von Walter Hämmerle Jörg Haider, Traditionalist · Haider ein genuines Produkt der Republik ist....

Post on 10-Aug-2019

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In der Nacht auf den 11. Oktobervor zehn Jahren starb Jörg Haider.Rund um diesen Anlass über-schlugen sich die Analysen zuLeben und Wirken von Öster-reichs wohl bekanntestem Politi-ker nach 1945. Neues erbrachtedas nicht wirklich, zu sehr blie-ben alle Beteiligten ihrer eigenenBiografie treu, die sie entwederzu Anhängern oder Gegnern derHaiderschen Projektionsflächemachte. In dieserPerspektive bleibtHaider für mancheein genialer, fürandere ein dämoni-scher, stets aberirrlichternderSolitär am heimi-schen Politikfirma-ment. Das alles istnicht falsch, viel zukurz kommt dabeijedoch der Blick aufden Umstand, dassHaider ein genuines Produkt derRepublik ist. Diese Auslassung istnicht zuletzt angesichts desZusammenfalls von Haiders 10.Todestag und dem 100. Geburts-tag der Republik bemerkenswert.So hat Haider die extreme Polari-sierung nicht neu nach Österreichgebracht, er hat lediglich an dieTraditionen der beiden Großpar-teien angeknüpft und diese neuverpackt. ÖVP und SPÖ haben bisin die 1960er Jahre hinein ihreAnhänger mit reinster Gräuelpro-paganda über den Klassenfeindan die Wahlurnen getrieben,deren Schärfe und Polemik inWort und Bild noch heute über-rascht.Die Erzählung von der Konsens-demokratie stimmt nämlich nurdann, wenn diese robuste Formder Basismobilisierung übersehen

wird. Angesichts einer fast130-jährigen Parteiengeschichteist auch die Frage zulässig, obnicht die rot-schwarze Doppel-Re-publik nach 1945 als Ausnahmevon der Regel betrachtet werdenmuss. Und die dank Haidereingeleitete Neuetablierung einesDrei-Parteien-Systems die Rück-kehr zu einer österreichischenTradition Plus bedeutet, die Raumfür Neues wie Grüne und Neos

bietet.Damit zwingendverbunden ist auchdie Wiederkehreines unablässigenBemühens allerParteien um Block-bildung mit demZiel, stabile Mehr-heitskonstellationenzu begründen. Daswar vor und nachdem Ersten Welt-krieg die parlamen-

tarische Praxis. Nach 1945 war eskein Geringerer als Bruno Kreis-ky, der dieses strategische Mittelzugunsten der SPÖ mit Verveverfolgte – ausgerechnet mit derPrä-Haider-FPÖ von FriedrichPeter und Norbert Steger. Haiderwar dann einfach selbstbewusstgenug zu versuchen, das Spielumzudrehen und als potenziellerJuniorpartner beide Großparteiengegeneinander auszuspielen.Die Post-Kreisky-SPÖ antwortetedarauf mit der Tabuisierung derFPÖ, was ihr bis 2000 die Kanz-lerschaft sicherte. Seitdem ist dieFPÖ zurück im Wettbewerb umMehrheiten, dabei jedoch offen inalle Richtungen. Aber auch daswar keine Erfindung Haiders,sondern ein wohlbekannterMechanismus aus den früherenTagen der Republik.

Jörg Haider, Traditionalist

leitartikel@wienerzeitung.at

Leitartikelvon Walter Hämmerle

Beim Rückblickauf Jörg Haiderkommt zu kurz,wie perfekt er indie Traditionender Republik

passt.

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„Der Export dümpelt vor sichhin. Und das dicke Ende kommtwohl erst noch.“DIHK-Außenwirtschaftschef Volker

Treier mit Blick auf den Zollstreitzwischen den USA und China

„Der Investitionsbedarf fürInfrastruktur in der Regionist gewaltig.“

Zsuzsanna Hargitai, für denWestbalkan zuständigeRegionaldirektorin der

Entwicklungsbank EBRD

„Im Grunde hat die EuropäischeKommission überhaupt nichtsgegen chinesisches Kapital.Kapital bewegt sich frei, undKapital für Infrastruktur istwillkommen. Aber Projekte, dieChina gerade in Griechenland,aber vor allem auch in den

ex-jugoslawischen Staatengemacht hat, haben gezeigt, dassdie regionale Wertschöpfungfehlt.“Johann Sollgruber, Berater der EU

in Handelsfragen

„Sie haben zum Beispiel eineDonaubrücke in Belgrad gebaut,aber die Ingenieure kommenaus China, der Stahl und derBeton und auch die Fachkräftekommen aus China. Nach zweiJahren wird das übergeben, unddie Stadt Belgrad und Serbienzahlen dann die nächsten40 Jahre 5 Prozent Zinsen an diechinesische Entwicklungsbank.“

Derselbe

„Es schaudert mich, wenn ichsehe, dass Hitlergruß undHassparolen sich wieder auf

unseren Straßen breitmachenund geistige BrandstifterMenschen anderer Herkunftund anderen Glaubens ihreMenschenwürde absprechen.Gemeinsam müssen wir unsereFreiheit und unsere offeneGesellschaft verteidigen.“

Deutschlands AußenministerHeiko Maas

„Wir werden persönliche Treffenniemals ersetzen, und wir planenauch nicht, das zu tun.“

Andrew Bosworth, Vizepräsidentbei Facebook für Virtuelle und

Erweiterte Realität

„Wir waren gerade dabei, unsereHochzeit zu planen, aber dannkam der Nobelpreis.“Friedensnobelpreisträgerin Nadia

Murad verschiebt nun die Feier

Zitate zum Tag

MEINUNG Mittwoch, 10. Oktober 20182

Die Gründungsideen und großenLeitlinien der jetzigen EuropäischenUnion wie Friedenssicherung undSolidarität sind von ihrer Bedeutungaktuell wie eh und je, ebenso wie dieRömischen Verträge von 1957. Darinwird die Notwendigkeit festgehalten,„die Volkswirtschaften zu einigenund deren harmonische Entwick-lung zu fördern, indem sie denAbstand zwischen einzelnen Gebie-ten und den Rückstand zwischeneinigen weniger begünstigtenGebieten verringern“. Mittels Kohä-sionspolitik und Transferleistungenin wirtschaftlich benachteiligteRegionen wird versucht, Rückständezu kompensieren und Entwicklungzu gestalten.Eine Politik des Ausgleichs stehtjedoch auch immer mehr einereuropäischen wettbewerbsorientier-

ten Politik gegenüber, die Städte alsKnoten der Weltwirtschaft sieht.Auch die Solidarität zwischen denMitgliedstaaten wird mitunterschwer geprüft. Ländliche Regionenhaben es in diesen Widersprüchennicht immer leicht.Österreich ist ein geschätzter Part-ner innerhalb der EU. Es hat traditio-nell viele Kompetenzen im Bereichder ländlichen Entwicklung und derRegionalentwicklung im Speziellen.Österreich zeichnet sich durch eingutes Kooperationsklima sehr vielerAkteure aus. Bund, Länder, Gemein-den, die Wirtschaft, intermediäreDienstleister und Private wirken hierzusammen – um nur einige zunennen. Dieses Prinzip einer Gover-nance-Steuerung bringt es auch mitsich, dass die Mittelausschöpfung inder Vergangenheit auch immer gutgepasst hat und inhaltlich einzelneProjekte auch immer wieder als

regionale Innovationsverstärkerpunkten konnten.Jetzt kommt das große Aber: Dieerrungenen Erfolge einer europäi-schen Regionalpolitik werdenzunehmend durch deren Bürokrati-sierung konterkariert. Gestaltungsteht permanent zunehmenderVerwaltung gegenüber, der Aufwandwiederum dem Nutzen. Die Reform-agenda wird durch neue Zusatz-anforderungen in der laufendenPeriode neutralisiert, „Simplificati-on“ beziehungsweise „Vereinfa-chung“ zum wachsenden Unwort fürein Europa 2020. Allein in Öster-reich können sechs Prüfebenen zurAnwendung kommen, der Mehrwertder EU-Projekte wird durch derenAbwicklungskomplexität zuneh-mend in Frage gestellt.Auch sind immer weniger potenziel-le Begünstigte in der Lage, dieAnforderungen zur Projektdurchfüh-

rung zu erfüllen. Jede BrüsselerNovellierung bedingt eine Kaska-dierung, die innerhalb Österreichsnoch weiter ausdifferenziert wird.Nicht nur die Leistungsfähigkeit derBehörden stößt schön langsam anihre Grenzen, auch die Proportiona-lität von ausgezeichneten leitendenGrundgedanken der EU zu ihrerunmittelbaren Umsetzung gerät inSchieflage.Diese Gedanken verstehen sichsomit nicht als Kritik an der EU imAllgemeinen, sondern als spezifi-scher Appell, Prozesse in einerSolidargemeinschaft so gestaltbar zumachen, dass der Mehrwert auch inder Bevölkerung verstanden werdenkann sowie Begünstigte ihre Projek-te auch abrufen können. Mehr Mut(Innovation) und mehr Vertrauensollten daher zukünftig einemWeniger an Bürokratie und Kontrollegegenüberstehen.

Gastkommentar

Die EU-Regionalpolitik braucht mehr Mut und mehr VertrauenDie Halbzeit der laufenden EU-Strukturfondsperiode von 2014 bis 2020 ist abgelaufen – welche Herausforderungen bringt die Periode ab 2020?

Von Martin Heintel

gastkommentar@wienerzeitung.at

Martin Heintel ist Profes-sor am Institut für Geo-graphie und Regionalfor-schung der UniversitätWien. Seine Arbeits-schwerpunkte liegen imBereich der Stadt- undRegionalentwicklung(Buchtipp: „Grenzen –Theoretische, konzeptio-nelle und praxisbezogeneFragestellungen zu Gren-zen und deren Über-schreitungen“).

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