Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1935
Die Einführung des neuen Kalenders in Graubünden
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
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1935 Die Einführung des neuen Kalenders in Graubünden Dr. Joh. Jakob Simonet Bündnerisches Monatsblatt, Nr. 10. 1935. Seite 299-311 und 346-352.
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Der gregorianische Kalender und seine Einführung
in Graubünden.
von Dr. J. J. Simonet, Kanonikus, Chur.
S. 299: Der Völkerbund hat sich schon wiederholt mit der Kalenderreform beschäftigt.
Doch bleiben diese Bestrebungen nur tastende Versuche. Freilich scheinen
diese modernen Reformbestrebungen nicht von der exakten Wissenschaft
gefordert zu sein, sondern ihren Grund mehr in handels- und
verkehrspolitischen oder in gesellschaftlichen Rücksichten zu haben. Man hat
meistens keine Ahnung, was eine Kalenderreform für Schwierigkeiten bietet
und welche Widerstände sie zu überwinden hat. Das ausgehende 16., das ganze
17. und teilweise noch das 18. Jahrhundert haben solche Kalenderkämpfe
gesehen. Doch selbst in grossen wissenschaftlichen Werken findet man leider
nur wenig historisches Material zur Beleuchtung dieser Kämpfe.
In Graubünden tobte der Kalenderstreit lange in besonders heftiger Weise.
Doch erfährt man aus der reichen historischen Literatur Graubündens nicht
sehr viel darüber. Grundlegend zur Lösung dieser Frage ist ein Vortrag des
Professors J. Bott, des späteren Rektors an der bündnerischen Kantonsschule.
Diesen Vortrag hielt Bott am 10. Mai 1862 im Schosse der Gemeinnützigen
Gesellschaft und publizierte ihn in der bündnerischen "Wochenzeitung" 1862
Nr. 12-19 unter dem Titel: Der neue Kalender und seine Geschichte in
Graubünden. Der Verfasser hatte den Auftrag erhalten, über Herausgabe eines
geeigneten Kalenders von Seiten der Gemeinnützigen Gesellschaft Anträge zu
stellen. Sein Zweck war somit nicht, eine Geschichte des Gregorianischen
S. 300: Kalenders zu schreiben. Bott publizierte im folgenden Jahre, 1863, bei
Wilhelm Engelmann in Leipzig den gleichen Aufsatz unter dem Titel: Die
Einführung des neuen Kalenders in Graubünden. Hier ist nun der historische
Charakter der Broschüre schärfer betont. In der Tat bietet Bott auch die
eingehendste Geschichte über die Einführung des Gregorianischen Kalenders
in Graubünden, doch kann dieselbe auf lückenlose Vollständigkeit keinen
Anspruch machen, denn die Einführung des genannten Kalenders in den
katholischen Hochgerichten Bündens ist darin nicht behandelt.
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Auf Bott stützen sich Mohr1 und Sprecher2, doch zeichnet sich der letztere aus
durch grössere Klarheit und Bestimmtheit.
Im Jahre I932 waren 350 Jahre verflossen seit der Annahme des
Gregorianischen Kalenders in der katholischen Schweiz. Darum lohnt sich eine
neue Behandlung dieser Frage. Der neue Kalender war eine kulturelle Grosstat.
Das wird man erst begreifen, wenn man weiss, wie die Verbesserung der
julianischen Zeitrechnung zustande kam. Daher muss der ganze
Fragenkomplex behandelt werden, also:
1. Wie ist der Gregorianische Kalender entstanden und in der zivilisierten Welt
aufgenommen worden?
2. Wann wurde er in Graubünden eingeführt?
1.
I. Die Arten der Zeitrechnung entwickelten sich verschieden bei den alten
Völkern, und eine genaue Zeitberechnung war das Resultat langer
Beobachtungen und exakter Studien der alten Kulturvölker. Die Zeitmessung
beruht vielfach auf dem Duodezimalsystem mit der Grundzahl zwölf. Diese ist
teilbar durch 2, 3, 4 und 6. Alle Uhren zählen von 12 zu 12 Stunden. Jede
Stunde ist eingeteilt in 60 Minuten, das Fünffache der Grundzahl 12, jede
Minute hat 60 Sekunden, Die Winkel sind in 30 mal 12 Grade eingeteilt, der
Globus hat auch die gleiche Grundeinteilung, 12 sind die Monate des Jahres,
12 die Tierzeichen des Kalenders. Heute noch zeigen bedeutende
Mathematiker, wie Dr. Ulrich in Heidelberg, für dieses System grosse
Sympathien. Doch ist es in Geld, Mass und Gewicht durch das Dezimalsystem
endgültig verdrängt
S. 301: worden, obwohl die Grundzahl 10 nur durch 2 und 5 teilbar ist. Allen
Methoden der Zeiteinteilung lässt der Kalender volle Freiheit, ebenso der
Benennung der Wochentage, der Monatsnamen, z. B. Brachmonat, Heumonat
usw.
Alle diese Zeitmessungen sind Sache der Astronomen oder Mathematiker und
bedurften keiner Reform.
1 C. Mohr, Geschichte von Currätien (II. Teil, S. 235 ff.).
2 J. A. v. Sprecher, Geschichte der Republik der III Bünde im 18. Jahrhundert, II. Bd., S.
455-516.
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2. Die Schwierigkeiten entstanden bei der' Berechnung der Mond- und
Sonnenjahre und ihrer Übereinstimmung, wobei schon die Alten sich der
Schaltjahre oder Schaltmonate bedienten. Im Jahre 47 v. Chr. war bei den
Römern das Kalenderjahr 67 Tage vom tropischen Jahre entfernt. Julius Cäsar
bediente sich des alexandrinischen Astronomen Sosigenes und des Schreibers
M. Flavius, um eine Reform des Kalenders durchzuführen. Zuerst setzte er dem
Jahre 46 v. Chr. noch 67 Tage in zwei Monaten zu, so dass jenes Jahr 556 Tage
zählte. Die mittlere Dauer des Jahres wurde zu 365 Tagen und 6 Stunden
angenommen. Es wurde festgesetzt, dass auf drei gemeine Jahre von 365
Tagen ein Schaltjahr von 366 Tagen folgen sollte. Dieser Julianische Kalender
wurde von allen Völkern angenommen und verblieb in Kraft bis zur
Einführung des neuen Kalenders. Cäsar hatte jedoch das Jahr um 1/128 Tag zu
lange angesetzt, und in 128 Jahren kam der Kalender um einen Tag später als
das natürliche Jahr (mit anderen Worten, die Berechnung des Sonnenjahres
durch Cäsar war um 11 Minuten und 14 Sekunden zu lang). Der kirchliche
Festkalender geriet dadurch in Unordnung. Ostern, das nach den Beschlüssen
des Konzils von Nicäa am ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond
gefeiert werden sollte, entfernte sich mit der Zeit immer weiter vom wirklichen
Frühlingsvollmond.
Im 13. Jahrhundert wandte sich der berühmte Roger Bacon mit
Reformvorschlägen an den hl. Stuhl. Clemens VI. liess 1344 durch eine
Kommission von Fachgelehrten die Angelegenheit prüfen. Auf dem
Konstanzer und Basler Konzil wurde die Kalenderreform wieder
vorgeschlagen. Jedoch schien die Entscheidung noch nicht spruchreif. Sixtus
IV. berief den berühmten Johann Müller zu dieser Reform nach Rom, doch
starb der Gelehrte allzu früh, 1446, und die Absicht des Papstes war wieder
vereitelt. Auch unter Leo X., der die Angelegenheit mit Energie aufnahm,
gelangte sie zu keiner Entscheidung. Die Väter der Trienter
Kirchenversammlung hatten dringendere Aufgaben zu
S. 302: lösen und überliessen sie in der letzten Sitzung dem Papste. Allein die
folgenden Päpste kamen nicht zur Lösung der schwierigen Aufgabe.
3. Bott schreibt Seite 10: Ein katholischer Gelehrter, Aloisius Livius von
Verona, machte durch Beobachtung und Berechnung diese Verbesserung (des
Julianischen Kalenders) ausfindig, legte sie dem damaligen Papste Gregor
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XIII. zur Untersuchung vor und fand seinen Beifall, weshalb der berichtigte
Kalender den Namen des gregorianischen erhielt." Soweit Bott. So leichtfertig
trifft aber kein Papst eine Entscheidung von so weittragender Bedeutung. Das
ergibt sich aus folgender aktenmässigen Darlegung.
Livius oder Giglio Aloisius war Professor der Medizin auf der Universität
Perugia. Nach dem Tode dieses Mannes übergab sein Bruder Antonio Giglio
den Entwurf zur Reform des Kalenders dem Papste, der ihn durch eine
Kommission von Gelehrten prüfen liess. Unter Leo X. war der gelehrte
Kopernikus um seine Meinung angefragt worden. Er hatte sich dahin geäussert,
dass die Kenntnisse der Jahr- und Mondlänge zu einer sicheren Korrektur des
Kalenders ungenügend seien. Gregor XIII. wählte nun eine internationale
Kommission zum Studium der Frage. Dieselbe liess durch den berühmten
Mathematiker, den Dominikaner Danti, mit Hilfe des in einer Kirche zu
Bologna aufgestellten, 67 Fuss hohen Gnomons das Äquinoktium bestimmen.
Dasselbe war durch den Fehler des Julianischen Kalenders auf den 1. März
zurückgegangen.
Nachdem diese Tatsache durch eine vollständig einwandfreie Beobachtung
festgestellt worden war, bewog der spätere Kardinal Sirleto den Papst Gregor
XIII., die Frage noch durch eine weitere Prüfung klarzulegen. Der Entwurf
Giglios wurde daher durch einige Mathematiker Roms und Italiens genau
geprüft. Die Ergebnisse wurden der genannten Kommission unter dem Vorsitze
Sirletos übergeben. Mitglieder der Kommission waren: der deutsche Jesuit
Clavius, der Dominikaner Danti, der französische Bischof François de Candal.
Ein Auszug aus diesem Gutachten wurde vom Spanier Petrus Chacon aus
Toledo 1578 verfasst und an die Könige von Frankreich, Spanien, Portugal
sowie an einige Herzöge Italiens versandt und die Universitäten von Lille,
Köln, Löwen, Paris, Salamanca, Alcala und Krakau zur Begutachtung
aufgefordert. Die eingelaufenen Gutachten stimmten nicht alle
S. 303: miteinander überein. Ja es kam sogar vor, dass selbst eine und dieselbe
Universität nicht einig war, wie z.B. Löwen. Auch andere Gutachten liefen
noch ein.
Die Kommission hatte gegen Anfang des Jahres 1581 die Anträge fertig
gestellt. Unter dem 24. Februar 1582 erliess Gregor XIII, die Bulle Inter
gravissimas, durch welche der neue, sogenannte Gregorianische Kalender
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eingeführt wurde. Diese Verbesserung hatte somit der Papst mit grösster
Umsicht und Gewissenhaftigkeit, nach reiflicher Prüfung durch eine aus
Vertretern der verschiedensten Nationen bestehlende Kommission vornehmen
lassen. Sie ist wichtig und verdienstlich, so dass die noch bleibenden Mängel
völlig in den Hintergrund treten.
Der neue Kalender trat dadurch in Kraft, dass 1582 nach dem Oktober sofort
der 15. folgte, damit der alte Fehler von zehn Tagen ausgemerzt sei.
4. Es war selbstverständlich, dass der neue Kalender im Kirchenstaat sofort in
Kraft trat. Auch die anderen Staaten Italiens stellten der Annahme desselben
keine Schwierigkeiten entgegen. Der König von Spanien verfügte für sein
Weltreich die sofortige Annahme des Gregorianischen Kalenders. Damit war
derselbe auch für Amerika eingeführt, weil die Neue Welt damals unter
Spanien stand. Auch Portugal, Frankreich und Polen nahmen den neuen
Kalender ohne Schwierigkeiten an. Die katholischen Orte der Schweiz, Luzern,
Uri, Zug, Freiburg und Solothurn, machten auf der Tagsatzung vom 10.
November 1582 Anzeige, dass sie vom 5. bis 15. November 1583 den
Gregorianischen Kalender annehmen würden. Zugleich stellten sie den Antrag
auf allgemeine Annahme des neuen Kalenders, da die Mehrheit der in den
gemeinen Vogteien regierenden Orte sich für denselben erklärt hatte. Eine
solche Annahme betreffe die Religion in keiner Weise. Allein Zürich und Bern
protestierten und rüsteten zum Kriege. Erst am 24. Februar 1585 kam ein
Übereinkommen zustande, wonach nicht bloss die katholischen, sondern auch
die paritätischen Untertanenlande den neuen Stil annehmen durften. Auch die
Einberufung der Tagsatzung erfolgte nun nach dem Gregorianischen Kalender.
Sonst aber dauerte der Wirrwarr in der Eidgenossenschaft, der sich besonders
bei Abhaltung der Feiertage und Märkte kundgab, noch geraume Zeit fröhlich
fort.3
S. 304: Im deutschen Reiche führten der Herzog von Bayern, Wilhelm, und mehrere
geistliche Fürsten die verbesserte Zeitrechnung ohne Zögern ein. Kaiser Rudolf
II. nahm, obwohl er vom Papste durch Kardinal Madruzzo gedrängt wurde,
zuerst eine abwartende Stellung ein, bis er sich am 7. September 1583 zur
Publikation der Reform entschloss. Darauf folgten auch die übrigen
katholischen Stände nach. Kraft kaiserlicher Autorität wurde die Anordnung
3 Hürbin, Schweizer Geschichte II, S. 267.
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getroffen ohne Erwähnung des Papstes. Da Luther erklärt hatte, die Frage der
Kalenderreform sei keine religiöse und gehe lediglich die weltliche Gewalt an,
so durfte man mit Grund erwarten, die Protestanten würden sich der vom
Oberhaupte des Reiches verkündeten, sehr nötigen Neuerung fügen, die allen
billigen Ansprüchen vollauf genügte, und ein entschiedener Theologe, Martin
Chemniz, und der Görlitzer Patrizier Scultetius sprachen sich für Annahme des
neuen Kalenders aus. Allein sie wurden übertönt durch eine wilde Agitation,
die von der Sache gänzlich absah, die nur ihren Urheber, den Papst, als
leibhaftigen Antichristen, mit den rohesten Schmähungen überhäufte.
Besonders tat sich die Universität Tübingen hervor. Lukas Osiander
verkündete, Zweck des Kalenders sei die Störung des Religionsfriedens. Jakob
Heerbrand erklärte, hinter dem Kalender stecke der Satan. Zu den schon
bestehenden Streitigkeiten kam also in Deutschland noch der Kalenderstreit
hinzu. An manchen Orten verwehrten die Magistraten der katholischen
Geistlichkeit mit Gewalt die Annahme der neuen Zeitrechnung. Es kam an
manchen Orten auch zu Ausschreitungen des Pöbels und ernsten Unruhen.
Manche erwarteten, dass von Rom eine Verteidigung des neuen Kalenders
erfolgen werde. Das geschah zunächst nicht. Mit voller Ruhe ignorierte man
dort alle Angriffe und Beschimpfungen. Christof Clavius, der als Schöpfer des
neuen Kalenders dazu der berufenste Verteidiger war, antwortete auf alle
Einwürfe. Zwei grosse Astronomen stimmten diesen Ausführungen bei, der
Deutsche Kepler und der Däne Thicho Brahe.
Erst im Jahre 1700 gaben die Protestanten des Reiches, Dänemark, die
Mehrzahl der protestantischen Teile der Schweiz und der Niederlande ihren
Widerstand gegen den neuen Kalender auf. In England wurde der neue Stil
1752, in Schweden im folgenden Jahre, 1753, angenommen.
S. 305: Nur die dem griechischen Schisma ergebenen Staaten, an ihrer Spitze
Russland, hielten am Julianischen Kalender fest, wodurch sie seit 1. März 1900
um 13 Tage in der Zeitrechnung zurück waren. Während des Weltkrieges hat
als das erste der griechisch-orthodoxen Länder Bulgarien den Gregorianischen
Kalender eingeführt. Die griechisch-orthodoxen Diözesen in Galizien und ein
Teil der Türkei folgten.4
4 Pastor, Geschichte der Päpste, 9. Bd., S. 207-215.
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II.
Wie verhält es sich mit der Einführung des Gregorianischen Kalenders in
Graubünden?
Die Republik der III Bünde hat den nicht beneidenswerten Ruhm, in der
Kalenderfrage zu den rückständigsten Staaten gehört zu haben. Moor gibt in
seiner Geschichte zwei Gründe dafür an. Einmal sei der Kalender vom Papste
anbefohlen worden, der den Reformierten während der gärenden Periode des
Reformationszeitalters als leibhaftiger Antichrist galt. Der gemeine Haufe
glaubte, dass man ihn durch Annahme des neuen Kalenders katholisch machen
wolle. Hier traf man auf einen fanatischen Widerstand. So Moor5. Doch diesen
Grund konnten die Evangelischen in Deutschland auch vorschützen. Nachdem
aber sie und die reformierten Stände in der Eidgenossenschaft den neuen Stil
angenommen hatten, ohne in ihrer religiösen Überzeugung im mindesten
erschüttert zu werden, kann dieser Grund das weitere Verharren beim alten Stil
durch ein volles Jahrhundert wohl nicht entschuldigen.
Sodann bringt Moor einen zweiten Grund: Der Kalender habe beim Landvolk
eine grosse Bedeutung, ohne Kalender würde der Landmann seine
Bauernregeln vermissen, ja er würde ratlos dastehen. Auch dieser Grund darf
nicht als vollwertige Entschuldigung gelten. Im 16. und 17. Jahrhundert waren
die gedruckten Kalender sehr selten, kamen somit sicherlich nicht in jedes
Haus. In Chur erschien der erste Kalender erst 1719 bei Pfeffer (Alt und neuer
Schreibkalender). Darin figurieren Tabellen für Haar- und Nägelabschneiden,
Aderlass etc. Das sind doch kaum Angaben, ohne die der Landmann den Kopf
verliert. Auch die
S. 306: Bauernregeln kennt der Landwirt auswendig, sie wurden vom Vater auf den
Sohn überliefert, waren somit mehr Gegenstand der Tradition und finden sich
heute auch im neuen Kalender. Das Festhalten am alten Kalender lag mehr im
konservativen Sinn der Landbevölkerung begründet, der den Katholiken wie
den Protestanten eigen ist. Sicher herrschte also im gesamten Volke der
rätischen Alpen eine grosse Abneigung gegen den neuen Kalender, der durch
Regelung der Feste und Arbeitstage vom gesamten Volke tief empfunden wird.
Untersuchen wir nun im einzelnen, wie der katholische und evangelische Teil
Graubündens sich dem neuen Kalender gegenüber verhielt.
5 C. Moor, Geschichte von Currätien und der Republik "gemeiner drei Bünde", II, S. 233.
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1. Die Stellungnahme der Katholiken war gegeben. Man musste der
päpstlichen Anordnung sich fügen. Historische Angaben besitzen wir aber
leider sehr wenige. Es ist ohne weiteres anzunehmen, dass der h1. Karl
Borromäus bei seinem Besuche in der Mesolcina im Herbste 1583 auch für den
neuen Kalender eingestanden sei, und dass die Mesolcina von diesem Jahre an
nach dem neuen Stile sich richtete. Positive Angaben darüber fehlen uns aber.
Der damalige Churer Bischof Peter Rascher war jedoch allzu schwach, um in
dieser Frage selbständig vorzugehen. Ja er scheint sogar zu einem Gegenschlag
sein Schwert erhoben zu haben. Gregor XIII. hatte für die ganze Kirche das
römische Brevier herausgegeben. Die Kalenderreform stand damit in
Zusammenhang. Nun aber edierte Peter Rascher das alte Churer Brevier und
sagte dadurch: Wir bleiben in Chur beim alten, im Brevier und Kalender.
Peters Nachfolger auf dem bischöflichen Stuhle zu Chur, der Engadiner Johann
v. Flugi, war ein äusserst kirchentreuer und gewissenhafter Bischof. Er
erachtete es daher für seine Pflicht, auch in der Kalenderfrage dem Befehle
Roms nachzukommen. Das Strafgericht von Thusis 1618 zog auch den Churer
Bischof vor seine Schranken. Es warf ihm u.a. vor, er habe den neuen Kalender
angenommen6. Einige Zeit hernach scheint der Bischof wirklich die
Einführung des neuen Kalenders wieder urgiert zu haben, denn am 31.
Dezember 1620 machte das Domkapitel dem Bischof ernste Vorstellungen:
Man könne nicht alles auf einmal
S. 307: erreichen. Die Einführung des neuen Kalenders sei gegenwärtig nicht
möglich.7
Es rückten nun die Österreicher ins Land und unterstützten den Bischof auf
allen Gebieten seiner Reformen. Der Bischof hielt daher die Zeit günstig für
die Einführung des neuen Kalenders. Dass er wirklich wieder mit dieser Frage
auf rückte, erfahren wir aus den Erlebnissen des Georg Heusler aus Tirol.
Dieser Geistliche des Bistums Chur musste auf Befehl des Bischofs seine
Erlebnisse in Bünden aus den Jahren 1618-1624 beschreiben. Er tat es im März
1644 in Rankweil Das Schriftstück liegt im bischöflichen Archiv. Über den
Gregorianischen Kalender schreibt Heusler:
6 Mayer, Geschichte des Bistums, II, S. 264.
7 Ebendaselbst S. 275.
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"1622. P. Fidelis hat mir zu Zizers in festo Annuntiationis B.V.M. im Pfarrhof
den neuen Kalender aus Befehl ihrer Gnaden das erste Mal anbefohlen in
Untervaz zu verkünden, welches bei Katholischen und Unkatholischen einen
grossen Unwillen gemacht. Auch hat P. Fidelis damals auf der Kanzel das erste
Mal zu Zizers den neuen Kalender verkündet. Wir aber haben damit eine
Zeitlang innehalten müssen."
Das ist nun alles, was wir urkundlich wissen über die Aufnahme des neuen
Kalenders bei den Katholiken in Graubünden. Man nimmt aber allgemein an,
dass die Beschlüsse des Trienter Konzils in ihrem ganzen Umfang im Bistum
Chur im Jahre 1624 angenommen worden seien. Da dieses Konzil die Revision
des Breviers und des Kalenders dem Papste überlassen und Gregor XIII. in
Ausführung dieses Befehles den Kalender verbessert und publiziert hatte, so
darf man billig annehmen, auch der neue Kalender sei bis 1624 bei den
Katholiken Graubündens zur Annahme gelangt. Tatsächlich wurde im Jahre
1643 das römische Brevier im Bistum Chur angenommen. Dasselbe musste
aber nach dem neuen Kalender eingerichtet und gebetet werden. So ist auch der
Ausdruck Heuslers: "Wir haben damit eine Zeitlang innehalten müssen" zu
verstehen, dass der Kalender im Jahre, wo er seine Erlebnisse niederschrieb,
angenommen war. Auch aus den Notizen des P. Isfried über den neuen
Kalender in Churwalden erfahren wir, dass in den IV Dörfern der neue
Kalender um die Mitte des 17. Jahrhunderts von beiden Konfessionen befolgt
wurde.
S. 308: Moor schreibt8: "Aus welcher Anregung hin die neue Zeitrechnung sich schon
in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Stadt Chur eingebürgert hatte,
ist uns nicht bekannt. Auch nicht das Jahr und die näheren Verumständungen.
Sicher ist nur, dass in einem stadträtlichen Ausschreiben vom Jahre 1645 die
Märkte nicht mehr nach der neuen Zeit, sondern nach der alten abzuhalten
befohlen wurde." Soweit Moor. Was er nicht sicher zu erklären weiss, scheint
uns nach dem Gesagten leicht erklärlich.
In Chur war der neue Kalender eingeführt, und von der österreichischen
Besatzung wurde der Bischof darin kräftig unterstützt. Die Franzosen, die 1624
unter de Coeuvres ins Land rückten, befolgten den neuen Kalender auch schon
und folgten ihm auch in Graubünden. Nachdem aber dieselben Franzosen unter
8 Moor, Geschichte, II, S. 233.
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Rohan das Land verlassen mussten und die III Bünde seit dem Jahre 1639
immer selbständiger wurden, durfte Chur es wagen, sich den anderen
protestantischen Gerichten anzuschliessen und wieder den alten Kalender
anzunehmen.
Unter den Katholiken bekamen die Churwaldner Katholiken, die unter
reformierter Mehrheit leben, die neue Zeitrechnung am spätesten. Aus dem
bischöflichen Archiv ergibt sich folgendes:
P. Isfried Weltin, Prämonstratenser aus Roggenburg und seit 1763
Pfarrverweser für die Katholiken Churwaldens, ging im Jahre 1767 daran, für
die katholische Pfarrei in Churwalden den Gregorianischen Kalender
einzuführen. Er setzte sich in Verbindung mit dem protestantischen Kommissar
Georg Brügger, wie man die Feste halten wolle, wenn der Kalender nur von
den Katholiken eingeführt werde. Der Kommissar meint, es gebe keine
Schwierigkeit, jede Konfession richte sich nach dem eigenen Kalender. In der
Nähe der Kirche dagegen dürfe nicht gearbeitet werden, auch dann nicht, wenn
nur die Reformierten ein Fest feiern. Dagegen erhob P. Isfried Widerspruch. In
der Nähe der Kirche habe besonders das Kloster Güter. Es wäre somit gesagt,
dass besonders die Angestellten des Klosters, d.h. Knechte und Mägde, an
protestantischen Festen an den Arbeiten gehindert seien. Wie wolle man sich
namentlich am Neujahr verhalten, wo
S. 309: die Kinder herumgehen, um beschenkt zu werden? Die katholischen Kinder
würden früher daran kommen. In den IV Dörfern, wo man paritätische
Bevölkerung habe, und in Bivio halte man sich auch an den neuen Kalender.
Diese Ausführungen sind mehrfach interessant. Daraus ersieht man, dass der
neue Kalender in den IV Dörfern und in Bivio eingeführt war und dass die
protestantische Minorität daselbst sich an katholischen Festen wenigstens der
knechtlichen Arbeiten enthielt, wenn sie vielleicht auch nicht dem neuen
Kalender folgte.
Auch berief sich der protestantische Kommissar auf eine Gewohnheit, dass
man in der Nähe der Kirche an Sonn- und Festtagen der einen Konfession jede
Arbeit mied, welche die Festtagsruhe der anderen Konfession stören konnte.
Damit aber ergaben sich viele Unannehmlichkeiten und Einschränkungen im
Erwerbsleben. Nehmen wir an, Pfingsten wäre nach dem neuen Kalender auf
den 2. Juni gefallen. An diesem Tage war für Katholiken das hohe Pfingstfest,
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am 3. Juni Pfingstmontag, am 4. Juni hatten die Protestanten nach dem alten
Kalender den Sonntag vor Pfingsten, also an drei Tagen durfte in der Nähe der
Kirche nicht gearbeitet werden. Am 9. Juni hatten die Katholiken wieder
Sonntag, den Dreifaltigkeitssonntag. Am Dienstag, 11. Juni, hatten die
Reformierten nach dem alten Kalender Pfingsten, am 12. Juni Pfingstmontag,
am 19. Juni war nach dem neuen Kalender Fronleichnam, also wieder an drei
Tagen jede Arbeit im Klosterhof verboten. Nur aus diesen Andeutungen ersieht
man, welche gewaltige Störung des Erwerbslebens aus den zwei verschiedenen
Zeitrechnungen sich ergaben. Die Katholiken hatten ferner zehn Tage früher
Neujahr. Die Kinder gingen in alle Häuser, um beschenkt zu werden, und als
die Ersten bekamen sie am meisten, sie nahmen gleichsam den Rahm weg.
Das alles ist in den Aufzeichnungen des P. Isfried enthalten. Eine
Verständigung mit den Protestanten war nicht zu erzielen. P. Isfried wurde mit
der Zeit für den Gedanken reif: Wir Katholiken gehen voran, die anderen
müssen dann folgen. Damit aber die Protestanten über die Neuerung der
Katholiken sich nicht allzu sehr aufregen, wollte P. Isfried zuerst die Obervazer
gewinnen. Er schrieb an den Landammann Bläsi und an die Kapuziner in
Obervaz. Im Frühling, Sommer und Herbst pflegten nämlich
S. 310: viele Obervazer in Sartons, Valbella und Canols nach Churwalden in die
Kirche zu gehen, weil sie dorthin in einer Stunde gelangten) während sie nach
Obervaz fast doppelt so lang hatten (in Lenzerheide stand damals noch keine
Kirche). In dieser Korrespondenz wird bemerkt, der Pater von Churwalden
pflege an den Festtagen des neuen Kalenders für die Obervazer später Messe
zu lesen, aber er predige nicht. Sonst richteten sich die katholischen
Churwaldner nach dem alten Kalender. Am Freitag nach dem alten Kalender
hatten die Obervazer Sonntag, nach dem neuen Kalender hatten die
Protestanten erst am Dienstag Sonntag. Nur für gewisse Festlichkeiten waren
diese doppelten Festtage den Arbeitsscheuen willkommen. So hätte man gerne
zweimal Neujahr gefeiert, nach dem neuen Kalender zwei Tage vor
Weihnachten des alten Kalenders.
P. Isfried schrieb auch an den bischöflichen Vikar in Lenz, um ihn für die
Sache zu gewinnen. Das war natürlich nicht schwer. Denn die katholische
Geistlichkeit war stets für den Gregorianischen Kalender, nach welchem man
sich in Obervaz und Lenz richtete. Es ist sehr begreiflich, dass P. Isfried an die
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Obervazer sich wendete. Denn die Obervazer hatten eine starke Faust, was sie
schon Ende des 15. Jahrhunderts gezeigt hatten, wo sie die Alpknechte der Alp
Stätz erschlugen. Auch hatte in den genannten Jahren Churwalden einen
heftigen Rechtsstreit mit Malix wegen eines Waldes. Die Churwaldner beider
Konfessionen buhlten deshalb damals um die Freundschaft der Vazer.
Es ist in der Korrespondenz das Endergebnis der Verhandlung leider nicht
verzeichnet. Doch kann man sicher annehmen, Katholisch Churwalden sei im
Jahre 1767 zum neuen Kalender übergegangen, wodurch die Stellung der
Protestanten stark beeinflusst wurde. Daher hört man später nicht, dass die
Landschaft Churwalden dem Übergang zum neuen Stile Schwierigkeiten
gemacht habe, wie Schanfigg und Prättigau.
In seiner Korrespondenz macht P. Isfried noch einige Bemerkungen, die
kulturelles Interesse beanspruchen. So schreibt er, es sei Brauch in
Churwalden, dass die Katholiken bei den Taufen neben zwei katholischen
Paten auch noch zwei bis drei protestantische Paten nehmen. Er müsse sich bei
der Taufe recht ärgern, wenn er so viele dastehen sehe, die nichts zu tun und zu
bedeuten haben. Aber Patientia,
S. 311: An Neujahr sei wieder Brauch, dass die Kinder zu den Göttis laufen, um die
Geschenke derselben in Empfang zu nehmen. Er habe darum diese Kinder
nicht in der Kirche. (Schluss folgt.)
S. 346: (Heft Nr. 11)
2. Wenden wir uns nun dem Verhalten der evangelischen Bevölkerung in der
Kalenderfrage zu.
Im Jahre 1584 fragten die katholischen Orte die Republik der III Bünde an, ob
man den Urkantonen bei Annahme des neuen
S. 347: Kalenders sich anschliessen wolle. Der grosse Januarkongress lehnte in seiner
Mehrheit die Annahme des neuen Stiles ab, legte aber die Frage dem
Bundstage vor. Die Mehren der Gemeinden waren so, dass die katholischen
Gemeinden den Gregorianischen Kalender anzunehmen bereit waren. Die
protestantischen Gerichtsgemeinden aber erklärten sich für Beibehaltung des
alten Stiles.9
9 Sprecher, II, S. 512.
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Oben wurde bereits ausgeführt, dass tatsächlich der neue Kalender wenigstens
in Chur um 1622 eingeführt war, aber nach zwei Dezennien wieder abgeschafft
wurde.
Nachdem Zürich, Basel, Bern und Schaffhausen 1701 zur neuen Zeitrechnung
übergegangen waren, erging wiederum an die Reformierten Bündens von
Zürich aus die Einladung, dem Beispiele ihrer dortigen Glaubensgenossen zu
folgen. Am 26. Oktober 1701 vermeinte Zürich, den Bündnern die Annahme
des neuen Kalenders um so mehr empfehlen zu sollen, als es sich um eine
religiös indifferente, aber für Politik, Verkehr und Handel wichtige Sache
handle, und weil der Übergang zum neuen Leopoldinischen Kalender nicht
vom Papste, sondern von den weltlichen Behörden anempfohlen werde.
Doch die Mehren der Gemeinden über den Kalender sprachen sich wieder mit
grosser Mehrheit gegen den neuen Kalender aus. So ruhte die Frage wieder für
lange Zeit.
In England und Schweden ging man im Jahre 1752/53 zum neuen Kalender
über. Dieser wurde nun in allen umgebenden Ländern beachtet. Man hatte
somit Zeit, über die Vortrefflichkeit des neuen Kalenders nachzudenken und
seine Erfahrungen zu machen. Nicht bloss unter den Gebildeten, sondern auch
unter dem Landvolk hörte man häufig Stimmen, welche die Nützlichkeit einer
gemeinschaftlichen Zeitrechnung für beide Konfessionen betonten.
Es traten denn auch einsichtige Männer für den neuen Kalender ein.
Erwähnung verdienen:
a) Am 23. Januar 1785 hielt Balthasar von Castelberg, Pfarrer in Almens und
Rodels, eine Predigt, die im gleichen Jahre bei Bernhard Otto in Chur gedruckt
und veröffentlicht wurde. Der Prediger warf eingangs die Frage auf, ob es sich
lohne, des Kalenders wegen so viel Aufsehen zu machen,
S. 348: Gemeindeversammlungen abzuhalten, miteinander zu hadern und sich
gegenseitig zu verleumden, den Landesvätern die Achtung zu verweigern,
eigensinnig beim alten zu verhauen, und weiser als andere Evangelische sein
zu wollen, namentlich in paritätischen Gemeinden die Eintracht zu
untergraben? Der Prediger widerlegt die etwa möglichen religiösen Bedenken
gegen den neuen Kalender und preist seine astronomischen, mathematischen
Vorzüge. Er betont ferner, dass gebildete Männer in fast allen Ländern sich für
die neue Zeitrechnung ausgesprochen, während eine Handvoll Glarner,
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Appenzeller und Bündner sich in den Kopf gesetzt hätten, weiser als andere
Leute sein zu wollen.
b) Noch wirkungsvoller war ein Beitrag zur Aufklärung über den neuen und
alten Kalender von Pfarrer und Professor Martin Planta10, erschienen 1753 in
deutscher, und 1785 in ladinischer und surselvischer Übersetzung.
Das Festhalten am alten Kalender sei eher dem Mangel an Aufklärung als etwa
dem Starrsinn zuzuschreiben. Planta argumentiert: Man sagt: Unsere Väter
waren kluge und weise Männer und sind beim alten Kalender geblieben. Wir
wollen nicht klüger und weiser sein, als sie waren. Darauf ist zu antworten: Es
ist wahr, dass unsere Väter weisere und klügere Männer waren, als wir sind.
Denn wo ihnen etwas Neues vorkam, welches sie annehmen oder verwerfen
sollten, sagten sie nicht: Unsere Väter haben es nicht angenommen, deswegen
wollen wir es auch verwerfen. Sondern sie sagten: Lasset uns alles prüfen und
untersuchen und das Gute behalten.
c) Ein eifriger Verfechter der alten Zeitrechnung war Ulrich Sturzenegger, der
den Appenzeller Kalender gründete. Dieser wurde darum von den Anhängern
der alten Zeitrechnung viel gekauft, und daher rührt auch die Popularität des
Appenzeller Kalenders in Bünden. Eine Schrift, die aber wahrscheinlich nicht
publiziert wurde, richtete darum eine beissende Satire besonders
S. 349: gegen diesen Ulrich Sturzenegger, welcher der grösste Kalendermacher, aber
auch der grösste Erzlügner sei11.
d) Pfarrer Andrea a Porta schrieb ein Gespräch zwischen einem von der
Universität zurückgekehrten Studenten und einem gestrengen Staatsmann,
beleuchtet den Gegenstand in fasslicher Weise und schliesst mit dem
Entschlusse des Beamten, seinen Einfluss für Einführung des neuen Stiles
einsetzen zu wollen.
Durch solche Schriften, durch den Verkehr mit Katholiken, die nach der neuen
Zeitrechnung sich richteten, durch die häufige Berührung mit den
10
Martin Planta von Süs (1727-72) studierte in Zürich Theologie und Mathematik, wirkte
als Pfarrer in London, als Erzieher im Hause des Generals von Planta, 1753 Pfarrer in
Zizers, gründete eine Erziehungsanstalt (Philanthropin), die in Haldenstein, Marschlins
und Reichenau bestand. Er erfand 1755 die Scheibenelektrisiermaschine, konstruierte
einen Apparat zur Beförderung von Schiffen und Wagen vermittelst der Dampfkraft,
wofür er von Ludwig XV. von Frankreich 100 Louis d'or als Gratifikation erhielt.
Sprecher, II, S. 455.
11 Bott, S. 29.
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Nachbarstaaten, die Einwanderung und Auswanderung protestantischer
Bündner mussten die Übelstände verschiedener Zeitrechnungen im
bürgerlichen Leben sich fühlbar machen und Vorurteile schwinden und die
Opposition gegen die verhasste Reform allmählich geschwächt werden. Nach
diesen Voraussetzungen können wir nun in Kürze den Verlauf der Annahme
des neuen Kalenders in Evangelisch-Bünden zeichnen, wobei das Werkchen
Botts die Grundlage bildet.
Die erste reformierte Gemeinde, welche die gregorianische Zeitrechnung
annahm, ist wahrscheinlich Puschlav. Nach dem Zeugnis des Pfarrers
Leonhardi fand hier die Annahme im Jahre 1756 statt. Dieses Vorgehen erklärt
sich aus der Lage der dortigen reformierten Bevölkerung. Diese befindet sich
im Tale in der Minderheit, war auch im Verkehr angewiesen auf das nahe
Veltlin, wo der Gregorianische Kalender galt. Dabei ist besonders zu beachten,
dass die Minorität in einer Gemeinde sich nach der Majorität richten musste.
Die Protestanten Puschlavs mussten somit an katholischen Festtagen sich
knechtlicher Arbeiten enthalten und ebenso an den Sonn- und Festtagen der
eigenen Konfession, Ungefähr gleichzeitig erklärte sich auch der reformierte
Teil von Brusio für den neuen Stil.
Viele Oberengadiner und Bergeller wanderten ins Ausland, besonders nach
Italien, wo der neue Kalender galt. Es ist daher begreiflich, dass sie sich an
denselben gewöhnt hatten und ihm auch in ihrer Heimat Eingang gewährten.
Am 16. Dezember 1782 fasste daher die Obrigkeit des Oberengadins zu
Samaden den Beschluss, die neue Zeitrechnung sei auf Anfang des Jahres 1783
einzuführen. An sämtliche Geistliche des Tales erging die Mahnung, sich bei
ihren Funktionen, an den Festtagen und Abendmahlsfeiern darnach zu richten.
S. 350: Diese Neuerung scheint in diesem Kreise keine bedeutende Opposition
gefunden zu haben. Fast ebenso glatt ging auch Bergell, wo die Verhältnisse
ähnlich lagen, zur neuen Zeitrechnung über12.
Chur folgte bald nach. Auf das Gutachten des Herrn Obersten und
Stadtammanns Beeli von Belfort und des Oberzunftmeisters Willi befahl der
Stadtrat am 29. Oktober 1783, für den Rechnungsverkehr der Stadtkasse von
Neujahr 1784 an sich an den neuen Kalender zu halten.
12
Bott, S. 32.
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Doch die gläubigen Protestanten waren nicht alle mit dieser stadträtlichen
Verfügung einverstanden. Man sah daher noch lange Zeit einige Frauen und
Männer Churs nach Haldenstein zum Gottesdienst und zur Feier des
Abendmahles gehen. Sie wollten nach dem alten Kalender leben und selig
werden. Haldenstein aber behielt noch den alten Kalender bis ins 19.
Jahrhundert, wo es dem Kanton einverleibt wurde und sich dem Beschluss des
Grossen Rates von 1811 fügen musste.
Im Unterengadin verursachte die Änderung der Zeitrechnung heftige Kämpfe.
Die Brunnenstöcke trugen oft Spottgedichte, bald auf die Anhänger des neuen
Kalenders, bald auf die Verteidiger des alten. Dem einflussreichen
Landeshauptmann Peter von Planta in Zernez, einem Anhänger des neuen
Kalenders, rief auf der Landsgemeinde ein Bauer, der sich am Alten hielt, zu:
"Sie sind vom Papste bestochen!" Beim Einläuten des neuen Jahres kam es oft
zu grossartigen Schlägereien in und vor dem Turme. Die Pfarrherren waren
untereinander nicht einig und feierten hier nach dem alten, dort nach dem
neuen Kalender. Unter den Gläubigen gab es auch hier Anhänger des
Herkömmlichen, die bei Einführung des neuen Stiles daheim ihrer Andacht
nach dem alten Kalender oblagen oder in andere Dörfer gingen, wo man sich
noch nach dem alten Stile richtete.
Samnaun ging 1801 definitiv zum neuen Kalender über. Schuls folgte 1806.
Am längsten blieb Sent beim alten Stil, nämlich bis 1812, wo der Kanton sich
für die neue Zeitrechnung aussprach, worauf dann auch Sent seinen
Widerstand fallen liess.
Im Münstertal ging es ähnlich. Münster hatte den neuen Kalender
angenommen. Um 1795 bis 1800 hielt die Obrigkeit zu S. Maria eine
Gemeindeversammlung ab, um die Einführung des neuen Kalenders zu
befürworten. Die Partei der Alten war aber stärker, verschrie die Gegner als
verkappte Katholiken. An der
S. 351: Spitze der Alten stand Mathiassen, ein Schuhmacher, mit dem Beinamen il
Suort, der Taube. Als ein H. Perini von Scanfs in Geschäften durch das Tal
nach Tirol reiste, meinte der genannte Schuster, Perini sei wegen des neuen
Kalenders hergekommen, und drohte, ihn mit dem Hammer totzuschlagen. Erst
die Anordnung der Regierung 1811 setzte die Neuerung durch. Die oberen
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Talgemeinden dagegen scheinen weniger Opposition gemacht zu haben als S.
Maria13.
Über die Verhältnisse im Domleschg bei Einführung des Kalenders hat man
gar keine Nachrichten. Doch ersieht man aus der Predigt des Almenser Pfarrers
Castelberg, dass ums Jahr 1785 der neue Kalender dort noch nicht eingeführt
war.
In Schams machten die Berggemeinden der Annahme des neuen Stiles
Opposition, während die Talgemeinden im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts
schon zur neuen Zeitrechnung übergegangen waren.14
Die grössten Unruhen verursachte die Neuerung des Kalenders in den
protestantischen Gemeinden der Gruob. Die Familien Gabriel und Castelberg
hatten daselbst ihr früheres Ansehen verloren und suchten durch Festhalten am
alten Kalender sich einige Popularität zu verschaffen. Die Anhänger der alten
Zeitrechnung waren bis 1797 in der Mehrheit, wir wollen sie hier die Alten
nennen. Die Förderer des neuen Kalenders nennen wir die Neuerer, sie waren
für ihre Idee sehr tätig. Nach langen Kämpfen eroberten sich die Neuerer im
Jahre 1797 die Mehrheit. Sie bemächtigten sich des Turmes der Kirche in
Ilanz. Bei einer Abstimmung wurde beschlossen, den neuen Kalender
einzuführen. Die Alten hielten fest an der Opposition und feierten den
Gottesdienst in der ob der Stadt gelegenen St. Martinskirche. Der auch am
alten Kalender festhaltende Pfarrer von Luvis hielt ihnen den Gottesdienst.
Mutwillige oder fanatische Neuerer versperrten den Zugang zur Kirche mit
Barrikaden. Die Luviser ergriffen Repressalien, stürmten an einem
Ostermontag alten Stiles von ihrer Höhe herab und verjagten die auf dem Felde
arbeitenden Neuerer. Bald nachher folgte die französische Invasion, und über
den ungleich wichtigern politischen Ereignissen ruhte der Kalenderstreit.
Während der Helvetik und der ersten Hälfte der Mediationsperiode traten nach
dem Beispiele von Ilanz auch Kästris und
S. 352: Schnaus, dann Flims, Valendas und Versam, am spätesten Waltensburg, Luvis
und Trins zum neuen Kalender über.
13
Bott, S. 38
14 Bott, S. 14.
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1810 fasste der Grosse Rat den Beschluss, in den an den beiden Hauptstrassen
gelegenen Orten solle die neue Zeitrechnung eingeführt werden. Diese
Verordnung fand freilich da und dort nicht den gewünschten Anklang, weshalb
die hohe Behörde am 20. Mai 1811 folgenden Beschluss fasste: Den
Gemeinden, welche die alte Zeitrechnung beibehalten haben, sei zu erklären,
dass der Grosse Rat für die Zukunft die neue Zeitrechnung für ausschliesslich
gültig und als die einzige des Kantons anerkenne und die fernere Beibehaltung
der alten Zeitrechnung als eine Verletzung der Kantonspolizei ansehe. Wenn es
Gemeinden gebe, die jetzt noch nicht aus eigenem Antriebe dieser Verordnung
entsprächen, so sind dieselben ungesäumt zur Annahme der neuen
Zeitrechnung aufzufordern, und wenn sie binnen Monatsfrist nicht Genüge
geleistet haben, sind sie wegen ihres Ungehorsams vor ein Spezialgericht zur
Verantwortung zu ziehen. Der Herr Landrichter erklärte, die katholischen
Mitglieder des Grossen Rates hätten an diesem Beschluss teilgenommen, damit
derselbe als eine neue Kantonalverordnung gelte und jedermann zur Erhaltung
des öffentlichen Ansehens angehalten werden solle.
Mit Neujahr 1812 läutete man den neuen Stil ein, doch an einigen Orten des
Zehngerichtenbundes nur unwillig.
Klosters hatte seinen Pfarrer Coaz entlassen, weil er den Erlass der Regierung
zur Beachtung empfohlen.
Furna und Valzeina blieben auch beim alten. Ebenso die äusseren Gemeinden
des Schanfigg, Maladers, Calfreisen und Castiel. Castiel feierte Weihnachten
1811 nach dem alten Kalender. Bei einem Leichenbegängnis daselbst
erschienen auch Landsleute aus den inneren Gemeinden, welche sich dem
neuen Stile anschliessen wollten. Bei diesem Anlasse sollen die Castieler den
Neuerern mit den Strafen des Himmels gedroht haben.
Renitent zeigten sich Schiers und Grüsch. Sie wurden daher vom
Spezialgericht zu einer Busse verurteilt, die ihnen in Anbetracht ihrer
nachträglichen Willfährigkeit vom Kleinen Rate erlassen wurde.
Die Bauern aber rechneten in ihren landwirtschaftlichen Verhältnissen noch
lange nach dem alten Kalender. Sie liessen die Kühe nach diesem kälbern, und
manche feierten das alte Neujahr noch lange am 13. Januar.
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Nachtrag dazu
Bündnerisches Monatsblatt, Heft Nr. 11. 1920. Seite 322-323.
Die Erledigung des Kalenderstreites in Graubünden.
Ergänzende Mitteilungen zu J. Bott, "Die Einführung des neuen Kalenders in
Graubünden". Leipzig 1863.
(Aus zeitgenössischen Tagebuchblättern von Johann Ulrich von Salis- Seewis.)
Mitgeteilt von Guido v. Salis-Seewis, Genf.
1804, Januar 14. den neuen Calender haben angenommen: Malix, Bergün und Latsch
(Filisur und Stuls nicht), Malans, Jenins, Fläsch (Mayenfeld nicht); Seewis wollte ihn,
wenn andere Benachbarte es auch thäten, aber Grüsch nicht, weil Schiers nicht wollte.
Jan. 16. den neuen Calender hat angenommen: Rheinwald. Schams im Boden,
Fürstenau, Sils etc. In dieser Gegend waren die Weiber heftig dagegen, aber die
mehrern Männer dafür; es ward daher das neue Jahr mit häuslichen Faustkämpfen
celebriert. Man feyerte das neue Jahr nach dem alten Calender, zählte aber dann gleich
den 13. statt 1.
Jan, 18 den neuen Calender haben ferner angenommen: Igis und Untervatz (Trimmis
nicht), der grösste Theil von Untervaltasna. In Pignieu (im Schamserthal) hatten die
Männer ihn angenommen, aber die Weiber empfingen sie mit Fäusten und Nägeln, da
änderten die belehrten Ehemänner es wieder.
Mai 22. im Unter-Engadin hat nur Lavin (jetzt eine der best geführten Gemeinden) den
neuen Calender angenommen, die übrigen wollen es erst auf Ostern thun. In der Grub
allein Ilanz. Closters ist wieder dem alten zugefallen und hat Ostern neu gefeyert,
Pfingsten hingegen alt.
Dez. 16. Lavin ist das einzige Dorf im Unterengadin, das den neuen Calender
angenommen hat (nach Bott: Samnaun bereits 1801, Schuls 1806).
1805, Jan. 2. 1752 oder 54 gab Prof. Planta eine Schrift über den Calender ein, welche
von den Häuptern auf die Gemeinden gebracht, aber nicht beachtet wurde. 1780 schrieb
der Congress auf Antrag meines Vaters die Sache wieder aus, Flims und Thusis nahmen
es an und beharrten. Ober-Engadin nahm früh an (nach Bott 1783), verliess dann
wieder, weil Bergell beym alten blieb, und sobald Bergell den neuen annahm, folgte es
auch nach.
Jan. 20. Feldsperg und Heinzeberg haben den alten Calender wieder.
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1806, Februar 24. Scharans hat den alten Calender wieder durch Mehren angenommen,
und zwar mit dem Beysatz, dass solang eine Gemeinde ihn behalte, sie es auch thun
wolle; zwei Männer protestierten wider diese Dummheit. Sils und Almens bleiben beym
neuen.
1810, August 17. das Morgenblatt 1810. Nr. 128 enthält einen Aufsatz über den alten
und neuen Calender von Carl Ulysses v. Salis- Marschlins, nur -s unterzeichnet (hier
folgen Auszüge aus demselben, wovon wir nur den Schluss wiedergeben: Planta, durch
die von ganz England erst 1752 erfolgte Annahme des Neuen Calenders aufgemuntert,
sprach 1754 für dieselbe - vergebens. In den 80er Jahren erst vermochte das Interesse
erst einige Gemeinden zu dieser Verbesserung. Der amerikanisch-englisch-französische
Krieg brachte, durch Unsicherheit der See, unsre Bergpässe in Aufnahme und zeigte die
Unbequemlichkeit eines verschiednen Calenders; Chur, Bergell und Ober-Engadin
nahmen den neuen an und ihnen folgten allmählich andere Gemeinden.
1812, Jan. 7. Das Gericht wegen des alten Calenders war beisammen und erhielt von
Avers, als den letzten Renitenten, Bericht, dass sie sich auch unterworfen. Die
Anstalten, ein Bataillon aufzubieten und den Landammann der Schweiz zu
benachrichtigen, hatten die Schierser und Grüscher geschmeidiger gemacht.
Über "Avers den letzten Renitenten" wird noch folgende Eigentümlichkeit berichtet:
1810, Juni 15. In Avers wird die italiänische Uhr so gebraucht, dass der Einbruch der
Nacht mit 12 bezeichnet wird; z.B. im höchsten Sommer ist etwa um 9 Uhr A. 12; dann
aber zählt man nicht wie in Italien bis 24, sondern wieder 1. Einige Familien haben auch
die deutsche Uhr.
Internet-Bearbeitung: K. J. Version 05/2011
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