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Jane Austen Emma
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Jane Austen

EmmaRoman

Aus dem Englischen übersetzt von

Ursula und Christian Grawe

Nachwort und Anmerkungen

von Christian Grawe

Reclam

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Englischer Originaltitel:Emma

RECLAM TASCHENBUCH Nr. 204041981, 2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG,Siemensstraße 32, 71254 DitzingenUmschlaggestaltung: Anja Grimm Gestaltung,unter Verwendung des Farbkupferstichs »Anémone simple«von Langlois nach Pierre-Joseph Redouté (1759–1840). akg-imagesDruck und Bindung: Canon Deutschland Business Services GmbH,Siemensstraße 32, 71254 DitzingenPrinted in Germany 2018RECLAM ist eine eingetragene Markeder Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-020404-7

Auch als E-Book erhältlich

www.reclam.de

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Kapitel 1

Schön, aufgeweckt und reich, bei einem sorgenfreien Zu-hause und einem glücklichen Naturell war Emma Wood-house offenbar mit einigen der erfreulichsten Vorzüge desDaseins gesegnet und hatte beinahe einundzwanzig Jahrefast ohne jeden Anlass zu Kummer und Verdruss auf die-ser Welt verbracht.

Sie war die jüngere von zwei Töchtern eines höchst zärt-lichen und nachsichtigen Vaters und durch die Heirat ihrerSchwester schon recht früh Herrin seines Hauses geworden.Ihre Mutter war schon zu lange tot, als dass sich für Emmamit der Erinnerung an sie mehr als unbestimmte Vorstel-lungen von Zärtlichkeit verbunden hätten, und ihren Platzhatte eine ausgezeichnete Erzieherin eingenommen, derenliebende Zuneigung der einer Mutter kaum nachstand.

Sechzehn Jahre hatte Miss Taylor in Mr. WoodhousesFamilie mehr als Freundin denn als Erzieherin verbrachtund zu beiden Töchtern, besonders aber zu Emma ein en-ges Verhältnis gehabt. Zwischen ihnen herrschte eher dieVertrautheit von Schwestern. Schon lange bevor Miss Tay-lor aufgehört hatte, ihr Amt als Erzieherin auszuüben, hat-te sie in ihrer Nachsicht Emma fast immer gewähren las-sen, und da auch der bloße Schatten von Autorität längstverschwunden war, lebten sie als unzertrennliche Freun-dinnen miteinander, wobei Emma tat, was sie wollte: Zwarschätzte sie Miss Taylors Urteil sehr, aber sie folgte imWesentlichen ihrem eigenen.

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Das eigentliche Problem bestand deshalb darin, dassEmma zu leicht ihren Willen bekam und dazu neigte, eherzu viel von sich zu halten. Hier lauerten Gefahren, die ih-rem ungetrübten Dasein drohten. Vorläufig allerdings warsie sich ihrer so wenig bewusst, dass sie sie durchaus nichtals Verhängnis empfand.

Und doch stand ihr Kummer bevor, gelinder Kummerallerdings und keineswegs in Gestalt von unliebsamerSelbsterkenntnis. Miss Taylor heiratete. Der Abschied vonMiss Taylor brachte Emma den ersten seelischen Schmerz.Am Hochzeitstag ihrer geliebten Freundin hing sie zumersten Mal längere Zeit trüben Gedanken nach. Die Feierwar vorüber, das Brautpaar fort, und ihr Vater und siemussten sich allein und ohne Aussicht auf Gesellschaft, dieihnen den langen Abend verkürzen half, zum Dinner1 nie-dersetzen. Ihr Vater legte sich wie üblich nach dem Essenhin, und ihr blieb nichts übrig, als dazusitzen und über ih-ren Verlust nachzudenken.

Ihrer Freundin versprach die Heirat alle Aussicht aufdauerhaftes Glück. Mr. Weston war ein Mann von vor-trefflichem Charakter, beträchtlichem Vermögen, passen-dem Alter und angenehmen Umgangsformen, und es lagein gewisser Trost darin, dass sie aus Freundschaft die Par-tie uneigennützig und großzügig immer selbst gewünschtund gefördert hatte; aber leicht fiel es ihr nicht. Tagtäglichund von morgens bis abends würde ihnen Miss Taylor feh-len. Sie rief sich ihre Herzlichkeit ins Gedächtnis zurück,die Herzlichkeit und Zuneigung von sechzehn Jahren: wiesie sie seit ihrem fünften Lebensjahr unterrichtet und mitihr gespielt hatte; wie sie alles getan hatte, um sie anzure-gen und zu unterhalten, wenn sie gesund war, und sie beiden verschiedenen Kinderkrankheiten gepflegt hatte. Siewar ihr zu großem Dank verpflichtet, aber das Beisammen-

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sein der letzten sieben Jahre, der Umgang auf gleichemFuß und das völlige gegenseitige Vertrauen, das sich einge-stellt hatte, als sie nach Isabellas Heirat noch mehr aufein-ander angewiesen waren, war ihr in der Erinnerung nochteurer und lieber. Sie war eine Freundin und Gefährtin ge-wesen, wie nur wenige sie besaßen, lebensklug, gebildet,unentbehrlich, gleichmäßig freundlich, mit allen Familien-angelegenheiten vertraut, an allen familiären Problemeninteressiert und besonders an ihr, an all ihren Vergnügun-gen und Plänen. Mit ihr konnte sie alles besprechen, wasihr in den Sinn kam, und Miss Taylor liebte sie zu sehr, alsdass sie an ihr jemals etwas auszusetzen gehabt hätte.

Wie sollte sie diese Umstellung nur ertragen? Esstimmte zwar, dass ihre Freundin nicht mehr als eine halbeMeile entfernt wohnte, aber Emma wusste nur zu gut,welcher Unterschied zwischen einer Mrs. Weston, nichtmehr als eine halbe Meile entfernt, und einer Miss Taylorim Haus bestehen würde, und bei all ihren natürlichen Ga-ben und häuslichen Möglichkeiten war sie nun in Gefahr,geistig zu verkümmern. Sie liebte ihren Vater herzlich,aber er war keine Gesellschaft für sie. Er war ihr im erns-ten und scherzhaften Gespräch nicht gewachsen.

Ihr unglückseliger Altersunterschied (und Mr. Wood-house hatte nicht gerade früh geheiratet) wurde noch we-sentlich durch seinen Gesundheitszustand und seine Ge-wohnheiten vergrößert, denn da er in seiner geistigen undkörperlichen Unbeweglichkeit sein Leben lang ein krän-kelnder Mann gewesen war, wirkte er älter, als er war; undwenn er auch wegen seiner Herzensgüte und seiner immergleichbleibenden Freundlichkeit überall sehr beliebt war,hatte er doch nie durch Talente geglänzt.

Obwohl Emmas Schwester nur sechzehn Meilen ent-fernt in London wohnte, also durch die Heirat nicht ei-

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gentlich von ihrer Familie getrennt war, war sie natürlichfür den täglichen Umgang zu weit weg, und man musste inHartfield viele lange Oktober- und Novemberabende über-stehen, bevor Isabella und ihr Mann mit ihren kleinenKindern zu Weihnachten zu Besuch kamen, um das Hausendlich wieder mit ihrer unterhaltsamen Gesellschaft zufüllen.

Highbury, das große und seiner Einwohnerzahl nachfast städtische Dorf, zu dem Hartfield trotz seines eigenenNamens und seines getrennten Grund und Bodens eigent-lich gehörte, konnte ihr keine ebenbürtige Gesellschaft bie-ten. Die Woodhouses waren dort die angesehenste Familie.Man sah allgemein zu ihnen auf. Sie hatten zwar viele Be-kannte, denn ihr Vater war zuvorkommend zu jedermann,aber es gab niemand unter ihnen, den sie anstelle von MissTaylor auch nur einen halben Tag akzeptiert hätte. Es warschon eine trostlose Umstellung, und Emma konnte dar-über nur seufzen und sich Unerfüllbares wünschen, bisihr Vater erwachte und sie wieder Heiterkeit ausstrahlenmusste, denn er brauchte Aufmunterung. Er war kein aus-geglichener Mensch, sondern neigte zu Depressionen; erhing an Menschen, an die er gewöhnt war, und ließ sie un-gern gehen, denn jeder Wechsel war ihm zuwider. Die Eheals Quelle der Veränderung war immer eine leidige Sache,und er hatte sich noch nicht einmal mit der Heirat seinereigenen Tochter abgefunden und sprach von ihr immer inmitleidigem Ton, obwohl es doch ganz und gar eine Liebes-heirat gewesen war, als er sich nun auch noch von MissTaylor trennen sollte. Da er auf seine leise Art zum Egois-mus neigte und sich nicht vorstellen konnte, dass andereMenschen nicht seiner Meinung waren, zweifelte er nichtdaran, dass Miss Taylor sich selbst und ihnen einenschlechten Dienst erwiesen hatte und viel glücklicher ge-

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wesen wäre, wenn sie den Rest ihres Lebens in Hartfieldverbracht hätte. Emma lächelte und plauderte, so heiter sienur konnte, damit er nicht auf solche trüben Gedankenverfiel, aber als der Tee serviert wurde, konnte er sich nichtenthalten zu wiederholen, was er schon bei Tisch gesagthatte:

»Arme Miss Taylor! Wenn sie nur wieder hier wäre. Esist ein wahrer Jammer, dass Mr. Weston ausgerechnet aufsie verfallen musste.«

»Ich kann dir nicht zustimmen, Papa, das weißt du ge-nau. Mr. Weston ist ein so umgänglicher, angenehmer undausgezeichneter Mann, dass er eine gute Frau von Herzenverdient, und du kannst doch nicht wollen, dass Miss Tay-lor ihr Leben bei uns verbringt und meine Launen übersich ergehen lässt, wenn sie ein eigenes Haus haben kann.«

»Ein eigenes Haus! Wo ist der Vorteil bei einem eige-nen Haus? Unseres ist dreimal so groß, und du hast dochgar keine Launen, mein Kind.«

»Und wie oft wir uns gegenseitig besuchen werden!Wir werden uns ständig sehen! Wir müssen den Anfangmachen, wir müssen ihnen möglichst bald einen Hoch-zeitsbesuch machen.«

»Mein Kind, wie soll ich denn zu ihnen hinkommen?Randalls ist doch viel zu weit. Wie soll ich denn zu Fuß zuihnen hinkommen?«

»Nein, Papa, wer denkt denn an zu Fuß gehen? Wirfahren natürlich mit der Kutsche.«

»Mit der Kutsche! Aber es ist James bestimmt nichtrecht, für einen so kurzen Weg die Pferde anzuspannen,und wo sollen die armen Pferde bleiben, während wir denBesuch machen?«

»In Mr. Westons Stall natürlich, Papa. Das haben wirdoch alles schon besprochen. Wir haben alles gestern

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Abend mit Mr. Weston verabredet. Und was James betrifft,so kannst du sicher sein, dass er immer gerne nach Randallsfährt, weil seine Tochter dort Dienstmädchen ist. Ich be-zweifle höchstens, dass er uns noch irgendwo anders hin-fahren will. Dafür hast du gesorgt, Papa. Du hast Hannahdie gute Stelle besorgt. Niemand hat an Hannah gedacht,bis du darauf gekommen bist. James ist dir so dankbar.«

»Ich bin froh, dass ich daran gedacht habe. Es ist einGlück, denn ich möchte auf keinen Fall, dass der armeJames denkt, wir übergehen ihn, und außerdem bin ichüberzeugt, dass sie ein sehr adrettes Hausmädchen ist. Sieist ein höfliches Kind und weiß sich nett auszudrücken. Ichhalte viel von ihr. Immer wenn ich sie sehe, knickst sie undfragt mich sehr adrett, wie es mir geht, und wenn sie zumHandarbeiten hier ist, dann fällt mir immer auf, dass sieden Türknopf richtig dreht und nicht mit der Tür knallt.Sie wird bestimmt ein ausgezeichnetes Stubenmädchen,und es ist eine Wohltat für die arme Miss Taylor, jeman-den um sich zu haben, den sie schon kennt. Immer wennJames seine Tochter besucht, hört Miss Taylor dann auchgleich von uns. Er kann ihr erzählen, wie es uns allengeht.«

Emma gab sich alle Mühe, das Gespräch in diesem er-freulicheren Fahrwasser zu halten, und hoffte, mit Hilfevon Backgammon ihren Vater einigermaßen durch denAbend zu schleusen, so dass sie nur mit ihrer eigenen Nie-dergeschlagenheit zu kämpfen hatte. Aber kaum war derSpieltisch aufgestellt, da trat ein Besucher ins Zimmer undmachte diese Mühe überflüssig.

Mr. Knightley, ein Mann von Charakter, etwa sieben-oder achtunddreißig Jahre alt, war nicht nur ein sehr alterund enger Freund der Familie, sondern ihr als älterer Bru-der von Isabellas Mann noch besonders verbunden. Er

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wohnte ungefähr eine Meile von Highbury entfernt undwar ein ständiger, immer willkommener Besucher – heutemehr denn je, da er gerade von ihren gemeinsamen Ver-wandten aus London zurückkam. Er war einige Tage fortgewesen und hatte, zu einem späten Dinner heimgekehrt,nun einen Spaziergang nach Hartfield gemacht, um zu be-richten, am Brunswick Square2 gehe es allen gut. Es warein glücklicher Umstand, und er hielt Mr. Woodhouse eineZeitlang bei guter Laune. Mr. Knightley wirkte anregend,was Emmas Vater immer guttat, und seine vielen Fragennach der »armen Isabella« und ihren Kindern wurden zuseiner vollen Zufriedenheit beantwortet. Als seine Neugiergestillt war, bemerkte Mr. Woodhouse dankbar: »Wie nettvon Ihnen, Mr. Knightley, noch zu dieser späten Stundeherüberzukommen. Es muss ein scheußlicher Gang gewe-sen sein.«

»Keineswegs, Sir3, es ist eine wunderschöne Mond-nacht und so milde, dass ich weiter von Ihrem großen Ka-minfeuer wegrücken muss.«

»Aber es muss doch nasskalt und schmutzig draußensein. Hoffentlich haben Sie sich keine Erkältung geholt.«

»Schmutzig, Sir! Sehen Sie meine Schuhe an. Nicht einSpritzer!«

»Nanu, das ist ja eigenartig, denn hier hat es richtig ge-gossen. Beim Frühstück hat es eine halbe Stunde langfurchtbar gegossen. Ich wollte sogar die Hochzeit verschie-ben lassen.«

»Apropos, ich habe Ihnen noch gar nicht zu dem freu-digen Ereignis gratuliert. Aber da ich ja weiß, wie Sie beidesich bei dem freudigen Ereignis fühlen, war es mir mit denGlückwünschen nicht eilig. Ich hoffe, es ist alles gut ver-laufen? Wie war Ihnen allen zumute? Wer hat am meistengeschluchzt?«

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»Ach, die arme Miss Taylor! Was für eine traurige Ge-schichte!«

»Die armen Woodhouses, wenn ich bitten darf, denn›die arme Miss Taylor‹ kann ich beim besten Willen nichtsagen. Ich schätze Emma und Sie sehr, aber wenn es umAbhängigkeit und Unabhängigkeit geht, kein Zweifel, mandient lieber einem Herrn als zweien.«

»Besonders, wenn einer von beiden ein so launisches,anspruchsvolles Geschöpf ist«, rief Emma halb im Scherz.»Das wollten Sie doch damit sagen, nicht wahr? Und Siehätten es auch gesagt, wenn mein Vater nicht hier wäre.«

»Ich glaube, er hat völlig recht, mein Kind«, sagteMr. Woodhouse mit einem Seufzer. »Ich fürchte, manch-mal bin ich wirklich launisch und anspruchsvoll.«

»Aber liebster Papa! Du glaubst doch nicht im Ernst,Mr. Knightley oder ich hätten dich gemeint. Was für einhaarsträubender Gedanke! Nein, nein, ich habe nur michgemeint. Mr. Knightley hat immer etwas an mir auszuset-zen, im Spaß natürlich, alles nur im Spaß. Wir sagen unsimmer offen die Meinung.«

Mr. Knightley war tatsächlich einer der wenigen Men-schen, die an Emma Woodhouse etwas auszusetzen hatten,und der einzige, der es ihr auch sagte; und wenn schonEmma selbst das nicht besonders schätzte, ihrem Vater ge-fiel es, wie sie wusste, so ganz und gar nicht, dass er aufkeinen Fall Verdacht schöpfen sollte, sie werde nicht vonjedermann für vollkommen gehalten.

»Emma weiß genau, dass ich ihr niemals schmeichle«,sagte Mr. Knightley, »aber ich hatte an niemanden im Be-sonderen gedacht. Miss Taylor war daran gewöhnt, zweiHerren zu dienen; jetzt hat sie nur noch einen. Dabei kannsie doch nur gewinnen.«

»Gut«, sagte Emma, geneigt, den Fall auf sich beruhen

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zu lassen. »Sie wollten von der Hochzeit hören, und ichberichte Ihnen gern davon, denn wir haben uns alle ganzreizend benommen. Alle waren pünktlich, zeigten sich vonihrer besten Seite, keine Tränen, kaum lange Gesichter.Nein, nein, wir wussten ja alle, dass wir auch nur eine hal-be Meile voneinander entfernt sein und uns natürlich täg-lich sehen würden.«

»Die liebe Emma, sie trägt alles so gefasst«, sagte ihrVater, »aber in Wirklichkeit, Mr. Knightley, geht ihr derVerlust Miss Taylors sehr nahe, und ich bin sicher, sie wirdihr viel mehr fehlen, als sie ahnt.«

Emma wandte sich, zwischen Lachen und Weinenschwankend, ab.

»Es ist ganz ausgeschlossen, dass eine solche FreundinEmma nicht fehlen sollte«, sagte Mr. Knightley. »Wenn wirdas annehmen müssten, Sir, würden wir sie weniger gern-haben. Aber sie weiß auch, wie vorteilhaft die Heirat fürMiss Taylor ist; sie weiß, wie erfreulich es für Miss Taylorsein muss, in ihrem Alter Herrin eines eigenen Zuhauseund unter so günstigen Bedingungen für ihr Leben versorgtzu sein, und daher muss ihre Freude ihren Schmerz über-wiegen. Alle wahren Freunde von Miss Taylor können nurfroh sein, dass sie sich so glücklich verheiratet hat.«

»Und einen Anlass zur Freude für mich haben Sie nochvergessen«, sagte Emma, »und zwar einen ganz besonde-ren: dass ich die Ehe zustande gebracht habe. Ich habe dieEhe nämlich vor vier Jahren zustande gebracht; und sie tat-sächlich stattfinden zu sehen und recht zu behalten, ob-wohl so viele Leute überzeugt waren, Mr. Weston werdenicht wieder heiraten, ist Entschädigung genug für mich.«

Mr. Knightley sah sie kopfschüttelnd an. Ihr Vater ant-wortete liebevoll: »Ach, mein Kind, wenn du nur nichtimmer Heiratspläne schmieden und Voraussagen machen

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würdest, denn alles, was du sagst, geht in Erfüllung. Lassbitte die Finger davon.«

»Für mich selbst will ich das gern versprechen, Papa,aber für andere Leute muss ich unbedingt weiter Heirats-pläne schmieden. Das ist das größte Vergnügen der Welt!Und dann noch nach diesem Erfolg! Alle waren überzeugt,Mr. Weston werde nicht wieder heiraten. Um Gottes wil-len, nein, Mr. Weston, der schon so lange Witwer war undanscheinend ohne Frau so vollkommen zufrieden, ständigmit seinen Geschäften in London befasst und immer gutgelaunt, Mr. Weston brauchte doch nicht einen einzigenAbend im Jahr alleine zu Hause zu verbringen, wenn ernicht wollte. O nein, Mr. Weston würde bestimmt nichtwieder heiraten. Einige Leute wollten sogar von einemVersprechen wissen, das er seiner Frau auf dem Totenbettgegeben, und andere davon, dass sein Sohn und dessenOnkel es ihm verboten hatten. Aller möglicher Unsinnwurde verkündet, aber ich hielt kein Wort davon für wahr.Seit dem Tag (vor ungefähr vier Jahren), als Miss Taylorund ich ihn auf der Broadway Lane trafen und er, weil eszu nieseln anfing, mit so viel Galanterie davonschoss undfür uns zwei Regenschirme von Bauer Mitchell lieh, war esfür mich beschlossene Sache. Von dem Augenblick an habeich die Ehe sorgfältig geplant, und jetzt, wo mein Werkvon solchem Erfolg gekrönt worden ist, lieber Papa, soll ichdas Heiratspläneschmieden aufgeben?«

»Ich verstehe nicht, was du mit ›Erfolg‹ meinst«, sagteMr. Knightley. »Erfolg setzt Bemühung voraus. Du hastdeine Zeit wahrlich sinnvoll und angemessen verbracht,wenn du dich die letzten vier Jahre bemüht hast, diese Ehezustande zu bringen. Eine würdige Beschäftigung für einejunge Dame! Aber wenn, was ich fast vermute, dein Hei-ratspläneschmieden, wie du es nennst, nur heißen soll,

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dass du sie geplant hast, indem du eines schönen Tages zudir gesagt hast: ›Ich glaube, Mr. Weston wäre eine gutePartie für Miss Taylor‹, und wenn du dir das lang genugeingeredet hast, warum sprichst du dann von Erfolg? Woist dein Verdienst? Worauf bist du stolz? Du hast richtiggeraten, das ist alles.«

»Und kennen Sie nicht das Vergnügen und den Tri-umph, richtig geraten zu haben? Dann tun Sie mir leid. Ichhatte Sie für klüger gehalten, denn verlassen Sie sich dar-auf, richtig zu raten ist niemals bloßes Glück. Eine gewisseBegabung gehört immer dazu, und was mein unglücklichesWort ›Erfolg‹ angeht, um das Sie sich zanken wollen, soglaube ich nicht, dass ich keinerlei Anspruch darauf habe.Sie haben zwei hübsche Standpunkte formuliert, aber ichfinde, es gibt noch einen dritten, eine Möglichkeit zwischenNichtstun und Allestun. Wenn ich Mr. Westons Besuchebei uns nicht ermutigt und hier und da ein bisschen nach-geholfen und allerlei Unebenheiten geglättet hätte, wäreaus allem vielleicht gar nichts geworden. Sie kennen jaHartfield gut genug, um zu wissen, was ich meine.«

»Ein aufrichtiger und offener Mann wie Mr. Westonund eine vernünftige und unaffektierte Frau wie Miss Tay-lor kann man getrost sich selbst überlassen. Wahrschein-lich hast du mit deinem Eingreifen eher dir selbst gescha-det als ihnen genützt.«

»Emma denkt nie an sich selbst, wenn sie anderen hel-fen kann«, mischte sich Mr. Woodhouse wieder ein, dernur die Hälfte verstand. »Aber, Kind, tu mir den Gefallen,schmiede keine Heiratspläne mehr. Ehen sind Unsinn. Esist traurig, wie sie die häusliche Gemütlichkeit zerstören.«

»Nur eine Ehe noch, Papa, nur Mr. Eltons. Der armeMr. Elton! Du magst ihn gern, Papa. Ich muss mich nacheiner Frau für ihn umsehen. In Highbury gibt es niemand,

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der ihn verdient. Er ist nun schon ein ganzes Jahr hier undhat sein Haus so gemütlich eingerichtet, dass es ein Jam-mer wäre, wenn er nicht bald heiratete. Und als er heutedie Hände des Brautpaars zusammentat, sah er aus, als lie-ße er sich diesen freundlichen Dienst auch nicht ungerngefallen.«

»Mr. Elton ist ein adretter junger Mann, ohne Frage,und ein ausgezeichneter junger Mann, und ich mag ihnwirklich gern. Aber wenn du ihm einen Gefallen tunwillst, mein Kind, lade ihn eines Tages zum Essen bei unsein. Das scheint mir sinnvoller. Mr. Knightley ist sicher sofreundlich, auch zu kommen.«

»Mit dem größten Vergnügen, Sir, jederzeit«, sagteMr. Knightley lachend, »und ich bin völlig Ihrer Meinung,dass es viel sinnvoller wäre. Lade ihn zum Essen ein,Emma, setz ihm einen schönen Braten vor, aber um eineFrau lass ihn sich selber kümmern. Verlass dich darauf, einMann von sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jah-ren kann für sich selber sorgen.«

Kapitel 2

Mr. Weston stammte aus einer angesehenen Familie inHighbury, die seit zwei oder drei Generationen immermehr zu Ansehen und Wohlstand gelangt war. Er hatteeine gute Erziehung erhalten, aber da er schon früh zu fi-nanzieller Unabhängigkeit gekommen war, hatte er sichfür die solide berufliche Laufbahn seiner Brüder nichtinteressiert und seinen lebendigen, aufgeschlossenen Geistund sein Bedürfnis nach Geselligkeit dadurch befriedigt,dass er Offizier geworden war.

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Hauptmann Weston war allgemein beliebt, und als erbei einem der gesellschaftlichen Anlässe, die das Soldaten-leben mit sich brachte, mit Miss Churchill aus einer hoch-vornehmen Familie in Yorkshire bekannt geworden warund sie sich in ihn verliebte, wunderte sich niemand außerihrem Bruder und seiner Frau, die ihn aber niemals gese-hen hatten und deren Familienstolz durch diese Verbin-dung verletzt war.

Da aber Miss Churchill volljährig war und über ihrVermögen, das allerdings zum Familienbesitz in keinemVerhältnis stand, verfügen konnte, ließ sie sich die Heiratnicht ausreden. Sie fand statt und wurde von Mr. undMrs. Churchill, die sich von ihrer Schwester in aller Formlossagten, als unaussprechliche Kränkung empfunden.Aber die ungleiche Verbindung war auf die Dauer nichtglücklich. Mrs. Weston hätte eigentlich darin mehr Erfül-lung finden müssen, denn in seiner menschlichen Güteund seelischen Ausgeglichenheit dachte ihr Mann nur dar-an, wie er sich für die ihm zugefallene Liebe dankbar er-weisen könne. Es fehlte ihr zwar nicht an Entschlossenheit,aber an Ausdauer. Sie war resolut genug, ihren Willen ge-gen den ihres Bruders durchzusetzen, aber nicht bereit,unvernünftiges Bedauern über den unvernünftigen Zornihres Bruders und die Sehnsucht nach dem Luxus ihrer Ju-gend zu überwinden. Sie lebten über ihre Verhältnisse, undtrotzdem blieb ihr Lebensstil weit hinter dem von Ens-combe zurück. Nicht dass sie ihren Mann nicht liebte, abersie wollte gleichzeitig die Frau von Hauptmann Westonund Miss Churchill von Enscombe sein.

Hauptmann Weston, der vor allem in den Augen derChurchills eine fabelhafte Partie gemacht hatte, hatte, wiesich bald herausstellte, in Wirklichkeit den Kürzeren gezo-gen, denn als seine Frau nach dreijähriger Ehe starb, war er

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eher ärmer als vorher und hatte für ein Kind zu sorgen.Von dem Unterhalt dieses Kindes allerdings wurde er baldbefreit. Da die langwierige Krankheit seiner Mutter auf dieGemüter ohnehin begütigend gewirkt hatte, war durch denJungen eine halbe Aussöhnung zustande gekommen, undMr. und Mrs. Churchill, die weder eigene Kinder noch fürirgendwelche Nachkommen in der unmittelbaren Ver-wandtschaft zu sorgen hatten, erboten sich bald nach ih-rem Tod, die Erziehung des kleinen Frank zu übernehmen.Obwohl der Vater und Witwer dabei vermutlich Skrupelund innere Widerstände zu überwinden hatte, gab er dochanderen Überlegungen den Vorrang, und das Kind wurdeder Obhut und dem Wohlstand der Churchills anvertraut.Mr. Weston konnte nun ganz seinem eigenen Vergnügenleben und seine finanzielle Lage verbessern, so gut es ging.

Ein vollständiger Neuanfang erschien ihm wünschens-wert. Er nahm seinen Abschied und wurde Kaufmann, undda seine Brüder mit ihren Firmen in London schon etab-liert waren, hatte er die denkbar besten Voraussetzungendafür. Diese Tätigkeit bot ihm gerade Beschäftigung genug.Das kleine Haus in Highbury hatte er behalten und ver-brachte dort den größten Teil seiner Freizeit, und so ver-gingen die nächsten achtzehn oder zwanzig Jahre seinesLebens zwischen nützlicher Beschäftigung und sorgloserGeselligkeit auf angenehme Weise. Inzwischen hatten sichseine Vermögensverhältnisse so stabilisiert, dass er sich ei-nen ihm schon lange in die Augen stechenden Besitz in derNähe Highburys kaufen, sogar eine so unvermögende Frauwie Miss Taylor heiraten und sich sein Leben entsprechendden Neigungen seiner freundlichen und geselligen Disposi-tion einrichten konnte.

Auf Miss Taylor nahm er bei seinen Plänen schon seitlängerem Rücksicht, aber da ihn keine jugendliche Leiden-

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schaft trieb, hatte er den Entschluss, nicht zu heiraten, bevorer Randalls kaufen konnte, nicht umstoßen wollen, denn derErwerb von Randalls lag ihm seit langem am Herzen. Erverfolgte dieses Ziel beharrlich, bis er es erreicht hatte. Nunhatte er sein Vermögen gemacht, sein Haus erworben undseine Frau bekommen. Ein neuer Lebensabschnitt, von demer sich mehr Glück versprach als in seinem ganzen bisheri-gen Leben, begann. Unglücklich war er eigentlich nie gewe-sen, nicht einmal in seiner ersten Ehe; davor hatte ihn seineAusgeglichenheit bewahrt. Aber seine zweite Ehe würdeden Beweis erbringen, welche Quelle des Glücks einemenschlich reife und liebenswerte Frau darstellt und wieviel besser es ist zu wählen, als gewählt zu werden, Dank-barkeit hervorzurufen als empfinden zu müssen.

Er konnte sich dabei ganz von seinen Wünschen leitenlassen. Sein Vermögen stand zu seiner Verfügung, denndass Frank das Erbe seines Onkels antreten würde, ver-stand sich von selbst. Er war offiziell adoptiert worden undwürde bei seiner Volljährigkeit den Namen Churchill an-nehmen. Es erschien deshalb unwahrscheinlich, dass er je-mals auf die finanzielle Unterstützung seines Vaters ange-wiesen sein würde. Zu dieser Befürchtung bestand alsokein Anlass. Seine Tante war zwar eine unberechenbareFrau, und sie beherrschte ihren Mann vollständig, aber esüberstieg Mr. Westons Vorstellungsvermögen, dass dieseLaunen Einfluss auf das Schicksal eines geliebten, undnoch dazu zu Recht so geliebten Menschen haben könnten.Er traf mit seinem Sohn jedes Jahr in London zusammenund war stolz auf ihn; sein günstiger Bericht über diesenprächtigen jungen Mann veranlasste ganz Highbury dazu,auch stolz auf ihn zu sein. Er wurde in dem Ort so weit alszugehörig betrachtet, dass seine Verdienste und seine Aus-sichten die öffentliche Meinung beschäftigten.

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Mr. Frank Churchill war ein Ruhmesblatt Highburys,und es herrschte das lebhafte Bedürfnis, ihn kennenzuler-nen, obwohl diese Ehre so wenig erwidert wurde, dass er inseinem ganzen Leben noch nicht dort gewesen war. Seinbevorstehender Besuch bei seinem Vater war zwar immerwieder Gesprächsthema gewesen, aber nie zustande ge-kommen.

Jetzt, zur Hochzeit seines Vaters, so nahm man allge-mein an, werde der Besuch als eine angemessene Geste end-lich stattfinden. Und wenn Mrs. Perry bei Mrs. und MissBates zum Tee war oder wenn Mrs. und Miss Bates den Be-such erwiderten, gab es darüber nur eine Meinung. Jetztwar der Zeitpunkt gekommen, Mr. Frank Churchill in ihrerMitte zu empfangen, und diese Hoffnung verstärkte sichnoch, als man hörte, er habe seiner neuen Mutter zu die-sem Anlass geschrieben. Tagelang beherrschte der reizendeBrief, den Mrs. Weston erhalten hatte, das Gespräch bei je-dem Vormittagsbesuch in Highbury. »Ich nehme an, Sie ha-ben schon von dem reizenden Brief gehört, den Mr. FrankChurchill Mrs. Weston geschrieben hat? Es soll ein ganzreizender Brief gewesen sein. Mr. Woodhouse hat mir da-von erzählt. Mr. Woodhouse hat ihn sogar gesehen, und ersagt, dass er noch nie einen so reizenden Brief gesehen hat.«

Es war in der Tat ein unbezahlbarer Brief. Mrs. Westonhatte sich natürlich eine sehr positive Meinung von demjungen Mann gebildet, und eine solche wohltuende Auf-merksamkeit war ein unwiderleglicher Beweis für seineLebensart und daher für sie ein höchst willkommener An-lass, noch mehr Glückwünsche entgegenzunehmen, als sieschon zu ihrer Hochzeit empfangen hatte. Sie selbst warvon ihrem Glück zutiefst überzeugt und alt genug, um zuwissen, für wie glücklich man sie halten musste, wo siedoch nichts zu bedauern hatte, als dass sie Freunden, mit

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denen sie nach wie vor befreundet war und die den Verlustihrer Gesellschaft schmerzlich empfanden, räumlich etwasferner gerückt war.

Sie war sich darüber im Klaren, dass sie manchmal ver-misst wurde, und konnte nicht ohne Schmerz daran den-ken, dass Emma ihretwegen auch nur eines einzigen Ver-gnügens beraubt oder einer Stunde Langeweile ausgesetztwar. Aber die gute Emma war kein schwacher Charakter;sie war der Situation besser gewachsen als die meistenMädchen und besaß Verstand und Energie und Lebensmut,die sie hoffentlich unbeschwert und glücklich durch alledie kleinen Schwierigkeiten und Entbehrungen hindurch-schleusen würden. Und dann war es ein großer Trost, dassRandalls in so bequemer Entfernung von Hartfield lag, soleicht erreichbar war, sogar für eine einsame Spaziergänge-rin, und dass Mr. Westons Charakter und Umstände sie inder kommenden gesellschaftlichen Wintersaison nicht da-von abhalten würden, jeden zweiten Tag der Woche zu-sammen zu verbringen.

Für Mrs. Weston überwog in ihrem neuen Leben dieDankbarkeit bei weitem das Bedauern, und ihre Zufrieden-heit, ihr Übermaß an Zufriedenheit, ihr heiteres Genießenwar so berechtigt und so offensichtlich, dass Emma, ob-wohl sie ihren Vater kannte, über sein nicht enden wollen-des Bedauern der »armen Miss Taylor« nur staunen konn-te, wenn sie sie nach einem Besuch in Randalls von häusli-cher Behaglichkeit umgeben zurückließen oder sie nacheinem Besuch bei sich hinausbegleiteten und sie am Armihres Mannes auf ihre eigene Kutsche zuschritt. Und trotz-dem geschah das nie, ohne dass Mr. Woodhouse einen lei-sen Seufzer ausstieß und sagte:

»Ach, die arme Miss Taylor! Wie gerne würde sie beiuns bleiben.«

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Es bestand keine Aussicht, Miss Taylor zurückzugewin-nen, und wenig Hoffnung, dass die Klagen über ihr un-glückliches Schicksal aufhören würden. Nach einigen Wo-chen allerdings war das Schlimmste für Mr. Woodhousevorüber. Die Gratulationsbesuche hörten auf, er brauchtesich nicht mehr über die Glückwünsche zu einem so trost-losen Ereignis zu ärgern, und der Hochzeitskuchen, dereine Quelle des Unbehagens für ihn gewesen war, war auf-gegessen. Er selbst vertrug nichts schwer Verdauliches undkonnte sich einfach nicht vorstellen, dass es nicht allen an-deren Menschen ebenso ging. Was für ihn ungesund war,musste es für alle sein, und er hatte deshalb verzweifeltvom Backen eines Kuchens abgeraten, und als das nichtsnützte, alle beschworen, nicht davon zu essen. Er war sogarso weit gegangen, Mr. Perry, den Apotheker, diesbezüglichzu konsultieren. Mr. Perry war ein intelligenter, gebildeterMann, dessen häufige Besuche einer der Lichtblicke inMr. Woodhouses Leben waren, und auf das Thema ange-sprochen, musste er einräumen (obwohl er es offensicht-lich nur widerwillig tat), dass Hochzeitskuchen, außer inMaßen genossen, für viele, wenn nicht die meisten Men-schen schlecht bekömmlich sei. Mit dieser seine eigeneMeinung unterstützenden Ansicht hoffte Mr. Woodhousejeden Besucher der Neuvermählten zu überzeugen, unddoch wurde der Kuchen gegessen, und Mr. Woodhousesmenschenfreundliche Befürchtungen ließen erst nach, alser alle war.

Es gab sogar das eigenartige Gerücht in Highbury, dassalle kleinen Perrys mit einem Stück von Mrs. WestonsHochzeitskuchen in der Hand gesehen worden waren, aberdas wollte Mr. Woodhouse auf keinen Fall glauben.

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Kapitel 3

Auf seine Art war Mr. Woodhouse durchaus ein geselligerMensch. Er hatte es gern, wenn seine Freunde ihn besu-chen kamen, und aufgrund verschiedener zusammenwir-kender Faktoren – seine lange Anwesenheit in Hartfield,seine Freundlichkeit, sein Vermögen, sein Haus und seineTochter – konnte er über seinen eigenen kleinen Zirkel imgroßen Ganzen verfügen, wie es ihm gefiel. Über diesenkleinen Kreis hinaus pflegte er kaum Umgang mit anderenFamilien; seine Abneigung gegen spätes Zubettgehen undgroße Dinnergesellschaften machte ihn für alle Bekannt-schaften ungeeignet, die sich nicht völlig auf seine Lebens-gewohnheiten einstellten.

Glücklicherweise war daran in Highbury, Randalls ein-geschlossen, und in der Nachbargemeinde, wo Mr. Knight-leys Besitz Donwell Abbey lag, kein Mangel. Nicht seltenhatte er durch Emmas Überredung einige der Erwähltenund Genehmsten zum Essen bei sich, aber noch lieber wa-ren ihm gemütliche Abende, und außer wenn er nicht zuGeselligkeit aufgelegt war, gab es kaum einen Abend in derWoche, an dem Emma nicht eine Kartenpartie für ihn zu-stande brachte.

Die Westons und Mr. Knightley kamen aus echter, lan-ger Freundschaft, und Mr. Elton, ein junger Mann, demsein Junggesellendasein ohnehin nicht behagte, fand es kei-neswegs zu verachten, dass er an freien Abenden die Lan-geweile seines Alleinseins gegen die Annehmlichkeitenund die Gesellschaft in Mr. Woodhouses Wohnzimmer unddas Lächeln seiner reizenden Tochter eintauschen durfte.

Danach kam die zweite Garnitur, von der Mrs. undMiss Bates und Mrs. Goddard am geschätztesten waren,weil sie für eine Einladung nach Hartfield fast immer zur

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Verfügung standen. Und sie wurden so regelmäßig abge-holt oder nach Hause gebracht, dass Mr. Woodhouse esnicht als Zumutung für James oder die Pferde empfand.Wäre es nur einmal im Jahr vorgekommen, hätte er es fürunerträglich gehalten.

Mrs. Bates, die Witwe eines früheren Vikars vonHighbury, war eine so alte Dame, dass sie jenseits von al-lem, außer Tee und Kartenspiel, war. Sie lebte mit ihrerunverheirateten Tochter ziemlich eingeschränkt und er-freute sich all der Anteilnahme und Achtung, die eineharmlose alte Dame in so bescheidenen Verhältnissen ge-nießt. Dafür, dass sie weder jung, schön, reich noch verhei-ratet war, erfreute sich ihre Tochter einer ungewöhnlichenBeliebtheit. Miss Bates hatte die denkbar schlechtestenVoraussetzungen, um viel öffentliches Ansehen zu genie-ßen, und besaß nicht einmal die geistige Überlegenheit,den Mangel auszugleichen oder all denen äußeren Respekteinzuflößen, die ihr nicht wohlwollten. Großer Schönheitund Klugheit hatte sie sich nie rühmen können. Ihre Ju-gend war ohne Aufregungen vergangen, und ihre reifenJahre verbrachte sie damit, eine kränkliche Mutter zu be-treuen und das geringe Einkommen zu strecken, soweit esging. Und doch war sie eine glückliche Frau und eine, vonder niemand ohne Wohlwollen sprach. Ihre eigene uner-schöpfliche Freundlichkeit und ihre immerwährende Zu-friedenheit wirkten dieses Wunder. Sie mochte alle, nahman dem Glück aller teil, sah in allen nur das Gute und hieltsich für den glücklichsten Menschen der Welt, weil sie ge-segnet war mit einer so ausgezeichneten Mutter, so vielenguten Nachbarn und Freunden und einem in jeder Hin-sicht so ausreichenden Zuhause. Ihre angeborene Schlicht-heit und Heiterkeit, ihre zufriedene und dankbare Haltungwaren überall eine Empfehlung für die anderen und eine

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Quelle des Glücks für sie selbst. Sie konnte sich endlosüber Kleinigkeiten auslassen, was ganz nach Mr. Wood-houses Geschmack war, und steckte voller Trivialitäten undharmlosem Klatsch.

Mrs. Goddard war die Leiterin einer Schule – nichtetwa eines Seminars oder einer Anstalt, die sich in langenSätzen voller gebildetem Unsinn dazu bekannte, reichlicheErkenntnisse mit einer gediegenen Moral auf der Basisneuer Prinzipien und neuer Systeme zu vereinigen, und inder den jungen Damen für enorme Summen Gesundheitausgetrieben und Eitelkeit eingebläut wird, sondern eshandelte sich um ein richtiges, solides, altmodisches Pen-sionat, wo eine angemessene Menge von Fertigkeiten füreinen angemessenen Preis erworben wird und wohin manMädchen schicken kann, damit sie aus dem Weg sind undsich ein bisschen Bildung zusammenkratzen können, ohneGefahr zu laufen, als Genie zurückzukommen. Mrs. God-dards Schule stand – und zwar zu Recht – in hohem Anse-hen, denn Highbury galt als besonders gesundes FleckchenErde. Mrs. Goddards Haus und Garten waren weiträumig,und sie gab den Mädchen reichlich gesunde Nahrung, ließsie im Sommer viel draußen frei herumlaufen und behan-delte im Winter eigenhändig ihre Frostbeulen. Es war da-her kein Wunder, dass unterdessen ein Trupp von vierzigMädchen – zwei und zwei – hinter ihr in die Kirche mar-schierte. Sie war eine schlichte, mütterliche Frau, die in ih-rer Jugend hart gearbeitet hatte und sich nun den Luxuseines gelegentlichen Teebesuchs gönnen zu dürfen glaubte;und da sie Mr. Woodhouse viel zu verdanken hatte, kam siesehr gern der Verpflichtung nach, ihm zuliebe ihr adrettes,mit Handarbeiten geschmücktes Wohnzimmer zu verlas-sen und an seinem Kamin ein paar Pfennige zu gewinnenoder zu verlieren, wenn ihre Zeit es erlaubte.


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