+ All Categories
Home > Documents > 1 Die Grundung des Forschungszentrums DESY¨ · schungszentren, von denen DESY eines war, die...

1 Die Grundung des Forschungszentrums DESY¨ · schungszentren, von denen DESY eines war, die...

Date post: 22-Oct-2020
Category:
Upload: others
View: 1 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
8
1 1 Die Gr ¨ undung des Forschungszentrums DESY Die Geschichte beginnt im Jahr 1955. Die wissenschaftspolitischen und ¨ außeren Umst¨ ande waren der Gr¨ undung eines gr¨ oßeren wissenschaftlichen Unternehmens unstig: Deutschland erhielt 1955 einen Teil seiner Souver¨ anit¨ at zur¨ uck. Damit fiel das Verbot, kernphysikalische Forschungen zu betreiben. Das neugegr¨ undete Bundesministerium f¨ ur Atomkernenergie 1) (BMAt) unter Franz Josef Strauss hatte Geld und war zu großen Unternehmungen bereit. Die Kernphysik hatte ein hohes Ansehen und es bestand in Deutschland ein großes Bed¨ urfnis, den Vorsprung des Auslands auf diesem aktuellen For- schungsgebiet aufzuholen. Die 1954 erfolgte Gr¨ undung des CERN, des europ¨ aischen Zentrums f¨ ur sub- atomare Forschung, konnte als Beispiel und Anreiz dienen. Die damit gebotene Chance zu ergreifen – dazu bedurfte es jedoch einer außer- gew¨ ohnlichen Pers¨ onlichkeit. Sie trat auf in Gestalt eines 44-j¨ ahrigen, aus Wien stam- menden Kernphysikers, der in den USA Karriere gemacht und 1954 einen Ruf als Professor an die Universit¨ at Hamburg erhalten hatte: Willibald Jentschke. Er war mit den Großprojekten der Forschung in den USA vertraut, war er doch selbst dort in lei- tender Funktion t¨ atig gewesen. Hamburg konnte ihn nur reizen, wenn er hier ebenfalls etwas Neues, Großes w¨ urde aufbauen k¨ onnen. Dass ihm dies gelingen sollte, war ne- ben seiner fachlichen Kompetenz und dem Ehrgeiz, in der vordersten Liga der Physik mitzuspielen, ganz besonders auch seiner Hartn¨ ackigkeit und Unverfrorenheit gepaart mit geschickt eingesetztem Wiener Charme zu verdanken. Die n¨ aheren Hintergr¨ unde und Einzelheiten sind in dem Buch von C. Habfast [1] geschildert; sie werden hier gek¨ urzt wiedergegeben. Die Geschichte beginnt also mit Willibald Jentschke. Er wurde am 6. Dezember 1911 in Wien geboren. Im Alter von 24 Jahren wurde er an der Universit¨ at Wien mit einer kernphysikalischen Arbeit promoviert. Bereits 1938, kurz vor der Entdeckung 1) Ab 1957 wurde es zum Bundesministerium f¨ ur Atomkernenergie und Wasserwirtschaft. Von schnellen Teilchen und hellem Licht: 50 Jahre Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY. Erich Lohrmann und Paul S¨ oding Copyright © 2009 WILEYVCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim ISBN: 978-3-527-40990-7
Transcript
  • 1

    1

    Die Gründung des Forschungszentrums DESY

    Die Geschichte beginnt im Jahr 1955. Die wissenschaftspolitischen und äußerenUmstände waren der Gründung eines größeren wissenschaftlichen Unternehmensgünstig:

    – Deutschland erhielt 1955 einen Teil seiner Souveränität zurück. Damit fiel dasVerbot, kernphysikalische Forschungen zu betreiben.

    – Das neugegründete Bundesministerium für Atomkernenergie1) (BMAt) unterFranz Josef Strauss hatte Geld und war zu großen Unternehmungen bereit.

    – Die Kernphysik hatte ein hohes Ansehen und es bestand in Deutschland eingroßes Bedürfnis, den Vorsprung des Auslands auf diesem aktuellen For-schungsgebiet aufzuholen.

    – Die 1954 erfolgte Gründung des CERN, des europäischen Zentrums für sub-atomare Forschung, konnte als Beispiel und Anreiz dienen.

    Die damit gebotene Chance zu ergreifen – dazu bedurfte es jedoch einer außer-gewöhnlichen Persönlichkeit. Sie trat auf in Gestalt eines 44-jährigen, aus Wien stam-menden Kernphysikers, der in den USA Karriere gemacht und 1954 einen Ruf alsProfessor an die Universität Hamburg erhalten hatte: Willibald Jentschke. Er war mitden Großprojekten der Forschung in den USA vertraut, war er doch selbst dort in lei-tender Funktion tätig gewesen. Hamburg konnte ihn nur reizen, wenn er hier ebenfallsetwas Neues, Großes würde aufbauen können. Dass ihm dies gelingen sollte, war ne-ben seiner fachlichen Kompetenz und dem Ehrgeiz, in der vordersten Liga der Physikmitzuspielen, ganz besonders auch seiner Hartnäckigkeit und Unverfrorenheit gepaartmit geschickt eingesetztem Wiener Charme zu verdanken.

    Die näheren Hintergründe und Einzelheiten sind in dem Buch von C. Habfast [1]geschildert; sie werden hier gekürzt wiedergegeben.

    Die Geschichte beginnt also mit Willibald Jentschke. Er wurde am 6. Dezember1911 in Wien geboren. Im Alter von 24 Jahren wurde er an der Universität Wien miteiner kernphysikalischen Arbeit promoviert. Bereits 1938, kurz vor der Entdeckung

    1)Ab 1957 wurde es zum Bundesministerium für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft.

    Von schnellen Teilchen und hellem Licht: 50 Jahre Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY.Erich Lohrmann und Paul SödingCopyright © 2009 WILEYVCH Verlag GmbH & Co. KGaA, WeinheimISBN: 978-3-527-40990-7

  • 2 1 Die Gründung des Forschungszentrums DESY

    Abbildung 1.1 Professor Willibald Jentschke (DESY-Archiv).

    der Uranspaltung durch Hahn und Strassmann, hatte er sich mit der Kernphysik vonUran beschäftigt, und 1939 publizierte er im Anzeiger der Akademie der Wissenschaf-ten in Wien eine Arbeit mit dem Titel:

    ”Über die Uranbruchstücke durch Bestrahlung

    von Uran mit Neutronen“. Weitere Arbeiten zum selben Thema folgten in der’Zeit-

    schrift für Physik‘ und in den’Naturwissenschaften‘. Damit hatte er sich als einer der

    Experten für Uranspaltung etabliert, und während des Krieges arbeitete er weiterhinan Fragen der Physik der Uranspaltung. Nach dem Krieg erhielt er 1947 ein Ange-bot, in die USA zu gehen, vielleicht auch unter dem Eindruck der russischen Kon-kurrenz bei der Rekrutierung wissenschaftlicher Talente [2]. Von 1950 bis 1956 warer Professor an der University of Illinois at Urbana und ab 1951 Direktor des dorti-gen Zyklotron-Laboratoriums. Unter seiner Leitung wurde das Zyklotron umgebautund modernisiert. Jentschke war damit als Experte in Kernphysik und im Bau vonKernphysik-Beschleunigern ausgewiesen.

  • 1 Die Gründung des Forschungszentrums DESY 3

    Im Jahre 1954 erhielt er einen Ruf an die Universität Hamburg. Um ihn angesichtsder günstigen Arbeitsbedingungen in den USA abzuwerben, war aber eine gewisseGroßzügigkeit von Seiten seines potentiellen neuen Arbeitgebers, der Freien und Han-sestadt Hamburg, erforderlich. Dies erklärt wenigstens zum Teil die Verhandlungsbe-reitschaft der Hamburger Behörden. Auf der Seite der Universität war es vor allemProfessor Heinz Raether, der sich für die Berufung Jentschkes einsetzte – er wollte die

    ”große Physik“ nach Hamburg holen. Jentschkes Erfolge bei den Verhandlungen mit

    den Hamburger Behörden sind legendär. In jede neue Verhandlung kam er mit nochhöheren Forderungen, und schließlich bewilligte der Senat am 2. August 1955 die fürdamalige Verhältnisse ungeheuerliche Summe von 7,35 Mio DM2). Damit sollte einneues Physikinstitut entstehen, dessen Mittelpunkt eine

    ’Kernmaschine‘ bilden würde.

    Jentschke nahm den Ruf an die Universität Hamburg am 18. 10. 1955 an, und imSommer 1956 kam er endgültig nach Hamburg.

    In der Zwischenzeit hatte er erkannt, dass die Entscheidung über die Eigenschaftendieser Kernmaschine sorgfältiger Überlegung bedurfte. Von Hause aus ein Kernphysi-ker, hatte er doch in den USA den Aufbruch in das neue Gebiet der Hochenergiephy-sik wahrgenommen. Seine finanziellen Forderungen beruhten auf dem Bestreben, inHamburg ein international konkurrenzfähiges Projekt auf diesem Gebiet zu realisieren.Eine Gelegenheit zur Konsultation mit deutschen Kollegen ergab sich bei dem interna-tionalen Symposium über

    ’High Energy Particle Accelerators‘ am CERN in Genf vom

    11. 6.–16. 6. 1956. Eine Diskussionsrunde, an der neben Jentschke auch W. Gentner,W. Paul, W. Riezler, Ch. Schmelzer, A. Schoch und W. Walcher teilnahmen, arbeiteteeinen Plan für den zukünftigen Beschleuniger aus, der in Hamburg unter JentschkesLeitung entstehen sollte [3]. Diese Runde bestand aus Deutschlands besten und erfah-rensten Experten auf diesem Gebiet. So waren z. B. W. Gentner, Ch. Schmelzer undA. Schoch maßgeblich an der Entwicklung und am Bau des Synchro-Zyklotrons SCund des großen 24 GeV Protonen-Synchrotrons PS am CERN beteiligt. Der spätereNobelpreisträger W. Paul hatte 1954 am Bonner Physikalischen Institut mit dem Baueines 500 MeV Elektronen-Synchrotrons begonnen. Die Maschine verwendete erst-mals in Europa das Prinzip der starken Fokussierung [4], welches den Bau großer Syn-chrotrons revolutionieren sollte – eine echte Pionierleistung. Das Bonner Synchrotronging 1958 in Betrieb, ein Jahr früher als das PS am CERN.3) Professor Walcher hatspäter anlässlich der Gründung von DESY in einer Tischrede im Hamburger Rathausdie Kernpunkte der damaligen Diskussion beschrieben4): Es war den Beteiligten klar,dass die Hochenergiephysik ein neues wichtiges und aktuelles Forschungsgebiet seinwürde. Das Ziel war, den jungen deutschen Physikern neben CERN auch im eigenenLand adäquate Möglichkeiten durch den Bau einer eigenen Forschungsanlage zu bie-

    2)1 EUR = 1,9558 DM3)Die weltweit erste Maschine dieser Art war ein 1,5 GeV Elektronen-Synchrotron, von Robert R.Wilson an der Cornell Universität erbaut und 1953 in Betrieb genommen [5, 6].4)Er sprach als Mitglied des Arbeitsausschusses für die Vorbereitung von DESY sowie als Vorsitzen-der der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, und damit auch als Sprecher der ganzen deutschenPhysikergemeinde. Seine Rede gibt eine gute Darstellung der damaligen Situation. Das macht siehistorisch interessant. Sie ist deshalb im Wortlaut im Anhang E wiedergegeben.

  • 4 1 Die Gründung des Forschungszentrums DESY

    ten. Schon hatten die anderen großen europäischen Nationen solche Pläne gefasst. Dawollten die deutschen Physiker nicht zurückstehen.

    Das Ergebnis der Diskussion in Genf war das sogenannte’Genfer Memorandum‘.

    Darin wurde der Bau eines Elektronen-Synchrotrons von etwa 6 GeV Energie vorge-schlagen. So wurde die Konkurrenz mit den großen Protonen-Synchrotrons vermieden,die am CERN in Genf und am Brookhaven Nationallaboratorium in den USA im Bauwaren, und zugleich die Aussicht zu komplementären Untersuchungen eröffnet. DieEnergie von 6 GeV war die größte Energie, die man damals realistischerweise mitElektronen-Synchrotrons zu erreichen hoffte. Der Grund für diese Grenze ist die Syn-chrotronstrahlung, die der umlaufende Elektronenstrahl des Synchrotrons erzeugt. DieIntensität dieser Strahlung steigt rasch mit der Energie an, und damit wachsen auch dieSchwierigkeiten für den Betrieb einer derartigen Maschine.

    Günstig für diesen Vorschlag war auch, dass Prof. M. S. Livingston, einer der Er-finder der starken Fokussierung, an der Harvard Universität ebenfalls den Bau eines6 GeV Elektronen-Synchrotrons vorbereitete, den

    ’Cambridge Electron Accelerator‘

    (C.E.A.). Professor Livingston bot den deutschen Kollegen in uneigennütziger Weiseseine Hilfe beim Bau einer Schwestermaschine an, und die Aussicht, von der Erfahrungder Amerikaner profitieren zu können, war hochwillkommen. Die beiden Maschinenin Cambridge und Hamburg würden die größten dieser Art in der Welt sein und da-mit in Neuland vorstoßen können. Und auch in anderer Beziehung stieß dieser Planin Neuland vor: Die Maschine sollte allen kompetenten Physikern in Deutschland zurNutzung zur Verfügung stehen und nicht mehr ausschließlich

    ’Eigentum‘ eines einzel-

    nen Instituts sein.In dem Genfer Memorandum wurde weiterhin vorgeschlagen, die Maschine in Ham-

    burg unter der Leitung von W. Jentschke zu bauen. Hierbei spielten sicher die 7,35 MioDM, die Hamburg zugesagt hatte, eine Rolle und auch dass die Aussicht bestand, inHamburg ein günstiges Gelände für den Bau zu finden.

    Am 27. 6. 1956 wurde das Genfer Memorandum, welches wichtige Unterstützungvon Werner Heisenberg erfuhr, dem Arbeitskreis Kernphysik des BMAt vorgetragenund fand die Zustimmung der Physiker und auch der Behörde. Ministerialdirigent Dr.Alexander Hocker vom BMAt schlug vor, auch die Bundesländer zu beteiligen. Damitwurde der Zuständigkeit der Bundesländer für die Forschung Rechnung getragen unddie deutschen Universitäten von Anfang an mit eingebunden. Dies sollte sich als sehrhilfreich erweisen. Am 21/22. 7. 1956 befasste sich auch der Fachausschuss Kernphy-sik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mit den Plänen. Dem Genfer Memo-randum folgend schlug er als Sitz des Beschleunigers Hamburg und als ProjektleiterWillibald Jentschke vor. Schließlich stimmte die Kultusministerkonferenz in ihrer Sit-zung am 15. 12. 1956 dem Plan der Errichtung eines Hochenergiebeschleunigers inHamburg ebenfalls zu.

    Ende 1956 wurde ein vorläufiger Arbeitsausschuss etabliert. Ihm gehörten die Pro-fessoren W. Jentschke, W. Paul und W. Walcher, sowie Ministerialdirigent Dr. A.Hocker vom BMAt und der leitende Regierungsdirektor Dr. H. Meins und der Re-gierungsrat H.-L. Schneider von der Hamburger Behörde an. Dieses Gremium warfür die wissenschaftliche Planung und die organisatorischen Maßnahmen bis zur offi-

  • 1 Die Gründung des Forschungszentrums DESY 5

    ziellen Gründung von DESY am 18. 12. 1959 verantwortlich. Auch ein Name wurdegefunden:

    ’Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY‘.

    Der Weg bis zur offiziellen Gründung von DESY war aber noch lang und steinig.Einer der zentralen Streitpunkte zwischen dem Bund und den Ländern war die Finan-zierung und Kontrolle des neuen Forschungszentrums. Die Wissenschaft, und das warunbestreitbar der Gegenstand von DESY, gehörte in die Kompetenz der Bundesländer,worüber sie eifersüchtig wachten, einmal aus Prinzip, zum anderen weil sie eine en-ge Anbindung von DESY an die Universitäten und deshalb eine gewisse Kontrollewünschten. Die Kooperation mit den Universitäten war von den Gründungsvätern sogewollt und unter den beteiligten Behörden nicht wirklich strittig. Es war auch klar,dass die Finanzierung der verschiedenen neuen in der Gründung begriffenen For-schungszentren, von denen DESY eines war, die Möglichkeiten der Länder deutlichübersteigen würde, und dass eigentlich nur das BMAt über die notwendigen Mittelverfügte. Ein Kompromiss war nötig, und um die Details wurde lange gerungen. Nachhartnäckigen Verhandlungen kam 1959 endlich eine Einigung zustande [1].

    Ein ebenfalls sehr schwieriges Kapitel war die Rechtsform, wofür ein eingetrage-ner Verein oder eine Stiftung zur Auswahl standen. Darin ging es unter anderem umeine Abwägung der Rechte und des Einflusses der Ministerien und der Wissenschaft-ler. Man einigte sich schließlich 1959 auf die Rechtsform einer Stiftung und auf eineSatzung [1].

    Die offizielle Gründung von DESY als eine selbständige Stiftung des bürgerlichenRechts erfolgte am 18. 12. 1959 in Hamburg durch die Unterzeichnung eines Staatsver-trags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Freien und Hansestadt Ham-burg (Abb. 1.2).

    Als Zweck der Stiftung nannte die Satzung in der damaligen Fassung:”Zweck der

    Stiftung sind die Errichtung und der Betrieb eines Hochenergiebeschleunigers zurFörderung der physikalischen Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Atomkerneund Elementarteilchen und die Durchführung der damit zusammenhängenden Unter-suchungen.“

    Nach dem Staatsvertrag verpflichteten sich die Stifter Bund und Hamburg, die Bau-kosten bis in Höhe von 60 Mio DM im Verhältnis 85:15 aufzubringen. Von den Be-triebskosten sollte der Bund 50% und die Länder, nach einem Beschluss ihrer Minister-präsidenten vom 19. 7. 1959, nach dem Schlüssel des Königsteiner Staatsabkommensden Rest zahlen, wobei Hamburg zusätzlich mit einer Sitzlandquote beteiligt war. Die-ses Verfahren war in der Praxis schwierig, um nicht zu sagen schmerzhaft. Der Grundwar die große Zahl der an der Finanzierung beteiligten Partner und die kompliziertenFörderbedingungen, eine Folge der Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Bund undden Ländern. Auch war die Finanzlast für die Länder eigentlich zu groß, und das solltein den nächsten 10 Jahren zu anhaltenden Schwierigkeiten führen.

    Mit der Gründung wurde als eines der Organe der Stiftung ein vorläufiges Direkto-rium eingesetzt: Willibald Jentschke als Vorsitzender, Wolfgang Paul (Bonn) und Wil-helm Walcher (Marburg) als auswärtige Mitglieder. Zum Leiter der Verwaltung wurdeOberregierungsrat Heinz Berghaus ernannt, der aus der Hamburger Verwaltung kam.

    Der Verwaltungsrat der Stiftung konstituierte sich am 11. 4. 1960 und bestellte alsMitglieder des Direktoriums Willibald Jentschke, Peter Stähelin, Wolfgang Paul, Wil-

  • 6 1 Die Gründung des Forschungszentrums DESY

    Abbildung 1.2 Unterzeichnung der Gründungsurkunde desDESY im Hamburger Rathaus am 18. 12. 1959 durch Professor Dr.Siegfried Balke (links), Bundesminister für Atom- undWasserwirtschaft, und Dr. Max Brauer, Erster Bürgermeister vonHamburg (rechts) (DESY-Archiv).

    helm Walcher und als Leiter der Verwaltung Regierungsdirektor Heinz Berghaus. Inder darauf folgenden Amtsperiode 1964–66 bestand das Direktorium aus W. Jentsch-ke, P. Stähelin, M. Teucher von der Universität Hamburg sowie W. Paul und W. Walcherals auswärtigen Mitgliedern.

    Das dritte Organ der Stiftung, der Wissenschaftliche Rat, wirkt in wissenschaftli-chen Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung mit. Er besteht aus angesehenenexternen Wissenschaftlern, die meisten von ihnen von deutschen Universitäten. Er sollim Zusammenwirken mit dem Direktorium die Zusammenarbeit mit den Hochschulenund die optimale Nutzung der Forschungseinrichtungen fördern. Er ist vor wesentli-chen Ausbau- und Erweiterungsmaßnahmen zu hören und er kann auch selbst solcheVorschläge einbringen. Da die Amtszeit der Mitglieder beschränkt ist, ergänzt sich derRat selbst durch regelmäßige Zuwahl.

    Mit der offiziellen Gründung im Dezember 1959 waren die administrativen und fi-nanziellen Probleme DESYs keineswegs gelöst. Pünktlich zum Festakt der Gründungging ein meterlanges Fernschreiben des Bundesrechnungshofs an MinisterialdirigentHocker ein, das den Staatsvertrag und die Satzung ausgiebig kritisierte. Dennoch be-schloss man zu feiern und den Vertrag zu unterzeichnen, nachdem man vereinbart hat-te, den Text der Verträge nachträglich nochmals zu überprüfen. Eine Einigung mit

  • 1 Die Gründung des Forschungszentrums DESY 7

    dem Rechnungshof erwies sich dann als nicht allzu schwierig; trotzdem verzögertenbürokratische Finessen die endgültige Eintragung der Satzung bis zum 18.April 1962.

    Als bedeutend schwieriger erwies sich die Finanzierung, wie im folgenden Kapitelnäher ausgeführt. Es stellte sich heraus, dass die ursprünglich für den Bau des Be-schleunigers vorgesehenen 60 Mio DM nicht ausreichen würden. Als zusätzlicher Fi-nanzbedarf wurden 50 Mio DM genannt. Darin enthalten waren die Mehrkosten desBeschleunigergebäudes inklusive einer zweiten Experimentierhalle, Bauten für die In-frastruktur und Kosten für die Grundausstattung der Experimente.

    Die Verhandlungen über diese Finanzierung, welche die Kompetenzen des Bundesund der Länder in der Forschung berührten, gestalteten sich schwierig und zeitraubend.Schließlich gelang in einer Sitzung des Verwaltungsrats im Mai 1962 die Einigungauf ein neues Investitionsprogramm. Von den zusätzlichen 50 Millionen übernahmender Bund und Hamburg 20 Millionen im Verhältnis 85:15 und weitere 20 Millionenim Verhältnis 75:25. Die restlichen 10 Millionen brachte die Stiftung Volkswagenwerkauf, einem Antrag des DESY- Direktoriums folgend. Damit konnten das Laborgebäudeund die Werkstatt bezahlt und ausgestattet werden.

    Für die Betriebskosten dauerte es länger, eine tragfähige Lösung zu finden. Zunächsthatten sich Bund und Länder auf jährliche Kosten von 10 Mio DM eingestellt. Einerealistische Einschätzung der voraussichtlich benötigten Mittel durch das Direktoriumergaben aber etwa 30 Mio DM, eine Summe, die sich für das Jahr 1965 als richtig her-ausstellen sollte. Ein Gutachten, welches das Bundesministerium für wissenschaftlicheForschung von Professor Schoch und von Professor Weisskopf, dem Generaldirektordes CERN einholte, bestätigte die Schätzung des Direktoriums. Auch der ArbeitskreisKernphysik hatte diese Summe als realistisch anerkannt. Daraufhin erklärte sich derBund bereit, sich an den Betriebskosten von 30 Mio mit 50% zu beteiligen. Nach lan-gen Verhandlungen mit der Ländergemeinschaft kam im Herbst 1963 auch eine Eini-gung mit den Ländern für die Bereitstellung der restlichen 50% zustande.

    Die Betriebskosten stiegen aber weiter. Im Jahr 1967 erreichten sie 44 Mio DM. Da-mit gestalteten sich die jährlichen Diskussionen mit den Geldgebern als sehr mühsam.DESY argumentierte, dass nur mit Betriebskosten in solcher Höhe eine effiziente Nut-zung der großen Investitionen möglich sei. Eine tragfähige Lösung wurde erst 1969im Vorgriff auf die Finanzreform des Bundes und der Länder von 1970 erreicht. Vom1. 1. 1970 an wurde danach der DESY-Haushalt gemeinsam vom Bund und vom Sitz-land Hamburg nach dem Schlüssel 90:10 finanziert, und es kehrte etwas mehr Ruheein.

    Wie von den Ländern befürchtet versuchte nun aber der Bund, aufgrund seiner Fi-nanzierungsübermacht einen stärkeren direkten Einfluss auf die Forschungszentrenzu gewinnen. Soweit diese Versuche die wissenschaftliche Handlungsfähigkeit vonDESY zu berühren drohten, stieß dies auf den Widerstand des Wissenschaftlichen Ratsvon DESY unter seinem damaligen Vorsitzenden Professor Hans Ehrenberg (Mainz).Es konnte ein Kompromiss erzielt werden, der die Belange der Wissenschaft besser

    berücksichtigte und unter anderem dem Wissenschaftlichen Rat wichtige Kompetenzenwie die Mitwirkung bei grundlegenden wissenschaftlichen Entscheidungen und dasVorschlagsrecht für die Ernennung der Mitglieder des Direktoriums zugestand. Dazugehörte auch die Stellungnahme zu dem Entwurf des jährlichen Wirtschaftsplans.

  • 8 1 Die Gründung des Forschungszentrums DESY

    Dies fand in einer Neufassung der Satzung von 1970 seinen Niederschlag. Für dasDirektorium waren fortan keine auswärtigen Mitglieder mehr vorgesehen. Ferner wur-de ein

    ’Wissenschaftlicher Ausschuss‘ eingesetzt, eine Folge der seit 1968 geführten

    Debatte zur’demokratischen Mitbestimmung‘. Der Wissenschaftliche Ausschuss be-

    steht aus den leitenden Wissenschaftlern, aus gewählten Mitgliedern aus den Reihender Wissenschaftler und Ingenieure vom DESY sowie aus gewählten Vertretern deram DESY tätigen deutschen Institute. Als vorläufiger Wissenschaftlicher Ausschussvom Direktorium Ende 1969 etabliert, wurde er nach komplizierten Diskussionen überden Wahlmodus schließlich 1972 offiziell eingeführt. Seine Aufgabe besteht in der Be-ratung des Direktoriums in Angelegenheiten von grundsätzlicher wissenschaftlicherBedeutung. Er kann zudem dem Wissenschaftlichen Rat Anregungen zur Zusammen-setzung des Direktoriums geben.

    Sehr wichtig für die Arbeit von DESY erwies sich das Prinzip der Globalsteuerung.Innerhalb der durch den Haushalt und die Bewilligungsbedingungen sowie die Vorga-ben des Wissenschaftlichen Rats gezogenen Grenzen konnten wissenschaftliche undtechnische Entscheidungen weitgehend frei getroffen werden. So war das DESY in derLage, rasch und effektiv auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Entwicklungenzu reagieren.

    Die hier vorgestellte kurze Darstellung der rechtlichen und finanziellen Entwicklun-gen, die am Ende DESY zu einem arbeitsfähigen Forschungsinstitut machten, wirdder tatsächlichen Geschichte nicht gerecht. Diese ist ausführlich von C. Habfast [1]dokumentiert. Die Etablierung von Großforschungszentren mit ihrem großen Bedarfan Investitions- und Betriebsmitteln schuf Probleme für die verfassungsmäßige Aufga-benteilung zwischen Bund und Ländern, die so nicht vorhersehbar gewesen waren. DasRingen um Geld, Macht und Einfluss führte auch bei prinzipiell gutwilligen Akteurenzu manchen, sagen wir, interessanten Schachzügen. Es war dem Verhandlungsgeschickund dem Einsatz vor allem von Persönlichkeiten wie W. Jentschke, W. Paul und W.Walcher sowie auf der Seite der Verwaltung vor allem dem Ministerialdirigenten Dr.A. Hocker zu verdanken, dass schließlich ein gutes Ergebnis zustande kam.


Recommended