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? HOCHSCHULE FULDA NR. 1 CAMPUS ? Dienstag, 1. Januar … · FULDA.Über Nachhaltigkeit in der...

Date post: 16-Jul-2020
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CAMPUS ? NR. 1 Dienstag, 1. Januar 2013 Sie beschäftigen sich mit Mythen über Nachhaltigkeit. Was ist Ih- rer Ansicht nach der größte Irr- tum? Prof. Lücke: Was mich im Moment ärgert, das ist die Behauptung, eine vegane Ernährung sei die nachhal- tigste Form der Ernährung. Vegane Ernährung kann man durchaus ethisch be- gründen, aber nicht mit Nachhaltigkeit. Für mich ist eine solche Behauptung ein Zeichen dafür, dass die Öf- fentlichkeit zu wenig davon weiß, wie nachhaltige Landbewirtschaftung funk- tioniert. Ackerbau und Viehzucht gehören zusam- men, seit die Menschheit sesshaft ist. Wer die Nähr- stoffe in einem landwirt- schaftlichen Betrieb opti- mal nutzen will, braucht beides. Welche Folgen für die Nach- haltigkeit hätte es, wenn sich al- le vegan ernähren würden? Prof. Lücke: Die Landwirt- schaft würde aus bestimm- ten Gegenden verschwin- den und somit auch die wirtschaftliche und soziale Säule der nachhaltigen Landbewirtschaftung zu- sammenbrechen, und zwar dort, wo man Feldfrüchte für die menschliche Ernäh- rung nicht oder nicht wirt- schaftlich anbauen kann. Das gilt für viele Flächen in Rhön und Vogelsberg, und erst recht für trockene Ge- biete wie den Steppen In- nerasiens. Etwa eine Milli- arde Menschen hängen weltweit von der Nutztier- haltung ab, nicht weil wir alle Fleisch essen wollen, sondern weil die Gegenden, die sie bewohnen, nur mit dem Halten von Tieren, ins- besondere von Wiederkäu- ern, nutzbar sind. Und Huhn und Schwein waren seit jeher Reste-Verwerter. Heute sind sie das de facto nicht mehr, weil sie weni- ger mit Reststoffen aus Landwirtschaft und Lebens- mittelverarbeitung, son- dern mehr mit Getreide und Soja gefüttert werden. Dieses Dilemma rührt nicht zuletzt von der BSE-Krise her, in deren Folgen man die Anforderungen an Fut- termittel deutlich ver- schärft hat, nach meiner Meinung auch etwas zu sehr. Aber: Wenn alle auf dem Planeten wie wir im Jahr im Durchschnitt 60 Ki- lo Fleisch pro Person kon- sumieren würden, dann würden wir es in wenigen Jahrzehnten nicht mehr schaffen, ausreichend Fut- ter für die Tiere zu produ- zieren. Was wäre denn für Sie künf- tig der Mittelweg? Prof. Lücke: Ich wünsche mir ein System, in dem die Preise für tierische Produk- te die Wahrheit sagen. Das heißt, dass nicht nur die Er- zeuger- und Verarbeitungs- betriebe davon leben kön- nen, sondern dass auch die Inanspruchnahme von Res- sourcen durch die Intensiv- tierhaltung stärker berück- sichtigt wird. Momentan ist manchmal im Supermarkt Mineralwasser deutlich teu- er als Milch. Das ärgert mich. Aber: Der Fleischver- brauch wird bei uns mittel- fristig sinken, auch wenn der „Vegan-Hype“ vorüber ist. Heutzutage hält Sie kaum noch jemand allein deswegen für arm oder gei- zig, wenn Sie ihn mit we- nig oder ohne Fleisch be- wirten das war früher nicht so. Die ersten Fleisch- verarbeiter fangen schon an, fleischähnliche Produk- te aus pflanzlichen Zutaten zu machen. Ein weiterer Mythos: Groß ist schlecht und klein ist gut. Wie- so hinkt diese Argumentation? Prof. Lücke: Was die wirt- schaftliche und soziale Säu- le der Nachhaltigkeit an- geht, sind dezentrale, klei- nere Einheiten und lokale Wertschöpfungsketten si- cherlich günstiger, was nicht bedeutet, dass es den dort Arbeitenden stets bes- ser geht als in Großbetrie- ben. Ob dadurch auch Transportkosten gespart werden, muss man im Ein- zelfall prüfen und dabei auch einen möglichen Mehraufwand für den häu- figeren Transport kleiner Mengen und für Einkaufs- fahrten einkalkulieren. An- dererseits braucht zum Bei- spiel eine Großmolkerei et- wa bei der Verarbeitung von einem Liter Milch weniger Energie und Ressourcen als eine kleine Hofmolkerei. Verarbeitungsbetriebe soll- ten aus ökologischer Sicht einerseits groß genug sein, um genug in ressourcenspa- rende Techniken investie- ren zu können, andererseits aber nicht so groß sein, dass man zu viel Energie für den Transport von Rohstoffen und Produkten braucht. Wie sieht es mit Emissionen durch die Tiere aus, die den Treibhauseffekt hervorrufen? Wie schneiden da große und klei- ne Betriebe ab? Prof. Lücke: Methan, das im Pansen von Wiederkäuern entsteht, trägt zum Treib- hauseffekt bei. Eine Kuh, die 10000 Liter Milch pro Jahr gibt, produziert nur wenig mehr Methan als ei- ne Kuh, die 5000 Liter pro Jahr produziert. Auf die Milchleistung bezogen ent- steht also pro Liter Milch von einer Hochleistungs- kuh weniger Methan. An- dererseits muss man für die Intensivtierhaltung mehr Flächen für die Futtermit- telproduktion einsetzen oder Nährstoffe etwa in Form von Sojaschrot „im- portieren“. Dadurch entste- hen „unterm Strich“ mehr Treibhausgase als bei Grün- landwirtschaft mit ange- passtem Tierbestand. Unser studentisches Projekt hat geschätzt, dass deswegen pro Liter produzierter Milch im Antonius-Hof insgesamt weniger Treibhausgase ent- stehen als in der Literatur für einen typischen Betrieb mit Intensiv-Milchviehhal- tung angegeben ist. Und das Tierwohl? Sind da die kleinen Betriebe besser? Prof. Lücke: Kleine Betriebe gehen nicht automatisch besser mit ihren Tieren um als große Betriebe. Wenn je- mand weniger Tiere hält, kann er zwar besser beob- achten, ob es den Tieren schlecht geht, und entspre- chend eingreifen. Viele Pro- bleme kommen aber daher, dass die Haltungsformen und Stallungen nicht mehr dem Stand der Technik ent- sprechen. Vor allem in klei- neren Betrieben werden zum Beispiel Milchkühe oft noch in Anbindehaltung gehalten, und größere Be- triebe haben meist in mo- derne Laufställe mit Auslauf investiert, bis hin zu Syste- men, mit denen man auf- fälliges Verhalten oder Symptome dafür, dass es den Kühen nicht gut geht, erfassen und darauf reagie- ren kann. Hierfür fehlt es kleinen Betrieben oft an In- vestitionsmitteln. Wo soll ein kleiner Betrieb mit 40 Kühen das Geld herneh- men, einen neuen Stall zu bauen? Und dies bei Milch- preisen von unter 30 Cent pro Liter und vielleicht noch ohne Hofnachfolge. Welchen Stellenwert wird Nachhaltigkeit in der Landwirt- schaft künftig haben? Prof. Lücke: Meiner Ansicht nach führt daran kein Weg vorbei, wenn wir auch in ein paar Jahrzehnten noch ordentlich wirtschaften wollen – und zwar so, dass die Bedürfnisse der Gegen- wart befriedigt werden, oh- ne zu riskieren, dass künf- tige Generationen ihre Be- dürfnisse nicht befriedigen können. In der Diskussion ist es wichtig, dass ökologi- sche, soziale und wirt- schaftliche Komponenten der Nachhaltigkeit berück- sichtigt werden. Man muss sich der Spannungs- und Konfliktfelder bewusst wer- den. FULDA. Über Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft existieren ei- nige Mythen. Prof. Dr. Friedrich- Karl Lücke vom Fachbereich Oe- cotrophologie der Hochschule Fulda setzt sich mit ihnen ausei- nander. Prof. Friedrich-Karl Lücke über vegane Ernährung, Treibhauseffekt und Tierwohl in der Landwirtschaft Mythen und Fakten zur Nachhaltigkeit Prof. Dr. Friedrich-Karl Lücke ist Mikrobiologe. Er lehrte von 1989 bis 2015 an der Hoch- schule Fulda mit Schwerpunkt Mikrobiologie, Lebensmittel- sicherheit und -verarbeitung und betreut weiterhin als Be- rater studentische Projekte in den Bereichen Lebensmittel- qualität, Produktentwicklung, Qualitätsmanagement. Er ist in wichtigen überregionalen Gremien tätig, zum Beispiel Mitglied in der Sachverständi- genkommission für Hygiene am Bundesinstitut für Risiko- bewertung (BfR) und in zahl- reichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Zur Person Ein Jahr haben die Studie- renden den Antonius-Hof mit seinen 100 Milchkühen und 100 Beschäftigten be- gleitet und mit ihm fünf Kriterien für nachhaltiges Wirtschaften erarbeitet. Faktor „Boden“: „Der Boden ist unser empfindlichstes Gut im Produktionspro- zess“, betont Antonius-Hof- Leiter Peter Linz. Vielfältige Fruchtfolgen mit Ruhepha- sen sichern einen schonen- den Umgang und verhin- dern, dass der Boden aus- laugt. Dabei wird auf den Anbau des „Humuskillers“ Mais verzichtet. Stattdessen werden Luzerne und Klee als tiefwurzelnde Pflanzen angebaut, die in der Lage sind, Nährstoffe und Was- ser von unten anzuzapfen. „Trotz der Trockenheit in diesem Jahr, hatten wir ei- ne gute Ernte“, freut sich Peter Linz. Das Futter für die Tiere baut der Hof selbst an. Dies ist deutlich nachhalti- ger, als Futter von einer an- deren Region her zu trans- portieren. Faktor „Treibhausemissionen“: Ein Wiederkäuer „rülpst“ Methan, dies lässt sich nicht verhindern. Doch der Antonius-Hof verzichtet auf die Güllewirtschaft und Düngung, bei der Stickstoff und Phosphat freigesetzt werden. Dafür wird der Kot der Tiere mit 5 bis 7 Kilo Stroh täglich gebunden und anschließend Basaltmehl zugesetzt, damit Gase ge- bunden werden und nicht zusätzlich ein Treibhausef- fekt verursacht wird. Faktor „Tiergerechtigkeit“: „Uns geht es darum, dass die Tiere gesund bleiben“, erläutert Linz. Während in der konventionellen Milch- viehhaltung eine Hochleis- tungskuh bis zu 12000 Li- ter im Jahr produziert, gibt man sich auf dem Antoni- us-Hof mit knapp der Hälf- te zufrieden. „Es ist verlo- ckend, mehr zu produzie- ren – schließlich müssen Stallkosten, Personal und das teure Futter bezahlt wer- den. Doch auch durch die Diskussion mit den Studie- renden haben wir uns ent- schlossen, die Produktion nicht zu steigern.“ Zur Tier- gerechtigkeit gehört auch die Tierhaltung und Fütte- rung: Die Kühe haben auf dem Antonius-Hof einen Stall, in dem sie herumlau- fen können und Liegebo- xen. Von Mai bis Dezember haben sie Auslauf auf der Weide. Faktor „wirtschaftliche Resi- lienz“ (= Widerstandsfähigkeit): Wie sieht es mit der nach- haltigen Wirtschaftlichkeit aus? Wie tragfähig ist ein Betrieb? Welche Produktdi- versifizierungen gibt es? „Unsere Bioprodukte sind gut nachgefragt“, betont Linz. Überproduktionen an Milch, die der Betrieb er- zeugt, gehen an die Molke- reien. Wirtschaftlich hat die Studierenden-Gruppe dem Antonius-Hof empfoh- len, weitere Produktdiversi- fizierungen (Joghurt, Quark, Käse) und die Er- schließung weiterer Kun- denkreise zu erwägen. Au- ßerdem produziert der Hof neben Milch auch andere Lebensmittel wie Getreide, Kartoffeln, Fleisch, hat also mehrere wirtschaftliche „Standbeine“. Faktor „Sozialverträglichkeit“: Wie geht der Betrieb mit sei- nen Mitarbeitern um? Wie sieht sein soziales Engage- ment aus? So beschäftigt der Antonius-Hof rund 60 Menschen mit einem Han- dicap, bildet junge Men- schen aus und bietet Plätze für Schnupperpraktika und Freiwilliges Soziales Jahr. Weiterhin informiert der Betrieb die Öffentlichkeit regelmäßig durch Veran- staltungen, Führungen usw. über seine Wirtschaftswei- se. Die „soziale Landwirt- schaft“ sieht Hofleiter Peter Linz als Thema der Zukunft an. „Wir können nicht nur über den Verfall des Milch- preises jammern. Wir brau- chen auch neue Konzepte“, betont er. Wie etwa Bauern- hofcafés oder Direktver- marktungen oder Projekte für Kinder, Jugendliche und Senioren. FULDA. Der Begriff Nachhaltig- keit wird oft bemüht. Doch auf welche Kriterien kommt es tat- sächlich an? Eine Gruppe von Studierenden aus dem Master- studiengang „International Food Business and Consumer Studies“ an der Hochschule Fulda unter der Leitung von Prof. Dr. Fried- rich-Karl Lücke hat am Beispiel der Milchwirtschaft des Bioland- betriebs Antonius-Hof harte Kri- terien erarbeitet. Studierende des Fachbereichs Oecotrophologie haben mit dem Antonius-Hof fünf Kennzahlen zur Messung von Nachhaltigkeit entwickelt Harte Kriterien für schonenden Umgang mit Ressourcen Wenn sich alle vegan ernähren würden, wäre das wenig nachhaltig. Aber auch ein zu hoher Fleischkonsum ist global nicht sinnvoll. Fotos: Fotolia „Sozialverträglichkeit“ ist ein Faktor für Nachhaltigkeit: Auf dem Anto- nius-Hof gibt es Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap. Foto: privat ? HOCHSCHULE FULDA DAS WISSEN LIEGT SO NAH
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Page 1: ? HOCHSCHULE FULDA NR. 1 CAMPUS ? Dienstag, 1. Januar … · FULDA.Über Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft existieren ei-nige Mythen. Prof. Dr. Friedrich-Karl Lücke vom Fachbereich

CAMPUS ?NR. 1 Dienstag, 1. Januar 2013

Sie beschäftigen sich mit Mythen über Nachhaltigkeit. Was ist Ih-rer Ansicht nach der größte Irr-tum?

Prof. Lücke: Was mich im Moment ärgert, das ist die Behauptung, eine vegane Ernährung sei die nachhal-tigste Form der Ernährung. Vegane Ernährung kann man durchaus ethisch be-gründen, aber nicht mit Nachhaltigkeit. Für mich ist eine solche Behauptung ein Zeichen dafür, dass die Öf-fentlichkeit zu wenig davon weiß, wie nachhaltige Landbewirtschaftung funk-tioniert. Ackerbau und Viehzucht gehören zusam-men, seit die Menschheit sesshaft ist. Wer die Nähr-stoffe in einem landwirt-schaftlichen Betrieb opti-mal nutzen will, braucht beides.

Welche Folgen für die Nach-

haltigkeit hätte es, wenn sich al-le vegan ernähren würden?

Prof. Lücke: Die Landwirt-schaft würde aus bestimm-ten Gegenden verschwin-den und somit auch die wirtschaftliche und soziale Säule der nachhaltigen Landbewirtschaftung zu-sammenbrechen, und zwar dort, wo man Feldfrüchte für die menschliche Ernäh-rung nicht oder nicht wirt-schaftlich anbauen kann. Das gilt für viele Flächen in Rhön und Vogelsberg, und erst recht für trockene Ge-biete wie den Steppen In-nerasiens. Etwa eine Milli-arde Menschen hängen weltweit von der Nutztier-haltung ab, nicht weil wir alle Fleisch essen wollen, sondern weil die Gegenden, die sie bewohnen, nur mit dem Halten von Tieren, ins-besondere von Wiederkäu-ern, nutzbar sind. Und Huhn und Schwein waren seit jeher Reste-Verwerter.

Heute sind sie das de facto nicht mehr, weil sie weni-ger mit Reststoffen aus Landwirtschaft und Lebens-mittelverarbeitung, son-dern mehr mit Getreide und Soja gefüttert werden. Dieses Dilemma rührt nicht zuletzt von der BSE-Krise her, in deren Folgen man die Anforderungen an Fut-termittel deutlich ver-schärft hat, nach meiner Meinung auch etwas zu sehr. Aber: Wenn alle auf dem Planeten wie wir im Jahr im Durchschnitt 60 Ki-lo Fleisch pro Person kon-sumieren würden, dann würden wir es in wenigen Jahrzehnten nicht mehr schaffen, ausreichend Fut-ter für die Tiere zu produ-zieren.

Was wäre denn für Sie künf-

tig der Mittelweg? Prof. Lücke: Ich wünsche

mir ein System, in dem die Preise für tierische Produk-te die Wahrheit sagen. Das heißt, dass nicht nur die Er-zeuger- und Verarbeitungs-betriebe davon leben kön-nen, sondern dass auch die Inanspruchnahme von Res-sourcen durch die Intensiv-tierhaltung stärker berück-sichtigt wird. Momentan ist

manchmal im Supermarkt Mineralwasser deutlich teu-er als Milch. Das ärgert mich. Aber: Der Fleischver-brauch wird bei uns mittel-fristig sinken, auch wenn der „Vegan-Hype“ vorüber ist. Heutzutage hält Sie kaum noch jemand allein deswegen für arm oder gei-zig, wenn Sie ihn mit we-nig oder ohne Fleisch be-wirten – das war früher nicht so. Die ersten Fleisch-verarbeiter fangen schon an, fleischähnliche Produk-te aus pflanzlichen Zutaten zu machen.

Ein weiterer Mythos: Groß ist

schlecht und klein ist gut. Wie-so hinkt diese Argumentation?

Prof. Lücke: Was die wirt-schaftliche und soziale Säu-le der Nachhaltigkeit an-geht, sind dezentrale, klei-nere Einheiten und lokale Wertschöpfungsketten si-cherlich günstiger, was nicht bedeutet, dass es den dort Arbeitenden stets bes-ser geht als in Großbetrie-ben. Ob dadurch auch Transportkosten gespart werden, muss man im Ein-zelfall prüfen und dabei auch einen möglichen Mehraufwand für den häu-figeren Transport kleiner

Mengen und für Einkaufs-fahrten einkalkulieren. An-dererseits braucht zum Bei-spiel eine Großmolkerei et-wa bei der Verarbeitung von einem Liter Milch weniger Energie und Ressourcen als eine kleine Hofmolkerei. Verarbeitungsbetriebe soll-ten aus ökologischer Sicht einerseits groß genug sein, um genug in ressourcenspa-rende Techniken investie-ren zu können, andererseits aber nicht so groß sein, dass man zu viel Energie für den Transport von Rohstoffen und Produkten braucht.

Wie sieht es mit Emissionen

durch die Tiere aus, die den Treibhauseffekt hervorrufen? Wie schneiden da große und klei-ne Betriebe ab?

Prof. Lücke: Methan, das im Pansen von Wiederkäuern entsteht, trägt zum Treib-hauseffekt bei. Eine Kuh, die 10000 Liter Milch pro Jahr gibt, produziert nur wenig mehr Methan als ei-ne Kuh, die 5000 Liter pro Jahr produziert. Auf die Milchleistung bezogen ent-steht also pro Liter Milch von einer Hochleistungs-kuh weniger Methan. An-dererseits muss man für die Intensivtierhaltung mehr

Flächen für die Futtermit-telproduktion einsetzen oder Nährstoffe etwa in Form von Sojaschrot „im-portieren“. Dadurch entste-hen „unterm Strich“ mehr Treibhausgase als bei Grün-landwirtschaft mit ange-passtem Tierbestand. Unser studentisches Projekt hat geschätzt, dass deswegen pro Liter produzierter Milch im Antonius-Hof insgesamt weniger Treibhausgase ent-stehen als in der Literatur für einen typischen Betrieb mit Intensiv-Milchviehhal-tung angegeben ist.

Und das Tierwohl? Sind da die

kleinen Betriebe besser? Prof. Lücke: Kleine Betriebe

gehen nicht automatisch besser mit ihren Tieren um als große Betriebe. Wenn je-mand weniger Tiere hält, kann er zwar besser beob-achten, ob es den Tieren schlecht geht, und entspre-chend eingreifen. Viele Pro-bleme kommen aber daher, dass die Haltungsformen und Stallungen nicht mehr dem Stand der Technik ent-sprechen. Vor allem in klei-neren Betrieben werden zum Beispiel Milchkühe oft noch in Anbindehaltung gehalten, und größere Be-

triebe haben meist in mo-derne Laufställe mit Auslauf investiert, bis hin zu Syste-men, mit denen man auf-fälliges Verhalten oder Symptome dafür, dass es den Kühen nicht gut geht, erfassen und darauf reagie-ren kann. Hierfür fehlt es kleinen Betrieben oft an In-vestitionsmitteln. Wo soll ein kleiner Betrieb mit 40 Kühen das Geld herneh-men, einen neuen Stall zu bauen? Und dies bei Milch-preisen von unter 30 Cent pro Liter und vielleicht noch ohne Hofnachfolge.

Welchen Stellenwert wird

Nachhaltigkeit in der Landwirt-schaft künftig haben?

Prof. Lücke: Meiner Ansicht nach führt daran kein Weg vorbei, wenn wir auch in ein paar Jahrzehnten noch ordentlich wirtschaften wollen – und zwar so, dass die Bedürfnisse der Gegen-wart befriedigt werden, oh-ne zu riskieren, dass künf-tige Generationen ihre Be-dürfnisse nicht befriedigen können. In der Diskussion ist es wichtig, dass ökologi-sche, soziale und wirt-schaftliche Komponenten der Nachhaltigkeit berück-sichtigt werden. Man muss sich der Spannungs- und Konfliktfelder bewusst wer-den.

FULDA. Über Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft existieren ei-nige Mythen. Prof. Dr. Friedrich-Karl Lücke vom Fachbereich Oe-cotrophologie der Hochschule Fulda setzt sich mit ihnen ausei-nander.

Prof. Friedrich-Karl Lücke über vegane Ernährung, Treibhauseffekt und Tierwohl in der LandwirtschaftMythen und Fakten zur Nachhaltigkeit

Prof. Dr. Friedrich-Karl Lücke ist Mikrobiologe. Er lehrte von 1989 bis 2015 an der Hoch-schule Fulda mit Schwerpunkt Mikrobiologie, Lebensmittel-sicherheit und -verarbeitung und betreut weiterhin als Be-rater studentische Projekte in den Bereichen Lebensmittel-qualität, Produktentwicklung, Qualitätsmanagement. Er ist in wichtigen überregionalen Gremien tätig, zum Beispiel Mitglied in der Sachverständi-genkommission für Hygiene am Bundesinstitut für Risiko-bewertung (BfR) und in zahl-reichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften.

Zur Person

Ein Jahr haben die Studie-renden den Antonius-Hof mit seinen 100 Milchkühen und 100 Beschäftigten be-gleitet und mit ihm fünf Kriterien für nachhaltiges Wirtschaften erarbeitet.

Faktor „Boden“: „Der Boden ist unser empfindlichstes Gut im Produktionspro-zess“, betont Antonius-Hof-Leiter Peter Linz. Vielfältige Fruchtfolgen mit Ruhepha-sen sichern einen schonen-den Umgang und verhin-dern, dass der Boden aus-laugt. Dabei wird auf den Anbau des „Humuskillers“

Mais verzichtet. Stattdessen werden Luzerne und Klee als tiefwurzelnde Pflanzen angebaut, die in der Lage sind, Nährstoffe und Was-ser von unten anzuzapfen. „Trotz der Trockenheit in diesem Jahr, hatten wir ei-ne gute Ernte“, freut sich Peter Linz. Das Futter für die Tiere baut der Hof selbst an. Dies ist deutlich nachhalti-ger, als Futter von einer an-deren Region her zu trans-portieren.

Faktor „Treibhausemissionen“: Ein Wiederkäuer „rülpst“ Methan, dies lässt sich nicht verhindern. Doch der Antonius-Hof verzichtet auf die Güllewirtschaft und Düngung, bei der Stickstoff und Phosphat freigesetzt werden. Dafür wird der Kot der Tiere mit 5 bis 7 Kilo Stroh täglich gebunden und anschließend Basaltmehl zugesetzt, damit Gase ge-bunden werden und nicht zusätzlich ein Treibhausef-fekt verursacht wird.

Faktor „Tiergerechtigkeit“:

„Uns geht es darum, dass die Tiere gesund bleiben“, erläutert Linz. Während in der konventionellen Milch-viehhaltung eine Hochleis-tungskuh bis zu 12000 Li-ter im Jahr produziert, gibt man sich auf dem Antoni-us-Hof mit knapp der Hälf-te zufrieden. „Es ist verlo-ckend, mehr zu produzie-ren – schließlich müssen Stallkosten, Personal und das teure Futter bezahlt wer-den. Doch auch durch die Diskussion mit den Studie-renden haben wir uns ent-schlossen, die Produktion nicht zu steigern.“ Zur Tier-gerechtigkeit gehört auch die Tierhaltung und Fütte-rung: Die Kühe haben auf dem Antonius-Hof einen Stall, in dem sie herumlau-fen können und Liegebo-xen. Von Mai bis Dezember haben sie Auslauf auf der Weide.

Faktor „wirtschaftliche Resi-lienz“ (= Widerstandsfähigkeit): Wie sieht es mit der nach-haltigen Wirtschaftlichkeit

aus? Wie tragfähig ist ein Betrieb? Welche Produktdi-versifizierungen gibt es? „Unsere Bioprodukte sind gut nachgefragt“, betont Linz. Überproduktionen an Milch, die der Betrieb er-zeugt, gehen an die Molke-reien. Wirtschaftlich hat

die Studierenden-Gruppe dem Antonius-Hof empfoh-len, weitere Produktdiversi-fizierungen (Joghurt, Quark, Käse) und die Er-schließung weiterer Kun-denkreise zu erwägen. Au-ßerdem produziert der Hof neben Milch auch andere

Lebensmittel wie Getreide, Kartoffeln, Fleisch, hat also mehrere wirtschaftliche „Standbeine“.

Faktor „Sozialverträglichkeit“: Wie geht der Betrieb mit sei-nen Mitarbeitern um? Wie sieht sein soziales Engage-ment aus? So beschäftigt der Antonius-Hof rund 60 Menschen mit einem Han-dicap, bildet junge Men-schen aus und bietet Plätze für Schnupperpraktika und Freiwilliges Soziales Jahr. Weiterhin informiert der Betrieb die Öffentlichkeit regelmäßig durch Veran-staltungen, Führungen usw. über seine Wirtschaftswei-se. Die „soziale Landwirt-schaft“ sieht Hofleiter Peter Linz als Thema der Zukunft an. „Wir können nicht nur über den Verfall des Milch-preises jammern. Wir brau-chen auch neue Konzepte“, betont er. Wie etwa Bauern-hofcafés oder Direktver-marktungen oder Projekte für Kinder, Jugendliche und Senioren.

FULDA. Der Begriff Nachhaltig-keit wird oft bemüht. Doch auf welche Kriterien kommt es tat-sächlich an? Eine Gruppe von Studierenden aus dem Master-studiengang „International Food Business and Consumer Studies“ an der Hochschule Fulda unter der Leitung von Prof. Dr. Fried-rich-Karl Lücke hat am Beispiel der Milchwirtschaft des Bioland-betriebs Antonius-Hof harte Kri-terien erarbeitet.

Studierende des Fachbereichs Oecotrophologie haben mit dem Antonius-Hof fünf Kennzahlen zur Messung von Nachhaltigkeit entwickelt Harte Kriterien für schonenden Umgang mit Ressourcen

Wenn sich alle vegan ernähren würden, wäre das wenig nachhaltig. Aber auch ein zu hoher Fleischkonsum ist global nicht sinnvoll. Fotos: Fotolia

„Sozialverträglichkeit“ ist ein Faktor für Nachhaltigkeit: Auf dem Anto-nius-Hof gibt es Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap. Foto: privat

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