonderausgabe des Amtsblatteswerden die Ereignisse der letzten Kriegs-

tage und des historischen Jahres 1955 in Steyrthematisiert. Ich danke allen, die daran mitgear-beitet haben, besonders Mag. Karl Ramsmaierund Otto Treml vom Mauthausen KomiteeSteyr, der Steyrer Heimatforscherin LeopoldineGrundner sowie dem Historiker DDr. Karl-Heinz Rauscher.

teyr hat ja in der Zeit des Zweiten Welt-kriegs eine mehrschichtige Rolle gespielt,

es gab Opfer und Täter: An die zehntausendZwangsarbeiter sind unter unmenschlichen Be-dingungen von der Industrie ausgebeutet wor-den; im KZ Münichholz hat man grauenhafteVerbrechen gegen die Menschlichkeit begangen;der gebürtige Steyrer August Eigruber zählte zuden schlimmsten Nazi-Verbrechern; der SteyrerKriminalbeamte Franz Reichleitner war stellver-tretender Büroleiter der Euthanasie-AnstaltHartheim, wo 30.000 behinderte Menschen um-gebracht wurden, darunter 27 Steyrer; Reichleit-ner war auch ein Jahr lang Kommandant desVernichtungslagers Sobibor, er ließ an die200.000 Juden ermorden; Täter waren auch dieDenunzianten und Vernaderer, die aus Dumm-heit, Bösartigkeit oder vorauseilendem Gehor-sam Nachbarn, Freunde oder sogar Verwandteanzeigten und so in Todesgefahr brachten. Ver-gessen darf man auch nicht 900 junge Steyrer,die als Soldaten für Hitler gefallen sind, undHunderte Zivilisten, die bei Bombenangriffenums Leben gekommen sind.

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us Steyr kamen aber auch Menschen, diemutig Widerstand leisteten: Herta

Schweiger und Bertl Konrad wurden in denNazi-Kerkern zu Tode geprügelt, Otto Penselstarb in den Gaskammern des Konzentrationsla-gers Mauthausen, Willi Frank fiel während ei-nes Gefechts mit einem SS-Verband, KarlPunzer, Willi Gruber und Erwin Puschmannwurden enthauptet. Im Stadtteil Münichholzsind viele Straßen nach den tapferen Männernund Frauen benannt worden, die im Kampf ge-gen den Nazi-Terror ihr Leben verloren.

Der Steyrer Widerstand zählte zu den best-organisierten und effizientesten antifaschisti-schen Vereinigungen in ganz Österreich. Es gababer auch den privaten, den individuellen Wi-derstand in Steyr. Menschen, die Flüchtlinge beisich versteckten und Lebensmittel für KZ-Häft-linge hinterlegten, Eltern, die ihre Kinder nichtmehr in den Krieg ziehen ließen und Seelsorger,die ihre Kirchen für die Verfolgten des NS-Regimes zur Verfügung stellten.

eute hört man oft den Satz „Der Krieg istlange vorbei, vergessen wir diese Zeit“.

Ich halte diese Aussage für falsch und auch ge-fährlich. Denn diese Zeit ist nicht lange vorbei.Es leben immer noch Menschen, die das Grauender faschistischen Nazi-Diktatur mitgemacht ha-ben und deren Leben durch diese Zeit geprägtworden ist. Und vergessen dürfen wir dieseschreckliche Zeit nie. Denn nur wer über dieVergangenheit Bescheid weiß, kann die Fehlerdieser Zeit vermeiden und so die Zukunft mitbe-stimmen.

Darum freut es mich besonders, dass es in Steyrjunge Menschen gibt, die sich mit der NS-Ver-gangenheit unseres Landes intensiv beschäfti-gen und die ihr Wissen weitergeben an nachfol-gende Generationen.

Wir alle – Jung und Alt – müssen wach sein,um sofort gegen Verletzungen der Menschen-rechte und der Menschenwürde auftreten zukönnen. Denn man ist nicht nur verantwortlichfür das, was man tut, sondern auch für das, wasman geschehen lässt.

Die Seite des

Bürgermeisters

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Inhalt SeiteVorwort des Bürgermeisters ..................... 3

Das KZ in Münichholz .......................... 4/5

Juden in Steyr .......................................... 6/7

Der Zusammenbruch desDritten Reichs ............................................. 7

Luftkrieg gegen Steyr ....................... 8 – 10

Das Ende des Krieges ....................... 10/11

Zwangsarbeiter in Steyr .......................... 12

Steyrer Widerstandskämpfer:Flucht aus der Todeszelle ........................ 13

Straßen in Steyr nachWiderstandskämpfern benannt ... 14 – 16

Projekte gegen das Vergessen ................ 17

Der Wiederaufbau derStadt Steyr ........................................... 18/19

Original-Plakate aus denersten Tagen nach Kriegsende ............... 20

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teyr war unter den Nebenlagern vonMauthausen eines der mörderischsten.“

Das schreibt der Spanier José Borras in seinenErinnerungen. Borras war von 1942 bis 1945im KZ Münichholz inhaftiert.

Das Nebenlager Steyr-Münichholz wurde imFrühjahr 1942 eingerichtet. Die Häftlinge ka-men aus dem Hauptlager Mauthausen. Ihre Ar-beitskraft wurde in den Steyr-Werken in derRüstungsproduktion ausgebeutet. Für die StadtSteyr mussten sie Straßen und Luftschutzbun-ker bauen.

Die Häftlinge kamen zum Großteil aus Spanien,Frankreich, Polen, Italien, Griechenland, Russ-land und Tschechien, aber auch aus anderenLändern. Die Anzahl der Häftlinge bewegte sichzwischen 1000 und 2000. Die genaue Zahl derOpfer des KZ Steyr-Münichholz ist bis heuteunbekannt. Die Menschen starben an den Fol-gen mangelhafter Ernährung und bei Arbeits-einsätzen in klirrender Kälte. Sie wurden vonsadistischen Wärtern umgebracht, ertrugen dasenorme Arbeitstempo nicht oder kamen um,weil man ihnen medizinische Hilfe verweigerte.Auch bei den Luftangriffen auf die Steyr-Werkeim Februar und April 1944 wurden KZ-Häftlin-ge getötet. Die meisten kranken Häftlinge wur-den in das Hauptlager Mauthausen zurückge-schickt und dort ermordet.

Am 5. Mai 1945 befreiten amerikanische Trup-pen das Lager. 1948 wurde die Asche von KZ-Häftlingen auf dem Steyrer Urnenfriedhof bei-gesetzt. Ein Gedenkstein mit der Aufschrift„Niemals vergessen“ erinnert daran. AnfangDezember 1967 wurde an der Haager Straßeein Denkmal für die Ermordeten eingeweiht.

Der Ukrainer Wladimir MaximowitschBerimez war im KZ Münichholz gefangen. Erhat überlebt und schrieb im Alter von 80 Jahrenüber das Leben im Lager: „Auf dem Gelände

des KZ Steyr befandensich 30 bis 40 einstöckigeHolzbaracken, die nichtwintertauglich waren. DieGefangenen schliefen aufzweigeschoßigen Holz-pritschen mit Matratzen,welche mit Holzspänengefüllt waren. Man decktesich mit verschlissenenBettdecken zu. Das Lagerwar mit Stacheldraht inzwei Reihen eingezäunt.An jeder Ecke des Lager-geländes gab es Wach-türme mit Scheinwerfern für die Wachposten,die mit Maschinengewehren ausgerüstet waren.Wir arbeiteten ohne Unterbrechung bis zumMittagessen, von sechs Uhr morgens bis 5 Uhrabends. Unter Bewachung von SS-Männernkehrten wir in Richtung Lager zurück. Es warverboten, am Wegesrand Zigarettenstummeloder Essensreste aufzuheben. In diesem Fallhatten die Bewachungsmannschaften das Recht,ohne Vorwarnung zu schießen, ebenso beieinem Fluchtversuch.

Am Morgen verließen die Gefangenen die Bara-cken und erhielten täglich nicht mehr als 300Gramm Brot, 15 Gramm Margarine und Ersatz-kaffee ohne Zucker. Außer dem Gang zur Toilet-te war freie Bewegung auf dem Lagergeländeverboten. Nach einigen Wochen Arbeit bei derReparatur des Eisenbahnnetzes wurde ich sehrschwach. Die Beine begannen anzuschwellen.Auf Befehl des Blockführers wurde ich in dasLazarett gebracht. Behandlung gab es hier mitAusnahme von seltenem Verbandswechsel kei-ne. Essen gab es um 50 Prozent weniger. Bei al-len Kranken wurde eine einzige Diagnose ge-stellt: Erschöpfung wegen Unterernährung. Je-den Tag hat man Leichen weggebracht.“

Der spanische Häftling José Borras schildert:„Es gab Geister im Lager, Schatten, die am Endeihrer physischen und psychischen Not, die Au-gen auf den Boden geheftet, um die Küchen he-rumschlichen, auf der Suche nach etwas Essba-rem. Sie stießen dabei auf Erdäpfelschalen undaßen sie, ohne sie zu waschen, was oft Ruhrund den Tod herbeiführte. Viele Spanier, die imJänner 1942 nach Steyr geschickt worden wa-ren, bekamen Ödeme. Bei beißender Kältearbeiteten sie ohne Handschuhe und nahmendie runden Eisen mit bloßen Händen. Dadurchentzündeten sich viele Wunden, aber siemussten bei minus zehn Grad weiterarbeiten.“

In der eidesstattlichen Erklärung von JakobRosenmann, abgegeben im FlüchtlingslagerLinz-Ebelsberg, ist von der Behandlung jüdi-scher Häftlinge im KZ Steyr-Münichholz dieRede: ,,Im August des Jahres 1944 wurde ichvom KZ Plasow nach Mauthausen überstellt.Dort blieb ich zehn Tage, dann kam ich in dasKZ Steyr. Dort habe ich Hufnagel Alfred ken-nen gelernt, welcher während meines ganzenAufenthaltes die Funktion eines Küchenchefshatte. Ich war oft selbst Augenzeuge, wie dieHäftlinge durch oben Genannten misshandeltwurden. Er schlug die Häftlinge ohne jeden

Das KZ in Münichholz:Hunger, Terror und arbeiten biszum Sterben

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DasKZ Steyr.

Das KZ-Denkmal in Münichholz.

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Foto: Mauthausen Komitee Steyr

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Häftlingszahlen

us dem Rapportbuch des KZ Mauthau-sen ist die Anzahl der Häftlinge des Ne-

benlagers Steyr ersichtlich:

17. Februar 1944: 10221. März 1944: 10161. April 1944: 14741. Mai 1944: 13821. Juni 1944: 14021. Juli 1944: 13811. August 1944: 13771. September 1944: 15601. Oktober 1944: 17971. Dezember 1944: 19431. Jänner 1945: 19711. Februar 1945: 17591. März 1945: 162315. März 1945: 150225. April 1945: 309029. April 1945: 2918

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Medien über dasKZ Steyr

7 Perz Bertrand, Steyr-Münichholz. Ein Kon-zentrationslager der Steyr-Daimler-Puch A.G.,in: Jahrbuch des Dokumentationsarchivs desösterreichischen Widerstandes 1989, 52-617 Perz Bertrand, Projekt Quarz. Steyr-Daimler-Puch und das Konzentrationslager Melk, Wien1991, 81-887 Neuhauser Waltraud/Ramsmaier Karl, Ver-gessene Spuren. Die Geschichte der Juden inSteyr, Grünbach 1998, 181-1977 Borras José, Histoire de Mauthausen,o.O. 19897 Land Oberösterreich (Hg.), Oberösterrei-chische Gedenkstätten für KZ-Opfer. Eine Do-kumentation, Linz 2001, 194-196; zu beziehen:Oö. Landesarchiv, Anzengruberstr. 19, Linz7 Land Oberösterreich (Hg.), Memorial Sitesfor Concentration Camp Victims in UpperAustria. A documentation, Linz 2001, 194-196(Oö. Landesarchiv, 4020 Linz)7 Rauscher Karl-Heinz, Steyr im Nationalsozia-lismus. Politische, militärische und sozialeStrukturen, Gnas 2003 (Weishaupt-Verlag),197-2037 Rauscher Karl-Heinz, Die ökonomische undsoziale Entwicklung von Steyr im Nationalsozia-lismus unter besonderer Berücksichtigung derlokalen Industrie, Steyr 1998 (Dissertation ander Universität Linz), 263-265; 440-4447 Das KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz.Zwangsarbeit für die Steyr-Werke. Ein Videofilmvon Ruth Gutermann, Brita Pohl und LeonhardWeidinger, VHS 38 Minuten, Kosten € 21,66;zu beziehen: Mauthausen Komitee Steyr undBuchhandlung Ennsthaler Steyr

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Grund auf die verschiedenste Art und Weise. Erhatte die Gewohnheit, beim Lagertor die vonder Arbeit zurückkehrenden Häftlinge zu erwar-ten, wobei er sie dann misshandelte und schlug.Besonders gegen die jüdischen Häftlinge war erbrutal. Er schlug sie und misshandelte sie oft biszur Bewusstlosigkeit, nur um seine sadistischenInstinkte zu befriedigen.”

Insgesamt waren 146 SS-Leute als Bewacher imKZ Steyr-Münichholz eingesetzt, hauptsächlichRumänen, Kroaten, Ungarn, aber auch Steyrer.Lagerkommandant war Otto Heess, ein Deut-scher aus Pforzheim.

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Ehemalige KZ-Häftlinge beieiner der jährli-chen Befreiungs-feiern beimKZ-Denkmal inMünichholz.

Steyrer KZ-Häftlinge nachder Befreiung.

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u den bedeutendsten Arbeiten über Steyrwährend der Zeit der Nazi-Diktatur zählt

das zweibändige Werk „Steyr im Nationalso-zialismus“ (Weishaupt-Verlag) von Karl-Heinz Rauscher. Der Autor ist 1960 in Steyrgeboren, er studierte Rechtswissenschaftenund Betriebswirtschaftslehre. Seit 1990 istRauscher Leiter der Rechtsabteilung bei derMAN Steyr AG, seit 1996 auch Lehrbeauf-tragter für Umwelt- und Wirtschaftsrecht ander Fachhochschule Steyr.

Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in

Steyr haben Waltraud Neuhauser-Pfeifferund Karl Ramsmaier in ihrem Buch „Verges-sene Spuren. Die Geschichte der Juden inSteyr“ (Grünbach 1998) aufgearbeitet.

Waltraud Neuhauser-Pfeiffer studierte Ge-schichte und Französisch, sie unterrichtet aneiner höheren Schule in Steyr. Karl Rams-maier absolvierte ein Studium an der Katho-lisch-Theologischen Hochschule in Linz. Erist Jugendleiter und Religionslehrer. Neu-hauser-Pfeiffer und Ramsmaier arbeiten imKomitee Mauthausen Steyr mit.

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Wichtige Literatur

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Foto: Mauthausen Komitee Steyr

Foto: Mauthausen Komitee Steyr

Page 6: Amtsblatt 05 2005

ie Juden waren in der Zeit zwischen denbeiden Weltkriegen voll in das gesell-

schaftliche Leben der Stadt integriert. Es gabkeine Schranken zwischen Juden und Christen.Man plauderte in Geschäften, beim Friseur, amMarkt, man verbrachte gemeinsam die Freizeit,man saß gemeinsam in Gasthäusern und in denKonditoreien. Bei weitem nicht alle jüdischenBürger waren Geschäftsleute, viele arbeitetenals Rechtsanwälte, Ärzte oder auch Handwerker.Ein besonders beliebter Geschäftsmann wardamals Nathan Pollak. Er war dafür bekannt,dass er seinen Kunden Schulden stundete. Aufseinem Grabstein ist eingraviert: „Ein edlerMenschenfreund“. Natürlich gab es auch inSteyr Antisemitismus, auch schon vor derMachtübernahme durch die Nationalsozialisten.Als im Jahr 1938 der Naziterror voll ausbrach,änderte sich das Leben für die Steyrer Juden ra-dikal. Sie wurden verachtet, verfolgt, verprügeltund verjagt. Während der Kriegsjahre wurdenviele Steyrer Jüdinnen und Juden in den Kon-zentrationslagern der Nationalsozialisten er-mordet.

Sofort nach dem Anschluss Österreichs anDeutschland wurden Gesetze gegen Juden be-schlossen. Die Juden mussten ihre Häuser undihre Geschäfte hergeben, man nannte diesenVorgang „Arisierung“. Dabei wurde die Notlageder jüdischen Bürger brutal ausgenützt.

Auch die Zeitungen hetzten gegen jüdische Mit-bürger. Am 2. September 1938 schrieb dieSteyrer Volksstimme: „Es dürfte der Tag nichtfern sein, an welchem alle Söhne Israels restlosaus unserer Stadt verschwunden sein werden.“

Am 9. November 1938, in der so genanntenReichskristallnacht, ging der Mob in ganz Ös-terreich und Deutschland auf jüdische Mitbür-ger los. Am 10. November um sieben Uhr inder Früh verhaftete die SS in Steyr 15 Steyrer

Jüdinnenund Ju-den,darunterdensechs-jährigenHeinzUprimnyund den79-jähri-genBernhardDeutsch.

Kinder und Greiseins Gefängnis gestecktDolf Uprimny, der damals mit seiner Familieauf dem Wieserfeldplatz gewohnt hat, schildertim Buch „Vergessene Spuren“, was damals ge-schah: „Wir wurden vom Wieserfeldplatz in denWehrgraben getrieben und wieder hinauf zurPolizeikaserne und dort verhört. Meine Schwes-ter wurde beim Verhör geschlagen. Dann kamenwir in die Berggasse ins Gefängnis. Ich kam mitmeinem kleinen Bruder in die Zelle, wo auchein 70- bis 80-jähriger Jude namens Deutschwar. Die Zelle war voll von Juden. Mein Bruderwar erst sechs Jahre alt. Auch Frauen waren ein-gesperrt.“ Am 30. Dezember 1938 meldete dieBezirkshauptmannschaft Steyr an die GeheimeStaatspolizei (Gestapo) in Linz: „Alle Gendar-merieposten berichten mit Genugtuung, dass inden Überwachungsgebieten gegenwärtig wederständig noch vorübergehend Juden ansässigsind.“

Dolf Uprimny schaffte es, im Herbst 1938 mitdem Schiff nach Palästina zu reisen. In Israelschloss er sich einer Siedlergruppe an, heiratete1948 und lebte bis zu seinem Tod 1996 in Isra-el. Auch andere Steyrer Juden konnten fliehenund dadurch überleben. Viele Schicksale sindaber nicht bekannt, viele Steyrer Jüdinnen undJuden starben in den Konzentrationslagern derNationalsozialisten. Die Namen der Ermorde-ten: Jakob, Marie, Hugo, Walter und René Gar-de; Kurt Mittler; Irma Nagl; Frimel Nürnberger;Otto und Ida Popper; Elsa und Otto Reich;Anna und Eduard Schleifer; Erna Skalla;Martha Ceh; Ottilie und Dr. Isidor Spielmann;Ella Sternschein; Dr. Julius Stössl; Eduard,Margarethe, Heinrich und Mirjam Uprimny;Emma, Karl, Ida und Erich Wurmfeld.

Der letzte jüdische MitbürgerFriedrich Uprimny, der Bruder von Dolf

Uprimny, schlug sich Ende des Jahres 1939nach Israel durch und kämpfte dann in der bri-tischen Armee gegen die Nazis. 1947 kehrte ernach Steyr zurück. Erst 1963 bekam er sein El-ternhaus auf dem Wieserfeldplatz wieder zu-rück. Friedrich Uprimny starb am 21. März1992 als letzter Nachkomme jüdischer Eltern inSteyr. Er wurde nach jüdischem Ritus auf demSteyrer Friedhof beigesetzt. Die Stiege vomWieserfeldplatz zum Taborweg wurde 2002nach ihm benannt. In Steyr gibt es auch einenjüdischen Friedhof. Auf einer Gedenktafel ander Außenmauer kann man unter anderem le-sen: „Hier befindet sich der Friedhof unserer jü-dischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Er erin-nert an ihre jahrhundertelange Ansiedlung inSteyr bis zur Vertreibung und Ermordung inKonzentrationslagern durch das menschen-verachtende NS-Regime.“ Der jüdische Friedhofist im Sommer 1990 von Jugendlichen renoviertworden. 1993 besuchten ehemalige jüdischeBürgerinnen und Bürger ihre Heimatstadt Steyr.Mitglieder der Reisegruppe waren unter ande-rem Dolf Uprimny und Willi Nürnberger, derSohn des letzten Steyrer Rabbiners.

Juden in Steyr: „ .... aus unsererStadt restlos verschwunden“

Jüdischer Reisepass im Dritten Reich.

Mahnmal für dieOpfer des Todes-

marsches derungarischen Juden

im jüdischenFriedhof Steyr.

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Ehemalige jüdische Bürgerinnen und Bürger zu Besuchin Steyr im Jahr 1993.

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Foto: Mauthausen Komitee Steyr

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m April 1945 wurden Tausende Juden,die am so genannten Ostwall im Burgen-

land gearbeitet hatten, nach Mauthausen undweiter nach Ebensee oder Gunskirchen getrie-ben. Die Nazis hatten dabei die Absicht,möglichst viele Juden bei diesen Märschen um-kommen zu lassen. Höchstens zehn Prozentdürfen am Ziel ankommen, lautete der Auftrag.Eine Route dieser Todesmärsche führte auchdurch Steyr. Eine Steyrer Zeitzeugin hat dieTodesmärsche beobachtet. Sie berichtet: „Es hatgeheißen, dass sie in der Nacht etwa 1000

KZler durchtreiben. Meine Mutter hat sich ge-fürchtet, mein Vater blieb die ganze Nachtwach. Am Tag haben sie Leute auf Leiterwagendahergebracht, Leichen, Sterbende und Leute,die nicht mehr gehen konnten. Sie haben Lei-chen auf die Leiterwagen hinaufgeschmissen.“

Der Historiker Manfred Brandl schreibt in sei-nem Buch „Neue Geschichte von Steyr“ überdie Todesmärsche durch Steyr: „Rechts undlinks der Straße sah man die vollkommen abge-magerten und ausgemergelten Gestalten hinfal-len und sterben. Lebende und Tote wurden auf

ein Lastauto geworfen und zum Friedhof ge-führt. Die Totengräberin weigerte sich, Lebendezu begraben, das sei in Steyr nicht üblich.“

Auch ein Block- und Zellenleiter des KZMünichholz beaufsichtigte diesen Todesmarschvon Sand bis zum Stadtgut in Dornach. Dabeischlug er auf Juden ein. Der Mann wurde 1946zu acht Jahren schweren Kerkers verurteilt.

Weiterführende Literatur: „Vergessene Spuren.Die Geschichte der Juden in Steyr“, von Wal-traud Neuhauser-Pfeiffer und Karl Ramsmaier,Grünbach 1998.

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Der Todesmarsch der Juden

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7 Mit einem letzten Aufbäumen versuchen diedeutschen militärischen Führer Anfang Jänner1945 noch einmal, der drohenden Niederlageim Westen zu entgehen. Mehr als 1000 deut-sche Flugzeuge greifen Flugplätze der Alliier-ten in den Niederlanden, in Belgien und inFrankreich an. Die deutsche Luftwaffe erleidetdabei schwere Verluste.

7 Im Februar 1945 beginnt eine Offensivevon Briten und Kanadiern gegen deutscheTruppen im Westen. Alliierte Verbände ero-bern am 7. März die unzerstörte Rheinbrückebei Remagen.

7 Innerhalb von sechs Wochen rücken alliier-te Streitkräfte bis zur Elbe vor und treffen dortauf Kampfverbände der Sowjet-Armee. BeiLuftangriffen auf Dresden, Berlin undPotsdam werden 200.000 Menschen getötet.

7 Am 30. April wird München von den Ame-rikanern besetzt.

7 Die Rote Armee rückt von Nordosten kom-mend gegen Österreich vor. Am 13. April ero-bern die Sowjets Wien, kurz darauf St. Pölten.Am 27. April bildet Karl Renner in Wien eineösterreichische Bundesregierung, die aber vonden Westmächten vorerst nicht anerkanntwird.

7 Am 16. April beginnt die Rote Armee dieSchlacht um Berlin. Am 30. April begehenAdolf Hitler und seine Frau Eva Braun ge-meinsam Selbstmord im Führerbunker unterder Reichskanzlei. Am 1. Mai übernimmtGroßadmiral Karl Dönitz die Amtsgeschäftein der Funktion eines deutschen Reichspräsi-denten. Am 2. Mai kapitulieren die deutschenTruppen in Berlin.

7 Am 7. Mai um 2.41 Uhr am Morgen unter-

zeichnet Generaloberst Alfred Jodl die Kapitu-lation Deutschlands im Hauptquartier der Al-liierten. Am 9. Mai wird die Kapitulation imHauptquartier der Sowjets wiederholt. DerKrieg ist zu Ende.

Die letzten Tage vonOberdonau7 Am 7. April erklärt der Gauleiter vonOberdonau, der gebürtige Steyrer AugustEigruber, im Rundfunk: „Oberdonau wird umjeden Preis gehalten.“

7 Ab 21. April fliegen britische undamerikanische Bomber schwere Angriffe aufAttnang, Wels und Linz.

7 22. April: Letzter Produktionstag desPanzerwerkes St. Valentin.

7 Am 23. April heißt es in einem von der Ge-stapo verfassten Stimmungsbericht: „In Steyrsoll man sich schon auf die Ankunft der Rus-sen freuen und weiße Tücher bereithalten.“

Der Gestapo-Spitzel hat auch beobachtet, dasssich viele Steyrer rotes und weißes Krepp-Pa-pier zulegen (die Farben der österreichischenFahne).

7 Am 26. April wird der 20-jährige SteyrerSoldat Johann Schinnerl von den Nazis wegenbeabsichtigter Fahnenflucht zum Tod verurteiltund um 17 Uhr in Walchhof bei Freistadt er-schossen. Der junge Mann hat am 24. Aprilmit seinem Vater telefoniert und dabei gesagt:„Ich glaube, es wird nur noch wenige Tagedauern, wenn ich das wüsste, könnte man ab-hauen.“ Eine Postangestellte hat das Telefonatmitgehört und Schinnerl angezeigt. Die Frauwird am 29. September 1946 zu zwölf Jahrenschweren Kerkers verurteilt. Schinnerl stamm-te aus einer Arbeiterfamilie, er lebte bei seinen

Eltern auf der Ennsleite im Haus Wokral-straße 12.

7 Am 27. April wird Linz zum letzten Mal vonTieffliegern angegriffen. Gauleiter Eigruberbefiehlt daraufhin, alle Oberösterreicher zu er-morden, die im KZ Mauthausen gefangensind.

7 30. April: Stimmungsbericht der Gestapoüber Steyr: „Der Glaube an einen günstigenAusgang des Krieges ist bei der breiten Massenicht mehr vorhanden.“

7 Am 1. Mai marschieren US-Truppen übersMühlviertel in Oberösterreich ein. ObwohlHitler schon tot ist, werden noch viele Men-schen als so genannte Kollaborateure hinge-richtet. Unter anderem der Linzer Magistrats-bedienstete Anton Anreiter. Sein „Verbre-chen“: Er hat erklärt, es werde innerhalb von24 Stunden zum Waffenstillstand kommenund Österreich werde befreit.

7 Am 4. Mai flieht Gauleiter Eigruber überKirchdorf in Richtung Windischgarsten.

7 Am 5. Mai wird Linz trotz erbitterter Ge-genwehr von den Amerikanern besetzt, einenTag später befreien die Amerikaner die Gefan-genen des KZ Mauthausen.

7 Am 7. Mai wird in St. Martin im Innkreisder Waffenstillstand für den Bereich der Hee-resgruppe Ostmark (Generaloberst LotharRendulic) unterzeichnet.

7 10. August 1945: August Eigruber wird vonUS-Soldaten bei St. Pankraz verhaftet. Derehemalige Gauleiter von Oberdonau wird spä-ter im so genannten Mauthausen-Prozess zumTod verurteilt und am 28. Mai 1946 in Lands-berg (Deutschland) hingerichtet.

Der Zusammenbruch des Dritten Reichs

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er erste Angriff amerikanischer Bomber-verbände am 23. Februar 1944 traf die

Stadt Steyr nicht unvorbereitet. Seit der Bom-bardierung von Wiener Neustadt am 13. August1943 war klar, dass nunmehr auch österreichi-sche Angriffsziele in der Reichweite alliierterBomberverbände lagen. Das nationalsozialisti-sche Regime hatte daher versucht, Steyr durcheinen Ring von 61 schweren Flugabwehrge-schützen, die in Gleink, Christkindl, St. Ulrich,am Tabor und am Wachtberg stationiert waren,zu schützen. Zudem standen einige kleinere Ka-nonen, die gegen Tiefflieger eingesetzt werdensollten, auf der Ennsleite und an den Verwal-tungsgebäuden des Haupt- und des Wälzlager-werkes der Steyr-Daimler-Puch AG zur Verfü-gung. Weiters sollten auch die schweren Flugab-wehrgeschütze, die zum Schutz der Hermann-Göring-Werke in Linz und des Nibelungenwer-kes in St. Valentin aufgebaut waren, in die Ver-teidigung Steyrs eingreifen. Auf ausdrücklicheAnordnung Hitlers war Steyr mit einer Vernebe-lungsanlage ausgerüstet worden, die die Stadtbinnen Minuten verschleiern sollte.2 Hilfe ver-sprach man sich auch von den in Süddeutsch-land sowie in Ober- und Niederösterreich statio-nierten Jagdflugzeugen, deren Schlagkraft 1943noch weithin ungebrochen war.

Zum Schutz der Bevölkerung hatte die Stadtver-waltung 1943 begonnen, in allen StadtteilenLuftschutzstollen zu errichten, bis August 1944waren 1400 Laufmeter Stollen fertig gestellt.3

Der am besten ausgebaute Stollen sollte derStollen hinter dem Hof des Realgymnasiumswerden, für den neben Sanitäranlagen auchRäume für Verwundete und ein eigener

Operationsraum geplant waren. Zusätzlich zuden Stollenanlagen wurden entlang der Haupt-verkehrsstrecken Deckungsgräben ausgehoben.Da die Steyrer Luftabwehr von einem Angriffmit Brandbomben ausging, mussten im Sommer1943 alle Dachböden geräumt und die Dach-stühle imprägniert werden. Exponierte Denkmä-ler wurden aus der Stadt verlagert. Die Stadt-verwaltung rechnete mit einem massiven Luft-schlag mit schweren Opfern unter der Bevölke-rung. Sie ging dabei von 1255 Todesopfern aus,für die drei Sarglager und Aufbahrungsmöglich-keiten geschaffen wurden.4

Zwei strategische Angriffszielein SteyrDie Angriffe auf Steyr waren Teil der amerika-nischen Strategie, die – im Gegensatz zur briti-schen Strategie von Zermürbungsangriffen aufzivile Ziele – auf die Zerstörung kriegswirt-schaftlich bedeutender Ziele setzte. Mitte 1943waren als vorrangige strategische Luftangriffs-ziele die deutsche Jagdflugzeug-, Wälzlager- undU-Bootindustrie sowie die Ölraffinerien defi-niert. In Steyr waren gleich zwei dieser Ziele ge-legen: Das 1941 im Wesentlichen fertig gestellteWälzlagerwerk war mit einem Monatsausstoßvon 934.000 Lagern im Jänner 1944 der dritt-größte Hersteller des Großdeutschen Reiches,5und im Hauptwerk war die Fertigung von Flug-motoren vornehmlich für die Messerschmitt-Jagdflugzeuge voll angelaufen. 1943 hatten2323 Flugmotoren das Werk verlassen.6 Dieamerikanische Luftaufklärung hatte im Oktober1943 ausgedehnte Aufklärungsflüge nach Steyrabsolviert, sodass zusammen mit einzelnenSpionageberichten eine exakte Lokalisierung

der Fertigungsanlagen möglich war. Die ameri-kanische Angriffsplanung war sogar in derLage, die einzelnen Hallen des Hauptwerkes zudefinieren, in denen die strategisch relevantenProduktionsanlagen der Flugmotorenfertigungangesiedelt waren.7

Der deutschen Abwehr war die amerikanischeStrategie nach den heftigen Angriffen auf diedeutschen Flugzeug- und Wälzlagerwerke imHerbst und Winter 1943 nicht verborgen geblie-ben, sodass klar war, dass ein Angriff auf dasSteyrer Wälzlagerwerk unmittelbar bevorstand.Mitte Dezember 1943 wurde daher mit der Ver-lagerung von Engpassmaschinen in das WerkLetten begonnen, wo bereits im Jänner 1944 dieProduktion anlief. Zum Zeitpunkt der erstenLuftangriffe auf Steyr war die erste Verlage-rungswelle von Maschinen der Wälzlager-fertigung bereits abgeschlossen.8 Anders warhingegen die Situation der Flugmotorenferti-gung, für die noch keinerlei Verlagerungen statt-gefunden hatten.

Drei Angriffe in zwei TagenDer Angriff auf Steyr vom 23. Februar 1944 be-gann kurz nach Mittag. 102 Bomber des TypsB-24 der 15. US-Luftflotte, geschützt von 120Begleitjägern, sollten das Wälzlagerwerk in fünfAngriffswellen zerstören. Die Flugzeuge warfen876 Sprengbomben zu je 250 kg ab. Mit diesemAngriff hatte der Luftkrieg auch in Ober-österreich begonnen. Bereits einen Tag spätererfolgte gegen 13 Uhr der nächste Angriff,87 B-17, flankiert von 150 Jägern, griffen erneutdas Wälzlagerwerk und die Flugzeugmotoren-fertigung im Hauptwerk an. Dabei wurden 1044Sprengbomben zu je 250 kg abgeworfen. DieStadt wurde mit heftigem Flakfeuer verteidigt,zusätzlich griffen etwa 60 deutsche Jäger dieBomber auch unmittelbar über dem Stadtgebietan. Die Amerikaner verloren bei beiden Einsät-zen 36 Flugzeuge, davon 34 Bomber.9

Aus dem Gefechtsbericht der GroßbatterieChristkindl über den Abschuss einer Fortress II:„Dieser Anflug des Verbandes erfolgte am 24. 2.1944 um 13.13 Uhr auf die Batterie. Die Höhebetrug 4700 Meter. ... Nach den ersten Gruppenzeigte die Maschine helle Flammen im rechtenTragwerk, sie kurvte unter starkem Andrückenüber das rechte Tragwerk über die Batterie einund kreiste zweimal über der Batterie. ...Hierbei beschoss sie ununterbrochen die weiter-feuernde Batterie mit Bordwaffen. Nach zweiKreisen nahm sie normale Fluglage ein undging in flachem Winkel etwa 80 Meter nebendem äußersten Geschütz der 2. schweren FlakAbt. 342 zu Boden, wobei Aufschlagbrand er-folgte. ... An der abgestürzten Maschine wurdenLeichenteile gefunden ...” 10

Aus der Chronik der Vorstadtpfarre St. Michael:„Am 24. 2. gab es schon früh erhöhte Luft-gefahr. In der Pfarrkanzlei war eben eine Kon-

DDr. Karl-Heinz Rauscher:

Der Luftkrieg gegen Steyr 1

D

Abschiedvon denOpfernder Stey-rer Luft-angriffeam 27. Fe-bruar1944 aufdem Stey-rer Stadt-platz.

Fotosammlung Hans Payrleithner

Seite ...ein starkes Stück Stadt Sondernummer Mai 20058

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version vorüber, als gegen 3/4 12 die Sirenenheulend und klagend unmittelbare Gefahr mel-deten. ... In Hast und Eile trachtete alles nacheinem schützenden Ort. Zwei Priester bliebenim Pfarrhofkeller, der Pfarrer mit zwei anderenPriestern und den Angestellten des Hauses so-wie einer kleineren Gemeinde von ca. zwölf Per-sonen begab sich nach Übertragung des Aller-heiligsten in die Gruft der Kirche unterhalb desMarienaltars. Nach der Erteilung der General-absolution, kaum beim 2. Rosenkranzgesetzchenangelangt, meldeten heftige Abwehrfeuer dasNahen feindlicher Flieger. Man sprach vonmehreren Hundert. Die nun folgenden nächstenAugenblicke ließen alle heftig zusammenschre-cken und noch inständiger beten, denn schonhörte man das immer stärker werdende Ein-schlagen heruntergeschleuderter Bomben ver-schiedenen Kalibers, bis ein ohrenbetäubenderLärm, heftige Erschütterungen, Klirren zerbro-chener Fensterscheiben den im Luftschutzraumanwesenden Personen größeres Unheil in nächs-ter Nähe kündeten. Der Sturm über der Stadtdauerte rund 15 Minuten. ... Die Kirche war aufder Westseite oberhalb des Gewölbes über demMarienaltar von einer ca. 300 kg schwerenSprengbombe getroffen worden, die beim Auf-und Durchschlag die überaus starke Außen-mauer durchdrang, mehrere schwere Holz-balken zertrümmerte, das Dach teilweise ab-deckte und auf dem Kirchengewölbe geborstenliegen blieb ...” 11

Die Bombe war bereits beim Durchschlagen desKirchendaches explodiert und hatte im Kirchen-raum und vor allem in der unmittelbar unterder hängen gebliebenen Bombe befindlichenGruft mit den dort befindlichen Menschen kei-nerlei Schaden angerichtet.

Schon am Abend des 24. Februar 1944 wurdedie Stadt erneut angegriffen. Gegen 20 Uhr flogdie Royal Airforce einen Nachtangriff. Dabeiwurden drei Tonnen Bomben abgeworfen.

Die drei Februarangriffe forderten – ohneamerikanische Verluste – insgesamt 203 Tote, 79Schwer- und 224 Leichtverletzte. Besonders tra-gisch war das Schicksal von 60 italienischenMilitärinternierten im Wehrgraben, die – vonihren Bewachern gehindert, den Schutzraumaufzusuchen – hilflos verbrannten. Teilweise anden Fenstergittern hängend, fand man ihre ver-kohlten Leichen. 82 Häuser wurden total, 79schwer, 64 mittelschwer und 382 leicht beschä-digt.12 Die Flugmotorenfertigung im Hauptwerkwurde mittelschwer getroffen, das Wälzlager-werk hingegen nur leicht, sodass die Angriffeihre Ziele zum Großteil verfehlt hatten.

Angriff am PalmsonntagSchon am 19. März 1944 versuchte die ameri-kanische Luftwaffe daher den nächsten Angriff,310 Bomber hatten bereits Kurs auf Steyr ge-nommen, konnten aber aus Witterungsgründen

ihr Ziel nicht erreichen. Auch am 23. Märzmusste ein auf Steyr anfliegender Bomber-verband auf Ausweichziele umgeleitet werden.Erst der fünfte Angriffsbefehl auf Steyr konnteausgeführt werden. So griffen am Palmsonntag,den 2. April 1944, 425 B-17- und B-24-Bomber,geschützt von 75 P-38- und P-47-Begleitjägernkurz nach Mittag erneut die Stadt an. DieVernebelungsanlagen behinderten allerdings dieSicht auf die Werke, sodass der erste Angriffs-verband bei massivem Flakbeschuss unddutzenden angreifenden deutschen Jagdflugzeu-gen abdrehte und einen zweiten Anflug auf dieStadt nahm. Der Wind hatte inzwischen dieNebelwolken nach Behamberg, Kürnberg undKleinraming abgetrieben, wovon sich deramerikanische Verbandsführer irritieren ließund seine Markierungswürfe dort positionierte.Hunderte Bomben fielen daraufhin in dasRamingtal. Die nachfolgende 455 Bomber-gruppe, die an und für sich das Hauptwerk an-greifen sollte, ihr Ziel aber überhaupt nicht aus-machen konnte, erkannte unter der plötzlichaufreißenden Nebeldecke das Wälzlagerwerkund entschloss sich daher, dieses Ziel anzugrei-fen, was auch gelang. Der Luftkampf warbesonders dramatisch, die Amerikaner verlorenbei diesem Einsatz 27 Bomber, drei Flugzeugewaren über dem Stadtgebiet kollidiert.13 Einamerikanischer Bomberschütze erinnert sich:

„Als wir näher an das Ziel Steyr heranrückten,sahen wir Rauch aufsteigen, der aus demWälzlagerwerk kam. Er war das Resultat vonBränden, die vorhergehende Angriffswellen mitihren Bomben verursacht hatten. Wir erhieltenschweren Flakbeschuss, unsere P-47-Thunder-bolt und P-38-Lightning-Begleitjäger warenirgendwo in Kämpfe mit deutschen Jägern ver-wickelt, was dazu führte, dass wir über dem Zielallein waren. Während des Geradeausflugesbeim Absetzen unseres Angriffs kam ein Ju-88-Jagdbomber (Verwechslung mit einer Me-110)von links unten auf uns zu und feuerte eine Ra-kete ab, die drei unserer vier Motoren außer Be-trieb setzte. Wir fielen aus der Formation undzogen eine zwei Fuß (ca. 0,6 m) starke Kraft-stoffnebelfahne aus unserem rechten Flächen-tank nach uns. Wegen der Explosionsgefahrdurch unsere eigene Leuchtspurmunition konn-ten wir nicht in diese Richtung schießen. ... Wirhinkten alleine ca. 45 Minuten dahin. LautB-24-Handbuch konnte die Maschine mit ei-nem Motor gar nicht fliegen, aber irgendwietat sie das doch. ... Vor uns in unserer Flug-richtung war eine unserer Maschinenebenfalls als Nachzügler unterwegs und hatte40 bis 50 deutsche Jäger um sich. Sie ließendie Crew abspringen und schossen dann denBomber ab. Dann wandten sie ihre Aufmerk-samkeit uns zu. Sie ließen uns ebenfalls Zeit

Bomben überSteyr. In der

Bildmitte dasWälzlagerwerk,links darunter

das Hauptwerk.

Foto: National Archives, Washington

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amstag, 5. Mai 1945: In Steyr beginnt einwunderschöner, sonniger Frühlingstag.

Kurz nach 9 Uhr versammeln sich in den Steyr-Werken Widerstandskämpfer, neun Angestellteund ein Arbeiter. Sie haben soeben erfahren,dass die Gemeinde Sierning bereits von ameri-kanischen Truppen besetzt worden ist. DieGruppe beschließt, den Direktor des Haupt-werks namens Rausch und den Steyrer NS-Oberbürgermeister Hans Ransmayr abzusetzen.Um 9.30 Uhr dringen die Widerstandskämpferin das Direktionsgebäude des Hauptwerks einund erklären Werksdirektor Rausch für abge-setzt. Der Direktor wehrt sich nicht. Im Gegen-teil: Er ruft im Auftrag der WiderstandsgruppeBürgermeister Ransmayr an und sagt ihm, dasser ebenfalls abgesetzt ist. Der Stadtchef protes-tiert nicht einmal.

Um 10 Uhr, also fast zeitgleich mit dem Hand-streich in den Steyr-Werken, überschreiten Sol-daten des 5. Infanterie-Regiments der 71. US-Infanterie-Division beim Steyrer Krankenhausdie Stadtgrenze.

Der damals 15-jährige Schlosser-Lehrling OttoTreml versteckt sich zu diesem Zeitpunkt beiseiner Großmutter an der Zieglergasse. Der jun-ge Mann ist aus der Wohnung seiner Eltern imStadtteil Ennsleite zur Oma geflüchtet. AusAngst, die Nazis könnten ihn abholen und ihnin letzter Minute noch in den Krieg schicken.„Von der Ennsleite her hat man heftige Detona-tionen gehört“, erinnert sich Otto Treml heutenoch an die letzten Stunden des Zweiten Welt-kriegs, „dort, wo sich jetzt die Schule befindet,

haben deutsche Truppen ihre letzten Geschützegesprengt.“

Mittlerweile marschieren die US-Soldatenimmer weiter Richtung Stadtzentrum. An derSierninger Straße wartet der ehemalige NS-Stadtchef Ransmayr auf die amerikanischenTruppen und übergibt ihnen die Stadt. „Steyrkapitulierte, ohne einen Schuss abgefeuert zuhaben“, heißt es in den Berichten der US-Armeeüber den 5. Mai in Steyr, „die Bewohner derStadt sahen die Amerikaner offenbar als Befrei-er. Bald waren die Straßen mit rot-weiß-rotenFahnen beflaggt. Die Menschen begannen, Blu-men zu werfen.“

Auf dem Michaelerplatz bauen die US-SoldatenMaschinengewehr-Stände auf, sie beschlagnah-men das Hotel Minichmayr und besetzen dasHauptwerk.

Um etwa 11 Uhr kommt Otto Tremls Großmut-ter von einem Rundgang durch die Stadt in ihreWohnung zurück. „Jetzt kannst du wieder nachHause auf die Ennsleite“, sagt sie zu ihrem En-kel, „die Amerikaner sind da.“

„In meinem Freundeskreis herrschte damalsgroße Freude“, erzählt Otto Treml 60 Jahre nachden dramatischen Ereignissen, „aber die trau-matischen Erlebnisse haben uns junge Men-schen älter gemacht. Nie wieder soll eine Gene-ration das erleben, was wir damals erlebenmussten. Niemand, der die Zeit nicht selbst er-lebt hat, kann sich ein Bild von den Tagen ma-chen, in denen es kein Brot, keine Milch gabund die Kinder vor Hunger weinten.“

Otto Treml war bis 1952 in der Steyr-Daimler-Puch AG beschäftigt, ab 1945 war er in kommu-nistischen Organisationen tätig, von 1970 bis1991 war er Gemeinderat in Steyr. Derzeit ar-beitet Otto Treml für das Mauthausen KomiteeSteyr.

Der Steyrer NS-Bürgermeister Hans Ransmayrwird noch am 5. Mai 1945 von den Amerika-nern verhaftet. US-Soldaten setzen ihn auf denKühler eines Armee-Fahrzeuges und bringenihn zum Haus Schlüsselhofgasse 31. Dort lassensie ihn unbewacht auf dem Dachboden zurück.Erst später kommt Ransmayr in das Gefange-nenhaus Berggasse und von dort in das An-halte-Lager Glasenbach. Er stirbt am 12. No-vember 1949.

Der Tag, an dem der Krieg zu Ende geht

S Der SteyrerOtto Treml

erinnert sichan die trau-

matischenErlebnisse

vor 60 Jahrenund hofft:

„Nie wiedersoll eine

Generationdas erleben,

was wirdamalserleben

mussten!“Aus Angst,

die Nazis könnten ihn abholen und in letzter Minutenoch in den Krieg schicken, versteckte sich Treml

damals als 15-jähriger Schlosser-Lehrling bei seinerGroßmutter.

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zum Absprung, während sie Kreise umunser Flugzeug drehten ...” 14

Bei diesem Angriff wurden – ohne amerikani-sche Verluste – 37 Menschen getötet, 74 Per-sonen wurden schwer und 78 wurden leichtverletzt. 48 Wohnhäuser und Baracken warentotal zerstört, 28 schwer, 36 mittelschwer und246 leicht beschädigt.15 Das Hauptwerk wurdenur leicht getroffen, das Wälzlagerwerk hin-gegen schwer, sodass die Lagerfertigung imStammwerk Steyr im Juli 1944 eingestelltwurde. Überraschend schnell gelang es je-doch, die Produktion von Wälzlagern an denVerlagerungsstandorten wieder hochzufahren.So wurden bereits im August 1944 mehr als700.000 Lager hergestellt. Der durch dieLuftangriffe verursachte Produktionsausfallbetrug daher lediglich etwa vier Monats-produktionen. Ähnlich verlief die Entwick-lung bei der Flugmotorenfertigung, derenEndmontage allerdings aufgrund der nichtverlagerbaren Prüfstände in Steyr verblieb.

Luftkrieg endet im FebruarAm 17. Februar 1945 kam es noch zu einemkleineren Luftangriff auf die Stadt. Siebenamerikanische Bomber warfen bei einem An-griff auf die Bahnlinie Steyr – St. Valentin36 Sprengbomben ab, wovon acht nicht explo-dierten. Sechs Personen wurden leicht verletzt.Vier Häuser wurden total zerstört, drei mittel-schwer und 48 leicht beschädigt.16

Mit diesem Angriff war der Luftkrieg für Steyrzu Ende gegangen.

1 Der vorliegende Artikel gründet auf die vom Autorverfassten Bücher Steyr im Nationalsozialismus Band I –Politische, militärische und soziale Entwicklungen undBand II – Industrielle Entwicklungen

2 Willi A. Boelcke, Deutschlands Rüstung im 2. Welt-krieg, S. 309

3 Archiv der Stadt Steyr, Protokoll der Ratsherrensitzungvom 11. August 1944

4 Archiv der Stadt Steyr, 1211 1944 und 2311 1945,Luftschutzplanbesprechung vom 30. November 1943

5 Zur Bedeutung des Wälzlagerwerkes für die deutsche

Kriegswirtschaft vgl. Steyr im NationalsozialismusBand II S. 108 f.

6 Zur Flugmotorenproduktion ebenda, S. 96 ff.7 National Archives, Washington, E.O.U. Aiming PointReport, Steyr-Daimler-Puch; Steyr II, J. 28

8 Zur Verlagerung des Wälzlagerwerkes vgl. Steyr imNationalsozialismus Band II S.168 ff.

9 Zu den Angriffen vgl. Steyr im NationalsozialismusBand I S. 40 ff.

10 Militärarchiv Freiburg, RL 5, 186, Gefechtsbericht desBatteriechefs der Großbatterie Christkindl vom 24. 2.1944, abgedruckt in Steyr im NationalsozialismusBand I, S. 43

11 Chronik der Vorstadtpfarre St. Michael, S. 102 ff.12 Archiv der Republik, 8 R 465/2 Bericht vom 16. März

194413 Zum Angriff vgl. Steyr im Nationalsozialismus, Band I

S. 46 ff.14 D. William Shepherd: Of Men and Wings, Panama

City, USA 1996, S. 6 ff.15 Archiv der Republik, 8 R 465/2, Bericht vom 6. 4. 194416 ebenda, Bericht vom 19. Februar 1945

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Mai 1945: Die Stadt Steyr wird in Ost und Westgeteilt. Die Sowjet-Armee besetzt Steyr bis zumrechten Ennsufer. An den Brücken werden Sperrenerrichtet, die Amerikaner verrammeln das Neutor mitPflastersteinen.

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Politik: Erste Sitzung imRathausNoch am 5. Mai kommen Vertreter der demo-kratischen Parteien im Steyrer Rathaus zusam-men. Im Einvernehmen mit den amerikanischenTruppen sollen ein neues Stadtoberhaupt undeine provisorische Verwaltung eingesetzt wer-den. Zum ersten Bürgermeister der Nachkriegs-zeit wird Franz Prokesch (SP) bestellt, Ferdi-nand Knabel wirdsein Stellvertreter.Der Gewerkschafts-Funktionär Pro-kesch ist seit 1915bei den Steyr-Wer-ken beschäftigt.Zum Magistrats-direktor wirdDr. FerdinandHäuslmayr (Fotorechts) ernannt.

Was nach dem 5. Maigeschah:7 Am 8. Mai treffen die ersten Truppen der 3.Ukrainischen Roten Armee vor der Ennsbrückebeim Hotel Minichmayr ein. Die Sowjet-Armeebesetzt Steyr bis zum rechten Ennsufer. DieStadt wird geteilt. An den Brücken werden Sper-ren errichtet, die Amerikaner verrammeln dasNeutor mit Pflastersteinen. Steyr-Ost bekommteine eigene Stadtregierung: Bürgermeister wirdHans Kahlig (KP). In Steyr-Ost ist die Ver-sorgungslage sehr schlecht. Mutige Steyrerschwimmen während der Nacht durch die Ennsund transportieren Geld in den Osten. Erst am28. Juli 1945 ziehen sich die Russen nachNiederösterreich zurück, Steyr wird wieder eineungeteilte Stadt.

7 Am 10. Mai richten die Amerikaner im Rat-haus eine provisorische Zivilverwaltung undeine Militärverwaltung ein, die bis 31. März1946 amtiert. Als erster „Governor“ fungiertMajor Lang, unterstützt wird er vom Sicher-heits-Offi-zier CaptainFiorella(Foto rechts)und dem fürErnährungzuständigenCaptainChapman.7 Am 8.Juni 1945legt dasStadtbauamtden erstenArbeitsplanvor. Die Wohnungsnot ist groß. Es gibt auchkaum Baustoffe.7 Das erste Brot, das in Steyr ausgegeben wer-den kann, ist Haferbrot. Stadtfunktionäre habenerfahren, dass in der Nähe der Stadt siebzehnWaggons Hafer abgestellt sind. Freiwillige Hel-fer bringen das Getreide in Mühlen. „DasHaferbrot hat zwar trocken geschmeckt, aberwir konnten damit die schwierigste Zeit durch-stehen“, erinnert sich ein Zeitzeuge. Viele Pfer-de, die von der deutschen Wehrmacht zurückge-lassen worden sind, werden geschlachtet.7 Im Juli 1945 setzt die Hilfsaktion des Schwei-zer Roten Kreuzes ein. 10.004 Kilogramm Le-

bensmittel werden nach Steyr gebracht, 500Steyrer Kinder fahren in die Schweiz zur Erho-lung. Das amerikanische Rote Kreuz organisiert13.000 Kleidungsstücke für die Menschen inSteyr.7 Am 14. September 1945 konstituiert sich einaus 36 Mitgliedern zusammengesetzter Gemein-derat. Vertreten sind die SPÖ, die KPÖ und dieÖVP. Bürgermeister ist Franz Prokesch (SP),seine Stellvertreter sind Anton Azwanger (SP),Hans Kahlig (KPÖ) und Franz Paulmayr (ÖVP).7 Am 25. November 1945 finden die erstenfreien Nationalratswahlen der Zweiten Republikstatt. Die SPÖ erhält in der Stadt Steyr 9134Stimmen, die ÖVP 5210 und die KPÖ 1868.Entsprechend diesem Wahlergebnis werden dieGemeinderats-Mandate in Steyr folgender-maßen aufgeteilt: SPÖ 20 Mandate, ÖVP 12Mandate, KPÖ 4 Mandate.

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Impressum

Amtsblatt der Stadt SteyrMedieninhaber und Herausgeber Stadt Steyr, 4400 Steyr,Stadtplatz 27 - Redaktion Stabsstelle für Presse undInformation, 4400 Steyr, Stadtplatz 27,Telefon 0 72 52 / 544 03, Telefax 0 72 52 /483 86, eMail:kastlunger”steyr.gv.at, Web: www.steyr.gv.at - HerstellerDruckerei Prietzel, 4400 Steyr, Pachergasse 3 - Verlags- undHerstellungsort Steyr.Titelfoto: Kainrath

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Festakt zur Vereinigungder beiden StadtteileSteyr-Ost und -West.Im Bild (von links):Stadtrat Ludwig Wabitsch,Vizebürgermeister undspäterer LandesratAnton Azwanger,MagistratsdirektorDr. Ferdinand Häuslmayrund BürgermeisterFranz Prokesch.

Fotosammlung Leopoldine Grundner

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n die zehntausend Menschen aus ande-ren Ländern mussten während der

Kriegsjahre unter härtesten Bedingungen fürdie Steyrer Industrie arbeiten. Schläge und Be-strafungen waren an der Tagesordnung. DieseZwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen wa-ren oft unter Druck oder unter Vorspiegelungfalscher Tatsachen in ihrer Heimat angewor-ben worden. Der Franzose Joseph Pastre warvon Oktober 1943 bis Kriegsende in Steyr. Erschildert 2002 seine Leidensgeschichte in ei-nem Brief* an das Mauthausen Komitee Steyr:

„Ich habe Frankreich am 16. Juni 1943 verlassen.Ich war einer von 600.000 Jugendlichen, die zurZwangsarbeit von der Vichy-Regierung** nachDeutschland geschickt wurden. Man hatte unsgesagt, dass jeder zur Zwangsarbeit Verpflichte-te die Heimkehr eines Kriegsgefangenen ermög-lichen würde. Leider wusste ich nicht, dass ichdie dramatischsten Jahre meines Lebens erle-ben würde. Ich wurde in die Rüstungsfabrik zurErzeugung von Panzern der Marke ,Der Tiger

,

der Firma Steyr-Daimler-Puch AG, Werk in4300 St. Valentin, Oberdonau, zugeteilt. Hierbegann die Hölle für mich, den jungen Bauern:11 Stunden tägliche Arbeit auf einem Gebiet,das mir gänzlich unbekannt war und für das ichnicht ausgebildet war. Man forderte von mireine Leistung, der ich bei der Gewalt und Bruta-lität nicht gewachsen war.

12 Stunden am FließbandIm Oktober 1943 wurde ich in das Reithoffer-Lager in Steyr versetzt, wo ich weiter auf demFließband unter genauso schrecklichen Bedin-gungen wie in St. Valentin unter Bewachung desWerkschutzes arbeiten musste: 12 Stunden Ar-beit täglich auf dem Montagefließband für dieArmaturenbretter der Messerschmidt-Flugzeuge.Die geringste Verspätung bei der Arbeit, derkleinste Fehler zog Repressalien nach sich: Fuß-tritte, Schläge mit dem Gewehrkolben, ständigeBeschimpfungen. Man musste schweigen und

gehorchen, ein Blick konnte falsch interpretiertwerden. Wir waren keine Menschen mehr, son-dern einfache Arbeitsgegenstände. Wir warenunserer Identität beraubt und lebten in ständi-ger Angst vor Schlägen oder Bestrafungen. Ichhabe immer gehorcht, ohne mich aufzulehnen.Bei uns Franzosen waren Russen und Polen, dienoch stärker misshandelt wurden.

Natürlich gab es keine Freizeit. Sogar sonntagswar man vor Arbeit nicht gefeit. Im Falle einerschweren Erkrankung konnte man ins Kranken-haus gehen, aber für uns gab es keine Arzneiund die Behandlungen waren minimal. Die täg-liche Nahrung war grauenhaft, wir waren hung-rig, da die Rationen knapp waren und aus ge-kochtem Haferbrei und manchmal aus einigengekochten Erdäpfeln bestanden. Am Morgen be-kamen wir Wasser mit Gerste, und die Brot-ration für den Tag betrug 100 Gramm maximal.

Unmengen von Flöhenund LäusenWir schliefen in einem großen Gebäude, 30 proZimmer, einer neben dem anderen. Das engeZusammenleben war lästig. Wir schliefen aufeinem Strohsack, der auf Holzpfosten lag. Wirhatten Unmengen von Flöhen und Läusen. Wirwuschen uns bei einigen Wasserhähnen mit ei-

sigem Wasser.

Die russische Armee hat Wien im April 1945befreit. Ich weinte vor Freude. Ich bin am 4. Juni1945 nach Hause zurückgekehrt. Ich wurde vonden Amerikanern von Linz aus in die Heimatzurückgeflogen. So endeten zwei schrecklicheAlbtraumjahre eines erzwungenen Exils. Ichhabe die Erinnerung an die Gefangenschaft nievergessen. Ich bin 80 Jahre alt und denke mitEmotionen an diese Zeit meines Lebens zurück,die mich für immer geprägt hat, sosehr habe ichphysisch und moralisch gelitten. Natürlich wur-den wir als Feinde betrachtet, und der Krieg hatdie Stärksten entmenschlicht. ,Den Ersten, dersich rührt, werde ich wie einen Hund nieder-schießen,, hatte uns ein SS-Mann im Hof derFabrik gesagt. Heute jedoch habe ich keinenHass, trotz des erlebten Traumas.

Ich wünsche niemandem die Hölle, die ich er-lebt habe, und an meinem Lebensabend bin ichglücklich zu sehen, dass ein Europa geschaffenwird, trotz unserer Unterschiede. Ich bin glück-lich zu sehen, dass die Friedenskultur dieKriegsidee ersetzt hat, denn die Gewalt ernied-rigt den Menschen. Ich hoffe, dass die jungenGenerationen die Lehren aus der Vergangenheitziehen können, um eine Zukunft in Frieden undBrüderlichkeit zu schaffen. Ich bewahre dieHoffnung, dass man niemals wieder das erlebt,was ich so schwer vergessen kann.“

* Übersetzung aus dem Französischen:Mag. Waltraud Neuhauser-Pfeiffer** Anmerkung der Redaktion: Die von vielenFranzosen gehasste Vichy-Regierung arbeitetesehr eng mit den deutschen Nationalsozialistenzusammen. Vichy-Ministerpräsident PierreLaval vereinbarte 1942 mit dem deutschen Ge-neralbevollmächtigten Fritz Sauckel, Arbeits-kräfte aus Frankreich für die deutsche Kriegs-wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Die Zeit derVichy-Regierung endete, als Frankreich von denAlliierten befreit wurde.

Zwangsarbeiter in Steyr:

Immer in Angst vor Schlägen und Strafe

Das Ausländer-Lager imehemaligen Reithoffer-Werk.

Joseph Pastre im Altervon knapp achtzig Jahren

mit seiner Frau.

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Foto: privat

Fotosammlung R. Moser

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Steyrer Kämpfer gegen den Nazi-Terror:

Flucht aus der Todeszelle

In diesem Haus bei Bad Hall ist Franz Draber von der Familie Jetzinger vor den Nazis versteckt worden. Die Fa-milie hat dabei ihr Leben riskiert. Hätte man Franz Draber entdeckt, wäre die gesamte Familie brutal ermordet worden.

Drabers Fluchtgefährte Sepp Bloderer ist von der mutigen Familie Wiesenberger unterstützt worden.

iele Steyrer kämpften gegen den Terrordes Nazi-Regimes und riskierten dabei

ihr Leben. Wer erwischt wurde, musste mit demSchlimmsten rechnen. Herta Schweiger undBertl Konrad wurden in den Nazi-Kerkern zuTode geprügelt, Otto Pensel starb in den Gas-kammern des Konzentrationslagers Maut-hausen, Willi Frank fiel während eines Gefechtsmit einem SS-Verband, Karl Punzer, WilliGruber und Erwin Puschmann wurden enthaup-tet. Im Stadtteil Münichholz sind viele Straßennach den tapferen Männern und Frauen desSteyrer Widerstandes benannt worden (siehefolgende Seiten). Einer der wenigen, die aus denNazi-Gefängnissen entkommen konnten, warder Steyrer Kommunist Franz Draber. Hier dieGeschichte seiner Flucht:

Franz Draber, Jahrgang 1913, wird im Septem-ber 1942 verhaftet. Der Grund: Er hat im Steyr-Werk illegale KP-Zellen aufgebaut und Geld fürdie Angehörigen von Häftlingen gesammelt.Am 24. Mai 1944, fast genau ein Jahr vor demEnde des Krieges, wird er gemeinsam mit KarlPunzer, Sepp Bloderer, Hans Palme, Hans Rieplund Josef Ulram zum Tode verurteilt. Die Be-gründung des Urteils: Vorbereitung zum Hoch-verrat.

Nach dem Urteil wird Draber ins ZuchthausStadelheim bei München gebracht. „Hier istnoch keiner rausgekommen“, erklärt ihm einerder Wärter. Doch Draber plant gemeinsam mitBloderer und Punzer die Flucht. Am 30. Novem-

ber 1944, einem Donnerstag, ziehen die dreiSteyrer ihre Zivil-Pullover unter der Gefängnis-Bekleidung an. Um 9 Uhr Vormittag sind siezum Wasserholen eingeteilt. Im Gefängnishofgibt Draber seinen beiden Kameraden einenStoß, die drei laufen durch ein kleines Eisentor,das durch die Gefängnismauer ins Freie führt.Draber ist ein guter Langstrecken-Läufer, erkann sich rasch absetzen. Bloderer verstecktsich im Perlacher Friedhof unter den Kränzeneines frischen Grabes. Er gelangt dann überRosenheim nach Österreich. Karl Punzer wirdwieder gefasst und einige Tage später hinge-richtet.

Franz Draber läuft um sein Leben. Die Wach-leute sind hinter ihm her. Völlig erschöpft ver-steckt er sich nach einer langen Laufstrecke hin-ter einem lebenden Zaun, um sich etwas zu er-holen. Er wartet, bis die Verfolger außer Sicht-weite sind. Dann marschiert er nach Osten, erwill so rasch wie möglich ins Innviertel. Zuerstverirrt er sich aber nach Norden und stehtplötzlich am Ufer der Isar. Mit einem 50-Mark-Schein, den ihm ein Zellengenosse vor derFlucht zugesteckt hat, kauft er sich einen Spru-del in einem Gasthaus. Dort hängt eine Land-karte. Draber prägt sich den richtigen Weg einund marschiert wieder Richtung österreichischeGrenze. Zum Schlafen vergräbt er sich in einenReisighaufen. Es beginnt zu schneien. Völlig er-schöpft bittet er in einem kleinen Haus um et-was zu essen. Die Hausfrau gibt ihm Suppe undeinen Semmelknödel. Drabers Füße sind durchdas schlechte Schuhwerk völlig zerschunden. Erhält die Schmerzen kaum aus und stopft sichMoos in die Schuhe. In Mühldorf am Inn, etwa

55 Kilometer Luftlinie von Stadelheim entfernt,wagt Draber einen Zug zu besteigen. Er fährtnach Ried, dort hat er Verwandte. Draber bleibteine Nacht in Ried, seine Firmpatin richtet ihmeine Tasche mit Lebensmitteln her. Am nächs-ten Tag fährt er mit dem Arbeiterzug nach Wels.Von dort geht er über Kremsmünster nach BadHall. Um acht Uhr am Morgen erreicht er denKurort. Draber schleppt sich mit wunden Füßenzur Furtmühle. Deren Besitzer ist weitschichtigmit ihm verwandt. „Haben sie dich ausgelas-sen?“, fragt ihn der Müller. „Nein, ich bin durch-gegangen, es ist aber niemand hinter mir her“,antwortet Draber. Der Müller nimmt denFlüchtling bei sich auf, er baut ihm einen Ver-schlag aus Brettern. Draber nimmt Verbindungmit seinen Freunden in Steyr auf. Er bekommteinen Ausweis der Bergwacht, der auf den Na-men Gruber lautet. Ausgerüstet mit diesem Do-kument fährt Draber nach Ostern 1945 mit demFahrrad nach Hinterstoder. Dort versteckt ersich, als Schafhirte getarnt, bis zum Ende desKrieges.

Die Strecke von München bis Bad Hall beträgt200 Kilometer Luftlinie. Draber hat für seineFlucht aus der Todeszelle in den Kurort achtTage und Nächte gebraucht. Erst später erfährter, dass ihn die Nazis gleich am ersten Tag nachder Flucht mit Steckbrief gesucht haben. DieserSteckbrief ist in allen Gemeinden aufgelegen.

Nach dem Ende des Krieges half Franz Drabersofort beim Aufbau der Stadtverwaltung vonSteyr-Ost mit. Später arbeitete er bis zu seinerPensionierung im Steyrer Magistrat. Bis zu sei-nem Tod am 28. August 1996 engagierte er sichgegen den Faschismus. Er war unter anderemstellvertretender Landesobmann des KZ-Verban-des Oberösterreich und stellte sich oft jungenMenschen als Zeitzeuge und Referent zur Verfü-gung.

Die Brüder Franz und Josef Draber (von links) vorihrem Wohnhaus an der Schleifergasse. Josef Draberfiel 1943 in der Sowjetunion. Er zählt zu den mehr als900 jungen Steyrer Soldaten, die aus dem ZweitenWeltkrieg nicht mehr zurückgekehrt sind.

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Diese Straße führt von der Karl-Punzer-Straßenach Westen bis zur Kreuzung Leo-Gabler-Straße.

Die Straße wurde nach dem Widerstandskämpferund Funktionär der illegalen KPÖ Hans Buch-holzer benannt. Er konnte auf eine 25-jährige po-litische Tätigkeit im Dienste der Arbeiterbewe-gung zurückblicken. Auch während des Hitler-Fa-schismus setzte er den Kampf für Demokratie

und Freiheit konsequent fort. Am 8. September 1944 wurde er von derGestapo verhaftet und ins KZ Mauthausen verschleppt. Trotz aller Miss-handlungen gab er keinen Genossen preis. Hans Buchholzer starb vierTage vor der Befreiung in der Gaskammer.

Diese Straße führt von der Dr.-Alfred-Klar-Straßenach Norden bis zur Hans-Wagner-Straße.

Der am 23. Februar 1900 geborene FritzDerflinger war einer der Mitbegründer der Kom-munistischen Partei in Steyr. Er stellte sich alsklassenbewusster Arbeiter 1934 in den Kampf umdie Erhaltung der Ersten Republik. Nach der Nie-derschlagung der Arbeiter wurde er sechs Monate

im Anhaltelager Wöllersdorf interniert. Auch nach der OkkupationÖsterreichs im Jahre 1938 erlitt seine Tätigkeit keine Unterbrechung,Derflinger wurde Organisator und Mitarbeiter der illegalen Freiheits-bewegung. Im Herbst 1944 verhaftet, wurde er am 19. April 1945 zumTode verurteilt. Am 1. Mai, vier Tage vor dem Ende der Nazi-Herrschaft,wurde Fritz Derflinger in Treffling bei Linz erschossen.

Diese Straße führt von der Hans-Wagner-Straßenach Norden.

Sie ist nach Willi Frank, geboren am 12. Februar1909, benannt. Willi Frank war von Beruf Schlos-ser, 1931 Mitglied des Zentralkomitees des Kom-munistischen Jugendverbandes und in der Zeitdes Austrofaschismus illegal tätig. 1939 flüchteteer in die UdSSR, wo er ins Zentralkomitee der

KPÖ kooptiert wurde. Nach Kriegsausbruch kämpfte er in den Reihender Roten Armee gegen den Faschismus und gehörte Ende 1944 zu jenenFreiheitskämpfern, die in Jugoslawien die österreichischen Freiheits-bataillone gründeten, deren 1. Bataillon er als politischer Instrukteur an-gehörte. Willi Frank starb im Verlauf eines Gefechtes gegen einen SS-Ver-band im Jahre 1944.

Diese Straße führt von der Karl-Punzer-Straße biszum Karl-Marx-Hof.

Ihren Namen hat sie von Leo Gabler, geboren am11. Mai 1908 in Wien. Bereits als Taschnerlehrlingtrat er dem KJV bei. Im Verlauf der Februarkämpfedes Jahres 1934 wurde Leo Gabler verhaftet und indas Anhaltelager Wöllersdorf gebracht. 1937 ging erins Ausland, kehrte Ende Februar 1941 illegal in

seine Heimat zurück und schloss sich der österreichischen Widerstands-bewegung an. Schon im Oktober desselben Jahres wurde Leo Gabler vonder Gestapo verhaftet. Sechzehn Monate verbrachte er in der Gestapo-hölle am Morzinplatz in Wien. Anfang 1943 wurde Gabler im KZ Maut-hausen interniert, am 13. April 1944 zum Prozess nach Wien überstelltund am 15. April 1944 zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 7. Juni1944 im Landesgericht Wien vollstreckt. Leo Gabler kämpfte gegen denHitler-Faschismus und für die Befreiung Österreichs.

en folgenden Abschiedsbrief hat Wilhelm Gruber am 19. Septem-ber 1944 an seine Frau geschrieben. An diesem Tag wurde er im

Landesgericht Wien enthauptet.

Meine geliebte gute Mitzi!Heute, wenn die Sonne ihre letzten Strahlen über die vom Kriege zer-rissene Erde versendet, ist mein Leben erloschen. Alles war vergeb-lich, meine Begnadigung wurde abgelehnt. Gerade heute erwarteteich Deinen lieben Besuch, auch der war mir nicht mehr vergönnt.Aber dafür trage ich Dein Bild und das Bild unserer lieben herzigenKinderchen bis zu meinem letzten Atemzug an meiner Brust. ImDiesseits sehe ich Euch nur mehr auf dem Bilde, werde ich Euch imJenseits wiedersehen? Ich weiß es nicht, der Weg dorthin ist sehr steilund kein Sterblicher ist jemals zurückgekehrt. Aber wenn es drübenein Weiterleben geben sollte, so wird mein Geist immer bei Dir sein,meine Liebe wirst Du fühlen, bis Du einst selbst zu mir kommenwirst! Ich danke Dir für all Deine Liebe, Güte und Treue, die Du mirim überreichen Maße während der glücklichen und ach so kurzenZeit unserer jungen Ehe erwiesen hast. Verzeihe, wenn ich Dir weh-getan, aber wirklich geliebt habe ich nur Dich allein! Ich brauche Dirwohl nicht extra zu sagen, dass die geringe Habe, die mein Eigen istoder vielmehr war, nur Dir gehört. Erziehe unsere Kleinen zu anstän-digen, aufrechten und braven Menschen, damit sie als vollwertigeStaatsbürger in eine neue und hoffentlich bessere Zukunft hinein-wachsen. Grüße mir meine gute Mutter, meine Geschwister, DeineLieben, meine guten Schwiegereltern, Deine Brüder und alle Men-schen, die mir lieb und teuer waren.

So grüße und küsse ich Dich zum letzten Mal in meinem Leben!Meine Sehnsucht bis zum letzten Atemzuge bist Du!

Dein unglücklicher Willy

Viele, viele Bussi für meinen Sonnenschein Harald und Brigitte

DAbschiedsbrief von Wilhelm Gruber

Straßennamen erinnern an die Steyrutige Steyrerinnen und Steyrer haben während des Zweiten Weltkrieges gegen den Terror der Nationalnach den Widerstandskämpfern benannt.

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Diese Straße verläuft von der Josef-Rohrauer-Straßenach Osten bis zur Fritz-Derflinger-Straße.

Sie ist nach dem am 6. Februar 1903 in Teplitz(Schönau/Böhmen) geborenen Oskar Großmannbenannt. Großmann übernahm im Jahre 1921 dieLeitung des Kommunistischen Jugendverbandesund war 1930 als Redakteur der „Roten Fahne“ undals Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ im Aus-

land für Österreich tätig. Nach Kriegsausbruch übernahm er die Führungder in Frankreich lebenden Gruppen von Österreichern, rief eine Wider-standsbewegung gegen den Hitler-Faschismus ins Leben und verlor beieiner Aktion sein Augenlicht. Von der Gestapo verhaftet, starb OskarGroßmann bei der Einvernahme in der Gestapo-Zentrale von Lyon.

Diese Straße verläuft von der Hans-Wagner-Stra-ße nach Norden.

Willi Gruber wurde am 4. Jänner 1920 in BadHall geboren und war von Beruf kaufmännischerAngestellter in den Steyr-Werken. Während desDritten Reiches hörte er Radiosender aus demAusland – die Stimme der Freiheit – und erregtedurch seine freiheitliche Auffassung den Ver-

dacht der Gestapo. Dies wurde von der faschistischen „Volks“-Justiz mitdem Tode bestraft. Willi Gruber wurde nach monatelanger Haft zumTode verurteilt und am 19. September 1944 im Landesgericht Wienenthauptet.

Diese Straße verläuft im Stadtteil Münichholzvon der Karl-Punzer-Straße nach Osten bis zurFritz-Derflinger-Straße.

Ihren Namen hat sie von Dr. Alfred Klar, einemengagierten Kämpfer gegen den Faschismus. Dr.Alfred Klar, geboren am 16. September 1904, be-saß leitende Funktionen in der KPÖ. 1928 pro-movierte er und arbeitete als Journalist im Zen-

tralorgan der KPÖ „Volksstimme“. 1932 war er Lehrer an der int. Lenin-Schule in Moskau, kam wieder nach Wien zurück und wurde Chefredak-teur der „Roten Fahne“. Im April 1937 erschien in „Weg und Ziel“ dererste Teil von Klars Abhandlung zur Frage der österreichischen Nation.Als im März 1938 die deutschen Truppen in Österreich einmarschierten,emigrierte er nach Frankreich, wurde 1942 verhaftet und interniert. Klarflüchtete in die Schweiz, wurde in Zürich von der Fremdenpolizei aufge-griffen, an Frankreich ausgeliefert und von den Nazis nach Auschwitz de-portiert. Erneut wurde seine Flucht organisiert, die ihn bis Warschaubringen sollte, wo Alfred Klar im Juli 1944 von der SS erschossen wurde.

Diese Straße verläuft von der Karl-Punzer-Straßenach Osten bis zur Schuhmeier-Straße.

Bertl Konrad, geboren am 31. Dezember 1898 inSteyr, war von Beruf Werkzeugschlosser und inden Steyr-Werken beschäftigt. Seit frühester Ju-gend war er als Obmann der Kinderfreunde undin der Sozialistischen Partei als Funktionär tätig.

Nach dem Februarkampf 1934 trat er in die Kom-munistische Partei ein. Nach der Annexion Österreichs im Jahre 1938 ge-hörte auch Bertl Konrad der Widerstandsbewegung an. Im September1944 wurde er von der Gestapo verhaftet und im KonzentrationslagerMauthausen von der SS zu Tode gefoltert.

Diese Straße verläuft zwischen der Ennser Straßeund Kreuzung Steiner Straße zur Feldstraße.

August Moser wurde am 22. April 1896 in Wels/Lichtenegg geboren. Er kam 1914 nach Steyr undtrat in die Steyr-Werke ein. Dort war er Obmanndes Arbeiterbetriebsrates. Er war an den Februar-Ereignissen 1934 beteiligt. In Folge führte ihn dieEmigration nach Schweden. Er zählte zu den Initi-

atoren der Freien Österreichischen Bewegung. 1945 nach Steyr zurückge-kehrt, war er von 1946 bis 1971 für die KPÖ ununterbrochen im SteyrerGemeinderat tätig, davon 1952 – 1961 als Stadtrat.

In Anerkennung und Würdigung seiner Verdienste um die Stadt Steyr, imBesonderen für sein langjähriges Wirken als Mitglied des Gemeinderatesund Stadtsenates der Stadt Steyr wurde ihm im Jahr 1981 die „Ehren-medaille der Stadt Steyr“ verliehen.

Diese Straße führt von der Fritz-Derflinger-Straßenach Osten, dann nach Norden bis zur Hans-Wag-ner-Straße.

Sie ist nach dem Widerstandskämpfer und SportlerOtto Pensel, geboren am 18. November 1895, be-nannt. Als begeisterter Allroundsportler war erbeim Arbeiterturnverein „Vorwärts“ Steyr. Schon inden Jahren des Ersten Weltkrieges trat er für die

Rechte der Arbeiterklasse ein und schloss sich 1934 der KPÖ an. Wäh-rend der Herrschaft des Dritten Reiches arbeitete er unentwegt an der Be-freiung Österreichs. Er wurde zweimal verhaftet und starb am 3. Mai1945, wenige Tage vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, in denGaskammern des KZ Mauthausen als Kämpfer für die Freiheit Öster-reichs.

rer Widerstandskämpfersozialisten gekämpft. Speziell im Stadtteil Münichholz sind als Andenken viele Straßen

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Diese Straße führt von der Kreuzung Dr.-Alfred-Klar-Straße – Leo-Gabler-Straße alsHauptstraße im Stadtteil Münichholz nachNorden durch den so genannten Bischofswaldbis zur Erwin-Puschmann-Straße.

Der Widerstandskämpfer Karl Punzer, geboren1912 in Steyr, war von Beruf Tischler und inden Steyr-Werken als Gewehrlaufrichter be-schäftigt. Seit seinem 14. Lebensjahr stand er

in der sozialistischen Jugend und trat 1932 zur kommunistischen Jugendüber. Nach der gewaltsamen Eingliederung Österreichs an das DritteReich organisierte Karl Punzer als Vorsitzender die illegale Organisationder Kommunistischen Partei des Bezirkes Steyr. Im September 1942 wur-de er verhaftet und nach Linz zur Gestapo überstellt. Trotz furchtbarsterMisshandlungen blieb Punzer standhaft und gab keinen seiner Kampf-gefährten preis. Im Februar 1943 wurde er nach München in das Gefäng-nis Stadelheim überstellt und 1944 zum Tode verurteilt. Mit den SteyrerWiderstandskämpfern Franz Draber und Josef Bloderer gelang ihm am30. November 1944 die Flucht aus der Todeszelle. Punzer, unterernährtund geschwächt durch monatelange Folterungen, konnte nicht langedurchhalten und wurde wieder gefasst. Vier Tage darauf – am 5. Dezem-ber 1944 – wurde Karl Punzer enthauptet.

Diese Straße führt im Stadtteil Münichholz vonder Karl-Punzer-Straße nach Westen.

Sie wurde benannt nach Erwin Puschmann, ge-boren am 8. Jänner 1905, von Beruf Bauschlos-ser, seit 1923 Mitglied des KommunistischenJugendverbandes und ab 1930 Funktionär derKPÖ. Nach dem Februarkampf 1934 wurde erverhaftet und in das Anhaltelager Wöllersdorfgebracht. Nach dem Einmarsch der deutschen

Truppen im Jahre 1938 kehrte Puschmann, der 1937 emigriert war, in sei-ne Heimat zurück und beteiligte sich in der Folgezeit an der Organisie-rung der Widerstandsbewegung. Am 21. Jänner 1941 wurde Erwin Pusch-mann von der Gestapo verhaftet und in der Wiener Gestapozentrale amMorzinplatz unbeschreiblichen Folterungen ausgesetzt. Am 22. September1942 wurde Erwin Puschmann zum Tode verurteilt und im Wiener Lan-desgericht am 7. Jänner 1943 enthauptet.

Diese Straße verläuft im Stadtteil Münichholzvon der Karl-Punzer-Straße nach Osten bis zurSchuhmeier-Straße.

Sie ist nach Herta Schweiger, einer mutigen Rot-Kreuz-Schwester, benannt. Ihrer innersten Beru-fung entsprechend konnte Herta Schweiger mit-helfen, die Leiden der verschleppten Zwangs-arbeiter zu lindern. Auch den Freiheitskämpfernstand sie unermüdlich helfend zur Seite. Sie sam-

melte Geld, um den Opfern und Hinterbliebenen der faschistischen

Verfolgungswut zu helfen. Sie fiel einer Denunziation zum Opfer, wurdevon der Gestapo verhaftet und geschlagen, bis sie blutüberströmt zusam-menbrach. Doch sie hielt treu an ihrer Idee fest und lieferte keinen Anti-faschisten den Nazi-Henkern aus. Nach sieben Monaten starb sie in derKerkerzelle für die Freiheit Österreichs.

Diese Straße verläuft von der Karl-Punzer-Stra-ße nach Westen bis zum Paulus-Wörndl-Platz.

Sie ist nach dem am 30. April 1901 geborenenFranz Sebek benannt. Franz Sebek wurdebereits mit 14 Jahren Mitglied der Bauarbeiter-gewerkschaft und der SozialdemokratischenPartei, 1920 trat er der KPÖ bei. Als Betriebs-rat nahm er 1934 an den Februarkämpfen teil,war Organisator der illegalen Gewerkschaft

der Bauarbeiter und Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ. Nach derBesetzung Österreichs durch die Hitler-Truppen organisierte er bei Sie-mens-Schuckert eine Widerstandsgruppe. Franz Sebek wurde am 27. Jän-ner 1941 von der Gestapo verhaftet, im September 1942 zum Tode verur-teilt und am 7. Jänner 1943 im Wiener Landesgericht enthauptet.

Dieser Hof befindet sich im Stadtteil Münich-holz zwischen der Leo-Gabler-Straße und derHans-Buchholzer-Straße.

Er wurde benannt nach Ferdinand Strasser, ge-boren am 3. April 1901, Schutzbundführer undVizebürgermeister von St. Pölten. FerdinandStrasser war Mitglied der Sozialdemokrati-schen Partei, bereits 1924 Parteisekretär vonSt. Pölten. Im Februarkampf 1934 beteiligte er

sich als Leiter des Republikanischen Schutzbundes und Vizebürgermeis-ter. Danach flüchtete Ferdinand Strasser in die CSR und trat der KPÖbei. Als Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ kehrte er im August 1937illegal nach Österreich zurück. Ende 1938 organisierte er die Wider-standsbewegung in Krems. Am 15. April 1941 wurde Ferdinand Strasserverhaftet und am 12. Juni 1942 zum Tode verurteilt.

Dieser Platz befindet sich zwischen der Franz-Sebek-Straße und der Hans-Buchholzer-Straße.

Pater Paulus Wörndl (1894 – 1944) war Stadt-pfarrer der Linzer Karmelitenpfarre St. Josef.Aufgrund seines Briefwechsels mit einem Sol-daten, der einer österreichisch-norwegischenWiderstandsorganisation angehörte, wurde ervon der Gestapo verhaftet, zum Tode verurteiltund in Berlin hingerichtet.

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ufgetaucht sind in Steyr am Samstag-vormittag des 4. Mai 2002 an der Brücke

über die Enns zwei amerikanische Jeeps mit Be-satzung. Sie errichteten eine Barriere, ließenFußgänger, Radfahrer und notgedrungen auchden Stadtbus passieren. Für etwas mehr als eineStunde filterten sie in den Trubel des vormittä-gigen Shopping-Stroms in Richtung SteyrerStadtplatz die Mahnung an ein Ereignis, 57 Jah-re minus einem Tag zuvor fand es statt. Am 5.Mai 1945 kapitulierte in Steyr BürgermeisterRansmayr vor den Befreiern. Der Fluss wurdezur Grenze, zur Seite der Ennsleite stand dierussische, auf der zentralen Landzunge am Zu-sammenfluss von Enns und Steyr die amerika-nische Besatzung“, schreibt der Journalist PeterKlimitsch in seinem Essay „Aufgetaucht inSteyr“.

Beschrieben wird mit diesen Sätzen ein tief grei-fendes und exzellent durchdachtes Kunst-projekt, welches der Steyrer Johannes Anger-bauer 2001 mit zahlreichen Akteuren und Part-nern konzipiert hat und in Variationen bis in

die jüngste Gegenwart realisiert. 1999 übergabder Leiter der Abteilung Umweltschutz des Ma-gistrates Gustav Gergelyfi an Angerbauer eineUnzahl an Karabinern, Pistolen und Sturmge-wehren, die von der Bevölkerung am Ende desKrieges in die Enns geworfen worden waren.Gergelyfi verband die Übergabe mit der Bitte„etwas Gutes aus diesen schrecklichen Gegen-ständen zu machen“.

Angerbauer, bekannt für seine komplexen, syn-ergetischen Ideen, nahm die Angelegenheiternst und begann, das multimediale Projekt„Vom Wasser bedeckt“ zu entwickeln. Der ers-ten Aktion verlieh er den Namen „Aufge-taucht“. Den Höhepunkt des Aktionstageskommentiert nochmals Peter Klimitsch: „Kurzvor 10.30 Uhr, zu den Klängen von ArnoldSchönbergs ‚Ein Überlebender aus Warschau’,taucht an diesem 4. Mai 2002 von Steyrdorfkommend ein amerikanischer Jeep auf, nebendem Fahrer die Autorin Elisabeth VeraRathenböck, hinter den beiden, stehend, derAutor Till Mairhofer.“ Anschließend kommt es zu einer literarischen Reise zurück in den Zwei-

ten Weltkrieg bis hinein in die wahnwitzigeWelt des Mordens und Tötens in der Gegen-wart. Mit dieser „Transformation des Grauens“in die Jetztzeit haben Angerbauer und die betei-ligten Künstler genau jenen Impuls gesetzt, denes braucht, um erstens die Ursachen-Wirkungs-zusammenhänge darzustellen und zweitens derenorm negativen Energie Ausdruck zu verlei-hen, die jene Menschen freisetzen, die nicht be-reit sind, „Waffen zu Pflugscharen“ umzu-schmieden.

Raimund Locicnik

„Vom Wasser bedeckt“Ein Kunstprojekt gegen das Vergessen und wider den Krieg

Ein Kunstprojekt erinnert an den 5. Mai 1945: Am Sa,4. Mai 2002, taucht – von Steyrdorf kommend – ein

amerikanischer Jeep auf, neben dem Fahrer dieAutorin Elisabeth Vera Rathenböck, hinten stehendder Autor Till Mairhofer. Anschließend findet eine

literarische Reise zurück in den Zweiten Weltkrieg bishinein in die Welt des Mordens und Tötens in der

Gegenwart statt.

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Der Steyrer JohannesAngerbauer (Bild) hat 2001gemeinsam mit Akteuren undPartnern das Kunstprojekt „VomWasser bedeckt“ konzipiert. DieKünstler setzen sich dabei mitden aufgetauchten Waffenauseinander, die von derBevölkerung am Ende desKrieges in der Enns versenktworden waren. Nach wie vorfinden im Zuge dieses ProjektsAktionen statt.

in Mahnmal am Präbichl bei Eisenerz(Bild rechts) erinnert seit dem Vorjahr an

das Martyrium jener KZ-Häftlinge, die beimso genannten „Todesmarsch“ im April 1945auf dem obersteirischen Passübergang zuTode kamen.

Kurz vor Ende des 2. Weltkrieges wurdenmehrere hundert ungarische Juden und Jüdin-nen vom Bau des „Ostwalles“ aufgrund dermilitärischen Aussichtslosigkeit des Vorha-bens abgezogen und von den Nazis zurück inRichtung Steyr und Mauthausen getrieben.Viele der erschöpften und ausgemergeltenGefangenen waren am Präbichl mit ihrenKräften völlig am Ende. Um die Gehtaug-lichen schneller an ihr Ziel treiben zu kön-

nen, wurde der Eisenerzer Volkssturm mobili-siert. Mehr als 200 Menschen fanden bei demanschließenden Massaker den Tod.

Seit Oktober 2000 wurde auf Initiati-ve der Steyrer Partnerstadt Eisenerz,einem überparteilichen Personen-komitee und der ARGE „Jugend ge-gen Gewalt und Rassismus“ an derinhaltlichen Aufarbeitung des The-mas gearbeitet. Im Herbst 2004 gin-gen Schüler aus der Obersteiermarkund dem Ennstal auf Spurensuchezu diesem grauenvollen und langeZeit totgeschwiegenen Ereignis. DasResultat ist ein ergreifendes und be-rührendes Video sowie eine Publika-

Foto: Spindler

Der „Todesmarsch“ an der Eisenstraße tion mit Fakten, Daten und Zeitzeugen-berichten zum Todesmarsch. Die Präsentationdieses „projects in progress“ erfolgte parallelam 7. April 2005 in Eisenerz und im MuseumArbeitswelt in Steyr.

Raimund Locicnik

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Foto: Locicnik

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sterreich ist endlich frei“, titelt dieSteyrer Zeitung am 19. Mai 1955, vier

Tage nachdem die Außenminister der Welt-kriegs-Alliierten und Österreichs Außen-minister Leopold Figl den Staatsvertrag unter-schrieben haben. Auch die Steyrerinnen undSteyrer spüren die Aufbruchstimmung und dieFreude, wieder in einem unabhängigen demo-kratischen Staat leben zu können.

In Steyr ist Arbeitslosigkeit kein zentrales Pro-blem mehr. Im Gegenteil: Zu Beginn des Jahres1955 arbeiten mehr als 10.000 Menschen inden Steyr-Werken. Die Produktionszahlen für1955: 13.570 Traktoren, 4893 Lkw, 10.763 Fiatund 8,5 Millionen Kugel- und Rollenlager. Imgesamten Raum Steyr gibt es zu wenig Arbeits-kräfte, man muss Leute von auswärts anwerben.Im März 1955 rollt der neue Kleinwagen Fiat600 mit anfänglich 19,5 PS vom Fließband. DasFahrzeug kostet vorerst 28.500 Schilling. „DieNachfrage ist so angestiegen, dass bereits miteiner Lieferfrist von drei Monaten gerechnetwerden muss“, schreibt die Steyrer Zeitung Mit-te Mai.

Insgesamt registriert die Polizei in Steyr im Jahrdes Staatsvertrages 4595 Kraftfahrzeuge, vierJahre davor waren es nur 1850.

In ihrer Ausgabe vom 19. Mai berichtet dieSteyrer Zeitung auch über den ersten Fern-seh-Apparat in Steyr: „Im Radiohaus Zelezny,Sierninger Straße 14, wurde Ende vergangenerWoche ein Fernsehgerät aufgestellt. Es gelangauch, das Programm des bayrischen SendersWendelstein in das Gerät zu bekommen, dochwar das Bild nur zeitweilig brauchbar. Es han-delt sich damit um den ersten Fernseh-Empfangsversuch im Stadtgebiet.

Bauboom in SteyrIn den Fünfziger-Jahren setzt in Steyr ein regel-rechter Bauboom ein. Die Stadtgemeinde errich-tet zwischen 1945 und 1955 zehn Objekte underhöht die Zahl der Wohnungen von 681 auf795. Die Städtische Wohnungsgesellschaft ver-waltet 1955 41 Häuser und 512 Wohnungen.Das Kanalnetz der Stadt wird innerhalb vonzehn Jahren von 21 Kilometern auf 38 Kilome-ter vergrößert, das System der öffentlichen Was-

serleitungen wächst von 21 Kilometern auf 58Kilometer, die Zahl der Anschlüsse steigt von1266 auf 2810.

Am 24. Jänner 1955 wird das Ennsleiten-Hoch-haus eröffnet. Der Bau gilt als Sensation, er istsogar mit einem Lift ausgestattet.

Während des Krieges sind 495 Häuser in Steyrbeschädigt oder zerstört worden. Darunter auchein Trakt des Bundesrealgymnasiums, der bis1955 wieder aufgebaut und erweitert wird. Neugebaut werden unter anderem auch die Berufs-schule II, die Volks- und Hauptschulen Plenkl-berg, Industriestraße und Ennsleite sowie dasGesundheitsamt, die Leichenhalle sowie dieKindergärten Taschelried und Plenklberg. Zuden größten Projekten zählt der Bau desAltersversorgungsheims auf dem Tabor, dasnach zwei Jahren Bauzeit im Jahr 1955 fertig ge-stellt wird. Am 14. März 1955 gibt die Landes-regierung grünes Licht für den Bau einer Han-delsakademie in Steyr. Am 5. Dezember 1955genehmigt der Gemeinderat den Umbau derIndustriehalle zu einem Theater. Knapp dreiJahre später wird das neue Stadttheater eröffnet.

1955 beschäftigt sich der Steyrer Gemeinderatauch mit dem Projekt „Stadtbad“. Die ehemaligeHammermühle und der dazugehörige Grundwerden gekauft, die Stadt schreibt einen Wettbe-werb aus, der Wiener Architekt Ernst Grünber-ger liefert die Pläne. Am 20. Juni 1959 wird das

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1955: Eine Stadt baut auf

Am 24. Jänner 1955 wirddieses Hochhaus auf derEnnsleite eröffnet. DerBau gilt als Sensation, erist sogar mit einem Liftausgestattet.Im Vordergrund der neueKleinwagen Fiat 600, derim März 1955 vomFließband rollt. DasFahrzeug mit anfänglich19,5 PS kostet vorerst28.500 Schilling.

Archivfoto „Grabe wo du stehst“

Aus der Steyrer Zeitung vom 5. Mai 1955

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er Staatsvertrag ist abgeschlossen wor-den zwischen den Weltkriegs-Alliier-

ten Sowjetunion, Großbritannien, USA undFrankreich auf der einen Seite und Öster-reich auf der anderen Seite. Die Außen-minister Molotow (Sowjetunion), Dulles(USA), MacMillan (Großbritannien) undPinay (Frankreich) für die Alliierten sowieAußenminister Leopold Figl für Österreichhaben das Dokument am 15. Mai 1955 imSchloss Belvedere in Wien unterzeichnet.Das Staatsvertrags-Original befindet sichseitdem im Archiv des Moskauer Außen-ministeriums.

Der grundlegende Inhalt des Staatsvertra-ges: Österreich, am 13. März 1938 anDeutschland angeschlossen, wird als unab-hängiger und demokratischer Staat wiederhergestellt.

In enger Verbindung mit dem Staatsvertragsteht das Bundesverfassungs-Gesetz überdie Neutralität Österreichs nach dem Mus-ter der Schweiz. Das Neutralitäts-Gesetz istnach dem Abzug der Besatzungssoldatenam 26. Oktober 1955 vom österreichischenParlament beschlossen worden.

Im Museum Arbeitswelt läuft bis 28. Au-gust 2005 die Ausstellung „Mythos Staats-vertrag, Geschichten aus der Geschichte“.Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von9 bis 17 Uhr. Für Führungen kann mansich unter der Nummer 07252/77351-11anmelden.

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Was ist derStaatsvertrag?

Der SteyrerStadtplatz

wirdgepflastert.

Bad fertig. In fünf Becken befinden sich 3509Kubikmeter Wasser, die innerhalb von 10 bis12 Stunden in einer Umwälzanlage gefiltertwerden. Zur Zeit der Eröffnung hat Steyr diemodernste Freibad-Anlage Österreichs.

Auch im Straßenbau wird mit Hochdruck gear-beitet: Neu gebaut werden unter anderem derLeitnerberg, die Sepp-Stöger-Straße, der

Plenklberg sowie sämtliche Straßen der Siedlun-gen Neulust, Taschelried und Fischhub. Im ers-ten Jahrzehnt nach dem Krieg werden knapp30.000 Quadratmeter Oberfläche befestigt,155.000 Quadratmeter geteert oder asphaltiertsowie 16.000 Quadratmeter gepflastert, darun-ter auch der Stadtplatz.

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Foto: Mehwald

Aus der Steyrer Zeitung vom 19. Mai 1955

Aus der Steyrer Zeitung vom 19. Mai 1955

Aus der Steyrer Zeitung vom 5. Mai 1955

Seite 19

Page 20: Amtsblatt 05 2005

iese Plakate wurden in Steyr in den ersten Tagen nach dem Kriegsende aufgehängt. Die außergewöhnlichen Dokumente hatdie Steyrer Heimatforscherin für Oberösterreich Leopoldine Grundner für diese Amtsblatt-Ausgabe zur Verfügung gestellt.D


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