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2006-09HuntGerman

Date post: 05-Mar-2016
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Geschichte Ozeanien
9
Von Terry L. Hunt  J  ahr für Jahr nehmen ausende von ouristen aus aller Welt den langen Flug über den Pazischen Ozean auf sich, um die riesigen Statuen der Osterinsel zu besichtigen. Seit am Oster- sonntag 1722 die ersten Europäer dort landeten, ziehen diese Moai genannten Plastiken Besucher in ihren Bann. Ihre Schöpfer, die sich selbst als Rapanui und ihre Insel als Rapa Nui bezeichneten, lebten in einem vorgeschichtlichen Para- dies – bis sie sich selbst daraus vertrieben.  Diese Tese gilt als gesichert. Einer der prominentesten Vertreter ist Jared Diamond, Geograf und Physiologe an der Universität von Kalifornien in Los  Angeles. Er sieht in Rapa Nui ein Mene- tekel für die Gefahren, die aus einer Zer- störung der Umwelt erwachsen können. »In nur wenigen Jahrhunderten«, schrieb er 1995 in dem amerikanischen Magazin »Discover«, »hatten die Einwohner der Osterinsel ihre Wälder vernichtet, ihre Panzen und iere aussterben und ihre einst entwickelte Kultur in Chaos und Kannibalismus versinken lassen. Folgen wir ihrem Beispiel?« Sein in diesem Jahr auf Deutsch erschienenes Buch »Kollaps« greift dieses Tema auf und warnt ein- dringlich, sorgsamer mit den natürliche n Ressourcen umzugehen. Ein solcher Aufruf ist mehr als lo- benswert, und ich möchte ganz gewiss nicht jenen das Wort reden, die all die ökologischen Probleme unserer Zeit ver- harmlosen. Doch ich glaube, dass die gängige Vorstellung von Rapa Nui zu kurz greift. Und die sieht so aus: Zwischen 800 und 900 n. Chr. betraten polynesische Siedler eine dicht mit Palmen bewach- sene Insel. Anfangs sei die Bevölkerung nur langsam gewachsen und lebte im Einklang mit der Natur. Doch um 1200 explodierte sie regelrecht – bis zu 15 000 Individuen sollen kurzzeitig auf Rapa Nui gelebt haben. Mit dem Wachstum einher ging der geradezu besessene Bau immer neuer Moai und Ahu, der Platt- formen für die Statuen. Bis zu tausend solcher Riesenskulpturen sollen einst die Küste gesäumt haben. Für diese religi- ösen Aktivitäten, sicher auch für den Bau von Siedlungen und als Feuerholz, seien im Lauf der Jahrhunderte Millionen von Palmen geschlagen worden. Damit ver- loren die Einwohner eine Nahrungsquel- le – Palmensaft enthält viele Kohlenhyd- rate. Vor allem aber hatte der Wind nun leichtes Spiel: Bodenerosion war die Fol- ge, Anbauächen gingen verloren. Ende 38 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Q  DEZEMBER 2006 Kein Kollaps auf der Osterinsel? Die Osterinsel gilt als Metapher für die Folgen exzes- siver Ausbeutung der Natur: Aller Ressourcen ledig, kollabierte die Gesellschaft der Rapanui. Doch diese Lehrmeinung könnte sich als Mythos erweisen. ARCHÄOLOGIE  TITEL Diesen Artikel können Sie als Audiodatei beziehen,  siehe: www.spektrum.de/audio
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Von Terry L. Hunt

 J ahr für Jahr nehmen ausende vonouristen aus aller Welt den langenFlug über den Pazifischen Ozean aufsich, um die riesigen Statuen der

Osterinsel zu besichtigen. Seit am Oster-

sonntag 1722 die ersten Europäer dortlandeten, ziehen diese Moai genanntenPlastiken Besucher in ihren Bann. IhreSchöpfer, die sich selbst als Rapanui undihre Insel als Rapa Nui bezeichneten,lebten in einem vorgeschichtlichen Para-dies – bis sie sich selbst daraus vertrieben. 

Diese Tese gilt als gesichert. Einerder prominentesten Vertreter ist JaredDiamond, Geograf und Physiologe ander Universität von Kalifornien in Los

 Angeles. Er sieht in Rapa Nui ein Mene-tekel für die Gefahren, die aus einer Zer-

störung der Umwelt erwachsen können.

»In nur wenigen Jahrhunderten«, schrieber 1995 in dem amerikanischen Magazin»Discover«, »hatten die Einwohner derOsterinsel ihre Wälder vernichtet, ihrePflanzen und iere aussterben und ihreeinst entwickelte Kultur in Chaos undKannibalismus versinken lassen. Folgen

wir ihrem Beispiel?« Sein in diesem Jahrauf Deutsch erschienenes Buch »Kollaps«greift dieses Tema auf und warnt ein-dringlich, sorgsamer mit den natürlichenRessourcen umzugehen.

Ein solcher Aufruf ist mehr als lo-benswert, und ich möchte ganz gewissnicht jenen das Wort reden, die all dieökologischen Probleme unserer Zeit ver-harmlosen. Doch ich glaube, dass diegängige Vorstellung von Rapa Nui zukurz greift.

Und die sieht so aus: Zwischen 800

und 900 n. Chr. betraten polynesische

Siedler eine dicht mit Palmen bewach-sene Insel. Anfangs sei die Bevölkerungnur langsam gewachsen und lebte imEinklang mit der Natur. Doch um 1200explodierte sie regelrecht – bis zu 15 000Individuen sollen kurzzeitig auf RapaNui gelebt haben. Mit dem Wachstum

einher ging der geradezu besessene Bauimmer neuer Moai und Ahu, der Platt-formen für die Statuen. Bis zu tausendsolcher Riesenskulpturen sollen einst dieKüste gesäumt haben. Für diese religi-ösen Aktivitäten, sicher auch für den Bauvon Siedlungen und als Feuerholz, seienim Lauf der Jahrhunderte Millionen vonPalmen geschlagen worden. Damit ver-loren die Einwohner eine Nahrungsquel-le – Palmensaft enthält viele Kohlenhyd-rate. Vor allem aber hatte der Wind nunleichtes Spiel: Bodenerosion war die Fol-

ge, Anbauflächen gingen verloren. Ende

38  SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Q  DEZEMBER 2006

Kein Kollaps aufder Osterinsel?

Die Osterinsel gilt als Metapher für die Folgen exzes-

siver Ausbeutung der Natur: Aller Ressourcen ledig,

kollabierte die Gesellschaft der Rapanui. Doch diese

Lehrmeinung könnte sich als Mythos erweisen.

ARCHÄOLOGIE TITEL Diesen Artikel können Sie als Audiodateibeziehen, siehe: www.spektrum.de/audio

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des 17. Jahrhunderts war die Insel fastentwaldet, Kriege, Hungersnöte, ja Kan-nibalismus waren die Konsequenz. AlsSeefahrer die Osterinsel entdeckten, fan-den sie nur noch klägliche Reste der eins-tigen Kultur vor.

 Als ich im Mai 2000 Rapa Nui zum

ersten Mal besuchte, kam ich als ouristund wollte nicht mehr, als ebenfalls dieberühmten Moai sehen. Zufällig begeg-nete ich Sergio Rapu. Er ist nicht nur dererste eingeborene Gouverneur der Insel,sondern auch Archäologe und einer mei-ner ehemaligen Studenten. Er lud michein, mit ihm zusammen die GeschichteRapa Nuis zu erkunden. Was konnte ichmir davon erhoffen? Ein paar weitere De-tails zur gut etablierten Teorie zu lie-fern, mehr nicht. Ohnehin plante icheine Grabung auf den Fidschi-Inseln. Ein

Putsch dort änderte meine Pläne und

eines meiner größten wissenschaftlichen Abenteuer begann.

Mehr als 3700 Kilometer offenesMeer trennen Rapa Nui von der KüsteChiles, das die Insel 1888 annektierte.4000 Kilometer sind es nach ahiti. Nä-her liegt mit etwa 2000 Kilometer Pit-

cairn, auf der sich im 18. Jahrhundert dieMeuterer von der bekannten Bounty nie-derließen.

»Ein Paradies auf Erden«Die aus drei erloschenen Vulkanen beste-hende Osterinsel ist rund 171 Quadrat-kilometer groß und liegt etwas südlichder ropen. Sie wirkt heute nicht sonder-lich einladend: Starke, Salz versprühende

 Winde und sehr unregelmäßige Nieder-schläge machen den Ackerbau schwierig.

 Außer Hühnern und Ratten gibt es kaum

 Wirbeltiere, und es wachsen dort nur

noch 48 Pflanzenarten. Bevor die Men-schen das Eiland in Besitz nahmen, dasverraten Knochen und Samen, lebten dortviele inzwischen ausgestorbene Vogelarten,und eine Palme der Gattung  Jubaea  wuchs in lichten Wäldern auf der Insel.

Der holländische Entdecker Jacob

Roggeveen beschrieb sie in seinem Log-buch dementsprechend zunächst als kargund baumlos. Doch auf der Heimfahrtnotierte er, die Insel sei überreich anFrüchten. Er habe Bananen, Kartoffeln,ungewöhnliches dickes Zuckerrohr undanderes mehr gesehen. »Aus diesem Landmit seinen fruchtbaren Böden und demguten Klima könnte man mit geeignetenKultivierungsmaßnahmen ein Paradies aufErden machen.« Einer seiner Kapitänewollte aus der Entfernung »große Waldflä-chen« ausgemacht haben. Diese Beispiele

demonstrieren, dass historische Berichte

TERRY L. HUNT

Touristen assoziieren die Osterinsel mit

den Moai genannten geheimnisvollen

Statuen. Ökologen hingegen sehen in derInsel vor allem ein Beispiel nicht nach-

haltigen Wirtschaftens.

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schen seien zwischen 800 und 900 n. Chr.auf Rapa Nui an Land gegangen.

 Wie sie die Umwelt, die sie vor-fanden, im Lauf der Zeit verändert ha-ben, untersuchte John R. Flenley von derneuseeländischen Massey-Universität mitgroßer Akribie. Von Ende der 1970er bisin die 1980er Jahre bohrte er Sediment-kerne aus drei Kraterseen: Rano Aroi inder Inselmitte, Rano Raraku, der nahedem Steinbruch liegt, in dem viele derStatuen gefertigt worden sind, und RanoKau im Südwesten. In jedem dieser Seenhatten sich über die Jahrhunderte Stäubeabgesetzt, die der Wind aus der Umge-bung herantrug.

Pollen aus einem 10,5 Meter langenBohrkern bewiesen beispielsweise, dassdie Insel Zehntausende von Jahren be-waldet war, die Bäume aber zwischen800 und 1500 n. Chr. verschwanden.Vor zwei Jahren jedoch meldete Flenleyselbst gemeinsam mit seinen Universi-tätskollegen Kevin Butler und Christine

 A. Prior Zweifel an der Verlässlichkeit derDatierung an. Sie hatten erkannt, dassgroße Proben aus Kraterseen mitunterorganisches Material enthalten, das schonHunderte von Jahren alt ist, wenn es vom

 Wind in das Wasser verfrachtet wird.Eine Radiokarbondatierung würde denZeitpunkt des Sedimentierens dann zuweit in die Vergangenheit verlegen.

Ein Befund meiner Kollegin Cathe-rine Orliac vom nationalen wissenschaft-lichen Forschungszentrum Frankreichs(CNRS) unterstützt diese Zweifel an derDatierung des Waldsterbens: Sie unter-suchte nicht weniger als 32 960 archäolo-gische Proben von Holz, Samen, Fasernund Wurzeln und konstatierte, dass dieRapanui noch von 1300 bis 1650 n. Chr.

vor allem Holz verfeuerten, erst danach

über die Osterinsel für das Verständnis ih-rer Geschichte oft wenig hilfreich sind.

 Auch der norwegische Geograf und Anthropologe Tor Heyerdahl (1914 –2002) versuchte dort sein Glück. Welt-ruhm hatte er 1947 erlangt, als er mit

einem Floß aus Balsaholz, der Kon-iki,von Peru nach Polynesien segelte. Er woll-te beweisen, dass man diese Inseln in prä-historischen Zeiten von Südamerika ausbesiedeln konnte. 1955 leitete Heyerdahleine archäologische Expedition auf RapaNui. Das eam fand Pollen und Abdrückevon Wurzeln im Erdboden, die auf eineeinst üppigere Vegetation hindeuteten.

 Auf Grund von Ähnlichkeiten zwischenden Moai und südamerikanischen Statuenpostulierte er eine Kolonisation der Oste-rinsel vom Kontinent aus. Ein Irrtum:

Linguistische und genetische Studien be-

weisen, dass die Rapanui aus Polynesienstammten.

Doch wann betraten sie das Eiland? Auf der Halbinsel Poike (Karte oben) beiGrabungen entdeckte Holzkohle – ver-mutlich von einer Feuerstelle – lieferte

eine Antwort auf diese Frage. Die Kohlewurde mit der Radiokarbonmethode zu-nächst auf 400 n. Chr. datiert.

Metapher vom ÖkokollapsVergleiche der polynesischen Sprache mit

 jener der Rapanui schienen diese Tese zustützen. Doch inzwischen zweifeln Exper-ten an der korrekten Datierung der Pro-be und Linguisten haben neue Modellefür die Sprachentwicklung aufgestellt. DieMetapher vom Ökokollaps auf der Oster-insel basiert wesentlich auf der nun als si-

cher geltenden Annahme, die ersten Men-

 lRapa Nui, oft als die isolierteste be-

wohnbare Insel der Welt bezeichnet,

wurde 1888 von Chile annektiert, das etwa

3700 Kilometer entfernt liegt. Auch zur

nächsten bewohnten Insel Pitcairn sind es

fast 2000 Kilometer. Die Insel hat Archäo-

logen viel zu bieten (unten ). Am Anakena-

Strand landeten vermutlich die ersten

Siedler. Weitere archäologisch bedeutsame

Orte sind die Kraterseen Rano Kau, Rano

Aroi und Rano Raraku sowie die Halbinsel

Poike. Schwarze Punkte in der Karte mar-

kieren die so genannten Ahus – Steinplatt-

formen für die eindrucksvollen Statuen.

Hawaii

Samoa

Marshall-Inseln

Kiribati Galápagos-Inseln

Marquesa-Inseln

Fidschi

Tonga

Neuseeland

Französisch-Polynesien

Pitcairn Osterinsel(Rapa Nui)

RanoKau

Osterinsel

(Rapa Nui)

Ahu (Steinplattform)

0 1 2 3 Kilometer

Südpazifischer Ozean

RanoAroi

Anakena

RanoRaraku

Poike

BEIDE KARTEN: TOM DUNNE

40  SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Q  DEZEMBER 2006

  ARCHÄOLOGIETITEL

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trockenes Gras, Farne und anderes. AuchÜberreste der harten Schalen des Pal-mensamens waren jünger als 1250 n.Chr. Orliac stellte fest: Es gab auf der In-sel noch mindestens zehn Baumarten, alsdie ersten Europäer landeten.

 Auch die Ökologen Andreas Miethund Hans-Rudolf Bork von der Christi-an-Albrechts-Universität in Kiel unter-suchten die Umweltkatastrophe auf RapaNui. Dabei konzentrierten sie sich aufdie Poike-Halbinsel. Wie ihre Analysezeigte, gediehen dort  Jubaea -Palmenwäl-der offenbar bis etwa 1280, dann setztedas große Sterben ein.

Mieth und Bork fanden im Übri-gen auch heraus, dass die Rapanui zu-nächst die Bäume fällten und dann dieStümpfe abbrannten – daher die Spurenvon Brandrodung in den archäologischenSchichten. Und schließlich: Vor drei Jah-ren nahm der Geologe Dan Mann mitKollegen Bodenproben an verschiedenenOrten auf der Osterinsel. Sie fanden Hin-weise auf Bodenerosion, die nach Radio-karbonmessungen an kleinen Proben baldnach 1200 begonnen haben muss.

Archäologie per SatellitDamit war das Modell der hausgemach-ten Umweltkatastrophe scheinbar gut ab-gesichert. Offenbar lebten vor 1200 nurwenige Menschen auf der Insel, danach

begann das große Palmensterben, Indizeiner extensiv lebenden, zu großen Po-pulation.

In den vergangenen Jahren arbeitetenmeine Studenten und ich jeweils für einbis zwei Monate auf der Insel. Carl P.Lipo von der kalifornischen Staatsuni-versität in Long Beach schloss sich unsan. Er ist Experte in der Auswertung vonSatellitenbildern unter archäologischenFragestellungen.

Zum Beispiel entdeckte er mit dieserMethode vorgeschichtliche Wege, auf de-

nen die Rapanui einst die riesigen Sta-tuen vom Steinbruch in Rano Raraku inentlegene eile der Insel beförderten. Wirfolgten diesen Pfaden und fanden amEnde einige bislang nirgends verzeich-

   C   O   R   B   I   S

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Q DEZEMBER 2006 41

r  Der Raubbau an den Wäldern dien-

te nach landläufiger Meinung zur

Gewinnung von Rollen und Seilen, wel-

che man zum Transport und Aufrichten

der Moai benötigte. Doch dann kämen

30 000 Palmen auf jede Statue.

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nete Moai. Vor zwei Jahren nun unter-

nahmen wir erste Grabungen in Anake-na, an einem der wenigen Sandsträndeder Insel. Andernorts versperren Klippenden Zugang – Anakena ist nach Ansichtvieler Forscher wahrscheinlich der Lan-deplatz der ersten Siedler und demzufol-ge auch der Standort des ersten Dorfs.

Eine Grabung an einem Sandstrandist eine gefährliche Angelegenheit, dennder Boden ist weich und nachgiebig. Beieiner iefe von einigen Metern wurdeder Aufenthalt in den Gruben immer ris-kanter. Galoppierte ein Reiter vorbei, vi-

brierte der Sand und wir hatten Angst,lebendig begraben zu werden.Doch es ging alles gut und schließ-

lich erreichten wir Lehmboden (Grafik c  oben). In dessen ersten drei bis fünf Zen-timetern fanden wir einige Holzkohle-stückchen, wohl von Feuerstellen, außer-dem Obsidianklingen und Knochen, da-runter auch die der Polynesischen Ratte,die wie auf anderen Inseln auch mit denSiedlern gekommen war. Unter dieserSiedlungsschicht aber kam nichts zumVorschein, was eine Gegenwart von Men-

schen bezeugt hätte. Stattdessen stießen

wir auf Hohlräume im Lehm – Abdrücke

längst vergangener Palmenwurzeln. Wenn dies der Ort der Ankunft undder ersten Niederlassung war, sollten dieHolzkohlen uns den Zeitpunkt der Kolo-nisierung genau verraten. Entsprechendenttäuscht war ich, als das mit der Radio-karbondatierung befasste Labor per E-Mail mitteilte, die ältesten Proben seiengerade mal 800 Jahre alt. Konnten sie beider Entnahme mit »modernem« Kohlen-stoff verunreinigt worden sein?

Das Rätsel von Anakena

Dagegen sprach, dass das Altersprofil an-sonsten sehr genau den Erwartungen ent-sprach: Je weiter oben wir eine Probe ge-nommen hatten, desto jünger datiertensie die Experten im Labor (siehe Kasten).

 War Anakena nicht der Ort der erstenNiederlassung? Oder begann die Besied-lung Rapa Nuis entgegen landläufigerÜberzeugung erst um 1200?

Ich sprach mit meinem Freund undKollegen Atholl Anderson von der Aus-tralian National University in Canberra.Er hatte in Neuseeland Ähnliches erlebt:

 Aus Radiokarbondaten schloss er, die ers-

ten Siedler seien um 1200 n. Chr. dort

angelangt, einige hundert Jahre später alsvermutet. Zunächst mochte ihm niemandGlauben schenken, doch mit der Zeit er-wies sich seine Messung als richtig.

Derart ermutigt kehrte mein eam2005 nach Anakena zurück, dessen beson-dere Zugänglichkeit an der Küste dafürspricht, dass sich dort mit die ältestenSpuren menschlicher Besiedlung der Inselfinden lassen müssten. Wir gruben an ei-ner anderen Stelle, legten die Lehmschichtgroßflächig frei und entnahmen wiederProben. Sie bestätigten den ersten Befund.

Demnach wäre die Insel 300 bis 400 Jahre später in Besitz genommen worden,als frühere Untersuchungen dies nahe-legten. Wie ließ sich dieser Widersprucherklären? Atholl Anderson hatte in seinerBeweisführung die entsprechenden Stu-dien noch einmal evaluiert und dabeisehr strenge Kriterien an die Verlässlich-keit der Radiokarbondatierung gestellt.Lipo und ich gingen nun ebenso vor undbegutachteten insgesamt 45 Publikati-onen, die eine menschliche Präsenz aufder Insel vor mehr als 750 Jahren be-

haupteten. Waren beispielsweise Reste

Radiokarbondaten machen Geschichte

Frühere Studien, die menschliche Präsenz auf der Insel belegen

(Holzkohlestückchen etwa deuten auf Feuerstellen hin), ergaben

mit Hilfe der Radiokarbonmethode 45 Datierungen älter als 750

Jahre (Grafik a ). Als jedoch der Autor dieses Artikels und sein

Kollege Carl Lipo die Studien unter strengen wissenschaftlichen

Kriterien beleuchteten, reduzierte sich die Zahl der Proben auf

neun (dunkel schattierte Balken). Die Mehrzahl davon hatte ein

Radiokarbonalter von 900 Jahren, stammt also aus der Zeit um

1200 n. Chr. Dazu passen Untersuchungen des Waldschwunds,

der etwa zur gleichen Zeit einsetzte (Grafik b ).

2004 und 2005 leitete der Autor Grabungen am Anakena-Strand , an

dem sich nach Ansicht der meisten Forscher die ersten Siedler

der Osterinsel niedergelassen hatten. In der Lehmschicht unter

dem Sand fand das Team Hinweise, dass die Rapanui erst vor

900 »Radiokarbonjahren« auf die Insel gekommen sind, was

nach den üblichen Korrekturen etwa dem Jahr 1200 n. Chr. ent-

spricht (Grafik c ). Acht Datierungen (mit Fehler-Balken) von Holz-

kohleproben sind in die Formationsschichten eingetragen, in de-

nen sie bei den Grabungen gefunden wurden (die Schichten

sind nicht maßstabsgerecht dargestellt).

   Z  a   h   l   d  e  r   P  r  o   b  e  n

   Z  a   h   l   d  e  r   P  r  o   b  e  n

Alter (in »Radiokarbonjahren«) Alter (in »Radiokarbonjahren«)

25

20

15

10

5

0

10

8

6

4

2

0

2400 2200 2000 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 1200 1000 800 600 400 200 0

Nachweise fürmenschliche Präsenz

Nachweise fürWaldschädigung

1 1 1

3

6

22

11

5

7

9

8

2

7

3

a b 

42  SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Q  DEZEMBER 2006

   B   E   I   D   E   D   I   A   G   R   A   M   M   E  :   S   T   E   P   H   A   N   I   E   F   R   E   E   S   E   U   N   D   A   M   O   S   E   S   T   Y

  ARCHÄOLOGIETITEL

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von Meerestieren zur Datierung verwen-

det worden, schied sie aus, denn die ierekonnten älteren Kohlenstoff über dieNahrungskette aufgenommen haben.Ebenso sortierten wir Messungen aus, dienicht durch eine zweite Probe aus demgleichen archäologischen Umfeld bestä-tigt worden war. Am Ende verbliebennur neun Ergebnisse in der Liste und da-von deutete nur noch eines auf eine Be-siedlung vor 1200 n. Chr. hin, doch dieMessungenauigkeit umfasste eine Zeit-spanne von 657 bis 1180, die Studie waralso mit unserer Tese vereinbar.

Das Bemerkenswerteste an ihr ist –der neu bestimmte Zeitraum der Koloni-sation deckt sich mit der Chronologieder Entwaldung, wie sie Orliac, Mann,Mieth und Bork gefunden haben. Mitanderen Worten: Wir müssen Ab-

feiner Sand

mittlerer Sand

sandiger Lehmboden

Geröll und Sand

Lehm

2004

2005

Alter (in »Radiokarbonjahren«)

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

   F  o  r  m  a   t   i  o  n  s  s  c   h   i  c   h   t  e  n

1000 900 800 700 600 500

c  Profil des Anakena-Strands

r Über Jahrtausende bedeckten Pal-

men der Gattung Jubaea   große

Teile der Insel (im Bild die Art Jubaea

chilensis  aus Chile). Heute wirkt die Land-

schaft karg und eintönig.

   A   G .   F   O   C   U   S   /   S   P   L

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Q DEZEMBER 2006 43

   B   A   R   B   A   R   A   A   U   L   I   C   I   N   O

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schied von der Vorstellung nehmen, einekleine Bevölkerung hätte jahrhunderte-lang im Einklang mit der Natur gelebtund sei dann rasend schnell mit allenKonsequenzen angewachsen. Die Um-weltkatastrophe setzte vielmehr mit der

 Ankunft der Polynesier ein! Doch warensie auch die Urheber, die Schuldigen? Ichglaube, das Schreckensszenario à la JaredDiamonds »Kollaps« ist auch sonst nichtder Weisheit letzter Schluss.

3000 oder 15000 Einwohner?

Die ersten Siedler kamen um 1200 n.Chr., realistisch geschätzt dürften es etwafünfzig Personen gewesen sein. Wie in an-deren Pazifikregionen auch wird sich dieseUrbevölkerung um rund drei Prozent pro

 Jahr vermehrt haben. Nach einem Jahr-

hundert lebten auf Rapa Nui wohl mehrals tausend Menschen. Bis 1350 waren esvermutlich dreimal so viel, die be-schränkten Ressourcen setzten weiterem

 Wachstum Grenzen und bis zum Eintref-fen der Europäer blieb die Einwohnerzahlkonstant bei etwa 3000 Personen. Auf kei-nen Fall lebten auf Rapa Nui jemals dievon Diamond geschätzten 15000.

Natürlich haben diese Menschen Bäu-me gefällt, um Bau- und Feuerholz zugewinnen. Für die rasante Entwaldungscheint mir das als Erklärung aber noch

nicht ausreichend. Doch im Gefolge derMenschen kam ein weiterer Umwelt-schädling auf die Insel, einer, der sichwesentlich stärker vermehrt: die Poly-nesische Ratte (Rattus exulans). Ob sie alsblinder Passagier oder als Fleischlieferant

mit an Bord war, die neue Heimat botden ieren ausgezeichnete Lebensbedin-gungen: nahezu unbegrenzte Mengenhochwertiger Nahrung und – vom Men-schen abgesehen – keine natürlichenFeinde. Unter solch optimalen Umstän-den können Ratten etwa alle sechs bissieben Wochen ihre Population verdop-peln. Aus einem einzelnen Pärchen wür-den dann in nur drei Jahren theoretischfast 17 Millionen iere.

Der Wirklichkeit näher kommt wohlein direkter Vergleich. Im Kure-Atoll aufHawaii – das auf einem ähnlichen Brei-tengrad wie Rapa Nui liegt, aber wenigerNahrung bietet – betrug die Populations-dichte der Polynesischen Ratte in den1970er Jahren etwa 110 iere pro Hekt-ar. Rechnet man dies auf Rapa Nui um,erhält man eine Population von insge-samt 1,9 Millionen Ratten. Berücksich-tigt man das um 1200 üppigere Nah-rungsangebot, wären auch mehr als dreiMillionen iere nicht unrealistisch. Die-

Verbreitete Sicht der Rapanui-Historie

Revidierte Fassung

Siedler erreichendie Insel, dieBevölkerungwächst langsam.

Bau derAhus undMoai beginnt.

Die wachsendeBevölkerung holztdie Wälder ab.

Die Abholzungsrateerreicht ihren Höhepunkt;die Bevölkerung bestehtaus 15 000 bis 20 000

Individuen.

kaum noch Wald;Kriege; Hungersnot;schließlich Zu-sammenbruch

der Gesellschaft

Die ersten Europäertreffen ein und finden eineverbliebene Bevölkerungvon 2000 bis 3000 Indi-

viduen vor.

Siedler erreichen dieInsel, mit ihnen Ratten.Beide Populationenwachsen schnell. Bau derAhus und Moai beginnt.

Die Bevölkerung wächst und scha-det dem Wald durch Abholzung;Ratten fressen Palmensamen undverhindern damit die Regenerationder Wälder.

Die Insel ist weit gehendentwaldet; nun dienenPflanzen und Gras anStelle von Holz als Brenn-stoff; die Bevölkerungs-zahl bleibt unverändert.

Die ersten Europäerkommen und findeneine Bevölkerungvon 3000 Individuenvor; es gibt kaumnoch Wälder.

800 900 1000 1100 1200 1300 1400 1500 1600 1700 1800

Größte Bevölke-rungsdichte mit 3000Individuen; der Raub-bau an den Wälderngeht weiter.

44  SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Q  DEZEMBER 2006

u Ob die Bewohner der Osterinsel

ihre natürlichen Ressourcen durch

exzessives Bevölkerungswachstum und

kurzsichtige Ausbeutung selbst zerstör-

ten, ist auch eine Frage des Zeitpunkts:

Wann kamen die ersten Siedler?

 lDie Polynesische Ratte frisst auch

Palmensamen und behindert so die

Vermehrung der Pflanzen.

   O   K   A   P   I   A

   S   P   E   K   T   R   U   M   D   E   R   W   I   S   S   E   N   S   C   H   A   F   T

  ARCHÄOLOGIETITEL

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Thomas DitzingerIllusionen des Sehens

Warum sind nachts alle Katzen grau underscheinen dabei langsamer als bei Tag?Warum sehen Frauen anders als Männer?Warum ist der Himmel blau, die unterge-hende Sonne rot und manchmal – ganzselten – sogar grün? Warum brauchen wirzwei Augen? Wie wird der schiefe Turmvon Pisa durch die richtige Farbwahl gera-de? Wie kann man aus Farbe Bewegungund aus Bewegung Farbe machen? Ant-worten auf diese und viele andere Fragenführt dieses anschauliche Buch des Se-hens vor Augen. In überraschenden Ex-perimenten kann der Leser die Illusionendes Sehens und die erstaunlichen Seitenseiner eigenen Wahrnehmung selbst ent-

decken. „Thomas Ditzinger verrät Tricks und Tipps, wie man spielerisch und mit Spaß den

neuesten Stand der Kognitionsforschung

verstehen kann.“ Literatur-Report

Warum sehen Frauenanders als Männer?

2006,262 S., 240 Abb., geb.

u (D) 25,– / u (A) 25,70 / sFr 39,–ISBN 3-8274-1695-7 (978-3-8274-1695-7)

Richard Dawkins

Das egoistische Gen

Sind wir Marionetten unserer eigenen Gene?

Nach Richard Dawkins´ vor 30 Jahren ent-worfener und heute noch immer provozie-render These steuern und dirigieren unserevon Generation zu Generation weitergege-benen Gene uns, um sich selbst zu erhalten.Alle biologischen Organismen dienen somitvor allem dem Überleben und der Unsterb-lichkeit der Erbanlagen und sind letztlichnur die „Einwegebehälter“ der „egoisti-

schen“ Gene. Diese Jubiläumsausgabe ent-hält jeweils ein neues Vorwort von RichardDawkins und Wolfgang Wickler.

Dawkins’ Klassiker immer nochaktuell und provozierend

     ▼

2.Aufl.2006,432 S.,kart.

u (D) 16,– /u (A) 16,50 / sFr 25,–ISBN 3-8274-1839-9978-3-8274-1839-5

Jens GallenbacherAbenteuer Informatik

Wollten Sie nicht schon immer mal wissen, wiedas Internet oder moderne Routenplaner funk-tionieren ? Wie sicher Internet-Banking ist undwarum? Wie man so viel Musik in so einen klei-nen MP3-Stick packt?In diesem Buch stehen nicht nur die Antworten,

sondern Sie können diese selbst auch experi-mentell nachvollziehen! Und weil man in diegrauen Kisten nicht gut hineinschauen kann, umihnen zuzusehen, werden sie hier auch gar nichtverwendet: Papier und Bleistift, Spielkarten oderandere einfache Hilfsmitteln sorgen für den kla-ren Durchblick! Bis auf einen Stift und eineSchere sind alle notwendigen Materialien hierim Buch vorhanden – einfach loslegen und dieAHA-Erlebnisse genießen...Das Buch ist für alle da, die schon immer

mal hinter die Kulissen der Wissenschaft

Informatik schauen wollten!

 N e u !

J u b i l ä u m s -

 a u s g a b e !

Warum haben wir fünf Finger,Rückenschmerzen und knackende Knie?

     ▼

2006, 208 S., 150 Abb., geb. m. SUu (D) 48,– / u (A) 49,40 / sFr 74,–ISBN 3-8274-1727-9978-3-8274-1727-5

R. McNeill Alexander

Knochen!Was uns aufrecht hält – das Buch zummenschlichen Skelett

Das menschliche Skelett ist kein unbelebtes Ge-rüst, sondern ein vitales Organ, das uns jedenTag gute Dienste leistet. Die wunderbare Formunserer Knochen, ihre Anordnung im Skelett undauch ihre Entwicklung und mikroskopische Struk-tur werden in diesem fachkundigen und gut les-baren Buch dem Leser auf einmalige Weise nä-her gebracht. Experimente zum Selbstversucherlauben es ihm zudem, seinen eigenen Körperzu erforschen, und verhelfen zu überraschendenEinsichten. Aaron Diskins 115 Farbfotografiensind wahre Kunstwerke, welche die bestechendeÄsthetik menschlicher Knochen zeigen.Dies ist Ihr Körper!

 N e u !

 N e u !

 M i t  B a s t e l b ö g e

 n

Wolfgang Steinig

Als die Wörter tanzen lernten

Wie und warum entstand Sprache? Warumwurden Wörter und Grammatik notwendig?Hat sich „der Aufwand gelohnt“? WolfgangSteinig macht sich daran, diesen und zahlrei-chen weiteren Fragen auf den Grund zugehen und mit einer neuen Theorie zu beant-worten. Seine These: Die Entwicklung desTanzens in der frühen Menschheitsgeschichtehängt unmittelbar mit der Evolution vonGrammatik zusammen – die Wörter musstengewissermaßen das Tanzen lernen, um ihrenSiegeszug als einzigartiges und höchst varia-bles Kommunikationsmittel anzutreten.

Wie und warumentstand Sprache?

2006, ca.448 S.,geb.m. SU

u (D) 24,– /u (A) 24,70 / sFr 37,–ISBN 3-8274-1560-8978-3-8274-1560-8Erscheint Nov. 2006

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se Ratten ernähren sich unter anderemvon Samen. atsächlich weisen fast alleSchalen von Palmsamen, die Archäolo-

gen auf Rapa Nui gefunden haben, ein-deutige Nagespuren auf. Andere Untersuchungen im Pazifik-

raum bestätigten, dass die gefräßigeniere maßgeblich zur Entwaldung beitra-gen können. Zum Beispiel auf Oahu, ei-ner Insel des Hawaii-Archipels, die um900 n. Chr. besiedelt wurde. atsächlichentdeckte der Archäologe J. Stephen

 Athens vom International ArchaeologicalResearch Institute in Honolulu, dass die

 Wälder der Ewa-Ebene von diesem Zeit-punkt an bis 1100 n. Chr. zu Grunde

gingen. Aber: Es lebten damals keineMenschen in dieser Ebene, auch klima-tische Veränderungen waren kein Grund.Doch mit den Pionieren ging die Polyne-sische Ratte an Land und sie verbreitetesich nachweislich auch in die Ewa-Ebene.

Ratte oder Mensch?Paläobotaniker konnten auch auf ande-ren Inseln zeigen, dass dieses ier die ur-sprüngliche Pflanzenwelt schädigt. Wirddie Rattenpopulation aber gezielt dezi-miert, erholt sich die Vegetation oft

schnell. Und auf der Nihoa-Insel im

Nordwesten Hawaiis, wohin den archäo-logischen Befunden zufolge offenbar nie-mals Ratten gelangten, existiert die ur-

sprüngliche Pflanzenwelt noch heute –trotz menschlicher Besiedlung in derVorgeschichte.

Ich bin deshalb sicher, dass dieserSchädling großen, vielleicht den entschei-denden Anteil am Verlust der Palmen-wälder auf Rapa Nui hatte. Das bestätigtauch eine Analyse von Sedimenten ausRano Kau. Noch bevor die Menschenausgiebigen Gebrauch von Feuer mach-ten, ging die Zahl der Pollen offenbar zu-rück, mit anderen Worten: Die Wälderstarben nicht durch Brandrodung.

 Als Roggeveen 1722 landete, gab esnur noch wenige Bäume auf der Oster-insel, doch der Verlust der Palmenwälderhatte keinen Kollaps der Gesellschaft zurFolge gehabt. Den lösten erst die weißenEntdecker aus. Kaum hatten die hollän-dischen Seeleute ihren Fuß auf Rapa Nuigesetzt, da fielen schon die ersten Schüsse.

 Wegen angeblicher Drohgebärden starbenein Dutzend Insulaner. Gewalt, Seuchenund schließlich die Sklaverei dezimiertenihre Zahl weiter. Anfang der 1860er Jahrewurden über tausend Rapanui als Sklaven

deportiert; gut ein Jahrzehnt später lebten

Terry L. Hunt lehrt seit 1988

Anthropologie an der Univer-

sität von Hawaii in Manoa.Hunt unternimmt seit fastdreißig Jahren archäolo-gische Feldstudien auf Pazi-fikinseln. Zurzeit ist er Leiter

der Rapa Nui Archaeological Field School der Uni-

versität von Hawaii.

© American Scientist 2006www.americanscientist.org

Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oderuntergehen. Von Jared Diamond, Fischer-VerlagFrankfurt, 2006

Late colonization of Easter Island. Von Terry LeeHunt und Carl P. Lipo in: Science, Heft 311, März

2006, S. 1603

Prehistoric destruction of the primeval soils andvegetation of Rapa Nui. Von D. Mann et al. in:Easter Island: Scientific exploration into theworld’s environmental problems in microcosm.Von J. Loret und J. T. Tanacredi (Hg.). Kluwer Aca-demic, New York 2003, S. 133

Diminution and degradation of environmental re-sources by prehistoric land use on Poike Peninsu-la, Easter Island. Von A. Mieth und H.-R. Bork in:Rapa Nui Journal, Band 17, Heft 1, 2003, S. 34

Weblinks zu diesem Thema finden Sie unter www.

spektrum.de/artikel/856010.

    A    U    T    O    R    U    N    D    L    I    T    E    R    A    T    U    R    H    I    N    W    E    I    S    E

 l Der Mensch als Zerstörer seiner

Umwelt – dieses Bild kolportierte

auch »Rapa Nui« (1996), ein Film über

Konkurrenz und Gewalt auf der Osterinsel

und: über das menschengemachte Pal-

mensterben.

CINETEXT

nur noch etwa Hundert von ihnen auf derInsel. In den 1930er Jahren prangerte derfranzösische Ethnologe Alfred Metrauxdiesen Genozid an als »eine der scheuß-lichsten Gräueltaten, die Weiße in derSüdsee begangen haben«.

Ich weiß, dass sich die Welt heute ineiner in diesem Ausmaß noch nie da ge-wesenen ökologischen Krise befindet.

 Anschauliche Beispiele für die Folgenmenschengemachter Umweltzerstörungsind im Kampf gegen Ignoranz undSelbstsucht von enormer Bedeutung. Da-her war mir nicht wohl, als ich zu demSchluss kam, Rapa Nui sei dafür nichtgeeignet. Jedenfalls nicht als Metapherfür eine Ressourcenausbeutung. Wennuns Rapa Nui etwas lehren kann, danndies: Ökosysteme sind komplex undnoch viel zu wenig verstanden.

46  SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Q  DEZEMBER 2006


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