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10-2210 FHG U2-03 · Nachhaltigkeitsstrategie für die 60 Fraunhofer-Institute in Deutschland....

Date post: 21-Sep-2020
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Gesundheit Tumorbehandlung mit Schallwellen Werkstoffe Hart wie Diamant Energie Sonnenstromspeicher für Zuhause Weniger Rohstoffe — mehr Gewinn Das Fraunhofer-Magazin 2 .11 weiter.vorn
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world conference on regenerative medicine [Germany | Leipzig 2011 | November 2 – 4, 2011]

GesundheitTumorbehandlung mit Schallwellen

WerkstoffeHart wie Diamant

EnergieSonnenstromspeicher für Zuhause

Weniger Rohstoffe — mehr Gewinn

Das Fraunhofer-Magazin 2 .11

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In den vergangenen Wochen sind die Preise für Rohstoffe und Energie rasant gestiegen. Für immer mehr Branchen ent-wickelt sich diese Kostenexplosion – laut einer Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) – zu einem Konjunkturrisiko. Denn längst bestimmen vor allem die Kosten für Aluminium, Kupfer, Gold und Co. den Preis eines Endprodukts.

Keine Frage: Eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft ist es, die Ressourceneffi zienz in der Produktion und im Produkt zu steigern. Künftig können sich nur Unternehmen auf dem Markt behaupten, die Rohstoffe und Energie effi zient nutzen. Welche großen Einsparmöglichkeiten sich den Firmen bieten, zeigt die Fraunhofer-Studie »Energieeffi zienz in der Produkti-on«. Mittelfristig lassen sich in der industriellen Fertigung bis zu 30 Prozent Energie sparen. Zudem kann in den kommen-den Jahren die Materialeffi zienz um 20 Prozent gesteigert werden, so die Deutsche Materialeffi zienzagentur demea. Das bedeutet, dass sich die Rohstoffkosten pro Jahr um 100 Milliarden Euro senken lassen.

Der Fraunhofer-Verbund Produktion hat schon früh das Thema »Ressourceneffi ziente Produktion« auf seine Agenda gesetzt. Wie neue Technologien und Verfahren helfen, mit wenig Energie aus weniger Material mehr Produkte zu ferti-gen, stellen wir in unserer Titelgeschichte vor. Die rohstoff-effi ziente Produktion ist aber nur ein erster Schritt. Künftig müssen wir noch weitergehen und das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln. Fraunhofer-Forscher arbeiten daran, eine Produktion ohne den Einsatz neuer Rohstoffe zu ermöglichen.

Die wachsende Nachfrage, knapper werdende Ressour-cen, steigende Umweltschutzanforderungen und politische Vorgaben sind eine schwerwiegende Herausforderung für Politik, Industrie und Verbraucher. Gefragt sind innovative Technologien und Services, die die Effi zienz steigern und die Umweltbelastungen senken. Produzieren ohne Ressourcen-verbrauch eröffnet den Einstieg in ein verantwortungsvolles, nachhaltiges Wirtschaften. Doch was verstehen wir unter

weiter.vorn 2.11 EDITORIAL – 03

Nachhaltigkeit? Die von den Vereinten Nationen eingesetzte Brundtland-Kommission beschreibt es so: »Nachhaltige Ent-wicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können«. Wollen wir diesem Grundsatz folgen, ist es erforderlich unsere Syste-me in Richtung Umwelt- und Gesellschaftsverträglichkeit umzugestalten. Dazu möchte die Fraunhofer-Gesellschaft einen Beitrag leisten. Wir entwickeln deshalb derzeit eine Nachhaltigkeitsstrategie für die 60 Fraunhofer-Institute in Deutschland.

»Nachhaltige Entwicklung« erfordert, mit Visionen, Phanta-sie und Kreativität die Zukunft zu gestalten und dabei auch Neues zu wagen und unbekannte Wege zu erkunden, heißt es in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Wir sind davon überzeugt, dass insbesondere der Bereitstellung umweltschonender Techniken und Prozesse ein außeror-dentliches Gewicht beigemessen werden muss. Wir sehen es als unseren Forschungsauftrag an – gemeinsam mit der Politik, Wirtschaft und der Gesellschaft – hier die Weichen für unsere Zukunft zu stellen. Die miteinander verschränkten Themen Umwelt und Wirtschaft betrachten wir ganzheitlich und erweitern sie um den Faktor Mensch. Das wäre dann Nachhaltigkeit im weitesten Sinne: Die technische Gestaltung der Welt so zu planen, dass Gesundheit von Mensch und Natur auch künftig erhalten bleiben.

Nachhaltig wirtschaften

Prof. Dr. Hans-Jörg Bullinger. © Bernhard Huber

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04 - INHALTSVERZEICHNIS weiter.vorn 2.11

08TitelthemaWeniger Rohstoffe — mehr GewinnRessourceneffi ziente Produktion – mit weniger Rohstoffen mehr Waren fertigen.

18Gesundes TrainingDie Fitnessdaten eines trainierenden Patienten werden an ein Praxissystem des Arztes übertragen.

44Im GrenzbereichAn der Oberfl äche von Glas fi nden komplizierte Interaktionen statt.

27Neue Wege für

gleiche ChancenDer erste Gleichstellungs-bericht wurde vorgestellt.

54Wasser für die MongoleiDie Mongolei ist dünn besiedelt. Oft gibt es keine zentrale Wasserver- und Abwasserentsorgung.

48Schluckspecht E auf RekordjagdMit einer Batterie-

ladung mehr als 600 Kilomter fahren.

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weiter.vorn 2.11 INHALTSVERZEICHNIS - 05

Beilage ElektromobilitätStromern gehört die Zukunft: Sie sind sauberer, leiser und effi zienter als Benzin- oder Dieselfahr-zeuge.

Inhalt

06 Spektrum

21 Fraunhofer inside

26 Gründerwelt

28 Fraunhofer Visuell

52 Firmenporträt

57 International

64 Kompakt

65 Panorama

66 Personalien

66 Impressum

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TitelthemaWeniger Rohstoffe — mehr Gewinn

Künftig können sich nur Unternehmen behaupten, die Materialien effi zient nutzen.

Gesundheit Plasma in TütenNeue Zellkulturbeutel für die Forschung.

Tumorbehandlung mit SchallwellenSoftware soll Leberkrebs-Therapie mit Ultraschall ermöglichen.

Gesundes Training»eTraining« verbessert den Informationsfl uss zwischen Ärzten, Trainern und Patienten.

Blutbilder automatisch erstellenComputerassistierte Blutzellenanalyse.

InformationstechnologiePolizei 2.0IT verändert die Arbeit von Polizisten.

Apps für alle!Nützliche Miniprogamme für Auto, TV und Co.

GleichstellungNeue Wege für gleiche ChancenErgebnisse des ersten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung.

ProduktionSchlaue Werkstoffe»Smart Materials« passen sich selbständig an.

Touchscreen aus KohlenstoffNeues Display aus erneuerbaren und preisgünstigen Rohstoffen.

Präzise Motoren montierenForscher wollen die Motoren-Montage stärker automatisieren.

Die Maschinenfl üstererWissenschaftler entwickeln intuitiv bedienbare Geräte und Maschinen.

WerkstoffeKrebsklebstoff mit SuperhaftkraftForscher wollen die Struktur des Klebers enträtseln.

Auch der härteste Stoff gibt nachDer atomare Mechanismus des Diamantschleifens ist entschlüsselt.

Schlanke WärmedämmungVIPs (Vakuum Isolations Paneele) sind dünn und leistungsfähig.

Im GrenzbereichOberfl ächen von Gläsern reagieren mit der Umgebung.

EnergieAttraktive WärmespeicherHydrid-Verbundwerkstoff speichert Energie.

Schluckspecht E auf RekordjagdEinmal laden und mehr als 600 Kilometer mit dem Elektroauto fahren.

Sonnenstromspeicher für ZuhauseNeuer Akku für dezentral erzeugte Solarenergie.

UmweltWasser für die MongoleiKnappe Ressourcen effektiv nutzen.

Krankheitsursache Umwelt?Forscher untersuchen,ob sich Klimaverän-derungen auf unsere Gesundheit auswirken. Verkehr im KlimawandelStudie zur europäischen Verkehrsentwicklung.

ForschungsperspektivenGespür für die ZukunftMit Szenarien die künftige Forschungsland-schaft beschreiben.

Auto| Motor| Strom

Beilage Elektromobilität 2 .11

weiter.vorn

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06 - SPEKTRUM weiter.vorn 2.11

Chips und Elektronikbauteile geraten immer stärker ins Visier von Produktfälschern: Neben Verkaufseinbußen können qua-litativ minderwertige Fälschungen auch das Marken-Image eines Unternehmens schädigen. Eine spezielle Sicherheits-technologie aus dem Fraunhofer-Institut für Sichere Informa-tionstechnologie SIT nutzt individuelle Materialeigenschaften von Komponenten, um daraus einen digitalen Schlüssel zu erzeugen. So werden beispielsweise Mikrochips eindeutig identifi zierbar, denn diese einzigartige Struktur zu kopieren ist nicht möglich.

Jedes Bauteil verfügt über eine Art individuellen Fingerab-druck, da bei der Produktion unweigerlich kleine Unter-schiede zwischen den Komponenten entstehen. Es kommt beispielsweise bei Leiterbahnen während des Fertigungspro-zesses zu minimalen Schwankungen der Dicke oder Länge. Diese Abweichungen haben zwar keinen Einfl uss auf die Funktionalität, können jedoch genutzt werden, um daraus einen einzigartigen Code zu erstellen.

Aus Plastikmüll kann man nicht nur Parkbänke herstellen, auch anspruchsvolle Bauteile sind möglich. Den Beweis erbrachte nun das Pfi nztaler Fraunhofer-Institut für Chemi-sche Technologie ICT zusammen mit dem Entsorgungsbetrieb PAV aus Berlin und dem Maschinenhersteller NGR aus Feldkirchen. Sie haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie bisher schlecht verwertbare Stoffe zu Bahnschwellen verarbeiteten. Bahnschwellen sind die Querstreben, die die Schienen tragen. Sie müssen die Lasten gut verteilen und der Witterung standhalten. Zur Zeit bestehen die meisten Schwellen aus Stahl, Holz oder Beton. Die Forscher vom ICT haben nun eine Materialmischung aus Altkunststof-fen und Glasfasern zur Verstärkung entwickelt. Die Schwellen überstanden Tests wie Punktbelastungen von bis zu 40 Tonnen und Ausreißversuche an den Schwellenschrau-ben von über 10 Tonnen und zeigten damit, dass sie im Bahnbetrieb einsatzfähig sind. Die Arbeiten sind Teil des Förderprogramms Era net SUSPRISE.

Digitaler Fingerabdruck verhindert das Fälschen von Mikrochips. © Fraunhofer SIT

Verbraucher schätzen frische Produkte aus der Region. © MEV

Bahnschwellen aus Abfällen

Einzigartig

Tomate mit HerkunftRegionale Produkte gelten als frisch und qualitativ hochwertig. So zeichnet sich auch die »Franken-Tomate« durch sehr kurze Wege bis zum Verbraucher aus. Sie wird erst geerntet, sobald sie tatsächlich reif ist. Und wenn sie im Supermarkt eintrifft, ist sie noch sehr frisch. Dennoch können die Kunden die Vorzüge der regionalen Ware nicht leicht erkennen. Die Fraunhofer-Ar-beitsgruppe für Supply Chain Services SCS aus Nürnberg hat das verbessert.

Das Produktetikett enthielt bereits die Losnummer und die Erzeugernum-mer. Der Kunde konnte diese allerdings nicht interpretieren. Die Experten vom SCS ergänzten daher das Etikett durch einen Informationsfl yer als Lesehilfe. Mit dessen Hilfe erfährt der Kunde das Erntedatum und außer-dem die geographische Lage des Erzeugers. Im Internet fi ndet er dann die genauen Kontaktdaten. Darüber hinaus weist der Flyer auf die Vorteile der Regionalität hin, wie beispielsweise die kurzen Wege.

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weiter.vorn 2.11 SPEKTRUM - 07

Antikes RaumdekorIm ersten Jahrhundert vor Christus schrieb der römische Architekt und Ingenieur Vitruv das Werk »De Architectura libri decem«. In der Renaissance wurde es wieder entdeckt und gilt als Prototyp für viele nachfolgende Lehrbücher. Der Urtext ist allerdings ver-schollen und die Abschriften unterscheiden sich bei einzelnen Fachbegriffen. Darüber hinaus enthalten die Übersetzungen teilweise Beschreibungen, die technisch nicht möglich sind.

Ein interdisziplinäres Team möchte nun eine kommentierte Neuübersetzung des Teils über Raumdekor erstellen. Außerdem will es herausfi nden, wie viel von dem Beschrie-benen überhaupt praktisch umgesetzt wurde. An dem BMBF-geförderten Projekt beteiligt sind das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, die TU München sowie die LMU München. Sie arbeiten nicht nur mit den Texten, sondern führen auch naturwissen-schaftlich-technische Analysen durch. Dabei untersuchen sie Originalstücke aus Rom und Pompeji und rekonstruieren diese. Das IBP ist dabei für den experimentellen Teil zuständig und stellt die Putztechniken nach.

Interaktiver Schaufensterbummel

Die Automobilindustrie möchte grüner werden. Doch nicht nur geringerer Verbrauch und alter-native Antriebe sind Schritte in diese Richtung. Auch das verwendete Material kann einen Beitrag zu einer besseren CO2-Bilanz leisten. Das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT beteiligt sich an dem vierjährigen EU-Projekt ECOplast zusammen mit 12 weiteren Partnern aus fünf europäischen Ländern. Das Konsortium entwickelt Biover-bundwerkstoffe für den Automobilbau auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen. Dazu setzen sie Biokunststoffe ein, die am Markt in ausreichenden Mengen verfügbar sind. Diese modifi zieren und verstärken sie mit Naturfasern, mineralischen Füllstoffen und Additiven. Die Werkstoffe sollen auf den vorhandenen Pro-duktionsanlagen verarbeitet werden, zusätzlich möchte das Konsortium aber auch neue Verar-beitungstechnologien erproben.

Biokunststoffe für Autos

Zu spät für einen Einkaufsbummel: Die Läden haben schon geschlossen und man kann sich die Waren nur noch im Schaufenster anschauen. Mit der neuen Technik vom Fraunhofer Institut für Nachrichten-Technik, Heinrich-Hertz-Institut HHI in Berlin ist das bald kein Problem mehr.

Die Forscher haben ein System mit zwei Kameras entwickelt, das durch die Schaufensterscheibe die 3D-Positionen von Händen erfasst und in Eingabebefehle umwandelt. Ein Passant vor dem

Schaufenster kann so durch Fingerzeig Produkte auswählen, sie auf einem Monitor anzeigen las-sen, heranzoomen und sie drehen. Er kann sich aber auch zusätzliche Informationen dazu holen und sogar das Produkt kaufen. Das »Interactive Shop Window« ist zu allen Displays kompati-bel und lässt sich mit vorhandener Software verknüpfen. So kann der Ladenbesitzer seinen gesamten Bestand mit dem System präsentie-ren. Das 3D-Erfassungssystem liegt bereits als Prototyp vor.

MIt dem Schaufenster-Display können die Passantinnen sich über den Schal ihrer Wahl informieren und ihn auch gleich kaufen. © Fraunhofer HHI

Mikroskopieaufnahmen von Hanffasern zur Verstärkung von Biopolymeren. © Fraunhofer UMSICHT

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08 - TITELTHEMA weiter.vorn 2.11

Bislang sind Nockenwellen massiv gefer-tigt. Mit neuen Verfertigungsverfahren lässt sich das Gewicht deutlich senken.© Fraunhofer IWU

Weniger Rohstoffe — mehr Gewinn

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weiter.vorn 2.11 TITELTHEMA - 09

Die Rohstoff- und Energiekosten steigen rapide an. Längst bestimmen sie

maßgeblich den Preis des Endprodukts. Künftig können sich nur Unterneh-

men auf dem Markt behaupten, die Materialien und Energie effi zient nut-

zen. Neue Technologien und Verfahren helfen, Ressourcen zu sparen.

Text: Birgit Niesing

So teuer war Kupfer noch nie: Anfang des Jahres kletterte der Preis für eine Tonne des Metalls an der Rohstoffbörse in London erstmals auf mehr als 10 000 US-Dollar. Auch die Kosten für Rohöl steigen seit einigen Wochen wieder deutlich an: Die Unruhen im Nahen Osten und die starke Nachfrage haben den Preis für ein Barrel Rohöl (159 Liter) der Nordsee-sorte Brent zeitweise auf mehr als 110 US-Dollar getrieben.

Bereits im vergangenen Jahr mussten die Unternehmen deutlich tiefer in die Tasche greifen, um Kupfer, Nickel, Eisen, Öl, Kohle und Co. zu kaufen. 2010 schoss der Rohstoffpreis-index des Weltwirtschaftsinstituts – in Euro berechnet – um mehr als 30 Prozent nach oben. Aufgrund der Preissprünge mussten die Betriebe dafür etwa 30 Milliarden Euro mehr bezahlen als im Jahr 2009. Ein Grund für die Kostenexplosion ist der weltweite Konjunkturaufschwung. Insbesondere die Wachstumsdynamik der Schwellen- und Entwicklungslän-der – allen voran der BRIC Staaten Brasilien, Russland, Indien und China – wird die Nachfrage nach Rohstoffen langfristig vervielfachen. Besonders schnell wächst der Bedarf an raren Metallen und Seltenen Erden wie Chrom, Kobalt, Titan, Pal-ladium, Iridium, Neodym, Scandium, Yttrium, Selen, Indium, Germanium oder Gallium. Beispiel Gallium, das in Leuchtdi-oden und integrierten Schaltungen im Einsatz ist: Experten erwarten, dass sich die Nachfrage für den Werkstoff bis 2030 versechsfachen wird – so ein Ergebnis einer gemeinsamen Studie des Instituts für Zukunftsstudien und Technologie-bewertung und des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe.

Die rasant steigenden Rohstoffpreise machen der Wirtschaft zu schaffen. Das geht aus einer aktuellen Umfrage des Deut-schen Industrie- und Handelskammertags hervor. Neun von

zehn Industrieunternehmen leiden unter den hohen Kosten für Material und Energie. Jede zweite Firma befürchtet sogar, die erforderlichen Rohstoffe nicht mehr zu erhalten.

In vielen Branchen bestimmen Material- und Energiekosten schon längst maßgeblich den Preis des Endprodukts. Beispiel Verarbeitendes Gewerbe: Dort entfi elen im Jahr 2007 mit 792 Milliarden Euro allein 45 Prozent der Herstellungskosten auf den Materialverbrauch (s. Graphik S. 12). Zum Vergleich: Die Personalkosten machten nur 18 Prozent aus. Dennoch ist Deutschland in den vergangenen Jahren beim effi ziente-ren Einsatz knapper Rohstoffe wie Erdöl, spezieller Metalle oder Seltener Erden nur langsam vorangekommen: Zwischen 1994 und 2008 legte die »Rohstoffproduktivität« – laut einer Studie der Kfw-Research 2009 – in absoluten Zahlen lediglich um vier Prozent zu.

Damit sich deutsche Unternehmen auch künftig auf dem Weltmarkt behaupten können, bedarf es eines Paradigmen-wechsels. »An die Stelle von maximalem Gewinn aus mini-malem Kapital muss maximale Wertschöpfung aus minimalen Ressourcen treten. Unternehmen, die sich durch Effi zienz-technologien heute einen Kostenvorteil erarbeiten, werden diesen in Zukunft überproportional weiter ausbauen«, betont Professor Reimund Neugebauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz. Die Herausforderung ist es, den Ressourcenver-brauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln.

Welch großes Potenzial das Thema Effi zienzsteigerung den Unternehmen bietet, zeigt die Fraunhofer-Studie »Energie-effi zienz in der Produktion«. Ein Ergebnis: Mittelfristig lassen sich in der industriellen Produktion bis zu 30 Prozent Energie

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einsparen. Allein für die in der Untersuchung betrachteten Produktklassen macht dies 210 Petajoule pro Jahr aus. Das entspricht etwa der Hälfte des Stromverbrauchs der privaten Haushalte in Deutschland oder der Leistung von vier Kraftwerken mit je 1,4 Gigawatt Leistung. Und durch effi zienten Rohstoffeinsatz lassen sich die Kosten noch weiter drücken. Das Wirt-schaftsministerium Baden-Württemberg schätzt das volkswirtschaftliche Einsparpotenzial durch Materialeffi zienz bundesweit auf 100 Milliarden Euro jährlich.

Effi zienz steigern

»Eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft ist es, die Effi zienz in der Produktion zu steigern«, betont Professor Fritz Klocke, Vorsitzender des Fraunhofer-Verbunds Produktion (siehe Kasten). Deshalb hat der Verbund in den vergangenen Jahren auch einen Forschungsschwerpunkt auf die ressourcenschonende Fertigung gelegt. Wie sich mit minimalem Material- und Energie-Ein-satz hochwertige Produkte produzieren lassen, stellten die Forscher vor wenigen Wochen auf dem Kongress »Ressourceneffi ziente Produktion« in Leipzig vor.

Bereits seit einigen Jahren steht das Thema »Ressourcenschonende Produktion« auf der Agenda der Bundesregierung. Sie will die Ener-gieproduktivität – also die wirtschaftliche Ge-samtleistung pro eingesetzte Einheit Primärener-gie – bis 2020 im Vergleich zu 1990 verdoppeln. Gleichzeitig soll sich die Rohstoffproduktivität, im Vergleich zu 1994, ebenfalls verdoppeln. Damit diese ehrgeizigen Ziele erreichbar werden, unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF die Entwicklung innovati-ver, ressourceneffi zienter Produktionstechnologi-en mit über 50 Millionen Euro.

Ein Leuchtturmprojekt ist die Innovationsallianz »Green Carbody Technologies«, in der mehr als 60 Unternehmen in Deutschland zusammen-arbeiten. Die Partner haben die Vision, bis zu 50 Prozent Energie bei der Karosseriefertigung einzusparen. Gemeinsam mit der Volkswagen AG koordiniert das Fraunhofer-Institut für Werk-zeugmaschinen und Umformtechnik IWU den Zusammenschluss von Automobilherstel-lern, Ausrüstern und Zulieferern. Die AIlianz ist in fünf Projekte gegliedert, die sich an der Prozesskette orientieren: Planung der Nieder-energie-Produktion, Performance Presswerk, ressourceneffi zienter Werkzeugbau, Energie-

und ressourceneffi zienter Karosseriebau sowie Lackierung. An der Allianz sind insgesamt drei Fraunhofer-Institute beteiligt. Schwerpunkte des IWU sind die Themen Planung, Umformtechnik und Karosseriebau. Forscher des Fraunhofer-In-stituts für Produktionstechnologie IPT in Aachen bringen ihre Kompetenz im Werkzeugbau ein. Und Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart optimieren die Lackierung. Sie entwickeln unter anderem lackverlustfreie Beschichtungsverfahren. Bei konventionellen Spritzverfahren wird nur ein Teil des Materials auf das Werkstück übertragen – es gibt einen hohen Overspray.

Dass sogar in kleinen Prozessschritten großes Potenzial schlummert, zeigt sich in der Justage im Karosseriebau. Um Karosseriebleche beim Fügen zu arretieren, werden sie von Hand ein-gerichtet und mit Spannelementen fi xiert – eine Arbeit, die viel Zeit und Fingerspitzengefühl erfordert. Forscher des IWU arbeiten gemeinsam mit den Partnern Volkswagen, Ortlinghaus und Sibea an einem Ansatz: die »Justage per Knopf-druck«. Über ein elektrohydraulisches Antriebs-system lassen sich die einzelnen Spannstellen ansteuern und präzise justieren. Das erhöht Prozesssicherheit und Produktqualität. Weiterer Vorteil: Es ist weniger Nacharbeit notwendig. Das alles trägt zu einem effi zienteren Ressour-cen- und Energieeinsatz bei.

Mit Druck in Form

Wie leistungsfähig ein Wagen ist und wie stark er die Umwelt belastet, hängt vor allem vom Antriebsstrang ab – mit allen Komponenten für die Drehmomenterzeugung und -übertragung, vom Motor bis zum Rad. Forscher aus sieben Fraunhofer-Instituten wollen diesen »Power-train« effi zienter machen. Ziel ist es, durch neue Werkstoffe die Masse zu reduzieren, durch Netshape-Verfahren und Kreislaufwirtschaft den Material- und Energieeinsatz zu verringern sowie mittels Beschichtungen und Oberfl ächen-strukturierung einen reibungsarmen Betrieb der Komponenten zu ermöglichen.

Bisher sind viele Komponenten des Antriebs-strangs Massivbauteile. Hier lässt sich noch viel Gewicht einsparen. Beispiel Nockenwelle: Dieses bisher massive Bauteil fertigen die Forscher mit Innenhochdruck-Umformen (IHU). Hierbei wird Metall durch hydrostatischen Druck in Form gepresst. Die so gefertigten Bauteile sind innen

hohl und wiegen deutlich weniger als herkömm-liche Nockenwellen.

Dass auch der Produktlebenszyklus besondere Beachtung verdient, zeigt sich am Auto. Fast 50 Prozent der mechanischen Energie werden in Reibung umgesetzt. Fraunhofer-Forscher arbeiten daran, diese Reibverluste durch den Einsatz neuer Werkstoffe und Oberfl ächenstruk-turen um bis zu 30 Prozent zu reduzieren. Durch die Entwicklung von Mikro- und Nanostrukturen sowie neuer Fertigungsverfahren zu ihrer Her-stellung werden nicht nur kürzere Prozessketten, sondern auch eine energieeffi zientere Produkti-on der Motoren und anderen Powertrain-Kom-ponenten ermöglicht.

Besonders effektiv lassen sich Ressourcen durch den sparsamen Einsatz von Material schonen. Deshalb ist es wichtig, die Prozessstabilität zu erhöhen und möglichst keinen Ausschuss zu produzieren. Welche großen Potenziale die Null-Fehler-Fertigung bietet, zeigt ein Blick auf die Automobilindustrie: Im Presswerk gehen noch bis zu 40 Prozent der Bleche als Abfall wieder in den Kreislauf zurück. Dabei wird Energie verschwendet. Denn in jedem Kilogramm Stahl blech stecken 21 Megajoule Energie für die Werkstofferzeugung und Halbzeugverarbeitung.

Dass eine fehlerfreie Produktion in der Gießerei möglich ist, beweisen Forscher des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF. Sie haben gemeinsam mit ihren Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM eine modulare Technik entwickelt, die eine Geometriemessung mit der Oberfl ächenprüfung dreidimensionaler Objekte kombiniert. Kamerasysteme entdecken zuverlässig Einfallstellen, Beulen, Anlagerun-gen, Gussreste, sichtbare Lunker und andere Oberfl ächenfehler. In Kombination mit präzisen 3-D-Laser-Lichtschnittsensoren werden Formab-weichungen vom CAD-Nominal sowie Kaltlauf, überschüssige oder fehlende Geometrien automatisiert erkannt und dokumentiert. Diese Messung erlaubt nicht nur eine 100-Prozent-Kontrolle der Fertigungsteile, sondern auch Rückschlüsse auf den Produktionsprozess.

»Ein großes, mitunter unterschätztes Aktionsfeld für energieeffi zientere Prozesse und Verfahren ist der Werkzeugbau«, weiß Professor Klocke, Leiter des IPT und Vorsitzender des Verbundes Produktion. Forscher des IPT wollen durch Innovationen im Werkzeugbau den Ressourcen-

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Das Lackieren der Ka-rosserie ist derzeit noch aufwändig und benötigt viele Ressourcen.© Volkmar Schulz/ Keystone

Laufverzahnungen lassen sich auch durch Kaltwalzen herstellen. Das reduziert die Herstellungszeit auf die Hälfte im Vergleich zu den herkömmlichen spanenden Verfahren. © Fraunhofer IWU

Fraunhofer-Verbund Produktion

In dem Verbund Produktion haben sich sieben Fraunho-fer-Institute zusammengeschlossen. Schwerpunkte der gemeinsamen Forschung und Entwicklung sind Produkt-entwicklung, Fertigungstechnologien, Fertigungssyste-me, Produktionsprozesse, Produktionsorganisation und Logistik.

Beteiligt sind die Fraunhofer-Institute für – Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF – Materialfl uss und Logistik IML – Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK – Produktionstechnik und Automatisierung IPA – Produktionstechnologie IPT – Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT – Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU

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einsatz bei der Bauteilfertigung verbessern sowie Emissionen und Fertigungskosten reduzieren. Werkzeuge werden zur Massenfertigung von Kunststoffbauteilen durch Spritzgießen oder in der Metallumformung gebraucht. Herausforde-rungen liegen dabei in der Werkzeugsstandzeit beziehungsweise der schnellen Reparaturfähig-keit, dem Leichtbau sowie der ressorceneffi zien-ten Zerspanung. In der Metallbearbeitung lassen sich Ressourcen sparen, wenn man spanende Fertigungsver-fahren durch Umformprozesse ersetzt. Unter Beachtung der durchschnittlichen Material-ausnutzung benötigt man für die Herstellung von einem Kilogramm Fertigteile durch Um-formverfahren ein Drittel weniger Energie als bei spanenden Verfahren. Ein Beispiel ist das Kaltwalzen von Laufverzahnungen für Getriebe. Neben der Energieeinsparung ließen sich bis zu einem Drittel des Materials und bis zur Hälfte der Herstellungszeit einsparen. Wissenschaftler des IWU arbeiten daran, diese Technologie serienfähig in die Industrie einzuführen. Derzeit untersuchen sie umformbedingt positive Effekte der Zahnräder auf deren Gebrauchseigenschaf-ten. Die »neuen« Zahnräder lassen sich nicht nur schneller fertigen, sondern sollen auch Gewicht, Energie und Emissionen im Kfz einsparen. Dies verbindet Energieeffi zienz sowohl in der Herstel-lung als auch in der Anwendung der Produkte. In fünf Jahren könnten die ersten serienmäßig kaltumgeformten Zahnräder auf den Markt kommen.

Die Umstellung gesamter Prozessketten auf ressourceneffi ziente Technologien ist ein For-schungsthema des Spitzentechnologie-Clusters »Energieeffi ziente Produkt- und Prozessinnova-tionen in der Produktionstechnik« (eniPROD). In dem Cluster arbeiten Wissenschaftler des IWU und der TU Chemnitz an einer energieautarken, quasi emissionsfreien Fabrik. Dazu betrachten sie Energieeinsparpotenziale im gesamten Produkt-lebenszyklus – von der Produktentwicklung über Produktionsprozesse und -systeme bis hin zur Logistik und Fabrikplanung.

Ressourcenschonende Fertigung ist eine Mög-lichkeit, in Zeiten knapper Rohstoffe wirtschaft-lich zu agieren. Fraunhofer-Forscher denken aber schon weiter. Ihr Ziel ist es, ganz ohne den Einsatz neuer Rohstoffe zu produzieren. Dazu setzen die Wissenschaftler auf konsequentes Recycling, nicht nur im Privathaushalt, sondern vor allem auch in der Industrie. »Indem Sekun-

därrohstoffe in Kaskaden immer weiterverwertet und in den Produktionsprozess zurückgeführt werden, lassen sich enorme Mengen an natürli-chen Ressourcen einsparen. Auch nachwachsen-de Rohstoffe und eine kundennahe Fertigung mit geringem Energieverbrauch helfen dabei, den Ressourcenverbrauch weiter zu reduzieren«, erläutert Axel Demmer, der die Geschäftsstelle des Verbunds Produktion leitet. Die Fraunhofer-Forscher konzentrieren sich auf die Schwerpunk-te: Produzieren aus Produkten, Produzieren in Kreisläufen und Produzieren aus Ersatzstoffen.

Dass es hier noch großes Potenzial gibt, zeigt ein Blick auf die bisherige Wiederverwertungsquote: In Europa wandern 60 Prozent der Elektroaltge-räte in den Hausmüll und werden nicht recycelt. Dabei enthalten schon 41 Handys so viel Gold wie eine Tonne Golderz. Wahre »Lagerstätten auf Rädern« sind Autos. Allein in den Katalysato-ren sind etwa 50 Prozent des Weltbergbaus von Platin und Palladium verbaut, bei Rhodium sind es sogar mehr als 80 Prozent. Dennoch wurden 2006 in Deutschland nur 504 000 Autos von 3,2 Mio. Fahrzeuglöschungen recycelt – so Untersu-chungen der Materialtechnik-Gruppe Umicore.

Produzieren ohne Rohstoffe?

Auch die Vereinten Nationen machen sich für ein verstärktes Recycling stark. Der Chef des UN-Umweltprogrammes, Achim Steiner, forderte Entwickler auf, schon beim Design eines Geräts an dessen spätere Wiederverwertung zu denken: »Denn es ist zwei- bis zehnfach effi zi-enter, Metall zu recyceln als es aus dem Boden zu holen.« Wiederverwertung hilft auch den Kohlendixoid-Ausstoß zu reduzieren. Die ALBA Group konnte im Jahr 2009 durch die Wieder-aufbereitung von 7,2 Millionen Tonnen Wert-stoffen 6,3 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen.

»Die Orientierung auf ein möglichst vollständi-ges Recycling eröffnet neue Chancen für unter-nehmerisches Handeln«, betont der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Professor Hans-Jörg Bullinger. »Sie hilft, sich künftig unabhängiger von Rohstoff- und Energie-Importen zu machen. Damit ist auch in Zukunft eine wirtschaftliche und umweltfreundliche Produktion möglich.«

www.fraunhofer.de/audio: online ab 5. April 2011

Vor allem die hohen Kosten für Material bestimmen den Preis eines Endprodukts. In der verarbeitenden Industrie machen die Materialkosten etwa 45 Prozent aus. Quelle: Statistisches Bundesamt 2009

Material 45%

Personal 18%

Handels-ware 11%

Sonstiges 12%

Kostensteuern 3%

Mieten, Pacht 2%

Dienstleistung 2%

Energie 2%

Lohnarbeiten 2%

Abschreibung 3%

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Ärzte setzen bei Therapien immer häufi ger lebende Zellen ein: bei der Bluttransfusion ebenso wie bei Knochenmarks-Transplantatio-nen, bei Stammzelltherapien oder nach schweren Verbrennungen. Zellen, die vom Patienten selbst stammen, sind ideal, wenn es darum geht, verbrannte Haut zu ersetzen, Immundefekte zu beheben oder degenerierte Knorpel, Bindegewebe beziehungsweise verletzte Knochen zu reparieren, denn eigene Zellen werden vom Immunsystem nicht abgestoßen. Dazu ist es in erster Linie nötig, solche Zellen patientenspezifi sch aufzubewah-ren, zu züchten, zu vermehren oder gar zu verändern. Problematisch ist jedoch die

Haltbarkeit der verwendeten Zelllösungen. Da sie sehr leicht durch Keime infi ziert werden, lassen sie sich in den heute üblichen Gefäßen meist nur wenige Tage lagern.

Kultivierung von Zellen in sterilen Kunststoffbeuteln

Das Verbundprojekt InnoSurf, das 2007 begann, soll da Abhilfe schaffen: Wissenschaftler aus fünf Forschungseinrichtungen entwickeln hier gemeinsam mit Partnern aus der Industrie neuartige Kunststoffoberfl ächen und Messver-fahren zur effi zienten Gewinnung von humanen Zellen für diagnostische und therapeutische Anwendungen. Die Arbeiten werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-

logie mit einer Million Euro gefördert und vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig koordiniert.

Die Idee ist, die Zellen in geschlossenen und damit sterilen Kunststoffbeuteln zu kultivieren. Dazu muss man die innere Oberfl äche der Beutel so verändern, dass sie Zellen gute Überlebens-bedingungen bieten. Ein Team um Dr. Michael Thomas am Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberfl ächentechnik IST in Braunschweig hat dafür nun ein plasmatechnisches Verfahren entwickelt. »Wir befüllen die Beutel mit einem spezifi schen Gasgemisch und legen eine elektri-sche Spannung an«, erklärt die wissenschaftliche

Mitarbeiterin Kristina Lachmann. »Auf diese Weise entsteht im Inneren für kurze Zeit ein Plas-ma – also ein leuchtendes, ionisiertes Gas –, das die Kunststoffoberfl äche chemisch verändert.« Bei diesem Prozess bleibt der Beutel steril, da Plasmen eine desinfi zierende Wirkung besitzen. Auf teure und aufwändige Reinraumtechnik bei der Präparation kann man dabei verzichten.

Viel Know-how steckt bei diesem Verfahren in der Zusammensetzung des Gasgemischs. Das Plasma muss bei Atmosphärendruck schon bei relativ niedrigen Spannungen »zünden« und sich gleichmäßig im gesamten Beutel ausbreiten, aber nicht außerhalb des Beutels. Normalerweise stellt man Plasmen – wie etwa in einer Leucht-stoffröhre – bei Unterdruck her. »Atmosphären-

druck-Plasmen hat man lange nicht beachtet«, sagt Michael Thomas. »Erst in jüngerer Zeit wurden Technologien entwickelt, wie man sie nutzen kann.« Und sie sind in der Regel so heiß, dass der Kunststoffbeutel schmelzen würde. Erst die richtige Einkopplung der elektrischen Span-nung und das passende Gasgemisch machen es möglich, das Plasma bereits bei niedrigen Tem-peraturen zu zünden, während die umgebende Außenluft neutral bleibt.

An den Innenwänden der Beutel, die aus meh-reren Schichten verschiedener Kunststoffe be-stehen, bilden sich durch die Plasmabehandlung funktionelle Gruppen, woran andere Atome

leicht ankoppeln können. »Der Vorteil des Ver-fahrens ist, dass es bei Atmosphärendruck arbei-tet und damit kostengünstig, schnell und fl exibel ist«, betont Gruppenleiter Thomas am IST, der auf die Anwendung von solchen Plasmen zur Veränderung von Oberfl ächen spezialisiert ist. »Die Anlagentechnik ist sehr einfach und kann in bestehende Prozessketten bei der Beutelher-stellung integriert werden. Das reduziert die Investitionskosten und erleichtert die spätere industrielle Umsetzung.«

Die neuartigen Beutel bieten vor allem in der Handhabung große Vorteile, denn sie erleich-tern den sterilen Umgang mit den Kulturen. Bisher mussten Forscher und Mediziner offene Petrischalen, Flaschen oder Bioreaktoren nutzen,

14 - GESUNDHEIT weiter.vorn 2.11

Plastikbeutel lassen sich mit Hilfe von Plasmen so verändern, dass an ihren Wänden menschliche Zellen anhaften und sich vermehren können. Solche Zellkulturbeutel stellen ein wichtiges Hilfsmittel für Forschung und Klinik dar und könnten vielleicht eines Tages die heutigen Petrischalen ablösen.

Text: Brigitte Röthlein

Plasma in Tüten

Der Zellkulturbeutel vor der Beschichtung ... ... und während der Beschichtung. © Fraunhofer IST

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um menschliche Zellen zu kultivieren. Da es sich dabei um Systeme handelt, die zumindest zur Befüllung geöffnet werden müssen, kommt es leicht zu Verunreinigungen. Um Gesundheits-gefahren für Patienten auszuschließen, dürfen solche Zellen dann nicht mehr in der Medizin genutzt werden. Bei der neuen Technik hingegen wandern die Zellen, die gelagert oder vermehrt werden sollen, direkt über eine Injektionsnadel oder durch angeschlossene Schlauchsysteme in den Beutel, ohne mit der Umgebung in Be-rührung zu kommen. Damit fallen eine Menge Infektionsquellen weg. Im sterilen Inneren der 100-Milliliter-Beutel befi nden sich das Nährme-dium und keimfreie Luft oder ein geeignetes Gas, das man vorher zugegeben hat. Auch wäh-rend des Kultivierungsprozesses muss man die Behältnisse nicht öffnen, und am Ende las-sen sich die Zellen erneut über eine Injektion-nadel entnehmen.

In einem zweiten Verfahrensschritt kann man später in der Klinik die modifi zierten Ober-fl ächen durch chemische Umsetzung mit bestimmten Substanzen verändern, um ihr Verhalten gegenüber Proteinen und Zellen zu

steuern: Je nachdem, um welche Substanz es sich handelt, docken dabei auf chemischem Wege an bestimmten Stellen Linker-Moleküle an den funktionellen Gruppen an, die dann wie kurze Borsten einer Bürste von der Oberfl äche abstehen. Sie können danach die Verknüpfung zu verschiedenen Proteinen und damit Zelltypen herstellen. Verwendet man als Linker beispiels-weise Antikörper, die selektiv auf bestimmte Zellen ansprechen, lassen sich damit diese von anderen trennen.

Um die Vorgänge im Inneren der Beutel mess-technisch verfolgen zu können, ohne sie zu öffnen und den Inhalt zu verderben, entwi-ckelten Forscher der Technischen Universität Braunschweig im InnoSurf-Projekt berührungs-freie Messmethoden. Bei ihrem Verfahren, das ähnlich funktioniert wie die Kernspintomogra-phie, werden die Zellen mit Eisenoxid-Teilchen markiert, anschließend lässt sich deren unter-schiedliche Reaktion auf elektromagnetische Felder messen, die man von außen einstrahlt. So lässt sich der Zustand der Zellen während der Kultivierung überprüfen, ohne dass man Flüssig-keit entnehmen muss.

In den sterilen Beuteln sollen sich nur Zellen und Thrombozyten aufbewahren, kultivieren und charakterisieren lassen. Die Forscher haben noch weitere Ideen: Sie wollen die Einwegsysteme vielleicht auch zur Züchtung künstlicher Organe verwenden. Rüstet man sie mit einer dreidimen-sionalen Struktur aus, die mit dem Plasmaverfah-ren vorbereitet wurde, könnten sich darauf Zel-len festsetzen und Gebilde wie künstliche Haut, Nerven, Knorpel oder Knochen bilden, die man dann dem Patienten als Prothesen einsetzen könnte. Bisher scheiterte deren Züchtung meist daran, dass sich die Stammzellen, die man dazu verwenden will, nicht auf räumlichen Gebilden festsetzen wollten. So konnte man keine größe-ren zusammenhängenden Gewebe herstellen.

Das am IST entwickelte Plasmaverfahren könnte vielleicht dieses Problem lösen. Das Städtische Klinikum Braunschweig will derartige Verfahren in Zukunft erproben: Es wird in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen aus Gewebeproben bestimmte Stammzellen isolieren und untersu-chen, auf welchen der neuen Kunststoff-Ober-fl ächen sie sich beispielsweise zu Knochen oder Knorpel entwickeln.

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Ultraschall-Untersuchungen gehören in Kliniken und Arztpraxen längst zum Alltag, etwa bei der Schwangerschaftsvorsorge. Doch seit einiger Zeit können die Ärzte mit Ultraschall auch »operieren«, etwa um schonend Tumoren zu entfernen. In einem Gemeinschaftsprojekt will die Fraunhofer-Gesellschaft die Möglichkeiten der neuen Therapieform nun erweitern – auf Organe im Bauchraum, die sich beim Atmen bewegen und deshalb vom Ultraschallstrahl nur schwer zu treffen sind.

»Strahlt man starke Ultraschallwellen in den Körper, lässt sich damit Gewebe zerstören, ins-besondere Tumorzellen«, sagt Dr. Tobias Preusser vom Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS in Bremen. Als Ultraschallsender dienen spezielle Kristalle. Wie Brenngläser konzentrie-ren sie Schallwellen auf einen kleinen Fleck. Im Körper wirkt der gebündelte Ultraschall wie ein Tauchsieder: Innerhalb von Sekunden kann er die Zellen eines Tumors auf über 60 Grad Celsius

erhitzen und gezielt zerstören, ohne dass man Patienten mit dem Skalpell aufschneiden muss.

Um den Ultraschall präzise auf das Tumorge-webe auszurichten, liegt der Patient in einem Magnetresonanz-Tomographen (MR). Dieser lie-fert ein 3D-Bild aus dem Körperinneren, so dass der Arzt das Zielgewebe identifi zieren und den Brennpunkt des Ultraschalls fokussieren kann. Gleichzeitig misst das MR-Gerät die Temperatur im Gewebe und kann überwachen, ob der Ultra-schall den Tumor stark genug erhitzt. Mit dieser Methode lassen sich heute Gebärmutter- und Prostatatumoren behandeln.

Interessant wäre aber auch die Ultraschall-therapie von Leberkrebs. Hier könnte man schonender als bislang behandeln oder sogar Tumoren entfernen, die sich per Skalpell gar nicht operieren lassen – etwa, weil sie zu dicht an lebenswichtigen Blutgefäßen liegen. Doch die Sache hat einen Haken: Beim Atmen

Forscher arbeiten an einer Soft-ware, die Leberkrebs-Therapien mit Ultraschall ermöglichen soll.

Text: Frank Grotelüschen

Tumorbehandlung mit Schallwellen

Extrakorporale fokussierte Ultraschalltherapie

Das Projekt »Extrakorporale fokussierte Ultra-schalltherapie – Wirkungsweise, Simulation, Planung und Verlaufskontrolle neuer Thera-pietechniken« wurde im Juni 2010 gestartet und soll drei Jahre lang laufen. Beteiligt sind fünf Institute der Fraunhofer-Gesellschaft: – Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS, Bremen– Fraunhofer-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik FIRST, Berlin– Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik Ernst-Mach-Institut EMI, Freiburg– Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirt- schaftsmathematik ITWM, Kaiserslautern – Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI, St. Augustin.

In der prototypischen Anwendung für eine thermische Leberkrebsbe-handlung werden Tumoren hervorge-hoben. © Fraunhofer MEVIS

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bewegt sich die Leber und damit auch der Tumor. Die Gefahr: Allzu leicht könnte der Brennpunkt des Ultraschalls »verrutschen« und das umliegende gesunde Gewebe verletzen – Blutgefäße, Nerven oder andere Organe wie Magen und Darm.

Der Ultraschallstrahl soll der Bewegung der Leber folgen

Doch dieses Risiko ließe sich minimieren, würde der Ultraschallstrahl der Bewegung der Leber folgen können – ähnlich wie der Scheinwerfer einem Schauspieler auf der Bühne folgt. Genau daran arbeiten Preusser und sein Team zusam-men mit vier anderen Fraunhofer-Instituten aus Berlin, Kaiserslautern, Freiburg und Sankt Augus-tin. »Extrakorporale fokussierte Ultraschallthera-pie«, so heißt das Gemeinschaftsprojekt.

Der erste Schritt ist eine präzise Operations-planung, basierend auf einer Softwaresimula-tion. »Als Eingangsdaten dienen die Bilder aus dem MR-Gerät«, erläutert MEVIS-Forscher Dr. Joachim Georgii. »Mit Hilfe unserer Software soll der Arzt vor der Behandlung einen für den Patienten optimierten Operationsplan erstellen können.« Der Plan beschreibt, an welchen Stel-len der Mediziner die Fokuspunkte setzen sollte, um den Tumor effektiv zu zerstören und das umliegende gesunde Gewebe zu schonen.

Georgii deutet auf den Monitor seines Rechners und zeigt ein Beispiel für eine Simulationsrech-nung: das Bild einer Leber, an ihrem Rand sind die Umrisse eines Tumors zu erkennen. In der Mitte der Geschwulst ist der Brennpunkt des Ultraschallstrahls zu sehen, er erinnert an eine schmale, rot lodernde Flamme. »Wenn man die

Ultraschallsender geschickt ansteuert, können sich die Schallwellen so überlagern, dass sie sich im Tumor bündeln und eine Temperatur von 70 Grad Celsius erzeugen«, erläutert Georgii. »Das ist heiß genug, um die Tumorzellen zu zerstören.«

Später soll die MEVIS-Simulation mit einer Soft-ware kombiniert werden, an der Experten vom Fraunhofer-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik FIRST in Berlin arbeiten. Deren Programm berechnet, wie sich die Leber beim Atmen bewegt. Das Problem nämlich ist, dass das MR-Gerät keine laufenden Bilder aus dem Körper liefert, sondern nur einen Schnappschuss pro Sekunde. »Ich kenne also nur einmal in der Sekunde den exakten Ort des Tumors«, erläutert FIRST-Forscher Ivo Haulsen. »Deshalb entwickeln wir Methoden, mit denen wir vorhersagen kön-nen, wo sich der Tumor während des gesamten Atemzyklus befi ndet.«

Eine Bilderkennungs-Software macht den Tumor im 3-D-Bild des MR-Geräts ausfi ndig. Zusätzlich soll der Patient an Atmungssensoren ange-schlossen werden. Vor der Behandlung ist eine Lernphase vorgesehen, in der das System die At-mung des Patienten beobachtet und die Bilder mit den Daten der Atmungssensoren korreliert. »Dadurch lernt das Gerät, wie sich die Leber eines Patienten während des Atmens bewegt«, sagt Haulsen. »Auf Basis dieser Daten lässt sich dann während der Behandlung sagen, wo sich der Tumor zu jedem Zeitpunkt befi ndet.« Dadurch kann man den Ultraschall-Brennpunkt präzise nachführen, sodass er immer auf den Tu-mor zielt. Kritisch wird es nur, wenn der Patient kräftig husten muss. Haulsen: »Dann lässt sich die Situation nicht kontrollieren und man muss die Behandlung kurz unterbrechen.« Doch dass

sich die Leber beim Atmen bewegt, ist nicht die einzige Schwierigkeit. »Eine zweite Herausforde-rung besteht darin, dass die Leber an manchen Stellen durch Rippen abgeschattet wird«, sagt MEVIS-Forscher Sebastian Meier. »Die Rippen können den Ultraschall absorbieren oder refl ek-tieren und dadurch die Behandlung stören.« Mit der heutigen Technik müsste der Arzt, um die Hindernisse zu umschiffen, die Sendeelemente quasi per Hand umstellen.

Deshalb arbeiten Experten vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern an raffi nierten mathe-matischen Algorithmen, die weitgehend automatisch den optimalen Weg um die Rippen herum fi nden. Am Ende soll dieses Modul der Optimierung zusammen mit der Simulation und der Atemkontrolle zu einem schlagkräftigen Software-Paket verknüpft werden. Dieses könnte nicht nur die Therapie von Leber- oder auch Nierentumoren ermöglichen, sondern zudem helfen, die bislang stundenlangen Behandlungszeiten bei der Ultraschalltherapie von Gebärmutter- und Prostatatumoren deutlich zu verkürzen.

Für 2013 sind erste praktische Tests geplant, zum Beispiel an Schweinelebern. Doch bis die neue Technik in die Kliniken Einzug halten kann, wird es noch deutlich länger dauern. Und: »Un-sere Software dürfte dem Arzt zwar viel Arbeit abnehmen«, sagt Projektkoordinator Tobias Preusser. »Dennoch trägt er die Verantwortung und wird, sollte einmal etwas schief gehen, im-mer sofort in das System eingreifen können.«

www.fraunhofer.de/audio: online ab 2. Juni 2011

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18 - GESUNDHEIT weiter.vorn 2.11

Gesundes Training

© MEV

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Die Schmerzen im rechten Knie kann Marianne nicht vergessen. Bei einer Skitour in den Schwei-zer Bergen blieb sie in einem Schneehaufen hängen. Dann ging alles sehr schnell: nach dem Skiunfall mit dem Helikopter ins Krankenhaus, am nächsten Tag schon auf dem Operationstisch und eine Woche später mit Krücken daheim im Liegesessel. Jetzt geht es darum, das operierte Kniegelenk zu mobilisieren und die volle Beweg-lichkeit wieder herzustellen – ein sanftes und gezieltes Gerätetraining mithilfe eines physiothe-rapeutischen Plans.

Um das Training richtig planen zu können, brauchen Physiotherapeuten und Mediziner detaillierte Informationen über den Fortschritt beim Muskelaufbau, den erreichten Beweg-lichkeitsgrad und die Gesamtverfassung der Patientin während der Maßnahme. Insbeson-dere der behandelnde Arzt muss wissen, wie gut Mariannes Knie sich entwickelt. Das aber ist schwierig. Denn qualifi zierte Daten über das absolvierte Gerätetraining stehen dem Arzt nicht automatisch zur Verfügung. Zwischen den Softwaresystemen in der Physiotherapie oder der Rehabilitation und den Arztpraxen fehlt die direkte Verbindung. Dabei wird viel Potenzial verschenkt: »Durch die medizinische Auswertung von Trainingsdaten lässt sich die Qualität der Behandlung deutlich steigern«, sagt Sven Meister, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST in Dortmund. Der Informatiker hat zusammen mit seinem Team eine Schnittstelle entwickelt, die Fitnessdaten eines trainierenden Patienten an ein Praxissystem des niedergelassenen Medizi-ners oder ein Krankenhausinformationssystem übertragen kann.

Grundsätzlich ist es jedem selbst überlassen, was er im Fitness- und Wellnessbereich unternimmt. Findet das Training aber im Rahmen einer medizinisch-therapeutischen Behandlung statt, ist ärztlicher Beistand unerlässlich. Mit dem »eTraining« wollen die ISST-Wissenschaftler den Informationsfl uss zwischen Ärzten, Krankenkas-sen, Trainern und dem privaten Gesundheits-engagement vieler Menschen in Gang bringen.

Das Ziel ist ein besserer therapeutischer Erfolg von gesundheitsfördernden Maßnahmen, die außerhalb von stationären Einrichtungen des ersten Gesundheitsmarkts erbracht werden. Der entscheidende Ansatzpunkt für die Fraunho-fer-Informatiker ist eine standardisierte Informa-tionsplattform, die den Austausch individueller Messdaten wie Pulsschlag, benutztes Gewicht, Geschwindigkeit, Dauer oder der »Range of Mo-tion« bei orthopädischen Reha-Maßnahmen mit den Informationssystemen der Ärzte möglich macht. »eTraining führt sowohl den Trainings-plan, als auch die aktuellen Trainingsdaten eines Patienten zusammen und macht diese Informa-tion den autorisierten Teilnehmern zugänglich«, erläutert Sven Meister.

Der Brückenschlag zwischen gesundheitsbezo-genen Angeboten und medizinischer Begleitung stößt auf große Resonanz in der Healthcare-Branche. Der Fitnessgeräte-Hersteller Ergo-Fit setzt bereits eine selbst entwickelte Software in Ergometern ein, die beispielsweise Trainingsein-heiten dokumentiert und Trainingsprogramme anhand des gemessenen Pulsschlags steuert. Der Trainingscomputer hat sogar einen Netz-werkanschluss, über den sich ein zusätzlicher Rechner anschließen lässt. Die PC-Software erweitert den Funktionsumfang des Gerätecom-puters und liefert weitere Trainingsprofi le oder ermittelt die individuelle Leistungsfähigkeit.

»Viele Trainingsdaten sind bereits vorhanden«, weiß Meister, was hingegen fehlt, sind der si-chere Datentransfer via Internet und das Einpfl e-gen der Daten in die verschiedenen IT-Systeme der beteiligten medizinischen Einrichtungen. Hierfür nutzen die ISST-Wissenschaftler ihre weitreichenden Erfahrungen bei der Entwicklung durchgängiger Softwarearchitekturen im Bereich von eHealthcare. So war das ISST federführend beim Aufbau der »elektronischen Fallakte«, eine mittlerweile fest etablierte Spezifi kation für den Datenaustausch zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäuser, beteiligt.

Bei eTraining setzen die Wissenschaftler auf Standards, um die entwickelte Lösung für alle

IT-Systeme im Gesundheitswesen nutzbar zu machen. Vorbild für das Anbinden der externen Trainingsdaten an ein medizinisches Kranken-hausnetzwerk ist der US-amerikanische Standard Health Level Seven (HL7). In Zusammenarbeit mit Ergo-Fit ist daraus ein Datenmodell entstan-den, das trainingsbezogene Messwerte und me-dizinische Behandlungsdaten auf Basis der »HL7 Clinical Document Architecture (CDA)« zusam-menführt. Gemeinsam mit Ergo-Fit entwickelte das ISST einen CDA-basierten Trainingsplan, mit dem Fachärzte den medizinischen Behandlungs-erfolg eines Fitnesstrainings beurteilen können.

Daten sind verschlüsselt

Ein wichtiger Aspekt für verschiedene Anwen-dungsszenarien ist die Datensicherheit. Der einfache Passwortschutz beim Aufruf des Pro-gramms reicht bei sensiblen Patienteninformati-onen nicht aus. Die Daten müssen verschlüsselt sein. Zudem setzen die ISST-Forscher auf ein zertifi katbasiertes Authentisierungsverfahren, das den Zugriff auf die Daten nur mittels eines elektronischen Schlüssels erlaubt. Bislang wurde der Zugriff über einen Offl ine-Token realisiert. Dabei erhält der Arzt von seinem Patienten die Zugangsberechtigung. In Zukunft soll auch die elektronische Gesundheitskarte in den Authenti-fi zierungsprozess mit einbezogen werden.

Doch welche Informationen werden überhaupt benötigt, um den Trainingsverlauf medizinisch beurteilen zu können? »Hier sind wir mit verschiedenen Expertenkreisen im Gespräch, um eine branchenweite Standardisierung auch mit Blick auf die Krankenkassen zu erreichen«, unterstreicht ISST-Informatiker Meister. Die Wei-terentwicklung des Informationsaustauschs könnte sogar neue Geschäftsmodelle ermög-lichen und beispielsweise Reha-Leistungen verstärkt auf ein Fitnessstudio übertragen. Gerätehersteller Ergo-Fit und das ISST sind schon heute davon überzeugt, dass »die Vernetzung der Gesundheitsmärkte eine Qualitätssteige-rung gerätegestützter Trainingsansätze in der Rehabilitation und Prävention zur Folge hat«, so Projektleiter Meister.

Viele Menschen trainieren im Fitnessstudio, um nach einer Verletzung wieder in Form zu kommen. Forscher entwickeln ein Verfahren, das Ärz-ten die Daten über die absolvierten Übungen an den Geräten zur Verfü-gung stellt. Damit ließe sich das Training noch besser planen.

Text: Andreas Beuthner

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Nicht jeder Patient lässt sich gerne Blut abneh-men – doch es liefert wichtige Aussagen über das Befi nden. In der Regel wird in Kliniken und Praxen Blut abgenommen und im Labor unter-sucht. Das Differentialblutbild ist ein Routine-verfahren in der medizinischen Diagnostik, bei dem die weißen Blutkörperchen – die Leukozy-ten – im Blut quantitativ und qualitativ beurteilt werden. Die ermittelten Werte unterstützen den weiteren Diagnoseprozess und stellen wichtige Indikatoren für Entzündungen, Allergien aber auch Parasiten- oder Autoimmunerkrankungen dar. Üblicherweise werden Blutproben mit Blut-bildautomaten ausgewertet. Auffällige Proben muss die MTA allerdings manuell beurteilen – eine zeitaufwändige Methode.

Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen haben ein System entwickelt, das die Auswertung von Blutbildern automatisiert und gleichzeitig die Qualität der Befunde steigert. HemaCAM wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Horn Imaging GmbH entsprechend der Medizinpro-dukte-Richtlinien zugelassen und ist seit Oktober 2010 auf dem Markt. »Die Kernidee war, ein Mikroskop mit digitaler Bildauswertung zu koppeln«, erklärt Dr. Christian Münzenmayer,

Gruppenleiter für Medizinische Bildverarbeitung am IIS. »Während die Durchfl uss-Zytometrie auf physikalischen Messmethoden beruht, ahmt HemaCAM nach, wie ein Mensch die Zellen betrachten würde.« Wie ein Auge blickt eine Kamera durch das Mikroskop. Eine spezielle Bildauswertungssoftware analysiert bis zu acht nachzudifferenzierende Blutausstriche in einem Durchgang automatisch und unterbreitet an-schließend Klassifi zierungsvorschläge.

Jede auffällige Zelle kann dokumentiert werden

»Wir haben dafür unser System mit Expertenwis-sen trainiert. Im Hintergrund liegt eine Daten-bank, in die jede Zelle per Hand eingegeben wurde. Algorithmen im Rechner nutzen diese Datenbank dazu, um die aktuell aufgenomme-nen Zellen zu analysieren und vorzusortieren. Jede auffällige Zelle kann einzeln in hundertfa-cher Vergrößerung dokumentiert werden. Die MTA im Labor überprüft das Ergebnis, verifi ziert es und gibt es dann frei. Anschließend wird der Befund ins Laborinformationssystem eingespeist und der Laborleiter stellt den Befund aus«, be-schreibt IIS-Experte Christian Münzenmayer die Arbeitsweise des Diagnosesystems.

Von der Idee bis zur Umsetzung in ein serienrei-fes Produkt vergingen mehr als sechs Jahre. Das Mikroskopiesystem HemaCAM wird derzeit in Fachlaboren europaweit installiert. Die Fraun-hofer-Forscher arbeiten an weiteren Verbesse-rungen: »Wir haben jetzt ein Slide-Handling-System integriert. Damit können wir bis zu 200 Objektträger automatisch auswerten und analysieren. Hinzu kommt als weitere Software-komponente eine Analyseunterstützung für die Morphologie des roten Blutbildes. Damit lassen sich etwa Anämien diagnostizieren; gleichzeitig liefert das rote Blutbild Hinweise auf Leber- oder Nierenschäden, Stoffwechselerkrankungen und Mangelerscheinungen«, sagt der Leiter der Abteilung Bildverarbeitung und Medizintechnik, Christian Weigand.

Die Experten am IIS denken noch weiter: In einem neuen Projekt entwickeln sie derzeit ein Diagnoseverfahren für Knochenmarkszellen. Damit könnte auf der Basis von HemaCAM die Untersuchung von Knochenmarkszellen erleich-tert und standardisiert werden. Bisherige Ergeb-nisse sind vielversprechend. Das Projekt wurde beim Innovationswettbewerb Medizintechnik 2010 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF prämiert.

Blutbilder automatisch erstellenDas Differentialblutbild hilft Ärzten in Kliniken und Praxen dabei, den Gesundheitszustand eines Patienten zu beurteilen. Die computerassistierte Blutzel-lenanalyse HemaCAM liefert alle Werte schnell und sicher.

Text: Isolde Rötzer

HemaCAM verbindet Mikroskop und digitale Bildauswertung. Eine Spezialsoftware analysiert die Blutausstriche und unterbreitet Klassifi zierungs-vorschläge. © Horn Imaging

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weiter.vorn 2.11 FRAUNHOFER INSIDE - 21

Wie groß sind die Bürozimmer im Neubau? Passt die Architektur zu unserem Unternehmen? Lange Erklärungen und umfangreiche Präsentationen werden überfl üssig – am Multi-Touch-Table kann jeder sofort sehen, wo er künftig arbeitet. Dazu öffnet man die virtuellen 2D-Pläne auf dem interaktiven Multi-Touch-Tisch. Sobald man einen bestimm-ten Plan ausgewählt hat, sorgt ein Visualisierungsprogramm dafür, dass gleichzeitig auf einem Monitor das 3D-Modell des Gebäudes sichtbar wird. »Die Betrachter navigieren auf dem waagerechten Plan per Fingerzeig zu jeder beliebigen Posi-tion. Ein zweiter Finger defi niert die Blickrichtung. Mit zwei Fingern lassen sich die Pläne drehen. Zieht man zwei Finger auseinander, zoomt man in die Tiefe des Objekts«, erklärt Dr. Eva Eggeling, Leiterin von Fraunhofer Austria Visual Compu-ting, die Hauptfunktionen dieser Anwendung. Architekten, Eigentümer, Planer und Kunden bewegen sich am Multi-Touch-Table interaktiv und frei durch die Räume, gehen um Konferenztische herum oder treten näher an einzelne Details wie etwa Arbeitsplätze heran.

Die österreichische Schwester des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt kooperiert seit dem vergangenen Jahr mit der Bene AG. Im Mai 2010 präsentierten die Partner den neuen interaktiven Tisch erst-mals der Öffentlichkeit. Derzeit fertigt Bene den Multi-Touch-Tisch auf Anfrage und kümmert sich um die Qualität und Ver-arbeitung der Bauteile und der Hardware. Die Wissenschaftler entwickeln und integrieren die benötigte Software.

Natürlich berücksichtigen die Forscher auch Sonderwünsche der Kunden

In der Basisversion erhält der Kunde einen Tisch mit integrier-ter waagerechter Multi-Touch-Fläche und dem senkrechten

Monitor für die 3D-Darstellung. Inklusive ist auch die Basis-software VirtualDesk, die es ermöglicht Standarddokumente wie Bilder und Texte auf dem Multi-Touch-Tisch zu nutzen. »Natürlich arbeiten wir entsprechend den jeweiligen Bedürf-nissen Sonderwünsche ein«, erklärt Eggeling. Die Wissen-schaftler bieten an, vorhandene Spezialsoftware der Kunden, wie sie beispielsweise in Logistikunternehmen eingesetzt wer-den, mit der Fraunhofer-Technologie zu verbinden. So kann auf der Wand in 3D die Fabrikhalle eines Kunden entstehen, Elemente lassen sich per Fingertipp einfügen oder entfernen. Schnell zeigt sich so, ob etwa der Platz für eine neue Maschi-ne ausreicht oder weitere Umbauten nötig werden.

Damit halten virtuelle Welten Einzug in den Alltag der Unter-nehmen und helfen dabei, Arbeitsabläufe zu erleichtern. Die schnelle Visualisierung beschleunigt Entscheidungsprozesse und verhindert Fehlplanungen. Auch Produktpräsentationen, Informationssysteme und Planungswerkzeuge lassen sich am Multi-Touch-Table realisieren. Mit dieser Kooperation werden neue Standards bei der Integration moderner Medien und der intelligenten Einrichtung von Kommunikationsräumen ge-setzt. »Die Bene AG betrachtet die Ergebnisse der innovativen Forschungszusammenarbeit mit Fraunhofer Austria als einen wichtigen Schritt, um die Synthese aus Büromöbel-Hardware und IT-Software in kundengerechten Anwendungen abzu-bilden. Das Raumobjekt erfüllt dabei die wichtige Aufgabe, virtuelle Funktionen zu verorten, anfassbar und erlebbar zu machen. Diese Entwicklung weist den Weg in eine zuneh-mend medienorientierte Arbeitswelt«, sagt Frank Wiegmann, Vorstandsvorsitzender der Bene AG.

Erste Tische wurden bereits im vergangenen Jahr an Kun-den ausgeliefert, langsam nähert sich das Produkt der Kleinserienproduktion.

Interaktiv mit Multi-TouchiPhone und Co machen es vor: Jetzt un-terstützt intelligente Visualisierungs-technologie die Kommunikation im Büro. Im Multi-Touch-Table des österreichischen Büromöbelspezialisten Bene steckt Fraunho-fer-Wissen.

Text: Isolde Rötzer

Die Betrachter navigieren auf dem waagerechten Plan per Fingerzeig zu jeder beliebigen Position. Ein zweiter Finger defi niert die Blickrichtung. Mit zwei Fingern lassen sich die Plä-ne drehen. Man kann auch in die Tiefe des Objekts zoomen. © Fraunhofer IGD

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22 - INFORMATIONSTECHNOLOGIE weiter.vorn 2.11

Nach dem missglückten Banküberfall fl üchten die Verbrecher. Sofort schickt die Polizei ihre Einsatzwagen hinterher. Um die Verfolgung zu koordinieren, nutzen die Beamten ein satel-litengestütztes Navigationssystem. Vom Wagen aus schal-ten sie die Ampeln grün, damit sie gefahrlos Kreuzungen passieren können. Ist der Täter gefasst, gleichen die Ermittler seine Fingerabdrücke mit einer zentralen Datenbank ab und scannen den Ausweis. Den gesamten Einsatz dokumentiert ein Polizist mit einer Videokamera.

Diese Szene ist keine Science-Fiction. Die Polizei kennt und nutzt schon seit längerem die Vorteile der modernen Infor-

mationstechnologie. Doch technische Fortschritte sind für Polizisten Fluch und Segen zugleich: IT erleichtert die Arbeit, ihr fl ächendeckender Einsatz ist aber teuer und kann einzelne Mitarbeiter überfordern. Sie müssen ständig umdenken und sich in neue Systeme einarbeiten. Zwischen der Entwicklung und dem Implementieren von IT liegen deshalb oft Welten. »IT-Experten erheben normalerweise die Anforderungen des Auftraggebers, arbeiten dann ein paar Monate an dem Projekt und liefern es ab – manchmal geht es gut, manch-mal komplett an den Bedürfnissen der Nutzer vorbei«, sagt Sebastian Denef vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT in Sankt Augustin.

Wie neue Technologien die Arbeit der Polizei künftig verändern werden, unter-suchen Forscher. © ddp

Polizei 2.0Die Informationstechnik verändert den Arbeitsalltag von Polizisten. In dem europäischen Projekt COMPO-SITE untersuchen Wissenschaftler, wie Gesetzeshüter mit Modernisierung umgehen.

Text: Boris Hänßler

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weiter.vorn 2.11 INFORMATIONSTECHNOLOGIE - 23

Sebastian Denef arbeitet in einem ungewöhnlichen Projekt mit: der europäischen Großstudie COMPOSITE. Der Titel steht für Vergleichende Polizeistudien in der EU (Comparative Police Studies in the EU). Eine interdisziplinäre und interna-tionale Forschergruppe untersucht Veränderungsprozesse bei der Polizei in ganz Europa. »Wir erforschen, wie Infor-mations- und Kommunikationstechnologien in den Polizei-organisationen zum Einsatz kommen«, beschreibt Sebastian Denef die Teilaufgabe des FIT. »Dazu führen wir in allen zehn beteiligten Ländern Experteninterviews mit den Behörden durch. »Wir entwickeln keine Technologie«, betont Denef. »Wir möchten etwas über die Arbeitspraxis lernen, vor allem, was sie für die Technologieentwicklung und -adaption bedeutet.« COMPOSITE wird von der EU mit knapp sieben Millionen Euro gefördert und von der Erasmus Universität Rotterdam koordiniert.

Organisationskultur berücksichtigen

Denef hat bereits Erfahrungen in einem ähnlichen Projekt gesammelt: Für die Feuerwehr entwickelte er »Landmarken«, ein mobiles Navigationssystem, das Feuerwehrleute dabei unterstützt, sich in einem brennenden Gebäude zurechtzu-fi nden. Diese Erfahrungen kann der FIT-Forscher nun nutzen: »Wir berücksichtigen, dass die Einführung neuer Technolo-gien nicht nur ein technisches Problem ist, sondern auch ein soziales.« Gerade bei Einrichtungen mit stark ausgeprägter Organisationskultur erweise es sich oft als schwierig, Verän-derungen durchzusetzen, erklärt auch Dr. Jochen Christe-Zeyse, Vizepräsident der Fachhochschule der Polizei des Lan-des Brandenburg und Leiter des deutschen Beitrags zu COM-POSITE: »Polizisten identifi zieren sich stark mit ihrer Arbeit und ihrem Beruf. Wird ihr Berufsbild durch Modernisierungen in Frage gestellt, muss man mit Widerstand rechnen.« Das gelte auch für technologische Veränderungen.

Die europäische Forschergemeinschaft führt derzeit In-terviews mit den IT-Verantwortlichen der Polizei in zehn europäischen Ländern durch, darunter Deutschland, England, Italien, Rumänien und Mazedonien. Die breite Betrachtungs-weise ist Absicht: Grenzpolizisten in Mazedonien sind mit anderen IT-Problemen beschäftigt als deutsche Kollegen. »Die Polizei in den östlichen EU-Grenzstaaten muss sich den Schengen-Richtlinien anpassen, wohingegen Deutschland auf den rapide steigenden Reiseverkehr reagiert, etwa mit einem automatischen Pass-Scanner«, so Denef. Aber selbst innerhalb Deutschlands unterscheiden sich die Prioritäten der IT-Nutzung von Bundesland zu Bundesland.

In Ostdeutschland beispielsweise steht die Polizei vor einem gewaltigen Problem: Seit Jahren gehen die Bevölkerungszah-len stark zurück. Während die Stadt Berlin wächst, verlassen die Menschen das strukturschwache Land. Die demogra-phischen Prognosen und der damit verbundene Sparzwang

werden sich dauerhaft auf Besetzung und Ausstattung der Polizei auswirken. Im Herbst 2010 beschloss die Landesre-gierung Brandenburg die Strukturreform »Polizei 2020«. Das Land wird 1900 Stellen bis zum Jahr 2020 abbauen – etwa 20 Prozent. Trotzdem soll die öffentliche Polizeipräsenz nicht leiden. Die Polizei muss sich folglich etwas einfallen lassen, um ihre Aufgaben zu bewältigen.

Wache auf Rädern

Eine vielversprechende Idee ist der »Interaktive Funkstrei-fenwagen«. Er ist ausgerüstet mit einem »Car PC«, einem mobilen Büro, das die Leistungen einer Polizeistation zumindest teilweise ersetzen könnte: Anzeigenaufnahme, Fingerabdrücke abgleichen, Personen- und Kfz-Daten erhe-ben oder abrufen. Hinzu kommen ein Navigationssystem, Videotechnik für die Einsatzdokumentation und eine Art Blackbox, die wie bei einem Flugzeug einen Unfallhergang aufzeichnet. »Wir haben das System in den vergangenen Jahren erfolgreich getestet«, sagt Ingo Decker, Sprecher des Brandenburger Innenministeriums. Dabei mussten zunächst die einzelnen Komponenten aufeinander abgestimmt wer-den. Inzwischen sei das Hightech-Fahrzeug serienreif. Die Polizei ermittle jetzt den Bedarf. »In Brandenburg werden vermutlich die ersten 20 bis 30 Fahrzeuge noch 2011 zum Einsatz kommen«, so Decker.

Die Niederlande testet einen virtuellen Polizisten als Erstkon-takt bei der Polizeistation, die italienischen Kollegen führen eine sprachgesteuerte Software ein, mit der die Beamten verbal zentrale Datenbanken bedienen können. Das sind nur einige Beispiele für den Einsatz von IT in Europa. »Wir haben bereits mehrere hundert Seiten Berichte zu laufenden IT-Maßnahmen«, sagt Sebastian Denef. Im Frühjahr 2011 ist der erste Teil von COMPOSITE abgeschlossen – dann weiß Denef, was in Europa derzeit passiert, welche Hoffnungen und Probleme die Polizisten mit IT verbinden.

In der zweiten Projektphase wählen die Forscher Schwer-punktthemen, etwa »mobile Technologie«, und arbeiten dafür Best-Practice-Beispiele aus: Was hat die deutsche Polizei bereits gelöst, was die spanische noch lösen muss – und umgekehrt. In zwei Jahren beginnt die letzte Phase. Die Forscher untersuchen dann das Verhältnis zwischen Polizei-Technologie und Bürger: Wie werden automatische Grenz-kontrollen wahrgenommen? Haben die Menschen Angst vor Überwachung? Sehen sie eine Erleichterung?

Sebastian Denef begnügt sich jedoch nicht damit, Umfra-gen auszuwerten. Er will im Laufe des Projektes bei Polizei-Einsätzen hospitieren – das hat er bereits bei der Feuerwehr gemacht. Sein Ziel: »Wir erhalten ein viel besseres Verständ-nis für die Ansprüche an Technologie – sie soll sich schließlich am Arbeitsalltag der Menschen orientieren.«

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24 - INFORMATIONSTECHNOLOGIE weiter.vorn 2.11

Das Angebot im Werbefernsehen für den Wochenendtrip in die Alpen war so verlockend, dass Familie Wedel es gleich vom Sofa aus über die Internetverbindung ihres TV gebucht hat. Doch der Weg ins Skihotel ist weit und über winterliche Straßen beschwerlich – da sollte man sich besser nicht verfahren. Also planen Wedels die Route vorab online. Als es losgeht, weiß ihr Auto längst, wohin die Reise führt, die Navigations-App ist bereits vom heimischen PC informiert worden. Die Fahrzeit verkürzen sich die Kinder mit Filmen und Musik aus ihrer Online-Mediathek. Die letzten Meter zu Fuß vom zentralen Parkplatz des Dorfs aus lässt sich die Familie per Smartphone führen, das natürlich

längst mit der Hotel-Adresse von der App im Auto versorgt worden ist.

Noch ist das Zukunftsmusik: Künftig soll eine offene Plattform für mobile Web-Dienste eine solche stressfreie Anreise möglich machen. Technisch ist es dabei völlig egal, mit welchem Betriebssystem der heimische PC läuft, was für ein Navigationssystem im Auto installiert ist und welches Handy genutzt wird. Denn es gibt keine Brüche mehr und die Geräte können sich untereinander verständigen. Nutzen Soft-waredesigner die Open-Source-Technologie für ihre mobilen Miniprogramme, brauchen sie nur eine App entwickeln, die auf diversen Endgerä-

ten läuft, angefangen vom Computer und Tablets über Spielekonsolen bis hin zu heimi-schen Fernsehgeräten und Internetanwendun-gen für das Auto.

Ein Traum, zu schön, um wahr zu sein? Nein, ein internationales Forschungskonsortium arbeitet bereits an der Open Source-Software namens webinos. Geleitet wird das Projekt von Dr. Stephan Steglich, der am Berliner Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS arbeitet. »In anderthalb Jahren werden wir einen ersten Prototypen mit Anwendungen präsentieren«, sagt Steglich. Nach insgesamt drei Jahren soll die standardisierte Technologie

Webinos sollen ein- und dieselben Apps für unterschiedliche Geräte und Systeme anbieten können. © Radius Images/Montage Vierthaler&Braun

Apps für alle!Smartphones ohne Apps sind heute kaum noch denkbar. Künftig wer-den auch onlinefähige Fernseher und Autos mit den nützlichen Minipro-grammen arbeiten. Was bislang fehlt, ist eine offene Plattform, auf der diese Applikatio-nen entwickelt werden und unabhängig vom Gerät oder Betriebssystem lau-fen. Das wollen Forscher nun ändern.

Text: Chris Löwer

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stehen. Steglichs Vision von einer universellen und sicheren Anwendungsplattform wird dann Wirklichkeit sein.

Dafür wird es höchste Zeit, denn noch herrscht auf dem Markt mobiler Dienste geradezu baby-lonisches Sprachgewirr: Die unterschiedlichen Smartphone-Hersteller und Softwareriesen set-zen auf eigene, geschlossene Systeme. Die Fol-ge: Daten und Dienste zwischen verschiedenen internetfähigen Geräten diverser Anbieter lassen sich nicht austauschen. Unter dem Label des Kunstworts »webinos« wird künftig gewisserma-ßen eine Sprache gesprochen. User können ihre Lieblings-Apps barrierefrei und auf jedem Endge-rät nutzen. Und Anbieter können schnell neue personalisierte Anwendungen entwickeln.

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»Bei Smartphones ist das Thema schon ziemlich ausgereizt, aber für das Internetfernsehen und Web-Anwendungen im Auto besteht ein riesiges Potenzial«, betont Steglich. Was auch erklärt, dass dem von der Europäischen Union mit zehn Millionen Euro geförderten Konsortium neben Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer, der TU München und der University of Oxford auch Elektronikunternehmen wie Sony Ericsson und Samsung sowie BMW angehören.

»Webinos stellt eine interessante Lösungsplatt-form bereit und kann der BMW Group künftig helfen, innovative Applikationen schneller in das Fahrzeug zu integrieren«, erklärt Dominik Schnieders aus der Abteilung Forschung und Technik bei BMW. Eine offene Plattform hält die Technik des Autos über neue Software aktuell. Schnieders: »Unser Ziel ist es, dass auf diese Weise das Fahrzeug Teil der vernetzten Welt des Kunden wird.« Noch schneller als im Autobau ist der Wandel in der Unterhaltungselektronik: Während der Entwicklungszyklus eines Fahr-zeugs bei etwa sieben Jahren liegt, kommen mobile Endgeräte nach sechs und zwölf Mona-ten auf den Markt.

Fraunhofer-Forscher Steglich ist überzeugt, dass der künftige Standard zu einem Schwergewicht in der Entwickler- und Nutzerwelt werden wird: »Zum einen, weil großer Handlungsdruck be-steht, zum anderen, weil das Konsortium starke Mitglieder hat.« Mit im Boot ist unter anderem auch die internationale Standardisierungsorga-nisation W3C (World Wide Web Consortium),

der auch Apple und Microsoft angehören. Ein weiteres Schwergewicht in dem Verbund ist die Deutsche Telekom. »Vernetztes Leben und Arbeiten ist die Vision der Deutschen Telekom. Wir sind bei webinos dabei, um gemeinsam mit starken Partnern aus Industrie und Wissenschaft künftige Potenziale von Web Services zu entwi-ckeln. Die Nutzung über Domains hinweg und auch im Auto steht dabei im Vordergrund«, sagt Telekom-Projektleiterin Katrin Jordan. Vor allem aber lockt der anwendernahe, breite Ansatz, von dem sich der Konzern viel verspricht. »We-sentlich ist, dass webinos konkrete Ergebnisse in kurzer Zeit liefert«, sagt Jordan. Die Telekom ist auch Mitglied der Wholesale Application Community (WAC), einem Konsortium führender Telekommunikations-Unternehmen, das eine einheitliche offene Plattform für App-Entwickler erarbeiten wird. Die beiden Ansätze ergänzen einander. WAC fokussiert sich vor allem auf Smartphones und soll sich so zu einem Gegen-gewicht zu den dominierenden App-Stores von Google und Apple entwickeln.

Auf schnelle Ergebnisse setzt auch die Unterhal-tungsindustrie, vor allem Anbieter von Hybrid-TV. Ihre Vision: einfach vom Fernsehsessel aus per Internettelefon Skype in alle Welt telefo-nieren, und wenn das Gespräch länger dauert, ließe es sich einfach unterwegs im Auto oder per Smartphone weiterführen. Stephan Steglich ist überzeugt, dass sich das Nutzungsverhalten grundlegend ändern wird: »Es kommt nicht mehr auf fest installierte Dienste an, sondern da-rauf, diese unkompliziert über das Internet nut-zen zu können.« Dank günstiger Daten-Flatrates und schnellem mobilen Internet über UMTS und dessen Nachfolger Long Term Evolution (LTE) ist die Zeit dafür reif.

Warum also den Speicher des Handys mit einer opulenten Navi-App belasten, wenn sich einzel-ne Wegbeschreibungen herunterladen lassen, die der Nutzer gerade braucht? »Eine einheit-liche offene Plattform bietet die Möglichkeit für viele neue Geschäftsmodelle, zum Beispiel, wenn mehrere Nutzer eine App gemeinsam mieten«, unterstreicht der Fraunhofer-Forscher. Kleine und mittlere Unternehmen würden von einem unkomplizierten und kostengünstigen Weg in die Welt der Apps profi tieren. Sie müssen nicht aufwändig die Software selbst entwickeln oder kaufen, um ihre Dienste wie etwa einen mobilen Online-Shop für etliche Geräte anzupassen.

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26 - RUBRIKTITEL weiter.vorn 3.10

Spin-offs

Mehr Schwung für die LogistikStimmen die Abläufe in meinem Betrieb? Wird der teure La-gerplatz auch optimal genutzt? Könnte man Produktion und Lagerhaltung besser aufeinander abstimmen? Immer wieder müssen Unternehmer sich diese Fragen stellen. Denn ständig kommen neue Softwarelösungen auf den Markt, die Produk-tionsprozesse und Transportketten noch effektiver machen.

Die do logistics Consulting GmbH, eine Ausgründung aus dem Fraunhofer-Institut für Materialfl uss und Logistik IML, hilft Unternehmen dabei, die Logistik optimal zu planen sowie Arbeits- und Produktionsabläufe zu verbessern. Zum Kerngeschäft des Dortmunder Spin-off gehören neben der ganzheitlichen Fabrik- und Layoutplanung die effi ziente Gestaltung logistischer Systeme sowie der Aufbau optimaler Prozesse, Organisationen und deren Restrukturierung. Jürgen Wloka und seine Kollegen beraten Kunden zur technisch-logistischen Lagerplanung, optimieren Materialfl usssysteme und kümmern sich um die IT. »Wir fi nden beispielsweise für unsere Kunden zu vorhandenen Logistikprozessen passende Software oder passen Abläufe und Software aneinander an und schulen anschließend die Mitarbeiter«, beschreibt der Experte ein mögliches Tätigkeitsfeld. Zunehmend gefragt sind speziell auf die Kundenbedürfnisse zugeschnittene Soft-warelösungen. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung können die Logistikexperten besonders gut zwischen Anwender und Entwickler vermitteln und so eine optimale Lösung fi nden.

Die Kunden des 2003 gegründeten Unternehmens kommen aus vielen Branchen. Die Referenzen der Logistikexperten reichen von der Lebensmittelindustrie wie Herta und Stein-haus über die Evonik-Tochter Goldschmidt AG (Chemie) und verschiedene Automobilzulieferer bis hin zu Vertretern der internationalen Kommunikationsbranche (Vodafone). Ein weiteres Standbein ist die 2004 gegründete Dependance in China. Derzeit kümmern sich sieben Experten um chinesi-sche Unternehmen. »Damit können wir unseren Kunden in Deutschland und Europa gute Geschäftsverbindungen nach China anbieten«, sagt Wloka. Eine kleinere Niederlassung befi ndet sich in Australien.

Jürgen Wlokawww.do-logistics.com

Robust und wartungs-arm mit Glas Sie stehen in Laboren, Praxen und Physiksälen: Erlenmeyer-kolben sind extrem haltbar, hitze- und kältebeständig. Glas-spezialisten nutzen die besonderen Eigenschaften jetzt für die Passivierung von elektronischen Bauteilen: »Wir dampfen Borosilikatglas bei sehr niedrigen Temperaturen auf Wafer oder Chips auf. So werden sie hermetisch dicht versiegelt und sind deshalb besonders langlebig und zuverlässig«, sagt Jürgen Leib, Geschäftsführer der MSG Lithoglas AG in Berlin. Damit bieten die Experten eine Alternative zu Beschichtung mit Polymeren, die nicht annähernd so temperaturbeständig sind und schnell undicht werden. Weitere Geschäftsfelder sind Lithoglas-Substrate und -Beschichtungen. Die gute Isolier- und Leitfähigkeit des Glases sowie die Transparenz erlaubt zudem immer neue Anwendungen, etwa in der Leis-tungselektronik oder bei High-Brightness LEDs.

»Eine Ausgründung im klassischen Sinn sind wir nicht«, weiß Leib. Aber aufgrund der langjährigen und engen Verbindung zum Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointeg-ration IZM in Berlin sowie der Tatsache, dass ein Fraunhofer-Mitarbeiter mit zu den Gründern gehört, fühlen sich die Berliner durchaus als Spin-off. Dazu kommt die räumliche Nähe, die MSG-Lithoglas sitzt direkt neben dem IZM und nutzt deren Räume für ihre Entwicklungen.

Begonnen hatte der MSG-Geschäftsführer als Projektleiter bei einem internationalen Glasspezialisten, der Schott AG in Landshut. Dort beschäftigte er sich mit dem Aufdampfen von Glas auf Wafer. Prof. Herbert Reichl, Institutsleiter am Fraunhofer IZM, bestärkte seine Arbeiten, bot technische Un-terstützung an und erlaubte ihm, eine Projektgruppe am IZM zu installieren. Aus dieser Gruppe heraus entstand 2006 die MSG Lithoglas AG. Heute besteht ein Kooperationsvertrag zwischen beiden Einrichtungen, der eine offene Zusammen-arbeit in Forschung & Entwicklung und das gemeinsame Auftreten regelt. »Für uns bedeutet das, dass wir uns ganz auf die Kernprozesse fokussieren können: das Aufdampfen von Glas auf Wafer. Gleichzeitig bieten wir unseren Kunden ein professionelles Umfeld, in dem alle möglichen Wünsche zufriedenstellend erfüllt werden können.«

Mit Glas bedampfte Wafer eignen sich zum Einsatz in Elektro-fahrzeugen ebenso wie in Offshore-Windanlagen, für Biochips etwa in Implantaten oder für Funkstationen in den Bergen oder der Wüste. »Eben überall da, wo keine Wartung möglich ist und deshalb besondere Zuverlässigkeit gefragt ist«, sagt Leib.

Jürgen Leibwww.lithoglas.de

26 - GRÜNDERWELT weiter.vorn 2.11

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weiter.vorn 2.11 GLEICHSTELLUNG - 27

Das Bundesfamilienministerium hatte 2008 eine interdiszi-plinär zusammengesetzte Kommission beauftragt, Gleich-stellung in Deutschland zu analysieren, Zukunftsfelder für eine innovative Gleichstellungspolitik zu identifi zieren und Handlungsempfehlungen zu formulieren. Mit ihrer Untersu-chung liefert die Sachverständigenkommission zum ersten Mal eine umfassende Bestandsaufnahme der Gleichstellung in Deutschland. An der Studie, die von der Geschäftsstelle Gleichstellungsbericht der Fraunhofer-Gesellschaft betreut wurde, haben auch Fraunhofer-Wissenschaftler mitgearbeitet.

Die Analyse umfasst die Schwerpunkte Lebensverläufe, recht-lich verankerte Rollenbilder, Bildung, Erwerbsarbeit, Zeitver-wendung und soziale Sicherung von Frauen und Männern im Alter. Das Fazit: Der Weg zu echter Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern ist in Deutschland noch weit. »Gleichstellung muss Ziel und Bestandteil moderner Innovationspolitik sein, denn sie bedeutet nicht nur Kosten, sondern birgt auch erhebliches wirtschaftliches Potenzial. Die Nutzung aller Talente und die Erwerbstätigkeit von Frauen macht unsere Gesellschaft leistungsfähiger und stabilisiert so das Sozial- und Steuersystem. Politik und Wirtschaft müssen die Rahmenbedingungen dafür setzen, dass Frauen und Männer ihre Potenziale gemäß ihrer unterschiedlichen Präferenzen und Möglichkeiten in einzelnen Lebensphasen auf dem Arbeitsmarkt einbringen können«, betont Prof. Dr. Ute Klammer, Vorsitzende der Sachverständigenkommission. Die Kommission gibt auch zahlreiche konkrete Empfehlungen für eine zukunftsweisende Gleichstellungspolitik. So fordert

sie unter anderem, Minijobs abzuschaffen, die Situation von privat pfl egenden Frauen und Männern zu verbessern und eine Geschlechterquote für Aufsichtsräte einzuführen.

www.gleichstellungsbericht.de

Das Gutachten macht deutlich, welche Risiken durch Fehlanreize im Berufsleben insbesondere für Frauen beste-hen. So führt die Subventionierung geringfügiger, nicht sozialversicherungspfl ichtiger Beschäftigungsverhältnisse für verheiratete Frauen im Falle einer Scheidung nicht selten zu eklatanten Mängeln bei den späteren berufl ichen Entwick-lungsmöglichkeiten und in der sozialen Sicherung im Alter. »Die gegenwärtige Minijobstrategie muss aus Perspektive der Geschlechtergleichstellung als desaströs bezeichnet wer-den«, macht Prof. Dr. Ute Klammer deutlich. »Eine wirksame Gleichstellungspolitik muss solche Fehlanreize vermeiden und darauf achten, dass Entscheidungen keine negativen Folgen für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder ein Geschlecht haben.« Notwendig ist eine ganzheitliche Perspektive, die verschiedenste Lebensentwürfe unterstützt und den gesamten Lebensverlauf von Frauen und Männern in den Blick nimmt. Denn nur auf diesem Weg lassen sich tatsächliche Wahlmög-lichkeiten und gleiche Verwirklichungschancen für Frauen und Männer erreichen.

Das Ende Januar vorgelegte Gutachten bildet die Grundlage für den ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, der im diesem Jahr verabschiedet werden soll.

Neue Wege für gleiche ChancenBis zur echten Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern ist es noch ein weiter Weg. Das ist das Ergebnis des ersten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung.

© EB-STOCK

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28 - FRAUNHOFER VISUELL weiter.vorn 2.11

Fraunhofer visuell

Der Sinnesraum ist eine Art Rückzugszone. Bei Klängen und Bildern können die Mitar-beiter in kurzen Arbeitspausen entspannen.

Foto: Thomas Ernsting

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weiter.vorn 2.11 FRAUNHOFER VISUELL - 29

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30 - PRODUKTION weiter.vorn 2.11

Da kann der Motor noch so leise schnurren: Wenn ein Auto in voller Fahrt über einen rauen Straßenbelag saust, kann man drinnen kaum noch ein Wort verstehen – »Was hast du gesagt, Schatz?«. Vor allem bei einer längeren Autobahnfahrt ist der Lärm oft nervtötend. Fraunhofer-Forscher wollen ge-meinsam mit der Industrie dem Auto das Dröhnen abgewöh-nen, indem sie die Erschütterungen der Reifen, des Fahrwerks oder des Motors vom Rest des Autos entkoppeln. Sie greifen dafür zu Piezo-Keramiken, einem besonderen Material, das Erschütterungen in elektrische Energie und umgekehrt elek-

trische Energie in Bewegung umwandelt. Dadurch kann das Material Schwingungen entgegenwirken.

Piezo-Keramiken zählen zu den »Smart Materials«, zu Werk-stoffen oder Bauteilen, die ihre Eigenschaften fl ink und fl exi-bel der Situation anpassen. Schon seit einigen Jahren schwär-men Forscher geradezu von diesen »intelligenten« Werkstof-fen. Von einigen Ausnahmen abgesehen, blieb der große Durchbruch bislang aber aus, denn ein »smartes« Material allein genügt nicht. Eine ganze Menge Know-how ist nötig:

Schlaue WerkstoffeBlitzschnell, fl exibel und selbstständig passen sich »Smart Materials« an wech-selnde Bedingungen an. Die Fraunhofer-Allianz Adaptronik will gemeinsam mit Industriepartnern noch mehr Schwung in die Entwicklung neuer Produkte bringen.

Text: Tim Schröder

An einem Auto testen Wissenschaftler Piezo-Lager, die zwischen dem Fahr-gestell und einem darauf sitzenden Metallrahmen der Karosserie befestigt sind. © Fraunhofer LBF

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Berechnungs- und Konstruktionsverfahren müssen angepasst, Bauteile und Elektronik entwickelt oder Sensoren und andere Komponenten geschickt miteinander verknüpft werden. Die besondere Herausforderung besteht darin, ein funktionstüch-tiges, zuverlässiges Gesamtsystem zu entwickeln, das sich perfekt an die jeweilige Anwendung und Situation anpassen kann – ein »Adaptronisches System«.

Autos werden leise

Um gute Ideen schneller zum Praxiseinsatz zu bringen, hat die Fraunhofer-Gesellschaft das Wissen vieler Spezialisten aus verschiedenen Instituten in der Fraunhofer-Allianz Adaptro-nik (siehe Kasten) gebündelt. Darin entwickeln die Experten verschiedene adaptronische Systeme aus Piezo-Keramiken und anderen intelligenten Materialien bis hin zum Prototypen oder sogar Vorserien-Modell. »Je nach Projekt und Schwer-punkt arbeiten jeweils verschiedene Institute und Industrie-partner zusammen«, sagt der Leiter der Allianz, Tobias Melz vom Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzu-verlässigkeit LBF in Darmstadt.

Um den Lärm im Auto zu dämpfen, kooperieren die LBF-For-scher unter anderem mit Volkswagen. An einem VW-Passat testen sie Piezo-Lager, die zwischen dem Fahrgestell und ei-nem darauf sitzenden Metallrahmen der Karosserie befestigt sind. Normalerweise werden dafür Gummielemente verwen-det, doch die schlucken die störenden Schwingungen nicht optimal. Daher sind die Erschütterungen der Reifen als Lärm im Auto zu hören. Die Piezo-Lager hingegen werden exakt so angesteuert, dass sie sich den störenden Vibrationen ent-gegenstemmen. Damit neutralisieren sie die Erschütterungen quasi. Im Auto bleibt es ruhig. Die Piezo-Bauteile müssen ex-trem präzise und mit genau der erforderlichen Kraft arbeiten. Dafür haben die Forscher eine ausgefeilte Steuerungs- und Verstärkerelektronik ausgetüftelt. »Solche Systeme eignen sich auch sehr gut für andere Motoren und Maschinen sowie für Anwendungen, bei denen es auf höchste Präzision an-kommt«, sagt Melz, »beispielsweise eine erschütterungsfreie Lagerung für Mikroskope oder laseroptische Systeme.«

Energie ernten

Gleich vier Institute der Fraunhofer-Allianz und mehrere Firmen beschäftigen sich derzeit im Verbundprojekt »PiezoEn« mit der zweiten Seite der Piezo-Technik: der Umwandlung mechanischer Energie in elektrische Energie. Verformt man eine Piezo-Keramik, entsteht eine elektrische Spannung, und genau die will man nutzen. Fachleute bezeichnen das als »Energy Harvesting« – »Energie-Ernten«. Derartige »Piezo-Harvester« tun im Kleinen das, was Solaranlagen und Wind-räder schon lange machen: Sie zapfen die Energiequellen der Natur an und liefern elektrischen Strom frei Haus – nur nutzen die Piezo-Harvester mechanische Schwingungsener-

gie. Sie arbeiten also auch bei Nacht und Windstille. Zwar ist die Energieausbeute einer Piezo-Keramik gering; für manche Anwendungen aber genügt das.

In PiezoEn arbeiten die Forscher an Sensoren zur Überwa-chung von Bauwerken, die rechtzeitig Schäden und Risse detektieren. Montiert man die Piezo-Keramiken geschickt im Bauwerk – etwa in einer Brücke –, können durch Autos oder Winde verursachte Bauwerkschwingungen die Harvester

Fraunhofer-Allianz Adaptronik

Strukturen, die aktiv auf Veränderungen reagieren, wer-den zunehmend wichtiger. Die adaptive Strukturtechnolo-gie, kurz Adaptronik, gilt als eine der Schlüsseltechnologi-en für das 21. Jahrhundert. Sie ermöglicht es, leichte und gleichzeitig vibrations- und lärmarme sowie formstabile Bauteile zu konstruieren. In der Fraunhofer-Allianz Adap-tronik arbeiten Experten aus 11 Fraunhofer-Instituten an der Entwicklung, Anwendung und Optimierung »Smart Materials« und darauf aufbauender Komponenten und Systemlösungen.

Auf der Hannover Messe (4. – 8. April 2011) stellt die Allianz gemeinsam mit weiteren Adaptronik-Partnern in der Halle 2 aktuelle Forschungsergebnisse vor – unter anderem die Sicherheitskupplung und den VW Passat.

Die beteiligten Institute:

– Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS– Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberfl ächen-

technik IST– Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschafts-

mathematik ITWM– Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM– Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und

Umformtechnik IWU– Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren

IZFP– Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und System-

zuverlässigkeit LBF– Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-

Institut, EMI– Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Ange-

wandte Materialforschung IFAM– Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und

Systeme IKTS– Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC

www.adaptronik.fraunhofer.de

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32 - PRODUKTION weiter.vorn 2.11

mit Energie versorgen. Die wäre ausreichend, um ein kleines Funksignal an eine Leitstelle zu senden. Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen entwickelt dafür unter anderem besonders energieeffi ziente winzige elektronische Steuerungen. Das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg steuert neue und für den Einsatzzweck optimierte Piezo-Keramiken bei. »Wir am LBF sorgen dafür, dass Harvester und Strukturschwingung opti-mal aufeinander abgestimmt sind«, sagt Melz. Werden das mechanische und das elektrische System falsch kombiniert oder die Harvester fehlerhaft montiert, mag die Bauwerks-struktur zwar schwingen: Der Harvester erntet aber trotz-dem keine Energie.

Smart sind nicht allein die Piezo-Keramiken. Die Allianz be-schäftigt sich auch mit »Magnetorheologischen Flüssigkeiten (MRF)«, die magnetische Partikel enthalten. Setzt man diese einem Magnetfeld aus, ordnen sich die Partikel kettenartig an, die Flüssigkeit wird zäh oder erstarrt. Man kann das Fließver-halten – die Viskosität – einer MRF präzise steuern, indem man das Magnetfeld verändert. Das macht die MRF zum idea-len adaptronischen Werkzeug. Die Fraunhofer-Forscher über-führen derzeit ein neues MRF-Prinzip – eine magnetorheologi-sche Sicherheitskupplung – in ein marktreifes Produkt.

In einem Fahrzeug wird zudem getestet, wie zuverlässig die Kupplung ist. Das neue Kupplungsprinzip eignet sich für

eine Vielzahl technischer Anwendungen, bei denen Motoren mit hohen Drehzahlen eingesetzt werden – zum Beispiel Bohr-, Fräs- oder Werkzeugmaschinen. Im Notfall trennt die Kupplung innerhalb von Millisekunden automatisch den An-triebstrang vom Bohr- oder Werkzeugkopf, etwa für den Fall, dass sich Kleidung verfangen sollte. Das Funktionsprinzip ist genial einfach: An der Kupplungsstelle umschließen sich An-triebswelle und Bohrkopf ähnlich dem Kopf und der Pfanne eines Gelenks. Der Spalt zwischen beiden ist mit Flüssigkeit gefüllt. Legt man ein Magnetfeld an, erstarrt die Flüssigkeit, sodass Antrieb und Kopf fest verbunden sind. Der Bohrer bewegt sich. Im Notfall schaltet sich das Magnetfeld ab, die MRF verfl üssigt sich, Bohrkopf und Antrieb gleiten im Spalt aneinander vorbei. Der Bohrer steht. »In der Allianz haben wir inzwischen eine ganze Reihe verschiedener Kupplungstypen ausgearbeitet und getestet, die letztlich alle nach diesem Prinzip funktionieren«, sagt Melz.

Beispiele wie diese machen deutlich, dass die Anwendung der Smart Materials weiter fortschreitet. Experten erwarten, dass mit bei dem derzeitigen wirtschaftlichen Aufschwung, in den kommenden beiden Jahren weitere Produkte mit »smar-ten« Materialien auf den Markt kommen. Der Bedarf steigt – insbesondere in den Bereichen Leichtbau, Elektromobilität und Ressourcenschonung. Melz: »Die Technik ist soweit. Es wird an spannenden Lösungen gearbeitet – vom Maschinen-bau bis zum Konsumgütermarkt.«

Probe aufs Exempel: Die Schwingungen werden zuverlässig gedämpft – das Kartenhaus stürzt nicht ein. © Fraunhofer LBF

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Eine leichte Berührung mit den Fingerspitzen genügt: Auf Touchscreens kann man mühelos schreiben, navigieren, Menüfenster öffnen oder Bilder drehen. Innerhalb von Sekun-denbruchteilen wird die Berührung umgesetzt in Steuerbe-fehle, die ein Computer versteht. Auf den ersten Blick grenzt die Technik an ein Wunder. Tatsächlich ist sie wenig mysteri-ös: Unter der Glasoberfl äche des Displays befi ndet sich eine hauchdünne Elektrode aus Indium-Zinn-Oxid, kurz ITO. Das Material ist für den Einsatz in Touchscreens geradezu ideal: Es leitet geringe Ströme hervorragend und lässt die Farben des Displays ungehindert passieren. Doch es gibt ein Problem: Weltweit gibt es nur wenige Indium-Vorkommen. Auf lange Sicht, fürchten die Elektrogerätehersteller, vom Preisdiktat der Anbieter abhängig zu werden. Indium zählt man daher zu den so genannten »strategischen Metallen«.

Die Industrie ist stark an ITO-Alternativen interessiert, die ähnlich leistungsfähig sind. Fraunhofer-Forschern ist es jetzt gelungen ein neues Elektrodenmaterial zu entwickeln, das ITO ebenbürtig und dazu noch deutlich billiger ist. Haupt-bestandteile sind Kohlenstoff-Nanoröhrchen, Carbon-Nano-tubes und preiswerte Polymere. Die neue Elektrodenfolie ist aus zwei Schichten aufgebaut: Da ist einmal der Träger, eine dünne Folie aus dem preisgünstigen Plastikfl aschenkunststoff Polyethylenterephthalat, PET. Dazu kommt eine Mischung aus Carbon-Nanotubes und elektrisch leitenden Polymeren, die

als Lösung auf das PET aufgetragen wird und beim Trocknen einen dünnen Film bildet.

Verglichen mit ITO waren derartige Kunststoffverbünde bislang nicht besonders haltbar. Feuchtigkeit, Druck oder UV-Licht setzten den Polymeren zu. Die Schichten wurden mürbe und versagten. Erst Carbon-Nanotubes haben sie sta-bil gemacht: Die Kohlenstoffröhrchen härten auf dem PET zu einem stabilen Netzwerk aus, in dem sich die elektrisch leitfä-higen Polymere fest verankern können. So bleibt die Schicht lange haltbar. »Zwar ist der elektrische Widerstand unserer Schicht etwas größer als der von ITO«, räumt Projektleiter Ivica Kolaric vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA ein. »Doch für eine Anwendung in elektrischen Geräten reicht das allemal.«

Folie wird in einer Pilotfertigung bereits hergestellt

Anwendungen für die neue Technik gibt es viele: Die Folie ist fl exibel und lässt sich daher vielseitig einsetzen. »Man könnte daraus sogar Photovoltaikfolie herstellen, um gewell-te Dächer oder andere unebene Strukturen zu verkleiden«, resümiert Kolaric. Eine Pilotfertigung gibt es am IPA bereits. Dort können die Forscher die Folie für verschiedene Einsatz-gebiete optimieren.

Touchscreen aus KohlenstoffTouchscreens sind »in«. Noch hat die Technik allerdings ihren Preis: Die kleinen Bildschirme enthalten seltene und teure Elemente. Forscher entwickeln daher ein alter-natives Display aus erneuerbaren, preisgünstigen und weltweit verfügbaren Rohstoffen.

Text: Tim Schröder

Touchscreens, die Carbon-Nanotubes enthalten, sind aus erneuerbaren Rohstof-fen gefertigt. © Fraunhofer IPA

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Ventile, Düsen, Kolben, Zündkerzen oder No-ckenwellen – das Herzstück eines jeden Autos ist der Motor. Er ist ein kompliziertes Konstrukt mit vielen Ebenen und Einzelteilen und muss entsprechend präzise montiert werden. Minimal beschädigte, verformte oder falsch eingebaute Einzelteile können einen Motorschaden verursa-chen. Die Folgen wären ein verärgerter Kunde und ein Imageschaden für den Autohersteller.

Während im Karosseriebau die Montage weitest-gehend automatisiert ist, Industrieroboter also Aluminium- oder Stahlteile zusammenschwei-ßen, wird der Motor noch über weite Strecken von Hand montiert. Nicht nur die Toleranzen der Einzelteile, sondern auch die Fähigkeiten und Tagesform eines jeden Montage-Mitarbeiters fl ießen in die Qualität des Gesamtprodukts ein. Eine durchgängige Prozessüberwachung ist nicht einfach, die erreichbare Prozesssicherheit eingeschränkt. Bisherige Methoden zur Auto-matisierung der Motormontage erwiesen sich in der Praxis meist als untauglich oder zu teuer. Deutlich viel versprechender sehen die Ansät-ze der Projektgruppe »Ressourceneffi ziente

mechatronische Verarbeitungsmaschinen« vom Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Gunther Reinhart aus. In Zusam-menarbeit mit dem Autobauer Audi haben die Ingenieure das Projekt »Zukunftsweisende Methoden und Verfahren zur Präzisionsmontage und Prozessüberwachung für neuartige Verbren-nungsmotoren« initiiert.

Audi hat in der Vergangenheit bereits etliche Auszeichnungen erhalten, die das Qualitäts-management des Konzerns widerspiegeln. Der Autobauer will dennoch den Verbesserungspro-zess noch weiter vorantreiben – etwa in dem aktuellen Projekt. Das Ziel ist klar defi niert: Die Qualität der Motormontage soll kontinuierlich optimiert und damit die Kundenzufriedenheit weiter erhöht werden. Der Einsatz modernster Technologien aus den Bereichen Robotik und Sensorik soll dabei helfen, die Unsicherheitsfak-toren in der Motormontage zu beseitigen.

»Auch wenn es um die Automatisierung von Ar-beitsprozessen geht, wird bei Audi deshalb kein

Arbeitsplatz gestrichen«, erklärt Diplom-Ingeni-eur Christoph Sieben vom IWU. Es gehe vielmehr – neben der Verbesserung der Produktqualität – um die Humanisierung eines Arbeitsplatzes. Sogar erfahrene und gut geschulte Mitarbeiter, die täglich sensible Einzelteile montieren und wiederholt komplexe Montageprozesse ausfüh-ren, stehen permanent unter Druck.

Kostenintensive Nacharbeit entfällt

»Eine durchgängige Prozessüberwachung ist nicht möglich, da der Motor nach wie vor in erster Linie von Hand montiert wird. Dabei werden die Motoren immer komplexer. So kann ein erhöhter Nacharbeitsaufwand entstehen«, erklärt Sieben. Mit anderen Worten: Wird der Montagefehler erst entdeckt, wenn der Pkw lie-gen bleibt, entstehen Kosten für die Demontage des Motors, die Reparatur und das Ersatzauto für den Kunden. Das automatisierte Montage-Technologie-System der IWU-Wissenschaftler würde den Fehler bereits während der Motor-montage feststellen und eine entsprechende

Präzise Motoren montierenIn der Automobilindustrie werden Verbrennungsmotoren noch immer weitgehend von Hand zusammenge-baut. Forscher entwickeln Verfah-ren und Methoden, um Montagepro-zesse zu automatisieren und damit die Qualität der Motoren kontinu-ierlich zu verbessern.

Text: Katja Lüers

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Meldung weiterleiten oder aber den Defekt für bestimmte Montageprozesse gar nicht erst zu-lassen. Kostenintensive Nacharbeit entfällt und die Kunden sind noch zufriedener.

Zunächst haben die Forscher den Ist-Zustand ermittelt: Dazu werteten sie die bestehenden Daten über dokumentierte montagebedingte Motorauffälligkeiten für R- und V-Motoren der vergangenen fünf Jahre aus. Der Fokus der Analyse lag auf den verwendeten Teilen sowie auf den Prozessen. »Wir haben die Abfolge der Motormontage generalisiert und in acht Blöcke unterteilt. Die einzelnen Montagefunktionen wurden ebenfalls standardisiert erfasst«, erklärt Sieben. Fehler beim Zusammenbau lassen sich somit immer einheitlich defi nierten Montageab-folgen und -funktionen zuordnen. Durch diese Generalisierung der Motormontage lässt sich die Analyse auf alle Motorarten anwenden – egal, ob nun der kleine R4-Motor oder der große 12 Zylinder V-Motor gebaut wird. »Wir wissen jetzt, bei welchen Montageabfolgen Handlungsbedarf besteht. Mit diesen Daten las-sen sich Schwerpunktprozesse festlegen«, sagt

Sieben. Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für einen Anforderungskatalog, der die Kriterien für eine prozesssichere Motor-montage defi niert.

Ab 2014 für den industriellen Einsatz geeignet

Im nächsten Schritt will die Projektgruppe neue Automatisierungslösungen entwickeln. Kernstück des Versuchsstands ist ein neuartiger Leichtbauroboter: Er wiegt nur 16 Kilogramm, kann aber bis zu sieben Kilogramm heben. Die Besonderheit des »KUKA- Leichtbauroboter«: Er ist sehr sensibel und fl exibel – im Gegensatz zu herkömmlichen Industrierobotern, die ihre Aufgaben nur in einem begrenzten Rahmen ausführen können. Die Forscher suchen nun neue Wege in der Kombination innovativer Sensorik und Robotik. »Wir überlegen zum Beispiel, wie sich ein Transfer von medizintech-nischer Sensorik in die industrielle Verarbeitung gestalten lässt«, erklärt Sieben. Denn gerade in der Medizintechnik muss die Sensorik extrem feinfühlig sein.

Durch die Einbindung von sehr variantenrei-chen Sensorsystemen lässt sich eine leistungs-fähige Steuerungs- und Regelungstechnik entwickeln: Idealerweise erkennt der Roboter dann nicht nur ein Problem, sondern löst es auch. Ein aktuelles Beispiel sind Kamerasys-teme, welche die Orientierung eines Bauteils registrieren. Entspricht es nicht der Norm, ist der Roboter in der Lage, zu entscheiden, ob das Bauteil trotzdem montiert oder ausge-tauscht werden muss. Abweichungen zum Sollzustand werden entsprechend reguliert. »Das auf dieser Basis weiterzuentwickelnde Prozessüberwachungs-System besitzt also die Fähigkeit – in Abhängigkeit vom verwendeten Teilespektrum und den Sensordaten – während des gesamten Montageprozesses automati-siert auf die Prüfkriterien und die geforderten Toleranzen zu schließen und zu reagieren«, erläutert Sieben.

2014 endet das Projekt. Dann soll der Proto-typ für den industriellen Serieneinsatz gerüstet sein – und die nächste Auszeichnung wartet vielleicht schon.

Die Motorenmontage ist bisher wenig automatisiert. Hier wird noch viel von Hand gearbeitet. © Audi AG

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Wer kennt nicht den Ärger mit dem Automaten, wenn man in einer fremden Stadt eine Fahrkar-te für die U-Bahn oder die Straßenbahn lösen will. Bis man sich im Dschungel der Tarife und Tastenkombinationen halbwegs zurechtgefun-den hat, sind zwei Züge davongefahren. Der Fahrgast versteht die komplizierte Maschine einfach nicht. Das muss nicht sein. Eine Arbeits-gruppe des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO hat sich vorgenommen, der Frustration beim Umgang mit computergesteuerten Geräten ein Ende zu setzen. Die Fachleute kümmern sich nicht nur um Automaten für jedermann, sondern auch um die Bedienung komplexer Maschinen und Roboter in Fabriken. Ihr Gebiet ist die »Mensch-Maschinen-Schnittstelle« oder »Human-Compu-ter Interaction«, wie es im Fachjargon heißt. Erst wenn diese Schnittstelle reibungslos funktio-niert, lässt sich das Potenzial vieler Maschinen voll ausschöpfen.

Hier setzen die Stuttgarter an. Sie wollen den Menschen ins Zentrum rücken. Die Bedienung der Geräte soll nicht länger Ärger bereiten, sondern sogar Spaß machen. Weil diese Auf-gabe die Kompetenzen aus vielen Fachgebie-ten erfordert, gehören dem IAO-Team – dem »Competence-Center Human-Computer Inter-action« – Designer, Wirtschaftswissenschaftler, Psychologen, Informatiker und Ingenieure an.

Für die Deutsche Bahn hat die Gruppe gerade den Fahrkartenautomaten in den Bahnhöfen ein neues kundenfreundliches Gesicht verpasst. Die Vorgabe war, dass die Reisenden intuitiv die richtigen Eingaben machen, damit sie rasch zur gewünschten Fahrkarte kommen. Die Fraunho-fer-Experten nahmen sich dabei das Kundenge-spräch am Fahrkartenschalter zum Vorbild. »Wir haben den Leuten über die Schulter geschaut«, sagt IAO-Projektleiterin Janina Bierkandt. Bei solchen persönlichen Gesprächen konnten sie am besten erfahren, welche Erwartungen die Reisenden haben und in welcher Reihenfolge sie beim Fahrkartenkauf vorgehen. Daneben lud das Projektteam immer wieder Testpersonen ins Institut ein, um das neue Konzept zu optimieren. Auch der Kundenbeirat und Behindertenver-

bände wurden gefragt. Für das ansprechende Aussehen der Benutzeroberfl äche sorgte die Design-Agentur Cosmoto. Heraus kam eine Software, die der alten in vielem überlegen ist. So erhält man nun nach der Eingabe von Start und Ziel alle potenziellen Verbindungen mit Prei-sen und möglichen Vergünstigungen. Auch die Verkehrsverbünde mit S- und U-Bahnen wurden integriert. 5700 der insgesamt 7700 Bahn-Automaten – sämtliche Geräte, die bereits über einen Touchscreen verfügen – sind inzwischen mit der neuen Benutzerführung ausgestattet. Die übrigen sollen bis Ende 2011 folgen.

Anlagen intuitiv bedienen

Ähnliche Probleme wie die Bahn mit diesen Au-tomaten haben Industrieunternehmen mit ihren Fabrikationsmaschinen. Auch hier sollen die Mit-arbeiter intuitiv und rasch erfassen, wie sie die riesigen Anlagen steuern können. Denn die Zei-ten sind vorbei, als nur ausgebildete Maschinen-bauer an den Schaltknöpfen standen. In vielen Ländern müssen inzwischen einfache Arbeiter schon nach kurzer Einlernphase hochkomplizier-te Automaten von der Größe einer Doppelgara-ge bedienen. Eine leicht verständliche Kommu-nikation zwischen Mensch und Maschine ist da besonders wichtig. Wie das gehen kann, zeigt das Beispiel der Dortmunder KHS GmbH, ein Hersteller von Abfüll- und Verpackungsanlagen für die Getränkeindustrie. Auch hier hat das Stuttgarter Competence-Center Hilfestellung geleistet. KHS liefert seine Maschinen in rund 50 Länder aus, in denen nicht nur verschiedene Sprachen gesprochen werden, sondern auch unterschiedliche kulturelle Traditionen gel-ten. Deshalb haben die Stuttgarter so oft wie möglich auf Schrift verzichtet und stattdessen mit Symbolen gearbeitet, einer Art international verständliche Formensprache.

KHS stellt insgesamt 256 verschiedene Ma-schinentypen her, ob für das Abfüllen von Getränken oder das Verpacken von Flaschen, für das Mischen von Säften oder das Reinigen von Fässern, für Getränke und Marmelade, für Glastöpfe und Plastikfl aschen. Bisher verfügt jede Maschine über eine eigene Benutzerober-

Die Maschinenfl üstererWie sich eine Maschine oder ein Fahrkartenautomat bedienen lässt, erschließt sich oft erst auf den zweiten oder dritten Blick. Das soll sich ändern: Fraunhofer-Forscher entwickeln intuitiv bedienbare Geräte.

Text: Klaus Jacob

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fl äche. Bedient ein Mitarbeiter mehrere Anla-gen, muss er sich jeweils neu einarbeiten. Das soll sich ändern. Künftig gilt: Wer sich mit der Bedienung einer Abfüllmaschine auskennt, kann ohne Weiteres auch eine Verpackungsmaschine steuern. Die Standardisierung ist umso wichti-ger, da in vielen Fabriken ein einziger Mitarbeiter für mehrere Maschinen verantwortlich ist. Dieser Steuermann soll sogar noch weiter entlastet werden. Damit er nicht ständig zwischen seinem Steuerpult und den Geräten hin- und herlaufen muss, bekommt er ein kleines Steuergerät in die Hand, etwa so groß wie ein Handy, das über Funk mit dem Terminal verbunden ist. Auch darauf fi ndet er alle wichtigen Steuer- und Über-wachungselemente. So kann er von überall her erkennen, ob er Kronenkorken nachfüllen oder defekte Flaschen entfernen muss. »Entscheiden-der Pluspunkt des Human Machine Interfaces ist die Zusammenführung von ehemals heteroge-nen Bedienoberfl ächen der einzelnen Maschinen zu einer einheitlichen Lösung für die gesamte Produktionslinie. Auf diese Art und Weise ist das Steuern und Überwachen einzelner Maschinen und kompletter Produktionslinien erstmals in einem Interface vereint«, fasst Abteilungsleiter Matthias Peissner zusammen.

Das innovative Konzept überzeugt: Im Dezem-ber wurde das Projekt mit einem der weltweit renommiertesten Designer-Preise ausgezeich-net, dem »red dot Award«. In der Kategorie »Interface Design« erhielt das Projektteam, dem neben KHS und Fraunhofer das Projekttriangle Design Studio angehört, die Auszeichnung »best of the best 2010«.

Natürlich lässt sich die Bedienung einer kompli-zierten Maschine nicht beliebig vereinfachen. Bei gravierenden Störungen muss ein Experte kommen, der ganz andere Informationen be-nötigt als ein einfacher Arbeiter. Doch auch das ist dank der neuen Software leicht möglich. Mit ein paar Klicks kann sich der Fachmann immer tiefer in die Eingeweide der Geräte vorarbeiten. Auf diesem Gebiet will die Fraunhofer-Crew künftig noch weiter gehen. Bei einem neuen Projekt plant sie die Steuerung so zu program-mieren, dass sie bei einer Störung der Maschine gleich den zuständigen Experten benachrichtigt, anstatt auf alle Terminals eine Warnmeldung zu schicken. Teile des Konzepts lassen sich auf beliebige Produktionsanlagen übertragen, ob in der Autobranche, für Kunststoffverpackungen oder in der Lebensmittelindustrie.

www.fraunhofer.de/audio:online ab 17. Mai 2011

Fahrkarten-Automaten sollen sich leicht bedienen lassen. © Volkmar Schulz/keystone

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Krebsklebstoff mit SuperhaftkraftDer Rankenfuß-Krebs Dosima produziert einen Superkleber, mit dem er sich fest an Treibgut verankert. Forscher versuchen jetzt, die Eiweißstruktur zu enträtseln: Ziel ist es, die Substanz im Labor zu synthetisieren, denn sie ist ein viel versprechender Kandidat für den Einsatz in der Medizin.

Text: Tim Schröder

Sechs gestielte Meerei-cheln (Dosima fascicularis) umgeben den von ihnen gemeinsam produzierten Klebstoff-Schwimmkörper. © Fraunhofer IFAM

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Als Ingo Grunwald im Urlaub den dänischen Nordseestrand entlang schlenderte, staunte er nicht schlecht: Im Treibgut zu seinen Füßen lagen Dutzende durchscheinend-bräunlicher Schalentiere mit zentimeterlangen buschigen Beinen. Der Weststurm musste sie mit der Brandung angespült haben. Grunwald hob ein Bündel auf. Die Tiere hatten sich fest an Eisstiele und Plastikfetzen geheftet – unmöglich, die Lebewe-sen vom Treibgut zu trennen. Der Biologe wurde neugierig. Er legte ein paar der seltsamen Kreaturen in Marmeladenglä-sern in Spiritus ein und nahm sie mit nach Bremen

Grunwald und seine Kollegen sind Experten für biologische Klebstoffe am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM, und bis dahin war ihm noch nie ein Lebewesen untergekommen, das eine so gut haftende Substanz in so großen Mengen produziert. Dosima fascicularis heißt das seltsame Geschöpf, zu deutsch »Gestiel-te Meereichel«. Es sondert einen luftig leichten Klebstoff ab, der im Wasser aushärtet und an erstarrten Eischnee erinnert. Das Tier sieht zwar aus wie eine Muschel, ist aber ein Krebs. Seine Laufbeine hat es zu Fangarmen umgebildet. Dosima ist eng mit den Seepocken verwandt. Anders als diese heftet sich Dosima aber nicht an Steine, sondern an Treibgut und wird so von Meeresströmungen durch den Atlantik oder Pazifi k getragen. Zudem sondern die Tiere so viel Klebmasse ab, dass daraus ein kleines Floß entsteht, das genug Auftrieb hat, um Dosima an der Meeresoberfl äche zu halten.

Forscher wollen die Haftkraft des »biologischen Zements« enträtseln

Grunwalds Strandspaziergang ist gut zwei Jahre her. In-zwischen hat er gemeinsam mit Forschern der Universität Wien begonnen, die Haftkraft des »biologischen Zements« in einem Kooperationsprojekt zu enträtseln. Die Wiener Kollegen um Waltraud Klepal untersuchen im Detail den Aufbau der Zementdrüsen und der Gänge, durch die Dosima den Superkleber absondert. Klepal fertigt dazu hauchdünne, histologische Gewebeschnitte an, die dann im Elektronenmi-kroskop analysiert werden. Ingo Grunwald hingegen will das Rezept des Bio-Zements entschlüsseln. »Wir sind uns ziemlich sicher, dass es sich um einen Klebstoff handelt, der fast aus-schließlich aus Eiweißen, Proteinen, besteht«, sagt Grunwald. Der Forscher versucht derzeit herauszufi nden, aus welchen Aminosäure-Bausteinen die Proteine aufgebaut sind. Wenn er Glück hat, können seine Kollegen und er die Kleb-Proteine dann in einem zweiten Schritt im Labor nachbauen.

Der Klebstoff ist nicht nur wegen seiner Haftkraft faszinie-rend, sondern auch weil er unter Wasser aushärtet. Auch Miesmuscheln beherrschen diese Kunst. Die blauschwarzen Schalentiere spinnen sich mit dünnen Haltefäden an Steinen im Meer fest, die sie mit einem eigenen Bio-Klebstoff am Un-tergrund befestigen. US-Forscher haben bereits vor einigen Jahren herausgefunden, aus welchen Aminosäuren sich die Muschelkleber-Eiweiße zusammensetzen. Doch Dosima hat es in sich. »Ihr Zement ist so fest, dass er sich kaum mit den üblichen Lösungsmitteln in seine Bestandteile zerlegen lässt«, sagt Grunwald. »Die Lösungsmittel, die bei den Muscheln funktionieren, versagen bei Dosima.« Für Grunwald macht

das den Krebs nur noch interessanter. Inzwischen ist es ihm gelungen, eine so große Proteinmenge aus der Zementmas-se zu lösen, dass er mit der Analyse der Proteine beginnen konnte. Jetzt kann er die Eiweiße bereits bestimmten Grup-pen zuordnen. In den kommenden Monaten folgt die Dechif-frierung der Aminosäureabfolge. Dazu wird ein Analysegerät das Protein Stück für Stück zerlegen und Aminosäure für Aminosäure identifi zieren. Damit wissen die Forscher, in wel-cher Reihenfolge das Protein aufgebaut wird – die entschei-dende Voraussetzung für die spätere Synthese der Substanz, für die Grunwalds Kollege Klaus Rischka verantwortlich ist.

Als Leiter der Arbeitsgruppe »BioInspirierte Materialien« weiß Grunwald, dass derartige Substanzen für die Industrie und vor allem die Medizin von Interesse sind. Solche Bioklebstoffe können Schnittwunden verschließen oder Nägel und Schrau-ben bei Knochenbrüchen ersetzen. Der Miesmuschelkleb-stoffe wird heute bereits in der Zellbiologie eingesetzt. Er wird aus Muschelextrakt gewonnen. Da Muscheln im Gegen-satz zu Dosima aber nur winzige Klebstoffmengen herstellen, ist die Gewinnung aufwändig. Etwa 10 000 Muscheln sind nötig, um ein Gramm zu erhalten. Eine Menge, die ein einzi-ges Dosima-Individuum spielend herstellt. Der Kaufpreis des Muschelklebstoffs ist entsprechend hoch. Er liegt bei mehr als 100 US-Dollar pro Milligramm. Zum Vergleich: Ein Milligramm Gold bringt es derzeit auf 40 US-Cent.

Gelingt es, den Dosima-Werkstoff in der Retorte herzustellen, könnte er am Ende deutlich billiger sein. Noch aber muss die Aminosäuresequenz entschlüsselt werden. Erst dann wird sich zeigen, ob er sich synthetisieren lässt. Ist das Protein beispielsweise besonders groß, ist der Nachbau im Labor schwierig. Denkbar wäre es auch, den Klebstoff nicht in reiner Form einzusetzen, sondern mit anderen Chemikalien zu einem Hybridklebstoff zu mischen. Die Proteine könnten dann als eine Art Haftkraftverstärker wirken. Als Einsatz-gebiete kämen Applikationen in Frage, bei denen man mit feuchtheißer Umgebung zu kämpfen hat, was Klebprozesse oftmals erschwert. Noch ist es für Grunwald aber zu früh, um über mögliche Anwendungsszenarien zu spekulieren.

Zunächst will er gemeinsam mit den Histologen in Wien das Wunder des Unterwasser-Klebens verstehen. Tatsächlich reicht es oftmals nicht, allein die Aminosäuresequenz eines Naturstoffs zu entschlüsseln. Man muss auch wissen, wie die Substanz im Tier verarbeitet wird. Spinnen etwa können je nach Bedarf aus demselben Werkstoff Fäden unterschiedli-cher Dicke oder Strapazierfähigkeit herstellen, indem sie die Substanz erst beim Verspinnen an den Spinnwarzen chemisch modifi zieren. »Einem Material in einem einzigen Prozess-schritt unterschiedliche Eigenschaften aufzuprägen, das ist in der technischen Welt eine wirkliche Herausforderung«, sagt Grunwald. Sein Ziel ist es, im kommenden Jahr die Analyse der Proteine abzuschließen. Dann soll eine erste Synthese im Labor folgen. Erst danach möchte er sich festlegen, was er und seine Kollegen für die Zukunft mit dem Dosima-Klebstoff noch erreichen wollen.

www.fraunhofer.de/audio: online ab 26. April 2011

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Erfahrene Diamantschleifer haben das gewisse Fingerspitzengefühl und vor allem ein sehr gutes Gehör. Um aus einem schmucklosen Rohdiamanten einen funkelnden Brillanten an-zufertigen, polieren und schleifen sie ihr Werk-stück an einem rotierenden, gusseisernen Rad, das mit Diamantsplittern gespickt ist. Sie fühlen und hören am Ton des Schleifrads, wie sie den Edelstein halten müssen, um ihm den richtigen Schliff zu verpassen, denn ein Rohdiamant lässt sich nicht auf jeder Seite gleich gut polieren. Er besitzt weiche und harte Oberfl ächen, die unterschiedlich schwer zu bearbeiten sind. Forscher sprechen von Anisotropie, dem Phä-nomen, dass die physikalischen Eigenschaften eines Stoffs richtungsabhängig sein können. Doch einen wissenschaftlichen Nachweisfür diese empirisch belegte Anisotropie hatten die Forscher bislang nicht. Ungeklärt ist auch, wie sich das härteste aller bisher bekannten Materialien überhaupt bearbeiten lässt. Erste wissenschaftliche Erklärungsmodelle um 1900 gingen davon aus, dass aus dem Rohdiaman-ten beim Schleifen kleine Kristalle herausbre-chen – ähnlich einem Backstein, der zerbricht. Im Laufe der Jahre entstanden verschiedene Hypothesen, die sich allerdings allesamt nicht belegen ließen.

Das Team um Prof. Michael Moseler und Dr. Lars Pastewka vom Fraunhofer-Institut für Werkstoff-mechanik IWM in Freiburg hat nun diese Jahr-hunderte alten Geheimnisse gelüftet – mithilfe einer neu entwickelten Rechenmethode. Die Erkenntnisse sind so bahnbrechend wie beein-druckend: Sie schafften es sogar auf das Titelbild der Januar-Ausgabe des renommierten »Nature Materials«-Journal. Das Modell der Freiburger Forscher ist nicht nur ein Meilenstein in der Diamantforschung, sondern ein großer Schritt für die Reibungs- und Verschleißforschung, die Tribologie, welche vor allem für die Industrie von großer Bedeutung ist.

Wechselwirkungen von 10 000 Kohlenstoffatomen berechnet

Das Ergebnis bringt Michael Moseler stark vereinfacht so auf den Punkt: »In dem Mo-ment, in dem der Diamant geschliffen wird, ist der Diamant kein Diamant mehr.« Durch die schnelle Reibung zwischen den Diamantsplittern im Gusseisenrad und dem Rohdiamanten, der geschliffen werden soll, entsteht eine »glasartige Kohlenstoffphase« auf der Edelsteinoberfl äche. Wie schnell sich diese Materialphase bildet, hängt entscheidend von der Kristallorientierung

des Rohdiamanten ab. »Genau hier kommt besagte Anisotropie ins Spiel«, erläutert Moseler. In jedem Diamantgitter formen Kohlenstoffato-me bestimmte Ebenen, durch die die kristallo-grafi schen Achsen eines Diamanten festgelegt werden. Sie sind entscheidend dafür, welche Seiten sich gut oder weniger gut bearbeiten las-sen. Und je nachdem, wie der Diamantschleifer den Edelstein dreht, trägt er Ebenen ab, die sich leichter oder schwerer polieren lassen. Hier zeigt sich das Phänomen der Anisotropie.

Doch wie entsteht die »glasartige Kohlenstoff-phase«? Moseler und sein Team haben diesen Vorgang in einer Computersimulation unter-sucht und herausgefunden, dass beim Schleifen der Oberfl äche des sonst so harten Diamanten sehr schnell eine ungeordnete Schicht aus Koh-lenstoffatomen entsteht. Diese glasartige Phase lässt sich mit den Diamantsplittern eines Schleif-rades relativ einfach abschälen. Wie schnell sich die glasartige Grenzschicht bildet, hängt von der Kristallorientierung des Rohlings ab, also ob man sich auf einer harten oder weichen Seite des Diamanten befi ndet. Den zweiten, genauso bedeutenden Angriff auf die sonst undurch-dringlich harte Kristalloberfl äche übernimmt der Luftsauerstoff. Dessen Moleküle binden jeweils

Sie haben ein sehr altes Geheim-nis gelüftet: Forscher vom Fraun-hofer-Institut für Werkstoffme-chanik IWM in Freiburg fanden heraus, warum sich Diamanten überhaupt bearbeiten lassen. Sie entschlüsselten den atomaren Me-chanismus des Diamantschleifens.

Text: Katja Lüers

Auch der härteste Stoff gibt nach

© beyond/Vladimir Godnik

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Ein scharfkantiger Diamantsplitter schält einen Staubpartikel von der glasartigen Phase auf der Diamantoberfl äche ab. Gleichzeitig reagiert Luftsauerstoff mit den Kohlenstoffketten auf der Oberfl äche zu Kohlendioxid . © Fraunhofer IWM

ein Kohlenstoffatom aus den labilen, langen Kohlenstoffketten, die sich auf der glasigen Phase gebildet haben, und verfl üchtigen sich als Kohlendioxid.

Doch wie lässt sich berechnen, wann und wie einzelne Atome aus der kristallinen Oberfl äche herausgelöst werden? »Voraussetzung dafür war, dass wir uns genau angeschaut haben, was quantenmechanisch passiert, wenn eine Bin-dung zwischen den Atomen an der Oberfl äche des Rohdiamanten bricht. Dafür haben wir das jeweilige Kraftfeld zwischen den Atomen analy-siert«, erläutert Lars Pastewka vom IWM. Kenne man diese Kräfte genau genug, könne man das Brechen und das erneute Entstehen von chemi-schen Bindungen zwischen den Atomen exakt beschreiben – und modellieren. »Und auf dieser Basis haben wir die Dynamik der Atome in der Reibfl äche zwischen einem Diamantsplitter und dem Edelstein untersucht«, ergänzt Pastewka.

Um herauszufi nden, wann genau welche Atome aus dem Kristallgitter des Diamanten heraus-brechen, berechneten die Forscher den Verlauf von mehr als 10 000 Kohlenstoffatomen und verfolgten sie am Bildschirm. Zuvor hatten die Wissenschaftler einen Riss im Diamanten quan-

tenmechanisch analysiert und darüber die Bin-dungsstärke zwischen den Atomen berechnet. In der Literatur existieren zwar Daten zu diesen Kräften, »allerdings mussten wir feststellen, dass sie für tribologische Fragestellungen nicht zu-treffen«, erklärt Moseler. Mit den neuen Daten können sie nun das Brechen und das erneute Entstehen von chemischen Bindungen zwischen den Atomen an der Oberfl äche des Rohdia-manten nicht nur exakt beschreiben, sondern auch modellieren. Das Freiburger Modell erklärt sämtliche Prozesse des wissenschaftlich so lange nicht nachvollziehbaren Diamantschleifens. »Mit diesem neu berechneten Kraftfeld können wir nun die Tribologie von Kohlenstoffsystemen im Modell abbilden«, erklärt Mosler. Und die Unter-suchung des Verschleißes von Diamant sei die erste Anwendung.

Dem Phänomen Abrieb auf der Spur

Auch wenn sich Diamantschleifer weiterhin auf ihr Gehör verlassen, ist das Modell für die Materialwissenschaftler ein Durchbruch. Denn es geht bei den Untersuchungen nicht allein um Diamantforschung, sondern um das Phänomen Abrieb, dessen Grundlagen

swissenschaftlich nicht vollständig geklärt sind, die aber für die Industrie von großem Interes-se sind. Ein Beispiel: Polykristalline Diamant-schichten kommen in Dichtungen bei Öl- und Gaspumpen zum Einsatz. Aufgrund ihrer Härte schützt eine solche Schicht die Dichtung lange Zeit vor Verschleißerscheinungen. Dennoch nutzen sich die Diamant-Oberfl ächen in dem System aufgrund der beschriebenen Abrieb-Eigenschaften unterschiedlich stark ab. Das hat zur Folge, dass das komplette System auf Dauer aufraut und es zu unerwünschten Reibwert-schwankungen kommt.

»Indem wir jetzt verstehen, was da vor sich geht, ist ein erster Schritt gemacht, um Abhilfe zu schaffen«, erklärt Moseler. Nun gehe es dar-um herauszufi nden, was an den Randbedingun-gen eines tribologischen Gesamtkollektivs geän-dert werden muss, damit sich die Oberfl ächen der Diamantschichten gleichmäßig abnutzen.

»Das Diamant-Modell demonstriert beispielhaft, wie mit modernen Methoden der Werkstoffsi-mulation Reibungs- und Verschleißprozesse von der atomaren Ebene bis zum makroskopischen Objekt exakt beschrieben werden können«, resü-miert IWM-Institutsleiter Prof. Peter Gumbsch.

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Steigende Heizölkosten haben in Deutschland einen Renovierungsboom ausgelöst. Um die Energiekosten zu senken, investieren immer mehr Hausbesitzer in wärmedämmende Fassa-den. Die marktüblichen Dämmschichten, die auf die Außenwände aufgebracht werden, haben allerdings einen Nachteil: Sie tragen auf. Die etwa 20 Zentimeter dicke Außenhaut verändert die Optik des Gebäudes und kann erhebli-che Folgekosten verursachen – neue, tiefere Fensterbretter müssen montiert, mitunter sogar Dächer verlängert werden. Bei Häusern, die unter Denkmalschutz stehen, ist eine nachträg-liche Wärmedämmung mit bisheriger Technik manchmal überhaupt nicht möglich.

Fraunhofer-Forscher entwickeln jetzt Folien für ein Material, mit dem sich Häuser in Zukunft ohne große Umbaumaßnahmen dämmen lassen: Vakuum Isolations Paneele, kurz VIPs. Die Platten sind nicht einmal zwei Zentimeter dick und trotzdem genauso leistungsfähig wie eine klassische 15 Zentimeter starke Dämmschicht aus Polyurethanschaum. Das Innenleben der VIPs besteht meist aus pyrogener Kieselsäure,

einem Material, das zwar nicht billig ist, aber in unbegrenzter Menge zur Verfügung steht – Kieselsäure lässt sich aus Quarzsand gewinnen. Zusammengehalten wird das pulverförmige Ma-terial von einer Hightech-Folie – sie sorgt dafür, dass keine Luft nach innen dringt und verhindert so, dass sich die thermische Bewegung der Außenluft durch die Dämmschicht ins Innere des Hauses fortpfl anzen kann.

Vorreiter Kühlschrank

Wer sich heute einen A++-Energiespar-Kühl-schrank kauft, der profi tiert bereits von der neuen Technik. Sie wird seit zwanzig Jahren immer weiter verbessert. Dr. Klaus Noller vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising und Prof. Gerhard Sextl vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg waren an der VIP-Entwicklung von Anfang an beteiligt. Damals wussten die beiden Chemiker allerdings noch nicht, dass sie einmal Fraunhofer-Forscher sein würden: Sextl arbeitete bei Degussa an einer Wärmedämmung auf Kieselsäurebasis für FCKW-freie Kühlschrän-

ke, Noller entwickelte bei Schoeller & Hoesch wasser- und sauerstoffundurchlässige Folien. Ins Gespräch kamen die beiden, als Degussa bei Schoeller & Hoesch anfragte, ob es Folien gäbe, die sich zum Versiegeln der Dämmelemente eignen. »Die Wärmedämmung funktioniert nur, wenn im Inneren der Elemente ein Vakuum herrscht, wir mussten daher sicherstellen, dass weder Luft noch Feuchtigkeit eindringt«, erinnert sich Noller. Gemeinsam entwickelten der Kieselsäurespezialist und der Folienexperte die erste Generation von Dämmschichten. Dann trennten sich ihre Wege.

2006 kreuzten sie sich wieder. Noller führte die Abteilung für Materialentwicklung beim IVV, als Prof. Sextl die Leitung des ISC übernahm. Für beide Forscher war sofort klar: Sie wür-den wieder kooperieren. Seither verfolgen sie ein gemeinsames Ziel: VIPs fi t zu machen für eine kostengünstige Massenproduktion. »Der Dreh- und Angelpunkt sind dabei die Folien: Sie entscheiden über Qualität, Lebensdauer und Preis«, weiß Noller. »Das derzeit gängige Her-stellungsverfahren ist aufwändig und teuer: Drei

Dünne und trotzdem leistungsfähige Dämmplatten sind teuer. Als High-end-Produkte werden sie heute in ener-giesparende Kühlschränke eingebaut. Innovative Komponenten und Produkti-onsverfahren sollen jetzt die Kosten senken – damit auch Häuslebauer von der neuen Technik profi tieren können.

Text: Monika Weiner

Schlanke Wärmedämmung

Vakuumisolationspaneele, kurz VIPs, dämmen 10 mal besser als konventionelle Dämmungen gleicher Dicke. © va-Q-tec AG

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von fünf Lagen Kunststoff müssen mit Alumini-um bedampft und miteinander verklebt werden. Dafür sind sieben Prozessschritte notwendig, das treibt die Preise in die Höhe.« Die teuren VIPs kommen derzeit nur dort zum Einsatz, wo Platzsparen etwas kosten darf: beispielsweise in hochwertigen Kühlschränken und zur Isolation von Fußböden.

Dünne Schichten statt dicker Pullover

Doch das kann sich bald ändern: Die neue Folie, die Sextl und Noller gemeinsam entwickeln, lässt sich einfacher produzieren, denn sie besteht aus nur drei Schichten: Eine mit Aluminium bedampfte Kunststofffolie wird beschichtet mit einer Mikrometer dünnen Lage ORMOCER® – eine Erfi ndung des ISC, und dann nochmal mit Aluminium bedampft. ORMOCER®e enthalten ein anorganisches Silizium-Sauerstoff-Netzwerk, das über eine organische Matrix vernetzt ist. Die Mischung macht das Material ungewöhnlich dicht und stabil. »Damit ist es ideal für die Isola-tion der Dämmplatten«, resümiert Noller. »Gase

und Flüssigkeiten können, selbst wenn sie die darüber liegende Kunststofffolie durchdringen, die ORMOCER®-Schicht nur schwer passieren.«

Die neuen Isolationsfolien lassen sich in fünf Schritten produzieren – zwei weniger als bisher. Zunächst wird eine Folie bedampft, dann die ORMOCER®-Schicht aufgebracht, ein zweites Mal bedampft, bevor man am Ende die Barri-erefolie auf einer Siegelfolie fi xiert, die für das Verschließen des Beutels zuständig ist. »Das Endprodukt ist besser und kostengünstiger als die Isolationsfolien, die bisher auf dem Markt sind«, erläutert Sextl. »Damit ist die neue Technik klassischen Verfahren auf jeden Fall überlegen.«

Auch die Herstellung der VIP-Dämmelemente haben die Forscher optimiert: Am Fraunhofer-Anwendungszentrum für Verarbeitungsmaschi-nen und Verpackungstechnik AVV in Dresden haben sie ein Verfahren zur automatischen und schonenden Umhüllung der Kieselsäurekerne mit der Hochbarrierefolie entwickelt. Folie und Herstellungsverfahren sind mittlerweile paten-tiert. Die neuen VIPs haben gute Chancen, den

Markt zu erobern, davon sind Sextl und Noller überzeugt. Sobald sie in großen Stückzahlen produziert würden, werde der Preis fallen, und dann seien die dünnen Isolationspaneele auch für die Bauindustrie interessant. Häuslebauer müssen sich allerdings noch etwas gedulden: Die neuen, schlanken VIPs werden erst in zwei bis drei Jahren im Baumarkt zu haben sein.

Bis dahin wollen die Forscher den Produktions-prozess noch weiter vereinfachen und Langzeit-tests durchführen. Bisher mussten die Paneele nur zwölf Jahren durchhalten – das entspricht der mittleren Lebensdauer eines Kühlschranks. Die Baubranche stellt höhere Anforderungen: Fünfzig Jahre sollte eine Fassade halten. Noller und seine Kollegen testen jetzt die Stabilität von Folien und Dämmelementen in Klimakam-mern, die den jahreszeitlichen Wechsel von Hitze und Frost, Feuchtigkeit und Trockenheit simulieren, dem die Dämmplatten ausgesetzt sein werden. Die Ergebnisse sollen schon in wenigen Monaten vorliegen. Wer seine Fassade für teures Geld renoviert, will schließlich nichts dem Zufall überlassen.

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Die Partner im Projekt ADGLASS

– Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM, Bremen, Deutschland

– Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, Freiburg, Deutschland

– Abdus Salam International Centre for Theoretical Physics, Triest, Italien

– Aérial, Straßburg, Frankreich– King’s College London, UK – Schott AG, Mainz, Deutschland– Technion – Israel Institute of Technology,

Haifa, Israel– University of Cambridge, UK

Im Grenz-bereichWas passiert, wenn ein Regentrop-fen auf ein Fenster fällt? Gar nichts, sollte man meinen. Doch weit gefehlt: An der Oberfl äche von Gläsern fi nden komplizierte Interaktionen statt. Wer sie ver-steht, kann Materialeigenschaften steuern.

Text: Monika Weiner

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Solarpaneele und Arzneimittelbehälter aus Glas haben auf den ersten Blick wenig Gemeinsam-keiten: Beide sind glatt, beide enthalten das Ele-ment Silizium, aber das war’s dann auch schon. »Dennoch haben die Ingenieure, die alternative Energiesysteme entwickeln, mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie ihre Kollegen in der Pharmatechnik«, weiß der Materialforscher Prof. Lucio Colombi Ciacchi. Der gebürtige Italiener, der heute in Bremen lebt, kennt die Ursache dieser Schwierigkeiten: »Alle Oberfl ächen von Gläsern können mit der Umgebung reagieren. Diese Wechselwirkungen beeinfl ussen das physi-kalische und chemische Verhalten.« Wer solche Wechselwirkungen untersuchen will, muss schon sehr genau hinsehen: Die chemischen und physikalischen Reaktionen zwischen festen Körpern, Gasen und Flüssigkeiten spielen sich auf einer Bühne ab, die nur einige Nanometer Platz bietet.

Doch so dünn die Grenzschichten auch sein mögen, ihr Einfl uss ist enorm: Wechselwirkun-gen an der Oberfl äche können dazu führen, dass Solarzellen schnell verschmutzen und in der Folge weniger Strom produzieren, weil nur noch ein Teil des Sonnenlichts ins Innere gelangt. Riskant kann es werden, wenn in einem Arzneimittelfl äschchen Proteine haften bleiben: Dadurch kann sich die Wirkstoffkonzentration des Medikaments verändern. Im Extremfall fi nden an der Glasoberfl äche sogar Reaktionen statt, die Proteine modifi zieren und ihnen eine toxische Wirkung verleihen.

Erkenntnis ergänzt Erfahrung

Gläser mit genau den Eigenschaften herzustel-len, die der Kunde wünscht, ist eine besondere Kunst: Die Glasproduzenten mussten sich hier bisher auf ihre Erfahrung verlassen. Das wissen-schaftliche Fundament wird erst jetzt gelegt: Im EU-Projekt ADGLASS – Abkürzung für »adhesion and cohesion at interfaces in high performance glassy systems« – untersucht ein internationales Forscherteam die physikalischen und chemi-schen Wechselwirkungen an den Grenzfl ächen von Glasmaterialien. Mit von der Partie sind

Ingenieure, Chemiker und Physiker aus fünf Län-dern (siehe Kasten). »Unser Ziel ist es, Prozesse an Glasoberfl ächen, die bislang nur bruchstück-haft bekannt waren, vollständig zu begreifen, zu berechnen und sichtbar zu machen«, erläutert Colombi Ciacchi, der das Projekt am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen koordiniert. »Von diesen Erkenntnissen werden die Hersteller von Gläsern und anderen glasartigen Materi-alien – egal ob sie in der Solar-, Pharma- oder Mikroelektronik-Industrie eingesetzt werden – profi tieren.«

Auf der Info-Rolltreppe

Neu ist vor allem der interdisziplinäre For-schungsansatz: »Bisher gab es zwei Möglichkei-ten, das Geschehen an Materialgrenzfl ächen im Rechner zu simulieren: Auf atomarer, quanten-mechanischer Ebene konnte man chemische Vorgänge sichtbar machen, allerdings an so kleinen Modellsystemen, dass sie selten indus-trielle Relevanz hatten. Auf einer anderen Ebene, durch Einsatz von Methoden der klassischen Physik, ließen sich dynamische Prozesse von größeren molekularen Systemen verfolgen. So wurde zum Beispiel untersucht, ob Proteine mit Oberfl ächen in Kontakt kommen, mögliche chemische Veränderungen blieben dabei unbe-rücksichtigt. Diese haben jedoch Auswirkungen – sowohl auf das atomare Gefüge als auch auf die Proteinstruktur«, so Ciacchi. Der Forscher vergleicht die Situation gern mit einem Haus, in dem es keine Treppe und keinen Fahrstuhl gibt zwischen Erdgeschoss und erstem Stock: »Wer unten ist, weiß nicht, was oben passiert und umgekehrt. Durch unsere neu entwickel-ten Softwarewerkzeuge ist es uns erstmals gelungen, chemische Prozesse und molekulare Reaktionen in einer Simulation miteinander zu verbinden. Damit haben wir sozusagen eine Rolltreppe geschaffen, über die die Informati-onen zwischen den Stockwerken ausgetauscht werden können.«

Ein Riss wird zum Prüfstein

Zwei Jahre hat das Forscherteam an der Verbin-dung zwischen den Ebenen getüftelt: Physiker aus dem King’s College London und der Uni-versität Cambridge haben die Algorithmen für die neue Software entwickelt. Am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmechanik IWM in Freiburg

und am IFAM hat Ciacchis Team zunächst die neue Simulationstechnik am Material Silizium angewandt. Zusammen mit den englischen Kollegen haben die Forscher simuliert, was passiert, wenn eine Silizium-Wafer-Oberfl äche mit Wasserstoff bestrahlt und anschließend auf 600 Grad erhitzt wird: »Die so genannte Smart-Cut-Technik wird in der Halbleiterindustrie routinemäßig eingesetzt, um nanometerdünne, kristalline Schichten aus der Oberfl äche von Wafern mit hoher Präzision abzutrennen. Bisher wusste jedoch niemand, welche Prozesse im Einzelnen ablaufen.«

Die Simulation brachte ein komplexes Zusam-menspiel von Faktoren ans Licht: Die Injektion von Wasserstoff führt dazu, dass die Bindungen zwischen den Siliziumatomen im Kristall aufbre-chen. Die Folge ist ein kleiner Riss, der wiederum ein Spannungsfeld erzeugt. Dieses schwächt nun seinerseits die Bindungen zwischen den Atomen, Wasserstoff kann an die Spitze des Risses gelangen und dort die geschwächte Bindung durch einen chemischen Angriff zum Bruch bringen. Der Riss breitet sich weiter aus.

So komplex die Interaktion zwischen Silizium und Wasserstoff ist – chemisch betrachtet handelt es sich um einen relativ einfachen Fall. Schon viel komplizierter sind die Wechsel-wirkungen zwischen Glas und saurem Regen oder Lösungen, die Biomoleküle enthalten. Im nächsten Schritt wollen die ADGLASS-Forscher untersuchen, was passiert, wenn sich anorgani-sche Moleküle oder organische Verbindungen auf der Oberfl äche ablagern. Die Proteine für die Experimente steuern die Wissenschaftler vom IFAM bei: Sie können in ihrem Labor Aminosäu-ren auf Wunsch zu Peptiden zusammenfügen, zusammenfügen – den Bausteinen der Proteine.

»Wenn wir die Adhäsion dann wirklich verstan-den haben, werden wir auch in der Lage sein, Oberfl ächen so zu gestalten, dass sie Schmutz und Proteine abweisen«, prognostiziert der Projektkoordinator. »Daran hat unser Indus-triepartner Schott, der technische Gläser für die Solarindustrie, aber auch für pharmazeutische Verpackungen herstellt, großes Interesse.« Die Zahl der möglichen Anwendungen ist seiner An-sicht nach noch gar nicht absehbar: Fenster, die man nicht mehr putzen muss, Brillen, die immer glasklar sind, Bratformen, die niemals ansetzen, und, und, und ...

An der Oberfl ächen von Gläsern, die in der pharmazeu-tischen Industrie eingesetzt werden, darf nichts haften bleiben. Neue Forschungen zeigen, wie sich Adhäsion verhindern lässt. © istockphoto

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Überall auf der Welt arbeiten Wissenschaftler an Speichern für Strom – damit zum Beispiel Photo-voltaikkraftwerke auch dann elektrische Energie liefern können, wenn die Sonne nicht scheint. Etwas anders liegt der Fall bei solarthermischen Kraftwerken, wie sie das Desertec-Konsortium in der Sahara bauen will. Sie erhitzen mit konzen-triertem Sonnenlicht eine Flüssigkeit, die über einen Wärmetauscher Dampf erzeugt und eine Turbine antreibt. Doch was geschieht nachts? Dann soll die Wärme aus einem Speicher kom-men, der tagsüber aufgeladen wurde.

Vermutlich werden solche Speicher eines Tages auf einem Speichermaterial basieren, das in der Arbeitsgruppe von Dr. Lars Röntzsch am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Dresden entwickelt wurde. Gemeinsam mit dem Zentrum für Brennstoffzellen-Technik ZBT in Duisburg nutzt das Team nanostrukturierte Metallhydride, die über einen oszillierenden chemischen Prozess große Mengen Wärme auf engem Raum bunkern können – besser als bisher genutzte Verfahren. Das sehen offenbar auch die Energieversorger so, allen voran E.ON. Das Unternehmen hat das Verbundprojekt im September mit dem E.ON-Research-Award 2010 ausgezeichnet, der mit 660 000 Euro für drei Jahre dotiert ist.

Das viel versprechende Projekt verdankt seine Existenz dem Fraunhofer-Programm Attract – und ein wenig auch dem Zufall. Röntzsch, der in Dresden und Boston Physik studiert und promo-viert hatte, und Prof. Bernd Kieback, der Leiter

des Dresdner Institutsteils des IFAM, lernten sich 2007 kennen, gerade als die erste Ausschrei-bung zum Attract-Programm bekannt wurde. Damit möchte die Fraunhofer-Gesellschaft junge Wissenschaftler mit neuen Forschungsideen anziehen und ihnen die Chance geben, eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen. Gemeinsam entwickelten die beiden die Idee, einen Antrag zum Thema »Wasserstoffspeicherung in nano-strukturierten Materialien« zu stellen. »Ich hatte Glück, dass Attract gerade gestartet war und sehr gut auf unsere Ideen passte«, so Röntzsch. In den vergangenen drei Jahren hat Röntzsch mit seiner Arbeitsgruppe am Dresdner IFAM Metallhydrid-Materialien erforscht, die unter anderem auch für Wärmespeicherprozesse eingesetzt werden können. In den kommen-den zwei Jahren werden Demonstratoren für Speichertanks entwickelt, die als Basis für eine industrielle Umsetzung dienen. Das von E.ON ausgezeichnete Wärmespeicherkonzept besteht aus zwei mit unterschiedlichen Metallhydriden gefüllten Tanks, zwischen denen Wasserstoff hin und her fl ießt, »bildlich gesprochen wie auf einer Wippe«, so Röntzsch. Verbraucht wird nichts, der Kreislauf ist geschlossen, und der Wasserstoff dient nur dazu, abwechselnd im Tag-Nacht-Zyklus in den beiden Metallhy-driden Hydrierungs- und Dehydrierungsreak-tionen auszulösen.

Hydrid einer speziellen Magnesiumlegierung

Beim ersten Stoff handelt es sich um das Hydrid einer speziellen Magnesiumlegierung, das

tagsüber bei einer Temperatur zwischen 350 und 400 Grad Celsius komplett dehydriert wird, wobei die konzentrierte Sonnenenergie ver-braucht wird. Der frei werdende Wasserstoff strömt in den zweiten Tank, in dem sich eine hydridbildende Legierung aus verschiedenen Übergangsmetallen befi ndet, die den Wasser-stoff bei Raumtemperatur kompakt und sicher speichert. Nachts fl ießt der Wasserstoff in umge-kehrter Richtung. Das Raumtemperaturhydrid gibt ihn ab, so dass der Wasserstoff wiederum mit der Magnesiumlegierung reagieren kann. Die dabei frei werdende Reaktionswärme wird zwischen 350 und 400 Grad Celsius abgegeben – genug für die kontinuierliche Dampferzeu-

Attraktive WärmespeicherSolarthermische Kraftwerke können künftig auch nachts Strom liefern – dank eines neuartigen Kohlenstoff-Hydrid-Verbundwerkstoffs. Das Material kommt aus der Arbeitsgruppe von Lars Röntzsch, der über das Attract-Programm der Fraunhofer-Gesellschaft gefördert wird.

Text: Bernd Müller

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gung im Kraftwerk, bis morgens die Sonne wieder aufgeht. An Metallhydriden arbeiten zahlreiche Forscherteams weltweit, auch in Deutschland gibt es harte Konkurrenz. Doch die Dresdner Variante bietet gegenüber anderen Konzepten klare Vorteile. Das Geheimnis liegt in der Herstellung der Nanometalle: Wo andere aufwändige Mahlprozesse nutzen, setzt das IFAM-Team auf einen Prozess namens »Melt Spinning«, bei dem eine aufgeschmolzene Metalllegierung auf eine gekühlte rotierende Kupferwalze tropft und dabei mit extremer Geschwindigkeit erstarrt. Mit dem Verfahren lassen sich pro Stunde mehrere Tonnen der Legierung herstellen. »Die industrielle Umset-

zung ist wichtig, schließlich ist das die Aufgabe von Fraunhofer«, so Lars Röntzsch. Ein großer Vorteil des Melt Spinnings ist, dass sich beim »Schockfrieren« winzige Kristallite bilden, die nur einige zehn Nanometer messen und deren Größe sich gut bei der Herstellung steuern lässt. Zwischen die Grenzen der Kristalle dringt der Wasserstoff über Diffusion ein, und zwar mit enormem Tempo: Je nach Größe der Kristalle »saugt« sich das Material in Minuten bis tunden voll und verbindet sich über die chemische Re-aktion mit dem Wasserstoff. In reiner Form allerdings haben Hydride auch einen entschei-denden Nachteil: Sie leiten die Wärme schlecht. Die Forscher am IFAM lösen dieses Problem,

indem sie geringe Mengen an hochwärmeleitfä-higem Graphit unter das Hydrid mischen. Beeindruckend auch das Fassungsvermögen: Etwa 100 Gramm Wasserstoff passen in einen Metallwürfel mit einem Liter Volumen. Das klingt wenig, ist aber ein Riesenfortschritt, wie eine Kalkulation am Beispiel Andasol I zeigt. Das solarthermische Kraftwerk in Südspanien leistet 50 Megawatt und ist seit etwa zwei Jahren mit Wärmespeichern ausgerüstet, die sage und schreibe 57 000 Tonnen fl üssiges Nitritsalz enthalten, um über Nacht ausreichend Wärme liefern zu können. Ein vergleichbarer Metallhyd-ridspeicher des IFAM würde dagegen locker in das Volumen eines Einfamilienhauses passen.

Abwärme aus dem Automotor speichern

Von der hohen Energiedichte könnten auch Autos profi tieren. So ließe sich Abwärme aus dem Motor speichern und in einer Art Thermo-booster verwenden, der im Winter Motor und Innenraum in Sekundenschnelle erwärmt – ganz ohne Spritverbrauch wie bei herkömmlichen Standheizungen. Metallhydridspeicher können aber nicht nur Wärme speichern, man kann sie auch als Tank für Wasserstoff nutzen, etwa in brennstoffzellenbetriebenen Elektrofahrzeugen. Diese werden heute mit Drucktanks bestückt, die mit bis zu 700 Bar betankt werden, aber dennoch nur 39 Gramm Wasserstoff pro Liter enthalten, also etwa dreimal größer sein müs-sen. Um einem Metallhydrid den Wasserstoff zu entziehen, ist Wärme nötig, doch den gäbe es in einem Brennstoffzellenfahrzeug gratis, weil ohnehin etwa 45 Prozent der Energie als Abwärme verpuffen.

Bei einer Attract-Förderung werden nach zwei Jahren die Mittel reduziert, um die Wissen-schaftler zum Einwerben weiterer Mittel zu bewegen, damit sie nach Ablauf der geförderten fünf Jahre ihre Arbeit alleine fi nanzieren können. Für die Arbeitsgruppe von Lars Röntzsch dürfte das kein Problem sein. Dank des Preises und weiterer Drittmittelprojekte sowie wegen der engen Zusammenarbeit mit der TU Dresden kann Röntzsch auch in den kommenden Jahren die derzeit sechs Vollzeitkräfte und sechs studentischen Hilfskräfte seines Teams am IFAM fi nanzieren. Röntzsch: »Wir sind gut vorange-kommen, und ich möchte auf jeden Fall an dem Thema weiterarbeiten.«

Neue Speicher sollen künftig helfen, die in solarthermischen Anlagen gewonnene Energie besser zu nutzen. © siemens

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Es ist ungewohnt für die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI, in Freiburg und die Studenten und Professoren der Hochschule Offen-burg, so sehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen. Normalerweise verrichten sie ihre Arbeit in Labors oder am Rechner. Im vergangenen Oktober aber nahm der Schluckspecht E an der South African Solar Challenge des Internationalen Automobilverbands FIA teil. Die Strecke von Pretoria nach Durban und zurück führte 1443 Kilometer über Südafrikas Pisten, das alles bei mehr als 1000 Metern Höhen-unterschied. Mit ihrem Prototyp-Fahrzeug »Schluckspecht E« gelang den Forschern dort eine durch die FIA bestätigte Rekordfahrt: Sie fuhren 626,6 Kilometer mit einer einzigen Batterieladung auf öffentlichen Straßen – unter dem Jubel vieler Zuschauer.

Seit mehr als zehn Jahren entwickeln Teams der Hochschule Offenburg unter Professor Ulrich Hochberg sehr erfolg-reich verschiedene Experimentalfahrzeuge mit dem Namen »Schluckspecht«. 2009 begannen die Forscher mit Wissen-schaftlern des EMI zusammenzuarbeiten. Ein Forschungs-schwerpunkt des EMI ist die Fahrzeugsicherheit. Gemeinsam

bauten sie den nur 326 Kilogramm schweren »Schluck-specht E«, ein straßengeeignetes Elektroauto. Das Fahrzeug mit beschränkter Straßenzulassung wird angetrieben von Radnabenmotoren in den Hinterrädern und 2184 Lithium-Ionen-Batteriezellen, die auf zwölf Module in zwei Strängen verteilt sind. Bei diesem Fahrzeug sollte vor allem Gewicht eingespart werden. Da die Batterien mit 126 Kilogramm schon relativ schwer sind, musste die Struktur des Autos so leicht wie möglich gestaltet werden und dabei dennoch größtmögliche Sicherheit für den Fahrer bieten. »Wir ent-schieden uns für eine ‚Bow String Structure’ nach dem Prinzip der Hängebrücke. Profi lbögen tragen Batterien und Fahrer wie eine Hängebrücke die Fahrbahn«, sagt Frank Huberth, der die Arbeiten am Fraunhofer EMI leitet. »Die Längsbögen aus Aluminium geben die Lasten an das Fahrwerk weiter. So ergab sich die Verbindung aus einem Brückenbauprinzip und Aluminiumleichtbau.«

Die Struktur ist von einem Material aus faserverstärktem Kunststoffgewebe und einer Wabenstruktur als Karosserie umgeben. »Das Konstruktionsprinzip des Verbundwerkstoffs kommt aus der Luftfahrt«, erläutert der Ingenieur. »Dort

Schluckspecht E auf RekordjagdElektrofahrzeuge müssen leicht und dennoch sicher sein. Forscher haben eine innovative Rahmenstruktur aus Aluminium entwickelt und in der Praxis erprobt. Mit nur einer Bat-terieladung schaffte der »Schluckspecht E« mehr als 600 Kilometer.

Text: Brigitte Röthlein

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Der Schluckspecht auf großer Fahrt in Südafrika. © Fraunhofer EMI

arbeitet man seit langem damit und mit Leichtmetallen zur Gewichtsreduzierung, und dort hat man auch die Schalen-Stringer-Bauweise entwickelt, die wir nun hier anwenden.«

Crashtests und numerische Simulationen der Batterien

Außergewöhnlich und neuartig ist beim Schluckspecht E die Verteilung der Batterieblöcke: Sie befi nden sich nicht wie bei den meisten Elektroautos hinter dem Sitz oder im Frontbe-reich, wo sonst ein Verbrennungsmotor Platz fi ndet, sondern sind rechts und links vom Fahrer in zwei lang gestreckten Kästen untergebracht, den Längsträgern. Das Gewicht ist auf diese Weise besonders günstig verteilt. Wie aber steht es mit der Sicherheit? Da noch keine reale Struktur für Tests existierte, haben Frank Huberth und sein Team sowohl Crash-versuche an Batterien als auch numerische Simulationen durchgeführt, um das Verhalten des Fahrzeugs im Crashfall zu erforschen.

»Der kritischste Lastfall ist ein Aufprall von der Seite«, erklärt Huberth, »deshalb haben wir diesen als ersten genau un-tersucht.« Es ging darum zu ermitteln, wie die Batterien im Einzelnen und als Block reagieren und ob der Fahrer durch einen Seitenaufprall gefährdet ist. Die Zellen enthalten sehr viel Energie, pro Volumeneinheit des aktiven Materials theo-retisch bis zu 20-mal so viel wie der Sprengstoff TNT. Zum Glück kann diese Energie aber selbst bei einem Unfall nicht wie beim TNT in Sekundenbruchteilen freigesetzt werden, sondern in wesentlich längeren Zeiträumen. Die Gefahr ist also beherrschbar, jedoch sollte man sie nicht unterschätzen. Die Forscher bekamen das auch zu spüren, als sie ihre Batte-rien zum Weltrekordversuch nach Südafrika ins Flugzeug ver-laden wollten. »Wir mussten dabei die hohen internationalen Sicherheitsanforderungen für Luftfracht-Gefahrgut erfüllen«, erzählt der angehende Ingenieur Jörg Lienhard, der für die technische Betreuung der Expedition zuständig war. »Beinahe wäre das Projekt daran noch kurzfristig gescheitert.«

Nagelprobe im Labor: Lithium-Ionen-Zellen im Härtetest

Bei den Tests im EMI-Labor durchstießen die Forscher zu-nächst einzelne Lithium-Ionen-Zellen unterschiedlicher Bauart mit einem Nagel und beobachteten, was passierte. Es zeigte sich, dass selbst baugleiche Zellen sehr unterschiedliche Reak-tionen aufwiesen. Bei manchen trat nur wenig Elektrolyt aus, bei anderen größere Mengen davon, es wurden Temperatu-ren von mehr als 300 °C erreicht und Gase freigesetzt. Deren

Analyse ergab, dass es sich um verschiedene Kohlenwasser-stoffe, um Schwefelverbindungen sowie um Spuren des ge-fährlichen Fluorwasserstoffs handelte. Außerdem fanden sich im Absorbermaterial der Versuchskammer geringe Mengen an Säuren. Damit war klar, dass man die Insassen vor einem solchen Fall schützen muss.

Und was passiert, wenn die gesamten Batteriemodule von einem keilförmig zulaufenden Pfahl seitlich gerammt werden? »Hier blieben alle Zellen unbeschädigt, nur die Zellblockstruk-tur hat versagt«, so Versuchsleiter Huberth. »Der Vorteil der speziellen Konstruktion ist: Die Batteriezellen können bei der Belastung in Freiräume dazwischen ausweichen.«

Da es sich beim Schluckspecht E um einen singulären Pro-totypen handelt, konnte man ihn nicht als Gesamtes einem Crashtest unterziehen. Deshalb simulierten die Forscher die Tests auf dem Rechner – ein Verfahren, das heutzutage von allen Automobilherstellern angewandt wird, um Zeit und Kosten zu sparen. Und schnell musste es auch beim Schluckspecht gehen, denn bis zum Start in Südafrika blieben nur drei Monate. Deshalb entschieden sich die Forscher für ein vereinfachtes Modell: Sie betrachteten die Batterien als homogene Quader, deren mechanisches Verhalten an die experimentellen Daten angepasst wurde. Damit reduzierte man den Modellierungsaufwand und die Rechenzeiten.

Die Ergebnisse zeigten zwar eine starke Deformation des Batteriemoduls in dem Bereich, wo der Pfahl auftraf, doch das Schutzgehäuse hielt dem Stoß stand. »Im Falle einer Kollisi-on kann eine Schädigung von Zellen nicht ausgeschlossen werden«, fasst Huberth zusammen, »aber es sind noch Sicher-heitsreserven für die Insassen gegeben.« So lässt sich das Sys-tem etwa durch das Anbringen von Längs- und Querverstei-fungen durch Hinzufügen von T-Profi len optimieren. Solche lokalen Verstärkungen der Außenhaut brächten als Aufprall-schutz zusätzliche Sicherheit bei geringem Gewichtszuwachs. All dies wollen die Wissenschaftler rund um den Schluck-specht künftig noch genauer erforschen. Das Verfahren der numerischen Simulation gibt ihnen die Möglichkeit, viele Varianten zu untersuchen, auch andere Baukonzepte oder die Anordnung der Batterien im Unterboden des Fahrzeugs.

Was bleibt und weiterhin motivierend wirkt, sind trotz allem Stress die positiven Erinnerungen an den Weltrekord: Sieger-ehrung durch Miss Südafrika, Champagner und besonders die Begeisterung der Zuschauer entlang der Strecke.

www.schluckspecht.net

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Eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach gibt ein gutes Gefühl. An sonnigen Tagen kann man fast zusehen, wie der selbst erzeugte Strom in das Versorgungsnetz fl ießt. Kilowatt-stunde für Kilowattstunde zählt die Digitalanzeige, wie viel umweltfreundliche Energie die Solarmodule auf dem Dach erwirtschaften. Doch Stromeinspeisung ist nicht alles. Eine Al-ternative wäre es, den eigenen Strom selbst zu verbrauchen. Diese Idee ist nicht neu. Schon in den 1980er-Jahren träumte mancher seine Vision vom energieautarken Eigenheim. Lange aber fehlte es an der Technik, um den Solarstrom in nennenswerten Mengen zu speichern und so dunkle Nächte und bewölkte Stunden zu überbrücken. Jetzt aber könnte der Traum von der solaren Selbstversorgung Wirklichkeit werden.

Batterie- und Energieforscher der Fraunhofer-Gesellschaft haben zusammen mit der Firma Dispatch Energy Innovations GmbH einen leistungsstarken Speicher entwickelt, der genug Strom aufnimmt, um einen Vier-Personen-Haushalt in der Nacht oder an lichtschwachen Tagen zu versorgen. »Black Diamond« heißt das kühlschrankgroße Gerät, dessen Herz aus großen Lithium-Ionen-Akkumulatoren besteht.

Die Dispatch Energy ist ein junges Unternehmen. Ihr Gründer, Dietmar Gruidl, war in einem großen Konzern viele Jahre für die Energiesparte und für den Deutschen Markt verantwort-lich. »Stromspeicher für Privatkunden waren dort aber nicht im Fokus«, sagt Gruidl heute. Er gründete die Firma, machte

Solarstrom wird bislang kaum gespeichert. Eine junge Firma bringt jetzt eine leistungs-fähige Batterieanlage auf den Markt, die ausreichend Energie aufnehmen kann, um damit einen Vier-Personen-Haushalt an trüben Tagen und nachts mit Strom zu versorgen. Fraun-hofer-Forscher sind maßgeblich an der Entwicklung beteiligt.

Text: Tim Schröder

»Black Diamond« –der Akku für dezentralerzeugten Solarstrom gehtin Pilotfertigung.© Dispatch Energy Innovations GmbH

Sonnenstromspeicher für Zuhause

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sich mit seiner Idee selbstständig und auf die Suche nach Partnern mit dem richtigen Know-how. Die fand er beim Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie ISIT in Itzehoe. Seit langem entwickelt man dort leistungsfähige Akkumulatoren, derzeit unter anderem in mehreren Projekten für künftige Elektroautos. Den Forschern war ziemlich schnell klar, welche Eigenschaften ein Solarstromspeicher für den Haushalt haben muss: Er soll haltbar sein und mindestens so lange funktionie-ren wie die Fotovoltaikanlage auf dem Dach – also etwa 20 Jahre lang. Die Akkumulatoren sollten eine hohe Zyklenzahl erreichen, sich viele tausend Mal laden und entladen lassen, ohne erheblich an Leistung einzubüßen. Und vor allem soll-ten sie sicher sein. Anders als beim Auto spielt das Gewicht beim Einsatz im Eigenheim keine allzu große Rolle. »Damit wussten wir sehr genau, welche Technologien und Substan-zen wir einsetzen können«, sagt Dr. Gerold Neumann, bis vor kurzem Leiter der Batterieentwicklung im ISIT und inzwischen technischer Geschäftsführer der Firma Dispatch Energy, die sich direkt neben dem ISIT niedergelassen hat.

Vom Laborexperiment zur Fertigung im großen Maßstab

Ein Lithium-Ionen-Akku besteht aus verschiedenen Folien, der Anode, der Kathode und dem Separator, durch den beim Lade- und Entladevorgang die Lithium-Ionen wandern. Die Kunst besteht darin, diese Folien mit den richtigen Subs-tanzen so herzustellen, dass eine geordnete Mikrostruktur entsteht, die die Lithium-Ionen beim Entladen einlagert und diese später wieder abgibt. In vielen Fällen kommt als Ano-den-Material Graphit zum Einsatz. Bei jeder Ionen-Aufnahme und -abgabe aber schwankt das Volumen der Graphitanode. Im Laufe der Zeit kann sie dadurch ermüden. Der Akku verliert an Leistungsfähigkeit. Neumann wählte daher ein anderes Anoden-Material. Um welches es sich handelt, will er freilich nicht verraten. Nur soviel gibt er preis: Das Material sei etwas schwerer als Graphit und könne die Energie weniger kompakt speichern – aber für diesen Einsatzzweck ist das unerheblich.

Während der Produktion werden die Anoden- und Katho-den-Substanzen zu Pasten verarbeitet und daraus dann die entsprechenden Elektrodenfolien gefertigt. Zusammenset-zung, Lösungsmittel, Temperatur – alles muss stimmen, damit die Paste tatsächlich zu einer geordneten Schicht mit optimaler Mikrostruktur aushärtet. Nur so lässt sich eine lange Lebensdauer des Speichers erreichen. »Zu den Heraus-forderungen bei der Folienbeschichtung gehört vor allem, die Ergebnisse aus dem Laborexperiment in den großen Maßstab zu übertragen«, sagt Neumann. Was mit ein paar Millilitern im Laborexperiment klappt, muss keineswegs auch mit 15 Li-tern Paste funktionieren. Neumann beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit Lithium-Ionen-Akkus und kennt sich mit der Batterie-Alchimie bestens aus. Und so klappte der Schritt zur Folienbeschichtung im großen Maßstab verhältnismäßig schnell. »Wir haben nichts wirklich neu erfi nden müssen, son-dern konnten vorhandenes Wissen nutzen«, verrät Neumann.

An der Entwicklung des Black Diamond waren auch Forscher vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg beteiligt. Die ISE-Wissenschaftler verfügen nicht nur über Wissen in der Batteriesystemtechnik, sondern vor allem auch über umfangreiche Erfahrungen bei der Einbindung von Speichern in Fotovoltaik-Anlagen und bei der Integration ins Stromnetz. Sie haben die Akkumulatorzellen aus Itzehoe in ein funktionstüchtiges Ganzes integriert: Dafür werden mehrere Zellen zu Batteriemodulen vereint, die jeweils mit einem eigenen Batteriemanagement ausgestattet sind. Das überwacht die Einzelzellen und bestimmt deren Ladezustand und Alterung.

Mehrere dieser Batteriemodule werden dann je nach Bedarf zu noch größeren Einheiten zusammengefügt. Die zentrale Steuerung regelt das Laden und Entladen des Batteriesys-tems. Über spezielle technische Komponenten lassen sich die Speicher auch an das Netz anschließen.

Produktion startet im Sommer 2011

Nach nur etwa zwei Jahren Entwicklungszeit wurde der Stromspeicher-Prototyp im vergangenen November der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Sommer 2011 soll die Produk-tion beginnen. »Wir denken, dass wir zunächst pro Jahr etwa 1000 Haushalte mit einer Anlage ausstatten können«, sagt Gruidl. Für die Besitzer einer Fotovoltaik-Anlage lohnt sich die Anschaffung durchaus, denn jede Kilowattstunde selbst-erzeugten Stroms, die man im eigenen Haus nutzt, wird gemäß Erneuerbare Energiengesetz vergütet. Erst im Dezem-ber haben die Energiekonzerne die Strompreise angehoben. »Der Strom dürfte künftig noch teurer werden«, sagt Gruidl, »da ist die Investition in einen privaten Stromspeicher durch-aus sinnvoll.«

Wo man die Speicher später sonst noch einsetzen kann, hängt in erster Linie von den Eigenschaften der Lithium-Ionen-Akkus ab. »Unsere 5-Kilowattstunden-Anlage funk-tioniert sicher und zuverlässig«, sagt Neumann, »dennoch wollen wir sie beispielsweise durch neue Folienmaterialien weiter verbessern und auf künftige Anwendungsgebiete hin zuschneiden.« Zunächst denkt er an einen Einsatz in Hybrid-bussen im Nahverkehr. Auch dort kommt es vor allem auf Haltbarkeit und Sicherheit und weniger auf niedriges Gewicht an. Vorstellbar sind containergroße Anlagen für die Speiche-rung von Windstrom. Bei Starkwind könnten sie Lastspitzen abfangen, die sonst eventuell im Stromnetz zu Schwankun-gen führen könnten. Interessant ist das unter anderem für Länder, deren Energieversorgungsnetz ohnehin instabiler als das europäische ist – beispielsweise in den USA.

Neumann blickt optimistisch in die Zukunft: »Derzeit denkt beim Thema Stromspeicher alle Welt an das Elektroauto mit seinen hochleistungsfähigen Akkumulatoren. Zugleich aber tut sich im Bereich der erneuerbaren Energien ein weiterer riesiger Markt mit enormem Speicherbedarf auf.«

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Wann immer Autoexperten über Mobilität sprechen, stehen zahlreiche Technikfelder und ihre Verbindung zu einem komplexen Produkt im Mittelpunkt der Diskussion. Ingenieure und Wissenschaftler hinterfragen ständig die vorhan-denen Lösungen vom Produktdesign über das Sicherheitskonzept bis hin zum Motormanage-ment und suchen nach neuen Technikvarianten oder sinnvollen Detailverbesserungen. Und sie wollen sich nicht lange mit Problemen herum-schlagen, sondern schnell ihre Ergebnisse in die Weiterentwicklung der Fahrzeuge einfl ießen lassen. Die Innovationszyklen sind kurz und die Konkurrenz schläft nicht – das wissen auch die 560 Mitarbeiter von Hella Fahrzeugkomponen-ten in Bremen.

Das Unternehmen gehört zur renommierten Muttergesellschaft Hella KGaA Hueck & Co. mit Zentrale in Lippstadt. Hella entwickelt und fertigt für die Automobilindustrie Komponenten und Systeme der Lichttechnik und Elektronik und verfügt über eine der weltweit größten Handels-organisationen für Kfz-Teile, Zubehör, Diagnose und Serviceleistungen. Die Hightech-Aktivitäten der Hersteller und ihrer Zulieferer werden vor al-lem durch den weiter zunehmenden Elektronik-anteil im Automobil sowie aktuelle Neuentwick-lungen aus der Sensor- und Mikrosystemtechnik geprägt. Davon profi tiert die Gesellschaft Hella Fahrzeugkomponenten. Die Entwicklerteams befassen sich mit mikrosystemtechnischen Bau-teilen und Sensoreinheiten und deren Integrati-on in ein modernes Fahrzeugkonzept.

»Im Durchschnitt geben wir immer mehr für Forschung und Entwicklung aus und sichern uns darüber unsere auch international anerkannte Produktqualität und Innovationskraft«, betont Thomas Niemann, Entwicklungsleiter bei Hella Fahrzeugkomponenten. Der Wettbewerbs-druck ist hoch und die Anforderungen an die technischen Eigenschaften von mechatroni-schen Bauteilen sowie eine genaue Analyse des technisch und betriebswirtschaftlich Machbaren gehören zum Alltag auch der Entwicklungsab-

teilung. »Wir haben schon sehr früh Kontakte zu Fraunhofer-Instituten aufgenommen, weil wir Unterstützung durch anwendungsnahe For-schungseinrichtungen gut gebrauchen können«, sagt Niemann.

Ultraschallbasierte Sensorelemente

Wer Innovationen in Topqualität zum verein-barten Termin liefern will, muss die gesamte Pro-zesskette vom Produktentwurf bis zur Fertigung aus dem Effeff beherrschen. Beispiel: Motoröl im Fahrzeug. Längst geben sich die großen Automobilhersteller nicht mehr mit einfachen Schwimmerschaltern zur Absicherung des Ölfüllstands zufrieden. Heute stecken komplexe Ölsensoren im Innenraum der Hochleistungs-motoren und überwachen die Schmierfähigkeit, den Füllstand, den Öldruck und die Temperatur. Sie müssen extreme Umgebungsbedingungen aushalten und über viele Jahre hinweg sehr ex-akte Messdaten liefern. Die neueste Generation für Füllstandsmessung sind ultraschallbasierte, mikrosystemtechnische Sensorelemente mit mehreren Messfunktionen und einem integrier-ten Mikrocontroller. »Die Herausforderung für den Einsatz im Motorraum lag in der speziellen Anpassung von Wellenlänge und Richtcharakte-ristik sowie der Wahl einer geeigneten Aufbau- und Verbindungstechnik«, erläutert Niemann.

Um schnelle Antworten für das Design und die Herstellung anwendungsspezifi scher Mikrosyste-me und robuster Multi-Chip-Module zu erhalten, haben sich Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM mit Hella-Entwicklern an einen Tisch gesetzt. Die Zusammenarbeit mit den Fraunhofer-Spezialisten hat sich vom Start weg als vorteilhaft hinsichtlich technischer Lösungen und als Hilfestellung bei der Gestaltung des Innovationsprozesses herausgestellt. »Das Bremer Netzwerk und die gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit Fraunhofer-Institu-ten sind ein wichtiger Baustein für alle Serien-

projekte und seriennahen Vorentwicklungen«, unterstreicht Entwicklungschef Niemann.

Die langjährige Partnerschaft mit Fraunhofer-Instituten zahlt sich aus. Hella belegt nicht nur eine Spitzenposition hinsichtlich seines zukunfts-weisenden Produktportfolios, sondern hat sich als auch Geschäftspartner für alle führenden Au-tomobil- und Systemhersteller etabliert. Dabei ist das Potenzial der sensorgestützten Elektronik im Fahrzeug noch längst nicht ausgereizt. Luftgüte-sensoren beispielsweise überwachen schon heu-te die Innenraumluft im Fahrzeug, Feuchtesen-soren aktivieren beim Beschlagen der Scheiben das Gebläse. Der Siegeszug Licht emittierender Dioden (LED) hat längst den Scheinwerfer und die Heckbeleuchtung erreicht und fi ndet seine Fortsetzung im Innenraum und bei digitalen Lichtsteuerungen. Ebenso sind Radaraugen an den Stoßstangen keine Zukunftsmusik mehr. Die Sensoren können Einfl uss auf den Tempomat nehmen und die Geschwindigkeit zum Vorder-fahrzeug automatisch regeln.

Vieles ist in Planung und die Fantasie der Ingenieure reicht weit in die Zukunft. Damit aus Visionen keine Luftschlösser entstehen, setzt Hella Fahrzeugkomponenten eine gut geerdete Methode ein, die dem betriebsinternen Inno-vationsprozess die erforderliche Realitätsnähe verleiht. Die Bezeichnung TRIZ steht für das russische Akronym »Theorie des erfi nderischen Problemlösen«. Dahinter verbirgt sich eine gezielte Lösungssuche für technisch-wissen-schaftliche Probleme, die das Know-how, die Kreativität und den Pioniergeist von qualifi zier-ten und hochmotivierten Teams in die erfor-derlichen Bahnen lenkt. »Wir gestalten unsere Prozessschritte auf ein defi niertes Ziel hin, das beschleunigt die Abläufe bei gleichbleibendem hohen Entwicklungsniveau«, schwärmt Nie-mann. 95 nationale und internationale Patente sind so bereits entstanden und das soll auch in Zukunft so fortgesetzt werden – »auch mit Hilfe der Fraunhofer-Kooperation«, versichert der Entwicklungsleiter.

Stärke durch KooperationUm technische Herausforderungen schnell in den Griff zu bekommen, setzt die Hella Fahrzeugkomponenten GmbH in Bremen auf ein systematisches Vorgehen in ihrem Innovationsprozess. Das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM unterstützt mit Know-how und seriennahen Problemlösungen die Effi zienz der Entwickler.

Text: Andreas Beuthner

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Ölniveausensoren im Fahrzeug stellen sicher, dass der Motor nicht unbemerkt mit zu wenig Öl arbeitet.

Frontend-Fertigung. alle Fotos © HELLA

Blick in die Elektronik-Fertigung (großes Bild) und Leiterplatten-Bestückung. (Bild Mitte rechts).

Hella Fahrzeugkomponenten GmbHDortmunder Straße 528199 BremenTelefon +49 421 5951-0Fax +49 421 5951-4678www.hella.com

Gründung: 1961Mitarbeiter: 560Umsatz: 160 Millionen Euro

Produkte: Automobilelektronik, Mikrosysteme, Sensoren, Aktoren, Scheinwerferreinigungsanlagen

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Die Mongolei ist ein Land der Gegensätze: im Sommer brütend heiß, im Winter eisig kalt; im Norden feucht, im Süden staubtrocken. In der Hauptstadt Ulaanbaatar, einer modernen Metropole, lebt eine Million der insgesamt drei Millionen Einwohner dicht gedrängt, während der Rest des riesigen Landes überwiegend von Nomaden mit ihrem Vieh genutzt wird. Eine fl ä-chendeckende Versorgung mit sauberem Trink-wasser ist unter diesen Bedingungen schwierig: Wer sollte auf einer Fläche von 1,5 Millionen Quadratkilometern frostsichere Wasserleitungen verlegen? So nutzen die Menschen auf dem Land schon immer das Wasser aus den Flüssen oder aus Brunnen, die sie selbst graben.

Mehr Menschen, mehr Vieh und weniger Regen

Doch diese traditionelle Wasserversorgung stößt jetzt – wegen des Klimawandels sowie der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung – an ihre Grenzen: In den vergan-

genen Jahrzehnten wurden die Regenperioden während der Sommermonate, die die Grund-wasserspeicher langsam aufgefüllt haben, immer seltener. An ihre Stelle traten heftige Unwetter mit sintfl utartigen Regengüssen, die für verhee-rende Überschwemmungen sorgen, aber ober-fl ächlich abfl ießen, weil sie keine Zeit haben, zu versickern. Gleichzeitig stieg der Wasserbedarf der schnell wachsenden Bevölkerung und ihrer Viehherden sowie die Nachfrage der Industrie. Dazu kommen Wasserverbrauch und -ver-schmutzung durch den Abbau von Gold- und Erzlagerstätten. »Die Trinkwasserversorgung wird unter diesen Umständen immer schwieriger. Wenn man sie langfristig sichern will, muss man sehr viele verschiedene Faktoren berücksichti-gen und herausfi nden, wie sie sich gegenseitig beeinfl ussen«, erklärt Dr. Buren Scharaw vom Fraunhofer-Anwendungszentrum Systemtechnik AST. Der gebürtige Mongole leitet seit vier Jah-ren das Projekt MoMo – die Abkürzung steht für »Integriertes Wasser-Ressourcenmanagement in Zentralasien Modellregion Mongolei«.

Im MoMo-Team arbeitet der Ingenieur mit Geographen, Geologen, Meteorologen und Hydrologen zusammen. Beteiligt an dem Projekt sind neben Fraunhofer die Universitäten Heidelberg und Kassel, die Bauhaus-Universität Weimar, das Helmholtz-Zentrum für Umweltfor-schung, das Leibniz-Institut für Gewässerökolo-gie und Binnenfi scherei sowie private Unterneh-men. Die Modellregion, die die Forscher unter die Lupe genommen haben, sind das Einzugsge-biet des Flusses Kharaa und die Stadt Darkhan, 250 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Darkhan ist eine typische mongolische Stadt mit circa 100 000 Einwohnern – etwa die Hälfte davon lebt in festen Häusern, die andere Hälfte in Jurten am Rande der Stadt.

Seit Beginn des Projekts 2006 ist Scharaw rund zwei Dutzend Mal in seine frühere Heimat gereist: Er hat mit Vertretern von Wasserbe-hörden, -versorgern und Stadtverwaltung gesprochen; Grundwasserhorizonte kartiert und analysiert; die Wasserqualität der öffentli-

In vielen Ländern der Welt ist sauberes Wasser ein rares Gut. Die Versorgung der Bevölkerung stellt die Behörden oft vor Probleme. In der Mongolei zeigt ein interdisziplinäres Forscherteam, wie sich die knappen Ressourcen effektiv nutzen lassen.

Text: Monika Weiner

Wasser für die Mongolei

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Grenzenlose Weite: Die Mongolei ist dünn besiedelt. In großen Teilen des Landes gibt es keine zentrale Wasserver- und Abwasserentsorgung. alle Fotos © Fraunhofer IOSB

chen und privaten Brunnen sowie des Vertei-lungsnetzes untersucht; den Energieverbrauch der Pumpen gemessen; die Effektivität des Klärwerks erforscht. Alle Daten und Ergebnisse wurden in am AST entwickelte Computermo-delle eingespeist. »Mit unserer Wassermanage-ment-Lösung HydroDyn haben wir erstmals die Möglichkeit, sowohl die Qualität als auch die Quantität der Wasserfl üsse sichtbar zu machen und eine künftige Entwicklung zu modellieren«, erläutert der Forscher.

Energie sparen, Ressourcen schonen, die Versorgung sichern

Der Status Quo ist verbesserungsfähig: Das Wasser, das die öffentlichen Brunnen fördern, hat zwar eine gute Qualität, die Infrastruktur ist jedoch veraltet: Die Pumpen benötigen unverhältnismäßig viel Energie, die Leitungen sind marode, fast die Hälfte des Trinkwassers versickert auf dem Weg zum Verbraucher. Die Häuser in Darkhan haben fl ießend Wasser, in

den Jurtensiedlungen können die Bewohner Trinkwasser, das aus öffentlichen Brunnen stammt, an »Wasserkiosken« kaufen. Viele Jur-ten verfügen über eigene Brunnen, die Wasser aus geringen Tiefen fördern – häufi g ist dies jedoch kontaminiert mit Mikroorganismen, die von den Latrinen eingeschwemmt werden, die sich auf denselben Grundstücken befi nden.

Was also ist zu tun? »Nachdem die erste Phase des Projekts, in der wir Daten erfasst und Mo-delle erstellt haben, abgeschlossen ist, beginnen wir jetzt damit, konkrete Vorschläge zu erarbei-ten, die ökonomisch und ökologisch sinnvoll sind«, sagt Scharaw. Sein Team hat hierfür eine Software entwickelt, die ermittelt, wie sich die Wasserversorgung möglichst energiesparend und nachhaltig sichern lässt: »Die Förderung der benötigten 20 000 Kubikmeter Wasser am Tag kann in Zeiten verlegt werden, in denen der Strom günstig ist – beispielsweise in die Nacht. Energie lässt sich außerdem sparen, wenn man Wasser in den nächstgelegenen Hochbehälter

Verbesserungsfähig: Forscher untersuchen, wie sich die Effektivität des Klärwerks steigern lässt.

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pumpt und lange Leitungsstrecken vermeidet. Bei der Förderung muss allerdings auch immer berücksichtigt werden, welche Wasservorräte in den verschiedenen Grundwasserschichten zur Verfügung stehen.«

Um die Verluste im Trinkwasserverteilungs-Netz zu minimieren, haben die Fraunhofer-Forscher ein Mess-System entwickelt, mit dem sich Lecks orten lassen: Kleine Sensoren registrieren Druckabfall in den Leitungen, auf diese Weise lassen sich Löcher relativ genau lokalisieren. Ist die undichte Stelle ausgemacht, kann der be-troffene Leitungsabschnitt gezielt freigelegt und ausgebessert werden.

Effektive Abwasserr einigung schont die Umwelt

Um die Schadstoffbelastung der Gewässer zu senken, suchen die MoMo-Forscher nach Alter-nativen zur bisherigen Praxis der Abwasserent-sorgung. Die Effektivität das Klärwerks lässt sich

möglicherweise durch einfache Maßnahmen steigern: Scharaw und seine Kollegen bauen jetzt eine Versuchsanlage, die Mikroorganismen in hoher Konzentration enthält: »Wir erwarten, dass diese Anlage auch in der kalten Jahres-zeit, wenn die Aktivität der Mirkoorganismen abnimmt, noch gute Ergebnisse liefert. Diese Ergebnisse lassen sich dann auf eine künftige Anlage übertragen.« In den Jurtensiedlungen empfehlen die Experten den Bau kleiner, dezent-raler Klärwerke, die nicht nur Abwässer reinigen, sondern auch Biogas zum Heizen gewinnen. Bis es soweit ist, sollen die Latrinen der Jurten mit Plastikbehältern bestückt werden, die die Fäkalien aufnehmen – diese lassen sich dann im Klärwerk aufbereiten.

In drei Jahren, wenn das MoMo-Projekt abge-schlossen ist, wollen die Experten der Verwal-tung in Darkhan einen Maßnahmenkatalog vorlegen, der zeigt, wie sich die Wasserver- und -entsorgung in Zukunft effi zient und kosten-günstig sichern lässt.

Die Jurten am Rande der Stadt haben oft eigene Brunnen. Das Wasser, das sie fördern, ist jedoch nicht immer keimfrei.

Am »Wasserkiosk« gibt es sauberes Wasser gegen Geld.

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Lebertumoren können tödlich sein. Oft kann nur eine Operation das Leben des Patienten retten, allerdings stellt der Eingriff hohe Anforderungen an den Chirurgen. Um diesem die Arbeit zu erleich-tern, entwickeln die Forscher vom Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS in Bremen und vom ARTORG Center for Biomedical En-gineering Research der Universität Bern jetzt ein Leber-Navigationssys-tem. Getestet und optimiert wird dieses derzeit am Eastern Hepato-biliary Surgery Hospital in Shanghai, dem größten Leber-Zentrum der Welt. Die Chirurgen dort operieren mehr als 5000 Patienten jährlich.

Forscher am MEVIS erstellen aus den per Internet übermittelten radiologischen Schichtbilddaten des Patienten ein individuelles 3D-Modell der Leber, an dem der Operateur in Shanghai den Eingriff planen und die Risiken abschätzen kann. Die Daten stehen den Ärzten auch während der OP zur Verfü-gung: Das neue Navigationssystem überträgt die Lage von Tumoren und Blutgefäßen sowie die geplan-te Schnittführung exakt auf die Leber des Patienten.

Virtuelle Hilfe

Die Entwicklungs- und Produktions-zyklen in der Automobilindustrie werden immer kürzer. Damit Euro-pa auch in Zukunft wettbewerbs-fähig bleibt, entwickeln Forscher im EU-Projekt Pegasus eine Software, die kleine und mittlere Unterneh-men vernetzt und mit ihren Kun-den verbindet. Das Ziel ist ein eng verknüpftes Netzwerk, das genauso schnell und fl exibel reagieren kann wie ein einziges Unternehmen.

Die neue Software-Plattform analy-siert die funktionellen Anforderun-gen eines Produkts und erkennt die passenden Werkstoffe in einem frü-hen Stadium des Entwicklungspro-zesses. Soll etwa ein Autodach in einem anderen Material als bisher hergestellt werden, muss nicht ex-tra ein neuer Entwicklungsprozess durchlaufen werden. Es genügt, die Bauteildaten digital zu analysieren, um automatisch geeignete Materi-alien sowie Verarbeitungsverfahren auszuwählen.

Wie die Plattform funktionieren könnte, zeigt das Beispiel eines Kotfl ügels mit integriertem LED-Rücklicht. »Wir haben den Original-kotfl ügel eines Smart verwendet. Er lässt sich mit neuen Verarbeitungs-verfahren, Materialien, Klebstoffen und Werkzeugen schneller und kostengünstiger fertigen«, sagt Timo Huber, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT in Pfi nztal, einem von 23 Projektpartnern. Die Kosten lassen sich demnach reduzieren, wenn LED-Rücklichter verwendet werden. Der Einsatz von Leiter-bahnen aus elektrisch leitfähigem Polymer könnte zudem metalli-sche Leiterstrukturen überfl üssig machen.

Nanopartikel eröffnen Ingenieuren auf der ganzen Welt neue Mög-lichkeiten, Produkte zu gestalten: Mit Kohlenstoffnanoröhrchen beispielsweise lassen sich nicht nur Oberfl ächen wasserabweisend oder kratzfest machen, sondern auch Kunststofffolien entwickeln, die berührungssensitiv oder elektrisch leitend sind. Als erste haben japa-nische Unternehmen die Chancen erkannt, die die neuen Technolo-gien bieten. Heute ist Japan in der Nanotechnik führend, ein Großteil der Weltproduktion an Kohlenstoff-nanoröhrchen wird hier verarbeitet.

Die Nano-Spezialisten bei Fraunho-fer arbeiten schon seit langem mit den Forschern in Fernost zusam-men. Unlängst wurde in Osaka ein eigenes »Fraunhofer Offi ce for Process Engineering of Functional Materials and Robotics« eröffnet – organisatorisch ist das Büro eine Erweiterung des Fraunhofer Repre-sentative Offi ce Japan.

»Unser Ziel ist es, noch enger mit exzellenten Forschern aus Industrie und Wissenschaft zu vernetzen und neue Anwendungsfelder für die Nanotechnologie zu erschließen«, erklärt Ivica Kolaric vom Fraunho-fer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stutt-gart, der Leiter des neuen Büros.

Schnell auf die Straße

Smart Materials

Wie schnell erwärmen sich die Weltmeere? Wie entstehen Seebeben und Tsunamis? Welche Rohstoffe liegen am Grund der Ozeane? Geo-Erkundungs-Schiffe, die mit einer umfangreichen Sen-sorik ausgestattet sind, können hel-fen, solche Fragen zu beantworten. Damit sich die Informationen, die auf hoher See gesammelt werden, schnell analysieren lassen, müssen die Softwaresysteme an Bord ab-gestimmt sein auf die Arbeitsweise der Datenverarbeitungszentren an der Küste.

Im EU-Projekte Modelplex entwi-ckeln die Forscher Steuerungssyste-me für komplizierte Sensornetzwer-ke. Wissenschaftler und Ingenieure aus 20 Forschungseinrichtungen, darunter dem Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssys-teme FOKUS in Berlin, erarbeiten eine offene Werkzeugumgebung: Die Software-Instrumente helfen bei der Modellierung, Program-mierung und Qualitätssicherung neuer, umfangreicher Programme. Diese können nicht nur eingesetzt werden, um Geo-Daten auszuwer-ten, sondern auch, um Manage-mentsysteme für Flughäfen oder Großhandelsketten zu entwickeln.

Forschung am Meeresgrund

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Krankheitsursache Umwelt?Steigende Temperaturen, Sonneneinstrahlung, Feinstaub – welchen Einfl uss haben diese und andere Umweltfaktoren auf unsere Gesundheit. Diese Fragen untersuchen Forscher in einem EU-Projekt.

Text: Klaus Jacob

Stehendes Wasser ist eine der Brutstätten für Infektionskrankheiten. © Ulrich Doering/mauritius

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Die Umwelt kann krank machen. Das weiß man spätestens seit der industriellen Revolution, als Bergarbeiter eine Staublunge bekamen und viele Städter unter Atemwegserkrankungen litten. Die Zusammenhänge zwischen Umwelteinfl üssen und menschlicher Gesundheit sind vielfältig: So begünstigen Überschwemmungen die Infektion mit Cholera und steigende Temperaturen för-dern die Ausbreitung von Malaria. Erst kürzlich hat eine Studie der Universität Duisburg-Essen ergeben, dass die Feinstaubbelastung in den Straßenschluchten den Blutdruck der Städter in die Höhe treibt und somit das Risiko von Arte-riosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall vergrö-ßert. Doch wie genau Umwelteinfl üsse auf die menschliche Gesundheit wirken, ist noch längst nicht restlos geklärt. Es fehlt ein detaillierter Abgleich zwischen Umwelt- und Krankheitsda-ten. Ein interdisziplinäres Forschungsvorhaben, an dem 13 Forschungseinrichtungen, Universi-täten und Unternehmen beteiligt sind, will diese Fleißarbeit nun verrichten. Die Experten arbeiten an der nötigen Software, um mögliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen erkennen zu können.

Das EU-Projekt »EO2HEAVEN« (Earth Observa-tion and Environmental Modelling for the Miti-gation of Health Risks), im Februar 2010 ge-startet, läuft über drei Jahre und wird vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Karlsruhe koordi-niert. Für die wissenschaftliche Koordination ist die spanische IT-Firma Atos Origin verantwort-lich. Die beteiligten Experten haben sich viel vorgenommen: Sie müssen zahllose Umweltda-ten aufarbeiten und mit Erhebungen aus dem Gesundheitssektor verknüpfen. Korrelationsana-lysen helfen dabei, mögliche Zusammenhänge aufzuspüren. Die Aufgabe von Medizinern wäre es schließlich, die Ergebnisse auf ihre Stichhaltig-keit hin zu überprüfen. So lassen sich Gefah-renkarten erstellen, die zum Beispiel zeigen, wie groß das Risiko ist, dass jemand in einem bestimmten Gebiet an einer Allergie erkrankt.

www.eo2heaven.org

Vor allem aber geht es darum, Frühwarnsysteme zu entwickeln. Wenn zum Beispiel bestimmte Wetterlagen bekannt sind, in denen die Zahl der Cholerafälle ansteigt, kann eine Analyse der meteorologischen Daten frühzeitig auf die dro-hende Gefahr hinweisen. Oder die Umweltdaten signalisieren einen Anstieg der Luftschadstoffe

in Bodennähe, der Atemwegserkrankungen begünstigt. Mit den nötigen Modellen lässt sich oft schon Tage vorher ermitteln, ob eine Gefahr droht. Dank einer solchen Vorhersage könnten sich Krankenhäuser, Ärzte und Gesundheits-behörden frühzeitig auf den Ansturm von Patienten vorbereiten. In einem zweiten Schritt ist sogar daran gedacht, gefährdete Personen wie Herz-Kreislauf-Kranke oder Asthmatiker direkt auf die drohende Belastung hinzuweisen. Die könnten dann vorbeugend Medikamente einnehmen, zuhause bleiben oder körperliche Anstrengung meiden. Mehr noch: Bei Alarm könnten Behörden den Schadstoffausstoß kurz-fristig reduzieren, indem sie Verkehrsbeschrän-kungen erlassen oder besonders emissionsreiche Betriebe vorübergehend stilllegen.

Um ihre Werkzeuge zu entwickeln, haben sich die Experten von EO2HEAVEN drei Fallstudien vorgenommen: Im südlichen Afrika geht es darum, ob bestimmte Klimakonstellationen den Ausbruch von Cholera begünstigen, in der süd-afrikanischen Stadt Durban, ob Luftschadstoffe die Anwohner eines Industriegebiets krank ma-chen; und in Dresden um den möglichen Einfl uss der Umwelt auf Allergien und Atemwegserkran-kungen. Dresden hat etwa eine halbe Million Einwohner und gilt als typische Stadt Europas. Wie im übrigen Deutschland leiden hier jedes zehnte Kind und jeder zwanzigste Erwachsene an Asthma. Umwelteinfl üsse wie Blütenpollen, Ozon oder Feinstaub machen diesen Allergikern besonders zu schaffen.

In Dresden können die Wissenschaftler für ihre Arbeit auf zahlreiche Daten zu Umwelt und Gesundheit zurückgreifen. Aufzeichnungen aus den Jahren 2003 bis 2006 liefern die Grund-lage für die gesuchten Modelle. Die Datenfl ut stammt von Wettersatelliten, Umweltstationen und Immissions-Katastern. Sogar die Topo-grafi e, die Verkehrsdichte und die Vegetation fl ießen in Modellierungen ein. Zudem werden anonymisierte Gesundheitsdaten genutzt. »Die Integration der vielfältigen Daten stellt die Infor-mations- und Kommunikations-Technik vor eine besondere Herausforderung«, sagt Kym Watson, der Projekt-Koordinator am IOSB. Ziel sei es, mithilfe der Daten vorherzusagen, ob die Kon-zentration an Luftschadstoffen ansteigen wird.

Ein Frühwarnsystem wollen die Forscher auch für das südafrikanische Durban entwickeln. Das

Problem: Im »Durban Industrial Basin«, einem weitläufi gen Industriegebiet, stoßen Raffi nerien, Papierproduzenten und andere Industrieun-ternehmen einen ungesunden Schadstoff-Mix aus, darunter allein zig Tonnen Schwefeldioxid täglich. Obendrein behindern Bergketten die Luftzirkulation und führen zu häufi gen Inversi-onswetterlagen. Welche Auswirkungen diese Umweltbedingungen auf die Gesundheit der dort lebenden 200 000 Menschen haben kön-nen, zeigt eine Untersuchung an einer Schule: Jedes zweite Kind leidet an Asthma.

Fallbeispiel 3: Die Ausbreitung von Cholera ist längst noch nicht restlos erforscht. Bekannt ist allerdings, dass die Umwelt einen erheblichen Einfl uss hat, denn die Krankheitsfälle nehmen meist in einem jahreszeitlichen Rhythmus zu und ab. Der Erreger, das Bakterium Vibrio Cholerae, lebt in Salz- und Brackwasser. Er heftet sich an Algen und tierisches Plankton. Eine Algenblü-te, ausgelöst durch hohe Temperaturen oder Nährstoffeintrag, lässt ihre Anzahl sprunghaft steigen. Durch menschliche Ausscheidungen gelangt das Bakterium auch in den Süßwas-serkreislauf. Hier kann es vor allem bei Über-schwemmungen für Epidemien sorgen, wenn das Trinkwasser kontaminiert wird.

Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, beziehen die Projektpartner eine Vielzahl von Parametern in ihre Untersuchung mit ein. Dazu gehören etwa Salzgehalt, pH-Wert, Temperatur und Nährstoffkonzentration im Salz- und Fluss-wasser, aber auch meteorologische Daten wie Regenmengen, Sonnenscheindauer, Temperatur oder Luftfeuchtigkeit. Wenn es gelingt, die Zusammenhänge von Umwelteinfl üssen und der Ausbreitung des Cholera-Erregers zu klären, könnten Behörden und Mediziner auch hier frühzeitig gegensteuern.

Das Forschungsvorhaben ist umso wichtiger, als dass der Mensch immer stärker in die Umwelt eingreift. Er belastet nicht nur die Luft und das Wasser mit ständig neuen Substanzen, die Anwohner krank machen können, sondern verändert auch das weltweite Klima. Steigende Temperaturen, häufi gere Überschwemmungen und anhaltende Trockenheit können mögli-cherweise einen erheblichen Einfl uss auf die Gesundheit haben. Das Instrumentarium, das die Forscher entwickeln wollen, soll für all diese Fälle nutzbar sein.

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Wie stark steigt die Zahl der Pkw in den nächs-ten Jahren? Wie viele Güter werden künftig mit dem Schiff transportiert? Welche Mengen Treib-hausgas emittiert der Verkehr in 20 Jahren? Das sind Fragen, die auch für politische Entscheidun-gen wichtig sind. Denn Politiker müssen weit in die Zukunft schauen, um die Weichen richtig zu stellen. Der Verkehr ist in unserer mobilen Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Damit er innerhalb Europas reibungslos fl ießt, gibt die EU-Kommission regelmäßig ein »Weißbuch Ver-kehr« heraus, das Empfehlungen enthält. Dieses Gutachten hatte 2001 den Tenor, die Straßen zu entlasten und die Verkehrsströme auf Schiene und Flüsse zu lenken. Fünf Jahre später stand eine bessere Effi zienz insbesondere im Straßen- und Luftverkehr im Vordergrund. Das neue Weißbuch, das in diesem Frühjahr erscheinen soll, steht ganz im Zeichen des Klimawandels. Ziel ist es, die Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs zu reduzieren.

Einen wichtigen Baustein dafür liefert eine Studie, die das Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI koordi-niert hat und an der sich Forschungsinstitute, Universitäten und Unternehmen aus ganz Eu-ropa beteiligt haben. »iTREN-2030« (Integrated transport and energy baseline until 2030) ist ein hochkomplexer Modellverbund, der die Entwick-lung des europäischen Verkehrs und seiner Auswirkungen auf das Klima bis zum Jahr 2030 simuliert. Natürlich ist ein so weiter Blick in die Zukunft problematisch. Die leistungsstärksten Computer laufen ins Leere, wenn etwas Unvor-hergesehenes wie eine schwere Naturkatastro-phe eintritt. Doch die Experten haben bewusst auf Spekulationen verzichtet. Um möglichst realitätsnah zu bleiben, berücksichtigen sie nur solche Veränderungen, die sich schon heute ab-zeichnen. Dazu gehört etwa, dass sich Pkw mit Elektroantrieb ab 2012 immer mehr etablieren und dass Lieferwagen mit E-Motor von 2015 an

auf den Straßen verkehren. Das Tankstellennetz für Erdgas wird weiter ausgebaut. Und bis 2025 soll voraussichtlich ein Versorgungsnetz für Wasserstoff geknüpft sein, so dass die Ära der Brennstoffzellen-Fahrzeuge beginnen kann.

Ausstoß von Treibhausgasen

Für Klimaforscher war der Verkehr schon immer ein Problemfall. Denn er wächst schier unauf-haltsam und mit ihm die Emission von Treib-hausgasen. Europaweit geht rund ein Viertel aller Treibhausgase auf das Konto des Verkehrs, wofür vor allem die vielen Millionen Personen- und Lastwagen verantwortlich sind. Um die angestrebten Emissionsziele einhalten zu kön-nen, muss die Politik entschieden gegensteuern. Die Autoren der iTREN-2030-Studie gehen bei ihren Berechnungen davon aus, dass die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen darf. Dieses Ziel ist inzwischen weltweit akzep-tiert. Um es zu erreichen, müssen die Emissio-nen kontinuierlich in einem bestimmten Tempo heruntergefahren werden. Für den europäischen Verkehr heißt das: bis 2020 eine Reduktion um zehn Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2005 und bis 2030 um 28 Prozent. Die Modellierung hat nun ergeben, dass bis 2020 eine Einsparung um sieben Prozent gelingen wird. Das sind zwar weniger als die geforderten zehn Prozent. Doch höhere Einsparungen in anderen Bereichen gleichen das Defi zit aus, sodass Europa unterm Strich auf dem 2-Grad-Pfad bleibt. Das sieht für 2030 anders aus: Nach der Modellrechnung er-reicht der Verkehr dann mit minus zwölf Prozent viel weniger Einsparungen als die geforderten 28 Prozent. Europa würde weit vom erwünsch-ten Weg abkommen.

Dennoch zeigt der Blick auf die kommenden zehn Jahre, dass der Kontinent den richtigen Weg eingeschlagen hat: Obwohl die Zahl der

Pkw weiter leicht steigen und die der Lkw so-gar deutlich zunehmen wird, kommen immer weniger Treibhausgase aus den Auspuffen. Das ist vor allem einigen politischen Stellschrauben zu verdanken. »Den wichtigsten Beitrag liefern die Flottengrenzwerte für Pkw«, sagt ISI-Experte Wolfgang Schade, der das iTREN-2030-Projekt koordiniert hat. Danach dürfen alle neuen PKW und Kleinlaster eines Herstellers im Durchschnitt nur noch eine bestimmte Menge an Kohlendi-oxid emittieren. Diese Stellschraube soll nach und nach angezogen werden. Allerdings gelten solche Restriktionen bisher nicht für Laster.

Eines zeigt die Studie deutlich: Trotz der ersten Erfolge sind weitere Anstrengungen nötig, um das Klimaziel von zwei Grad plus zu erreichen. »Die Politik darf nicht bis 2020 warten, sondern muss spätestens 2015 weitere Entscheidungen treffen«, sagt Schade. Nur eine frühzeitige Weichenstellung sorgt für die nötige Planungssi-cherheit. Vor allem die Autohersteller brauchen verlässliche Vorgaben, weil sie ihre Produktpa-letten nicht von heute auf morgen umstellen können. Als wirksames Mittel käme eine weitere Absenkung der Flottengrenzwerte in Frage. Aber auch mit einer vorausschauenden Preispolitik ließe sich viel erreichen. Dazu gehören Straßen-benutzungs-Gebühren oder Veränderungen der Mineralölsteuer. Die Politik könnte auch Car-sharing unterstützen, indem sie gesetzliche Hür-den abbaut und europaweite Standards festlegt. Vielleicht würde so eine neue, klimaschonende Kultur des Autofahrens entstehen, nach dem Motto »nutzen-statt-besitzen«.

Welche Empfehlungen letztlich den Weg ins Weißbuch der EU fi nden, steht noch nicht fest. Und selbst wenn sie darin auftauchen, müssen sie nicht umgesetzt werden, denn die Vorgaben sind für die 27 Nationen der EU nicht bindend. So hieß es vor zehn Jahren, die Länder sollten Benutzungsgebühren für ihre Infrastruktur-

Forscher untersuchen, wie sich der Verkehr künftig entwickelt und wie er sich auf das Klima auswirken wird.

Text: Klaus Jacob

Verkehr im Klimawandel

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Einrichtungen verlangen, auch für die Straßen. Deutschland hat mittlerweile zwar die Lkw-Maut eingeführt, aber die gilt nur auf Autobahnen, Personenwagen dürfen bis heute ohne Kilomet-ergeld fahren. Und die Liberalisierung des Bahn-verkehrs, auch im Jahr 2001 empfohlen, hat sich zwar Deutschland zu Herzen genommen, nicht aber Frankreich. Dort wird die Staatsbahn weiter gehätschelt.

Auch die Finanzkrise hat die Verkehrsströme hart abgebremst, sowohl auf dem Land, als auch auf dem Wasser und in der Luft. Die iTREN-2030-Studie hat diesen Einbruch bei ihrer Modellierung berücksichtigt – mit einem erstaunlichen Resultat. Die Verkehrsbranche wird sich nicht vollständig erholen, sie erreicht also nicht mehr die Wachstumskurve, wie sie vor dem Crash vorgezeichnet war.

Das gilt zwar nicht für Pkw, die inzwischen wieder munter gekauft werden. Doch die immense Schuldenlast, das Vermächtnis von Lehman Brothers und Co., reduziert das Wirt-schaftswachstum und damit den Lkw-Verkehr dauerhaft. Eine neuerliche Krise würde Europa somit seinem Klimaziel ein Stück näher bringen. Aber das wünschen sich nicht einmal die radi-kalsten Umweltschützer.

Damit das angestrebte 2 °C-Ziel eingehalten werden kann, müssen die Emissionen vor allem bei Pkw und Lkw kontinuierlich sinken. A. Körner/plainpicture

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62 - FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN weiter.vorn 2.11

Gespür für die ZukunftUnternehmer und Wissenschaftler müssen in ihrem dynamischen Umfeld mit Weitblick handeln. Zukunfts-szenarien können ihnen dabei helfen. Sie beschrei-ben, wie Forschungslandschaft und Auftragsforschung in Europa im Jahr 2025 aussehen könnten.

Text: Marion Horn

Die europäische Forschungslandschaft ist eng besetzt mit unterschiedlichen Akteuren von Hochschulen über öffentlich geförderte Forschungseinrichtungen bis hin zu Unternehmen. © Fraunhofer

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Wie fi nden Unternehmen Forschungspartner für neue Ideen? Nach welchen Kriterien vergeben sie künftig Aufträge? Wie gehen Firmenchefs mit Risiken um? Welche Rolle spielen Lizenzfra-gen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Workshops am Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Aufgabe der Experten ist es, Zukunftsszenarien zu erarbei-ten. Sie analysieren heutige und künftige Einfl ussfaktoren für die Forschung in Deutsch-land. Jeweils fünfzehn Fachleute aus unter-schiedlichen Branchen wie Energieversorgung, Chemische Industrie, aus Verbänden und internationalen Forschungseinrichtungen diskutieren lebhaft. Unter ihnen sitzt der Illustrator Heyko Stöber mit einem Zeichenblock auf dem Schoß. Er hört aufmerksam zu und setzt die Gesprächsinhalte rasch in anschauliche Skizzen um. Die Moderatorinnen unterstützen die Expertenrunde dabei, ihre Zukunftsannah-men präzise zu formulieren: »Sind alle wichtigen Aspekte dargestellt? Welche Alternativen können Sie sich noch vorstellen?« fragt Elna Schirrmeister vom ISI.

Szenarien schärfen den Blick

Es geht den Forschern bei der szenischen Beschreibung der Forschungslandschaft 2025 nicht um Science-Fiction. »Wir haben langfris-tige Trends einbezogen, die sich bereits heute abzeichnen. Prognosen im klassischen Sinn machen wir nicht«, erklärt Dr. Ewa Dönitz, Szenarioexpertin vom ISI. »Vor dem Start der Workshops haben wir bestehende Zukunftsstu-dien zum Thema Forschungslandschaft ausge-wertet und die Ergebnisse bei unseren Treffen vorgestellt. Diese Studien dienen dann der Expertenrunde als Hintergrundinformationen. Für die Zukunft des Vertragsforschungsmarkts liegen allerdings bisher keine Studien vor. Hier betreten wir nun Neuland«. Dr. Lothar Behlau, Leiter Strategie und Programme der Fraunhofer-Gesellschaft, ergänzt: »Wir möchten den Vor-denkern in Firmen und Forschungseinrichtungen Werkzeuge an die Hand geben, um die Zukunft aktiv zu gestalten. Denn wir haben zwar Zugang zu riesigen Wissensschätzen, müssen jedoch ler-nen, uns darin zurechtzufi nden. Bei Fraunhofer ist der Blick auf verschiedene >Zukünfte< Teil der Strategieplanung. So tauschen wir uns zur Zeit darüber aus, wie eine mögliche, wahrscheinliche

oder wünschenswerte Zukunft für Fraunhofer 2025 aussehen könnte, und ergreifen dann die notwendigen Maßnahmen. Die Szenarien sind nicht nur eine wertvolle Entscheidungsgrundla-ge. Wir schaffen mit dieser Methode auch ein Bewusstsein für Veränderungen und ermögli-chen neue Blickwinkel auf die uns bekannten Strukturen.«

Bevor sie in die Zukunft blicken, analysieren die Workshopteilnehmer die aktuelle Situation. Gibt es genügend Fachkräfte, die in die Forschung einsteigen möchten? Stimmen die Arbeitsbedin-gungen und die Bezahlung? Wie innovations- und risikofreudig sind Unternehmen nach der Finanzkrise? Stöber greift das Thema auf und skizziert in Windeseile einen Mann, der sich mit seinem ganzen Gewicht auf eine Kiste setzt, damit das Risiko nicht rausschlüpfen kann. Die Runde ist sich einig: Unternehmer sind oft vor-sichtig und verlagern oder vermeiden das Risiko. Das könnte künftig auch anders sein: Das Risiko wird bewusst eingegangen und konsequentes Risikomanagement wird zu einer bewährten Managementmethode.

Diese und viele weitere Möglichkeiten sind in der Gegenwart angelegt, unklar ist jedoch, welche Optionen sich durchsetzen. Mit Über-raschungen ist immer zu rechnen, das hat die Finanzkrise gezeigt. »Wir haben intensiv erörtert, wie sich die Wirtschaftskrise auswirken könnte. Hier wurde sehr kontrovers argumentiert, ob es 2025 noch ausreichend Freiraum für die Wis-senschaft geben wird oder ob die Forschungsin-halte durch wirtschaftliche Interessen dominiert sein werden«, sagt Dönitz.

Nach diesen ersten Workshops werden die erarbeiteten Einfl ussfaktoren und Zukunftsan-nahmen begutachtet. »Uns geht es hierbei nicht darum, wie wahrscheinlich eine Situation eintreten könnte, sondern um das Gesamtbild. Wir prüfen, welche der angenommenen Entwicklungen gut zusammenpassen, welche widersprüchlich oder von einander unabhängig sind. Aus diesen Informationen haben wir Rohszenarien erstellt«, beschreibt Behlau den nächsten Schritt. Die darauf folgenden Meetings haben dann das Ziel, aus den Entwürfen schlüssige und begründbare Zukunftsbilder zu formulieren.

Auf diese Weise sind mit der Szenariomethodik unter der Leitung von Dr. Lothar Behlau, Dr. Ewa Dönitz und Elna Schirrmeister vom ISI vier detaillierte und anschauliche Zukunftsbilder ent-standen. Die stark verdichteten Beschreibungen zeigen, wie die Forschungslandschaft und Auf-tragsforschung in 15 Jahren aussehen könnten.

Ein mögliches Szenario: Durch Reformen der Finanzmärkte und eine gut abgestimmte Wirtschaftspolitik blüht Europa auf und ist ein bedeutender Forschungsstandort. Unternehmer können mit den komplexen globalen Märk-ten umgehen. Sie arbeiten eng vernetzt mit Forschungseinrichtungen an den Produkten von morgen. Mögliche Wagnisse fangen sie gemeinsam mit ihren Partnern in engmaschigen Netzwerken auf.

Nicht alle Varianten sehen so rosig aus. Folgen-des könnte auch passieren: Forschung wird in Europa massiv abgebaut. Enormer Druck lastet auf den Firmen. Sie setzen auf Bewährtes und forschen nur im Mainstream. Für dieses Szenario wählt Stöber schwarz und dunkelblau. Auf sei-ner Zeichnung bedrängen tonnenschwere Klötze den Menschen – den Forscher oder Unterneh-mer – von allen Seiten.

www.fraunhofer.de/zukunftsszenarien2025

Das Ergebnis dieses Arbeitsprozesses mit ins-gesamt 50 Experten sind sehr unterschiedliche hochkomplexe Zukunftsbilder. Vor allem im Kontrast werden die Kernaussagen der in einer Broschüre vorliegenden vier Varianten deut-lich: Europa ist es gelungen, sich als attraktiver Forschungsstandort zu positionieren; begrenzte Innovationen sind im Europa der Regionen möglich; Europa ist Stückwerk und wurschtelt sich durch; Forschen und Wirtschaften unter hohem Druck.

Sind die Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Forschung für diese Entwick-lungen gut gewappnet? Sie können jetzt han-deln und sich auf die Zukunft vorbereiten, damit Europa in Zukunft aufblüht. Stöber kommentiert auf seine Weise: Er zeichnet die Erdkugel und eine riesige gelbe Blüte, die ganz Europa einnimmt.

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64 - KOMPAKT weiter.vorn 2.11

Auf einer Plastikkarte transportieren die magnetischen Nanopartikel die Pathogen-DNA in die Detektionskammern. © Fraunhofer IZI

Wasserüberwachung in EchtzeitAnsprechpartner: Dr. Thomas Bernard, [email protected];Dr. Iris Trick, [email protected]

Trinkwasser wird streng kontrolliert, allerdings nur in regelmäßigen Stichproben. Im Projekt »AquaBioTox« haben Forscher ein System ent-wickelt, das das Trinkwasser ständig in Echtzeit überwachen kann. Es ist in der Lage, minuten-schnell vor gesundheitsschädlichen Stoffen zu warnen. Herzstück ist ein Biosensor, der wie ein Vorkoster funktioniert: Ein Teil des Trinkwassers wird abgezweigt und durch den Sensor geleitet. Dort befi nden sich Bakterien und Säugetierzel-len, die ein fl uoreszierendes Protein herstellen. Kommen sie mit toxischen Substanzen in Berüh-rung, ändert sich ihre Fluoreszenz. Die Bakterien reagieren schon innerhalb von Minuten, die Säugetierzellen sind näher mit dem Menschen verwandt und sichern so das Ergebnis ab. Den biologischen Sensor haben Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Grenzfl ächen- und Biover-fahrenstechnik IGB in Stuttgart entwickelt. Das zugehörige Kamerasystem mit Auswerteeinheit stammt vom Karlsruher Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB. Weitere Projektpartner sind die Berliner Wasserbetriebe und bbe Moldaenke GmbH.

Eine Blutvergiftung endet häufi g tödlich – fast die Hälfte aller Patienten, die mit einer Sepsis auf die Intensivstation kommen, stirbt daran. Ein Grund dafür ist eine zu späte Diagnose: Der Arzt muss meist bis zu 48 Stunden auf die Laborergebnisse warten. Häufi g ist es dann schon zu spät, die Krankheit noch erfolgreich zu behandeln.

Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI in Leipzig arbeiten an einem mobilen Test, der die Diagnose vor Ort schon nach einer Stunde liefern soll. »MinoLab« besteht aus einer kredit-kartengroßen Plastikkarte und einem Analysegerät. Das System basiert auf magnetischen Nanopartikeln, die über Fängermoleküle spezifi sch an die Zielzellen in der Blutprobe binden. Die Partikel samt Erreger durch-laufen dann vollautomatisch mehrere Reaktionskammern. Die Detektion erfolgt über einen neuartigen magnetoresistiven Biochip. In etwa zwei Jahren wollen die Experten einen ersten Prototyp vorlegen. Auch andere Anwendungen sind mit der Technologie denkbar: von der Bestimmung genetischer Prädisposition bis hin zur Krebsdiagnostik.

Schnellerer SepsistestAnsprechpartner: Dr. Dirk Kuhlmeier, [email protected]

Energie besser nutzen Ansprechpartner: Dipl.-Ing. Carsten Beier, [email protected]

Energie ist nicht gleich Energie: Mit Brennstof-fen wie Erdgas oder Holz kann sehr effektiv Strom erzeugt werden. Dabei entsteht Abwär-me mit geringer Temperatur, die meist zum Heizen oder Vorwärmen dient. Zum Verheizen allein ist Holz oder Erdgas zu kostbar.

Ein Maß, um die Anwendungsmöglichkeiten von Energie zu analysieren, ist die thermodyna-mische Größe der Exergie: Während Wärme bei Raumtemperatur exergetisch fast ohne Wert ist, da sie nicht weiter in andere Energieformen umgewandelt werden kann, sind Brennstoffe exergetisch hochwertig. Durch die Exergieana-

lyse wird die Energienutzung sowohl quantita-tiv als auch qualitativ bewertet.

Forscher vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT ha-ben ein Modell entwickelt, mit dem Wärmever-sorgungssysteme exergetisch bewertet werden können. Erstmalig haben sie die Exergieeffi zi-enz von in Deutschland üblichen Systemen be-rechnet und verglichen. Die Ergebnisse zeigen im Vergleich zur Energieanalyse bedeutende Einsparpotenziale auf und liefern so eine wich-tige Entscheidungsbasis für die erforderliche Umstrukturierung der Energiesysteme.

In Großkraftwerken ent-weicht rund 60 Prozent der eingesetzten Energie als Abwärme über den Kühlturm. © Fraunhofer UMSICHT

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weiter.vorn 2.11 PANORAMA - 65

Die OLED-Flächenbeleuchtung vom Dresdner Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS ist »einfach genial«. Das jedenfalls fi nden die Zuschauer der gleichnamigen Fernsehsen-dung vom MDR. Sie wählten die extrem fl achen und hocheffi zienten Lichtmodule zur besten mitteldeutschen Erfi ndung des Jahres 2010.

Die organischen Lichtemittierenden Dioden (OLED) wandeln nahezu die gesamte Energie in Licht um, ohne Wärme zu entwickeln. Bisher werden sie vor allem in Displaybeleuchtungen eingesetzt. Die Arbeitsgruppe um Christian May entwickelt sie weiter zu neuartigen Flächen-Lichtsystemen. Dabei ist beispielsweise eine Leuchte entstanden, die sich durch Berührung an- und ausschalten sowie dimmen lässt.

Für die Preisübergabe ließ sich das Fernsehteam etwas besonderes einfallen: Kollegen täuschten ein Interview mit Christian May vor. Während May bereitwillig alle Fragen beantwortete, plazten die Mitarbeiter von »Einfach genial« samt Kamera in das Interview und überraschten den nichtsahnenden Wissenschaftler mit der Auszeichnung.

3D nimmt weiter Fahrt auf – auch dank des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-logie geförderten Projekts PRIME – Produktions- und Projektionstechnologien für immersive Medien, das von den Fraunhofer-Instituten für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut, HHI und für Integrierte Schaltungen IIS geleitet wird. Am 28. Februar endete das Projekt nach fast dreijähriger Laufzeit. Ein Großteil der dort entwi-ckelten Hard- und Software trägt dazu bei, dass 3D-Technologien einfacher ein- und umzusetzen sind, sich die Produktionszeiten verkürzen und damit Kosten und Aufwand sinken.

Im Kontext von PRIME entstand auch der Film »Dimensionen der Forschung«. Er demonstriert zum einen die Möglichkeiten der entwickelten

3D-Technik und zeigt zum anderen in anschau-lichen Bildern die unterschiedlichen Dimensio-nen der Forschung bei Fraunhofer. Die Bandbrei-te reicht von der Beobachtung winziger Schrott-teile im Weltall, über regenerative Energie und Elektromobilität bis hin zu individuell gefertigten Implantaten, die vom Körper in eigene Kno-chensubstanz umgewandelt werden können.

Die 3D-Technologie selbst ist auch ein Thema, zum Beispiel der Stereoscopic Analyzer STAN, den das HHI in Berlin entwickelt hat. Er erleich-tert die Aufnahmetechnik und sorgt – integriert in die digitale Kamera Alexa der Münchner Herstellers Arnold und Richter ARRI – dafür, dass die Tiefenbe- und -abstimmung kontinuierlich erfolgen kann.

Ausgezeichnete Erfi ndung

Fraunhofer in 3D

Messen und Veranstaltungen

Informationen zu allen Messen:www.fraunhofer.de/messenwww.fraunhofer.de/veranstaltungen

Franziska Kowalewski Susanne PichottaWelf Zöller

[email protected]@[email protected]

Mai

03. – 05. MaiControl, StuttgartInternationale Leitmesse für Qualitätssicherung

10. – 13. Maitransport logistic, MünchenInternationale Fachmesse für Logistik, Mobilität, IT und Supply Chain Management

23. – 26. MaiLASER World of PHOTONICS, MünchenMesse für optische Technologien

Juni

07. – 09. JuniSENSOR+TEST, NürnbergMesstechnik-Messe

20. – 26. JuniSalons Internationaux de l‘Aéronautique et de l‘Espace, Paris-Le BourgetInternationale Luftfahrtschau

Dreharbeiten für den ersten Film von Fraunho-fer in 3D: Dynamischer Belastungstest von Windkraft-Rotorblätter in der 70-Meter Halle des Fraunhofer IWES in Bremerhaven. © KUK

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66 - PERSONALIEN weiter.vorn 2.11

Prof. Dr.-Ing. Bernd Kieback hat den Skaupy-Preis 2010 erhalten, den wichtigsten Preis auf dem Gebiet der Pulver-metallurgie im deutschsprachigen Raum. Professor Kieback leitet den Institutsteil Dresden des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Dresden und ist Direktor des Instituts für Werkstoffwis-senschaft mit der Professur für Pulvermetallurgie, Sinter- und Verbundwerkstoffe an der Technischen Universität Dresden.

Der Physiker Prof. Dr. Karl Leo erhält vom Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) einen »Advanced Grant«. Damit verbunden sind Forschungsmittel in Höhe von zwei Millionen Euro. Diese Mittel will der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS nutzen, um in den kommenden fünf Jahren auf dem Gebiet organischer Bauelemente zu arbeiten. Professor Leo war bereits wesentlich an der Grundlagenforschung zu orga-nischen Leuchtdioden und Solarzellen beteiligt und wurde dafür im Jahr 2002 mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet. Nun will er mit seinem Team noch einen Schritt weiter gehen und auch andere elektronische Bauteile auf organischer Basis herstellen.

Prof. Dr. Dieter Rombach, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE, erhält das vom Bundespräsidenten verliehene Bundesverdienstkreuz am Bande. Damit werden Professor Rombachs herausragende Verdienste um die Softwaretechnik und die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft sowie sein großer Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Rheinland-Pfalz und Deutschland gewürdigt.

Prof. Dr. Holger Hanselka ist der neue Vize-Präsident der TU Darmstadt. Der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF übernimmt auch das Ressort für Wissens- und Technologietransfer. Han-selka wurde zudem auch in den Vorstand des Deutschen Ver-bandes für Materialforschung und -prüfung (DVM) gewählt. Der DVM fördert den Wissenstransfer auf dem Gebiet der Materialforschung und der Werkstoff- und Bauteilprüfung.

Prof. Dr. Klaus Dieter Lang ist seit dem 1. Februar 2011 offi ziell zum Leiter des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässig-keit und Mikrointegration IZM bestellt worden. Lang, ein international anerkannter Experte für Miniaturisierungstech-nologien und Systemintegration in der Mikrosystemtechnik, hatte diese Position bereits seit April 2010 kommissarisch wahrgenommen.

Impressum Fraunhofer-Magazin »weiter.vorn«:Zeitschrift für Forschung, Technik und Innovation.Das Magazin der Fraunhofer-Gesellschaft erscheint viermal pro Jahr. Kunden, Partner, Mitarbeiter, Medien und Freunde können es kostenlos beziehen.ISSN 1868-3428 (Printausgabe)ISSN 1868-3436 (Internetausgabe)

Herausgeber:Fraunhofer-GesellschaftHansastraße 27c, 80686 MünchenRedaktionsanschrift wie HerausgeberTelefon +49 89 1205-1301Fax +49 89 [email protected]/magazin

Abonnement:Telefon +49 89 [email protected]

Redaktion:Franz Miller, Birgit Niesing (Chefredaktion),Marion Horn, Beate Koch, Isolde Rötzer, Monika Weiner, Christa Schraivogel (Bild und Produktion)

Redaktionelle Mitarbeit:Andreas Beuthner, Frederike Buhse,Frank Grotelüschen, Boris Hänßler, Klaus Jacob, Chris Löwer, Katja Lüers, Bernd Müller, Brigitte Röthlein, Tim Schröder

Graphische Konzeption: BUTTER. DüsseldorfLayout: Vierthaler & Braun, MünchenTitelbild: istockphotoLithos: drm-Desktop Repro MunichDruck: J. Gotteswinter GmbH, München

Anzeigen: Heise Zeitschriften VerlagTechnology Review, Helstorfer Straße 7, 30625 Hannover, Telefon +49 511 5352-0www.heise.de/mediadatenNächster Anzeigenschluss: 9. Mai 2011.

Bezugspreis im Mitgliedspreis enthalten.© Fraunhofer-Gesellschaft, München 2011

Personalien

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