Wildnis in Mitteleuropa · Wildnis in Mitteleuropa Fakten, Argumente und Perspektiven Tagung...

Post on 17-Sep-2018

215 views 0 download

transcript

Wildnis in Mitteleuropa Fakten, Argumente und Perspektiven Tagung 12.-14. März / 2018 / Kassel

Biodiversität fördern mit Wilden Weiden in der NBS-Wildnis Vision Rainer Luick & Nicolas Schoof

Wildnis in Mitteleuropa Fakten, Argumente und Perspektiven Tagung 12.-14. März / 2018 / Kassel

Rainer Luick & Nicolas Schoof

Oder Warum wird Wildnis in Deutschland überwiegend ohne (wilde) Tiere gedacht und umgesetzt?

MoorWiedervernässung und großflächige extensive Weide mit Robustrinderrassen im Pfrunger-Burgweiler Ried BW

Problemlage: Dramatischer qualitativer und

vor allem quantitativer Artenverlust im Offenland.

Prioritäres Ziel: Erhaltung der heimischen Biodiversität!

Massiver Artenschwund auch in Schutzgebieten.

B Konkrete Visionen

B1.3.1 Wildnisgebiete

Bis zum Jahre 2020 kann sich die Natur auf mindestens 2 % der Landesfläche Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetz- mäßigkeiten entwickeln.

Standortsbedingungen (Klima, Wasser, Boden)

Faktoren, die Wildnis bedingen

Evolutive Geschichte (Biodiversität) Störungen (Art, Quantität und Frequenz) Biozönosen mit Herbivoren & Prädatoren

Wie unsere ursprüngliche Wildnis vielleicht wirklich ausgesehen hat und welche Akteure sie gestaltet /

Prozesse ausgelöst haben

Wie unsere ursprüngliche Wildnis vielleicht wirklich ausgesehen hat und welche Akteure sie gestaltet /

Prozesse ausgelöst haben

Dichte Wald-landschaften?

Oder hat es vor 7.000 Jahren vielleicht eher so am Westlichen Bodensee ausgesehen?

https://downtoearthmagazine.nl/rewilding-wilde-puzzel-moeras-duin-rivier-zee/

Nüchterne Bilanz: Auch in Kultur-landschafts-Schutzgebieten mit langjährig “bestem“ Management geht die Biodiversität zurück

https://www.planet-wissen.de/natur/wildtiere/wildtiere_in_deutschland/pwiederbiber100.html

https://naturfotografen-forum.de/o389220-Seeadler%20beim%20Fischfang

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lynx_lynx_2_(Martin_Mecnarowski).jpg

https://naturfotografen-forum.de/o859093-Seltene%20Begegnung...%2C%20Uhu%20%28ND%29

http://www.wald.de/rotwild-der-hirsch/

http://helpvetsgofishing.com/visit-our-outdoorwarrioradventure-org-site-for-upcoming-hunts-and-fishing-trips-06122017/

https://de.wikipedia.org/wiki/Wisent#/media/File:%D0%A1118.jpg

https://dogwriter.de/2014/nackter-mann-rettet-seine-huendin-vor-einem-wolf/

https://www.welt.de/wirtschaft/energie/article145280864/Energiewende-toetet-Deutschlands-heimliches-Wappentier.html

Eine Auswahl

Nüchterne Bilanz: Auch in Kultur-landschafts-Schutzgebieten mit langjährig “bestem“ Management geht die Biodiversität zurück

Weidetiere sind ein zentrales Element von natürlichen Ökosystemen. Weidetiere induzieren vielfältige Prozesse / Störungen auf unter- schiedlichen Raumebenen (Makro-, Meso- und Mikroskala), davon profitieren (sind abhängig) zahllose Biozönosen / Arten.

Strukturierung von Lebensräumen (z.B. durch Verbiss oder mechanische Wirkungen wie Tritt und Verdrängung)

https://de.wikipedia.org/wiki/Wisent#/media/File:%D0%A1118.jpg

Lassen Mikrohabitate entstehen (z.B. Suhlen, trocken mit offenem Boden oder auch temporäre Kleingewässer durch Verdichtung)

Strukturierung von Lebensräumen (z.B. durch Verbiss oder mechanische Wirkungen wie Tritt und Verdrängung)

https://de.wikipedia.org/wiki/Wisent#/media/File:%D0%A1118.jpg

Bild Hans Kampf

Weidetierkörper als Vektor (z.B. für Diasporen, Insekten, larvale Stadien und das sowohl extern / Fell als auch über die Verdauung)

Dung als Lebensraum (z.B. hochspezialisierte Destruentenzönosen und davon abhängige Organismen wie Weidevögel)

Aas als Ressource (z.B. wichtig für Prädatoren und für hochspezialisierte Destruentenzönosen)

https://de.wikipedia.org/wiki/Wisent#/media/File:%D0%A1118.jpg

Beispiele für Diasporen von Wildpflanzen: Viele Formen sind evolutiv für das Tiertaxi geschaffen RL-Arten korrelieren mit Vektor Zoochorie Ozinga, W.A., C. Römermann, R.M. Bekker, A. Prinzing, W.L. Tamis, J.H. Schaminée, S.M. Hennekens, K. Thompson, P. Poschlod, and M. Kleyer. 2009. Dispersal Failure Contributes to Plant Losses in NW Europe. Ecology Letters 12, no. 1: 66–74. Bild: G. Koch / Botanische Bildtafeln

Mistkäfer / Pillendreher gehören zur Familie der Scarabaeidae (Blatthorn-käfer) mit weltweit ca. 27.000 bekannten Arten in 1.600 Gattungen

In D sind ca. 110 Käferarten auf den Dung großer Pflanzenfresser angewiesen

https://deutsch.rt.com/newsticker/60615-modifizierter-mistkafer-genforscher-kreieren-erste/

Schlüsselfaktor Kadaver / Aas von (Weide)Tieren

Schlüsselfaktor Kadaver / Aas von (Weide)Tieren

Sind nach aktueller Gesetzeslage sofort zu entfernen und zu entsorgen!

Ein hoher Anteil unserer Vielfalt korreliert mit Nekrozönosen, die in unseren Kulturlandschaften – und auch in den Wäldern – fast vollständig fehlen.

SITUATION

Nur noch wenige MH sind überhaupt noch im evolutiven Katalog; die Mehrzahl wurde ausgerottet. Einige Arten wie das Rotwild werden atypisch und geographisch limitiert “gehalten“. Andere Arten, wie der Bieber, werden schon wieder als Plage angesehen. Einwandernde Arten, wie Wisent oder Elch überleben nur wenige Stunden auf deutschem Hoheitsgebiet.

SITUATION

ABER und die CHANCE:

Derartige Prozesse (Störungen) werden auch von Nutztieren, bei großflächiger und extensiver Haltung, ausgelöst und gestaltet

B. R. LAURENCE (1954): The larval inhabitants of cow pats.- Journal of Animal Ecology (ed. British Ecological Society) Vol 23 (2), pp. 234-260.

“Die larvalen Bewohner

von Kuhfladen“

Copromyza

Limosina

Copromyza

Trochocera

Sepsidae Scatophaga

Psachoda

Ergebnisse: Jahreszeitlich unterschiedliche Arten und Abundanzen (∑ 18.860 Individuen) 1 Kuh produziert ca. 2 t Dung (Trockenmasse) pro Jahr Daraus entstehen bei Weide- haltung 100 bis 150 kg Insektenbiomasse pro Kuh Daraus entstehen wiederum 10 kg Wirbeltierbiomasse

12 Monate die Fladen einer Kuh untersucht

Positionen zur

Wildnis

WILDNIS / Begriffsdefinition BfN (2014) “Wildnisgebiete im Sinne der NBS sind ausreichend große, (weitgehend) unzer- schnittene, nutzungsfreie Gebiete, die dazu dienen, einen vom Menschen unbeein- flussten Ablauf natürlicher Prozesse dauerhaft zu gewährleisten.“

Natürliche Prozesse in Wildnisgebieten sind sind ergebnisoffen.

https://wildnisindeutschland.de/gebiete/

https://wildnisindeutschland.de/gebiete/

Warum Prozesse über (Weide) Tiere in Nationalparken in D ein TABU sind?

Warum es in anderen Wildnisgebieten so schwierig / bis unmöglich ist, (Weide) Tiere in ein Prozess- Management zu integrieren?

Wir haben in Deutschland (in der EU) ein dogmatisches, normatives und daher auch weitgehend statisches und kritikunfähiges Verständnis davon, was wir als “Natur“ und auch was wir als “Wildnis“ bezeichnen und auch welche Erwartungen wir mit diesen Projektionen verbinden.

Schöne Ziele, aber

Das Konstrukt Buchen-Tannen-(Fichten)-Wald Abieti-Fagetum / Koch 1926, Luquet 1926

Belchen / Südschwarzwald

Die Normen des (Deutschen) Naturschutzes

Entwicklung Optimal Differenzierung Zerfall

SCHERZINGER 1996

Lebenszyklus eines Buchen-Tannen-Urwaldes

Im Laufe der mehrhundertjährigen Lebenszeit eines Urwaldes ändert sich die Biodiversität markant: Sowohl extrem artenarme (Brandfläche, homogene Entwicklungsphasen / “Stangenholz“), als auch besonders artenreiche Phasen (Katastrophenflächen, Zerfallsphase, Zusammenbruch) sind einem natürlichen (Wald-) Ökosystem inhärent.

20% 20% 30% 30%

600 Jahre

Entwicklung Optimal Differenzierung Zerfall

SCHERZINGER 1996

Dieser Zustand ist Norm (LRT) und Benchmark des

Naturschutzes Im Laufe der mehrhundertjährigen Lebenszeit eines Urwaldes ändert sich die Biodiversität markant: Sowohl extrem artenarme (Brandfläche, homogene Entwicklungsphasen / “Stangenholz“), als auch besonders artenreiche Phasen (Katastrophenflächen, Zerfallsphase, Zusammenbruch) sind einem natürlichen (Wald-) Ökosystem inhärent.

20% Abieti-Fagetum / Koch 1926, Luquet 1926

70 - 80% Was wir nicht

erleben und was nicht in der

“Norm“ abgebildet ist

SCHERZINGER 1996

480 Jahre

Entwicklung Optimal Differenzierung Zerfall

Im Laufe der mehrhundertjährigen Lebenszeit eines Urwaldes ändert sich die Biodiversität markant: Sowohl extrem artenarme (Brandfläche, homogene Entwicklungsphasen / “Stangenholz“), als auch besonders artenreiche Phasen (Katastrophenflächen, Zerfallsphase, Zusammenbruch) sind einem natürlichen (Wald-) Ökosystem inhärent.

Das Eurosibirische Kulturgrasland (Molinio-Arrhenatheretea, Tx. 1937 em. Tx. et Prsg. 1951)

5000 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 500 1000 1500 2000

Eine kurze Agrargeschichte oder das Dogma der Wiesen im Naturschutz

Die LRTs “Flachland- und Bergmähwiesen“ sind Produkte von Agrarsystemen / Nutzungspraktiken, die es bei uns seit etwa Mitte des 19. Jh. großflächig gibt; davor wurde Grünland über Jahrtausende im wesentlich durch Weide genutzt. Die “Norm“, wie diese LRTs (Wiesen) aussehen müssen, wurde in den 1940er und 1950er Jahren festgelegt.

1800 1850 1900 1950 2000

WIESE WEIDE

Normierung

http://www.unser-vilstal.de/0dateien/2013-11-05_landleben_05_03_ca-_1935_heuernte_adldorf_slg-_jahrstorfer_k.jpg

Heuernte in Süddeutschland 1935 - teilweise unverändert bis in die 1950er Jahre

Festlegung der “Norm“ der heutigen FFH-LRTs

Das Eurosibirische Kulturgrasland (Molinio-Arrhenatheretea, Tx. 1937 em. Tx. et Prsg. 1951)

.

Prozesse / Störungen Totholzakkumulation Stürme / Windwurf Fließgewässerdynamik / Überschwemmungen / Vernässungen Waldbrand Erdbewegungen i.w.S Insektenkalamitäten Neophyten / Neozoen Prädatoren Herbivore

Stochastische Gestaltungsfaktoren, die für Vielfalt, Vergehen und Erneuerung in natürlichen Ökosystemen verantwortlich sind (Wildnis erzeugen)

.

Prozesse / Störungen

Zustimmung

Neutral

Ablehnung (Nicht-beachtung)

Totholzakkumulation

Stürme / Windwurf ()

Fließgewässerdynamik / Überschwemmungen / Vernässungen

()

Waldbrand

Erdbewegungen i.w.S

Insektenkalamitäten ()

Neophyten / Neozoen

Prädatoren ()

Herbivore

In deutschen Nationalparken

Viel Raum für Visionen

Was dann entstehen kann

Oranienbaumer Heide

Könnte, wenn nicht

Anzahl und Fläche der 32 ganz oder teilweise von Pflege bzw. Nutzung abhängigen LRTs in

Deutschland in Abhängigkeit von ihrer Weideeignung

viele Potential-gebiete für Wildnisent-wicklung sind von nur bedingt oder als nicht weidetauglich charakterisierten LRTs geprägt

.

Wilde Weiden Probleme Flächenrestriktionen Mind. 200 (500) ha, Zäunungen

Zielkonflikte u.a. LRT Konformität, die keine Prozesse , sondern statische

Normerfüllung fordert

Cross Compliance Anforderungen

u.a. Ohrmarken, Blutuntersuchungen

Hygiene, Gesundheit Behandlungen, Selektion, gezielte Tötungen

Kadaver Müssen entfernt werden

Dynamik Brutto-Netto-Flächenproblematik, “Die was sind Futterpflanzen

Diskussion“

Prädatoren Werden, wenn ökonomische Ziele verfolgt werden (Züchtung, Fleisch)

nur bedingt / nicht toleriert

Multi-Spezies-Systeme Ökologisch erwünscht, aber mit praktischen Problemen

.

Prozesse / Störungen Totholzakkumulation Stürme / Windwurf Fließgewässerdynamik / Überschwemmungen / Vernässungen Waldbrand Lawinen Erdbewegungen i.w.S Insektenkalamitäten Neophyten / Neozoen Prädatoren Herbivore

Kann man objektiv (noch) von einer Vision Wildnis sprechen, wenn nur wenige Prozesse / Störungen erlaubt sind / werden können?

Oder ist unser Wildnisansatz nicht eher ein Traumgebilde und in der Realität eine Spielvariante einer weiteren “Normkulisse“ des deutschen Naturschutzes?

Gedanken zum deutschen Wildnis-konzept -I

.

Prozesse / Störungen Totholzakkumulation Stürme / Windwurf Fließgewässerdynamik / Überschwemmungen / Vernässungen Waldbrand Lawinen Erdbewegungen i.w.S Insektenkalamitäten Neophyten / Neozoen Prädatoren Herbivore

Die Akzeptanz und die ökosystemar wünschens- Werten positiven Wirkungen von Wildnis-inhärenten Störungen mit Megaherbi- voren erfordern ent- sprechend große Flächen.

Aufgrund gegebener / ungünstiger Rahmenbeding- ungen (Akzeptanz für viele Störungen / z.B. Prädatoren) gibt es Restriktionen und Notwendigkeiten für Management.

Gedanken zum deutschen Wildnis-konzept -II

Take-Home-Message

Take-Home-Message Der Schutz unserer Vielfalt ist ohne Zönosen

mit Herbivoren / Prädatoren nicht möglich. Was wir haben, entwickeln und gestalten sind Gebiete mit partiellen Wildnis- inhärenten Prozessen mit wenigen Störungen. In diesem Sinne, wären auch Herbivore (natürliche, einwandernde, extensiv gehalten) mit ihren enormen Potentialen zur Initiierung von Prozessen - auch mit dem dazugehörigen Management – im Grunde zwingend erforderlich.

Vielen Dank für das Interesse