Post on 04-Jan-2017
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Otto Pollmann Der erfolgreichste U-Boot-Jäger des II. Weltkrieges
Wasserbomben! Trauma und Schreckgespenst aller U-Boot-Fahrer aus zwei Weltkriegen. Die Sprengkugeln mit ihrer gewaltigen Vernichtungskraft wurden von Zerstörern und anderen Begleitfahrzeugen großer Geleitzüge geworfen, vor allem aber von speziell für die U-Boot-Jagd ausgerüsteten Booten. Bei Nahdetonationen gab es für die Männer in den Stahlröhren der „Grauen Wölfe" kaum noch eine Chance, und viele der rund 27000 auf See gebliebenen deutschen U-Boot-Fahrer fanden bei solchen Angriffen ebenso einen furchtbaren Tod wie ihre Leidensgefährten in feindlichen Unterseebooten, die von deutschen Wasserbomben zerfetzt wurden.
Zwei Seeoffiziere waren zwischen 1941 und 1945 auf diesem Kampfsektor zum Alptraum für ihre potentiellen Opfer geworden: Captain Frederic John Walker, As unter den „U-Boot-Killern" der britischen Royal Navy, und Oberleutnant Otto Pollmann, der erfolgreichste U-Boot-Jäger des II. Weltkriegs. Beider Taktik war bei den oft tagelang währenden Verfolgungsfahrten in etwa die gleiche. Und auch an Bord von Pollmanns U-Jägern saßen Spezialisten vor Suchgeräten, registrierten die Reflexe ausgesandter Strahlen und führten das Boot dann zu jener Stelle, wo in den Tiefen der Meere der geortete Gegner oft schon Minuten später vom Explosionsdruck der Wasserbomben auseinandergerissen wurde und hochsprudelnde, mit Wrackteilen und menschlichen Überresten vermischte Öllachen vom schrecklichen Ende Dutzender Seeleute kündeten.
Einen Eindruck von diesem gnadenlosen Kampf vermittelt die nachfolgende Dokumentation.
Die Redaktion
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Die Frühjahrssee ging hoch, zu hoch für die beiden Räumboote, die den Geleitzug nach Westen in Richtung Toulon begleiteten.
Durch sein Fernglas sah Leutnant z. See Otto Pollmann, wie die beiden R-Boote kämpften, wie sie von langen Rollern überlaufen wurden.
„Hält sich prächtig bei dem Wetter, Herr Leutnant", meinte Oberbootsmann Gustl Piehler, der III. Wachoffizier (III WO), der soeben Leutnant z. See von der Kolk abgelöst hatte.
„Stimmt, Piehler", meinte der blonde, hochgewachsene Friese gelassen. „Alles Jungs mit Seebeinen!"
Er setzte das Fernglas ab und reichte es dem Steuerbordausguck, der es sofort trockenwischte.
Ein Blick nach Steuerbord zeigte dem U-Jäger-Kommandanten, daß das Geleit planmäßig weiterlief. Er drehte sich nach achtern. Wieder hob er das Fernglas an die Augen. Da war auch UJ 2209, die ehemalige „Minerva", fast so groß wie UJ 2210, an deren Bug der alte Name „Marcella" noch zu sehen war, wenn man scharf hinblickte.
Beide U-Jäger waren am 12. Dezember 1943 in Dienst gestellt worden. Seitdem hatten sie schon einige Geleit- und Minenfahrten hinter sich.
Der Frühjahrswind pfiff ihnen direkt ins Gesicht. Sie liefen auf Westkurs. Die beiden Tanker und der dicke Transporter waren für Toulon bestimmt.
Der Sprühregen verminderte die Sichtweite auf knapp zweitausend Meter. Was darüber hinaus lief, war nur als Schatten auszumachen.
Die mit Stärke 4 gehende See rollte gegen die 1161 BRT große „Marcella" an, ein umgebautes französisches Fischerei-Motorschiff. Roller stürzten über die Back, rauschten gegen die Aufbauten, überstäubten die Männer an der vorderen Dreisieben-Flak (3,7 cm) mit Wasser.
Eine Meldung hallte über das Deck. Unwillkürlich drehten alle die Köpfe. Sie sahen, wie Fähnrich z. See Doering nach Backbord deutete. Dorthin, wo die See des Golf von Genua bewegt und dunkelgrau im Licht schimmerte.
„Steuerbord querab Sehrohr!" rief der Fähnrich zum zweitenmal. „U-Boot-Alarm!" Die Trillerpfeifen der Maaten schrillten. Die beiden Wachoffiziere
kamen aus dem Niedergang emporgeschossen und besetzten an Backbord und Steuerbord die beiden Nocks.
„U-Boot-Alarm!" gellte es durch alle Decks. Die Gefechtsstationen waren Sekunden später besetzt. Die Wasserbombenwerfer achtern, an Backbord und Steuerbord waren klar.
„Entfernung 2000, Herr Leutnant!" „Blinkspruch an Geleitführer: U-Boot-Alarm!" Der Fähnrich setzte den Blinkspruch mit der Klappbuchs ab. Über UKW-Sprechverbindung wurde UJ 2209 verständigt: „Bleiben Sie am Geleit zur Nahsicherung. Wir greifen an!" „Hart Backbord! Beide AK (Äußerste Kraft)!"
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UJ 2210 drehte; weit krängte das Boot über, schöpfte bei einem eben heranrollenden großen Brecher Wasser, richtete sich auf, wurde von den auf AK geschalteten Maschinen nach Süden getrieben.
„Torpedolaufbahn. Zehn Grad Backbord, 500!" Mit einem Seitenblick sah Pollmann den Torpedo, der auf den Frach
ter gezielt war. Danach war seine gesamte Aufmerksamkeit allein auf das U-Boot gerichtet.
Auf einmal tauchte der Bug des U-Bootes aus der blauen See heraus. Es hatte einen Zweierfächer geschossen und war vorn durch die See gebrochen.
„Wasserbomben klar?" „Klar!" meldeten die Waffenoffiziere in den Nocks. Jetzt tauchte das
Boot weg. „Backbord - und Steuerbord - wirf!" „Rabamm! Rabamm!" Zwei Kartuschenabschüsse. Wie kleine Tonnen
segelten die Wabos durch die Luft, klatschten ins Wasser. „Achtern wirf!" „Der Dampfer ist ge . . . " Noch ehe Fähnrich Doering die Meldung aussprechen konnte, krach
ten achtern im quirlenden Wasser der Hecksee die beiden Wasserbomben auseinander. Die dritte Detonation dröhnte.
Und dann, es war wie das Echo des Dreifachschlages, barst die See auseinander. Eine Wasserbombe (Wabo) mußte das eben hinuntergehende, aber noch nicht tief genug gelangte Feind-U-Boot getroffen haben. Die Wirkung war verheerend.
Fünf feuerdurchmischte Fontänen stoben nebeneinander aus der See empor. Wrackteile wurden in die Luft geschleudert. Eine Stahlplatte des U-Boots-Turmes krachte am Heck des U-Jägers nieder, dicht hinter der Zwozentimeter in Zwillingslafette.
Der Druck der fünffachen Detonation schleuderte UJ 2210 herum, warf ihn zwanzig Grad aus dem Kurs. Männer stürzten zu Boden; im Maschinenraum fielen die Lampen aus, ein Ventil machte Wasser.
„Beide kleine Fahrt! Hart Backbord!" UJ 2210 beschrieb einen Halbkreis. Als sie die Stelle erreichten, wo das
feindliche U-Boot getroffen worden war, sprudelte ein dicker Ölstrahl nach oben. Dann sahen sie loses Gut.
„Alles auffischen!" befahl der Kommandant. „Herr Leutnant, die ,Gertrud' funkt SOS!" meldete sich Funkmaat
Röllecke. „Spruch von UJ 2209: Gehen bei ,Gertrud' längsseit!" meldete der
Befehlsübermittler, der an der achteren Brückenwand lehnte. „Antwort K an K (Kommandant an Kommandant): In Ordnung. Wir
setzen Geleit fort!" Die beiden Tanker mußten nach Toulon durchkommen. Dort galt es,
französische Beutefahrzeuge flottzumachen. Der U-Jäger drehte zum Geleitzug zurück, er bezog seine alte Position.
Winksprüche gingen hinüber und herüber. Alles lief weiter, wie immer.
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„Kommandant an Funkraum: Moewergh, wie sieht es im Horchgerät aus?"
Funkmeister Moewergh, der beste U-Horcher der ganzen Flottille, ließ sich etwas Zeit. Noch suchte er auf der gesamten Randbreite nach einem möglichen Gegner. Dann meldete er sich in seinem friesischen Platt:
„Nichts, Herr Captain!" Immer wieder hatte Pollmann ihm gesagt, daß er nicht der „Captain"
sei, sondern der Herr Leutnant. Aber bei Moewergh predigte er tauben Ohren. Bei Olle Moewergh war der Kommandant auch zugleich der „Captain".
Der Regen ließ nach. Durch sein Glas beobachtete Pollmann immer wieder den schwarzqualmenden, still liegenden Dampfer, den sie aus dem Geleit verloren hatten.
Er lag gestoppt und hatte leichte Schlagseite. Bevor sie aus dem Bereich der UKW-Verständigung hinauskamen, ließ er UJ 2209 nochmals rufen.
„Wir geleiten ,Gertrud' in den Hafen zurück!" meldete sein Freund, Leutnant z. See Besser.
Die beiden Räumboote, vorn an Backbord und Steuerbord laufend, klotzten stur durch die See, die sich nun etwas beruhigt hatte.
„Unser zweites versenktes U-Boot, Herr Leutnant!" meinte Oberbootsmann Piehler, als die Gefechtsbereitschaft aufgehoben war.
„Und das vierte unseres Bootes. Zwei U-Boote hat UJ 2210 ja schon unter meinem Vorgänger vernichtet. - Schade um die Männer, Piehler. Sind doch auch Seelords, wie wir."
„Ja, Herr Leutnant, und sogar gute!" stimmte der III WO zu. „Aber sie versuchen es ebenso, uns umzubringen, wie wir es tun. Das ist er halt, dieser beschissene Krieg, der auch uns vielleicht noch umbringt."
„Als ich noch als III. Offizier auf Südamerikaroute fuhr, Piehler", sagte Pollmann nach einer ganzen Weile der Stille, „da hatten wir einen Messesteward, der Tommy war. Er hatte in der Schlacht am Skagerrak mitgemacht und sagte mir einmal: ,Warum müssen sich ausgerechnet die Deutschen und wir Engländer immer bekämpfen? Was könnten wir nicht alles erreichen, wenn wir zusammengehen würden.' "
„Tja, Herr Leutnant. Mit dem Zusammengehen wurde es ja auch diesmal nichts."
„Funkraum an Brücke!" kam der Ruf von Funkmeister Moewergh durch die Bordverständigung nach oben.
„Hier Brücke. Was ist los, Moewergh?" „U-Boot im Horchgerät, Herr Leutnant!" „Ich komme!" „Aufpassen, Piehler. Es scheint noch ein zweites Boot angreifen zu
wollen." Nach diesen Worten verließ Otto Pollmann die Brücke, eilte den Nie
dergang hinunter und über den schmalen Mittelgang zur Kammer des Funkpersonals.
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Als er die Verriegelung des Schotts öffnete, blickte der Funkmeister hinter dem Horchgerät auf.
„Na, Moewergh, stimmt es?" „Kein Zweifel, ein U-Boot, Herr Leutnant. Es steht ungefähr hier!"
Der Funkmeister deutete auf die Karte, in die er bereits den Standort eingetragen hatte.
Wortlos nahm Otto Pollmann den Kopfhörer entgegen, stülpte ihn auf und horchte. Er drehte etwas an der Feineinstellung. Dann hörte er es.
„Liegt vor dem Geleitzug, der die Stelle in zwei Stunden erreichen wird. - Gut, Moewergh. Weiter so! Meldung alle fünf Minuten, bis wir auf fünf Seemeilen herangekommen sind."
Pollmann setzte die Mütze wieder auf und ging zum Funkenpuster (Funker) hinüber.
„Röllecke, FT-Spruch an Geleitzugführer: Feindliches U-Boot 15 Meilen voraus Backbord 20 geortet. Wir greifen an!"
Der Funkmaat reichte den Spruch an den Schlüssler (Verschlüssler) weiter. Der hämmerte ihn in die Maschine, und als Pollmann auf die Brücke zurückging, tastete der erste Funkgast ihn schon durch.
„Feindliches U-Boot, Piehler. Noch 15 Meilen voraus, Backbord in 20 Grad Bootspeilung. Steht auf dem Wechsel. - Wir lösen uns vom Geleitzug und greifen den Gegner an."
Eine Ruderkorrektur ließ UJ 2210 nach Backbord herumgehen. Dann gab Pollmann den Befehl, auf AK zu gehen.
Dichter und dichter schob sich UJ 2210 an die Spitzengruppe des Geleitzuges heran, die von den beiden Räumbooten mit dem Spitzen-Tanker gebildet wurde.
„Wir werden das Boot von achtern angehen und es so überraschend packen."
„Bootspeilung 10 Grad Steuerbord. Entfernung sechstausend Meter!" „Jetzt müßten wir es schon sehen!" Pollmann sprang auf den Brückenaufbau. Während er sich mit der
Linken festhielt, suchte er durch das Fernglas die Kimm ab. Plötzlich sah er das U-Boot. Der Turm war deutlich zu erkennen. Und
sein Bug war nach Nordosten gerichtet. Es lief mit kleiner Fahrt. „U-Boot-Alarm!" Leutnant z. See von der Kolk und Oberfähnrich z. See Bartilack stan
den in den beiden Nocks und suchten die See ab. „Entfernung 4000 Meter. Steuerbord zehn!" Langsam wanderte das U-Boot nach Steuerbord aus, und bald war UJ
2210 im Rücken des Gegners und konnte ihn überrumpeln. In diesem Augenblick, als der Kommandant dies dachte, kippte das
U-Boot steil nach vorn. Das Heck wurde für ein paar Sekunden sichtbar. Die beiden Schrauben waren zu erkennen, und dann war es von der Wasseroberfläche verschwunden.
„Sehrohr - dreitausend voraus!" „Beide AK! - Bereit zum Werfen!"
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Die Jagd hatte erneut begonnen. In jeder Sekunde dieses verbissenen Jagens und Gejagtwerdens konnten die ersten Torpedos laufen und . . .
„Torpedolaufbahnen!" meldete der Steuerbordausguck. Herumschnellend sah Pollmann sie schnurgerade auf UJ 2210 zukommen.
„Hart Steuerbord!" Sie kamen herum, Meter um Meter, und dann flitzten die beiden Tor
pedos etwa dreißig Meter an Backbord vorbei. „Beide AK!" Sie erreichten die Wurf stelle. Knallend schleuderten die Kartuschen
die Wasserbomben - auch diesmal aus allen drei Wurfvorrichtungen in die See.
Aber diesmal hatten sie keinen Erfolg. Das U-Boot wurde noch einmal geortet, dann riß der Kontakt ab.
„Zurück zum Geleitzug!" Sie kamen heil in Toulon an und übernahmen hier nach einem acht
stündigen Landgang einen ostgehenden Klein-Konvoi, den sie bis Genua geleiteten.
Damit war auch die zweite Feindfahrt von UJ 2210, unter dem Kommando von Leutnant Pollmann, erfolgreich verlaufen.
Otto Pollmann wurde am 3. März 1915 in Wesermünde geboren. Wie sein Vater, der Kapitän war, wollte auch Otto Pollmann zur See fahren.
Sechzig Monate fuhr er auf allen Sieben Meeren. Nach den ersten 29 Monaten während derer er auf Segelschiffen um Kap Hoorn schipperte und alles lernte, was ein guter Seemann beherrschen muß, war er der See verhaftet, wußte er, daß dies sein Schicksal sein würde.
Deshalb ging Pollmann am 15. August 1936 zur staatlichen Seefahrtsschule nach Leer in Ostfriesland. Als er die Anstalt am 15.12.1937 verließ, trug er das Patent A 5 in der Tasche und war damit ein gelernter „Seesteuermann". Als III. Offizier fuhr er in der nächsten Zeit auf der Südamerikaroute. Wieder lernte er neue Bedingungen kennen, neue Menschen und Länder. Diese Tätigkeit wurde durch den Einberufungsbefehl zur Kriegsmarine unterbrochen. In Glückstadt durchlief er die Stufen der Grundausbildung. Als Funker auf der Marine-Nachrichtenschule zu Flensburg-Mürwik erlernte er auch noch die Kunst des Funkens, und als Funkgefreiter und Reserve-Offiziersanwärter ging er am 1. April 1939 an Bord des Zerstörers „Bernd von Arnim". Hier erlebte er unter Korvettenkapitän Rechel dreieinhalb Monate harte Seemannschaft, das Aufeinander-Angewiesensein eines jeden Mannes an Bord und das Zusammenspielen der Männer der Besatzung. Als Funkstellenleiter wurde er schließlich von der 12. U-Boot-Jagdflottille übernommen. Am 1.4.1940 erhielt er sein erstes Bordkommando, und zwar auf UJ 124. Dieser Fischdampfer von 475 Tonnen war im August 1939 zum U-Jäger umgerüstet worden. Pollmann wurde bald darauf als Offiziersanwärter II. Wachoffizier, um sich an ein späteres eigenes Kommando zu gewöhnen. Am 1. 4. 1942 zum Obersteuermann befördert, wurde er um
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diese Zeit I. Wachoffizier auf UJ 1203. Bei einer Verwundung des Kommandanten und anschließend während dessen Urlaub führte er den U-Jäger.
Seit dem 1. 8. 1942 Leutnant z. See, hatte sich Pollmann bereits den Namen eines umsichtigen Kommandanten gemacht. Deshalb verfiel man auch auf ihn, als im Mittelmeer der Kommandant des U-Jägers 2210 während einer der ersten Feindfahrten schwer verwundet wurde.
Er wurde nun zur 22. U-Jagd-Flottille kommandiert, die U-Boot- und Geleitsicherung im westlichen Mittelmeer durchführte. Mit UJ 2210 übernahm Pollmann ein Boot von 1161 BRT, das bereits feindliche U-Boote versenkt hatte.
UJ 2210 war gerade ausgelaufen, um einen anderen U-Jäger im Geleitzug abzulösen.
Das Deck vibrierte unter den Füßen der Männer. Der Steven des Bootes durchschnitt die Bläue der See. Und wie schon seit dem ersten Tag erkannte Pollmann die ausgezeichneten Eigenschaften dieses französischen Schiffes.
„Sehrohr Backbord voraus, Entfernung 3000!" „Beide dreimal AK!" Pollmann sah mit einem Rundblick, daß alles auf den Gefechtsstatio
nen stand, daß sich die Maate an den Wasserbomben-Halterungen klar hielten, die Kartuschen abzufangen, welche die drei in den Racks liegenden Wabos (Wasserbomben) in hohem Bogen in die See schleudern würden.
Das Boot machte nun 16 Knoten Fahrt, sehr schnell kam der „Spargel" (U-Boot-Sehrohr) näher. Und noch immer schwang das U-Boot nicht weg oder setzte sich in tiefere und damit sichere Regionen ab.
Kurz darauf stieß der Bug durch die Wasseroberfläche. Das Boot kam aber schnell wieder in Trimm. Noch blieb das Sehrohr sichtbar, dann unterschnitt es, und in diesem Augenblick hatte Otto Pollmann die Hand gehoben.
„Wurf!" Die Faust schnitt herunter. Die Trillerpfeifen der Wabo-Offiziere in
den beiden Nocks schrillten. Dann klatschten die Wabos ins Wasser, sackten auf die eingestellte Tiefe und detonierten.
Das Meer bäumte sich auf. Der U-Jäger schüttelte sich, von dem Wasserschwall wurde sein Heck angehoben. Die Schrauben arbeiteten einige Sekunden lang rasselnd leer. Dann sackte der U-Jäger wieder zurück.
Eine mächtige Explosion rumpelte aus der See herauf. Ein Wasserberg hob sich turmhoch in die Höhe. Dazwischen waren Eisenteile zu sehen: lange Stahlplatten.
„Preßlufttank, Herr Leutnant!" überschrie der Fähnrich das Getöse des niederprasselnden Wassers, das auch über der Zwozentimeter-Bedienung am Heck zusammenschlug, und die Männer völlig durchnäßte.
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Ein Poltern, Brechen und Knacken, Luftblasen, grünschlierige Ölgeysire.
„Sinkgeräusche!" meldete der Funkmeister vom Horchgerät. Und was keiner von den übrigen wußte, das hörte Olle Moewergh: daß hier ein Boot von dem zunehmenden Wasserdruck auseinandergepreßt wurde. Daß dreißig, vierzig Seeleute von der malmenden Gewalt des Wassers zusammengedrückt wurden.
Der Funkmeister mußte den übermächtig werdenden Impuls, den Kopfhörer abzustreifen, um dieses Todesgeräusch nicht mehr zu hören, mit Gewalt unterdrücken.
Danach war es vorbei. Ein einziger Wasserbombenfächer hatte genügt, den Gegner zu ver
nichten. Dieses U-Boot war mit Sicherheit untergegangen. Sie liefen auf ihre alte Position im Geleitzug zurück. Sie fuhren weiter. Als sie endlich in Marseille anlegten, waren sie froh,
wieder für eine Nacht an Land gehen zu dürfen.
Drei Tage später ging UJ 2210 von Marseille in See. Es waren wieder einige erbeutete Boote seeklar und mit Besatzungen ausgerüstet worden. Sie sollten nach Süditalien gehen, um den Übersetzverkehr nach Tunesien sicherzustellen, wo das Deutsche Afrika-Korps, ja die gesamte Panzerarmee Afrika, in einem verzweifelten Ringen gegen eine feindliche Übermacht stand. Diese war von Westen und Osten auf Tunesien zumarschiert und hatte die Panzerarmee Afrika sowie schließlich auch die Heeresgruppe Afrika eingeschlossen.
Die Fahrzeuge - aus französischer Beute zusammengesucht - liefen in Marschfahrt. Dazwischen einige Troßschiffe und Transporter.
Die Kapitäne auf den Frachtern waren erfreut, als sie hörten, daß wieder der „lange Kommandant" mit dabeisein würde.
Auf der Brückenumkleidung des U-Jägers war inzwischen das vierte U-Boot aufgemalt, das vernichtet worden war. Daneben die Symbole für abgeschossene Flugzeuge.
Gegen Mittag des Auslauftages marschierte der Geleitzug bereits auf Höhe der Insel Porquerolles, die dem französischen Kriegshafen Toulon nach Südosten vorgelagert war.
Nichts passierte. Bis schließlich eines der Boote durch Motorschaden liegenblieb und meldete, daß es nur mit halber Kraft weiterfahren könne.
Der Geleitzugführer entließ es nach - Cannes. „Horchraum an Brücke. - Horchraum an Brücke!" meldete sich die
Stimme von Funkmeister Moewergh, der man nie anmerkte, was für eine Meldung folgen würde.
„Hier Kommandant, was ist los, Moewergh?" „Vielleicht ein U-Boot!" „Ich komme!" antwortete Pollmann knapp. - „Übernehmen Sie das
Boot, Bartilack!"
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Der Oberfähnrich salutierte, und schon war Pollmann im Niedergang unter Deck verschwunden, hastete über den Gang bis zum Funkraum, winkte ab, als Funkmaat Röllecke melden wollte und verschwand hinter dem Filzvorhang, der das Horchgerät vom Funkraum trennte.
„Na, genaueres erfahren, Moewergh?" fragte der Leutnant, warf die Mütze auf die Koje und kauerte sich neben dem Funkmeister an das Pult.
„Hier, genau zwischen den Schraubengeräuschen des Geleitzuges, Herr Leutnant. Offenbar noch vor der vordersten Einheit!"
Pollmann horchte. Er konnte nichts anderes hören, als die Schraubengeräusche der eigenen Einheiten.
„Sie hören das Gras wachsen, Moewergh!" sagte Pollmann und gab den Kopfhörer zurück. Aber bevor er aufstehen und das Horchschapp verlassen konnte, hielt ihn eine heftige Armbewegung des Funkmeisters fest.
„Jetzt habe ich ihn deutlich, Herr Leutnant!" Pollmann stülpte sich den Kopfhörer über, und Sekunden später hörte
er das Jicheln zweier Schrauben. Kein Zweifel, da war ein U-Boot, und es lag vor dem Geleitzug. Offenbar hatte es bereits in diesem Augenblick die ersten kleineren Einheiten über sich hinweglaufen lassen und wartete nur noch auf einen der drei dicken Pötte, die in der Mitte des Konvois schwammen.
„Sieht so aus, als drehe er jetzt aus dem Geleitzug heraus, um zum Schuß zu kommen!" Otto Pollmann gab den Kopfhörer zurück.
„Meldung alle halbe Minute, Moewergh!" sagte er und rannte nach oben.
„Scharf Ausguck halten!" schärfte der Kommandant den Männern auf der Brücke ein. Die Wasserbomben-Bedienungen standen klar.
Noch war der Gegner nicht zu einem letzten Rundblick aufgetaucht. Noch hatte er keinen der Dampfer im Visier, und das sollte er auch nicht.
Mit schneller Fahrt drehte UJ 2210 aus dem gelaufenen Kurs heraus und hielt in Lage Null auf das U-Boot zu, dessen Ortung immer deutlicher wurde.
Der Mann aus dem Horchschapp gab die Meldung durch. Nach ihnen korrigierte Pollmann den Kurs.
„Entfernung 1000 - Lage Null!" meldete der Funkmeister. Und dann: „Über Kopf!"*)
Abermals das Niederschnellen des Armes, das Trillern der Signalpfeifen und die Abschüsse der Kartuschen.
Das Aufplatschen der Wasserbomben folgte. Und auf einmal ein Ölgeysir: dick, groß, sprudelnd, blasenwerfend und die See bedeckend.
„Getroffen, Herr Leutnant!" „Kontakt nach Steuerbord ausweichend. Macht höchstens zwei Kno
ten Fahrt!" kam die Meldung.
*) über dem feindlichen U-Boot
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„Schleichfahrt, oder angeschlagen?" fragte Bartilack den Kommandanten. Pollmann zuckte die Schultern.
UJ 2210 drehte in einem knappen Bogen von 100 Metern und näherte sich wieder der Stelle, unter der das U-Boot sich jetzt befinden mußte.
„Feuer!" Die mit größter Tiefeneinstellung geworfenen Wabos brauchten zwölf
Sekunden, ehe sie die eingestellte Detonationstiefe erreichten. Abermals barst das Meer auseinander, hoben sich die Eruptionen aus
der See, wurde das Horchgerät für eine Minute gestört, fiel es aus. Dann hatten sie ihren Kreisbogen wieder geschlossen. Der Geleitzug
stand bereits mit dem Gros voraus, nur die letzten Boote liefen eben vorbei. Unter ihnen auch UJ 2205 ex „Jacques Coeur".
„K an K: Können wir helfen?" „Danke, alles in Ordnung! Passen Sie auf, daß sich nicht noch einer
ranschleicht!" ließ der Kommandant zurückrufen. „Achtung, Sinkgeräusche!" meldete sich Funkmaat Moewergh. „Bre
chen der Schiffswände!" Sie drehten herum, warteten auf Teile des U-Bootes. Aber nichts
anderes kam nach oben, als eine halbzerfetzte Schwimmweste, die von Bootsmannsmaat Geyer aufgefischt wurde.
Der Kommandant übergab das Boot an den Oberfähnrich, damit dieser sich einarbeiten konnte. Er selbst ging den Niedergang von der Brükke an Deck und hinunter zur Offiziersmesse, um einen Kaffee zu trinken.
Er hatte den Gang noch nicht erreicht, als der Alarmruf ihn und die anderen Männer aufrüttelte.
Mit langen Schritten erreichte Pollmann den Aufgang zur Brücke und stürmte empor. Oberfähnrich Bartilack meldete:
„U-Boot-Sehrohr, Herr Leutnant! Zehn Grad Steuerbord voraus!" Pollmann übernahm das Glas und suchte die bezeichnete Stelle ab.
Nichts war zu erkennen. Gar nichts. Doch - halt! Da war etwas. Er stellte die Feineinstellung ein wenig nach. Dann setzte er das Glas ab und reichte es schmunzelnd an Bartilack weiter.
„Feines Sehrohr", sagte er erheitert. Betroffen übernahm Bartilack das Glas und - fand die auf dem Was
ser schwimmende, silberglänzende große Konservendose sofort, die irgendein Schmutt (Koch) von einem der vorher auf dieser Route laufenden Dampfer über Bord geworfen haben mochte.
„Aber das ist doch verboten und ich . . . " „Verboten oder nicht. Den U-Boot-Alarm können Sie abblasen. Und
stellen Sie sich vor, was die Crew sagen wird, wenn sie hört, daß sie wegen einer Konservenbüchse aus den Federn geholt wurde."
Der Oberfähnrich drehte sich zu dem Steuerbordausguck um. „Terharen, Sie haben eine Falschmeldung abgegeben und . . . " „Es war keine Falschmeldung, Herr Oberfähnrich", wehrte sich der
Matrosengefreite energisch. Mechanisch suchte Pollmann während dieses Gesprächs immer wie
der die See ab. Als er nun sein Fernglas wieder nach Steuerbord richtete,
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sah er plötzlich drei Blasenbahnen. Und diese drei Blasenbahnen liefen genau auf die Stelle zu, die UJ 2210 erreichen mußte, wenn auch die Torpedos dort waren.
Mit einem Ruck beugte er sich vor. „Hart Steuerbord!" UJ 2210 drehte abrupt an. „U-Boot-Alarm!" kam der nächste Befehl, als der U-Jäger noch
immer nicht herum war. „Horchraum an Brücke: Ortung auf 185 Grad. Entfernung 3000!" Für eine Sekunde fing der Kommandant den triumphierenden Blick
des Steuerbord-Ausgucks auf. Dann sah er die drei Torpedo-Laufbahnen, die schon bedeutend näher gekommen waren.
Durch das Hartruderkommando schor UJ 2210 aus dem Kurs, und es sah so aus, als genüge dies, um allen drei Aalen (Torpedos) zu entgehen. Doch der am weitesten - vom U-Boot aus gesehen - nach Backbord durch die See schwirrende Torpedo hielt auf sie zu. Wenn das Boot nicht rasch genug herumkam, würde er es vorn treffen.
Alle blickten wie gebannt auf den Aal. Oberfähnrich Bartilack schluckte schwer. Gleich mußte der Torpedo sie treffen, und dann war alles aus.
Sie schafften es - wieder einmal. Der Aal passierte den noch herumscherenden Bug des U-Jägers und flitzte keine zehn Meter daran vorbei, der Küstenlinie entgegen.
Mit gewaltigem Donner ging einer der beiden anderen Aale in dieser Sekunde am kleinen Jachtdampfer hoch, der genau Backbord von UJ 2210 in seinem Kurs gelegen hatte. Die Jacht war unbeirrt weitergelaufen und - sie hatte er nun erwischt.
„Beide dreimal AK!" Dann gab Funkmeister Moewergh das Signal: „Über Kopf!" Die Wabos klatschten ins Wasser. „Achtern ablaufend!" meldete der Horchraum. „Verdammt! Der will unter das Geleit!" Das U-Boot versuchte, sich unter den Konvoi zu legen, wo der U-Jäger
weder Wasserbomben werfen, noch es orten konnte. Mit Hartruder Backbord drehte UJ 2210 wieder nach Nordosten und
lief mitten in das Geleit hinein. Wenn es vorhin nur eine kleine Gruppe von Einheiten gewesen war, denen es auszuweichen galt, so war es nun der ganze Geleitzug. Das U-Boot horchte sich unter den Schraubengeräuschen der Dampfer entlang nach vorn.
Wild blökte die Alarmhupe. Dampf stob aus der Dampfpfeife, wild zackend umlief UJ 2210 die einzelnen Gruppen des Konvois.
Die Frachter machten Platz, sie stoben wie Spreu auseinander, in die der Wind heult.
„Über Kopf!" Wieder ein Wasserbombenfächer - bedenklich nahe an einem Frach
ter, der nach dem Wurf Maschinenschaden meldete. 21
In Pollmann regte sich ein Gefühl der Bewunderung. Die Kaltblütigkeit des U-Boot-Kommandanten und seine Frechheit, sich genau unter den Konvoi zu legen und auf eine Chance zum Entschlüpfen zu warten, imponierten ihm.
„Brücke an Horchschapp. Behalten Sie ihn genau im Gerät. Meldung alle 15 Sekunden."
Ununterbrochen kamen die Meldungen nach oben. Mit Schleichfahrt, in mindestens 30 Meter Tiefe, lief das U-Boot im Zickzackkurs unter dem Geleit her, sackte nach achtern weg, schlug einen kleinen Bogen nach Backbord, um sodann wieder rascher nach vorn aufzukommen.
Auf allen Schiffen war nun auch der letzte Seemann alarmiert. „Über Kopf!- Über Kopf!" meldete der Funkmeister. „Feuer!" Wieder ruckte der Arm des Kommandanten nach unten, krachten die
Kartuschen, schleuderte der Druck die schweren Wasserbomben in die See, genau in die Lücke, die der nächste Dampferpulk zum vorderen gelassen hatte und in der UJ 2210 - und unter ihm das U-Boot - sich befanden.
Es krachte dumpf. Wasser sprudelte empor. Vergebens suchte Pollmann die See nach einer Wirkung ab. Als er dann Moewergh hörte, wußte er, daß das Boot wieder einmal entkommen war und daß dessen Kommandant mit einem unwahrscheinlichen Instinkt im rechten Augenblick eine Ruderkorrektur gegeben hatte.
„U-Boot wandert nach Steuerbord aus! - Kontakt schnell auswandernd!"
„Hart Steuerbord!" UJ 2210 drehte auf kleinstem Raum. Kurz darauf tauchte unmittelbar
vor dem Bug der niedrige Aufbau eines Fischkutters auf. Pollmann gab eine Korrektur durch. So mußten sie vorbeikommen. Aber der Kapitän dieses Kutters drehte nach Steuerbord, anstatt zu stoppen. Dabei zog die Steuerbordflanke von UJ 2210 knirschend und reibend an der Backbordreling des Fischkutters vorbei. Knirschend riß die Reling ab, es schrappte wüst. Männer brüllten auf dem Kutter. Endlich waren sie vorbei. Zurückblickend sah Pollmann, daß das Schiff noch schwamm, sogar wieder auf den alten Kurs zurückdrehte und weiterlief.
„Schnell aufkommend!" kam eine neue Meldung. Sie liefen nun wieder AK, nachdem sie die Geschwindigkeit im
Geleitzug hatten drosseln müssen. Schon hob sich der Arm des Kommandanten, da rief Moewergh den
nächsten Wert durch: „Backbord auswandernd!" Pollmann behielt die Hand oben. „Eindrehend. Vierzig Grad Backbord Bootspeilung und - näher kom
mend", lautete die nächste Meldung. „Er hat gedreht, Bartilack. - Fertig?" „Entfernung 500 - Lage Null!" Noch zweihundert Meter, noch fünfzig. Dann erfolgte der Feuerbefehl.
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Die schwarzen Schatten der Wabos flitzten durch die Luft, klatschten ins Wasser, sackten auf Tiefe und - detonierten.
Sie drehten sofort wieder und kamen zum Ort der Wasserbomben-Detonationen zurück.
„Da!" rief Bartilack, und alle anderen sahen ebenfalls, wie das grünglänzende Dieselöl aus der Tiefe emporstieg, an der Wasseroberfläche auseinanderlief und dicker Schaum sich absonderte.
„Wrackteile, Herr Leutnant!" rief Bootsmannsmaat Geyer von der Steuerbord-Reling.
„Beide stopp! - Geyer, fischen Sie alles auf!" „Sinkgeräusche, starke Sinkgeräusche!" Ein gewaltiger Sogwirbel stieg nach oben, eine meterhohe Luftblase
schob sich aus der See und platzte auseinander. Noch einmal kamen Wrackteile hoch. Danach war das U-Boot - nach den Geräuschen aus dem Horchgerät - auseinandergebrochen.
Anschließend wurden sie vom Geleitführer zur Jacht zurückbefohlen. Dort war eines der Räumboote der 11. R-Flottille zurückgeblieben und suchte noch nach im Wasser schwimmenden Überlebenden.
Leutnant Pollmann ließ auf Gegenkurs gehen. Mit AK liefen sie der Stelle entgegen, wo die Jacht an Stelle von ihnen durch einen der drei Aale des nun vernichteten U-Bootes getroffen worden war.
Als sie die Untergangsstelle erreichten und die UKW-Sprechfunkverbindung klappte, hörten sie, daß das Räumboot bereits elf Männer gerettet hatte.
„Es müssen noch mehrere hier schwimmen", gab der Befehlsübermittler durch.
„Wir drehen Halbkreise. Einer nördlich um das Wrack, und der andere südlich."
Der Vorschlag von Pollmann wurde ausgeführt. Zwei Stunden fischten sie nun schon. Drei überlebende und zwei tote Kameraden wurden noch gefunden.
Auf einmal waren sie da! „Fliegeralarm!" Das „Friedrich-Ludwig" (Morsesignal) gellte durch die Decks und
ließ die Männer an den Geschützen zu hektischer Betriebsamkeit erwachen. Sie kurbelten ihre Geschütze und die Fla-Maschinenwaffen hoch.
„ES (Erkennungssignal) schießen!" Ploppend stieg das Erkennungssignal zum Himmel, platzte auseinan
der und - wurde nicht beantwortet. Dann waren sie auch schon zu erkennen. Es waren neun Jagdbomber (Jabos). Sie flogen ziemlich niedrig. Die „Dreisieben" auf R 198 bellte. Eine Sekunde später hatte auch
Oberbootsmannsmaat Streng den vordersten Gegner im Visier. Die bunten Schnüre der Abschüsse zogen sich zu den angreifenden Jabos hinauf. Eine der Leuchtspuren zischte in den Bug der Spitzenmaschine. Auf einmal gab es einen Feuerschlag, und dann wirbelten Tragflächen, Teile des Rumpfes und der Kabine durch die Luft.
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Nun waren die anderen heran. Bomben lösten sich aus den Halterungen.
„Hart Backbord!" Unendlich langsam drehte UJ 2210 aus dem Kurs und der Fallrichtung
der Bomben heraus. Zwei hämmerten an Steuerbord in die See. Die Wucht der Detonation ließ UJ 2210 weit überkrängen. Die Reling schöpfte Wasser.
Mit ohrenbetäubendem Donner schmetterten zwei Raketenbomben in die brennende Jacht hinein und rissen sie auseinander. Zehn Sekunden später war sie von der Wasseroberfläche verschwunden.
Kurz darauf kamen sie wieder zurück. „Achtung, Herr Leutnant!" brüllte der Oberfähnrich eine Warnung. Rauchende Leuchtspursalven aus Bordkanonen und MG stießen her
unter, rissen die See auf, perforierten das Wasser und jagten über das Vorschiff. Eine der Ladenummern (Kanoniere) der „Zehnfünf" lief mitten in eine MG-Salve hinein, wurde zurückgewirbelt, ehe er hart gegen die Reling stürzte und liegenblieb.
Glühende Sprengstücke durchschlugen den Stahl der Brückenverkleidung. Plötzlich spürte Pollmann einen harten Schlag an der Schulter und stürzte zu Boden.
Die Dreisieben feuerten hinter dem drehenden Gegner her, als sich der Kommandant mit Aufbietung aller Willenskraft wieder hochzog und taumelnd auf die Beine kam.
Sie liefen in den Kurs des Geleitzuges hinein. Von Oberfähnrich Bartilack gerufen, kam der Sanitätsmaat auf die Brücke.
„Herr Leutnant, Sie müssen ins Revier!" sagte er, als er den Durchschuß in der Schulter sah.
„Na schön. Von der Kolk, Sie übernehmen das Boot!" Sie mußten Pollmann stützen, als sie hinuntergingen. Nachdem er sich
im Revier auf dem weißen Bett ausgestreckt hatte und seine Wunde verbunden war, wurde er bewußtlos.
Sie hatten auf dieser Fahrt ihr viertes und fünftes gegnerisches U-Boot versenkt.
Pollmann erwachte erst wieder in Genua im Marine-Lazarett. Er diktierte der Schwester eben einen Brief an seine Frau, als an die Tür geklopft wurde.
Der Marinestabsarzt öffnete die Tür und ließ sie offen stehen. „Herr Pollmann. Es ist Besuch für Sie gekommen, von der Flottille." Als erster trat Korvettenkapitän Wunderlich in den Raum. Mit ausge
streckter Hand ging er auf Pollmann zu. „Leutnant Pollmann, ich habe Ihnen eine gute Nachricht zu übermit
teln!" sagte der Flottillenchef. „Danke, Herr Kapitän!" erwiderte Pollmann und drückte die gebotene
Hand. „Bitte, lesen Sie selbst!"
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Pollmann tat es. In dem Fernschreiben des Oberkommandos der Kriegsmarine hieß es:
,,Mit fünf versenkten U-Booten ist Leutnant z. See Otto Pollmann derzeit der erfolgreichste U-Boot-Jäger-Kommandant.
In Anerkennung seiner Leistungen... verleihe ich ihm das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes..."
Als dritter U-Jäger-Kommandant hatte Otto Pollmann die höchste deutsche Tapferkeitsauszeichnung erhalten.
Am 13. Mai 1943 war in Tunesien das Ende gekommen. Die „Heeresgruppe Afrika" blieb auf ihrem Kriegsschauplatz zurück und ging in Gefangenschaft.
Von diesem Tage an verstärkte sich der Druck des Gegners auf das Mittelmeer, und der Tag war nicht mehr fern, da er auch auf den Inseln, oder sogar auf dem italienischen Festland landen würde.
Es ist eine bis heute nicht gelöste Frage, warum zu jener Zeit, als das Afrika-Korps bei Cap Bon und bei Tunis auf die rettenden Boote wartete, allein 29 Schiffe der 30 Einheiten starken 2. Lande-Flottille außer Gefechtsklarheit standen, also nicht einsatzbereit waren.
Lag es an dem Verteilerschlüssel, nach welchem auf den von italienischer Seite betriebenen Werften in Castellamare erst nach zwei Reparaturen an italienischen Schiffen ein deutsches Schiff an der Reihe war? Man weiß es nicht.
Nach diesem Debakel wurde Ende Mai 1943 die 2. Landedivision unter Fregattenkapitän von Liebenstein aufgestellt. Er wurde Seetransportführer „Messinastraße". Das sollte besondere Auswirkungen auf die Rückführung der Soldaten von Sizilien, Sardinien und Korsika auf das italienische Festland haben.
Für die 7. Sicherungsdivision, zu der auch die 22. U-Jagd-Flottille gehörte, stellten sich mannigfache Fragen und Aufgaben: Geleitsicherung, Minenräumdienst, U-Boot-Abwehr und das Legen von Minenriegeln.
Kapitän z. See Heinrich Bramesfeld war von Trapani nach Livorno umgezogen, um näher an den Flottillen-Stützpunkten zu sein und den Einsatz den ständig wechselnden Gegebenheiten anpassen zu können.
Neben den Booten der 3. und 4. Geleit-Flottille waren es immer wieder die U-Jäger der 22. U-Jagd-Flottille, welche die ständig laufenden Geleite begleiteten und die auf den Zwangswechseln lauernden U-Boote bekämpfen mußen.
„Boot zum Unternehmen ,Kaulquappe' seeklar machen!" Auf der Brücke von UJ 2210 stand Leutnant zur See Pollmann, der am
frühen Nachmittag aus dem Urlaub zurückgekommen und eine Stunde später zur Kommandantenbesprechung zum Hafenkommandanten gerufen worden war.
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Die Männer hasteten über Deck. Jeder wußte, was er in diesem Falle zu tun hatte. Alles ging mit der reibungslosen Schnelligkeit oft getaner Verrichtungen vor sich. Die Bootsgasten zurrten die Leinen nach und untersuchten die Rettungsboote. Die Geschütze wurden geprüft, Munition untersucht. Wasserbomben noch einmal nachgesehen, die im Halbrund in der Nähe der Wasserbombenhalterungen aufgestapelt waren.
Die Backbord- und Steuerbordmaschine wurde besetzt. Obermaschinist Georg Ahlers meldete als erster klar. - Diesel-Lichtmaschinen, Elektroanlagen.
Signalgast Köppen stand neben dem Kommandanten. Oberbootsmann Piehler folgte mit der Wache.
„U-Jäger 2210 klar zum Ablegen, Herr Leutnant!" meldete schließlich der 1. Wachoffizier.
„Danke, von der Kolk. Eine gute Zeit!" sagte der Kommandant mit einem Blick auf die Uhr.
In diesem Augenblick ging an Bord des Gruppenbootes flatternd die Flagge „Anton" am Signalmast hoch.
Signalpfeifen schrillten auf fast allen Booten gleichzeitig. Auch die beiden Räumboote an der übernächsten Pier legten ab.
Die Dampfer und Frachtschiffe, die für Sizilien bestimmt waren, dampften bereits aus der Hafeneinfahrt hinaus.
Pollmann straffte sich. Dies war der Augenblick, an dem die neue Feindfahrt losging, und er gestand sich in diesen Sekunden selber ein, daß er nicht so sicher war, wie er zu sein vorgab. Auch ihn plagte die bange Frage:
Wer ist es diesmal? Wir oder der Gegner? Oder gar ein anderes Boot? „Klar zum Losmachen!" Der Maschinentelegraph rasselte schrill.
Unten im Maschinenraum warteten die Männer an den „Jumbos" - den beiden Dieselmaschinen.
Erwartungsvoll blickte das Leinenkommando zur Brücke empor. Da kam schon der Befehl:
„Vorleine und Achterleine los! - Spring los! Backbordmaschine kleine Fahrt voraus! Ruder hart Steuerbord!"
Rudergänger und Dieselmaschinisten führten mit exakter Genauigkeit die Befehle aus. UJ 2210 legte ab, verließ das Hafenbecken. Es folgte dem Gruppenboot UJ 2212, das aus einem französischen Fischdampfer der „Pescagel" - umgebaut worden war.
Der Signalgast begann zu schreiben, als auf dem Gruppenboot ein Winkspruch gemacht wurde. Als er fertig war, quittierte er und reichte den Spruch zum Kommandanten hinüber:
„UJ 2210 - R 198, R 212 in Kiellinie folgen, bis auf Punkt Dora. Dann Positionen im Geleitzug einnehmen."
Sie näherten sich der Minensperre, sahen, daß bereits das Hafenmotorboot die Netzsperre aufgezogen hatte.
Kurz darauf waren sie draußen und liefen auf ihre Positionen. Und wie könnte es auch anders sein - UJ 2210 übernahm die Steuerbordsicherung zur freien See in der Mitte des Konvois. Von dieser Position
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aus war es möglich, nach allen Seiten zu laufen und den Kampf gegen ein gesichtetes U-Boot aufzunehmen oder ein geortetes abzudrängen und zu bomben.
Sie liefen an der Steuerbordseite der für Bastia bestimmten Gruppe von Schiffen. Darunter ein 6000-Tonnen-Transporter, der Truppen und Waffen für Korsika an Bord hatte. In fünfzehn Stunden würden sie sie vor Bastia entlassen und den Marsch mit dem Gros fortsetzen.
Strahlende Helle lag auf dem Meer. Der Himmel war wolkenlos. Die Männer trugen leichte Kleidung. Auf der Backbord- und Steuerbordseite der Brücke prangte das neu gemalte Bootswappen in den Farben Weiß-Rot-Weiß. Im roten Mittelteil befand sich das Wikingerboot auf den drei stilisierten Wellen, das der Kommandant als Wappen ausgesucht hatte.
Stunde um Stunde verrann. Nichts durchbrach die Monotonie, bis ein kleiner Geleitzug leer von Bastia via Genua auf Gegenkurs an ihnen vorbeilief.
„Ich gehe in die Messe zum Essen", sagte Pollmann. Es gab Spaghetti mit Tomatensoße. Eine Spezialität von Schmutt
Naumann, der sich immer etwas Neues einfallen ließ. Auf einmal hörte Pollmann ein Brausen und Summen, und als er auf
sprang und zum Schott rannte, fielen auch schon die Bomben, oder was immer es war.
Ein Lufttorpedo - das stellte sich später heraus - lief auf UJ 2210 zu, kam näher und näher, mußte das Boot gleich erreicht haben. Doch dann - lief er unter dem Kiel her und verschwand in Richtung zur Küste.
Noch ehe er oben war, vernahm Pollmann das Feuer der beiden 10,5 cm und dazwischen die helleren Schläge der im Salventakt feuernden 3,7 cm sowie das hektische Rattern der Fla-Waffen.
Auf der Brücke hörte er einen mächtigen Knall, kurz darauf noch einen an Backbord voraus. Und dann sah er schon die nächste Kette Torpedoflieger anrauschen.
„Feuer! - Vorhang schießen!" Alle Rohre richteten sich auf die Kette, die diesmal in exakter Forma
tion flog. Es waren sechs Maschinen, vielleicht dreißig Meter hoch. Weitere Lufttorpedos fielen. Sie platschten fast waagrecht ins Wasser und schraubten sich durch die See auf sie zu.
„Beide Maschinen stopp!" Die Fahrt kam aus dem Boot. Dann befahl Pollmann: „Beide zurück!"
UJ 2210 hielt, stand still, überwand das Trägheitsmoment und fuhr zurück.
Sechs Torpedos liefen schäumend und quirlend vor ihrem Bug her auf einen der Frachter zu. Drei von ihnen erreichten ihn, detonierten mittschiffs, Achterkante Brücke und im Heck. Drei feuerdurchmischte Wassersäulen stoben empor. Der Frachter verlor schlagartig an Fahrt und bekam starke Schlagseite.
Immer noch feuerten alle Kanonen. Einer der Torpedoflieger wurde getroffen und sackte weg. Dann stürzte er aufs Wasser.
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„Die nächsten, Herr Leutnant!" „Los, Streng!" rief Leutnant von der Kolk wütend, als der Richtschüt
ze der Dreisieben immer noch nicht schoß. Aber Streng wollte es diesmal genau wissen. Er visierte sorgfältig. Dann hatte er den Gegner im Leuchtkranz der Optik und betätigte die Abfeuerung.
Die beiden Geschoßstrahlen flitzten der Torpedomaschine entgegen und schlugen in sie hinein. Danach erlebten die Männer auf UJ 2210 etwas, was sie noch niemals zuvor gesehen hatten. Die Granaten ließen die beiden untergehängten langen Gebilde der Torpedos mit detonieren.
Ein grellroter, meterdicker Feuerball blaffte plötzlich dort, wo die Maschine flog. Sie wurde förmlich auseinandergerissen. Ein Teil flatterte nach rechts weg, und in dieses Wrackstück hinein knallte die Rottenmaschine. Sie taumelte. Der Pilot riß sie hoch, hatte nicht mehr genügend Geschwindigkeit, aber plötzlich schien es, als würde auch die zweite Torpedomaschine von einer unsichtbaren Faust, die aus dem Wasser emporgriff, hinuntergezogen. Sie schlug auf die See und platzte in einem Aufschlagbrand auseinander.
Sekunden später war alles vorbei. Sie liefen zur Hilfeleistung zum Frachter hinüber. Weiter vorn, in der
ersten Gruppe, waren die beiden Räumboote damit beschäftigt, die Schiffbrüchigen des ersten getroffenen Dampfers an Bord zu nehmen.
UJ 2212 lief anstelle von UJ 2210 weiter als Mittel-Backbord-Sicherung.
Vorsichtig fuhren sie bis dicht an den brennenden Frachter heran. Einige Männer schwammen in dichten Gruppen im Wasser und winkten.
Sie hielten darauf zu, brachten die beiden Kletternetze aus und halfen den Schiffbrüchigen, an Bord zu kommen.
„Verdammt, dort scheinen die Rettungsboote in den Davits verklemmt zu sein!"
„Sie müssen von Bord gehen, bevor der Karren in die Luft fliegt und uns auf den Kopf fällt!" schrie Pollmann hinüber.
„Springen Sie von Bord! Wir fischen Sie auf!" rief Pollmann, denn er wußte: Wenn der Frachter kenterte - und es sah so aus, als sollte dies in den nächsten Minuten geschehen -, dann waren sie mit erledigt, wenn sie angelegt hatten.
„Geht von Bord! Wir fischen alle auf!" Ein paar Männer befolgten diese Weisung und jumpten ins Wasser. „Boot aussetzen und dicht ranfahren!" Das war eine Arbeit für Bootsmannsmaat Geyer. Er ließ das große,
kutterartige Boot ausschwingen und in See setzen. Sechs seiner Männer enterten ab und pullten zum brennenden Frachter hinüber.
Die ersten Schiffbrüchigen wurden kurz darauf unter Deck gebracht. „Alle Geschütze feuerbereit halten. Scharfer Ausguck. Jede Wahrneh
mung sofort melden!" befahl der Kommandant. Der Kapitän des Frachters - das konnte Otto Pollmann durch sein
Fernglas sehen - stand noch immer auf der Brücke des Schiffes. Die
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letzten Männer verließen ihn soeben. Einer trug offenbar die Schiffspapiere in einer Ledertasche.
Pollmann langte nach der Flüstertüte. „Kommandant an Kapitän! Gehen Sie von Bord!" Er sah, daß der Kapitän ihn verstanden hatte, denn er zeigte klar.
Doch er traf keine Anstalten, sein Schiff zu verlassen. „Gehen Sie von Bord! Ihr Schiff wird gleich kentern!" Die letzten Männer sprangen vom Deck, schwammen in hastigen
Zügen von dem Havaristen fort und wurden von dem Boot aufgesammelt, in dem Bootsmannsmaat Geyer das Regiment führte.
Drei, vier verletzte Seeleute wurden von ihren Kameraden über Wasser gehalten. Gerade als sie an Bord des Bootes gehoben wurden, drehte sich der Frachter unvermittelt um seine Längsachse. Auf einmal wurde sein rotgestrichener Kiel sichtbar, dann war die Brücke mitsamt dem Kapitän in den Wellen verschwunden. Langsam sackte der Frachter, kieloben liegend, in die Tiefe.
Pollmann legte die Hand an den Mützenschirm. Dieser Mann, der auf seinem Schiff ausgeharrt hatte, hätte sein Vater sein können. Er war einer der alten Kapitäne, in deren Ehrenkodex das Leben und Sterben mit dem Schiff im Mittelpunkt stand.
Als sie sicher waren, daß kein Mann der Besatzung mehr im Wasser schwamm, ließ Pollmann einen Funkspruch an den Geleitzugführer absetzen.
Sie hatten dreiundzwanzig Männer der Besatzung lebend an Bord genommen. Zwei Tote waren aufgefischt worden, fünf Seeleute wurden vermißt. Unter ihnen der Kapitän. Die anderen vier hatten sich nach den Aussagen der Überlebenden in der Kammer befunden, in die der vorn laufende Torpedo eingeschlagen war.
Mit AK lief UJ 2210 hinter dem weitergelaufenen Geleitzug her. Die Räumboote hatten den gesunkenen Frachter bis zu seinem Untergang ebenfalls umkreist und die Schiffbrüchigen aufgenommen. Nun liefen sie zwei Seemeilen vor UJ 2210 in die Geleitzugposition zurück. Dort war UJ 2212 zurückgeblieben und schirmte den Konvoi zur offenen See hin ab.
Sie holten den Frachterpulk ein, aus dem der eine Dampfer herausgeschossen worden war, und eskortierten ihn bis zum Punkt, an dem die Schiffe nach Bastia eindrehen mußten.
„Geleitzugführer an UJ 2210. Laufen Sie voraus. Geben Sie in Bastia Schiffbrüchige von Bord. Möglichkeit lauernder U-Boote vor Hafeneinfahrt!"
Pollmann gab die Korrektur durch. Der U-Jäger drehte und setzte sich in schneller Fahrt vor die Frachter.
Sie liefen bis zum Hafenrand, schossen das „ES" und meldeten sich beim Hafenkommandanten Bastia. Dann glitten sie aus dem Kurs heraus und ließen die Frachter passieren.
Im Hafen erreichten sie die Fahrwasserboje und schwenkten zur Pier III, an der zwei Schnellboote im Päckchen (nebeneinander) lagen. Nach
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einem gekonnten Manöver legten sie an. Der Sanka (Sanitätswagen) stand bereits auf der Pier, dahinter zwei größere Wagen.
Die beiden wachfreien Funker und die Freiwache der übrigen Divisionen brachten die Verwundeten nach oben. Die Stelling war angebracht, über die sie die Kameraden an Land brachten und in den Sanka schafften.
Der Hafenkommandant erschien. Er begrüßte Pollmann und dankte ihm für die Rettung der Schiffbrüchigen.
Wenig später stand der Leutnant wieder auf der Brücke und gab die Befehle zum Ablegen. UJ 2210 verließ den Hafen und preschte hinter dem Geleitzug her.
Sie erreichten ihn auf der Höhe von Montechristo und waren froh, daß in der Zwischenzeit nichts passiert war.
„Von hier ab können wir mit englischen U-Booten aus Malta rechnen, Männer!" meinte der Kommandant nach einem Rundblick. Inzwischen hatten sie die alte Position im Geleitzug übernommen.
Die nächsten zwei Stunden verliefen ereignislos. Danach sichtete man auf UJ 2212 eine Torpedolaufbahn. Der Aal lief hinter der ersten Gruppe der Frachter her und explodierte weit im Osten als Endstreckendetonierer.
„Geleitzugführer an UJ 2210! Drängen Sie den Gegner ab!" „Ortung, Herr Leutnant, Ortung!" „Schön, Moewergh - und wo?" Es geschah selten, daß der Funkmeister eine unvollständige Meldung
abgab. Diesmal war es passiert, und er war sicher, daß ihn die Kameraden damit aufziehen würden.
„Dreißig Grad Steuerbord voraus. Entfernung 10 000!" „Wahrscheinlich wird sich das Boot weiter vorlegen, um sich den fet
testen Braten aus der Mahalla (Schar) herauszusuchen. Wir gehen also hin, Bartilack!"
„Wir laufen Kurs zwanzig Grad Steuerbord, Bootspeilung, orten alle Minuten und passen uns dem Gegner derart an, daß wir ihn schließlich breitseits nehmen können, ehe er geschossen hat!"
„Ausgezeichnet, dann geben Sie die Kommandos!" Otto Pollmann überließ es dem II. Wachoffizier, das Boot an den Feind
zu bringen. Er lehnte an der Brückennock und blickte durch sein Fernglas auf die See. Dorthin, wo vielleicht das U-Boot, wo aber sicher das Sehrohr auftauchen mußte.
Als die Entfernung mit drei Seemeilen angegeben wurde, drehte das U-Boot gerade in einem engen Bogen auf den Geleitzug ein.
„Es greift an, Herr Leutnant!" rief Bartilack voll unterdrückter Erregung.
Pollmann fuhr das Boot jetzt selbst. Sie liefen erst eine Seemeile weiter, ehe auch sie nach Westen drehten. Als die Drehung vollzogen war und sie hinter dem U-Boot liefen, das Kurs auf den ersten Frachterpulk nahm, sichtete Pollmann das Sehrohr.
„Er sondiert die Lage!" sagte er nur.
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„Jetzt müssen wir ihn überfahren und werfen, Herr Leutnant!" rief Bartilack.
Pollmann nickte. „Klar zum Wurf!- Beide AK!" „Über Kopf!" rief Moewergh. „Feuer!" Mit Hartruder Steuerbord ging der U-Jäger herum. Während der Dre
hung starrte der Kommandant auf die ineinanderlaufenden Trichter der Detonationen. Und dann sah er die Zeichen, daß die Wabos Wirkung hinterlassen hatten, sah er aufsprudelnde Luftwirbel und dicht dahinter Ölspuren.
Bis zur Brücke herauf hörte er die Befehle der beiden Wabo-Offiziere aus den Nocks, vernahm er das Poltern der Wasserbomben, die in die Racks scharrten.
„Läuft ab! Kurs 110 Grad!" „Verdammt! Er will doch noch zum Schuß kommen!" Überraschung und Hochachtung lagen in der Stimme des Komman
danten. Da war das U-Boot, das gejagt wurde. Da war der Geleitzug, der ebenfalls gejagt wurde. Und beide Jäger ließen nicht von ihrem Ziel ab.
Ein Ruderkommando ließ UJ 2210 herumschwingen. Sie liefen mit AK hinter dem Boot her. Bevor sie es erreicht hatten, sahen sie, wie der Bug für kurze Zeit die Wasseroberfläche durchbrach. Noch ehe Pollmann die Blasenbahnen sah, wußte er: Der hat geschossen!
„Zweiter Angriff!" „Über Kopf!" „Feuer!" Die Wasserbomben fielen auf Tiefe, platzten auseinander, während
die Torpedos hinter den Hecks des zweiten Geleitzugpulks herrauschten. Wieder die mächtigen, grollenden Schläge aus der Tiefe der See und
nach der Drehung und dem Warten auf Ortung Luftwirbel und dicke Ölspuren.
„Diesmal ist es mehr, Herr Leutnant!" meinte Obersteuermann Helwig Kruck, der aus dem Kartenhaus gekommen war. „Diesmal haben wir ihn."
„Das genügt nicht, Kruck! Vielleicht täuscht er uns auch nur, indem er Öl ausstößt und Preßluft blasen läßt. Das ist ein cleverer Kommandant."
Sie mußten den Kampf fortsetzen, und sie mußten das U-Boot endgültig vernichten, bevor es seine Torpedorohre nachgeladen hatte und einen zweiten Angriff fuhr. Zweifellos war der Gegner beschädigt. Aber wo steckte er?
„Frage Horchraum?" „Keine Ortung!" hallte die Stimme von Moewergh herauf. „Ist das Gerät klar?" „Gerät klar, Herr Leutnant. Keine Ortung!" „Wir laufen noch einmal die alte Stelle an. Wabos mit tiefster Einstel
lung. Vielleicht liegt er auf dem Grund?" 33
„Schlecht möglich, Herr Leutnant. Wir befinden uns zwischen den Markierungen von 500 bis 100 Meter Wassertiefe."
„Nun, das könnte das Boot schaffen." Sie liefen die Stelle an und warfen mit tiefster Einstellung. Dann das
unterirdische Grummeln und schließlich die Wassersäulen wie immer. Von einem U-Boot aber keine Spur! „Das ist weg, Herr Leutnant. Wir sollten zum Geleit zurückkehren." „Hören Sie genau zu, Oberfähnrich Bartilack", sagte Pollmann mit
Betonung. „Wir haben Befehl, dieses U-Boot abzudrängen und es zu vernichten. Nicht aber, um es ,vielleicht' vernichtet zu haben."
Stunden vergingen. Träge schlich die Zeit dahin. Die Gefechtsbereitschaft bestand nach wie vor.
Pollmann suchte die See ab. Er ging zweimal selbst ins Horchschapp hinunter, um den Gegner auszumachen.
„Der hat alle Maschinen abgestellt, Herr Leutnant", meinte Funkmaat Röllecke.
„Oder er ist sehr tief hinuntergegangen und während der kurzen Zeit, wo nach dem Wurf das Horchgerät nichts anzeigt, entkommen."
Pollmann ging wieder nach oben. Ein Funkspruch zum Geleitzugführer sagte ihm, daß er Erlaubnis hatte, das U-Boot weiter zu jagen.
„Ortung, Herr Leutnant!" rief Moewergh eine Stunde nach Einfall der Dämmerung. „Ganz leise, nicht auszumachen von woher."
„Dranbleiben, Moewergh, dranbleiben!" Diesmal ließ der Funkmeister den Gegner nicht mehr aus. Diesmal
hatte er ihn und behielt ihn im Gerät. „Schleichfahrt. Entfernt sich nach Südsüdwesten. Peilung 200 Grad!" „Beide kleine Fahrt!" befahl Pollmann. Sie zogen mit, waren bereit,
nach dem sicheren Erkennen erneut anzugreifen. Langsam, mit Schleichfahrt, ungefähr in hundert Meter Tiefe, schlug
das U-Boot Haken um Haken und versuchte, dem Gegner an der Wasseroberfläche, den es bestimmt auch geortet hatte, zu entwischen.
Aber UJ 2210 blieb am Feind. Seit Stunden schon standen die Männer in Gefechtsbereitschaft. Seit dem frühen Morgen befand sich Pollmann auf der Brücke, gab er die nötigen Befehle.
Nur einmal brachte Schmutt Naumann starken dampfenden Kaffee auf die Brücke. Eine Riesenkanne, die für jeden Mann reichte.
Geraume Zeit später hatten sie das U-Boot wieder genau in der Ortung. Der erste Wabo-Fächer seit langen Stunden der Jagd zerriß die Stille der Nacht. Der Scheinwerfer auf der Brücke wurde angestellt und suchte die See ab. Nur kurz allerdings, um keine feindlichen Flieger anzulocken.
Noch ein Fächer wurde geworfen und schließlich ein dritter. Wie mochte den Männern in der engen Stahlröhre zumute sein? Poll
mann konnte es sich vorstellen. Sechs Stunden waren vergangen, seit die ersten Wabos gefallen waren. Da, plötzlich ein gellender Warnruf von Obergefreiter Sänger, dem
Backbordausguck: 34
„Torpedolaufbahn an Backbord querab!" Leutnant Pollmann wirbelte herum. Nun waren sie die Gejagten. Mit
einem Blick übersah er die Situation. In der grünsilbernen Dämmerung des im Mondlicht schillernden Meeres war die silberne Blasenbahn genau zu verfolgen. Sie hielt auf UJ 2210 zu.
„Hart Steuerbord!" Der U-Jäger drehte aus dem alten Kurs, wurde zur Torpedolaufbahn
hin spitzer und spitzer, und als er genau frontal zum heranrasenden Aal stand, zischte dieser keine zehn Meter an der Steuerbordflanke vorbei.
Das wäre ein Volltreffer geworden, wenn Sänger ihn nicht gesehen hätte! ging es dem Kommandanten durch den Kopf. Eine einzige rechtzeitige Sichtmeldung hatte über Sein oder Nichtsein von UJ 2210 entschieden.
„U-Boot taucht auf!" dröhnte die nächste Meldung in die Ohren des Kommandanten. Etwas mehr als hundert Meter an Backbord voraus tauchte der U-Boot-Turm aus dem Wasser. Dann folgte der Bug. Die schwere Kanone vorn auf der Back wurde sichtbar. Pollmann sah, wie Männer an das Geschütz sprangen.
„Buggeschütze Feuer frei!" Jetzt kam es darauf an, wer den ersten Schuß hinausbrachte und den
ersten Treffer erzielte. Schon bellte die 3,7-cm-Flak. Oberbootsmannsmaat Paulinus Streng
schoß auf den U-Boot-Turm. Er sah, wie die Leuchtspuren dorthin flitzten, sich durch den Stahl bohrten.
Sekunden später fielen die beiden „Zehnfünf" in das Feuer ein. Eine Granate traf und ließ das Geschütz herumrucken.
Plötzlich stoben Rauch und Flammen aus dem U-Boot in die Höhe. Aber dieser Gegner, das spürte Pollmann instinktiv, würde auch jetzt noch nicht aufgeben.
„Achtung, ansetzen zum Rammstoß!" Zwei, drei kleine Korrekturen, dann lief UJ 2210 auf das Feind-U-Boot
zu, das nach den Manövern nun breitseits zum Steven des U-Jägers lag. Die Distanz verringerte sich. Für Sekunden sah Pollmann kurz vor
dem Aufprall die Gesichter einiger Männer auf der Brücke des Gegners. Er bemerkte auch die zuckenden Flammen eines MG-Feuerstoßes, der über sie hinwegging und die oberen Kanten der Brückenaufbauten perforierte.
Da war das U-Boot erreicht! Mit voller Wucht traf der spitze Steven von JU 2210 auf den Gegner,
bohrte sich in dessen Flanke hinein. Männer stürzten von der Wucht des Anpralls zu Boden. Unten im
Mannschaftsraum schrien einige. Feuerschnüre zogen zum U-Jäger hinüber, und in diesem Augenblick feuerte der 2-cm-Zwilling.
„Beide kleine Fahrt zurück!" Knirschend löste sich der Steven aus dem Gewirr von Stahl. Hundert,
zweihundert Meter kam UJ 2210 vom Gegner frei. Dann der neue Befehl: „Beide große Fahrt voraus!"
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Und abermals grub sich der Bug des U-Jägers in die Flanke des U-Bootes. Es knirschte, dröhnte und krachte.
Auch auf dem Turm des U-Bootes stürzten Männer. Die Geschützbedienung des Buggeschützes lag an Deck, hingemäht durch die Volltreffer. Einer stand noch am Geschütz, schwankend hielt er sich fest. Er versuchte, die Kanone allein zu bedienen.
Plötzlich quollen U-Boot-Männer aus dem Turm, schossen aus Maschinenpistolen, während das U-Boot mit starker Schlagseite am deutschen U-Jäger vorbeischlierte und sich sein Rumpf an dem des Gegners rieb.
In diesem Augenblick sprangen Bootsmannsmaat Geyer und Matrosengefreiter Hesse von der Reling aus auf das Deck des Feind-U-Bootes. Pollmann starrte wie gebannt auf die Szenerie. Er schlug wütend auf die Brückennock.
„Feuer einstellen!" brüllte er, als ein 2-cm-Doppel-Leuchtspurstreifen zum Gegner hinüberzischte.
Er sah, wie Bootsmannsmaat Geyer auf den Turm des U-Bootes enterte und dort mit seiner MPi die Einstellung des sinnlos gewordenen Kampfes erzwang. Gefreiter Hesse hielt die Flagge des Gegners in den Händen, die er soeben heruntergeholt hatte. Männer sprangen ins Wasser.
„Kletternetze ausbringen. Boot fieren und zu Wasser lassen!" Stärker und stärker wurde die Schlagseite des feindlichen U-Bootes.
Die letzten Männer, unter ihnen auch der Wachoffizier, sammelten sich, dann sprangen sie fast gleichzeitig in die See und hielten sich dort an den Händen, einen Kreis bildend.
Das Boot war gefiert, und einer der Bootsmannsmaate pullte es mit vier Männern zu der Stelle hinüber, wo die Schiffbrüchigen schwammen. Sie holten sie nacheinander aus dem Wasser. Denjenigen, die noch gut schwimmen konnten, wiesen sie den Weg zum U-Jäger, der mit kleiner Fahrt vorsichtig weiterlief und sich die letzten Meter an die Schwimmenden herantastete.
Seeleute des U-Jägers holten die in den Kletternetzen hochsteigenden Gegner an Bord. Die Verwundeten, die von ihren Kameraden gestützt wurden, konnten mit dem Boot zum U-Jäger gebracht werden.
Zuletzt kamen der I. Wachoffizier und der Kommandant des U-Bootes an Bord.
Pollmann war an Deck hinuntergegangen und grüßte den Kommandanten des besiegten Bootes. Das Gesicht des jungen Offiziers war von den Strapazen und Belastungen des stundenlangen Ringens mit dem Tod gezeichnet.
„Sie haben einen ehrenvollen Kampf geliefert, Commander!" sagte Pollmann, als er die Hand des Gegners schüttelte.
„Wie viele meiner Männer haben Sie aufgefischt?" fragte der Seeoffizier.
„Einunddreißig, Herr Leutnant!" meldete Bootsmannsmaat Berghaus, der das Beiboot inzwischen zum U-Jäger zurückgesteuert hatte.
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Die Verwundeten waren an Bord geholt worden. Sie wurden ebenso wie die nicht verwundeten Engländer in die Mannschaftsräume gebracht. Hier halfen die deutschen Seeleute ihren Gegner aus den nassen Kleidern und gaben ihnen ihre eigenen Monturen.
Naumann kam mit einem dampfenden Grog herein. Er hatte eifersüchtig über dies Pulle Rum gewacht. Nun gab er sie, für die Gegner von vorhin, die nun nichts anderes mehr als Seeleute waren, deren schwimmender Untersatz untergegangen war.
Das U-Boot war gekentert, noch ehe ein Prisenkommando an Bord gehen und die Geheimsachen hätte an sich bringen können.
Nachdem alle Männer untergebracht waren, wandte sich Otto Pollmann der Bordsprechanlage zu.
„Bootsmannsmaat Geyer und Matrosengefreiter Hesse auf die Brücke!" Bevor die Gerufenen oben angekommen waren, gab der Kommandant
den Befehl zur Kursänderung. UJ 2210 nahm Fahrt auf. Das Boot lief wieder hinter dem Geleitzug her. Pollmann ließ einen Funkspruch absetzen, der den Geleitzugführer über den Erfolg des Sonderunternehmens informierte. Dann wandte er sich den beiden Männern zu, die noch immer in ihren triefnassen Kleidern steckten. Sie hatten mitgeholfen, die in den Kletternetzen hängenden Gegner an Bord zu schaffen.
„Bootsmannsmaat Geyer, Gefreiter Hesse. Stehen Sie still! Ich bestrafe Sie mit drei Tagen gelindem Arrest, weil Sie ohne Befehl von Bord gegangen sind."
Lange Gesichter, besonders bei dem Gefreiten, der das zusammengefaltete Fahnentuch des U-Boot-Standers auf dem linken Unterarm trug.
Pollmann begann nun zu schmunzeln. „Außerdem spreche ich hiermit Ihre Beförderung zum Matrosen-
Obergefreiten aus, Hesse. - Und Sie, Geyer, erhalten nach Rückkehr in den Stützpunkt acht Tage Sonderurlaub nach Bremen."
„Danke, Herr Leutnant!" riefen beide wie aus einem Mund, und Obergefreiter Hesse überreichte dem Kommandanten den U-Boot-Stander.
Der U-Jäger lief durch die Nacht hinter dem Geleitzug her. Als sie ihn am anderen Vormittag erreichten, war das Ziel, der Hafen von Palermo, nicht mehr fern.
„Noch knapp vier Stunden, und wir haben es geschafft", meinte Leutnant zur See von der Kolk, der um 06.00 Uhr dieses 23. Juni 1943 die Wache übernommen hatte.
„Unsere Gefangenen werden wir sicher von Bord geben. Und unsere eigenen Verwundeten auch, nicht wahr, Herr Leutnant?" fragte Oberarzt Dr. Wrangel, der zum erstenmal eine Geleitfahrt mitmachte und sofort viel zu tun gehabt hatte.
„Ja, sie müssen sofort bestens versorgt werden. Beim nächsten Törn nach Süden werden wir Sie wieder an Bord nehmen!"
„Dann werde ich alles vorbereiten", meinte der Oberarzt. „Die beiden schwerverwundeten Gegner werden doch schnellstens ins Hospital gebracht? Sie müssen direkt operiert werden und brauchen eine Bluttransfusion, Herr Leutnant."
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„Das werde ich veranlassen, Doktor!" Pollmann ließ einen Funkspruch absetzen. Die Bestätigung ging zehn
Minuten später ein. Sie besagte, daß die Schwerverwundeten sofort ins Hospital gefahren würden und Ärzte zur Operation der beiden Seeleute bereitstünden.
Mit dieser Nachricht ging Pollmann hinunter in seine Kammer, wo der WO und der Kommandant des U-Bootes einquartiert waren.
„Was machen meine Männer, Lieutenant?" „Es geht ihnen nicht schlechter, Commander. Sobald wir Palermo
erreichen, werden sie in ärztliche Betreuung kommen und sofort operiert werden."
„Ich danke Ihnen", antwortete der Engländer in seinem holprigen Deutsch. „Ich danke Ihnen sehr! - Ich wünschte, wir stünden uns nicht immer als Gegner auf See gegenüber."
„Das wünschten wir uns auch, Commander", bestätigte Pollmann. „Noch eins", sagte der U-Boot-Kommandant, „ich sah, daß einer Ihrer
Männer unseren Stander herunterholte. Meine Frau hat ihn gestickt. Wenn S ie . . . "
„Gehrkens!" wandte sich Pollmann an den Burschen, der ihn betreute. „Gehen Sie in die Messe und holen Sie den Stander!"
Gefreiter Gehrkens verschwand. Kurz darauf kam er wieder und brachte den Stander.
Pollmann erhob sich, nahm den U-Boot-Stander entgegen und gab ihn wortlos an den Kommandanten zurück. Dann ging er mit schnellen Schritten zum Schott und verließ den Raum.
Sie standen noch ungefähr zehn Seemeilen vor Palermo, da wurde Fliegeralarm gegeben.
„Scheiße!" sagte Oberbootsmannsmaat Streng, als das „Friedrich-Ludwig" durch die Decks gellte.
Plötzlich tauchten sie auf. Sie kamen aus Süden, genau aus der Sonne. Silbern blitzend huschten sie heran. Knapp dreißig Meter über der See fliegend, gerieten sie ins Blickfeld der Männer an Deck. Schon Sekunden später waren sie auf Wurfentfernung herangekommen.
„Lufttorpedos!" brüllte von der Kolk. Sie sahen, daß sie nicht gefährdet waren. Die Dreisieben-Mündung
beschrieb einen Halbkreis. Der Zwilling schoß, und die 2-cm-Flak fiel in das Feuer ein.
Auch auf UJ 2212 schöosen sämtliche Waffen. Drei, vier Torpedos liefen genau auf das Schwesternboot zu. Wenig
später wurde der erste Frachter getroffen. Eine Maschine stürzte brennend vor einem zweiten Schiff in die See und wurde von ihm überkarrt.
Kurz darauf traf es eine zweite, deren Torpedos noch in den Halterungen hingen. Sie wurde in der Luft zerrissen.
„UJ 2212 ist getroffen, Herr Leutnant!" Pollmann hatte keine Zeit, zum Kameradenboot hinüberzublicken. Er
mußte dem Aal ausweichen, der von einem der Flieger auf UJ 2210
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gezielt worden war. Mit zwei kurzen Schlenkern dampfte der Kommandant ihn aus. Dann erst sah er zu UJ 2212 hinüber und - erschrak.
Eine Flammensäule stand mittschiffs über dem U-Jäger. Weißer Dampf zischte in dicken Schwaden aus den getroffenen Kesseln. Achtern, dort wo die Fla-Waffen-Munition lagerte, brannte es. Er erkannte Männer, die in den Splitterschutz der Brücke rannten und die Eruptionen der auseinanderplatzenden Flak-Granaten.
UJ 2212 war dem Tod geweiht! Noch konnte keines der Geleitboote zur Unterstützung herangehen,
denn die Torpedoflieger drehten über See und flogen erneut an, um die restlichen Torpedos zu werfen.
Aus allen Rohren peitschte den anfliegenden Maschinen schweres Feuer entgegen.
Diesmal faßte Streng eine der Maschinen genau auf. Als sie auf gleicher Höhe mit UJ 2210 war, flitzten die Granaten in den Bug hinein.
Eine rote Flamme sprühte heraus. Die Torpedomaschine bockte, stieg etwas, zog hoch, und dann flatterten drei Fallschirme am Himmel. Einer hing an der Heckflosse der Maschine. Während die beiden übrigen langsam auf See niedergingen, stürzte der dritte mit dem stürzenden Flugzeug steil nach unten.
„Geleitzugführer an UJ 2210. Aufnehmen Schiffbrüchige UJ 2212. Alles andere läuft weiter wie befohlen."
Die Gefahr war vorüber. Drei oder vier Torpedomaschinen waren abgeschossen worden. Aber sie hatten einen Frachter getroffen, der zwar mit halber Kraft Palermo erreichte, aber für viele Wochen ausfiel und später vom Gegner bei der Eroberung Siziliens erbeutet wurde.
Sie liefen an den brennenden UJ 2212 heran. „Blinkspruch von UJ 2212, Herr Leutnant." Pollmann sah auf der rauchüberfluteten Brücke des Schwesternboo
tes die aufzuckenden Lichtstrahlen der Klappbuchs und las mit: „Bitte, an Back längsseits kommen und Besatzung übernehmen." Pollmann versuchte, dieser Bitte sofort nachzukommen. Doch dann
dachte er an die möglichen Folgen. Das, was er jetzt tun wollte, konnte unter Umständen für alle Männer seiner Besatzung den Schiffbruch und für viele von ihnen den Tod bedeuten.
„Antwort K an K: Nein, aussteigen! - Ich fische auf!" Fähnrich zur See Doering klapperte los. „Zu großes Risiko, Herr Leutnant", meinte von der Kolk. „Ja, UJ 2212 kann jeden Augenblick in die Luft fliegen, Kolk. Dort
können wir nicht längsseits gehen. Aber wir gehen so weit ran, wie es eben möglich ist. Boote werden erst gefiert, wenn wir stehen."
Sie krochen förmlich auf UJ 2212 zu. Pollmann sah durch sein Glas, wie Leutnant Behrensmann*) noch einmal auf die Brücke ging, den Kommandantenwimpel niederholte, ihn zusammenrollte und in die Tasche steckte. *) Einige Namen konnten nicht mehr eruiert werden und sind frei gestaltet
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Die ersten Seeleute schwammen auf UJ2210 zu. Das erste Boot wurde gefiert und dann auch das zweite. Matrosen pullten dem brennenden Schiff entgegen und fischten die Männer auf.
An Bord von UJ 2212 wurde das einzige heilgebliebene Floß zu Wasser gelassen. Verwundete wurden hinaufgehoben.
Schon sah es so aus, als sollte alles glattgehen, als auf einmal eine rie~ sige weißleuchtende Feuersäule aus dem Brandherd emporstob. Dann eine zweite, eine dritte und vierte.
Druckwellen zischten über die Brücke von UJ 2210 hinweg. Das Boot neigte sich weit über, schwankte, rollte und schlingerte.
„Die Wasserbomben, Herr Leutnant!" rief der Fähnrich. Das Boot legte sich weiter nach Backbord über. „Alle Mann außenbords!" befahl Leutnant Behrensmann noch einmal. Erst jetzt sprangen die letzten auf der Back versammelten Soldaten ins
Wasser und schwammen los. Nur der Kommandant war noch an Bord und die toten Kameraden. Der Bug stieg steil empor.
„Springen! - Springen!" rief Pollmann durch das Megaphon in das Rauschen der Flammen hinein.
Wenige Sekunden später sprang der Kommandant. Er ging unter, tauchte nach endlos erscheinender Zeit wieder auf, schwamm auf ein in der Nähe befindliches Boot zu und wurde an Bord gehoben.
In diesem Augenblick, da er bäuchlings über der Ruderbank lag, stieg der Bug von UJ 2212 steil in die Höhe, dann sank es.
Der U-Jäger setzte die Fahrt in den Hafen fort. Beim Einlaufen atmete Pollmann auf. Diese Fahrt war die bisher gefährlichste gewesen und hatte viel Nerven gekostet. Aber nun war es überstanden.
Sie gaben die Verwundeten von Bord. Der letzte Gruß, den der Leutnant auf der Brücke von UJ 2210 den gefangenen Engländern mitgab, galt einem besiegten Gegner, der ein Höchstmaß an Tapferkeit und Zähigkeit unter Beweis gestellt hatte.
Auf dem Rückmarsch von Palermo nach Genua hatte der Konvoi keine Feindberührung. Sie erreichten den Stützpunkt und machten an ihrer Pier fest.
Der Flottillenchef stieg aus einem Kübelwagen und ging auf Pollmann zu.
„Pollmann, ich bin stolz auf Sie und Ihre Besatzung!" „Danke, Herr Kapitän!"
Der Wagen, der Pollmann von der Besprechung beim Hafenkommandanten zurückbrachte, hielt mit kreischenden Reifen auf der Pier. Der Leutnant sprang heraus, ging auf die Stelling zu und kam an Bord.
Leutnant von der Kolk meldete. „Boot seeklar machen. Wir laufen in genau zwanzig Minuten aus!'' „Obersteuermann Kruck ist noch nicht zurück. Er hat Urlaub bis mor
gen mittag." „Dann laufen wir ohne ihn aus."
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Pollmann ließ die Offiziere und die Offiziersanwärter ins Kartenhaus kommen.
„Kameraden! Die Luftaufklärung hat ein U-Boot keine zwanzig Meilen vor der Hafeneinfahrt gesichtet. Wir haben Auftrag, das Boot zu stellen und es zu vernichten, bevor der Geleitzug nach Messina ausläuft."
„Wenn wir auslaufen, ortet er uns, Herr Leutnant!" „Möglich", gab Pollmann zu. „Aber wir werden uns an der Einfahrt
entlangschleichen und zuerst mit AK auf Südwestkurs gehen. Sobald wir den Gegner umrundet haben, greifen wir an."
Zwanzig Minuten später legte UJ 2210 ab. Mit kleiner Fahrt passierte es die Netzsperre. Schon meldete Moe
wergh die Ortung des Bootes. Mit zwanzig Grad Steuerbordruder drehten sie aus der Richtung heraus. Sie konnten feststellen, daß das U-Boot ihnen nicht folgte.
„Für den Hai sind wir ein zu kleiner Bissen", meinte von der Kolk, der neben dem Kommandanten stand.
„Das ist gut so. Damit haben wir ihn also nicht von seiner Lauerstellung fortgelockt. Er wartet auf einen Geleitzug."
Pollmann ließ sich von Steuermannsmaat Täubner die Standorte sagen. Erst als sie zehn Meilen hinter dem U-Boot standen, drehten sie auf Südkurs. Das U-Boot reagierte immer noch nicht auf sie. Da glitt UJ 2210 in einem weiten Bogen wieder nach Norden.
Die Meldungen aus dem Horchschapp zeigten, daß sie nun mit Lage Null auf das lauernde U-Boot zuliefen.
Dieses stand in kleiner Unterwasserfahrt vor dem Hafenrund auf und ab. Immer wieder mußte es das Sehrohr ausfahren, um etwas zu sehen.
In zwei Stunden würde der Geleitzug auslaufen, bis dahin mußten sie diesen Gegner gestellt haben, der sich so dicht vor die Höhle des Löwen gewagt hatte.
„Entfernung 7000 - kommen auf die Lage Null!" „Beide kleine Fahrt!" Sie schlichen jetzt auf den Gegner zu. Noch deutete nichts darauf hin,
daß sie erkannt worden waren. Auf den Gefechtsstationen standen die Männer wie erstarrt. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Gefecht beginnen würde.
Monoton hallten die Meldungen aus dem Horchschapp herauf. Plötzlich aber eine andere Meldung. Mitten in dem Auf- und Abstehen hatte das U-Boot Fahrt aufgenommen und war nach Westen gelaufen, um sodann nach Südwesten einzudrehen.
„Sehrohr Backbord querab!" brüllte Otto Sänger und deutete mit der freien Hand in die Richtung.
Pollmann sah es sofort, denn die Sonne spiegelte sich auf dem Kugelkopf. Außerdem hinterließ das Periskop im glatten Wasser der Bucht eine Wellenspur.
,. Es bricht durch!"
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Der Bug durchbrach die Wasseroberfläche und zeigte Pollmann damit an, daß das Boot mehrere Torpedos gelöst hatte.
„Hart Backbord!" UJ 2210 glitt herum, bot dem Gegner nur noch die scharfe Form des Stevens. „Mittschiffs!" kam der nächste Befehl und dann: „Dreimal AK!"
Die Torpedolaufbahnen wurden sichtbar. Es waren drei Blasenbahnen. Das bewies, daß der Gegner noch einen Aal im Rohr liegen hatte.
„Backbordruder 10!" Sie glitten noch etwas zur Seite. Die Aale zischten an ihnen vorbei. Das
Sehrohr war verschwunden, und Funkmeister Moewergh meldete das Boot ablaufend.
„Entfernung 1000! - Kommen schnell auf in Lage Null!" „Fertig bei Wasserbomben!" „Torpedogeräusche!" brüllte Moewergh aus dem Horchschapp, und
diesmal schwang Entsetzen in der Stimme des Friesen mit. Und dann hörten auch die Männer, die im Bauch des U-Jägers auf
ihren Stationen standen, das helle Surren durch das Stampfen der eigenen Dieselmaschinen. Es kam näher und - jetzt!
Weit unter dem Boot gingen die drei vorbeigeschossenen Aale irgendwo am Ufer oder vor dem Hafen hoch. So kurz war die Zeitspanne, die bis dahin seit dem ersten Torpedoschuß vergangen war.
„Backbord zwanzig!" Sie drehten mit, doch die nächsten Meldungen zeigten, daß ihr Dreh
kreis bedeutend größer war, als der des U-Bootes, das immer mehr nach innen kam.
„Hart Backbord!" Aber dann kam die Meldung: „Schraubengeräusche achtern, schnell
auswandernd." Ein Pulk Räumboote und zwei Dampfer erreichten in diesem Augen
blick den Sichtbereich von UJ 2210. „Funkspruch: U-Boot-Warnung!" „Backbord voraus. Entfernung 3000!" „Läuft also weiterhin Ostkurs, Herr Leutnant", warf Fähnrich Doe
ring ein, der mit der Klappbuchs in der Hand an der Brückennock lehnte. Zwanzigmal erfolgte eine knappe Korrektur. Dann lag UJ 2210 auf
richtigem Kurs. Kurze Zeit später waren sie „über Kopf", und die Wabos klatschten ins
Wasser. Pollmann stand dort, wo er nach achtern Ausblick hatte. Er sah wie
sich das Meer aufbäumte und sich ein dreifacher Wasserschwall hochwölbte. Schillernd im Licht der Abendsonne sah er - Öl!
Der Gegner war angeschlagen. Fieberhaft arbeiteten die Wabo-Bedienungen. Die Racks wurden nachgeladen, neue Kartuschen eingesetzt, während UJ 2210 noch in einem weiten Bogen drehte, um zum zweiten Anlauf die richtige Einstellung zu finden.
Für die Männer in dem feindlichen Boot mußten dies die schlimmsten Sekunden sein: Jene Zeit unmittelbar nach der Explosion, wo die Schä42
den auftraten und sich Sein oder Nichtsein des Bootes entschied. Die nächste Salve schon konnte die Entscheidung bringen.
„Gegner liegt still, Herr Leutnant. Keine Ortung!" „Dort, wo das Öl hochkommt!" wies der Kommandant die Stelle des
nächsten Fächerwurfes. Sie drehten an, liefen diesmal mit kleiner Fahrt auf die Wurfstelle zu,
um sie möglichst deckend zu treffen. Pollmann gab den Feuerbefehl. Er sah, wie die drei Wabos an der richtigen Stelle in die See klatschten.
Dreifach der Schlag, dreifach die Wasserblöcke, und dann mehrere Geräusche, selbst auf der Brücke zu hören und im Horchschapp genau zu lokalisieren.
Auf einmal öffnete sich die See. Aus der Tiefe zischte wie eine dunkle Fontäne meterhoch eine Ölfontäne empor, durchsetzt mit festen Gegenständen. Sie waren deutlich zu erkennen und wurden vom Fähnrich auch angesprochen:
„Wrackteile, Herr Leutnant!" Große Eisenstücke schaukelten für Augenblicke auf der Spitze des
Ölstrahles, einige Meter über der Wasseroberfläche, um danach zurückzuklatschen und zu versinken.
„Das war das Ende, Herr Leutnant!" Es sah so aus. Unter dem ausströmenden Öl mußte das U-Boot fast auf
dem Grund liegen. Und dorthin sollte die nächste Serie mit tiefster Einstellung gehen.
Wieder ein Anlauf. Noch einmal fielen Wasserbomben, sackten auf Tiefe, detonierten.
Aus der Tiefe stieg eine riesige, perlende Wasserblase in die Höhe. Der Ölaustritt war weiterhin zu beobachten.
Ein Drama im Golf von Genua war zu Ende. Und dennoch: Die letzte Gewißheit bestand noch nicht. Während der ganzen Nacht kreuzte UJ 2210 deshalb vor dem Hafen in der weiten Bucht.
Das Auslaufen des Geleitzuges konnte auf diese Weise gedeckt werden. Schemenhaft zogen die Schiffe an den Männern des U-Jägers vorüber und verschwanden in südlicher Richtung.
Kein U-Boot wurde geortet, nichts war zu hören. Als es Tag wurde, lief UJ 2210 zum Versenkungsort zurück. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Ein gewaltiger Ölfleck von drei bis vier Seemeilen Durchmesser breitete sich dort aus und kennzeichnete die Stelle, wo das siebente englische U-Boot im Zweikampf mit Pollmanns Boot unterlegen war.
Am 10. Juli begann die Invasion Siziliens durch die Alliierten. Mit Besorgnis verfolgte Pollmann die Geschehnisse auf der Insel. Bald wurde offenbar, daß sich die deutschen Truppen allein nicht würden halten können. Da begann das große Rätselraten, ob es dem „Seetransportführer Messinastraße", Fregattenkapitän von Liebenstein, gelingen würde, die deutschen Truppen wenigstens auf das italienische Festland zu überführen.
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Auf einer Fahrt von Genua nach Bastia, wohin Teile einer Waffen-SS-Division transportiert werden mußten, stieß UJ 2210 auf zwei U-Boote. Eines dieser Boote versenkte einen Frachter, und das zweite lief auf den Haupt-Transporter an, als UJ 2210 zur Stelle war.
Der erste Angriff schlug fehl. Dennoch war es dadurch gelungen, einen gezielten Torpedoschuß auf den Transporter zu verhindern. Die beiden Aale, die dem Schiff gegolten hatten, liefen vorbei und detonierten an der Steilküste.
Der zweite Anlauf gelang, noch bevor das U-Boot den zweiten Torpedoschuß lösen konnte. Wasserbombendetonationen ließen das Boot auftauchen. Die beiden „Zehnfünf" eröffneten das Feuer aus kurzer Entfernung. Ihre Granaten hämmerten in den Turm, schmetterten das Geschütz auf der Back herum. Danach erhielt das U-Boot einen Treffer unterhalb der Wasserlinie. In wenigen Sekunden war es von der Wasseroberfläche verschwunden und nahm die Besatzung mit in die Tiefe.
Noch bevor die drei U-Jäger, die diesen Transport nach Bastia begleitet hatten, den Rückmarsch nach Genua antreten konnten, lief wie ein Lauffeuer die Nachricht durch die Decks der Boote, daß die Italiener vom Bündnis abgefallen waren.
Pollmann war betroffen. Er kannte viele italienische Seeoffiziere der Torpedoboote und Schnellboote, denn sie waren des öfteren in La Spezia, dem Haupthafen der italienischen Flotte, zu Gast gewesen.
„Jetzt wissen wir auch, warum die Alliierten noch nie den Hafen von La Spezia bombardiert haben." Von der Kolk sprach das aus, was Pollmann nur dachte.
„Dieser 8. September 1943 wird uns in Erinnerung bleiben", sagte Oberfähnrich Bartilack, und er ahnte nicht, wie sehr diese Prophezeiung für den nächsten Tag zutreffen sollte.
Noch am Abend erhielt Pollmann, ebenso wie die Kommandanten von UJ 2203 und UJ 2219, die Nachricht, daß die deutsche Führung im Mittelmeer die auf Korsika stehenden italienischen Truppen aufgefordert hatte, Stadt und Hafen Bastia freizugeben.
„Alles hält sich bereit zur Inbesitznahme des Hafens, wenn die Italiener ihn nicht kampflos räumen."
„So ein Mist!" sagte Oberbootsmann Piehler vernehmlich. „Jetzt müssen wir auch noch gegen unsere eigenen Verbündeten kämpfen."
Kurz vor Mitternacht wurde bekannt, daß die Italiener die deutschen Stellen zerniert hatten. Das deutete auf Kampf hin.
Die U-Jäger liefen aus dem Hafenbecken von Bastia aus und stellten sich außerhalb der Reichweite der italienischen Stellungen bereit.
Gut drei Stunden nach Mitternacht erhielten die deutschen Boote auf See die Nachricht, daß die italienische Flotte aus La Spezia ausgelaufen sei.
Wenig später wurden Torpedoboote gesichtet, die Bastia verlassen hatten, um sich diesem Verband anzuschließen.
„Angriff." Die U-Jäger griffen an. Ihre Geschütze feuerten in raschem Salven
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takt. Die Torpedoboote erwiderten das Feuer. Sie hatten bedeutend stärkere Geschütze und binnen weniger Minuten wurde UJ 2203 vernichtend getroffen. Dieser ältere Dampfer mit seinen 1096 BRT hatte gegen die Torpedoboote keine Chance. Brennend trieb er auf der See.
UJ 2210 entging mehreren Salven. Das Boot erhielt einen schweren Treffer. Dann wurde UJ 2219 eingedeckt und sank nach kaum einer Minute.
Die italienischen Torpedoboote liefen ab und verschwanden im Frühnebel. UJ 2210 blieb die Pflicht, die im Wasser schwimmenden Schiffbrüchigen zu bergen.
Auf Elba, wo in Portoferraio der Kreuzer „Indomito" und zwei Zerstörer sowie ein Torpedoboot-Geschwader lagen, ging es zum Glück anders herum. Dort verkündeten die Offiziere der Einheiten, daß sie nicht nach Malta auslaufen würden. Sie wollten ihre Schiffe versenken, falls sie einen solchen Befehl erhalten würden.
Die Torpedoboote „Impetuoso" und „Pegaso" gingen Anker auf und liefen den Hafen von Mallorca, Pollensa, an, um dort in die Internierung zu gehen. Sie wollten nicht gegen die deutschen Waffenbrüder kämpfen. Doch dann verließen sie den Hafen wieder und versenkten sich selbst.
Der Abfall der Italiener hatte damit auch zwei U-Jäger gekostet, die sich plötzlich einer Übermacht gegenübergesehen hatten und - kämpfend untergegangen waren.
Nach diesem Ereignis und nach Auslaufen der italienischen Kriegsflotte nach Malta und Alexandrien hatten die Alliierten 260 000 BRT, „feindlichen" Kriegsschiffsraumes, kampflos gewonnen.
Die Italienier waren aus ihrem „mare nostro" verschwunden. Nur ihre Kleinkampfeinheiten und die kleinen Boote setzten - unter deutscher Flagge und mit deutschen Besatzungen - den Kampf fort.
Der Seekrieg im Mittelmeer mußte von diesem 9. September 1943 an allein von den deutschen Kleinkampfeinheiten und den wenigen deutschen U-Booten gegen eine hundertfache Übermacht geführt werden.
Nach wie vor galt es im Mittelmeer, die Versorgung der deutschen Truppen und Stützpunkte durch Geleitfahrten sicherzustellen.
Das aber erwies sich als ein immer schwieriger werdendes Unterfangen, denn inzwischen waren die Alliierten an zwei verschiedenen Stellen auf dem süditalienischen Festland gelandet und schickten sich an, durch die offene Südtür in die „Festung Europa" einzudringen.
Der Gegner, insbesondere die englischen U-Boote, bemühten sich unablässig, diesen Geleitzugverkehr zum Erliegen zu bringen. Hinzu kam die feindliche Luftwaffe, die nun nicht nur von Malta und Gibraltar, sondern auch von Sizilien aus angriffen.
Diesen beiden Fakten mögen die Schwierigkeiten verdeutlichen, denen sich die U-Jäger und die Geleitfahrzeuge der verschiedenen Sicherungsdivisionen im Mittelmeer gegenübersahen.
Wie gefährlich diese Geleitfahrten wurden, zeigte sich erstmals am 18. September 1943, als UJ 2205 (ehemals „Jaques Coeur") von feindlichen Jagdbombern angegriffen und versenkt wurde.
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Wenig später erhielt UJ 2214 einen Torpedotreffer, als es versuchte, ein U-Boot von dem Geleitzug abzudrängen, mit dem es als Sicherung fuhr. Der U-Jäger sank sofort.
Und als fünfter Bootsverlust der 22. U-Jagd-Flottille in diesem Monat strandete UJ 2218 am 26. September 1943 bei Addenza.
Damit war die aus dreißig Booten bestehende Flottille auf nunmehr 10 Boote zusammengeschmolzen (neun Boote kamen erst ab Februar 1944 hinzu).
Doch die Einsätze gingen weiter, wenn sich auch die Fahrten verkürzt hatten, weil der Gegner nähergerückt war.
Die ersten Herbststürme fegten über das Mittelmeer, als UJ 2210 mit R 119 und UJ 2209 als Geleitsicherung für einen Konvoi nach Livorno durch das Meer stampften. Die See ging mit Stärke 4, und der Wind, der die Boote von Steuerbord packte, jagte mit Stärke 6 bis 7 und ab und zu mit Böen von 8 gegen sie an.
R 199 wurde förmlich über die Wellen geschleudert, bis der Geleitzugführer das Boot auf die Backbordseite beorderte, in den Windschatten eines der Transporter. Drei Tanker liefen noch im Geleitzug. Das war „Edelwild" für die U-Boote.
„Ob sie kommen, Herr Leutnant?" fragte Oberbootsmann Piehler, der III WO, als der Kommandant auf die Brücke kam.
Pollmann drückte den Südwester fester auf den Kopf, bevor er antwortete:
„Wenn ich U-Boot-Kommandant wäre, Piehler, dann würde ich mir diesen fetten Bissen nicht entgehen lassen."
„Also werden sie kommen, Herr Leutnant!" stellte Piehler fest. Otto Pollmann nickte und suchte die Meeresoberfläche ab. Von ach
tern und von Steuerbord wehte der Wind eiskalte Gischtschleier über die See und schleuderte sie der Brückenwache und den Männern auf den Stationen in den Nacken.
Die Roller gingen von Steuerbord zwanzig auf UJ 2210 los, überliefen die Back, donnerten gegen die Aufbauten und gegen die Geschütze und überschütteten die Männer mit einer eiskalten Brühe, deren Salzgehalt sich in den Augenlidern, an den Brauen und auf der Stirn absetzte.
Immer wieder mußten auf der Brücke des U-Jägers die Ferngläser trockengerieben werden, da sonst ein trüber Schleier die Sicht behinderte. Sehen können, das war hier aber so gut wie eine Lebensversicherung.
Pollmann stand auf seinem Posten. Dieses Seegebiet kannte er mittlerweile wie seine eigene Westentasche. So erkannte er schon an den kleinsten Zeichen einen Gegner, wenn einer in der Nähe stand.
Leutnant von der Kolk kam nach oben, um die nächste Wache zu übernehmen. Piehler übergab die Wache und zog dann mit dem Bootsmannsmaat der Wache und den übrigen Wachgängern ab.
Der Leutnant war noch keine fünf Minuten auf der Brücke, als Pollmann - wie schon so oft zuvor - ein weit herausgekommenes Sehrohr
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ausmachte. Und dieses Periskop stand zwischen ihm und dem Geleitzug. Nur deshalb konnten die Schraubengeräusche dieses U-Bootes in dem Gewirr der anderen Schraubengeräusche auch untergegangen sein.
„Sehrohr Backbord querab!" Sie preschten dem Periskop entgegen. Von einer Sekunde zur anderen
verschwand es vor der grobgehenden See. „Horchraum an Brücke. Schraubengeräusche, schnell näher kom
mend. Lage Null." Der U-Jäger lief mit schnellster Fahrt auf den Geleitzug zu, der ver
ständigt worden war und warfen eine Wasserbombensperre zwischen dem U-Boot und dem Konvoi.
Sie hielten genau auf das U-Boot zu, das offenbar schießen wollte, denn es behielt seinen gelaufenen Kurs genau bei.
„Achtung- Feuer!" Die Wasserbomben schlugen in die See, waren sofort verschwunden
und detonierten. Eine hohe Feuersäule, durchsetzt mit riesigen Ölmengen und zahl
reichen Wrackteilen, stob aus dem Meer. Eine ungeheure Druckwelle riß UJ 2210 aus dem gelaufenen Kurs her
aus und traf das Boot genau in die Steuerbordflanke, so daß es um ein Haar gekentert wäre.
Gebannt, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, stierten alle auf das grausige Bild der totalen Vernichtung: denn nichts anderes spielte sich hier ab.
Das war ein absoluter Volltreffer gewesen. Die Wasserbomben waren nicht nahe beim Boot, sondern auf ihm auseinandergeborsten. Mit diesem Treffer waren sämtliche Torpedos hochgegangen, hatten sich die Detonationsflammen vereint und waren aus dem Wasser emporgesprungen.
Auf der Brücke war es auf einmal totenstill geworden. Auch der Kommandant starrte auf das Chaos, das sichtbar die Vernichtung eines weiteren - des neunten - Feindbootes anzeigte.
Der Geleitzug erreichte sein Ziel. Mit dem nächsten Transport marschierten die drei Einheiten der Kriegsmarine wieder in Richtung Genua zurück.
Die Nachrichten, die spärlich von den übrigen feindlichen Marinen durchsickerten, ließen erkennen, daß Pollmann der erfolgreichste U-Jäger geworden war.
Die Einsätze der 7. Sicherungs-Division häuften sich im Winter 1943-44. Immer wieder mußten die Boote der 22. U-Jagd-Flottille, der 11. Räumboot-Flottille und der neuaufgestellten 10. Torpedobootflottille letztere aus den italienischen schnellen Beute-Torpedobooten aufgestellt - die Geleite nach Westen und Osten begleiten.
Die Wintersee machte jeden Einsatz - auch diejenigen, die ohne Feindberührung zu Ende gingen - zu einer Fahrt durch die Hölle.
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Die Männer standen auf den Gefechtsstationen, wurden von der groben See überspült, von Hagelschauern gepeitscht und vom Salz des Seewassers zerfressen. Die Wachen wurden auf zwei Stunden verkürzt, denn vier Stunden hielt es niemand auf der Brücke oder an den Geschützen aus.
Am 2. November entging UJ 2210 um Haaresbreite der Vernichtung. Das Boot war mit UJ 2206 nach Porto Stefano unterwegs gewesen, als plötzlich in einer Regenbö ganz überraschend amerikanische Schnellboote auftauchten. Es waren vier Schnellboote, die zusammen acht Torpedos abfeuerten. UJ 2210 konnte die beiden genau auf das Boot zulaufenden Torpedos ausmanövrieren. Noch in der Drehung hörten Pollmann und alle anderen Männer, wie einer der Torpedos UJ 2206 traf. Sekunden später wurde dort, wo der ehemalige Dampfer „S. Martin Legasse" lag, die See von ungeheueren Feuerschlägen überzuckt.
„Die Wasserbomben!" schrie einer der Ausgucks entgeistert. Und so war es, die an Deck von UJ 2206 bereitliegenden Wasserbomben krachten auseinander und rissen das Boot binnen kurzer Zeit in Fetzen.
Es konnte kein Mann der Besatzung aufgefischt werden. Das „Weihnachtsfest" begingen sie in der Hauptunterkunft. Es wurde
ein nachdenkliches Beisammensein. Die erste Januarhälfte sah sie im Marsch auf Anzio, denn dort wurden das Material und die Verstärkungen für die Abwehrschlacht in der Gustav-Stellung und bei Monte Cassino ausgeladen. Seit Mitte Januar versuchte der Gegner an dieser Stelle durchzubrechen und den Weg auf Rom zu öffnen.
Auf dem Rückmarsch, der am 18. Januar 1944 angetreten wurde, eskortierten sie einen leergehenden Geleitzug nach Genua. Lediglich zwei Frachter sollten in Porto San Stefano aufgenommen werden. Sie waren mit Material für die Reparaturdocks in Genua und für den Stab der 7. Sicherungsdivision in Genua-Nervi bestimmt.
Am 22. Januar verließen sie Porto San Stefano. Zu dieser Zeit hörten sie von der Großlandung bei Anzio-Nettuno.
„Wenn wir noch zwei Tage länger dort gewesen wären, Herr Leutnant, dann hätten uns die Amis kassiert", meinte Oberfähnrich Bartilack, als sie durch Funkspruch gewarnt wurden.
„Wir sind aber noch gut herausgekommen. Nur die leeren Frachter sind wahrscheinlich gesprengt worden, Bartilack. - Übrigens habe ich für Sie eine Überraschung."
„Und die wäre?" fragte der Oberfähnrich. Pollmann zog einen Funkspruch aus der Tasche und las ihn vor: „Oberfähnrich z. See Horst Bartilack wird mit Wirkung vom 1. Januar
1944 zum Leutnant z. See befördert." „Wir gratulieren!" sagten die Wachgänger auf ein Zeichen von Boots
mannsmaat der Wache Grübel im Chor. Im nächsten Augenblick quakte der Lautsprecher zur Brücke, und
Moewerghs Stimme war zu vernehmen: „Schraubengeräusche. Zehn Grad Backbord voraus. Entfernung 10
Meilen."
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Es war soeben ganz hell geworden. Die Uhr des Kommandanten zeigte die achte Morgenstunde an. Obersteuermann Kruck war gerade auf die Brücke gekommen, um den Standort zu bestimmen.
„Ich greife an!" ließ Otto Pollmann durch die Klappbuchs zu den beiden Sicherungsfahrzeugen hinübergeben.
Mit AK stürmte UJ 2210 nach Nordwesten. Die Horchmeldungen ergaben, daß sie rasch aufkamen, daß also das feindliche U-Boot auf Lauerposition lag und den Geleitzug in der Enge zwischen den Inseln Pianosa und Elba packen wollte.
Mit schneller Fahrt von 14 Knoten liefen sie zum ersten Wurf an. Durch diese Geschwindigkeit wurde ein unter See operierendes U-Boot meistenteils überrumpelt, weil es unter Wasser nur die halbe Geschwindigkeit des Überwasser-Angreifers erreichte.
„Über Kopf!" rief Moewergh. Wasserbomben klatschten ins Wasser. UJ 2210 drehte nördlich des U-Bootes und ging nach Osten herum.
Durch sein Glas suchte Pollmann die Wurf stelle ab. Doch außer normalem Schaum sah er nichts. Dieser erste Fächer war offenbar ohne Wirkung geblieben.
„Zweiter Anlauf!" Sie drehten, nahmen Front, liefen wieder an, und diesmal, mit nur acht
Knoten Fahrt, bestimmten sie auf den Meter genau den Standort des Feind-U-Bootes. Nur die Frage der Tiefeneinstellung war zu kombinieren.
„Feuer!" Die Wabos torkelten durch die Luft, klatschten ins Wasser, sackten
tiefer. Unmittelbar nach dem dreifachen Detonationsschlag wurde der Bug des U-Bootes aus dem Wasser geworfen. Dann tauchte auch noch ein Teil des Vorschiffs aus der See.
Die drei Wabos mußten wenigstens teilweise unter dem Kiel des U-Bootes detoniert sein, denn sonst wäre eine solch elementare Aufwärtsbewegung nicht möglich gewesen.
„Feuer frei!" befahl der Kommandant der „Dreisieben". Doch bevor das Geschütz auf das Ziel gerichtet war, stellte sich das U-Boot plötzlich auf das Heck und stand nahezu senkrecht in der See. Die im unbeschädigten Vorschiff befindliche Luft wurde von dem unten - also achtern eindringenden Wasser derart verdichtet, daß sie genügend Auftriebskraft hatte, das U-Boot in dieser Lage sekundenlang festzuhalten.
Keiner dachte mehr an das Schießen. Alle starrten auf das bisher in dieser Form noch nie gesehene Bild.
Und auf einmal blies es zischend. Die Luft entwich. Dann sackte das U-Boot senkrecht nach unten und entschwand den Blicken der U-Jäger-Besatzung.
Sie warfen noch Wasserbomben hinterher, doch dieser Bomben hätte es nicht mehr bedurft. Die Geräusche der zerbrechenden Schotten waren zu vernehmen. Eine Explosion grollte. Ein Drama war zu Ende gegangen.
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UJ 2210 hatte sein zehntes U-Boot vernichtet. Der Heimmarsch wurde fortgesetzt. Im Golf von Genua trafen sie noch
auf einen Pulk Bomber, die versuchten, den Geleitzug noch kurz vor dem Hafen zu versenken. Als die Bomber verschwanden, brannte einer der unbeladenen Frachter. Er wurde von zwei ausgelaufenen Schleppern ins Reparaturbecken gezogen, wo der Brand gelöscht wurde.
Am 26. Januar 1944 erhielt Pollmann die Oberleutnants-Schulterstükke und das Deutsche Kreuz in Gold.
UJ 2210 lief am Nachmittag des 1. Februar 1944 wieder aus. Diesmal zur freien Jagd entlang der Küste. Es waren sowohl U-Boote als auch feindliche Schnellboot-Einheiten gemeldet worden.
Pollmann, zum erstenmal als Oberleutnant z. See auf der Brücke, suchte mit dem Fernglas die See ab. Der Abend war trübe und regnerisch, die Sicht schlecht.
Die Fahrt ging entlang der Riviera di Levante in Richtung Livorno. Aus Sestri Levante kam ihnen ein deutscher Geleitzug entgegen. Er schlich entlang der Fahrwasserrinne durch die See. Doering machte einen Blinkspruch hinüber und signalisierte gute Fahrt.
Die See, die am Vormittag noch mit Stärke vier bis fünf gegangen war, hatte sich beruhigt. Der Wind war eingeschlafen, und es sah so aus, als würde es eine ruhige Nacht werden.
Es wurde auch eine. Sie schwabberten in der weiten Bucht von Sestri Levante und horchten in die Dunkelheit. Sie hörten Warnmeldungen über Einflüge feindlicher Flugzeuge, die aus Nordafrika in Richtung Athen flogen und dort wahrscheinlich den Hafen Piräus bombardieren wollten. Von dort aus, das wußte Pollmann, bezogen auch sie ihren „Saft" für die Boote. Denn dort liefen nach wie vor deutsche Tankdampfer in Richtung Dardanellen und umgekehrt, die die Versorgung der deutschen Truppen auf dem Balkan mit Treibstoff sicherstellten.
„Gut, daß wir jetzt die 10. Torpedobootflottille haben, Herr Oberleutnant", brachte unten in der Messe nach dem Abendbrot Leutnant z. See Bartilack das Gespräch wieder in Gang.
„Ja, diese größeren Boote haben eine bessere Feuerkraft als wir." Sie redeten noch eine Weile, dann stand Pollmann auf. „Ich haue mich
auf die Koje. Gute Nacht! Meldung sofort, wenn etwas gehorcht wird." Er legte sich hin und schloß die Augen. Wie, so fragte er sich, sollte es
hier weitergehen? Jetzt, wo die Alliierten bereits auf der Höhe von Rom gelandet waren und bald wohl auch bei Monte Cassino frontal durchbrechen würden, konnten sie binnen kurzer Zeit bis weit nach Norden vorstoßen und sämtliche Häfen besetzen. Dann saßen sie hier in der Falle.
Als sein Backschafter (Bursche) ihn weckte, war es fast sechs Uhr. Auf der Brücke wurde er von Leutnant Bartilack begrüßt. Die Brückenwächter suchten ihre Sektoren ab. Otto Pollmann nahm
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die Küstenlinie aufs Korn, denn von dort aus - aus Süden und Südosten - kamen meistenteils die Feindflieger.
Als er sein Fernglas herumschwenkte und den Teil der See an Backbord voraus beobachtete, erspähte er die drei winzigen blitzenden Punkte.
„Fliegeralarm!" gab er durch. „Friedrich-Ludwig! - Friedrich-Ludwig!" gellte das Signal durch das
Boot. Sekunden später erwachten die Bedienungen der Fla-Waffen aus ihrer
Erstarrung. Oberbootsmannsmaat Streng hatte die Punkte bereits im Visier, die
sich schließlich, als sie groß genug geworden waren, als drei Spitfire entpuppten.
„Feuer frei!" Die „Dreisieben" eröffnete den Beschuß. In schneller Folge flitzte den
Flugzeugen die Zweifachspur der Leuchtgranaten entgegen. Alle „Zwozentimeter" und die achtern neu hinzugekommene „Dreisieben" schossen bereits, nachdem die Maschinen bis auf zwei Kilometer herangekommen waren.
„Sie greifen an, Herr Oberleutnant!" rief Bartilack, der unmittelbar nach dem Alarm mit der Tasse Kaffee in der Hand auf die Brücke gestürzt war.
Aber als sie in den Wirkungsbereich der Zwozentimeter hineinflogen, drehten die drei Spitfires ab und zogen sich auf die offene See zurück.
„Die werden eine Meldung absetzen. Wenn ein U-Boot in der Nähe ist, wird es auf uns eindrehen und angreifen."
„Könnte sein, Bartilack", antwortete der Kommandant nachdenklich. Sie liefen auf ihrem Kurs entlang der Küste weiter. Die Sonne war
inzwischen aufgezogen und stand bald über den Felsen an Land. „So haben wir das Licht im Rücken und können jeden nahenden Geg
ner ausmachen", erklärte Pollmann seinen „Küstenschleicher". Immer wieder wichen die Uferfelsen zurück und gaben eine neue
Bucht frei, mit einem kleinen Hafen. Es war ein schönes und zugleich vertrautes Bild.
Pollmann spürte auf einmal wieder jene seltsame Erregung. Etwas lag in der Luft. Dafür hatte er etwas wie einen sechsten Sinn. Aber was? Ein U-Boot?
„Aufpassen, Männer!" sagte er nur. Die Suche der Brückenwache wurde intensiver. Der Morgen hatte
seine Ruhe verloren. Etwas in der Stimme des Kommandanten hatte sie aufhorchen lassen.
Plötzlich meldete der unermüdliche Moewergh: „Schraubengeräusche. Steuerbord querab. Entfernung 10000!" „U-Boot-Alarm!" Die Decks hallten vom Trappeln vieler Stiefel wieder. Überall nahmen
die Männer ihre Stationen ein. „Schraubengeräusche auswandernd. Jetzt Steuerbord voraus. Entfer
nung 7000!" kam wenige Minuten darauf die nächste Meldung.
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„Steuerbord zehn. Neuer Kurs 190 Grad. - Beide AK!" UJ 2210 glitt etwas zur offenen See herum. Die Schrauben drehten sich
schneller, die Hecksee wirbelte höher, der Steven hob sich, als er durch den grauen Spiegel der See pflügte.
Sie gewannen rasch an Vorsprung. Als Moewergh den Gegner Backbord, achterlicher als querab meldete, ließ Pollmann wieder in einem weiten Halbkreis zur Küste zurückdrehen.
Noch immer lief das U-Boot mit kleiner Fahrt durch die See. Da! Jetzt kam der „Spargel" hoch, beobachtete der Kommandant die Küstenlinie. Er drehte, mußte sie gleich erfassen. Noch 1000 Meter, dann noch 500 Meter! Jetzt war das Sehrohr herumgekommen. Alles war bereit. Der Arm des Kommandanten zeigte senkrecht nach oben, um in den nächsten Sekunden herunterzufahren und das Signal für den Wurf zu geben. Da surrte der „Spargel" plötzlich zurück. Das U-Boot sackte weg.
Der Jäger stand bereits „über Kopf". „Rabamm! - Rabamm! - Rabamm!" Dreifach die grollende Detonation. Dreifach die schäumenden Was
serberge, die aus der See emporstoben. „Da!" rief Bartilack. Einen Augenblick lang sprudelte es hellgrün aus der Tiefe der See
empor. Lange, nachdem die Detonation verhallt war. „Preßluft! Der bläst eine Preßluftgruppe ab, Herr Oberleutnant!" Die sprudelnden Bläschen waren deutlich zu erkennen. Otto Pollmann
schätzte die Verlängerung von der Wurf stelle bis dorthin, wo die Preßluftblasen nach oben stiegen und zerplatzten. Diesen Weg hatte das U-Boot zurückgelegt. Und von der ersten Wurfstelle bis zu diesem Spout mußte ein neues Wasserbombenfeld gelegt werden.
„Neuer Anlauf! Einzelwürfe nach Befehl. Backbord-Rack beginnt. Dann im Abstand von zehn Sekunden die beiden anderen."
Sie erreichten die Ausgangsstellung, liefen jetzt nur noch kleine Fahrt, um die Wurf stelle genau zu erreichen. Dann wurde geworfen.
Eine nach der anderen versanken die Wasserbomben, fielen bis auf die eingestellte Zündtiefe, krachten auseinander und schickten neue Wassergebirge nach oben.
Kaum war die letzte Detonation verhallt, als UJ 2210 auch schon drehte. Während dieses Manövers sah Pollmann, wie sich die See auf einmal wie ein großes, überdimensionales Maul öffnete und ein Gemisch von Seewasser und schmutzigbraunem Dieselöl ausspie, das mit hellgrünem Preßluftschaum durchmischt war.
„Treffer, Herr Oberleutnant!" „Kein Zweifel", bejahte Pollmann. Aber er wußte, daß der Feind erst
angeschlagen war, daß er noch nicht aufgeben würde. Dafür waren U-Boot-Kommandanten zu zäh.
„Neuer Anlauf!" Sie griffen abermals an und warfen einen Fächer mit verschiedenen
Tiefeneinstellungen. Dann noch ein Anlauf. Diesmal wieder ein „Springer" aus Öl und Wasser, der einen weiteren Treffer anzeigte. 52
In weiten Kreisen zog UJ 2210 um die letzte Wurfstelle herum. Pollmann ließ die Wabos einzeln einstellen und legte das Feld derart,
daß das U-Boot, wenn die erste mit größter Tiefe eingestellte Bombe es hochgedrückt hatte, durch die nächsten Detonationen vollends nach oben geworfen werden mußte.
„Anlauf." befahl er dann. Kurz darauf krachte die Salve auseinander. Als die letzte Wasserbom
be detoniert war, dröhnten aus der Tiefe der See mehrere schwere Detonationen in kurzer Folge herauf.
Die Bomben hatten vermutlich sämtliche Torpedos des U-Bootes mit in die Luft gejagt. Eine mächtige Sprengladung war in der Tiefe auseinandergeborsten. Die Explosionsgase hatten sich ihren Weg nach oben gebahnt.
Dicht hinter dem Heck des U-Jägers fiel dieses mächtige Gebilde in sich zusammen. Ein Wasserberg rollte über das Heck, riß die Bedienung der achteren Zwozentimeter von den Beinen und - schleuderte zwei Männer über die Reling in die See.
„Wassereinbruch Maschinenraum!" meldete Obermaschinist Ahlers. „Wassereinbruch Vorschiff!" Schreie gellten, erst jetzt konnten sie nach dem Getöse und dem rau
schenden Schlag der See gehört werden: „Mann über Bord!" „Rettungsgruppe klar!" Ein Boot wurde gefiert, das die im Wasser schwimmenden Männer
rasch erreichte und barg.
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Schäden über Schäden! Fünf Männer waren wegen Verstauchungen und Knochenbrüchen ausgefallen. Leutnant z. See Bartilack hatte eine klaffende Wunde über dem rechten Auge, bis zur Augenbraue hinunter.
Der Flottillen-Ingenieur, der diesmal an Bord war, eilte in den Maschinenraum. Er mußte zusammen mit den Dieselmaschinisten die Maschine wieder klarmachen. Aber wie sollte er das fertigbringen?
Der grausige Vernichtungsschlag, der das Feind-U-Boot in viele Stükke zerrissen hatte, wäre um ein Haar auch UJ 2210 zum Verhängnis geworden. Pumpen, mit denen der Wassereinbruch aufgehalten werden sollte, waren ebenfalls ausgefallen.
Gläser und Manometer waren zerborsten. Aber Sestri Levante war zum Glück nicht weit, und als Funkmaat Röllecke das Funkgerät wieder klarmeldete, ließ Pollmann einen Schlepper anfordern.
„Boot bekommt Schlagseite!" meldete von der Kolk, als eben der Funkspruch hinausgegangen war.
„Verdammter Mist!" rief Bartilack. Pollmann aber dachte bereits nach. Sekunden vergingen.
„Wasserbomben von Steuerbord nach Backbord mannen!" befahl er. Fluchend und dennoch in der Hoffnung, daß dies vielleicht die letzte
Möglichkeit sein könnte, den Untergang des Bootes nach dem Kentern zu vereiteln, gingen die Männer an die Arbeit. Winden kreischten. Seilzüge quitschten. Eine nach der anderen wurden die schweren Wabos nach Backbord gemannt.
„Schlagseite geht zurück!" meldete Obersteuermann Kruck. Langsam und zögernd richtete sich UJ 2210 wieder auf. Sie sahen, als sie mit kleiner Fahrt in Richtung Hafen fuhren, wie
ihnen die ersten Einheiten entgegenliefen, um sie abzuschirmen. Der Schlepper erreichte sie. Die Leinen wurden hinübergeworfen, und dann wurden sie eingeschleppt. Zum erstenmal war UJ 2210 ohne eigene Kraft in den Hafen gelangt.
Pollmann warf noch einen Blick zurück auf die Stelle, wo eine dicke Ölschicht sich ausbreitete und die Wrackstücke des vernichteten U-Bootes die Wasseroberfläche bedeckten.
UJ 2210 war nach vierzehntägiger Liegezeit wieder klar gewesen und zur letzten Überholung von Sestri Levante nach Genua gelaufen.
Am 20. Februar hatten sie vom Ende von UJ 2208 vernommen, das in der Gema-Bucht auf eine Mine gelaufen war. Eines Tages geleiteten sie einen bis unter die Luckendeckel mit Munition vollbeladenen Transporter nach Livorno. Diesmal, das ahnte Pollmann, würde es wieder Feindberührung geben, denn so weit südlich standen viele U-Boote auf Lauerposition. UJ 2210 hatte wieder einmal die bevorzugte Position im Geleitzug eingenommen. Sie liefen im ersten Drittel, und zwar ungefähr vier Seemeilen nach Steuerbord herausgesetzt. In jener Position also, aus der feindliche U-Boote zum Angriff auf das Dickschiff des Geleitzuges eindrehen würden.
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Die Ortung erfolgte eine Stunde nach Sonnenuntergang. Noch war ein Schimmer von Tageslicht zu sehen. Pollmann ließ sofort eindrehen. Noch ehe sie bis auf Wurfweite gekommen waren, sahen sie plötzlich den Schatten des Bootes mit dem Turm.
„Ist aufgetaucht. - Achtung - Buggeschütze klar!" Kurz darauf hatten sie den Gegner breitseits. „Feuer frei!" Die erste Salve zischte über den U-Boot-Turm hinweg. Die zweite
hämmerte in ihn hinein. Flammen stoben durch die Nacht. Irgend etwas auf dem Turm brannte. Das Boot kippte an, unterschnitt, als eben die zweite Salve hinauspeitschte und dort in die See schlug, wo eben der U-Bootkörper verschwunden war.
„Sinkgeräusche!" meldete Moewergh. Sie fuhren mit größter Fahrt weiter und warfen einen Fächer mit tief
ster Einstellung. Danach drehten sie herum und liefen wieder an. Doch ein zweiter
Wabowurf war nicht nötig. „Das U-Boot platzt auseinander, Herr Oberleutnant!" „Aufpassen. Wrackteile aufsuchen." Pollmann rannte ins Horchschapp. Er hörte die Explosionen, das ber
stende Krachen der platzenden Schotten. Es waren gräßliche Geräusche. Von der nächsten Feindfahrt nach Genua zurückgekehrt, überreichte
einer der Flottillenoffiziere Pollmann ein Fernschreiben vom 25. April 1944.
Darin wurde mitgeteilt, daß Pollmann als 461. Soldat der Wehrmacht mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichnet worden war.
Und dann kam die letzte Fahrt. Am 27. Mai 1944 erreichte UJ 2210 als Geleitsicherung Sestri Levante. Bevor sie in den Hafen einlaufen konnten, tauchten aus der Nacht sechs oder sieben amerikanische Schnellboote auf.
Die beiden Torpedoboote eröffneten das Feuer. Die Buggeschütze von UJ 2210 fielen in den Beschuß ein. Plötzlich rief Doering eine Warnung:
„Torpedolaufbahnen!" In sofortiger Reaktion versuchte Pollmann, UJ 2210 aus der Gefahren
zone zu bringen. Aber es war zu spät. Der erste Torpedo konnte noch ausmanövriert werden. Der zweite aber traf den U-Jäger mittschiffs, Achterkante Brücke.
Ein mächtiger Schlag erschütterte das Boot. Sekunden später erhielt es starke Schlagseite. Pollmann blieb nur eine Wahl, seine Besatzung zu retten. Er gab den letzten Befehl:
„Alle Mann aus dem Boot!" Mit Bartilack und von der Kolk halfen sie, die Verwundeten zum Ret
tungsfloß hinunterzulassen. Funkmeister Moewergh kam mit den wichtigsten Unterlagen. Funk
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maat Röllecke setzte noch einen SOS-Spruch ab. Der Befehlsübermittler rief das Kameraden-Boot.
Noch bellten die Abschüsse, noch krachten Detonationen. Pollmann sah, wie eines der Schnellboote von einem Volltreffer zerrissen wurde. Danach lief der Gegner ab, und eines der Räumboote kam zur Übernahme der Schiffbrüchigen.
Als alle von Bord waren, holte Pollmann den Bootsstander ein. Er wikkelte ihn sich um den Leib, dann sprang er ins Wasser.
Mit schnellen Bewegungen schwamm er auf die in der See treibenden Männer zu. Dabei sah er, wie sich UJ 2210 auf den Bug stellte, für Sekunden ragten die Schrauben aus dem Wasser. Dann stieß auch ihr Boot zur letzten Fahrt in die Tiefe hinunter.
Es hatte sieben Tote und elf Verwundete gegeben. Pollmann besuchte seine Männer im Lazarett. Einige Zeit später erhielt er die Nachricht, daß er für eine neue Verwendung vorgesehen sei. Nach einem Urlaub sollte er Chef einer neu aufzustellenden U-Jagd-Flottille in der Ostsee werden.
Es hieß Abschied nehmen von den Kameraden. Korvettenkapitän Wunderlich verabschiedete den erfolgreichsten Kommandanten seiner Flottille.
Am 12. Oktober 1944 traf Pollmann in seinem Stützpunkt an der Ostsee ein und wurde von Kapitän z. See Luxkamm, dem Chef der Sicherungs-Flottille begrüßt, der er von nun an angehören sollte.
Hier liefen seine Boote wieder aus. Es gelang, viele russische U-Boote abzuwehren und den Untergang mancher Dampfer mit Tausenden Flüchtlingen zu vereiteln.
Am 1. März 1945 wurde Pollmann zum Kapitänleutnant befördert. Seine 11. U-Jagd-Flottille fuhr auch in diesen Gewässern bis zum bitteren Ende. Er sah die jungen Offiziere kommen und - fallen. Dennoch durften sie nicht aufgeben, bis die letzten Schiffe mit Flüchtlingen und Verwundeten durchgebracht worden waren.
Vom 25. November 1945 bis 31. Januar 1946 war er in Stöcksee bei Nienburg an der Weser interniert; angeblich wegen einer Namensverwechslung.
Am 16. November 1948 wurde er schließlich Kapitän des Bäderschiffes „Elfe". Anfang 1950 ging Pollmann wieder zur Schule. In Leer/Ostfriesland erhielt er das Patent A 6 und war nunmehr Kapitän auf Großer Fahrt. Am 10. November 1950 übernahm er das Küstenschiff, das den Namen seines Vaters „Jacob Pollmann" trug.
Er war und blieb der See verhaftet, bis der Tod ihm am 28. Februar 1958 das Steuer für immer aus der Hand nahm.
E N D E
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Ri t t e rk reuz t r äge r d e r U-Jagdwaffe
(Letzte Dienstgrade)
Kapitänleutnant Wolfgang Kaden Kommandant von UJ1 16 und UJ 1110 11. U-Jagd-Flottille posthum zum Korvettenkapitän befördert
Fregattenkapitän Friedrich Wunderlich Chef der 14. U-Jagd-Flottille Zuletzt U-Jagdführer Ostsee
Kapitänleutnant Otto Pollmann Kommandant von UJ 2210 22. U-Jagd-Flottille 461. Eichenlaub verstorben Korvettenkapitän Dr. Günther Brandt Chef der 21. U-Jagd-Flottille Zuletzt Chef der Minenschiffe Ägäis
Oberleutnant zur See Edgar Jungnickel Kommandant von UJ 1430 14. U-Jagd-Flottille
Oberleutnant zur See Heinz Trautwein Kommandant UJ 202 2. U-Jagd-Flottille
Oberleutnant zur See Klaus Wenke Kommandant UJ 208 2. U-Jagd-Flottille
D ie 22. U-Jagd-Flot t i l le
Aufgestellt in Marseille im Dezember 1942 Aufgelöst am 27. April 1945 in Genua. Einsatzhäfen: Marseille; ab April 1943 Genua Flottillenchefs:
Korvettenkapitän Fritz GrossmannKorvettenkapitän Friedrich WunderlichKorvettenkapitän Dr. Ing. Wachhausen
Einsatz der Flottille:
am 18.12.1940
gef.am 9. 7.1942
am 3.12.1942
am 19. 5.1943
am 25. 4.1944 am 28. 2.1958
am 23.12.1943
am 10. 9.1944
am 5.11.1944
gef.am 1.11.1944
am 5.11.1944
gef.am 1.11.1944
12.1942- 4.1943 4.1943-10.1944 10.1944- 4.1945
Im westlichen Mittelmeer zur Küsten- und Geleitsicherung. Die Flottille unterstand bis Mai 1943 dem Befehlshaber der Sicherungsstreitkräfte West, anschließend der 7. Sicherungsdivision.
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Die Boote: Übernahme ts. Indienststellung — Bauj. BRT Verlust
UJ 2201 frz. Fischdampfer „Bois Rose" 1940 1374 1942 29. 3.1943
UJ 2202 frz. Fischerei-Motorschiff „Jutland" 1933 1160 1942 6. 4.1943
UJ 2203 frz. Fischdampfer „Austral" 1927 1096 1941 19. 9.1943
UJ 2204 frz. Fischdampfer „Boreal" 1927 1188 1943 29. 3.1943
UJ 2205 frz. Fischdampfer „Jacques-Coeur" 1933 1168 1942 18. 4.1943
O r t -Ursache — Angreifer
Bucht von Picarenzi, Torp. brit. U-Boot „Unrivalled"
Trapani, Fliegerbombe
Bastia, Artillerie, ital. Torpedoboot
Picarenzi, Torpedo, brit. U-Boot „Unrivalled"
Tyrrh. Meer UJ 2206 frz. Fischerei-Motorschiff „Martin le Gasse"
1930 1173 1942 2.11.1943
UJ 2207 frz. Fischdampfer „Cap Nord" 1926 1034 1942 20.11.1944
UJ 2208 frz. Fischdampfer „Alfred" 1926 966 1942 20. 2.1944
UJ 2209 frz. Fischdampfer „Minerva" 1937 1148 1942 16. 3.1944
UJ 2210 frz. Fischerei-Motorschiff „Marcella" 1933 1161 1942 27. 5.1944
UJ 2211 frz. Fischdampfer „Le Hardi" 1921 916 1942 21. 7.1944
UJ 2212 frz. Fischdampfer „Pescagel" 1927 1096 1943 23. 6.1943
UJ 2213 frz. Fischerei-Motorschiff „Henreux" 1930 1116 1942 15. 5.1944
UJ 2214 Df. 1943 9. 1943 UJ 2215 ? ? ? UJ 2216 frz. Motor-Jacht „L'incomprise"
1926 915 1943 14. 9.1944
UJ 2217 ex M 6070 ex frz. Motor-Jacht „Cetonia" 1924 260 1943 5. 7.1944
Porto San Stefano Artillerie
W. Sestri Levante, Torp. brit. MTB's
Golf v. Genua, Mine
Livorno, Bomben
bei Sestri Levante, brit. MTB's
bei Voltri, Torp. brit. U-Boot „Ultor"
N. Palermo, Lufttorp.
25 sm v. Monte Carlo, brit. U-Boot „Sickle" brit. U-Boot
W. Sestri Levante, Torp. brit. MTB's
S. Toulon, Fliegerbombe
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Die Boote: Übernahme —
ts. Indienststellung — Bauj. BRT Verlust
UJ 2218 frz. Motor-Jacht „Tadorna" 1937 226 1943 26. 9.1943
UJ 2219 belg. Motor-Jacht „Insuma" 1938 280 1943 9. 9.1943
UJ 2220 ital. Motorschiff „Lago Zuai" 1940 700 1943 24. 4.1945
UJ 2221 ital. Korvette „Vespa" 1943 565 1943 24. 4.1945
UJ 2222 ital. Korvette „Tuffeto" 1943 565 1943 23. 5.1944
UJ 2223 ital. Korvette „Marangone" 1943 565 nicht in Dienst 16. 4.1944
UJ 2224 ital. Korvette „Strolaga" 1943 565 1944 24. 4.1945
UJ 2225 ital. Korvette „Ardea" 1943 565 24. 4.1945
UJ 2226 ital. Korvette „Artemide" 1943 565 24. 4.1945
UJ 2227 ital. Korvette „Persefone" 1942 565 1943 24. 4.1945
UJ 2228 ital. Korvette „Euterpe" 1942 565 1943 24. 4.1945
UJ 2229 frz. Aviso Rageot „De la Touche" ex SG 1942 647 1943
UJ 2230 ? ? ? UJ 2231 frz. Aviso „La Battailleuse" ex SG 23
1939 630 1943 25. 4.1945
Zur Flottille gehörten ferner noch:
RA 251 (ex Vas 306) RA 252 (ex Vas 305) RA 254 (ex Vas 301) RA 255 (ex Vas 304) RA 257 (ex Vas 302) RA 258 (ex Vas 309) RA 260 (ex Vas 312) RA 261 (ex Vas 236) RA 263 (ex Vas 308) RA 264 (ex Vas 310) RA 266 (ex Vas 241) RA 267 (ex Vas 242)
O r t -Ursache — Angreifer
bei Bastia. n. Artilleriebeschuß gestrandet
Bastia, ital. T-Boot mit Artillerie (Küste)
Genua, selbst versenkt
Genua, selbst versenkt
S. Livorno, Torp. US-PT's (Schnellboote)
Genua, Bombe (auf Stapel)
Genua, selbst versenkt
dass.
dass.
dass.
dass. 15 Lig. Küste, Genua, Torp. brit. U-Boot „Universal"
Genua, selbst versenkt
RA 253 (ex Vas 307), RA 256 (ex Vas 303), RA 259 (ex Vas 311), RA 262 (ex Vas 239), RA 265 (ex Vas 240), RA 268 (ex Vas 243).
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Neben diesen italienischen Beute-Booten traten schließlich von der 11. Räumboots-Flottille folgende Boote zur 22. U-Jagd-Flottille über: R 162 (am 25.4.1945 in Genua Selbstversenkung) R 189 (am 25.4.1945 in Genua Selbstversenkung) R 198 (dito) R 199 (dito) R 200 (am 17.2.1944 vor Porto Ercole, ital. Westküste, durch FliBo) R 212 (am 25.4.1945 in Genua Selbstversenkung) RD 109 (dito) RD 111 (dito) RD 112 (dito) RD 147 (dito)
In den letzten Tagen des Krieges wurde nach dem Tode von Korvettenkapitän Dr. Siegfried Wachhausen (am 24. 4.1945) Oberleutnant zur See Heinrich Hanekamp, Kommandant in der Flottille, mit der Wahrung der Geschäfte des Flottillenchefs beauftragt.
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Militärische Persönlichkeiten:
Hermann Balck General der Panzertruppe und Träger der Brillanten zum Ritterkreuz.
1944 OB der Heeresgruppe G Die jeweils aus mehreren Armeen bestehenden deutschen Heeresgruppen
waren im Zweiten Weltkrieg die größten Heeresverbände. Ihnen entsprachen auf seiten der Roten Armee die sogenannten Fronten " - zum Beispiel die 1. Weißrussische Front, an deren Spitze 1945 Marschall Georgij Konstantinowitsch Schukow (1896-1974) den Krieg im Osten mit der Einnahme von Berlin beendete.
Die Heeresgruppen der einstigen deutschen Wehrmacht wurden im allgemeinen von Generalfeldmarschällen oder Generalobersten als Oberbefehlshabern (OB) geführt. Es gab aber auch Ausnahmen. So zum Beispiel: > General der Panzertruppe Hermann Balck
(September bis Dezember 1944 OB der Heeresgruppe G) > General der Infanterie Friedrich Schulz
(1897-1976, April bis Mai 1945 OB der Heeresgruppe G) > General der Infanterie Otto Wähler
(geboren 1894, Dezember 1944 bis April 1945 OB der Heeresgruppe Süd). General Balck war der älteste dieser
drei Heeresgruppen-Oberbefehlshaber. Er entstammt einer hannoverschen Offiziersfamilie, deren Vorfahren einst in Schweden beheimatet waren. Hermann Balcks Urgroßvater nahm als Offizier der 1805 aus ehemaligen hannoverschen Soldaten gebildeten „Deutschen Legion" („The King's German Legion") im Stab des späteren britischen Feldmarschalls Wellington an dessen Spanienfeldzug gegen Napoleon teil. Auch dessen Sohn stand in britischen Diensten, während Sohn William, Hermann Balcks Vater, es im Ersten Weltkrieg schließlich zum preußischen Generalleutnant und Ritter des Ordens pour le mérite gebracht hatte.
Geboren wurde Hermann Balck am 7. Dezember 1893 in Danzig, wo sein Vater damals als Hauptmann an der dortigen Kriegsschule Taktik lehrte. Am 10. April 1913 begann Balck seine soldatische Laufbahn in Goslar als
Fähnrich beim Hannoverschen Jägerbataillon Nr. 10.
Im Februar 1914 bezog Balck die Kriegsschule Hannover. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges Anfang August 1914 nahm er als Führer eines Zuges der 2. Kompanie der Goslarer Jäger am Sturm auf Lüttich teil. Wenige Tage später - noch als Fähnrich - wurde er zum Bataillonsadjutanten ernannt und am 10.8.1914 zum Leutnant befördert. Bereits im Oktober 1914 wurde der einundzwanzigjährige Leutnant nach seiner dritten Verwundung als erster Soldat seines Bataillons mit dem damals noch seltenen Eisernen Kreuz I. Klasse (EK I) und dem Bayerischen Militärverdienstorden ausgezeichnet. Nach der Genesung wurde er zu dem gegen Rußland kämpfenden Reserve-Jägerbataillon 22 versetzt. Mit diesem kam er in den Jahren 1915/16 an verschiedenen Abschnitten der Ostfront zum Einsatz - zuletzt als Führer einer
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Maschinengewehrkompanie (MGK). Im Rahmen der 5. Kavalleriedivision führte er hinter der russischen Front mit einem Jagdkommando in den Rokitnosümpfen wochenlang erfolgreiche Überfälle durch.
Im Herbst 1916 gingen die Goslarer Jäger, zu denen Balck inzwischen zurückgekehrt war, zunächst nach Rumänien, und dann mit dem Deutschen Alpenkorps an die Italienfront. Für außerordentliche Bewährung, die ihm abermals mehrere Verwundungen einbrachte, ohne daß er seine Kompanie verließ, wurde Balck nach der Herbstoffensive 1917 gegen Italien und den Kämpfen bei Tolmein (12. Isonzoschlacht) mit dem Ritterkreuz des Königlichen Hausordens von Hohenzollern ausgezeichnet. Seine siebte Verwundung erlitt er Ende April 1918 in Flandern beim Sturm auf den Kemmel-Berg.
Am 25.11.1918 kehrte das Hannoversche Jägerbataillon Nr. 10 unter seinem Kommandeur, dem Pour-le-mérite-Ritter Hauptmann Heinrich Kirchheim (1882-1973) - im Zweiten Weltkrieg Generalleutnant und Divisionskommandeur im Afrikakorps und Ritterkreuzträger -, nach Goslar zurück. Mit den nicht demobilisierten Resten seiner Kompanie stellte sich Balck im Dezember 1918 für den Grenzschutz Ost zur Verfügung,
Im Herbst 1919 wurde in Goslar als Einheit der „Vorläufigen Reichswehr" das „Hannoversche Reichswehr-Jägerbataillon" neu aufgestellt, das dann 1920 als III. (Jäger-) Bataillon des 17. Infanterieregiments in die endgültige Reichswehr übernommen wurde, womit auch Leutnant Balck weiterhin im militärischen Dienst blieb.
Im Januar 1922 wurde Balck, den die bewegliche Kampfesweise und die operativen Aufgaben der Kavallerie immer schon interessiert hatten, auf eigenen Antrag zum Reiterregiment 18 nach Stuttgart-Cannstatt versetzt.
Balck, der zunächst einen MG-Zug führte, wurde am 1. 5.1924 nach zehnjähriger Leutnantszeit zum Oberleutnant befördert. Nachdem er zuletzt bei den Cannstatter Reitern als Schwadronschef Dienst getan hatte, nahm Rittmeister Balck an der „Führergehilfen"-Ausbildung teil und qualifizierte sich damit für den Generalstabsdienst.
Als Major wurde Balck im Herbst 1935 für drei Jahre Kommandeur der zur 1. Kavalleriebrigade gehörenden, neuaufgestellten Radfahrabteilung 1 in Tilsit/Ostpreußen. In diese Zeit fielen auch zwei Auslandskommandos: zur finnischen und zur ungarischen Armee. Am 1.2.1938 avancierte der inzwischen fünfundvierzigjährige Offizier zum Oberstleutnant und wurde am 10. 11. 1938 wieder nach Berlin zurückgeholt diesmal zur neugebildeten „Inspektion der Schnellen Truppen" im Oberkommando des Heeres (OKH). Diese Dienststelle war zuständig für die Aufstellung, Ausrüstung und Ausbildung der Kavallerie, der zur Kavallerie gehörenden motorisierten Schützenregimenter sowie der Aufklärungsabteilungen. Oberstleutnant Balck verblieb in dieser Position, bis ihm - einen Monat nach dem Abschluß des Polenfeldzuges - am 23. 10.1939 der Befehl über das Weimarer Schützenregiment 1 übertragen wurde.
Mit diesem Regiment durchbrach er am 13./15. Mai 1940 im Angriff über die Maas bei Sedan die verlängerte Maginotlinie und ging mit ihm bis nach Dünkirchen vor. Schon Mitte Mai 1940 wurden Balck und sein Regiment im Wehrmachtsbericht namentlich erwähnt. Am 3. 6.1940 folgte die Verleihung des Ritterkreuzes, und schließlich - nach dem gelungenen Handstreich auf Beifort - die Aufnahme ins „Ehrenbuch des Heeres".
Am 15.12.1940 wurde Balck - seit 1. 8.1940 Oberst - zum Kommandeur des Panzerregiments 3 in Mödling bei Wien ernannt, das am 5. 3.1941 nach
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Griechenland in Marsch gesetzt wurde, um die italienischen Bundesgenossen vor einer drohenden Niederlage durch die Griechen zu bewahren. Balcks Panzersoldaten waren beim Durchbruch durch die Metaxaslinie (7. 4.1941), bei der Besetzung von Saloniki (9.4.1941) und als „Kampfgruppe Balck" bei den Kämpfen auf dem historischen Schlachtfeld an den Thermopylen in Mittelgriechenland (15.4.1941) eingesetzt gewesen.
Am 15. 5.1941 wurde Oberst Balck Kommandeur der 2. Panzerbrigade. Aber bald kam eine ganz andere Aufgabe auf ihn zu. Er wurde nämlich am 7. 7. 1941 - zwei Wochen nach Beginn des Rußlandfeldzuges - zum „Sparkommissar" beim Chef der Heeresrüstung im OKH berufen, um die hohen Verluste des Ostheeres an Panzern und Kraftfahrzeugen baldmöglichst auszugleichen und - ausgestattet mit weitgehenden Vollmachten - Ordnung in das Durcheinander der Produktion und des Nachschubs an rollendem Kriegsgerät zu bringen.
Am 1.11.1941 wurde Balck zum „General der Schnellen Truppen" ernannt. Am 16. 5.1942 erfolgte die Ernennung zum Kommandeur der 11. Panzerdivision (11. PD). eines in schweren, verlustreichen Kämpfen ziemlich zusammengeschmolzenen Verbandes, der damals gerade ostwärts von Smolensk gegen sowjetische Partisanen im Einsatz stand. Balck erreichte sehr bald die Auffrischung und personelle Auffüllung dieser Division. Mit ihr hatte er während der Sommeroffensive 1942 bei Kursk die linke Flanke der Heeresgruppe Süd abzudecken. In fast zweimonatigen Abwehrkämpfen schoß die 11. PD 501 feindliche Panzer ab und wurde während dieser Zeit zweimal im Wehrmachtsbericht genannt. Ihr Führer wurde am 1. 8. 1942 zum Generalmajor befördert und am 20.12.1942 mit dem 155. Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichnet, nachdem er mit seiner
Division an der Tschirfront einen gegnerischen Einbruch bereinigt hatte. Dieser Erfolg trug mit dazu bei, daß Balck bereits fünf Monate nach der letzten Beförderung zum Generalleutnant aufstieg (1.1.1943).
Es dauerte nicht lange, bis Balcks 11. PD und ihr Kommandeur abermals von sich reden machten, und am 4. 3. 1943 wurde Balck als 25. Soldaten der Wehrmacht das Eichenlaub mit Schwertern verliehen, nachdem seiner Division in den Abwehrkämpfen zwischen Donez und Dnjepr die Vernichtung der zehnfach überlegenen sowjetischen Stoßarmee des Generals Popow gelungen war. Anschließend wurde er zur Führreserve des Heeres versetzt, jedoch auf der Heimreise aus dem Zug herausgeholt, um für ein Vierteljahr vom 3. 4. bis 30. 6.1943 - vertretungsweise die Führung der Division „Großdeutschland" zu übernehmen. Eine weitere Vertretung wurde ihm am 2.9. 1943 übertragen. Anstelle des einarmigen Generals Hans-Valentin Hube übernahm er während der schweren Kämpfe bei Neapel die Führung des XIV. Panzerkorps, das den Auftrag hatte, die bei Salerno gelandeten Amerikaner zu vernichten. Dazu kam es jedoch nicht. Balck stürzte damals bei einem geplanten Besuch der vordersten deutschen Stellungen mit einem Fieseler „Storch" ab.
Am 1.11.1943 erlebte er seine Beförderung zum General der Panzertruppe und kehrte am 12.11.1943 nach Genesung wieder an die Ostfront zurück, wo er Kommandierender General des 48. Panzerkorps wurde - mit Oberst i. G. Friedrich Wilhelm von Mellenthin als Chef des Generalstabes. Das 48. Panzerkorps wurde an verschiedenen Brennpunkten der südlichen Ostfront in Angriff und Verteidigung eingesetzt. Als am 27. 7.1944 die galizische Hauptstadt Lemberg gefallen, die 4. Panzerarmee von der sowjetischen Übermacht über die Weichsel zurückgedrängt wor
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den war und nach dem Attentatsversuch auf Hitler überall Kommandowechsel durchgeführt wurden, erhielt General Balck am 3. 8.1944 den Oberbefehl über die 4. Panzerarmee. In harten Kämpfen gelang es ihm und seinen Soldaten, die deutsche Ostfront an einem Schwerpunkt der sowjetischen Offensive vorübergehend wieder zu festigen. Dafür wurden Balck am 31.8.1944 die 19. Brillanten verliehen.
Er war inzwischen ein Heerführer geworden, der plötzlich von einer Front zur anderen wechseln mußte. So übernahm er am 21. September 1944 - wieder zusammen mit Mellenthin - den Oberbefehl über die zwischen Antwerpen und der schweizerischen Grenze eingesetzte Heeresgruppe G, die zuvor von General Blaskowitz geführt worden war. Bezeichnend für die beiderseitigen Kräfteverhältnisse in dieser Endphase des Krieges war es, daß zum Beispiel in Lothringen dreißig deutschen Panzern und Sturmgeschützen siebenhundert amerikanische Panzer gegenüberstanden. Da Balck und Mellenthin aus ihrer realistischen Erkenntnis der Lage auch dem Führerhauptquartier gegenüber kein Hehl machten und ihre Vorschläge auf Zurücknahme der 19. Armee bis hinter den Rhein keine Zustimmung fanden, wurden beide abgelöst.
Am 23. 12. 1944 wurde Balck kurzfristig ins Führerhauptquartier befohlen, um dort zu erfahren, daß er sofort die 6. Armee im Raum Budapest zu übernehmen habe, die mit der 1. und 3. ungarischen Armee zur „Armeegruppe Balck" vereinigt wurde. Hier führte er die letzte, für die deutsche Seite erfolgreiche Kesselschlacht des Zweiten Weltkrieges, bei der fünf sowjetische Divisionen zerschlagen wurden. Danach konnte er sich mit seiner 6. Armee nach Westen absetzen und in der Steiermark vor den Amerikanern kapitulieren. Auf diese Rettung vieler tausend deutscher Soldaten vor sowjeti-
Das Ritterkreuz mit Schwertern und Brillanten
scher Kriegsgefangenschaft war der General besonders stolz. Nach der Entlassung aus amerikanischer Gefangenschaft im Jahre 1947 betätigte er sich zunächst als Lagerarbeiter.
Noch einmal holte ihn die Vergangenheit ein, als er 1948 von deutscher Polizei verhaftet und ihm vor einem Stuttgarter Schwurgericht der Prozeß wegen der im November 1944 durchgeführten Erschießung des Artilleriekommandeurs Oberstleutnant Schottke gemacht wurde. Dieser war an der Oberrheinfront betrunken in seinem sicheren Bunker aufgefunden worden, so daß er nicht einmal wußte, wo seine Batterien standen, und nicht in der Lage war, ihnen die zur Unterstützung der schwer bedrängten Infanterie erforderlichen Befehle zu erteilen. Balck hatte es in der Hektik der Geschehnisse versäumt, ein Standgericht einzuberufen, das nach Lage der Dinge gewiß zum gleichen Urteil wie er gekommen wäre: Tod durch Erschießen! So wurde er nun wegen veranlaßter Tötung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er allerdings nur achtzehn Monate abbüßen mußte.
Der Brillantenträger starb am 29.11. 1982. Dr. Gerd F. Heuer
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Deutsche Truppenverbände:
Fallschirmjägerregiment 6 Entstehung - Gliederung
Nach den verlustreichen Einsätzen der 1. Fallschirmjägerdivision im Jahr 1942 an der Ostfront wurde im Winter 1942/43 die 2. Fallschirmjägerdivision unter Generalmajor Ramcke aufgestellt Ersatztruppenteile aus der Heimat und geschlossene Verbände der 1. Division wurden zur Neubildung auf französische und mitteldeutsche Übungsplätze verlegt. So entstand in Nimes/Südfrankreich das Fallschirmjägerregiment 6. Dabei bildete das bisherige IV. Bataillon des Fallschirmjäger-Sturmregiments das II. Bataillon.
Ende Juni 1943 erfolgte nach intensiver Ausbildung die Verlegung mit Flugzeugen vom Typ Ju 52 nach Italien. Das Regiment wurde im Rahmen der Division Anfang September 1943 nach dem Abfall der Italiener vom Bündnis („Ba-doglio-Putsch") nach Rom transportiert und entwaffnete dort die italienischen Verbände. Das II. Bataillon unter Führung von Major Gericke - einem der ersten Fallschirmjägeroffiziere überhaupt - flog am 9. September 1943 von Foggia aus zum Sprungeinsatz auf den Monterotondo bei Rom, wo sich das Hauptquartier der italienischen Streitkräfte befand.
Ende September 1943 wurde das FJR 6 von Rom in die Ukraine verlegt und dort als Infanterie in vorderster Front eingesetzt. Es kämpfte u. a. bei Kriwoi Rog und Krementschug. Bei den anschließenden Rückzugsgefechten über 400 Kilometer erreichte das Regiment nach schweren Verlusten das Gebiet um Kirowograd. Von hier aus wurde es im Januar 1944 nach Deutschland zurückgebracht.
Ab April 1944 war das FJR 6 nach erfolgter Neuaufstellung und Auffrischung in der westfranzösischen Breta-
Einsätze im II. Weltkrieg
gne stationiert und nun der 91. Luftlandedivision - in Wirklichkeit normale Infanteriedivision - unterstellt. Die Fallschirmjäger wurden unter Führung ihres neuen Kommandeurs, Oberstleutnant Freiherr von der Heydte, zum Schutz der Halbinsel Contentin eingesetzt und bezogen eine 20 Kilometer breite Kampflinie.
Britische und amerikanische Luftlandetruppen sprangen in der Nacht zum 6. Juni 1944 direkt in die Stellungen des Fallschirmjägerregiments 6. Schon an diesem ersten Tag der Invasion kam es auf beiden Seiten zu verlustreichen Einsätzen. Das Regiment verteidigte seine Stellungen um Carentan buchstäblich bis zur letzten Patrone. Das I. Bataillon unter Hauptmann Preikschat kämpfte um St. Marie du Nord. Schließlich blieben von diesem Bataillon nur noch 25 Soldaten am Leben. Die Reste des Regiments kämpften sich über St. Lö nach Caen durch: insgesamt noch 60 Mann!
Für den Abwehrkampf des FJR 6 in der ersten Phase der alliierten Großlandung in Nordfrankreich erhielt dessen Kommandeur das Eichenlaub zum Ritterkreuz, je ein Soldat, Unteroffizier und Offizier wurden mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Das Regiment selbst aber existierte praktisch nicht mehr. Seine noch lebenden Angehörigen wurden der Kampfgruppe des Obersten Freiherr von der Heydte unterstellt, die am 17. Dezember 1944 im Rahmen der Ardennenoffensive den letzten Sprungeinsatz des II. Weltkrieges durchführte. Bei Monschau in der Eifel ging an diesem Tag die Geschichte des Fallschirmjägerregiments 6 endgültig zu Ende.
W.H.
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Soldatenhumor
Genesungshilfe
„So ein Mist!'
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Ein „Stuka" tauchte wieder auf Taucher fanden einen Sturzkampfbomber Ju 87 im Mittelmeer.
Die Geschichte einer abenteuerlichen Bergung
1982. An einem heißen Sommertag erschien ein Taucher an der Oberfläche des Mittelmeeres, nicht weit vom Cap de St. Tropez. In fünfzig Meter Tiefe erkundete er die bizarren, unberührten Felsformationen auf dem Grunde des Meeres und brachte ein Geheimnis mit, das er zunächst niemandem mitteilte. Er wollte verhindern, daß der Tauchtourismus das zerstörte, was er gefunden hatte.
Urs Brunner, das ist der Name des Tauchers, hatte das Wrack eines jener legendären Sturzkampfbomber vom Typ Ju 87 entdeckt, die zu Beginn des IL Weltkrieges Furore machten und die Welt aufhorchen ließen. Mit diesen Flugzeugen konnten die Deutschen wichtige Punktziele wie Bunker, Schiffe etc. im Sturzflug angreifen. „Stukas" hießen diese raubvogelartigen Flugzeuge bei Freund und Feind.
Der Taucher holte den Kriminalkommissar Yves Mossou aus Paris und den Wrackspezialisten Jean-Pierre Jonchery. Zu dritt tauchten sie wieder hinab in die dunkle Tiefe und fanden den Riesenvogel auf dem Rücken liegend, die Reste des Fahrwerks steil nach oben gereckt. Der Motorblock lag frei, der Kühler war zerbeult, und die Propellerblätter waren abgerissen. Im Licht der Scheinwerfer sahen die Taucher nackte Spanten, da der Rost große Teile der Bespannung bereits abgefressen hatte. Schwämme und Algen hatten sich angesiedelt. Erstaunlich: Die Ruder ließen sich noch bewegen. Das Heck war weggebrochen und lag ca. 15 Meter tiefer in einem Muschelkiesgrund.
Es vergingen Jahre. Jürgen Hafner, Kameramann und Hobbytaucher, erfuhr von dem Fund und ging an der bezeichneten Stelle in die Tiefe - 55 Meter
Rißzeichnung einer Ju 87
mit Taucher- und Videoausrüstung. Der Film, den er dabei drehte, war Grundlage eines Gespräches im AUTO + TECHNIK MUSEUM in Sinsheim. Man entschloß sich zu bergen, suchte Sponsoren, die Mühlen der Bürokratie diesseits und jenseits des Rheins begannen sich langsam zu drehen. Vieles war zu bedenken, Genehmigungen mußten eingeholt und Hebematerial bei einer Spezialfirma gekauft werden.
Anfang Juli startete die „Expedition" aus Sinsheim. Französische Freunde halfen mit, ein Hebeschiff wurde gechartert, und dann begann der aufregenste Teil des Unternehmens. Gleich sechs Taucher gingen in die Tiefe und befestigten das Wrack mit Bändern an zwei Hebesäcken, die langsam mit Luft gefüllt wurden.
Langsam und vorsichtig, rüttelnd und schüttelnd, löste sich der schwere Vogel aus seinem Bett, wie riesige Staubexplosionen wurde Schlamm auf
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Zerborstene Überreste des im Mittelmeer geborgenen Sturzkampfbombers
gewirbelt. Unendlich viel Zeit verging, bis der „Stuka" durch den Auftrieb der Luftsäcke wieder nach oben schwebte an das Licht, das er fast fünfzig Jahre nicht mehr gesehen hatte. Sieben Meter unter der Wasseroberfläche blieben die Bergesäcke in der Schwebe, darunter hing das Flugzeug. Jetzt erst trat der Kran des Bergeschiffes in Aktion, doch da passierte auch schon ein Malheur. Der Motor löste sich aus seiner Verankerung und fiel wieder in die Tiefe hinab. Er mußte nachträglich geborgen werden.
Dann war es soweit. Die Trümmer der einst so stolzen Maschine der Luftwaffe waren an Land und traten auf einem Tieflader die Reise nach Sinsheim an.
Eine Suche nach den Besatzungsmitgliedern war erfolglos. Es darf angenommen werden, daß sie sich bei der Notlandung retten konnten. Vielleicht
leben sie noch und hören von der Bergung ihres Flugzeuges.
Die Junkers Ju 87 war der erste in Großserie gebaute Sturzkampfbomber der Welt. In Spanien wurden Erprobungen durchgeführt, die zeigten, daß mit diesem Flugzeug Punktziele angegriffen werden konnten, die man mit Horizontalbombern nie erreicht hätte. Mit Verlust der Luftüberlegenheit durch die deutsche Luftwaffe zeigte sich die Verwundbarkeit der Ju 87 bei Angriffen feindlicher Jäger. Trotzdem wurde das Flugzeug bis Kriegsende weitergebaut, aber vorwiegend nur noch im Osten eingesetzt.
Das AUTO + TECHNIK MUSEUM in Sinsheim, an der Autobahn Walldorf-Heilbronn, wird das Flugzeug restaurieren lassen und dann als einzige Ju 87, die es in Deutschland noch gibt, in seine Ausstellung aufnehmen.
(bö)
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52 Staaten als Gegner des 3. Reiches Kriegserklärungen noch im Frühjahr 1945. - Eine historische Übersicht
IL Weltkrieg. Weltweite kriegerische Auseinandersetzung, die - 25 Jahre nach dem Ausbruch des I. Weltkrieges (1914-1918) am 1.9.1939 mit dem deutschen Einmarsch in Polen begann und am 15. 8.1945 mit der Kapitulation Japans endete.
Mit Deutschland im II. Weltkrieg im Kriegszustand befindliche Staaten
1. Polen (1.9.1939)2. Großbritannien (3.9.1939)3. Frankreich (3.9.1939)4. Australien (3.9.1939)5. Indien (3.9.1939)6. Neuseeland (3.9.1939)7. Südafrikanische Union (4.9.1939)8. Kanada (7.9.1939)9. Norwegen (9.4.1940)
10. Dänemark (9.4.1940)11. Niederlande (10.5.1940)12. Belgien (10.5.1940)13. Luxemburg (10.5.1940)14. Jugoslawien (6.4.1941)15. Griechenland (6.4.1941)16. UdSSR (22.6.1941)17. China (8.12.1941)18. USA (11.12.1941)19. Kuba (11.12.1941)20. Dominikanische Republik (11.12.1941)21. Guatemala (11.12.1941)22. Nicaragua (11.12.1941)23. Haiti (12.12.1941)24. Honduras (12.12.1941)25. El Salvador (12.12.1941)26. Tschechoslowakei (16.12.1941)
27. Panama (13.1.1942) 28. Mexiko (28.5.1942)
29. Brasilien (28.8.1942) 30. Abessinien (9.10.1942)
31. Irak (16.1.1943) 32. Bolivien (7.4. 1943)
33. Iran (9.9.1943) 34. Italien (13.10.1943)
35. Kolumbien (29.11.1943) 36. Liberia (26.1.1944)
37. Rumänien (25.8.1944) 38. Bulgarien (8.9.1944)
39. San Marino (21.9.1944) 40. Ungarn (31.12.1944) 41. Ekuador (2.2.1945)
42. Paraguay (8.2.1945) 43. Peru (12.2.1945) 44. Uruguay (15.2.1945) 45. Venezuela (16.2.1945)
46. Türkei (23.2.1945) 47. Ägypten (24.2.1945) 48. Syrien (26.2.1945)
49. Libanon (27.2.1945) 50. Saudi-Arabien (1.3.1945)
51. Finnland (3.3.1945) 52. Argentinien (27.3.1945)
Mit dem Deutschen Reich waren folgende Länder mehr oder weniger lange verbündet: Italien, Japan, Bulgarien, Finnland, Kroatien, Rumänien, Slowakei, Ungarn; Spanien stellte zeitweilig eine Freiwilligen-Division in deutscher Uniform zum Kampf gegen die Sowjetunion.
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Deutsche unter fremden Fahnen:
Nikolaus Graf von Luckner Nach Kampf gegen die Franzosen Marschall von Frankreich. - Vorfahr
des „Seeteufels". - Die Geschichte eines bewegten Soldatenlebens
Wenn heutzutage gelegentlich einmal der Name Graf Luckner fällt, dann denkt man kaum an den ersten Grafen Luckner, sondern eher an seinen Nachfahren, den Grafen Felix von Luckner (1881-1966), der als »Seeteufel" weltberühmt wurde. Als Dreizehnjähriger brannte er von zu Hause durch, heuerte ohne Papiere und elterliche Erlaubnis als Schiffsjunge unter dem Mädchennamen seiner Mutter auf einem russischen Dampfer an, mit dem er nach Australien fuhr, sich dort als Tellerwäscher, Missionar der Heilsarmee, Leuchtturmwärterassistent, Fakirgehilfe und Preisboxer durchschlug, quer durch die USA trampte und die ganze Welt als Matrose bereiste, bis es ihm 1908 einfiel, sich auf der Lübecker Navigationsschule anzumelden, um das Steuermannspatent zu erwerben. Als Offizier der Hamburg-Amerika-Linie, der späteren HAPAG, legte er auch noch das Kapitänsexamen ab, betätigte sich fünfmal als Lebensretter und erreichte es schließlich, auf Befürwortung durch Großadmiral Prinz Heinrich von Preußen (1862-1929), als aktiver Seeoffizier in die Kaiserliche Marine des Deutschen Reiches übernommen zu werden.
Während des I. Weltkrieges nahm er u. a. als Artillerieoffizier auf dem Schlachtschiff „Kronprinz" an der Skagerrakschlacht teil (31. 5.1916), bevor er als Kommandant des Segelschiffes „Seeadler", eines getarnten Hilfskreuzers, auf Kaperfahrt ging. Mit ihm durchbrach er Ende Dezember 1916 die britische Blockade, legte mit seinem Dreimaster insgesamt rd. 35000 Seemeilen zurück, versenkte an die 60 000 BRT gegnerischen Schiffsraumes, ka-
Felix Graf von Luckner, der „Seeteufel"
perte 14 alliierte Handelsschiffe und machte mehr als 400 Gefangene. Das Besondere an diesen beispiellosen Seekriegserfolgen auf den Weltmeeren war es, daß dabei kein einziger Mensch getötet wurde. Nachdem sein „Seeadler" am 2. 8.1917 an einem Korallenriff vor der Südseeinsel Mopelia zerschellt war, geriet er bis 1919 in englische Kriegsgefangenschaft. Nach der Heimkehr diente er zunächst in der Reichsmarine der Weimarer Republik weiter, bis er 1922 als Korvettenkapitän (Major) verabschiedet wurde.
In den nächsten eineinhalb Jahrzehnten ging er mit den Motorseglern „Vaterland" und „Seeteufel" auf „Kaper
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fahrt der Herzen" und setzte sich weltweit für die Völkerverständigung ein. Durch seine Vorträge und Bücher erwarb er sich eine außerordentliche Popularität im In- und Ausland. Sein Erinnerungsbuch „Seeteufel" erreichte in wenigen Jahren eine Auflage von über 500000 Exemplaren. Er wußte sich auch noch im hohen Alter öffentlich gut in Szene zu setzen, indem er dicke Telefon- und Adreßbücher mit seinen Händen zerriß. Als er sich während der Hitlerzeit weigerte, die ihm verliehenen Ehrenbürgerschaften von San Francisco und Miami abzulegen, wurde ihm sein militärischer Rang aberkannt und weitere Vortragstätigkeit verboten. Im April 1945 verhinderte er durch Verhandlungen mit den Amerikanern die vollständige Zerstörung seiner damaligen Heimatstadt Halle. Bald nach Kriegsende ging er wiederum als „Goodwill-Missionar" auf Reisen und gewann mit seinem Memoirenband „Aus siebzig Lebensjahren" abermals Tausende von Lesern. Die Bundesrepublik Deutschland ehrte ihn mit der Verleihung des Großen Verdienstkreuzes. Felix Graf Luckner starb am 13.4.1966 in Malmö, in der schwedischen Heimat seiner Frau.
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Kaum weniger bewegt war das Leben seines Vorfahren, des ersten Grafen Luckner, verlaufen. Der wurde als bürgerlicher Nikolaus Luckner am 12. Januar 1722 in dem oberpfälzischen Städtchen Cham am Rand des Bayerischen Waldes geboren. Sein frühverstorbener Vater (+ 1730) war dort Hopfenhändler, Bierbrauer, Gastwirt, Ratsherr und Stadtkämmerer. Sohn Nikolaus besuchte zunächst die Lateinschule in Cham, dann das Gymnasium in Straubing und schließlich die Jesuitenschule in Passau. Aber lange hielt er es dort nicht aus. Sein Spitzname „Libertinus" (Wüstling) dokumentiert, daß zielstrebiges Lernen nicht seine Sa
che war. Leichtsinn, Wildheit und der Hang zu allerlei Streichen kennzeichneten vielmehr sein Wesen. Da er glaubte, daß das Soldatenleben eher seinem Freiheits- und Abenteuerstreben entgegenkommen würde, trat der Waisenknabe 1737 mit 15 Jahren als Kadett in das in Passau stationierte bayerische Infanterieregiment Morawitzky ein.
In dessen Reihen nahm er am Türkenkrieg (1737 bis 1739) und später schon als Fähnrich - am Österreichischen Erbfolgekrieg in Böhmen teil. Über das Freikorps von Michael Gschray (1744) wechselte er 1745 zum kurbayerischen Husarenregiment Frangipani, wo er es mit knapp 25 Jahren schon bis zum „Obristwachtmeister" (Major) brachte. Als Kurfürst Max III. Joseph (1727-1777) dieses Regiment an die niederländischen Generalstaaten „verlieh", bekam der junge Oberpfälzer Haudegen Gelegenheit, sich auf dem flandrischen Kriegsschauplatz im Kampf gegen die Franzosen auszuzeichnen. Auch knüpfte er dort manche seiner weiteren Karriere förderliche Beziehungen. Dazu gehörte vor allem jene zum Oberbefehlshaber der in Flandern kämpfenden verbündeten Truppen, Wilhelm August Herzog von Cumberland (1721-1765), einem Bruder des britischen Königs und hannoverschen Kurfürsten Georg II. (1683-1760).
Cumberland bewog Luckner, zu Beginn des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763) als Führer eines von ihm aufzustellenden Husarenkorps in hannoversche Dienste zu treten. An der Spitze dieses Husarenfreikorps erwies er sich bald als ein „Meister des Kleinkrieges" und bewies bei zahlreichen wagemutigen, schnellen Überfällen auf französische Truppen im gleichen Maße persönliche Tapferkeit wie taktisches Geschick, was ihm bei Freund und Feind beachtlichen Respekt eintrug und ihm überdies das persönliche
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Wohlwollen seines Oberbefehlshabers sicherte, des preußischen Feldmarschalls und Schwagers des Preußenkönigs Friedrich des Großen (1712-1786), Herzog Ferdinand von Braunschweig (1721-1792). Gegen Franzosen und Kontingente der Reichsarmee kämpfte der Herzog damals auf niedersächsischem Boden als Führer eines Koalitionsheeres aus hannoverschen, hessischen, braunschweigischen und preußischen Truppen. Bei Kriegsende war Luckner mit knapp 40 Jahren schon Generalleutnant.
Inzwischen hatte er die reiche Holländerin Johanna Cornelia Cuijpers geheiratet, mit deren Geld er mehrere Güter in Holstein erwarb, das seinerzeit zu Dänemark gehörte. Als bei Kriegsende 1763 die nicht mehr benötigten Freikorps aufgelöst wurden und für Luckner auch keine Verwendungsmöglichkeit mehr in hannoverschen oder preußischen Diensten bestand, empfand er dies als Kränkung und nahm ein französisches Angebot an, gegen ein Jahresgehalt von 30 000 Livres der Armee des Königs von Frankreich zur Verfügung zu stehen. In den folgenden Friedensjahren lebte er allerdings hauptsächlich auf seinen Gütern Blumendorf und Schulenburg. Daraus ergab sich, daß er sich mit seiner Familie als dänischer Untertan naturalisieren ließ, am 22. 4.1778 zunächst als Baron geadelt und sodann am 31.5.1784 durch König Christian VII. von Dänemark (1749 bis 1808) in den erblichen Grafenstand erhoben wurde.
Gelegenheit, seine militärischen Talente erneut zu zeigen, ergaben sich für den nunmehrigen Grafen Luckner erst wieder während der französischen Revolutionskriege. Am 10. Juli 1790 wurde der inzwischen 68jährige General von der französischen Nationalversammlung reaktiviert und zunächst als Führer von Armeekorps in Burgund und im Raum Straßburg eingesetzt. Am 20. 4. 1791 wurde er zusammen mit dem Ge
neral Jean Baptiste Graf von Rochambeau (1725-1807), der während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges ein französisches Hilfskorps von 6000 Mann befehligt hatte, zum Marschall von Frankreich ernannt. Nach der Kriegserklärung Preußens im April 1792 wurde Marschall Luckner zum Befehlshaber der im Raum Metz zusammengezogenen „Zentralarmee" ernannt, wobei auf der Gegenseite sein alter Gönner, Herzog Ferdinand von Braunschweig, das Kommando führte. Er wurde jedoch ziemlich bald aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit dem französischen Oberbefehlshaber am Oberrhein, General Custine (1740 bis 1793), von diesem Posten abgelöst und erhielt statt dessen das Kommando über die im heutigen Belgien gegen die Österreicher kämpfenden Nordarmee. Wie sehr Graf Luckner damals in Frankreich geschätzt wurde, beweist die Tatsache, daß ihm der fran
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zösische Ingenieurhauptmann Joseph Rouget de Lisle (1760-1836) sein Marschlied der Rheinarmee) „Chant de guerre l'armée du Rhin") widmete, das heute noch unter der Bezeichnung „Marseillaise" die Nationalhymne der Franzosen ist.
Man pries in Frankreich den ehemals bürgerlichen dänischen Grafen aus der Oberpfalz als „Stütze der neuen Verfassung", für die er auf die Privilegien und Vorurteile seines adeligen Standes verzichtete, und erwartete von ihm, daß er an der Spitze der „Nordarmee" mehr leistete als sein Vorgänger in diesem Kommando, Marschall Rochambeau. Tatsächlich operierte er zunächst recht erfolgreich, indem er nach Flandern eindrang, die schwachen österreichischen Truppen zum Rückzug zwang und die Plätze Menin und Courtray einnahm. Auf die Dauer vermochte jedoch auch er die in ihn gesetzten hohen Erwartungen der französischen Führung nicht zu erfüllen. Er nutzte gegebene militärische Möglichkeiten nicht aus und trat schließlich Ende 1792 sogar den Rückmarsch nach Lille an.
Es mag müßig sein, darüber zu streiten, ob das Versagen des einstmals so tatkräftigen Truppenführers auf seine grundsätzliche „Unfähigkeit, eine Armee zu commandiren", auf sein vorgeschrittenes Alter (70!), auf den schlechten Ausrüstungs- und Ausbildungsstand seiner Truppen oder auf einen Schock über das Ausscheiden des bisherigen Kriegsministers General Dumouriez (1739-1823), zurückzuführen war, der eine Reihe siegreicher Schlachten geschlagen hatte und sich dann nach geheimen Verhandlungen mit den Österreichern schließlich ins Ausland abgesetzt hatte. Wahrschein
lich hat das alles dabei irgendwie eine Rolle gespielt. Eine Anklage gegen Luckner vor dem Konvent wegen Versagens als Führer der Zentral- und Nordarmee führte zwar zunächst nur zur Abschiebung des beim Volk und den Soldaten als „Papa Luckner" immer noch beliebten Marschalls auf den unbedeutenden Posten eines Befehlshabers der Reservearmee in Chalons, dann aber doch zu seiner endgültigen Verabschiedung bei zugesicherter Weiterzahlung seines vollen Gehalts.
Aber statt sich auf seine holsteinischen Güter zurückzuziehen und ruhigere Zeiten abzuwarten, hielt er sich weiterhin in der unruhigen, unter Verhaftungs- und Hinrichtungswellen der jakobinischen „Schreckensherrschaft" brodelnden französischen Hauptstadt Paris auf. Er wäre möglicherweise auch dort noch länger unbehelligt geblieben, wenn er es nicht gewagt hätte, sich lauthals über das Ausbleiben seiner Pension zu beklagen. Daraufhin ließ Robespierre, der allgewaltige Vorsitzende des „Wohlfahrtsausschusses" (1758 bis 1794), ihn verhaften und am 3. Januar 1794 durch die Guillotine hinrichten. Sein ehemaliger Widersacher General Custine hatte schon am 28. 8.1793 den Kopf durch das Fallbeil verloren. Maximilian Robespierre selbst folgte seinen Opfern am 28. 7. 1794 auf das alle gleichmachende Schafott.
Im folgenden Jahre 1795 - nach dem Ende der „Schreckensherrschaft" wurde der in Frankreich nach der Hinrichtung beschlagnahmte Besitz des Marschalls Graf Luckner an dessen Sohn zurückerstattet. Sein Bild fand Aufnahme in die „Galerie der Marschälle" im Versailler Schloß.
Dr. Gerd F. Heuer
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