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061/05 - static.nzz.chArmenhaus+der+westlichen... · Plakat, auf dem «Papa Doc» die Hand auf die...

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Ülene Äjer Leitung AUSLAND 061/05 Sonntag-, 7. Fcbrunr 1971 Nr. 6t (Fcrnnusgabe Nr. 36) Provinzparteitage in China Kx. Reihum werden jetzt in China Parteitage der Provinzen abgehalten und neue leitende Par- teiorgane, Provinzzentralkomitees und Partcisekre' täre bestimmt. Damit tritt der auf dem 9. Parteitag im April 1969 beschlossene Aufbau einer völlig neuen, muoistischen Partei in seine letzte entschei- dende Phase. Die damit verbundene «Parteirektifi- kation», die Ausschaltung der Anhänger des ge- stürzten Liu Schao-tschi und die Aufnahme «jungen Blutes», hat lange gebraucht und scheint auf Hin- dernisse gestoßen zu sein. Nach einem Leitartikel in «Rcnmin Ribao» vom 31. Januar werden gegen- wärtig in allen 29 Provinzen und selbständigen Großstädten Chinas Parteitage durchgeführt oder vorbereitet. .Sie sollen bis zum Sommer abge- schlossen sein, genauer bis zum bereits groß an- gekündigten SO'Jahr-JubHälim der Kommunisti- schen Partei Chinas am 1, Juli, Das Prozedur«; Bereits haben sieben Provinzen und eine Groß- stadt Parteitage abgehalten, nämlich Hunan (24. November bis 4. Dezember), Kiangsi (18. bis 26. Dezember), Kwunglung (18. bis 26. Dezem- ber), Kiangsu (19. bis 26. Dezember), Schanghai (4. bis 10. Januar), Liaoning (9. bis 13. Januar), Tschckiang (20. bis 28. Januar) und Anhwei (15. bis 31, Januar). Es hat wohl auch symbolische Bedeutung, daß Maos Heimatprovinz Hunan, die jetzt als eigentliche Wiege des Kommunismus in China gilt, mit der Abhaltung ihres Parteitags voranging und daß drei weitere Provinzen ihre Parteitage ausgerechnet am 26. Dezember, dem Geburtstag Maos, abgeschlossen haben. De r Ab- lauf dieser Parteitage folgte einem ähnlichen Schema, das vermutlich auf dem zweiten Plenum des Zentralkomitees im September festgelegt wurde. Nach der Auswahl der Delegierten, deren Prozedur allerdings nicht genau beschrieben wird und die angeblich in einer «breiten Diskussion von oben nach unten und von unten nach oben» stattgefunden haben soll, versammelten sich die Delegierten, meist über tausend, in der Provinz- hauptstadt. Sie hörten den Rechenschaftsbericht einer sogenannten «Kerngruppe», die bis zum Parteitag für die Parteiarbeit zuständig war. Nach «hitzigen Diskussionen» wählten sie das Zentral- komitee der Provinz, das als «Dreierverbindung von Alten, Mittclalten und Jungen» vorgestellt wird. Das Zentralkomitee ernannte dann ein Ständiges Komitee sowie die Parteisekretäre und deren Stellvertreter. Die neuen Komiteemitgliedcr mußten von der Parteiführung in Peking bestätigt werden. Militär und Parteikader Es überraschte nicht, daß die neuernannten Provinzparteisekretäre mit den Führern der In der «Kulturrevolution» eingesetzten Revolutionskomi- tecs identisch sind. Jene Männer, die in den Machtkämpfen der «Kulturrevolution» an die Spitze der Provinzen getreten waren, übernehmen jetzt also auch die Leitung ihrer Parteiorganisatio- nen. In der Mehrheit handelt es sich bei diesen neuen Sekretären um Militärführer und alte Par- teikader, die gegenwärtig in den Provinzen ge- meinsam das Heft in der Hand halten. In Nan- king, Kanton und Shenyang wurden die Kom- mandanten der mehrere Provinzen umfassenden Militärregionen, die bereits die Revolutionskomi- tees von Kiangsu, Kwangtung und Liaoning leiten, zu Ersten Sekretären der Provinzparteien ernannt. ]n Anhwei übernahm der Chef der Politischen Generalabteilung der Volksbefreiungsarmee, Li Teh-scheng, die Leitung des Provinzparteikomi- tees. Auch wenn in den meisten der bisher gebil- deten Provinzsekretariate die Armee eine Mehr- heit besitzt, kann doch nicht geradewegs behaup- tet werden, daß die Partei jetzt überall vom Militär beherrscht werde. In Hunan wurde der frühere Provinzsekretär Hua Kuo-feng zum Ersten Sekre- tär ernannt. In Schanghai haben sich die dort herr- schenden «radikalen Revolutionäre» behaupten können; unter den sieben neuen Sekretären ist nur ein Militär, der Kommandant der Garnison, zu finden. Sonst aber ist es den «Roten Garden» nicht gelungen, in den neuen Provinzorganisatio- nen Einfluß zu gewinnen. Unter den neuen Pro- vinzparteifunktionären läßt sich wenig «junges Blut» feststellen. Die einzige Ausnahme ist bisher Mao Yuan-hsin, ein Neffe des Parteivorsitzenden, der sich als «revolutionärer Rebell» in der Armee- ingenieurakademie in Harbin hervorgetan hatte und jetzt Stellvertretender Sekretär der Provinz Liaoning geworden ist. Konzentration der Macht Wichtiger als die Frage der Rolle der Armee dürfte die Tatsache einer deutlichen Konzen- tration der Macht in den Provinzen Chinas sein. Die meisten der neuen Provinzsekretäre gehören bereits dem 1969 gewählten Zentralkomitee der Gesamtpartei an. Der Erste und der Zweite Sekretär von Shanghai, Tschang Tschun- Tschiao und Yao Wen-yuan, sowie die Leiter der Provinzkomitees von Kiangsu, Hsu Shih-yu, und von Liaoning, Tschen Hsi-Iien zwei mächtige und alteingeses- sene Militärbefchlshaber , gehören auch dem Politbüro in Peking an. Die ncugebildeten Partei- sekretariate sind auch bedeutend kleiner als die Provinzapparate vor der «Kulturrevolution»; hatte zum Beispiel Kanton früher 16 Sekretäre, so sind es jetzt nur noch fünf. Es zeigt sich nun auch immer deutlicher, daß die Leitung der für die Provinzadminislration zuständigen Revolu- tionskomitees mit der Führung des Parteiapparats und zum Teil auch mit dem Kommando der Militärregionen und -bezirke in einer Hand ver- einigt worden und das frühere Nebeneinander von parallelen Hierarchien weggefallen ist. Mit dieser neuen Organisationsform erhalten die Provinzen mehr Selbständigkeit und größeres Eigengewicht, als sie vor der «Kulturrevolution» besaßen. Diese gemeinsame Führungsstruktur für Partei, Staat1 und Armee, die eine Konzentration auf der Ebene der Provinzen mit einer gewissen Dezentralisierung verbindet, hat natürlich auch mit der fortgesetzten «Vorbereitung auf einen Kriegsfall» zu tun. Maos Erwartungen Die neugeschaffenen Parteiorganisationen haben nach «Rcnmin Ribao» als wichtigste Auf- gabe, «die Tradition des Vorsitzenden Mao von Generation auf Generation zu überliefern». In den ersten Beschlüssen der Provinzkomitees wurde gleichlautend die Förderung der ideologischen Schulung herausgestrichen. Besonders die neuen führenden Funktionäre sollen sich ernsthafter dem Studium der Mao-Tsetung-Idccn widmen und sich vor Ueberhebllchkelt in acht nehmen. In Kiangsi wurde in einem besonderen Parteierlaß befohlen, die höheren Kader müßten sich zwei Monate, die mittleren Kader einen Monat und die unteren Kader zwei Wochen im Jahr zur Arbeit in Fabriken und Volkskommuncn begeben. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß der neue Parteiapparat verbürokratisiert und die neuen Funktionäre ebenso zu «roten Mandarinen» fern der Massen werden, wie es die in der «Kultur revolution» zerschlagene Parteiorganisation an geblich unter dem Einfluß von Liu gewesen war Die neuen Parteiorgane sind bestrebt, di Fäden der Kontrolle wieder in ihre Hand zi bringen. In den Reden auf den Provinzparteitagei wurde gefordert, vor allem den Einfluß der Parte in der Wirtschaft zu stärken. Eine weitere Aufgab der neuen Provinzorganisationen ist die Vorberei tung des 4. Nationalen Volkskongresses, der nocl im Laufe dieses Jahres einberufen werden soll. In der Pekinger Parteizeitung wird verlangt, daß de Wiederaufbau der Provinzparteien mit Energi fortgesetzt werden müsse, und sie gibt zu, daf auf dem weiteren Weg noch manche Schwierig keilen und Auseinandersetzungen zu erwartci seien. Ob die neuentstchendß Partei wirklieh dem Bilde Maos entspricht und ob sie tatsächlich di führende Rolle in der «Diktatur des Proletariats» nach Maos Erwartung auch gegenüber der Staats Verwaltung, der Wirtschaft, den Intellektuellen und nicht zuletzt der mächtigen Armee zu spielci vermag, wird sich erst zeigen, wenn die in erster Umrissen sich abzeichnende neue Macht- um Führungsstruktur auf allen Ebenen voll zur Wir kung gelangt. Im Armenhaus der westlichen Hemisphäre Plakat, auf dem «Papa Doc» die Hand auf die Schulter seines Sohnes Jean-Claude legt und dazu erklärt: «Dies ist der junge Führer, den ich euch in meiner Botschaft vom 2. Januar 1971 als meinen Nachfolger .' ..','...".".". . »Ti> - verkochen haj\e.» . ., . ... , , . ,. Terror und Elend in Haiti R.F.L. Port-au-Prince, im Januar De r kürzeste Weg von Mexiko zw'.hisel Hispaniola führt über Yucatan und Jamaica. Das Flugzeug ist bis auf den letzten Platz mit mexi- kanischen Feriengästen besetzt, welche die kalte Jahreszeit auf dem mexikanischen Hochplateau zu einem Abstecher nach dem heißen Merida mit seinen archäologischen Schätzen nützen, vor allem aber zu einem Ausflug an die karibische Küste Mexikos, wo in den letzten Jahren ein Ferienplatz nach dem anderen entstanden ist. Es heißt, daß dieser Landstrich mit seinen kleinen, der Küste vorgelagerten Inseln schon bald dem Modebad Acapulco den Rang ablaufen werde. In Merida hat sich unser Jet fast vollständig geleert, obwohl die Fluggesellschaft von Mexiko aus nur zweimal wöchentlich Jamaica anfliegt. Doch das Interesse der Mexikaner an den Antil- len ist gering, nicht zuletzt auch deshalb, weil diese Kette von Natur aus paradiesischer Inseln nur teilweise dem iftero-amerikanischen Zivili- sationsbereich angehört. Wenn nun der Latein- amerikaner diesen Bereich verlassen will, dann eher, um London und Paris als Kingston oder Port-au-Prince einen Besuch abzustatten, Dynamik und Schlumperei in Jamaica Zum letzten Mal war ich in Jamaicas Haupt- stadt Kingston vor einem halben Jahrzehnt, zu einem Zeitpunkt demnach, als die Verleihung der Unabhängigkeit an diese 11 000 Quadratkilo- meter große Insel durch die britische Krone noch nicht allzuweit zurücklag und immer wie- der in den politischen Debatten auftauchte. Heute (dagegen ist die Unabhängigkeit schon eine Selbst- verständlichkeit, und das Interesse der Jamaica- ndr1,' Vor allem der sich augenscheinlich verstär- kenden- Mittelschichten, gilt zuvorderst der Wirt- schaft.'^ Man ist im vergangenen halben Jahrzehnt, so glaubt, der Beobachter, auf dem Wege zu wirtschaftlicher Stabilität und relativem Wohlstand ein gutes Stück weitergekommen. Im Norden des Landes in Montcgo Bay, Ocho Rios, Port Antonio - ist der Ausbau von Touri- stikzentren in vollem Gange, und man kalkuliert in den Regierungskontoren von Kingston, mit der Zeit sogar am Touristikboom der Europäer als exotisches Reiseziel partizipieren zu können; denn Jamaica hat nicht nur ein paradiesisches Klima und bietet folglich fast das ganze Jahr hindurch alle erdenklichen sommerlichen Erho- lungsattraktionen; es hat auch ein stabiles, an britischen Traditionen ausgerichtetes Gemein- wesen. Auch der Süden Jamaicas und die Umgebung der Hauptstadt fänden im Tourismus Entwick- lungsmöglichkeiten; doch entstehen hier vor allem auf lokalen Rohstoffen basierende Indu- strien. Die wichtigsten Produktionsbranchen sind gegenwärtig Bauxitabbau und Aluminiumerzeu- gung; doch es expandiert auch die Leichtindu- strie. Dagegen scheint in der Landwirtschaft eine gewisse Stagnation eingetreten zu sein. In den Supermärkten der Hauptstadt, wo die Erzeug- nisse der jungen lokalen Industrien angeboten werden, stellt man mit Erstaunen fest, wie ver- hältnismäßig breit das einheimische Angebot ist. An ausländischen Waren dominieren keineswegs nord- oder lateinamerikanische, sondern britische üs :..lV.-j.,;\..«fe--.:.-.i...1 .a ^..ujj!».^ "T tsimmmT&?zzx&mmz>.*zrit*i Der Regierungspalast des Präsidenten auf Lebenszeit, Dr. ined. Frangois Duvalicr, genannt <tPapa Doc» Errichtung eines belgisch- deutschen Naturschutzparkes gh. Brüssel, 4. Februar Die belgische Oeffentlichkeit widmet der soeben in CcmUnd (Eifel) erfolgten Unterzeichnung zweier belgisch-deutscher Abkommen über die Errichtung eines gemeinsamen Naturschutzparkes, Hohes Venn- Eifel, von 2300 Quadratkilometern Ausdehnung be- sondere Aufmerksamkeit. Eines der beiden Abkommen regelt die Tätigkeit einer belgisch-deutschen Raiinipki- nungskommission. Das andere Abkommen befaßt sich mit der künftigen Verwaltung des Naturschutzparkes. Da der Naturschutz in der Bundesrepublik in denKom- petenzbereich der Länder gehört, wurde dieses Ab- kommen mit den Regierungen der beiden Bundes- länder, die im Belgien grenzen, mimlieh Nordrheln- Wcstfalen und Rheinland-Pfalz, abgeschlossen. Es ist das erstemal seit 1870, daß Belgien mit einem deut- schen Einzelstnat einen Vertrag abschließt. Die Bedeutung des Abkommens über die gemein- same Regionalplanung im belgisch-deutschen Grenz- gebiet wird in Brüssel besonders unterstrichen. 13er Vertrag wird nämlich die Grundlage einer neuen Verkchrsstriiktur im Gebiet zwischen Belgien, dem südlichen Rheinland und ganz SUdwestdcutschlaml bilden, Auf belgischer wie auch auf deutscher Seite wünscht man eine direkte Verbindung Antwerpens und LUttichs mit dem Rhein-Main-Gebiet über die Eitel und den Hunsrück, wodurch die überlasteten Verkehrsadern des Rhcintales abwärts von Mainz nicht mehr benötiyt würden. Der Bau einer Schnell- straße von Verviers, das an de r Autobahn Aachen Antwerpen gelegen ist, nach Malmedy und Prüm mit einer Weiterführung nach Frankfurt und Stuttgart ist vorgesehen und belgischcrscits bereits bewilligt, worden. Eine solche Verbindung würde übrigens auch den Verkehr zwischen der Schweiz und den belgischen Nordsechiifcn weitgehend begünstigen. Produkte: Jamaica ist schließlich Mitglied des Commonwealth. Die karibische Insel mit dem Linksverkehr und dem Fünfuhrtee als Institutionen, den dun- kelhäutigen Bobbies und dem dünnen Kaffee , ist freilich keineswegs problemlos. Die Kampagnen zur Familienplanung, die hier systematisch durch- geführt werden, haben zwar den Bevölkerungs- druck schon etwas vermindert (die Zuwachsrate liegt zurzeit unter 3 Prozent im Jahr für kari- bische Verhältnisse eine niedrige Quote); doch gibt es weiterhin breite Bevölkerungsschichten, die am Rande des Existenzminimums leben, denn die Arbeitslosigkeit .ist immer noch endemisch, und die Grundlöhne sind sehr niedrig. Es herrscht Not an Schulen, an Lehrpersonal, an qualifizierten Kräften für die Dienstleistungs- sektoren, unter anderem für die aufstrebende Hotelleric. In Jamaica trifft man allerdings nur selten auf Bettler, und von der Trostlosigkeit karibischer Elcndsquartiere ist in Kingston, wenn man zwi- schen Armut und Elend zu unterscheiden ver- mag, nur wenig zu verspüren. Doch wird es noch viele Jahre dauern, ehe die Obere Stadt mit ihren neuen Wohnquartieren, den Banken, Läden und Hotels der Hauptstadt das Siegel aufgedrückt laben wird. Vorerst herrscht das alte, koloniale Kingston vor mit Hafendunst, Kitschläden, vlenschengewimmel und tropischem Verfall; schlampig, anachronistisch und liebenswert. Am Flughafen von Kingston findet man nach der Abfertigung keine Auskunftspersonen mehr, und die Lautsprecher sind heiser. Um Genaueres über unseren verspäteten Anschluß nach Haiti ,u erfahren, wagen wir uns aufs Flugfeld und intlcn auch glücklich das Flugzeug, auf das wir warten. Ein Polizist, anscheinend der einzige am latze, hat uns bei der Suche uninteressiert zuge- sehen .. Wiedersehen mit Port-au-Prince Nicht so ungezwungen geht es auf dem Aeroport Frangois Duvalier» von Port- au- 'rince zu, den wir nach knapp cinstündigem "lug erreichen. Im dunkeln machen wir bewaff- nete Zivilisten aus, Gewehr im Anschlag. Im 'lughafengebäude wimmelt es von Geheim- >olizei; unter den Wartenden vor dem Paßschal- er sehen wir einige Fluggäste, die verängstigt an hren Papieren nesteln. Blicke bohren sich uns n den Nacken .. Vor fünf Jahren stand an der Stelle des klei- nen, funktionalistisch-cleganten Flughafengebäu- des eine schmutzige Wellblechbarackc. Vor fünf ahren rumpelten wir in einem uralten Taxi über Geröll der Stadt zu; jetzt scheint uns das Taxi moderner, und die Straße ist jedenfalls asphaltiert und sauber. Das sind die ersten sichtbaren Ergeb- nisse der «Revolution Duvalieriste», das heißt der lerrschaft des einstigen Landarztes Dr. Frangois Juvalier, der in den vierziger und fünfziger Jäh- en zu den hervorragendsten schwarzen Inlellek- uellen Haitis gezählt wurde, 1957 nach Schein- vahlcn als «Mann des Volkes» die Präsident- chaft übernahm und sich 1964 die Amtsperiodj auf Lebenszeit» verlängern ließ. Ein weiteres Zeugnis der Duvalicr-Acra finden wir später im legierungsviertel am Hafen: es ist das neue lauptquartier des Roten Kreuzes, ein kleines rehitektonisches Schmuckstück. Schließlich gibt s noch einen Neubau im Stadtzentrum, in dem ie Steuerbehörde untergebracht wurde. Ansonst hat sich im halben Jahrzehnt seit em letzten Besuch in der Hauptstadt nach ußen hin nichts geändert. Ein Gang durch die traßen wird genauso wie seinerzeit zum pießrutenlauf zwischen aufdringlichen Bettlern, bgerissenen Polizeispitzeln und Gaffern, die nach ausgiebiger Beäugung der ungewohnten Hcichgcsichter uns Schimpfwortc nachrufen, vlan blickt in der Straße am besten zu Boden, chon um den dahinplätschernden Abwässern aus- veichera und die offenen Kanalisationsschächtu
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Ülene Äjer Leitung AUSLAND061/05

Sonntag-, 7. Fcbrunr 1971 Nr. 6t (Fcrnnusgabe Nr. 36)

Provinzparteitage in ChinaKx. Reihum werden jetzt in China Parteitage

der Provinzen abgehalten und neue leitende Par-teiorgane, Provinzzentralkomitees und Partcisekre'täre bestimmt. Damit tritt der auf dem 9. Parteitag

im April 1969 beschlossene Aufbau einer völlig

neuen, muoistischen Partei in seine letzte entschei-dende Phase. Die damit verbundene «Parteirektifi-kation», die Ausschaltung der Anhänger des ge-

stürzten Liu Schao-tschi und die Aufnahme «jungen

Blutes», hat lange gebraucht und scheint auf Hin-dernisse gestoßen zu sein. Nach einem Leitartikelin «Rcnmin Ribao» vom 31. Januar werden gegen-wärtig in allen 29 Provinzen und selbständigen

Großstädten Chinas Parteitage durchgeführt odervorbereitet. .Sie sollen bis zum Sommer abge-

schlossen sein, genauer bis zum bereits groß an-gekündigten SO'Jahr-JubHälim der Kommunisti-schen Partei Chinas am 1, Juli,

Das Prozedur«;

Bereits haben sieben Provinzen und eine Groß-stadt Parteitage abgehalten, nämlich Hunan(24. November bis 4. Dezember), Kiangsi (18. bis26. Dezember), Kwunglung (18. bis 26. Dezem-ber), Kiangsu (19. bis 26. Dezember), Schanghai(4. bis 10. Januar), Liaoning (9. bis 13. Januar),Tschckiang (20. bis 28. Januar) und Anhwei(15. bis 31, Januar). Es hat wohl auch symbolischeBedeutung, daß Maos Heimatprovinz Hunan, diejetzt als eigentliche Wiege des Kommunismus inChina gilt, mit der Abhaltung ihres Parteitagsvoranging und daß drei weitere Provinzen ihreParteitage ausgerechnet am 26. Dezember, demGeburtstag Maos, abgeschlossen haben. D er Ab-lauf dieser Parteitage folgte einem ähnlichenSchema, das vermutlich auf dem zweiten Plenumdes Zentralkomitees im September festgelegt

wurde. Nach der Auswahl der Delegierten, derenProzedur allerdings nicht genau beschrieben wirdund die angeblich in einer «breiten Diskussionvon oben nach unten und von unten nach oben»stattgefunden haben soll, versammelten sich dieDelegierten, meist über tausend, in der Provinz-hauptstadt. Sie hörten den Rechenschaftsberichteiner sogenannten «Kerngruppe», die bis zumParteitag für die Parteiarbeit zuständig war. Nach«hitzigen Diskussionen» wählten sie das Zentral-komitee der Provinz, das als «Dreierverbindung

von Alten, Mittclalten und Jungen» vorgestellt

wird. Das Zentralkomitee ernannte dann einStändiges Komitee sowie die Parteisekretäre undderen Stellvertreter. Die neuen Komiteemitgliedcrmußten von der Parteiführung in Peking bestätigt

werden.Militär und Parteikader

Es überraschte nicht, daß die neuernanntenProvinzparteisekretäre mit den Führern der In der«Kulturrevolution» eingesetzten Revolutionskomi-tecs identisch sind. Jene Männer, die in denMachtkämpfen der «Kulturrevolution» an dieSpitze der Provinzen getreten waren, übernehmenjetzt also auch die Leitung ihrer Parteiorganisatio-nen. In der Mehrheit handelt es sich bei diesenneuen Sekretären um Militärführer und alte Par-teikader, die gegenwärtig in den Provinzen ge-

meinsam das Heft in der Hand halten. In Nan-king, Kanton und Shenyang wurden die Kom-mandanten der mehrere Provinzen umfassendenMilitärregionen, die bereits die Revolutionskomi-tees von Kiangsu, Kwangtung und Liaoning leiten,zu Ersten Sekretären der Provinzparteien ernannt.]n Anhwei übernahm der Chef der PolitischenGeneralabteilung der Volksbefreiungsarmee, LiTeh-scheng, die Leitung des Provinzparteikomi-tees. Auch wenn in den meisten der bisher gebil-

deten Provinzsekretariate die Armee eine Mehr-heit besitzt, kann doch nicht geradewegs behaup-tet werden, daß die Partei jetzt überall vom Militärbeherrscht werde. In Hunan wurde der frühereProvinzsekretär Hua Kuo-feng zum Ersten Sekre-tär ernannt. In Schanghai haben sich die dort herr-schenden «radikalen Revolutionäre» behauptenkönnen; unter den sieben neuen Sekretären ist nurein Militär, der Kommandant der Garnison, zufinden. Sonst aber ist es den «Roten Garden»nicht gelungen, in den neuen Provinzorganisatio-

nen Einfluß zu gewinnen. Unter den neuen Pro-vinzparteifunktionären läßt sich wenig «junges

Blut» feststellen. Die einzige Ausnahme ist bisherMao Yuan-hsin, ein Neffe des Parteivorsitzenden,der sich als «revolutionärer Rebell» in der Armee-ingenieurakademie in Harbin hervorgetan hatteund jetzt Stellvertretender Sekretär der ProvinzLiaoning geworden ist.

Konzentration der MachtWichtiger als die Frage der Rolle der Armee

dürfte die Tatsache einer deutlichen Konzen-tration der Macht in den Provinzen Chinas sein.Die meisten der neuen Provinzsekretäre gehören

bereits dem 1969 gewählten Zentralkomitee derGesamtpartei an. Der Erste und der Zweite Sekretärvon Shanghai, Tschang T s c h u n -T s c h i a o und YaoWen-yuan, sowie die Leiter der Provinzkomiteesvon Kiangsu, Hsu Shih-yu, und von Liaoning,

Tschen Hsi-Iien zwei mächtige und alteingeses-

sene Militärbefchlshaber ,gehören auch dem

Politbüro in Peking an. Die ncugebildeten Partei-sekretariate sind auch bedeutend kleiner als dieProvinzapparate vor der «Kulturrevolution»;hatte zum Beispiel Kanton früher 16 Sekretäre,

so sind es jetzt nur noch fünf. Es zeigt sich nunauch immer deutlicher, daß die Leitung der fürdie Provinzadminislration zuständigen Revolu-tionskomitees mit der Führung des Parteiapparats

und zum Teil auch mit dem Kommando derMilitärregionen und -bezirke in einer Hand ver-einigt worden und das frühere Nebeneinander vonparallelen Hierarchien weggefallen ist. Mit dieserneuen Organisationsform erhalten die Provinzenmehr Selbständigkeit und größeres Eigengewicht,

als sie vor der «Kulturrevolution» besaßen. Diesegemeinsame Führungsstruktur für Partei, Staat1

und Armee, die eine Konzentration auf der Ebeneder Provinzen mit einer gewissen Dezentralisierungverbindet, hat natürlich auch mit der fortgesetzten«Vorbereitung auf einen Kriegsfall» zu tun.

Maos Erwartungen

Die neugeschaffenen Parteiorganisationen

haben nach «Rcnmin Ribao» als wichtigste Auf-gabe, «die Tradition des Vorsitzenden Mao vonGeneration auf Generation zu überliefern». In denersten Beschlüssen der Provinzkomitees wurdegleichlautend die Förderung der ideologischenSchulung herausgestrichen. Besonders die neuenführenden Funktionäre sollen sich ernsthafter demStudium der Mao-Tsetung-Idccn widmen undsich vor Ueberhebllchkelt in acht nehmen. InKiangsi wurde in einem besonderen Parteierlaßbefohlen, die höheren Kader müßten sich zweiMonate, die mittleren Kader einen Monat unddie unteren Kader zwei Wochen im Jahr zurArbeit in Fabriken und Volkskommuncn begeben.

Auf diese Weise soll verhindert werden, daß derneue Parteiapparat verbürokratisiert und die neuenFunktionäre ebenso zu «roten Mandarinen» fern

der Massen werden, wie es die in der «Kulturrevolution» zerschlagene Parteiorganisation angeblich unter dem Einfluß von Liu gewesen war

Die neuen Parteiorgane sind bestrebt, diFäden der Kontrolle wieder in ihre Hand zibringen. In den Reden auf den Provinzparteitageiwurde gefordert, vor allem den Einfluß der Partein der Wirtschaft zu stärken. Eine weitere Aufgabder neuen Provinzorganisationen ist die Vorbereitung des 4. Nationalen Volkskongresses, der noclim Laufe dieses Jahres einberufen werden soll. Inder Pekinger Parteizeitung wird verlangt, daß deWiederaufbau der Provinzparteien mit Energifortgesetzt werden müsse, und sie gibt zu, dafauf dem weiteren Weg noch manche Schwierig

keilen und Auseinandersetzungen zu erwartciseien. Ob die neuentstchendß Partei wirklieh demBilde Maos entspricht und ob sie tatsächlich diführende Rolle in der «Diktatur des Proletariats»nach Maos Erwartung auch gegenüber der StaatsVerwaltung, der Wirtschaft, den Intellektuellenund nicht zuletzt der mächtigen Armee zu spielcivermag, wird sich erst zeigen, wenn die in ersterUmrissen sich abzeichnende neue Macht- umFührungsstruktur auf allen Ebenen voll zur Wirkung gelangt.

Im Armenhaus der westlichen Hemisphäre

Plakat, auf dem «Papa Doc» die Hand auf die Schulter seines Sohnes Jean-Claude legt und dazu erklärt:

«Dies ist der junge Führer, den ich euch in meiner Botschaft vom 2. Januar 1971 als meinen Nachfolger

.' ..','...".".".. »Ti> - verkochen haj\e.»

. ., . ... , , .,.

Terror und Elend in HaitiR.F.L. Port-au-Prince, im Januar

D er kürzeste Weg von Mexiko zw'.hiselHispaniola führt über Yucatan und Jamaica. DasFlugzeug ist bis auf den letzten Platz mit mexi-kanischen Feriengästen besetzt, welche die kalteJahreszeit auf dem mexikanischen Hochplateau

zu einem Abstecher nach dem heißen Meridamit seinen archäologischen Schätzen nützen, vorallem aber zu einem Ausflug an die karibischeKüste Mexikos, wo in den letzten Jahren einFerienplatz nach dem anderen entstanden ist. Esheißt, daß dieser Landstrich mit seinen kleinen,

der Küste vorgelagerten Inseln schon bald demModebad Acapulco den Rang ablaufen werde.

In Merida hat sich unser Jet fast vollständiggeleert, obwohl die Fluggesellschaft von Mexikoaus nur zweimal wöchentlich Jamaica anfliegt.

Doch das Interesse der Mexikaner an den Antil-len ist gering, nicht zuletzt auch deshalb, weildiese Kette von Natur aus paradiesischer Inselnnur teilweise dem iftero-amerikanischen Zivili-sationsbereich angehört. Wenn nun der Latein-amerikaner diesen Bereich verlassen will, danneher, um London und Paris als Kingston oderPort-au-Prince einen Besuch abzustatten,

Dynamik und Schlumperei in JamaicaZum letzten Mal war ich in Jamaicas Haupt-

stadt Kingston vor einem halben Jahrzehnt, zueinem Zeitpunkt demnach, als die Verleihung derUnabhängigkeit an diese 11 000 Quadratkilo-meter große Insel durch die britische Kronenoch nicht allzuweit zurücklag und immer wie-der in den politischen Debatten auftauchte. Heute

(dagegen ist die Unabhängigkeit schon eine Selbst-verständlichkeit, und das Interesse der Jamaica-ndr1,' Vor allem der sich augenscheinlich verstär-kenden- Mittelschichten, gilt zuvorderst der Wirt-schaft.'^

Man ist im vergangenen halben Jahrzehnt,

so glaubt, der Beobachter, auf dem Wege zuwirtschaftlicher Stabilität und relativemWohlstand ein gutes Stück weitergekommen. ImNorden des Landes in Montcgo Bay, OchoRios, Port Antonio - ist der Ausbau von Touri-stikzentren in vollem Gange, und man kalkuliertin den Regierungskontoren von Kingston, mitder Zeit sogar am Touristikboom der Europäer

als exotisches Reiseziel partizipieren zu können;denn Jamaica hat nicht nur ein paradiesisches

Klima und bietet folglich fast das ganze Jahrhindurch alle erdenklichen sommerlichen Erho-lungsattraktionen; es hat auch ein stabiles, anbritischen Traditionen ausgerichtetes Gemein-wesen.

Auch der Süden Jamaicas und die Umgebung

der Hauptstadt fänden im Tourismus Entwick-lungsmöglichkeiten; doch entstehen hier vorallem auf lokalen Rohstoffen basierende Indu-strien. Die wichtigsten Produktionsbranchen sindgegenwärtig Bauxitabbau und Aluminiumerzeu-gung; doch es expandiert auch die Leichtindu-strie. Dagegen scheint in der Landwirtschaft einegewisse Stagnation eingetreten zu sein. In denSupermärkten der Hauptstadt, wo die Erzeug-

nisse der jungen lokalen Industrien angeboten

werden, stellt man mit Erstaunen fest, wie ver-hältnismäßig breit das einheimische Angebot ist.An ausländischen Waren dominieren keineswegs

nord- oder lateinamerikanische, sondern britische

üs:..lV.-j.,;\..«fe--.:.-.i...1 .a ^..ujj!».^ "T tsimmmT&?zzx&mmz>.*zrit*i

Der Regierungspalast des Präsidenten auf Lebenszeit, Dr. ined. Frangois Duvalicr, genannt <tPapa Doc»

Errichtung eines belgisch-

deutschen Naturschutzparkesgh. Brüssel, 4. Februar

Die belgische Oeffentlichkeit widmet der soebenin CcmUnd (Eifel) erfolgten Unterzeichnung zweierbelgisch-deutscher Abkommen über die Errichtung

eines gemeinsamen Naturschutzparkes, Hohes Venn-Eifel, von 2300 Quadratkilometern Ausdehnung be-sondere Aufmerksamkeit. Eines der beiden Abkommenregelt die Tätigkeit einer belgisch-deutschen Raiinipki-nungskommission. Das andere Abkommen befaßt sichmit der künftigen Verwaltung des Naturschutzparkes.

Da der Naturschutz in der Bundesrepublik in denKom-petenzbereich der Länder gehört, wurde dieses Ab-kommen mit den Regierungen der beiden Bundes-länder, die im Belgien grenzen, mimlieh Nordrheln-Wcstfalen und Rheinland-Pfalz, abgeschlossen. Es istdas erstemal seit 1870, daß Belgien mit einem deut-schen Einzelstnat einen Vertrag abschließt.

Die Bedeutung des Abkommens über die gemein-

same Regionalplanung im belgisch-deutschen Grenz-gebiet wird in Brüssel besonders unterstrichen. 13erVertrag wird nämlich die Grundlage einer neuenVerkchrsstriiktur im Gebiet zwischen Belgien, demsüdlichen Rheinland und ganz SUdwestdcutschlamlbilden, Auf belgischer wie auch auf deutscher Seite

wünscht man eine direkte Verbindung Antwerpens

und LUttichs mit dem Rhein-Main-Gebiet über dieEitel und den Hunsrück, wodurch die überlastetenVerkehrsadern des Rhcintales abwärts von Mainznicht mehr benötiyt würden. Der Bau einer Schnell-

straße von Verviers, das an d er Autobahn AachenAntwerpen gelegen ist, nach Malmedy und Prüm miteiner Weiterführung nach Frankfurt und Stuttgart

ist vorgesehen und belgischcrscits bereits bewilligt,

worden. Eine solche Verbindung würde übrigens auch

den Verkehr zwischen der Schweiz und den belgischen

Nordsechiifcn weitgehend begünstigen.

Produkte: Jamaica ist schließlich Mitglied des

Commonwealth.Die karibische Insel mit dem Linksverkehr

und dem Fünfuhrtee als Institutionen, den dun-kelhäutigen Bobbies und dem dünnen Kaffee, istfreilich keineswegs problemlos. Die Kampagnen

zur Familienplanung, die hier systematisch durch-geführt werden, haben zwar den Bevölkerungs-

druck schon etwas vermindert (die Zuwachsrateliegt zurzeit unter 3 Prozent im Jahr für kari-bische Verhältnisse eine niedrige Quote); dochgibt es weiterhin breite Bevölkerungsschichten,

die am Rande des Existenzminimums leben, denndie Arbeitslosigkeit .ist immer noch endemisch,

und die Grundlöhne sind sehr niedrig. Esherrscht Not an Schulen, an Lehrpersonal, anqualifizierten Kräften für die Dienstleistungs-sektoren, unter anderem für die aufstrebendeHotelleric.

In Jamaica trifft man allerdings nur selten aufBettler, und von der Trostlosigkeit karibischerElcndsquartiere ist in Kingston, wenn man zwi-schen Armut und Elend zu unterscheiden ver-mag, nur wenig zu verspüren. Doch wird es nochviele Jahre dauern, ehe die Obere Stadt mit ihrenneuen Wohnquartieren, den Banken, Läden undHotels der Hauptstadt das Siegel aufgedrückt

laben wird. Vorerst herrscht das alte, kolonialeKingston vor mit Hafendunst, Kitschläden,vlenschengewimmel und tropischem Verfall;schlampig, anachronistisch und liebenswert.Am Flughafen von Kingston findet man nachder Abfertigung keine Auskunftspersonen mehr,

und die Lautsprecher sind heiser. Um Genaueresüber unseren verspäteten Anschluß nach Haiti,u erfahren, wagen wir uns aufs Flugfeld undintlcn auch glücklich das Flugzeug, auf das wir

warten. Ein Polizist, anscheinend der einzige amlatze, hat uns bei der Suche uninteressiert zuge-

sehen . .

Wiedersehen mit Port-au-Prince

Nicht so ungezwungen geht es auf demAeroport Frangois Duvalier» von P o r t -a u -'rince zu, den wir nach knapp cinstündigem"lug erreichen. Im dunkeln machen wir bewaff-

nete Zivilisten aus, Gewehr im Anschlag. Im'lughafengebäude wimmelt es von Geheim->olizei; unter den Wartenden vor dem Paßschal-er sehen wir einige Fluggäste, die verängstigt anhren Papieren nesteln. Blicke bohren sich unsn den Nacken . .

Vor fünf Jahren stand an der Stelle des klei-nen, funktionalistisch-cleganten Flughafengebäu-

des eine schmutzige Wellblechbarackc. Vor fünfahren rumpelten wir in einem uralten Taxi über

Geröll der Stadt zu; jetzt scheint uns das Taximoderner, und die Straße ist jedenfalls asphaltiert

und sauber. Das sind die ersten sichtbaren Ergeb-

nisse der «Revolution Duvalieriste», das heißt derlerrschaft des einstigen Landarztes Dr. Frangois

Juvalier, der in den vierziger und fünfziger Jäh-en zu den hervorragendsten schwarzen Inlellek-uellen Haitis gezählt wurde, 1957 nach Schein-vahlcn als «Mann des Volkes» die Präsident-chaft übernahm und sich 1964 die Amtsperiodj

auf Lebenszeit» verlängern ließ. Ein weiteresZeugnis der Duvalicr-Acra finden wir später imlegierungsviertel am Hafen: es ist das neuelauptquartier des Roten Kreuzes, ein kleinesrehitektonisches Schmuckstück. Schließlich gibt

s noch einen Neubau im Stadtzentrum, in demie Steuerbehörde untergebracht wurde.

Ansonst hat sich im halben Jahrzehnt seitem letzten Besuch in der Hauptstadt nachußen hin nichts geändert. Ein Gang durch dietraßen wird genauso wie seinerzeit zumpießrutenlauf zwischen aufdringlichen Bettlern,bgerissenen Polizeispitzeln und Gaffern, die

nach ausgiebiger Beäugung der ungewohntenHcichgcsichter uns Schimpfwortc nachrufen,vlan blickt in der Straße am besten zu Boden,chon um den dahinplätschernden Abwässern aus-veichera und die offenen Kanalisationsschächtu

Armenhaus
westlichen
Hemisphäre
Haiti
Haiti

066 Süimtng, 7. Februnr 1971 Nr. 61 (Foroaiisgabe Nr, 36) AUSLAND Steile Äf|cr,3ritimj)

rechtzeitig überspringen zu können, oder flüchtetvor dem haitischen Alltag in die zwei, dreiKunstgalerien. Dort knnn man immer noch herr-liche Objekte primitiver Kunst erstehen oderKuhgegenstttnda des synkretistlschen Vocloti, umdessen Wiedergeburt wie um die Ndgrttfide sichDuvalier jahrzehntelang verdient gemucht hat,Seine dumulige Tribüne war das Intellcktucllcn-blatt «Lcs Griotx», das es heute noch gibtallerdings zu einem inhaltlosen Offizialismus-Blättchcn herabgesunken.

Haitische Gcsslerhütt;

Wir hüben im Außenministerium vorgespro-chen, und Außenminister Rene Clialmers, einerder wenigen Ucberlcbendcn aus Duvaliers alterGarde, hat uns mit einigen unverbindlichen Lie-benswürdigkeiten abgespeist. Auch wenn man zuden Regierenden gehört, so scheint es, hält mansich in Haiti von ausländischen Journalisten lern;denn «Papa Doc» sammelt über alle und jedenMaterial, und er schlägt überraschend zu.

So bleibt der Beobachter sich selber über-lassen und gibt sich touristischen Eindrücken hin.Er wird Zeuge der Auspeitschung eines kleinenMädchens auf offener Straße durch die «Policelouristique» es halte das Verbrechen began-gen, den Berichterstatter flüsternd um eine Münzezu bitten. Er beobachtet die Wachablösung vonGeheimpolizisten vor seinem Hotelzimmer. Als erin einem Park des Reiterstandbild des haitischenFreiheitshelden und ersten Kaisers Jean-Jacques Dessalines betrachten will, wird er vonPolizisten verjagt: der Eintritt in den Park istuntersagt; denn er liegt anscheinend Duvaliers''Residenz zu nahe. Verboten ist es auch, dasTrottoir vor dem Präsidentenpalais zu betreten,verboten ist es zudem, bei dem Palais, vor dessenEingang vier Panzerwagen ,und zwei Fliegcrab-wehrgeschülzc postiert sind, stehenzubleiben.Verboten ist es, an der Kaserne im Stadtzentrunivorbeizugehen. Brüllende Soldaten scheuchen denBerichterstatter vom Eingang eines «Musee ethno-logiquc» fort, ehe er noch die hinter der Ein-fahrt abgeprotzten Geschütze richtig ausmachenkann. Auf den Nummernschildern aller Autosprangt nichtsdestoweniger der auf Touristen ge-münzte Slogan: «Haiti Perle des AntiUes» . .

Einsetzung eines Kronprinzendurch «Papa Doc»

In blutigen Süuberungcn hat «Papa Doc», derin den letzten Jahren seine Residenz kaum nochverlassen hat, die tatsächlichen oder potentiellenFeinde der «Revolution Ditvalieriste» dezimiert.Den unzähligen gegen ihn angezettelten Attenta-ten ist er, dem Wunderkräfte nachgesagt werdenund der sich auch nur «magisch», das heißtschwarz, kleidet, entgangen; mehr als ein Dut-zend Revolten und Invasionsversuche hat er zer-schlagen, zuletzt einen Guerilla-Kern der wenigen

hauptsächlich im Exil anzutreffenden , hai-tischen Kommunisten. Die Armee ist zu-mindest vorderhand entmachtet; ihr in Mexikound den Vereinigten Staaten ausgebildeter Stabs-chef, Oberst Claude Raymond, ein VerwandterDuvaliers, war noch vor kurzem als «Kronprä-tendent» des kranken, 64jährigen «Papa Doc» ge-nannt worden. Doch schließlich entschied sich der«President ä vic» für den Legitimismus und da-mit für seinen eigenen Sohn Jean-Claude, einenzwanzigjährigen Playboy lokalen Formats. Tneiner Neujahrsansprache gab Duvalier der sichangeblich 1964 halte zum Kaiser ausrufen lassenwollen das Signal zur Dynastisierung der«Revolution Ditvalieriste», die von einem will-fährigen, von «Papa Doc» selber ernannten «Par-lament» inzwischen schon Gesetzeskraft erhaltenhat.

Seitdem der Herrscher im letzten Novembereinen Gehirnschlag erlitten hat, spricht mancher-lei dafür, daß er bald das Zeitliche segnen wird.Jean-Claude Duvalier, der sich bisher die Zeitals Sportwagenfahrer auf Haitis ungepflastertcnStraßen vertrieb, wird freilich nach menschlichemErmessen keine lange Zukunft im Palais Nationalvon Port-au-Princc beschieden sein. Bestenfallswird er bis zu seinem Sturz zum Spielball derhaitischen Streitkräfte, das heißt Raymonds

falls dieser nicht etwa selber vorher noch un-ter die Räder geraten sollte.

Diadochenkämpfc in Sicht?Doch Raymond steht seinerseits unter Kon-

trolle und Druck: Die verhältnismäßig gut be-waffnete Präsidentengarde ist ihm zwar formalunterstellt; doch sie führt unter der Leitung be-dingungsloser Untergebener Duvaliers gleichwohlein Eigenleben. Der Polizeichef von Port-au-Prince, Franck Romain, einer der gefürchtetstenTerroristen, dürfte sich nach «Papa Docs» Hin-schied wahrscheinlich gleichfalls zum höchstenStaatsamt berufen fühlen. Seine 2000 Bewaffne-ten verfügen nicht nur über Waffen, sondern imGegensatz zum Gros der Armee, der Duvaliernicht traut - auch über Munition. Schließlichkönnte in der Thronfolgerrechnung noch LucDesir den Wirt spielen, der zwar als kaum richtigalphabetisierter Schläger offenbar keinen präsi-

dcnticllcn Aspirationen anhängt, doch mit denvon ihm kommandierten Scharen der gefürchteten

Tontons Macoutcs, einer Mischung von Strauch-dieben, Wegelagerern und Geheimpolizei, bei in-neren Auseinandersetzungen das letzte Wort ha-ben könnte.

Gefallen sind dagegen die Chancen des heu-tigen haitischen Botschafters in Paris, Oberst-leutnant Max Dominique, des SchwiegersohnsDuvaliers, der sich 1967 in eine Palastrevolte ver-wickelt sah, die vielen Offizieren das Leben ko-stete. Duvaliers Tochter möchte ihm die Präsi-dentschaft zuschanzen; doch nach den Massen-crschicßungen im Fort Dimanche, mit denen Du-valier die Episode von 1967 abschloß, gibt es

unter den Militärs und den Politikern in Port-au-Princc keinen «Dominique-Klan» mehr und«Papa Doc» hat schließlich auch schon sein

Brief aus StockholmA, O. Stockholm, Ende Januar

Wo ist der Schnee vom verpumgeiimi Julu-VAn die Schulstunden, '

In welchen man hättelernen sollen, daß Schwedens Ostseeklima im Winterzwar strenge Kulte, aber wenig Niederschlag bringe,erinnert sich der schlechte Gcogruphicschüler eistim Land« selbst. Die Versicherung der Einheimi-schen, daß eine über 50 Zentimeter dicke Schnee-decke in Mittclschweden eher selten sei, will zu denalpinen Vorstellungen von einem harten Winter

Vorstellungen, die man in Mitteleuropa aufSkandinavien gewöhnlich unbesehen übertrügt -durchaus nicht pussen. Der letzte Monat, ohneSchnee und mehrheitlich mit Temperaturen knappüber null Grad, galt aber selbst für die Stock-holmer als kleine Sensation, ßüsc Zungen (Auslän-der, natürlich) behaupten, die Schweden verfügtenüber ein freundliches Sommer- und ein abweisendesWinlergesieht; und der Winter währt bekanntlichlänger in diesen Breitengraden. Das ständig naß-kalte Wetter und die Dunkelheit ließen freilich diemeisten dieser Spötter den mürrischen Ausspruchtun, die Kulte wäre ihnen letztlich doch lieber.

Neben dem allgemeinen Mißmut gibt es einige,

die sozusagen professionell griesgrämig sind: diePelzliätidler beispielsweise und die Skifabrikanten,deren Verluste in die Millionen gehen. Von demin Schweden so populären Laiifilau/ ist diesmalbuchstäblich keine Spur. Manchmal, wenn die Kältefür einige Tnge zunimmt, bevölkern Schlittschuh-fahrer die zugefrorenen Seen zwischen den weitausgedehnten Stockholmer Parkanlagen, doch so-bald die Temperatur erneut steigt, wird dieses Ver-gnügen zu gefährlich. Die Stockholmer Stadtver-waltung hat vom bisherigen Verlauf dieses Wintersallerdings eine von der allgemeinen völlig abweichendeAuffassung: sie teilte schon Mitte Januar mit, daßsie im Vergleich mit dem vergangenen Jahr fürSchneeräumungsarbeiten rund fünf Millionen Kronenweniger ausgegeben habe. Und sollte eins Meer vordem Stockholmer Freihafen bis Mitte Februar nichtzufrieren, so könnte der dort Hegende Eisbrecherweiterhin unbeansprucht bleiben, was d er Stadt anErsparnissen eine weitere Million einbrächte.

Cussius CIny gegen den Reichstag

Schwedens empörte «Sportfreunde» beschäftigen

sich zurzeit mit d er Abfassung von Leserbriefen.Ursache ist die Weigerung der beiden Television-kanälc, den bevorstehenden Boxkampf um die Welt-meisterschaft im Schwergewicht zwischen CassiusClayund Joe Frazier zu übertragen. Das Fern-sehen begründete den Entscheid damit, daß Boxenzu d er unerwünschten Sorte Von «Unterhaltitngs-gewali» gehöre, weswegen man auf , die Sendung

verzichten wolle. Es gibt freilich ein stärkeres Argu-ment, nämlich daß der schwedische Reic(hs(ag vornicfit allzu langer Zeit dqs Berufsboxer! in Schwedenverboten hat. . , , .,

Die geharnischten Reaktionen jener Fernseh-zuschauer, welche in ihrem Lchnstuhl zu nächtlicherStunde die aus Madison Square Garden mitralkrtechnischen Akribie übermittelten Haken und C7cr;|tfen

nicht missen wollen, halten dem gegenüber, derReichstag habe zwar das Berufsboxen verboten, .nichtaber die Ucbertragung im Fernsehen und die Re-ferate darüber im Radio. Und was das schöne Wort«Unterhaltungsgewalt» betreffe, so sei sein Gebrauchdurch die Fernsehdirektion ein Hohn angesichts derKriminal- und Wildwestfilme, welche die Televisiontäglich ausstrahle. In jenen Streifen wimmle es vonBrutalitäten, während bei einem Boxkampf Hand-schuhe, Regeln und ein Richter vorhanden seienund das Ziel immerhin nicht darin bestehe, denGegner umzubringen. Es gibt aber in dieser Dis-kussion einen Punkt, d er in seiner allgemeinen Pro-blematik über den fraglichen und vielleicht frag-würdigen Ringkampf hinausweist: Wieweit nämlichdie Monopolinstitution Fernsehen den Wunsch einesoffenbar doch beträchtlichen Teils ihrer Konzessio-näre ignorieren kann und darf. Viele erklären näm-lich in ihren Schreiben, sie protestierten gegen dieseArt von Zensur, mit welcher die Leiter des Fern-sehens sich zu Sittenwächtcrn des ganzen Volkesaufspielten. Man weist im übrigen auf Dänemarkhin, dessen Television die Begegnung übernimmt,und beneidet, wie so oft, die Bewohner des süd-lichen Landesteils Schonen, welche die Sendungen

des dänischen Fernsehens empfangen können.

Monopolkapitalist Donald DuckDie Propaganda politischer Extremisten erscheint

immer dann am wenigsten gefährlich, wenn sie inihrem wesensmäßig tierischen Ernst sich selber ad

absürdum führt und lächerlich wird. Das Museumfür moderne Kunst in Stockholm zeigt hiefür gegenwältig ein Praehtbeispiel: Ausgestellt wird das Er-gebnis einer Untersuchung, die über den gesellschafts-politischen Hinteigrund der «Comic Strips» durch-geführt worden sein soll. Da, wie es heißt, dieseSerienzeichnungen mehrheitlich aus den VereinigtenStädten, stammten, steht es für die Veranstalter fest,

daß sie die Ansicht der «herrschenden Klasse» inilei) USA spiegeln', Mit einem gewissen Recht kriti-siert, man jene BllÜ^eschichte'n, in denen der ameri-kanische «Supemian» nach bewährtem Muster, mitFaust und Feuerwaffe die als phantastische Fiktionerdachten und doch so simplifizierten Weltkonl'liklelöst, Stories, deren einfältige J:mies-Bond-McnUililätdie Rolle des heimtückischen Feindes automatischdem schlitzäugigen Asiaten zuschiebt.

Allein, das wollte den auf ideologische Beleh-rung erpichten Ausstellern , nicht genügen. Und soverfielen sie auf die überaus glänzende Idee, WaltDisneys Tiergeschichten nach Motiven zu durchforschen, welche das Unwesen des «amerikanischenMonopolkapitals» entlarven könnten. Herhalten mußnun der unselige Donald Duck, der vornehmlichin jenen Szenen vorgefühlt wird, in denen er Schät-zen oder Banknoten nachjagt. Donald Duck, besitzteine Fabrik er ist ein Ausbeuter; Donald Duckrät seinen Jungen, zu arbeiten und Geld zu ver-dienen - er ist ein autoritärer Unterdrücker; DonaldDuck unternimmt eine Reise in Afrika und trifftdabei nuf Kannibalen - er ist ein Imperialist, einKolonialist und ein Rassist dazu. Die brave Entemuß tüchtig Federn lassen, was ihrer weiteren Kar-riere aber Vermutlich nicht schaden wird. Um dasan Verhältnisblödsinn grenzende Maß voll zu machen,konfrontiert die Ausstellung Donald Ducks Ausflüge

nach Afrika mit Photogrnphien aus südafrikanischenGefängnissen, seine Abenteuer in Südamerika mitdem Bild des sterbenden Chc Guevara . .

Gesittete Agitation

Im Sommer wie im Winter wiederholt sich je-

weils am Samstag in den Einkaufszentren Stock-holms das gleiche Bild: Vor den Läden stehen ver-einzelt Jugendliche mit Plakaten und Transparenten,

mit denen sie die geschäftig dahineilenden Haus-frauen zur Solidarität mit dem Victcong, zur Ver-urteilung des Rassismus aufrufen oder ihnen nahe-legen, den «US-Imperialismus» zu bekämpfen. Zei-tungen mit dem entsprechenden Inhalt werden zumKauf angeboten, Flugblätter verteilt, und hier unddort schüttelt der eine oder andere gebieterisch eineSparbUchse und verlangt eine Gabe zur finanziellenUnterstützung irgendeiner Guerillaqrganisation, VonAufmerksamkeit unter den Passanten kann kaumgesprochen werden; fast niemand bleibt bei denPlakatträgcrn stehen, äußerst selten nur rückt jemandmjt ejner Münze heraus.. Durch einen eigenen Ar-beitseinsatz am freien Samstag etwa wäre denjungen

; Revolutionären gewiß ein reicherer Erfolgbeschieden. Aber sie stehen nun einmal lieber frie-rend herum/ wohl um die Bürger direkt zu beein-flussen, klappern mit ihren Büchsen und verziehensich erst gegen zwei Uhr nachmittags, wenn dieGeschäfte schließen und das Einkaufszentrum sichentvölkert.

Stockholms «Ilyde Park Corner» befindet sichbeim Konzerthaus, am Fuße der mächtigen Hoch-hausblöcke von Hiiiorgct in der Stadtmitte. ImGegensatz zum Londoner Treffpunkt aller Amateur-rhetoriker erklettert hier aber niemand eine leereBananenkiste oder ein Bierfaß, um von oben herabseine Ansichten zu verkünden,' Beim Hötorget ver-sammelt man sich in kleinen Gruppen um die hoch-gehaltenen Transparente und diskutiert leidenschafts-los deren Parolen. Hier gibt eS nuch Jugendliche,die mit d er Tafel «Stoppt die Linksextremisten!»herumziehen und für die Wiederbelebung der argstrapazierten schwedisch-amerikanischen Freundschaftwerben. Einige Meter von ihnen entfernt, in guterNachbarschaft, erläutern Maoisten, warum und wiedie westliche Welt zerschmettert werden soll. Dochsie alle verhalten sich gesittet und sprechen leise;es wäre ja ungehörig, jemanden durch laute Redenzu stören.

Machtwort gesprochen. Dahin sind auch dieChancen des ehemaligen Finanzministers ClovisDesinor, eines nach außen hin rabiaten Duvalieri-sten, in dem einige Beobachter einen «MannWashingtons» vermutet hatten.

An den Diadochenkämpfen, die Haiti mit demAbleben des Diktators erwarten, dürften freilichneben den Emporkömmlingen des Duvalierismusnur einige wenige Beamte und Intellektuelle teil-nehmen, die dreizehn Jahre «Papadokratie» zuüberleben wußten. Die Möglichkeit eines Volks-aufstands, den Duvaliers Verschwinden auslösenkönnte, wird von fast allen Beobachtern als ganzgering bezeichnet; denn das unbeschreiblicheholend, in dem die Bevölkerung lebt, hat denHaitianer vollständig abgestumpft. Die kleine, po-litisch denkende Bevölkerungsschicht, die intel-lektuell und existenticll über den Durchschnitthinausragte, wurde dagegen korrumpiert und demSystem einverleibt, falls sie nicht Kampf undTod oder das Exil wählte . .

Was kommt nach Duvalier? Was wird sich ineinem Lande ändern können, dessen Bevölke-rung schon immer geknechtet, verelendet, un-ter Diktatoren vegetierend seit anderthalb Jahr-zehnten von der kläglichen Substanz zehrt, diein Haiti bei Duvaliers Machtantritt vorzufindenwar? Welche Hoffnung hat ein Fiinf-Millioncn-Volk, das zu 90 Prozent aus Analphabeten be-steht, größtenteils außerhalb des Geldwirtschqfts-zyklus lebt, ein Pro-Kopf-Einkommen von rund50 bis 70 Dollar im Jahr ausweist und von sage

und schreibe 308 Aerzten betreut wird? Ein Volk,das in den Statistiken zwar mit einer durchschnitt-lichen Lebenserwartung von 35 Jahren figuriert,jedoch zum Verkümmern verurteilt ist durchHunger und Krankheiten: von 1000 Neugeborenenerleben nur 655 das-erste Lebensjahr! Wird dieseMisere sich dadurch beheben lassen, daß nacheinem psychopathischen «Präsident ä vie» einerseiner Henkersknechte oder auch -- so unwahr-scheinlich es klingen mag ein demokratischerExilhaitianer die Macht übernimmt? Das ist zubezweifeln.

Kleine AuslaiidiiachrichtenAnkunft CliichesterR in NicnroRua. San Juan dvl

Norte, 4. Febr. (ap) Der britische Einmannsegler SirFrancis Chichestcr ist am Mittwoch in San Juan delNorte in dem mittelamerikanischen Staat Nicaraguaeingetroffen. Er war am 12, Januar von Bissau inPortugiesisch-Guinea gestartet, um eineu neuen Re-kord für Solo-Atlantiküberquerungen aufzustellen.Dieses Ziel hat er nicht erreichen können; die 6S00Kilometer lange Reise hat er jedoch gut überstanden.

Bergung einer liombe aus dem Bodensec.Friedrichshafen, 4. Febr. (dpa) Eine 50 Kilogramm

schwere Phosphorbombe aus dem Zweiten Weltkrieg

ist am Donnerstag bei Friedrichshafen aus demBodensec geborgen und entschärft worden. NachAngaben der Polizei hatte ein Sporttaucher die übereinen Meter lange Bombe amerikanischer Herkunftentdeckt. Phosphorbomben dieser Art wurden 1945

in großen Mengen über Friedrichshafen abgeworfen.

Von deutscher Selbstzerstörung

Ch. M. Der Staatssekretär des ReichskanzlersStresetnann, Werner, Freiherr von Rhelnbaben, hatim biblischen Alter zur Feder gegriffen, um poli-tische Memoiren zu schreiben, die nun eben auchin einer Paperback-Ausgabe erscheinen*. Als Zeuge

aus grauer Vorzeit, da man noch als junger Marine-offizier zum Hofball ins Berliner Schloß komman-diert und von Großherzoginnen zum Tanz befohlenwurde oder den wegen einer zu engen Husarciuini-forrh in Ohnmacht gefallenen König Edward VII.in einer Loge liegend erspähen konnte, bannt er inlängeren oder kürzeren Porträtskizzen nochmals dieSchatten historischer Persönlichkeiten nufs Papier,

die er von nah oder fern als Zeitgenosse agieren sah:der Kaiser Wilhelm II., der ele-gante, aber leichtfertige Fürst ßillow, der am Kanzler-sessel klebende, brave und etwas bornierte BetlimannHollweg, der gioßbärllg-chauvinistischc Admlralvon Tirpitz, der tüchtig-energische erste Reichspräsi-

dent Eben, der um den Ausgleich mit den West-mächten ringende, sich in seiner rastlosen Arbeit' ver-zehrende ReichsnulienministcrStrescmann, der dumpf-senile und als Reichspräsident nuf dem WeimarerParkett völlig fehlplacierte «Recke» Hindcnburg undd er finassierende Intrigengeneral Schleicher.

Die persönlichen Erinnerungen setzen durch-aus Icgilimerweisc zum Teil recht eigenwillige

Akzente. Manch ein Schatten wird aber aus derPerspektive des um möglichst große Objektivität be-mühten historischen Urteils über Gebühr verzerrt.Der deutsche (entscheidende) Anteil nn der Aus-lösung des Ersten Weltkrieges läßt sich nicht einfachbagatellisieren, indem man zum Beispiel von Riezlcrüberlieferte Aussprüche und Gedanken BcthmannHollwegs als Augcnblickseinfällc wegzuwischen(rächtet und durchaus erhärtete Ergebnisse modernerForschung offenbar als irrelevant verschweigt. Rhein-babert erklärt freimütig, daß ihm die WilhelminischeEpoche als die «goldene Zeit» erscheint. Er entschloßsich dennoch und das ist ein nicht geringes Ver-dienst , d er Republik zu dienen aus nationalerLiebe für das «deutsche Vaterland» und aus konser-vativem Verantwortungsgefühl für den Staat. Heute,in seinem zehnten Dezennium, leidet er sichtlich,denkt er an Deutschland. Denn einer nach demandern seiner Regenten trat im Lauf der letzten hun-dert Jahre hervor und schob das Reich, das Bis-marck einst geschaffen hatte, immer näher dem Ab-grund entgegen. Keiner d er Nachfolger des großen

Kanzlers habe mehr dessen Format besessen, istRheinbabens Klage. Und melancholisch Hißt er seinBuch mit der Feststellung ausklingen, .'das Werk Bis-mareks sei allzusehr auf seinen Schöpfer zugeschnit-

ten gewesen und habe vielleicht schon deshalb denKeim zum Untergang in sich getragen.'

'.

* Werner Freiherr von Rhcinbabrai: Kaiser, Kanzler,Präsidenten. Erinnerungen.

:Verlag v. Hase & Koohlci,

Mainz,, ...

5kuc3iirdjcr3citttngGegründet 1780 Der Zürcher Zeitung 192. Jahrgang

CHEFREDAKTORFred Lüchsinger

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SchiesKcr, Hnnspeter Kleiner, Martin Neuenschwnnder,Rudolf Bolli; Hans Zwicky (Bern); Otto Frei (welscheSchweiz); Max Wermelingcr (italienische Schweiz).

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