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2008 10 01 Kellerhoff Abrakadabra Handout

Date post: 07-Jul-2015
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Handout für Vortrag "Abrakadabra - Vertraute Laute aus dem Orient" im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
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Abrakadabra Vertraute Laute aus dem Orient. Olaf Kellerhoff, Islamwissenschaftler (MA) Simsalabim! Sie sprechen jetzt Arabisch! Es klingt wie Zauberei und ist doch keine: Sie können Ara- bisch! Jetzt und einfach so! Zumindest beherrschen Sie rund 300 bis 400 vermeintlich deutsche Wörter, die ihren Ursprung in der arabischen Sprache ha- ben. Diese sogenannten Arabismen im Deutschen sind uns so vertraut geworden, daß wir schwerlich an einen Import zu denken wagen. Dazu gehören beispielsweise so geläufige Wörter wie Sofa, Koffer, Jacke, Kaffee, Papagei, Razzia, Risiko, Schach, Sirup, Soda, Benzin, Tasse, Zucker, Magazin, Limonade, Gitarre, Haschisch. Bei anderen ist ihre arabische Wur- zel unschwer zu erkennen: Alkohol, Alhidade, Algebra, Algorithmus, Elixier, Elefant etc. Andere wiederum gehören allerdings zum Fachvokabular – nicht nur des Islams! So wird der kleine Schmelz- ofen der Alchimisten – natürlich auch ein arabisches Wort – Athanor genannt. Wahrscheinlich kennen nur Mediziner die Vena Saphena (von arab. sâfin), also die oberflächliche Hauptvene des Beines, wis- sen nur Astrologen um die Bogenlinien auf dem Astrolab, Almukantarat, oder stellen sich ausschließlich Biologen unter Jerboa (arab. yarbu´) tatsächlich eine Wüstenspringmaus vor. Wenige Worte schwanden aus dem allgemei- nen Gebrauch wie etwa Aleppin bzw. Alépine, dem körpergerechten Damenkleiderstoff aus Schappe mit Wollkammgarn, und auch Gamaschen trägt heute niemand mehr. Dafür erweitern Medien und Immig- ranten unseren Sprachschatz täglich aufs Neue: Nie- mand, der noch keinen Kebab gegessen hat; kaum einer, der nicht die Intifada im Fernsehen gesehen oder von den mujahidin gehört hätte. Gerade dieses Wort verdeutlicht die der Sprache innewohnende Dynamik bzw. reflektiert unsere Sinneswandel: Übersetzt wurden im Kalten Krieges die afghani- schen Mujahidin gegen die Sowjetunion, eigentlich „diejenigen, die auf dem Weg Gottes (mit sich oder anderen) ringen“, mit „Freiheitskämpfer“. Dieselben Kämpfer und ihre Söhne werden nun als „Terroristen“ bezeichnet, wenn sie nach Eigenverständnis weiter- hin ihr Land und ihre Religion verteidigen. Wandlungen hat im Laufe der Jahrtausende auch die Schrift erfahren. Von dem phönizischen Uralphabet haben sich arabische und lateinische Schriften in un- terschiedliche Richtungen entwickelt. Deutlich wird dies beispielsweise an den Anfangsbuchstaben alif, ba, ta – Alpha-be-t. Die ursprüngliche Laufrichtung von rechts nach links wechselten im 5.–6. Jahrhun- dert die Griechen, nachdem sie eine zeitlang „fur- chenwendig“ geschrieben hatten, also von rechts nach links und die nächste Zeile von links nach rechts – Bustrophedon genannt. Arabisch schreiben jedoch nicht nur die Araber so wenig wie Arabisch beileibe nicht die einzige Sprache des Orients ist. Zum semitischen Zweig der afro- asiatischen Sprachfamilien gehören auch Aramäisch, die Sprache Jesu, die heute noch in Enklaven gesprochen und auf eigene Art geschrieben wird, sowie Heb- räisch mit eigener Schrift und Syrianisch. Hingegen zählen das arabisch geschrie- bene Persisch, Kurdisch und Armenisch zur indoeuropäischen Familie. Gerade im Basiswortschaft des Persischen zeigt sich die Verwandtschaft: Zum Beispiel heißt madar – Mutter, padar – Vater, birader ist der Bruder. Doch ebenso wie im Türkischen, eine Turksprache, ist ein guter Teil des Vokabulars arabisch, quasi einfach ei- nige Worte mehr als im Deutschen. Und aufgrund der gemeinsamen Religion wurden Rituale nicht wie von ungebildeten Kreuzrittern unverstanden verballhornt – Simsalabim! – sondern richtig verwendet – Bismil- lah (Im Namen Gottes) oder gar das bedeutsame Allahu akbar (Gott ist groß) zu Abrakadabra. Literatur & Links Hunke, Sigrid: Allahs Sonne über dem Abendland. Ffm., 1980. OSMAN, Nabil: Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft. München, 1982. www.kubri.ch/downloads/kubri_band2.pdf (Arabismen im Dt.) http://www.baobabbooks.ch/www/pics/pdf/UE_Notizbuch_des_ Zeichners.pdf (für Kinder 12 -14 Jahr gut geeignet) Wikipedia-Stichwörter: Liste deutscher Wörter aus dem Arabi- schen, Phönizisches Alphabet, Arabische Schrift, Bustrophe- don, Sprachfamilien der Welt 25.10.2008
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Page 1: 2008 10 01 Kellerhoff   Abrakadabra Handout

AbrakadabraVertraute Laute aus dem Orient.

Olaf Kellerhoff, Islamwissenschaftler (MA)

Simsalabim! Sie sprechen jetzt Arabisch! Es klingt wie Zauberei und ist doch keine: Sie können Ara-bisch! Jetzt und einfach so! Zumindest beherrschen Sie rund 300 bis 400 vermeintlich deutsche Wörter, die ihren Ursprung in der arabischen Sprache ha-ben. Diese sogenannten Arabismen im Deutschen sind uns so vertraut geworden, daß wir schwerlich an einen Import zu denken wagen. Dazu gehören beispielsweise so geläufige Wörter wie Sofa, Koffer, Jacke, Kaffee, Papagei, Razzia, Risiko, Schach, Sirup, Soda, Benzin, Tasse, Zucker, Magazin, Limonade, Gitarre, Haschisch.

Bei anderen ist ihre arabische Wur-zel unschwer zu erkennen: Alkohol, Alhidade, Algebra, Algorithmus, Elixier, Elefant etc. Andere wiederum gehören allerdings zum Fachvokabular – nicht nur des Islams! So wird der kleine Schmelz-ofen der Alchimisten – natürlich auch ein arabisches Wort – Athanor genannt. Wahrscheinlich kennen nur Mediziner die Vena Saphena (von arab. sâfin), also die oberflächliche Hauptvene des Beines, wis-sen nur Astrologen um die Bogenlinien auf dem Astrolab, Almukantarat, oder stellen sich ausschließlich Biologen unter Jerboa (arab. yarbu´) tatsächlich eine Wüstenspringmaus vor. Wenige Worte schwanden aus dem allgemei-nen Gebrauch wie etwa Aleppin bzw. Alépine, dem körpergerechten Damenkleiderstoff aus Schappe mit Wollkammgarn, und auch Gamaschen trägt heute niemand mehr. Dafür erweitern Medien und Immig-ranten unseren Sprachschatz täglich aufs Neue: Nie-mand, der noch keinen Kebab gegessen hat; kaum einer, der nicht die Intifada im Fernsehen gesehen oder von den mujahidin gehört hätte. Gerade dieses Wort verdeutlicht die der Sprache innewohnende Dynamik bzw. reflektiert unsere Sinneswandel: Übersetzt wurden im Kalten Krieges die afghani-schen Mujahidin gegen die Sowjetunion, eigentlich „diejenigen, die auf dem Weg Gottes (mit sich oder anderen) ringen“, mit „Freiheitskämpfer“. Dieselben Kämpfer und ihre Söhne werden nun als „Terroristen“ bezeichnet, wenn sie nach Eigenverständnis weiter-hin ihr Land und ihre Religion verteidigen.

Wandlungen hat im Laufe der Jahrtausende auch die Schrift erfahren. Von dem phönizischen Uralphabet haben sich arabische und lateinische Schriften in un-terschiedliche Richtungen entwickelt. Deutlich wird dies beispielsweise an den Anfangsbuchstaben alif, ba, ta – Alpha-be-t. Die ursprüngliche Laufrichtung von rechts nach links wechselten im 5.–6. Jahrhun-dert die Griechen, nachdem sie eine zeitlang „fur-

chenwendig“ geschrieben hatten, also von rechts nach links und die nächste Zeile

von links nach rechts – Bustrophedon genannt.

Arabisch schreiben jedoch nicht nur die Araber so wenig wie Arabisch beileibe nicht die einzige Sprache des Orients

ist. Zum semitischen Zweig der afro-asiatischen Sprachfamilien gehören auch Aramäisch, die Sprache Jesu, die heute noch in Enklaven gesprochen und auf

eigene Art geschrieben wird, sowie Heb-räisch mit eigener Schrift und Syrianisch.

Hingegen zählen das arabisch geschrie-bene Persisch, Kurdisch und Armenisch zur indoeuropäischen Familie. Gerade im Basiswortschaft des Persischen zeigt sich

die Verwandtschaft: Zum Beispiel heißt madar – Mutter, padar – Vater, birader ist der Bruder. Doch ebenso wie im Türkischen, eine Turksprache, ist ein guter Teil des Vokabulars arabisch, quasi einfach ei-nige Worte mehr als im Deutschen. Und aufgrund der gemeinsamen Religion wurden Rituale nicht wie von ungebildeten Kreuzrittern unverstanden verballhornt – Simsalabim! – sondern richtig verwendet – Bismil-lah (Im Namen Gottes) oder gar das bedeutsame Allahu akbar (Gott ist groß) zu Abrakadabra.

Literatur & LinksHunke, Sigrid: Allahs Sonne über dem Abendland. Ffm., 1980.OSMAN, Nabil: Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer

Herkunft. München, 1982. www.kubri.ch/downloads/kubri_band2.pdf (Arabismen im Dt.)http://www.baobabbooks.ch/www/pics/pdf/UE_Notizbuch_des_

Zeichners.pdf (für Kinder 12 -14 Jahr gut geeignet)Wikipedia-Stichwörter: Liste deutscher Wörter aus dem Arabi-

schen, Phönizisches Alphabet, Arabische Schrift, Bustrophe-don, Sprachfamilien der Welt

25.10.2008

Jacke, Kaffee, Papagei, Razzia, Risiko, Schach,

Bei anderen ist ihre arabische Wur-

Elefant etc. Andere wiederum gehören allerdings zum Fachvokabular – nicht nur des Islams! So wird der kleine Schmelz-ofen der Alchimisten – natürlich auch

sen nur Astrologen um die Bogenlinien auf

von links nach rechts – Bustrophedon

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