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© Gerd Bohner 2001 II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (2): Der Mensch als...

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© Gerd Bohner 2001 II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (2): Der Mensch als "intuitiver Wissenschaftler": Attributionstheorien 1.Attribution: Mensch als Wissenschaftler 2.Drei klassische Ansätze • Heider • Jones & Davis • Kelley 3.Kritik und Weiterentwicklungen 4.Anwendungen
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II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (2): Der Mensch als "intuitiver Wissenschaftler":

Attributionstheorien

1. Attribution: Mensch als Wissenschaftler

2. Drei klassische Ansätze• Heider

• Jones & Davis

• Kelley

3. Kritik und Weiterentwicklungen

4. Anwendungen

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1. Attribution: Mensch als Wissenschaftler

• Leitbild: Mensch als rationales Wesen; Denken dient der Erkenntnis der Wahrheit -- bezogen auf das Selbst und die externe (soziale) Realität

• Wie?

• Durch Finden der Ursachen von Ereignissen und Verhalten

--- Mensch als "intuitiver Wissenschaftler"

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• Wie schließt man vom beobachteten Verhalten auf die dahinter liegenden Ursachen?

Aussagen hierüber machen die Attributionstheorien

Definition: Attribution = Ursachenzuschreibung

Funktionen: verstehen, vorhersagen, kontrollieren

Auftreten: bei wichtigen (z.B. emotionsauslösenden), negativen bzw. unvorhergesehenen Ereignissen und Verhaltensweisen

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2. Drei klassische Ansätze

Heider (1958): The psychology of interpersonal relations• "naive Psychologie": Einsichten des Laien, Psychologie

des "gesunden Menschenverstandes"

• bevorzugte Ursachen: stabil und überdauernd; Rückführung von Verhalten auf "dispositional properties"

• V = f (P, U)

• Heiders Theorie v.a. von programmatischer Bedeutung, nie systematisiert

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Jones & Davis (1965): Theorie der korrespondierenden Schlussfolgerungen

• Zwei Stufen:1. Zuschreibung von Intention (Wissen, Fähigkeit,

Wahlfreiheit)

2. Zuschreibung einer Disposition (eigtl. Gegenstand der Theorie).

• Im 2. Schritt sind 2 Faktoren bestimmend:a) Anzahl der distinktiven Merkmale ("noncommon

effects")

b) Soziale Erwünschtheit "social desirability"

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• Beispiel: Warum wählt O den Studienort B?

Kriterium der distinktiven Merkmale:

Fall I:

Studienort A: nah, Großstadt, alte Universität

Studienort B: nah, Großstadt, alte Universität

Fall II:

Studienort A: nah, Großstadt, alte Universität

Studienort B: weit, Kleinstadt, moderne Uni

Fall III:

Studienort A: nah, Großstadt, alte Universität

Studienort B: nah, Großstadt, moderne Uni

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Kriterium der sozialen Erwünschtheit:

Fall I:

O's Eltern, Freunde und Bekannte empfehlen Studienort B.

Fall II:

O's Eltern, Freunde und Bekannte empfehlen Studienort A.

• Fazit: – Nichtübereinstimmende Konsequenzen (je weniger,

desto besser) erlauben dispositionale Attribution.

– Sozial unerwünschte Handlungen erlauben dispositionale Attribution.

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• Empirische Befunde stützen die Theorie (z.B. Jones, Davis & Gergen, 1961; Jones & Harris, 1967)

• Aber: Selbst wenn keine Entscheidungsfreiheit vorliegt, wird von Verhalten auf Dispositionen geschlossen (L.Ross: "fundamental attribution error"; Ross, Amabile & Steinmetz, 1977)

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Erschlossene Einstellung

Pro-Castro Anti-Castro

Verfasser hat keine WahlVerfasser hat freie Entscheidung

Daten aus Jones & Harris (1967)

pro

anti

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Kelley (1973): Kovariationsmodell

• Kovariation als notwendige Bedingung für Kausalität: Ursache und Wirkung müssen zusammen auftreten.

• Wenn Experiment unmöglich, verwendet auch die Wissenschaft beobachtete Kovariation als Grundlage für Urteile über Kausalbeziehungen.

• Kelley: Individuum als "naiver Wissenschaftler" verhält sich ebenso.

• Drei Arten von Information bestimmen das Urteil:

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• Drei Arten von Information bestimmen das Urteil:

– Konsensus: Reagieren andere Personen in dieser Situation in gleicher Weise?

– Konsistenz: Reagiert P auf dieses Objekt bei anderen Gelegenheiten in gleicher Weise?

– Distinktheit: Reagiert P auf andere, unterschiedliche Objekte in gleicher Weise?

• "ANOVA-Modell"

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Attribution nach Kelley

Konsensus Distinktheit Konsistenz Person - - + Entität + + + Umstände - + -

Kelley (1973): Konfigurationsmodell•Bei einmaliger Beobachtung•Kausalschemata•Schema multipler hinreichender Ursachen:

–Abwertungsprinzip ("discounting principle")

–Aufwertungsprinzip ("augmentation principle")

Vergleich: Kovariationsmodell ist "datengetrieben",Konfigurationsmodell "theoriegeleitet".

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3. Kritik und Weiterentwicklungen

Einige Annahmen und kritische Einwände dazu:

• Sukzessive Abspeicherung und Entdeckung von Kovariation. Aber: Kovariationsurteile z.T. von Augenfälligkeit bestimmt (Hamilton & Gifford, 1976; Taylor & Fiske, 1975).

• Verschiedene Informationen gehen mit gleichem Gewicht in das Urteil ein. Aber: Konsensus-information erhält geringeres Gewicht; dispositionale Ursachen werden überschätzt (Ross et al., 1977).

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• Kein Unterschied zwischen Fremd- und Selbst-wahrnehmung. Aber: Handelnde sehen Ursachen eher in Situation, Beobachter eher in handelnder Person.– Schlüsseluntersuchung: Storms (1973)

• Attribution als rationaler Prozess: keine motivationalen Verzerrungen. Aber: Selbstwertdienliche Verzerrungen, v.a. bei Attributionen für Erfolg und Misserfolg (z.B. Miller & Ross, 1975).

• Attribution als datengetriebener Prozess: Die Daten bestimmen das Ergebnis. Aber: Kommunikations-kontext ist bedeutsam. Nur was von der Norm abweicht, gilt als "gute" Erklärung (Hilton & Slugoski, 1986).

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Gründe für Akteur-Beobachter-Unterschiede

• Unterschiedliche Informationen

• Unterschiedliche Perspektiven

• Selbstwertschutz

• Kontrollmotivation (bei Erwartung späterer Interaktion)

4. AnwendungenAttributionale Theorie der Motivation und Emotion (Weiner, 1986)

–Ereignis (z.B. Prüfungsversagen) ergebnisabhängige Gefühle Kausalattribution attributionsabhängige Gefühle Verortung auf Attributionsdimensionen dimensionsabhängige Gefühle, Erwartung und Verhalten (z.B. Prüferwechsel)

–Anwendung im pädagogischen Bereich

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Attributionsdimensionen und ihre Folgen nach Weiner

• Lokation: selbst (Stolz, Scham),

andere (Dankbarkeit, Ärger),

Zufall (Überraschung)

• Stabilität: Zuversicht, Hoffnungslosigkeit

• Kontrollierbarkeit: Ärger, Mitleid, Sympathie

•Theorie der erlernten Hilflosigkeit (Abramson, Seligman & Teasdale, 1978)

–individuelle Unterschiede im Attributionsstil

–stabile, internale, globale Attribution negativer selbstrelevanter Ereignisse als dispositionaler Bedingungsfaktor für Depression

–Anwendung in der kognitiven Therapie

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Fazit• Mensch als intuitiver Wissenschaftler problematisch,

was das Ergebnis angeht (Verzerrungen, "biases").

• Deshalb jedoch noch keine Abkehr vom rationalen Menschenbild; Ziel Fähigkeit.

• Entscheidungen oft unter suboptimalen Bedingungen

• Attributionstheorien eher normative Modelle als Theorien mentaler Prozesse

• Enormer Einfluss auf die Forschung, insbesondere in Reaktion auf diese Modelle

Urteilsheuristiken Social Cognition


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