transcript
Renate Mayntz/U we Schimank/Peter Weingart (Hrsg.)
Transformation mittel- und osteuropäischer Wissenschaftssysteme
Länderberichte Volume I
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1995
ISBN 978-3-663-11656-1 ISBN 978-3-663-11655-4 (eBook) DOI
10.1007/978-3-663-11655-4
© 1995 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei
Leske + Budrich, Opladen 1995
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich
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Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Inhalt
Inhalt
Vorwort
Estland: Über die Transformation des estnischen Wissenschafts
bereiches im Zeitraum von 1988 bis 1994 JaanLaas
Lettland: Transformation des Wissenschaftssystems Lettlands
(1989-93) Janis Kristapsons, Erika Tjunina, Galina Kalinina
Litauen: Transformationsprozesse in der Wissenschaft Litauens
InaDagyte
Polen: The Case of Po land Ursula J. van Beek
Weißrußland: Transformation der Wissenschaft in der Republik
Weißrußland G. A. Nesvetailov, M. I. Artjuchin, S. S. Wetochin, 0.
K. Melnikowa, L. M. Nedilko, I. N. Scharyj
Rußland: Transformation der Wissenschaft Rußlands N. Gaponenko, L.
Gokhberg, L. Mindeli
Rußland: Empirische Studie Die Forschungsgemeinschaft Rußlands in
der Zeit der Transformationen E. S. Mirskaja
5
7
10
40
88
175
256
302
382
570
6
Tschechien: Transformation des Wissenschaftssystems in der
tschechischen Republik Autorenkollektiv: St. Provaznfk (Leiter), A.
Filacek, E. Krfzova-Frydova, J. Loudfn, P. Machleidt
Slowakei: Rahmenbedingungen der Wissenschaftstransformation in der
Slowakei Eduard Sarmfr, Stefan Zajac
Inhalt
636
712
807
Ungarn: 853 Transformation of the Science and Technological
Development System in Hungary György Darvas, Maria Csöndes, Ildik6
Fogarasi, A.gnes Haraszthy, Judith Mosoni-Fried, Daniel Szekely,
Mariann Tarn6czy, Marton Tolnai
Rumänien: 977 Dynamic Changes in the Romanian Research and
Development-System Anca Dachin, Ileana Ionescu-Sisesti, Steliana
Toma, Adrian Toia, Gheorghe Zaman
Bulgarien: 1044 Kontextbedingungen der Transformation des
Wissenschaftssystems in Bulgarien Kostadinka Simeonova, Magdalena
lvanova, Stoika Grivekova, Sergei Roshkov
Vergleichende Analyse: 1125 Bibliometrische Darstellung der
Wissenschaftssysteme von Weißrußland, Bulgarien und der baltischen
Republiken Radosvet Todorov
Vorwort 7
In den ehemals staatssozialistischen Gesellschaften Mittel- und
Osteuropas war die wissenschaftliche Forschung in mehrfacher
Hinsicht ganz anders or ganisiert als in den westlichen
Demokratien. Typisch war etwa die institutio nalisierte politische
Abhängigkeit der Forschung, deren starke Anwen dungsorientierung
und die Konzentration von Forschungskapazitäten in den nationalen
Akademien. Diese und weitere Merkmale der institutionellen Struktur
der Forschungssysteme dieser Länder standen mit den gesellschaftli
chen Umbrüchen zur Disposition. Was das Ergebnis des
institutionellen Um baus sein wird, läßt sich zum heutigen
Zeitpunkt noch nicht sagen. Wohl aber ist es möglich und angesichts
der Unabgeschlossenheit des Prozesses auch wichtig, den bisherigen
Verlauf der Transformation nachzuzeichnen.
Der vorliegende Band präsentiert Berichte über die Transformation
der Wissenschaftssysteme der ehemals staatssozialistischen Länder.
Er ist das er ste Ergebnis einer internationalen Zusammenarbeit
von Wissenschaftsfor schern dieser Länder, die von den
Herausgebern koordiniert und vom deut schen Bundesministerium für
Forschung und Technologie mitfinanziert wird. Dieses "Netzwerk
Transformation mittel- und osteuropäischer Wissenschafts systeme"
will mit seinen Aktivitäten zur Unterstützung der finanziell hart
be drängten Wissenschaftsforschung in den mittel- und
osteuropäischen Ländern beitragen. Von besonderer Bedeutung sind
dabei der auf diese Weise vermit telte internationale Kontakt und
die Einbindung der einzelnen Wissenschafts forscher in ein
größeres gemeinsames Unternehmen. Da Erosionsprozesse in
Wissenschaft und Forschung langfr;istig auch den
Innovationstransfer in die Wirtschaft beeinträchtigen, liegt es
·letztlich im eigenen Interesse der westli chen Industrieländer,
den Aufbau leistungsfähiger Wissenschaftssysteme in den mittel- und
osteuropäischen Gesellschaften zu unterstützen. Die Wissen
schaftsforschung kann bei der Analyse und Lösung der im Zuge der
Trans formation entstehenden Probleme wissenschaftlicher Forschung
helfen. Diese praktische Zielsetzung der Politikberatung ist gerade
auch das Interesse der am Netzwerk beteiligten
Wissenschaftsforscher aus jenen Ländern.
In der ersten Phase des Netzwerkes, deren Ergebnisse hier
präsentiert wer den, stand die makrostrukturell angelegte
Untersuchung der Transformation der Forschungssysteme im Gefolge
der politischen und ökonomischen Transformationen itn Vordergrund.
Mit Ausnahme des polnischen folgen sämtliche vorgelegten Berichte
einem einheitlichen analytischen Schema, das
8 Vorwort
gemeinsam entwickelt wurde.1 Es geht jeweils um die folgenden eng
mitein ander verzahnten Aspekte der Transformation der
Forschungssysteme:
Veränderungen der für die wissenschaftliche Forschung relevanten
Ge setzgebung, Veränderungen der institutionellen Strukturen der
Forschung und Veränderungen ihrer finanziellen und personellen
Ressourcen.
Ausgespart wurde bewußt die kognitive Dimension wissenschaftlicher
For schung, obwohl auch in dieser Hinsicht bekanntlich
tiefgreifende Verände rungen stattgefunden haben. Man denke nur an
die Entideologisierung vieler geistes- und sozialwissenschaftliehen
Disziplinen, aber auch an die in man chen Ländern zu beobachtende
Re-Ideologisierung im Sinne nationaler Identitätsfindung. Doch
diese überaus interessanten Themen hätten einen ganz andersartigen
analytischen und methodischen Zugriff erfordert, als dem Netzwerk
in dieser Phase seiner Zusammenarbeit möglich war.
Die Länderberichte wurden in einem äußerst kurzen
Bearbeitungszeitraum erstellt: zwischen Oktober 1993 und Mai 1994.
Im Juni 1994 fand ein Ar beitstreffen statt, auf dem die Berichte
allerdings nur generell diskutiert wer den konnten, weil nicht
zuletzt aufgrund langer Postwege viele Beteiligte noch kaum
Gelegenheit gehabt hatten, die Berichte ihrer Kollegen zur Kenntnis
zu nehmen. Im Anschluß daran wurden die Berichte inhaltlich und
sprachlich überarbeitet, wobei letzteres hauptsächlich von der
deutschen Seite geleistet wurde. Im Sommer 1995 konnten die
Beiträge dann in Druck gege ben werden.
Dieser sehr enge Zeitplan war dadurch diktiert, daß wir die
Aktualität des Materials zum wichtigsten Gesichtspunkt bei der
gesamten Arbeitsplanung erhoben hatten. Es gibt bislang keine
anderen ähnlich detaillierten und über all diese Länder
vereinheitlichten Darstellungen des Geschehens. Angesichts des
immer wieder deutlich werdenden großen Informationsdefizits über
die Entwicklungen - das im übrigen nicht nur im Westen besteht,
sondern auch wechselseitig in den betreffenden Ländern selbst -
haben wir uns entschieden, die Berichte möglichst schnell zu
veröffentlichen. Wir haben dafür in Kauf genommen, daß die
Darlegungen in der vorliegenden Form den Charakter
1 Der Beitrag über Polen kam nachträglich hinzu, nachdem ein
ursprünglich vorgesehener Be arbeiter seine Verpflichtungen nicht
erfüllen konnte. Der jetzt vorliegende Beitrag von Ursula J. van
Beek wurde zwar für einen anderen Kontext erarbeitet, deckt jedoch
inhaltlich die mei sten der uns interessierenden Aspekte ab, so
daß er sich gut in den Zusammenhang der übri gen Beiträge des
Bandes einfügt. Es handelt sich um die Kurzfassung eines
Forschungsbe richts, der für ein Projekt des Human Seiences
Research Council (HSRC), Südafrika, erstellt wurde (Die
ausführlichere Fassung wird vom HSRC veröffentlicht). Wir bedanken
uns sehr herzlich beim HSRC für die freundliche Einwilligung zum
Abdruck.
Vorwort 9
von Arbeitspapieren tragen, also keine bis ins letzte
durchkomponierten wis senschaftlichen Analysen sind. Dies muß
gerade auch zum Schutz der Auto ren vor ungerechtfertigter Kritik
betont werden. Insbesondere hätte eine Ver einheitlichung der
Terminologie und der statistischen Daten sowie eine voll ständige
Beseitigung der Schwächen vieler Übersetzungen einen zusätzlichen
Aufwand erfordert, der die Veröffentlichung noch lange verzögert
hätte. Wir müssen hier auf die Nachsicht und das Mitdenken des
interessierten Lesers setzen. Er sollte diese Berichte als Dokument
eines sich herausbildenden Netzwerks von Wissenschaftlern lesen,
die alle nicht zuletzt auch persönlich von dem, was sie
untersuchen, betroffen sind.
Der Dank der Herausgeber gilt entsprechend in allererster Linie den
Auto ren, die äußerst zügig gearbeitet und schließlich auch ihre
Skrupel hintange stellt haben, um eine schnelle Veröffentlichung
zu ermöglichen. Ein ebenso großer Dank - auch von seiten der
Autoren - gebührt Christine Teichmann, die neben ihren vielfältigen
Koordinationstätigkeiten für das Netzwerk im Sommer und Herbst 1994
an allen deutschsprachigen Beiträgen eine erste sprachliche und
auch inhaltliche Überarbeitung vorgenommen hat. Die end gültige
Überarbeitung sämtlicher Beiträge sowie die Erstellung des
druckfer tigen Gesamtmanuskripts oblagen, unter Federführung von
Ludwig Pleus, Astrid Schwarzer, Birgitt C. Vater, Wolfgang Böhm und
Michael Schmidt, die diese Tätigkeit umsichtig und zuverlässig
erledigten. Burckhard Kaddatz kümmerte sich einfallsreich um die
Abwicklung der finanziellen Angelegen heiten des Netzwerks und
zusammen mit Ludwig Pleus um die Kontakte zum Verlag. Ohne die
engagierte und über das Finanzielle hinausgehende Förde rung des
ganzen Unternehmens durch Hansvolker Ziegler aus dem BMFT
schließlich hätte nichts von alledem 'geschehen können.
Da eine Weiterförderung des Netzwerks für eine zweite Phase bis
Ende 1995 gesichert ist, hoffen wir, bald weitere Arbeitsergebnisse
vorlegen zu können.
Köln und Bielefeld im Sommer 1995
Renate Mayntz Uwe Schimank Peter Weingart
10 Einleitung
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung'
Uwe Schimank
Im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesse, die
seit 1989 in allen postsozialistischen Ländern Mittel- und
Osteuropas ablaufen, spielt die Transformation der
Forschungssysteme nur eine untergeordnete Rolle. Weder gehörten
Probleme der Forschung zu denjenigen Faktoren, die die
Transformationen dieser Gesellschaften ausgelöst haben,2 noch steht
die Forschung im Zentrum der Aufmerksamkeit derjenigen Akteure, die
die Transformationen zu gestalten versuchen. Diese Vorgänge gehen
bekanntlich vielmehr auf wirtschaftliche und durch diese dann
induzierte politische Pro bleme zurück; und es sind auch diese
Probleme, deren Bearbeitung den weite ren Fortgang der
gesamtgesellschaftlichen Transformationen prägt. Wegen dieser
Einbettung in die wirtschaftlichen und politischen
Transformationsvor gänge haben die Transformationen der
Forschungssysteme zweifellos mit viel größeren Problemen zu kämpfen
als bei einem - und sei es noch so weitrei chend~n- Umbau des
Forschungssystems in einer wirtschaftlich und politisch stabilen
Gesellschaft.
Betrachtet man genauer, was die gegenwärtige Transformation der
For schungssysteme in den postsozialistischen Gesellschaften
ausmacht, lassen sich drei schon jeweils in sich höchst
vielschichtige Problemdimensionen un terscheiden, die zusammen ein
äußerst komplexes Problembündel ergeben:
Für sehr hilfreiche Hinweise danke ich Jochen Gläser, Stefan Lange,
Renate Mayntz, Peter Weingart und Hans-Georg Wolf.
2 Dem steht nicht entgegen, daß Probleme der Forschungsorganisation
zur geringen Innovati onsfähigkeit der Industrie dieser Länder und
damit zu deren wirtschaftlichen Schwierigkei ten beigetragen
haben.
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 11
Die politischen Transformationen haben durch die Ablösung der
Einpar teienherrschaft für die Transformation des
Forschungssystems Gelegen heiten des institutionellen Umbaus
geboten. Dabei ging es hauptsächlich darum, die politischen
Einschränkungen der "Freiheit der Forschung" von einzelnen
Forschern, Forschergruppen und Forschungsinstituten sowie die
politische Privilegierung der nationalen Akademien vor allem
gegenüber den Hochschulen zu beseitigen. Die wirtschaftlichen
Transformationen haben dadurch, daß sie die wirt schaftliche Krise
und die daraus hervorgehende Krise der Staatsfinanzen noch längst
nicht überwunden, vielmehr zunächst sogar verschärft haben, der
Transformation des Forschungssystems enge Restriktionen durch Res
sourceriverknappungen auferlegt. Der institutionelle Umbau des For
schungssystems muß unter großen finanziellen und personellen
Einbußen erfolgen. Die anhaltende wirtschaftliche Krise hat
weiterhin dazu geführt, daß an das Forschungssystem verschärfte
forschungspolitische Leistungserwar tungen adressiert werden.
Diese richten sich zum einen auf eine Verbesse rung der
innerwissenschaftlichen Qualität der Forschung, zum anderen und
hauptsächlich aber darauf, daß die Forschung durch größere Anwen
dungsnähe einen erkennbaren raschen Beitrag zum Erfolg der
wirtschaftli chen Transformation und damit auch zur
Wiedererlangung politischer Stabilität leistet.
Stellt man sich einem Moment lang kontrafaktisch vor, in einem
dieser Län der wäre die Transformation des Forschungssystems aus
diesem selbst her vorgegangen - politisch gewährt und in einer
wirtschaftlich stabilen Situation. Dann hätte das
Transformationsproblem "nur" darin bestanden, die sich bie tenden
Gelegenheiten zum institutionellen Umbau wahrzunehmen. Tatsäch
lich sind diese Gelegenheiten jedoch untrennbar mit harten
Restriktionen durch Ressourcenverknappungen und einem hohem
Erwartungsdruck an die außerwissenschaftlichen Leistungsbezüge der
Forschung verknüpft. Genau das macht die Schwierigkeiten aus.
Im folgenden wird die Transformation der Forschungssysteme der
postso zialistischen Länder anband dieser drei Problemdimensionen
analysiert. Nacheinander werden die Ressourcenverknappung, der
institutionelle Umbau und die forschungspolitischen
Leistungszumutungen behandelt. Diese drei analytischen Schnitte
durch das konkrete empirische Phänomen legen kom plementäre Blicke
auf die entscheidenden Transformationsvorgänge frei. Diese drei
Blickrichtungen dürfen freilich nicht isoliert nebeneinander stehen
bleiben, sondern müssen immer wieder aufeinander bezogen
werden.
12 Einleitung
Im einzelnen geht es um die folgenden Länder: Polen, Tschechische
Re publik, Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Rußland,
Weißrußland, Ukraine, Estland, Lettland, Litauen sowie - als in
mehreren Hinsichten beson derer Fall - Ostdeutschland.
Hauptsächliche empirische Grundlage der fol genden Analyse sind
die im vorliegenden Band gesammelten Länderberichte.3
Die vergleichende Betrachtung wird vor allem aufzeigen, daß die -
nirgendwo bereits abgeschlossenen - Transformationen der
Forschungssysteme dieser Länder große Gemeinsamkeiten aufweisen.
Das gilt sowohl hinsichtlich der Beschaffenheit der einzelnen
Probleme als auch hinsichtlich der Wege der Problembewältigung.
Natürlich gibt es auch erhebliche Unterschiede. Manche Probleme
stellen sich in bestimmten Ländern gar nicht oder anders; bei allen
Problemen variiert das Ausmaß zwischen den Ländern; und auch die
Wege der Problembewältigung führen in unterschiedliche Richtungen.
Diese Sach verhalte werden hier zugunsten einer Herausarbeitung
dessen, was überall oder zumindest fast überall hinreichend ähnlich
gewesen ist, weitgehend aus geblendet.
2 Ressourcenverknappung als Restriktion
Schon vor Beginn der gesellschaftlichen Transformationen gab es im
Laufe der achtziger Jahre in allen postsozialistischen Ländern
zunehmende Pro bleme der Verknappung von Forschungsressourcen. Die
Ursache waren sich verschärfende wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Zwar wurde in der politischen Rhetorik gerade auch auf die
Forschung als Weg zur Überwindung der Wirt schaftsprobleme durch
technische Innovationen gesetzt. Doch entsprechende Appelle an die
Forschungseinrichtungen, ihre Anwendungsorientierung zu verstärken,
gingen nicht damit einher, daß der Forschung in finanzieller Hin
sicht eine besondere Priorität eingeräumt wurde.4 Infolge dieser
Ressourcen verknappungen wurden insbesondere investive Ausgaben
der Forschungsein richtungen eingeschränkt. Dadurch veraltete die
Laborausstattung, defekte Geräte konnten nicht repariert werden und
neue Forschungslinien scheiterten an der mangelhaften
Ausstattung.
3 Siehe darüber hinaus und teilweise ergänzend auch die knappen
Darlegungen in OECD (1994: 285-306). Zur ehemaligen DDR, die nicht
im Rahmen dieses Netzwerkes untersucht wird, siehe Mayntz (1994a;
1994b) sowie auch Meske (1993). Als Informationsgrundlage für die
Zeit vor dem Umbruch siehe die Länderberichte in Berry (1988) und
Darvas (1988).
4 Am ehesten von Ressourcenproblemen unbehelligt blieb noch die
Militärforschung insbe sondere in der UdSSR.
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 13
Diese bereits bestehenden Ressourcenverknappungen haben sich nach
dem Umbruch in allen Ländern drastisch verschärft. Am wenigsten ist
das noch in Ostdeutschland der Fall gewesen, weil dorthin im Zuge
der deutschen Verei nigung massive Finanztransfers aus
Westdeutschland geflossen sind.5 Die durch diese
Ressourcenverknappungen auferlegten Opfer haben sich überall nach
dem gleichen Muster auf die drei Sektoren der Forschungssysteme
ver teilt: Weitaus am stärksten ist die Branchenforschung
betroffen, während die Akademie- und die Hochschulforschung
geringere, wenn auch immer noch schmerzliche Ressourceneinbußen
hinnehmen mußten. Dieses Muster ergibt sich aus dem Zusammenwirken
mehrerer Faktoren.
Der Branchensektor, der nicht nur die Forschung in den
Industriebranchen, sondern auch in den übrigen
volkswirtschaftlichen Sektoren wie dem Ge sundheitswesen oder der
Landwirtschaft umfaßt, war vor dem Umbruch mit Abstand der größte
der drei Sektoren - vergleichbar der Industrieforschung in den
westlichen Ländern. Die auf die Anwendungsbezüge der jeweiligen
Branche ausgerichtete Branchenforschung fand teilweise in
organisatorisch selbständigen Instituten,6 zum Teil auch in
Forschungsabteilungen von Unter nehmen statt.7 Letztere sind
angesichts der prekären Lage der allermeisten Unternehmen nach den
wirtschaftlichen Transformationen größtenteils aufge löst oder
zumindest sehr stark reduziert worden. Auch eine Reihe von Bran
cheninstituten, die jeweils dem für die Branche zuständigen
Ministerium un tergeordnet waren, wurden aufgelöst. Häufiger
jedoch war es der Fall, daß die an diese Institute gehenden
finanziellen Zuwendungen von staatlicher Seite stark gekürzt
wurden. Da zudem kaum noch - zuvor fest institutionalisierte -
Forschungsaufträge von den Untern~hmen kamen, führte dies sehr
schnell zu einer zwangsweisen Schrumpfung der Institute. An den
Finanzen gemessen verringerte sich etwa der Branchensektor in
Rußland zwischen 1990 und 1993 auf ein Zehntel, die Zuwendungen von
staatlicher Seite sanken sogar auf ein Dreizehnte!; dennoch machte
der Branchensektor 1993, am beschäftigten Personal gemessen, noch
immer 83% der russischen Forschungskapazität aus (Gaponenko et al.
1994: 64, 119). In Ungarn reduzierte sich zwischen 1988 und 1992
das Personal der Branchenforschung um etwa zwei Drittel,
wodurch
5 Die Unterstützungen der anderen postsozialistischen Länder durch
Finanzmittel aus West europa und den Vereinigten Staaten - seien
es staatliche Gelder oder Gelder von privaten Stiftungen - sind in
der Größenordnung viel bescheidener.
6 Zu denen der Sache nach auch die speziellen Branchenakademien zu
zählen sind, die aber in den gängigen Statistiken dem
Akademiesektor zugerechnet werden.
7 Die Anteilsverteilung dieser beiden Organisationsformen der
Branchenforschung variierte stark zwischen den Ländern. In einigen,
wie etwa Rußland, dominierten die selbständigen Institute, in
anderen, wie Ungarn, dagegen die eingegliederten
Forschungsabteilungen.
14 Einleitung
der Anteil dieses Sektors am gesamten Forschungspersonal von mehr
als der Hälfte 1988 auf ein Drittel 1992 zurückging (vgl. Darvas et
al. 1994: 63-64).
Neben der nicht vorhandenen Nachfrage der Industrie nach
Forschungslei stungen kamen weitere, diesen tiefen Fall
verstärkende Faktoren hinzu. So ist die Branchenforschung
organisatorisch hochgradig fragmentiert und dadurch nicht zu
kollektivem Widerstand fähig gewesen. Auch auf Ministeriumsebene
hat es keinen Fürsprecher für diesen Sektor gegeben. Denn die
politischen Zuständigkeiten für ihn sind über eine große Anzahl von
Ministerien ver streut. Zudem ist für keines dieser Ministerien
seine forschungspolitische Aufgabe prioritär gewesen. Weiterhin
wird die Qualität der Branchenfor schung überwiegend als mäßig bis
schlecht eingeschätzt, wodurch die Repu tation dieser Institute
und Abteilungen niedrig ist. Unter diesen Umständen trug
schließlich auch der für alle Sektoren des Forschungssystems
zutreffende Verweis auf erhebliche personelle Überkapazitäten8 dazu
bei, daß die zu ständigen staatlichen Akteure gerade beim
Branchensektor so starke Reduk tionen der Forschungskapazität
vornahmen oder zumindest geschehen ließen.
Die Forschung an den Hochschulen war in den staatssozialistischen
Län dern meist eher randständig. Anders als in fast allen
entwickelten westlichen Gesellschaften - mit Frankreich als
bedeutendster Ausnahme - waren die Hochschulen in den ost- und
mitteleuropäischen Ländern eindeutig als Orga nisationen des
Bildungssystems institutionalisiert worden. Forschung hatte daher
häufig nur als Nebenbeschäftigung der Lehrenden stattgefunden,
wofür kaum Ressourcen vorgesehen waren. Was es an
Hochschulforschung gab, trug dann in den wirtschaftlich relevanten
Forschungsgebieten in erheblichem Maße stark anwendungsbezogenen
Charakter. Das ging darauf zurück, daß die Professoren sich durch
Forschungsaufträge von Unternehmen noch am ehesten zusätzliche
Ressourcen für die Forschung beschaffen konnten. Diese Aufträge
sind nach dem Umbruch, ebenso wie für die Brancheninstitute, fast
völlig fortgefallen. Allerdings hatten die Hochschulen im
Unterschied zum Branchen- und auch zum Akademiesektor mit der Lehre
eine Aufgabe, auf die
8 Diese gingen auf teils sehr generelle, teils spezifische Ursachen
zurück. Personelle Überka pazitäten waren überall immer auch ein
Effekt der politisch diktierten Vollbeschäftigung. Wie viele
Produktionsorganisationen auch hatten die Forschungseinrichtungen
zudem suk zessiv zahlreiche forschungsfremde, aber für sie
wichtige Produktionstätigkeiten und Dienstleistungen -
beispielsweise Baukolonnen oder Kinderkrippen - internalisiert. Das
ist im Transformationsverlauf größtenteils rückgängig gemacht
worden. Spezifisch für viele Forschungseinrichtungen war
schließlich, daß sie vor dem Umbruch in erheblichem Maße
Forschungen betreiben mußten, die Nachentwicklungen westlicher
Technologien zum Ziel hatten - u.a. wegen der dafür von westlicher
Seite verhängten Einfuhrbeschränkungen. Das hiermit beschäftigte
Personal war nach dem Umbruch funktionslos geworden, falls es sich
nicht schnell auf andere Forschungsprobleme umstellen konnte.
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 15
sie sich zurückziehen konnten. Der Rückgang der Nachfrage nach den
For schungsleistungen der Hochschulen hat so nicht die Frage
aufgeworfen, ob die vorhandenen personellen Kapazitäten auch
tatsächlich benötigt werden. Da die Nachfrage nach
Ausbildungsleistungen der Hochschulen zugenommen und auch
bildungspolitische Unterstützung gefunden hat, ist hierüber eine
politisch überzeugendere Begründung für Ressourcenansprüche möglich
ge wesen. Einen so katastrophalen Einbruch wie die
Branchenforschung haben die Hochschulen daher nicht erlebt - wobei
aber vermutlich die für Forschung verfügbaren Ressourcen dort
dennoch ähnlich knapp geworden sind.
Am glimpfliebsten davongekommen ist hinsichtlich der eigenen
Ressour cenversorgung überall die Akademieforschung - selbst dort,
wo die Akademie der Wissenschaften als Gruppe von
Forschungseinrichtungen aufgelöst wurde. Dies spiegelt sich vor
allem darin wider, daß ihr Anteil an den gesam ten Ressourcen der
Forschung leicht zugenommen hat - so etwa der Personal anteil
zwischen 1990 und 1992 in der Slowakei von 9% auf 13% oder in
Rußland von 10% auf 12% (vgl. Sarmir/Zajac 1994: 13; Gaponenko et
al. 1994: 191). Angesichts der noch näher anzusprechenden Tatsache,
daß die Institutionalisierung von Forschung an einer nationalen
Akademie in den meisten der Länder nach dem Umbruch mehr oder
weniger heftig kritisiert wurde, überrascht das zunächst. Die
Akademie war ja die vielleicht augenfäl ligste Manifestation der
staatssozialistischen Institutionalisierungsform von Forschung.
Allerdings ließ sich eben auch von den Gegnern der Akademie nicht
leugnen, daß dort insgesamt die beste, teilweise nahezu die einzige
in ternational reputierte Forschung betrieben wurde. Um diesen
durch die alte Institutionalisierungsform gezielt herbeigeführten
Elitestatus der Akademie ist man nach dem Umbruch nicht
henimgekommen. Da die Forschungspolitik durch bestimmte Änderungen
des Finanzierungsmodus - auch dazu später mehr - die
Leistungskonkurrenz intensiviert hat, uin den besten Forschern die
meisten Ressourcen zukommen zu lassen, ist das oftmals auf eine
Bevorzu gung der Akademieforschung hinausgelaufen.
Hinzu kommt, daß die Akademieleitung meist einen guten Zugang zu
for schungspolitischen Entscheidungsgremien behalten hat. Vor dem
Umbruch war die Akademie in vielen der Länder faktisch das
Forschungsministerium gewesen; und die entsprechenden
Wissenschaftler aus der Akademie behiel ten auch danach häufig
ihren auf persönlicher Erfahrung beruhenden Einfluß auf die
staatliche Forschungspolitik. Dieser gewichtige personelle Einfluß
zu gunsten der Akademie hat sich oft noch damit verbunden, daß die
Akademie auch als organisatorisch zusammengefaßte Gruppe von
Forschungsinstituten ein korporativer Akteur geblieben ist, der in
beträchtlichem Maße zur Bünde lung und Artikulation der
gemeinsamen Interessen in der Lage war. Insgesamt
16 Einleitung
hat die Akademie aufgrund dieser verschiedenen Faktoren
Ressourcenkür zungen noch am ehesten abwenden können. Dennoch gab
es aufgrund der un abweisbaren Zwänge durch staatliche
Mittelknappheit auch in diesem Sektor oft starke Einbußen. So
verfügte z.B. die russische Akademie der Wissen schaften 1993 nur
noch über ein Sechstel der Finanzen von 1989 (vgl. Gapo nenko et
al. 1994: 93-99); und in der Slowakei wurde das Personal der Aka
demie zwischen 1988 und 1992 um etwa ein Drittel, 1993 um ein
weiteres Drittel reduziert (vgl. Sarmir/Zajac 1994: 13).
Auch der vergleichsweise forschungspolitisch geschonte und
einflußreiche Akademiesektor mußte also die Ressourcenverknappung
in erheblichem Maße als aufgezwungenes Opfer hinnehmen. Das
Spektrum des Umgangs mit dem Unvermeidlichen reicht vom hilflosen
Erdulden - allenfalls verbunden mit einem mehr oder weniger
begründeten Warten auf bessere Zeiten- bis zu verschiedenen
Praktiken des aktiven Coping mit den erlittenen Verlusten.9
Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich die drei Sektoren der
Forschungs systeme der postsozialistischen Länder in
charakteristischer Weise. Zwar hat es in allen Sektoren gleich noch
näher zu schildernde Versuche des aktiven Coping gegeben. Doch im
Branchensektor hat das hilflose Erdulden der auf gezwungenen
Ressourcenverknappungen überwogen. Die Größe der Opfer traf die
Institute und Forschungsabteilungen vielfach mit einer gleichsam
pa ralysierenden Wucht. Im Hochschulsektor hat demgegenüber ein
Warten auf bessere Zeiten vorgeherrscht, weil es dort eben die
Möglichkeit des Rückzugs auf die Lehraufgaben gab. Diese
strukturell gebotene Gelegenheit zum "Überwintern" existiert weder
in der Branchenforschung noch in der Aka demieforschung. An
letzterer kann man sich schließlich die Möglichkeiten des aktiven
Coping mit Ressourcenverknappungen am besten verdeutlichen, weil es
dort am extensivsten betrieben worden ist. Der Zwang dazu ist
größer als an den Hochschulen und die Gelegenheiten waren größer
als im Bran chensektor.
Das aktive Coping hat vier analytisch unterscheidbare, einander
ergänzende Komponenten umfaßt. Die erste hat in einer Umsetzung der
Sparzwänge be standen, die sozialpolitischen Kriterien gefolgt ist
und damit forschungspoliti sche Gesichtspunkte oftmals verletzt
hat. Obwohl die Akademie bekannter maßen große personelle
Überkapazitäten hatte, sind Personalreduktionen erst dann
vorgenommen worden, als es keine anderen Einsparmöglichkeiten mehr
gab. Man sparte zunächst - dies begann, wie erwähnt, bereits vor
dem Um bruch - bei den Investitionen. Als das nicht ausreichte,
ging man zusätzlich zu Einsparungen bei den laufenden Sachausgaben
über. Dies führte dazu, daß
9 Siehe generell zu diesem "coping with trouble" von
Forschungsakteuren Schimank/Stucke (1994).
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 17
ein immer größerer Teil des Budgets für Personalausgaben
aufgebraucht wurde - an der bulgarischen Akademie z.B. 1993 über
90% ihres Budgets (vgl. OECD 1994: 299). Das hat die
Forschungskapazitäten und die Qualität der Forschungen an der
Akademie beträchtlich verringert. Als auch diese Ein
sparmöglichkeiten ausgereizt waren, mußte man zu den
Personalausgaben übergehen. Hier wurde dann nicht sogleich durch
den Abbau von Personal gespart, sondern zunächst dadurch, daß die
Gehälter nicht erhöht und häufig mit großer Verspätung ausgezahlt
wurden. Angesichts einer hohen Inflation lief das auf erhebliche
Einkommenseinbußen hinaus. Das Durchschnittsein kommen eines
Wissenschaftlers ist in allen Ländern schon seit den siebziger
Jahren viel langsamer gewachsen als der Durchschnitt aller
Einkommen. Mittlerweile liegen die durchschnittlichen Einkommen von
Wissenschaftlern in vielen Ländern unter dem allgemeinen
Einkommensdurchschnitt
Diese erste Komponente des aktiven Coping hat die Interessen aller
Mitar beiter der Akademie als Arbeitsplatzbesitzer aufzunehmen
versucht. Erst als all diese Einsparmöglichkeiten nicht mehr
genügten, um mit den Mittelkür zungen zurechtzukommen, ging man
zum Abbau von Personal über. Hierbei kam die zweite Komponente des
aktiven Coping zum Einsatz, die sich im Selektionsmuster bei der
Personalreduktion zeigt, also nicht länger die Inter essen aller
Mitarbeiter möglichst gleichmäßig zu berücksichtigen versucht hat.
Überproportional haben Nicht-Wissenschaftler und jüngere Wissen
schaftler die Akademie verlassen. Teilweise geht das darauf zurück,
daß diese Personen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt besitzen
und sich daher freiwillig neue Arbeitsplätze gesucht haben, die
besser bezahlt werden und auch sicherer sind. Das hat auch dazu
geführt; daß vor allem in den anwen dungsbezogenen Disziplinen
immer ~eniger junge Akademiker in die For schung gehen, so daß
massive Nachwuchsprobleme aufgetreten sind, die sich wohl noch
verschärfen werden. Auch das ist für die mittel- und langfristige
Qualität der Forschung äußerst abträglich. Neben diesem
selbstgewählten Exit bzw. Nichteintritt von Nicht-Wissenschaftlern
und jüngeren Wissen schaftlern hat aber auch deren Herausdrängung
durch die Gruppe der älteren Wissenschaftler stattgefunden, die so
die eigene Weiterbeschäftigung zu si chern versuchen. 10 Denn
gerade diese Gruppe hat vergleichsweise schlechte Exit-Chancen.
Sowohl Nicht-Wissenschaftler als auch jüngere Wissenschaft ler
haben in den für solche Entscheidungen zuständigen Gremien der Aka
demie nicht über soviel Einfluß verfügt wie die durch langjährige
Zugehörig keit ranghöheren älteren Wissenschaftler, die deshalb
ihr Interesse an Weiter-
10 Bei den Nicht-Wissenschaftlern mußten allerdings zunächst einmal
vor allem diejenigen gehen, die in den erwähnten forschungsfremden
Tätigkeitsfeldern arbeiteten.
18 Einleitung
beschäftigung besser durchsetzen konntenY Damit hat es sich hierbei
um das Coping einer Teilgruppe der Mitarbeiter auf Kosten anderer
Mitarbeiter ge handelt.
Eine dritte Komponente des aktiven Coping mit der
Ressourcenverknap pung hat darin bestanden, daß die auferlegten
Opfer zwischen den Abteilun gen und Instituten der Akademie
oftmals proportional verteilt worden sind. Entgegen
forschungspolitischen Zielsetzungen sind die von staatlicher Seite
als institutionelle Finanzierung bereitgestellten Ressourcen also
nicht so ver teilt worden, daß die nach inner- oder
außerwissenschaftlichen Kriterien be sonders leistungsfähigen und
wichtigen Forschungen möglichst geringe, For schungen von
schlechter Qualität und geringer Relevanz hingegen möglichst hohe
Einbußen erlitten haben. Statt dessen hat sich ein wechselseitiger
im pliziter Nichtangriffspakt zwischen aufeinander angewiesenen
und risiko aversiven Akteuren stabilisiert.12 Das dient der
Vermeidung von heftigen Verteilungskonflikten untereinander, die
die gegen Angriffe von außen erfor derliche Einigkeit untergraben
würden und im Ergebnis sowohl kurz- als auch vor allem
längerfristig für viele Beteiligte ungewiß wären. Dieses Coping
lei stet also eine "Vermeidung wechselseitiger Schädigung"
(Scharpf 1994: 389) der von den Ressourcenverknappungen
Betroffenen. Die staatlichen for schungspolitischen Akteure
konnten dieses Verhalten oftmals schon deshalb nicht verhindern,
weil sie der Akademie wie auch den Hochschulen im Zuge des noch zu
schildernden institutionellen Umbaus Autonomierechte zugestan den
hatten. Nur Intervention von außen könnte die Nichtangriffspakte
aufbre chen - aber die staatlichen Akteure haben sich diese früher
bestehende Mög lichkeit selbst genommen.13
Dies wurde nur in wenigen Ländern nicht praktiziert. In
Ostdeutschland wurde im Zuge der Auflösung der Akademie der
Wissenschaften eine vom Wissenschaftsrat organisierte umfassende
Evaluation aller Akademieinstitute durch vorwiegend westdeutsche
Forscher vorgenommen, wobei die Evalua tion für einige Institute
die Auflösung, für die meisten Verkleinerungen unter-
11 Eine besondere Benachteiligung von Frauen scheint dabei nicht
stattzufinden. Jüngere Wis senschaftlerinnen werden einerseits wie
jüngere Wissenschaftler von den Älteren hinausge drängt
Andererseits ist die Forschung für Frauen, die in anderen
Berufsfeldern stärker dis kriminiert werden, noch am ehesten ein
Berufsfeld, zu dem sie Zugang bekommen und in dem sie bleiben
können.
12 Siehe ausführlich zu diesem Muster kollektiven Entscheidens in
Selbstverwaltungsgremien am Fall der westdeutschen Hochschulen
Schimank (1995).
13 Siehe dazu am Fall der tschechischen Hochschulen Zahradnik
(1993: 47-49), der als erfor derliche Gegenmaßnahme ein ähnliches
Vorgehen ansieht, wie es an den Hochschulen der ehemaligen DDR -
allerdings durch Externe, nämliche westdeutsche Professoren -
prakti ziert wurde (vgl. Mayntz 1994b).
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 19
schiedlichen Ausmaßes empfahl. Insgesamt wurde so gut die Hälfte
des Per sonals der Akademie abgebaut (vgl. Mayntz 1994a: 185-193).
In der Slowa kei haben die Akademien selbst ein Rating ihrer
Institute in vier Qualitätska tegorien installiert, wonach sich
die Ressourcenzuweisungen bemessen; die Institute der untersten
Kategorie wurden sogar zur Auflösung empfohlen (vgl. Sarmir/Zajac
1994: 24/25).
Während die Forscher, Forschungsgruppen und Institute innerhalb der
Akademie mittels dieser drei Komponenten des aktiven Coping die
Vertei lung der ihnen auferlegten Knappheiten möglichst günstig
entsprechend der verschiedenen genannten Interessen zu gestalten
bemüht sind, ist es bei der vierten Komponente darum gegangen, die
Knappheiten durch eine anderwei tige Akquisition von Ressourcen
zumindest partiell zu kompensieren. Diesbe züglich waren viele
Forscher bestrebt, ihr Einkommen durch zusätzliche Ein nahmen zu
erhöhen, weil es allein für den Lebensunterhalt nicht mehr reichte.
In einigen Ländern, etwa in Rußland, muß die Mehrzahl der
Akademiefor scher noch weiteren Beschäftigungen nachgehen - vor
allem als Lehrende an Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen
oder als freiberufliche wis senschaftliche Berater (vgl. Mirskaja
1994: 62-71). Sowohl Forscher als auch Forschergruppen und
Institute haben sich weiterhin häufig um finanzielle
Unterstützungen aus dem westlichen Ausland bemüht - sei es von
staatlichen Stellen, sei es von privaten Stiftungen wie etwa der
Soros Foundation. Ge messen am Ressourcenbedarf können diese
Hilfen freilich nur punktuell wir ken. Auch für Versuche, die
eigene Ressourcenlage durch den Aufbau enger Beziehungen zu
westlichen Forschungsinstituten direkt oder indirekt zu ver
bessern, war zumeist nach Jahrzehnten großer Isolation die soziale
Distanz zu groß - anders als bei nicht wenigen ostdeutschen
Forschungsinstituten, die bereits vor der deutschen Vereinigung
effektives ~etworking betrieben (vgl. Wolf 1994). Auftragsforschung
ist eine weitere Ressourcenquelle gewesen, wobei jedoch der Bedarf
gerade auf seiten der Industrie, wie schon angespro chen, sehr
gering ist. Zum Teil werden allerdings auch im westlichen Ausland
Forschungsaufträge akquiriert. Die Akquisition von
Forschungsaufträgen hat verstärkte Domänenkonflikte zwischen den
Sektoren des Forschungssystems hervorgebracht. Akademie- und auch
Hochschulforscher drängen immer mehr in die Domäne der
Branchenforschung hinein. Daraus könnten folgenreiche
Fehlspezialisierungen und eine Vernachlässigung der längerfristig
unabding baren Grundlagenforschung resultieren.
Für die Forschungskapazität und die Qualität der Forschungen ist
jede die ser zusätzlichen Ressourcenquellen nicht unproblematisch.
Oft haben die weiteren Beschäftigungen der individuellen Forscher
kaum einen Bezug zur Forschungsarbeit gehabt, die in manchen Fällen
auch hinsichtlich des Zeitum-
20 Einleitung
fangs nur noch klar an zweiter Stelle rangiert hat.
Auftragsforschung hat häu fig den Charakter von Routineforschung
angenommen, wobei die Grenze zur überhaupt nicht mehr innovativen
wissenschaftlichen Dienstleistung nicht selten überschritten worden
ist. Im Extremfall haben Forscher, Forschergrup pen und Institute
ihr finanzielles Auskommen nur um den Preis zu sichern vermocht,
daß sie gänzlich auf Forschung verzichtet haben. Von staatlicher
Seite hat es in allen Ländern nur vereinzelte und im Umfang
geringfügige Unterstützungsmaßnahmen gegeben, die nicht einmal
ausgereicht haben, um die schlimmsten Auswüchse des
Ressourcenmangels zu beseitigen.
Insgesamt ist die Verknappung an für Forschung verfügbaren
Ressourcen in allen postsozialistischen Ländern extrem gewesen. Auf
Quantität und Qualität des Forschungsoutputs dürften sich die
Verknappungen bald negativ auswir ken.14 Das liegt angesichts der
vor dem Umbruch angesammelten personellen Überkapazitäten nicht so
sehr an den Ressourcenkürzungen als solchen, son dern vor allem
daran, daß die notwendigen Einschnitte meist nicht entspre chend
Kriterien relativer · inner- und außerwissenschaftlicher
Leistungsfähig keit und Relevanz erfolgt sind.
3 Gelegenheiten zum institutionellen Umbau
Mit dem Umsturz des Staatssozialismus, der gleichbedeutend war mit
dem Ende der Einparteienherrschaft, wurden sich die Akteure im
Forschungssy stem schlagartig der Möglichkeit bewußt, bestimmte
institutionelle Strukturen beseitigen zu können, die ihre
Forschungsmöglichkeiten jahrzehntelang stark eingeschränkt hatten
und während dieses Zeitraums völlig festgefügt waren. Diese
Aussicht mobilisierte viele Akteure. Im einzelnen handelte es sich
um zahlreiche spezifische institutionelle Regelungen, die
anhaltende tiefe Unzu friedenheiten Vieler hervorgerufen hatten.
Der gemeinsame Nenner all dieser Unzufriedenheiten bestand darin,
daß die Entfaltung wissenschaftlicher Lei stungsfähigkeit
politisch unterdrückt und verzerrt wurde, also - in der norma
tiven Sprache des Protests - elementare Grundlagen der "Freiheit
der For schung" institutionell mißachtet wurden.
Staatssozialistische Gesellschaften waren generell durch eine
"blunted dif ferentiation" (Colomy 1990: 470) gekennzeichnet, weil
die Ausdifferenzie rung funktional spezialisierter
gesellschaftlicher Teilsysteme ihre Grenze an den - durch die
sozialistische Ideologie als sachrational verbrämten - Herr-
14 Bislang schlägt sich dies wegen des melujährigen time-lags von
Publikationen in den zu wenigen Ländern vorliegenden
bibliometrischen Daten noch nicht nieder (vgl. Kristapsans et al.
1994b; Filacek et al. 1994: 69).
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 21
Schaftsinteressen der Kommunistischen Partei fand (vgl. Pollack
1990). Die Kommunistische Partei war die in dem Sinne souveräne
Gestalterin aller ge sellschaftlichen Strukturen, als keinerlei
rechtliche Regelungen - etwa verfas sungsförmiger Art - ihr
formelle Schranken auferlegten. Auch vor der "Freiheit der
Forschung" machte dieser Gestaltungsanspruch nicht Halt. For
schung müsse sich vielmehr der Beförderung des - von der Partei
definierten - "gesellschaftlichen Fortschritts" widmen. Damit wurde
die Forschung klar außerwissenschaftlichen Zwecksetzungen
unterworfen. Dem wurden auch die individuellen Freiheitsrechte von
Forschern untergeordnet.
Die Gesellschaftsgestaltung durch die Kommunistische Partei vollzog
sich durch ein Zusammenwirken rechtlicher, personeller und
finanzieller Machtpo tentiale. Innerhalb des politischen Systems
bildete die Kommunistische Partei eine zwar nicht mit formellen
Kontrollbefugnissen ausgestattete, aber faktisch vor allem über die
Besetzung von Ämtern mit zuverlässigen Parteimitgliedern
durchgängig kontrollierende Parallelstruktur zur staatlichen
Verwaltung. Diese wiederum - mit dem Ministerrat an der Spitze -
agierte als Instanz, die, mit entsprechenden Rechten ausgestattet,
etatistisch tiefgreifend in alle Ge sellschaftsbereiche
intervenierte und ihnen damit auch institutionelle Struktu ren
auferlegte. Alle Arten von Leistungsorganisationen in den
verschiedenen Gesellschaftsbereichen - also auch die
Forschungseinrichtungen im For schungssystem - waren staatliche
Organisationen. Als Bestandteile der staatli chen Verwaltung
besaßen diese Organisationen keine originäre Autonomie der
Selbstverwaltung, sondern waren den übergeordneten staatlichen
Mini sterien und Instanzen und darüber durch die personellen
Verflechtungen der Partei weisungsunterworfen. Hinzu ~am, daß alle
Leistungsorganisationen hinsichtlich der eigenen
Ressourcenversorgung völlig abhängig vom Staat waren. Er besaß in
der Planwirtschaft das Monopol. der Zuteilung derjenigen
Ressourcen, die die Leistungsorganisationen für ihre
Leistungsproduktion be nötigten. Über diese "goldenen Zügel" ließ
sich auch jenseits rechtlicher Be fugnisse Fügsamkeit
erzielen.
Dieser Verbund von Kommunistischer Partei und Staatsverwaltung
erlegte allen Gesellschaftsbereichen nicht nur institutionelle
Strukturen auf, sondern gab auch kurz- und mittelfristige
inhaltliche Ziele der jeweiligen Leistungs produktion in Form von
Plänen autoritativ vor. Für das Forschungssystem stellte sich das
so dar, daß die politische Forschungsplanung zum einen in die
gesellschaftliche Gesamtplanung eingepaßt war, die von der
zentralen staatli chen Planungskommission durchgeführt wurde. Hier
ging es vor allem darum, den Ressourcenbedarf der Forschung mit dem
der anderen Sektoren abzu stimmen. Zum anderen gab es staatliche
Planungskomitees für die Forschung, die die inhaltlichen Planziele
aufstellten und auf dieser Basis einen Voran-
22 Einleitung
Insbesondere dann, wenn die Partei keine ausgeprägten eigenen for
schungspolitischen Zielvorstellungen besaß, lief die Planung zwar
auf eine weitgehende Selbststeuerung der Forschungsakteure hinaus.
Dies war vor al lem in den fünfzigerund sechziger Jahren noch in
erheblichem Maße der Fall. Jedoch wurden die Zielvorstellungen der
Partei, schon in den siebziger Jahren beginnend, während der
achtziger Jahre in allen Ländern immer dezidierter und dringlicher
und setzten sich dann auch über andersartige Vorstellungen und über
Bedenken der Forschungsakteure in den forschungspolitischen Pla
nungsinstanzen hinweg. Überall kam es, verursacht durch die sich
verschär fenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, zu einem sich in
den Plänen nieder schlagenden verstärkten Anwendungsdruck auf die
Forschung. Weit stärker als zur selben Zeit auch im Westen wurde
der Technologietransfer insbeson dere zur Industrie die
beherrschende forschungspolitische Leitorientierung; und anders als
im Westen, wo zumindest einige Arten von Forschungseinrich tungen
sich im Rahmen der ihnen gewährten Autonomie solchen Pressionen
wenigstens teilweise entziehen konnten, war die Forschung der
staatssoziali stischen Länder dem Anwendungsdruck voll ausgesetzt.
Nur offensichtlich nicht anwendungsrelevante Forschungsfelder
blieben davon verschont - al lerdings um den Preis, daß die
allgemeine Verknappung von Ressourcen für die Forschung sie wegen
ihrer ,,Nutzlosigkeit" mit besonderer Härte traf.
Auch die institutionelle Strukturierung des Forschungssystems in
Sektoren erfolgte gemäß politischen Vorstellungen. Die
Sektorstruktur konnte gewis sermaßen am Reißbrett gemäß den
zentralistischen Gestaltungsprinzipien der Partei konzipiert und
entsprechend umgesetzt werden. Dabei wurde der na tionalen
Akademie der Wissenschaften eine bevorzugte Rolle zugedacht. In ihr
sollte die wissenschaftliche Elite des Landes konzentriert werden;
und diese Elite sollte eine deutlich bessere Ressourcenausstattung
erhalten als an dere Forscher. Auf diese Weise hoffte man,
forschungspolitisch planmäßig und effizient optimale
Voraussetzungen für wissenschaftliche Höchstleistun gen zu
schaffen. Die Kehrseite dessen war eine Vernachlässigung der
For-
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 23
schung an den Hochschulen. Diese Privilegierung der Akademie wurde
noch dadurch verstärkt, daß sie - wie bereits angesprochen -
faktisch und auch for mell ein sehr
einflußreicherforschungspolitischer Akteur war. Sie wirkte mit
diesem Einfluß gestaltend auch in die anderen Sektoren des
Forschungssy stems hinein und konnte dadurch insbesondere die
eigene Vorrangstellung absichern.
Von der Partei über die Verwaltung in die Forschungseinrichtungen
hinein reichte also vor dem Umbruch eine lückenlose hierarchische
Steuerungsstruk tur, die zumindest prinzipiell die Möglichkeit
bereitstellte, bis auf die Ebene des je einzelnen Forschers
jederzeit detailliert ins Forschungshandeln zu in tervenieren.15
Als die Herrschaft der Kommunistischen Partei überwunden war, brach
diese außerwissenschaftliche Zementierung von innerwissen
schaftlich weithin als illegitim und ineffektiv angesehenen
institutionellen Strukturen weg. Ob und inwieweit die sich so
auftuenden Gelegenheiten zum institutionellen Umbau genutzt worden
sind, hat zum einen davon abgehan gen, wie die
Auseinandersetzungen darüber zwischen den relevanten For
schungsakteuren ausgegangen sind, und zum anderen davon, wie die
For schungsakteure dann auf die relevanten forschungspolitischen
Akteure ein zuwirken in der Lage gewesen sind.
Unter den Forschern wurden nach dem Umsturz in allen Ländern
erstens die Einschränkungen der Forschungsautonomie, zweitens - als
Teilaspekt des sen - der dadurch mögliche starke Anwendungsdruck
sowie drittens die Be vorzugung der Akademieforschung sogleich
heftig attackiert. Allerdings hat jedes dieser drei issues zu einer
anders gelagerten Spaltung der Forscher ge führt, was insgesamt
eine erhebliche Zersplitterung der auf einen institutionel len
Umbau wirkenden Kräfte geführt h~t.
Einleuchtend ist, daß die forschungspolitische Bevorzugung der
nationalen Akademie vor allem von seiten der Hochschulen kritisiert
worden ist, wäh rend die Akademieforscher selbst wenig geneigt
gewesen sind, ihre Privile gien aufzugeben. Den Branchenforschern
ist diese Frage relativ gleichgültig gewesen. Der starke
Anwendungsdruck wurde vor allem von seiten der Aka demie beklagt.
Die Haltung der Hochschulen zu diesem issue hat davon ab gehangen,
wie sie die eigenen Aussichten bezüglich des ersten issues einge
schätzt haben. Wenn die Hochschulen als Forschungseinrichtungen
nachhaltig gestärkt werden würden, müßten sie ebenso wie die
Akademie den Anwen dungsdruck abzuwehren versuchen. Falls diese
Stärkung aber ausbliebe, böte
15 Faktisch war dieses Interventionspotential natürlich durch die
monitoring capacity der Par tei begrenzt, weshalb Forscher und
Forschungseinrichtungen, die in politisch nicht wichtig genommenen
Feldern arbeiteten und nicht durch irgendwelchen ,,Ärger"
auffielen, relativ unbehelligt ihren wissenschaftlichen Interessen
nachgehen konnten.
24 Einleitung
der Anwendungsdruck den Hochschulen hingegen zumindest die
Möglichkeit, weiterhin durch anwendungsbezogene Forschung
Ressourcen zu akquirieren, um überhaupt Forschung betreiben zu
können. Der Branchensektor schließ lich mußte eindeutig darauf
setzen, daß der Anwendungsdruck sich auf seiten der Adressaten in
der Industrie positiv auswirkte. Dort mußte forschungspoli tisch
zum einen das Bewußtsein von der Notwendigkeit geschaffen werden,
eigene Forschungsabteilungen zu erhalten oder wieder aufzubauen
sowie For schungsaufträge an Brancheninstitute zu vergeben. Zum
anderen konnte der Anwendungsdruck auch das Vertrauen der Industrie
herstellen und kräftigen, daß die Branchenforschung den Typus von
Forschung betreibt, der wirt schaftlich benötigt wird.
Damit haben diese beiden issues sektorale cleavages geschaffen.
Hinsicht lich des am wichtigsten genommenen issues, der generellen
Einschränkungen der Forschungsautonomie, ist die Spaltung der
Forschungsakteure anders verlaufen. Was oberflächlich wie ein
Konflikt zwischen dem Forschungssy stem und dem durch die
Kommunistische Partei dominierten politischen Sy stem ausgesehen
hat, ist tatsächlich ebenfalls ein Konflikt innerhalb des For
schungssystems gewesen: nämlich zwischen vier verschiedenen
Interessenla gen, in denen sich Forscher befinden konnten. Auf
seiten des Leitungsperso nals der Forschungseinrichtungen müssen
zwei Interessenlagen unterschieden werden. Auf der einen Seite gab
es diejenigen Leiter, die im staatssozialisti schen System primär
als politische Günstlinge, also nicht aufgrund wissen schaftlicher
Leistungen, Karriere gemacht hatten. Auf der anderen Seite gab es
aber auch Leiter, die sich wissenschaftlich profiliert und in
politischer Hinsicht nur das Nötigste getan hatten, um für
Leitungspositionen in Frage zu kommen.16 Aufseiten der
wissenschaftlichen Mitarbeiter lassen sich ebenfalls zwei
Interessenlagen unterscheiden. Unter den Mitarbeitern gab es auf
der ei nen Seite diejenigen, die sich selbst als wissenschaftlich
leistungsfähig ein stuften, ohne daß sie im Staatssozialismus die
Chance besaßen oder für sich sahen, einen entsprechenden
beruflichen Status zu erringen, weil die Status vergabe zu stark
politisch präformiert war oder ihnen erschien. Auf der ande ren
Seite gab es diejenigen Forscher, die sich mit ihrer
untergeordneten Posi tion und ihren eingeschränkten
wissenschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten arrangiert hatten, weil
ihnen das zumindest die Sicherheit gab, keiner wissen schaftlichen
Leistungskonkurrenz ausgesetzt zu sein, in der sie sich womög lich
schlechter gestanden hätten.
16 Dies sind natürlich, ebenso wie die folgende Typisierung der
Mitarbeiter, Extrempole eines Kontinuums. Konkrete Individuen
werden sehr unterschiedliche Mischungen dieser beiden Extreme
darstellen.
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 25
Legt man diese zweifellos holzschnittartige Unterscheidung von
Interessen lagen zugrunde, läßt sich das Transformationsgeschehen
hinsichtlich des er sten der drei issues verstehen. Vor dem
Umbruch bestand eine stabile, durch die Partei abgestützte
Koalition zwischen den politischen Günstlingen auf der
Leitungsebene und den Sicherheitsorientierten unter den
Mitarbeitern. Die Übereinstimmung zwischen den anderen beiden
Interessenlagen konnte dage gen nicht zum Zuge kommen. Die
wissenschaftlich profilierten Leiter konnten allenfalls einzelne
wissenschaftlich ambitionierte Mitarbeiter fördern, mußten sich
aber im großen und ganzen der politischen Präformierung von
Statuszu weisungen anpassen. Nach dem Umbruch hat dann ein offenes
Aufbegehren der wissenschaftlich ambitionierten Mitarbeiter- im
Bündnis mit den wissen schaftlich profilierten Leitern - gegen die
politischen Günstlinge unter den Leitern stattgefunden.
Entscheidend dafür war, daß das Anliegen der "Reformer" normativ
hochgradig unangreifbar gewesen ist. Leistungsfördern de
Konkurrenz, in der dann auch der Beste den höchsten Status erringt,
war etwas, . wogegen sich gerade nach dem Zusammenbruch einer
leistungsbehin dernden und dadurch äußerst ineffizienten und
ineffektiven staatssozialisti schen Gesellschaftsstruktur und
angesichts der Vorbildwirkung einer als Iei stungsfördernd
angesehenen westlichen Gesellschaftsstruktur niemand offen
aussprechen konnte. Ohne die Rückendeckung der Kommunistischen
Partei mußten sowohl die politischen Günstlinge als auch die
Sicherheitsorientierten unter den Mitarbeitern - beide entgegen
ihrer gleichbleibenden Interessenlage - zumindest verbal die
Forderungen der "Reformer" als berechtigt anerken nen. Man kann
darüber hinaus wohl auch davon ausgehen, daß bei einem Teil der
Sicherheitsorientierten der Sinn fi!r das wohlverstandene
Eigeninteresse zeitweilig getrübt war. Diese Forscher ließen sich
zumindest anfangs von der normativen Idee der wissenschaftlichen
Leistungskonkurrenz als der "gerechten Sache" mitreißen; manche
meinten in ihrer Begeisterung vielleicht sogar, sich in dieser
Konkurrenz selbst verbessern zu können. Deklaratorisch sind also
alle Forscher für die Autonomisierung des Forschungshandeins von
der bisherigen politischen Kontrolle und für entsprechende
weitreichende institutionelle Änderungen eingetreten.
Die Aufmerksamkeit der neuen politischen Kräfte für diese
forschungspoli tischen Fragen ist nirgends sehr groß gewesen. Wie
bereits erwähnt, besaßen andere politische Themen eindeutig
Vorrang. Das hatte zur Folge, daß die politischen Akteure kaum von
sich aus aktiv geworden sind, um institutionelle Umgestaltungen des
Forschungssystems herbeizuführen. Die Ausnahme stellt hierbei
wiederum Ostdeutschland dar, dessen Forschungssystem durch for
schungspolitische Akteure in Richtung einer Einpassung ins
westdeutsche System verändert wurde. Diese Ausnahme zeigt aber
gerade wichtige Ursa-
26 Einleitung
chen dafür auf, warum in den anderen Ländern die politischen
Akteure erst durch Forschungsakteure zum Handeln aktiviert werden
mußten. Es waren externe, nämlich westdeutsche politische Akteure,
die in Ostdeutschland auf traten. Sie waren deshalb
forschungspolitisch erfahren und besaßen ein klares
forschungspolitisches Interesse. Beides hat für die neugebildeten
For schungsministerien der anderen postsozialistischen Länder
nicht gegolten. Diese Ministerien waren über längere Zeit erst
einmal primär damit beschäf tigt, sich selbst als korporative
Akteure zu konstituieren. Ihr Handeln nach außen blieb
dementsprechend immer wieder in plakativer Rhetorik stecken, die
allerdings im Bemühen der Abgrenzung von der staatssozialistischen
Ära den Forderungen der "Reformer" unter den Forschern größtenteils
sehr nahe gekommen ist. Die staatlichen forschungspolitischen
Akteure haben sich ebenfalls zur herzustellenden "Freiheit der
Forschung" von "politischer Be vormundung" und in diesem
Zusammenhang auch zu einem Ausbau der Grundlagenforschung bekannt,
was zumindest implizit auf das Versprechen einer Milderung des
Anwendungsdrucks hindeutete. Hinsichtlich dieser bei den issues
hat überdies auf die politischen Akteure ebenfalls der normative
Appell dessen gewirkt, was die Forschungsakteure forderten. Auch
eine Stär kung der Hochschulforschung ist von den politischen
Akteuren als Forderung akzeptiert worden, ohne daß sie sich
allerdings damit entschieden gegen die Akademieforschung gewandt
haben. In dieser zwischen den Forschungsakteu ren der beiden
Sektoren kontroversen Frage haben die politischen Akteure also eine
vermittelnde Position eingenommen.
Aus diesen Konstellationen von Forschungsakteuren und
forschungspoliti schen Akteuren heraus sind die Gelegenheiten für
institutionelle Änderungen in den benannten Hinsichten genutzt
worden. Die Resultate dessen blieben jeweils deutlich hinter den
Erwartungen der Erneuerer zurück. Was in allen Ländern geschehen
ist, war die Autonomisierung der Forschung von den frü heren
Formen politischer Kontrolle. Sowohl individuellen Forschern als
auch Forschungseinrichtungen wurden die in westlichen Ländern
üblichen Frei heitsrechte des Forschungshandeins eingeräumt.
Entsprechende Gesetzes initiativen wurden fast überall unter
starker Mitwirkung von Forschungsak teuren formuliert und in die
Gesetzgebung eingebracht. Die Verabschiedung der Gesetze dauerte
dann allerdings oftmals sehr lange und ist in einigen Län dern
noch immer nicht abgeschlossen. Das hat kaum an größeren
politischen Kontroversen über die Gesetze, sondern vielmehr daran
gelegen, daß die Parlamente andere Aufmerksamkeitsschwerpunkte
hatten und schlicht keine Zeit für die Forschungspolitik fanden.
Jedenfalls ist die politische Installie rung der rechtlichen
Forschungsautonomie nirgends auf Widerstand gestoßen, obwohl die
Mehrzahl der Forscher durch diese institutionellen Änderungen
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 27
eher Nachteile zu befürchten hat17 und die forschungspolitischen
Akteure zumindest hinsichtlich ihrer Bestrebungen, den
Anwendungsdruck auf die Forschung aufrechtzuerhalten oder gar noch
zu verstärken, dadurch ebenfalls eher behindert werden. Ganz
offensichtlich haben sich die basalen Autono mierechte der
Forschung als normative Standards erwiesen, denen sich nach dem
Wegfall der staatssozialistischen Ideologie und der Herrschaft der
kom munistischen Partei jedermann anschließen muß.
Damit sind aber noch nicht die faktischen Abhängigkeiten der
Forscher, Forschergruppen oder Institute von den politischen
Günstlingen beseitigt worden. Sofern solche Leiter nicht durch
eklatante Vergehen im Amt - insbe sondere auch die Bespitzelung
ihrer Mitarbeiter und Kollgen für den Staats sicherheitsdienst -
untragbar geworden waren, konnten sie die eigene Position oftmals
durchaus erfolgreich behaupten. Nur in Bulgarien wurde eine gesetz
liche Regelung verabschiedet, die die politischen Günstlinge
rigoros aus den Leitungspositionen entfernte (vgl. Sirneonova et
al. 1994: 16-23).18 In den anderen Ländern haben diese Leiter in
vielen Instituten einen gewichtigen Einfluß behalten, weshalb die
"Reformer" nur partiell zum Zuge gekommen ist. Zwar wurden vor
allem in den nationalen Akademien unter dem Schlag wort der
"Demokratisierung" Akademie- und Institutsleitungen von den Mit
arbeitern durch Wahlen neu eingesetzt. Das ist eine sehr
weitreichende Form der Selbstverwaltung, 19 die jedoch
unerwarteterweise oftmals zu einer Bestä tigung der politischen
Günstlinge im Amt geführt hat.
Dieses auf den ersten Blick paradoxe Ergebnis ist auf mehrere
Beweggrün de und Einflußpotentiale zurückzuführen. Erstens hat die
stillschweigende Koalition der großen Zahl sicherheitsorientierter
Mitarbeiter mit den politi schen Günstlingen in starkem Maße
weiter funktioniert. Letztere bekamen für das unausgesprochene,
aber sich aufgrund ihrer eindeutigen Interessenlage von selbst
verstehende Angebot, ihr Möglichstes zu tun, damit alles
soweit
17 Dabei kann offen bleiben, ob auf seilen des Leitungspersonals
die politischen Günstlinge oder die wissenschaftlich Profilierten
überwogen haben. Denn man kann wohl davon ausge hen, daß unter den
Mitarbeitern die große Mehrzahl sicherheitsorientiert war. Generell
nei: gen Individuen dazu, in "Hochkostensituationen" (Zintl 1989)
risikoaversiv zu handeln - und spätestens die einsetzenden
Personalreduktionen und Institutsauflösungen signalisierten allen
Forschern, daß sie sich in einer solchen Situation befanden.
18 Auch in der Tschechischen Republik wurden 1991 beinahe 90% aller
Institutsdirektoren der Akademie bei Neuausschreibungen der Stellen
abgelöst (vgl. OECD 1994: 297).
19 In Deutschland etwa ist nur an den Hochschulen Vergleichbares
installiert, aber keineswegs an den staatlich finanzierten
außeruniversitären Forschungseinrichtungen, etwa den Max
Planck-Instituten. Und auch an den deutschen Hochschulen verfügt
eine Statusgruppe, die der Professoren, über eine klare formelle
Vorherrschaft gegenüber den anderen Gruppen, was bei der
"basisdemokratischen" Erneuerung der Forschungseinrichtungen der
postsozia listischen Länder offenbar nicht so gewesen ist.
28 Einleitung
wie möglich beim Alten bleibt, bei geheimen Wahlen die heimliche
Unter stützung der Sicherheitsorientierten. Denn die
Sicherheitsorientierten " ... are not used to meritocracy [ ... ]
and to the disappearance of the Almighty State that was giving
money and did not really askfor results." (Karczewski 1993: 67)20
Die politischen Günstlinge im Amt zu belassen ist zweitens oft
deshalb rational gewesen, weil sie aufgrund ihrer Erfahrung und
ihrer Beziehungen am geeignetsten erschienen, das Coping der
Institute und der Akademien mit den geschilderten starken, nicht
selten bestandsbedrohenden Ressourcenver knappungen zu
organisieren. Diesem Kalkül mußten sich sogar die wissen
schaftlich ambitionierten Mitarbeiter insbesondere dann beugen,
wenn es um ihre eigenen Arbeitsplätze ging. Drittens schließlich
dürften auch über Co ping-Aktivitäten hinaus die verschiedensten
mikropolitischen Fähigkeiten der politischen Günstlinge, die sie
sich im staatssozialistischen System angeeignet hatten, bei deren
Bemühungen, die eigene Position zu halten, hilfreich gewe sen
sein. Angesichts dessen dürfte die Ablösung dieser Leiter erst
durch ihr natürliches Ausscheiden erfolgen, also durch einen sich
im Verlauf der näch sten zwei Jahrzehnte allmählich vollziehenden
Generationswechsel. Auch jetzt schon ist allerdings ihr Einfluß auf
das Forschungshandeln vor allem durch die Installierung der basalen
Freiheitsrechte individueller Forscher er heblich eingeschränkt
worden.
Eine Aufwertung der Hochschulforschung im Vergleich zur
Akademiefor schung hat formell überall zumindest dadurch
stattgefunden, daß die For schungsaufgaben der Hochschulen in den
entsprechenden Gesetzen deutlicher herausgestellt worden sind.
Parallel dazu ist die zuvor dominierende Rolle der nationalen
Akademien relativiert worden. Von einer formellen Gleichberech
tigung beider Sektoren des Forschungssystems, geschweige denn einem
Vor rang der Hochschulforschung, kann allerdings keine Rede sein.
Faktisch ist die Aufwertung der Hochschulforschung dann an enge
Grenzen gestoßen. Erstens hat sich nicht ignorieren lassen, daß die
Akademieforschung, wie schon erwähnt, qualitativ vielfach deutlich
besser als die Hochschulforschung war und geblieben ist. Nicht nur,
aber auch deshalb hat es keine größeren Ressourcenumlenkungen
zugunsten der Hochschulforschung gegeben. Auch Bestrebungen,
Institute aus den Akademien auszugliedern und den Hochschu len
anzugliedern, liefen sich immer wieder fest, weil die Hochschulen
entge gen anderslautenden allgemeinen Forderungen im Einzelfall
oft ungeeignet und unwillig zur Übernahme solcher Institute waren.
Neben ungelösten orga-
20 Die folgende Einschätzung des tschechischen Hochschulpersonals
dürfte auf die Forscher alldieser Länder übertragbar sein: " ...
the majority are reso/ved to maintain their position, until
retirement is possible, whether this will take 5, 10, or even 15 or
more years." (Zahradnik 1993: 47)
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 29
nisatorischen Problemen und unausgesprochenen
Minderwertigkeitsgefühlen der Professoren gegenüber den
Akademieforschern spielte dabei auch eine Rolle, daß angesichts der
staatlichen Bestrebungen zur Ressourceneinsparung die Hochschulen
oft befürchten mußten, in dem Maße, wie sie Akademieinsti tute
übernehmen, eigene Stellen abgeben und damit das darauf befindliche
Personal entlassen zu müssen. Das war dann am extremsten, wenn die
Hoch schulen im betreffenden Forschungsfeld größere eigene
Forschungskapazitä ten besaßen.
In drei Ländern wurde allerdings, wie bereits erwähnt, in dieser
Hinsicht eine radikale institutionelle Veränderung durchgeführt. In
Ostdeutschland, in Litauen und in Lettland wurde die nationale
Akademie als Gruppe von For schungseinrichtungen aufgelöst und nur
noch als Gelehrtengesellschaft wei tergeführt. Leicht erklärbar
ist dies für Ostdeutschland dadurch, daß das ost deutsche
Forschungssystem im Zuge der Vereinigung ins westdeutsche einge
paßt wurde und die dominierenden westdeutschen
forschungspolitischen Ak teure dessen Status quo, der keinen Platz
für die Akademie vorsah, nicht än dern wollten (vgl. Mayntz 1994a:
91-132, 272-281). Die Institute der ostdeut schen Akademie wurden
teils aufgelöst, teils in verkleinertem Zustand den verschiedenen
Gruppen von westdeutschen außeruniversitären Forschungs
einrichtungen oder den Hochschulen zugeschlagen. Für die beiden
baltischen Länder besaß die ostdeutsche Transformation eine gewisse
V orbildfunktion. In Litauen wurde dieses Modell von einer sehr
einflußreichen Wissenschaft lergewerkschaft propagiert (vgl.
Dagyte 1994: 60-68), während es in Lettland durch die Installierung
eines völlig auf Projektförderung beruhenden Finan zierungsmodus
der Forschung hervorgebracht wurde (vgl. Kristapsans et al. 1994a:
31-39; Tjunina/Kristapsons 1994 ). Weil die Institute der
lettischen Akademie seit 1992 ihre Finanzmittel jeweils selbst beim
lettischen Wissen schaftsrat einwerben müssen, agiert jedes von
ihnen als - rechtlich dem For schungsministerium zugeordnete -
selbständige Einrichtung ohne weitere Einbindung in die
Akademie.
Wie im folgenden Abschnitt noch genauer ausgeführt werden wird, ist
der starke Anwendungsdruck auf die Forschung aufrechterhalten und
sogar noch intensiviert worden. In dieser Hinsicht haben die
institutionellen Veränderun gen am wenigsten die Konsequenzen
gehabt, die die Forschungsakteure er hofft haben. War der
forschungspolitische Anwendungsdruck vor dem Um bruch aufgrund der
politischen Kontrolle der Forschung hierarchisch instai Iierbar
gewesen, so findet er seitdem über finanzielle Anreize statt, denen
sich angesichts der Ressourcenverknappung kaum ein Institut oder
Forscher ver weigern kann. Damit zeigt sich auch hieran auf
wiederum andere Weise die starke restriktive Wirkung, die die
Ressourcenverknappung auf den institutio-
30 Einleitung
nellen Umbau gehabt hat. Hätten reichlich Ressourcen zur Verfügung
gestan den, wären die "alten Kader" in den Forschungseinrichtungen
nicht weiterhin so stark am Ruder geblieben; die Aufwertung der
Hochschulforschung wäre nicht so sehr auf einen Nullsummenkonflikt
mit der Akademieforschung hin ausgelaufen; und der Anwendungsdruck
wäre schwächer gewesen, weil die Forschungseinrichtungen nicht so
angewiesen auf diese "goldenen Zügel" gewesen wären. Unter den
gegebenen Umständen haben die institutionellen Veränderungen
hingegen insgesamt bislang viele Forderungen unerfüllt gelas sen
und werden sich auch nur in dem Maße in die angestrebten Richtungen
fortsetzen, wie die extreme Ressourcenknappheit verschwindet.
4 Verschärfte forschungspolitische Leistungserwartungen
Zur Forschungspolitik nach dem Umbruch ist bereits Vieles
angesprochen worden. Betrachtet man zunächst die
forschungspolitische Rhetorik, so wurde der Forschung im
Staatssozialismus eine hohe Priorität eingeräumt. For schung galt
als immer wichtiger werdende gesellschaftliche Produktivkraft.
Entsprechend nahmen die Anteile der Forschungsausgaben am
Bruttoinlands produkt und des Forschungspersonals an allen
Beschäftigten vor allem wäh rend der sechziger Jahre zu. In dem
Maße, wie sich in der Folgezeit die wirt schaftlichen
Schwierigkeiten verschärften, wurde forschungspolitisch vor al lem
auch an die Forschung appelliert, durch größere Anwendungsnähe und
schnelleren Transfer anwendungsbezogener Erkenntnisse in die
Industrie zur Überwindung dieser Schwierigkeiten beizutragen.
Dieser Appell richtete sich keineswegs bloß an die
Branchenforschung, sondern auch und gerade an die
Akademieforschung. Er blieb beispielsweise in der ehemaligen DDR
auch nicht folgenlos, weil er mit der Institutionalisierung neuer
Finanzierungsmodi der Akademieforschung verknüpft wurde, die diese
zur Berücksichtigung von Anwendungsbezügen drängte (vgl.
Meske/Gläser 1994).
Die sich nach dem Umbruch nur noch dramatisch verschärfende, weil
offen zutage tretende wirtschaftliche Krise trug dann dazu bei, daß
die Belange der Forschung " ... are often left aside, ignored by
politicians whose under standable position is that 'today we are
fighting for the bread of the people, for the survival of the
nation, and science and technology can wait a little '. " (Denchev
1993: 59) Der Anteil der Forschungsausgaben am Staatshaushalt hat
dementsprechend in allen Ländern stark abgenommen und zu den
geschil derten Ressourcenverknappungen geführt. "There is little
public sympathy for the scientific community or support for its
claims on public resources in diffi-
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 31
cult economic times. " (Weiss 1993: 4) Diese Gleichgültigkeit ist
das primäre Charakteristikum staatlichen Handeins gegenüber der
Forschung gewesen. Alle bereits erwähnten oder noch anzusprechenden
forschungspolitischen Maßnahmen haben dementsprechend das
unverhohlene Signum des Nachrangigen getragen.
Im Zuge des staatlichen Neuaufbaus nach dem Umsturz des
Staatssozialis mus wurden dann in den meisten Ländern erstmals
eigenständige For schungsministerien etabliert. Bis dahin besaß,
wie erwähnt, oftmals die natio nale Akademie wichtige
forschungspolitische Kompetenzen. Diese Verlage rung der
Kompetenzen hat sowohl bedeutet, daß die Akademie sich selbst nicht
mehr so gut wie vorher forschungspolitisch abpuffern konnte, als
auch, daß die staatlichen forschungspolitischen Akteure ihre
Gesichtspunkte unab hängiger als zuvor zur Geltung bringen
konnten.21 Institutionell wurden durch die Schaffung eines
Forschungsministeriums noch in einer zweiten Hinsicht zumindest
Ansätze für eine stärkere Autonomisierung der Forschungspolitik
gemacht: gegenüber den anderen staatlichen Ressorts. Zwar
verblieben die Zuständigkeiten für die Branchenforschung bei den
jeweiligen Ministerien. Doch für ein Forschungsministerium liegt es
nahe, zu seinem Selbstverständ nis auch die übergreifende
Koordination der gesamten staatlichen For schungspolitik zu
rechnen und bei entsprechenden Bemühungen gegenüber den anderen
Ressorts immer wieder darauf zu dringen, daß die engen Anwen
dungsbezüge des jeweiligen Politikfeldes zugunsten generellerer
forschungs politischer Gesichtspunkte gelockert werden. Auch wenn
nicht damit zu rech nen ist, daß die anderen Ministerien
freiwillig zurückstecken werden, ist mit der Schaffung eines
Forschungsministeriums, das auf Ausdehnung seiner Domäne aus sein
muß, eine beständige Triebkraft für solche Ressortauseinan
dersetzungen, die im Erfolgsfall der Eigenständigkeil der
Forschungspolitik zuträglich sind, ins Leben gerufen worden.
Die forschungspolitischen Leistungserwartungen, die von staatlicher
Seite, vor allem vom neugegründeten Forschungsministerium, an die
Forscher und Forschungseinrichtungen in allen drei Sektoren
gerichtet worden sind, haben sich auf die Steigerung der
innerwissenschaftlichen Qualität und - wie schon mehrfach erwähnt-
noch mehr der außerwissenschaftlichen Relevanz der For schung
konzentriert. Erstere Zielsetzung ergab sich aus den offenbar
gewor denen Qualitätsdefiziten in vielen Forschungsfeldern,
verbunden mit perso neller Überbesetzung, unter Bedingungen
verschärfter Ressourcenknappheit
21 Auch in dieser Hinsicht muß man allerdings einen
Generationswechsel abwarten. Denn die Mitarbeiterschaft der neuen
Forschungsministerien bis hinauf zu deren Leitung hat sich bislang
mangels anderer geeigneter Personen in erheblichem Maße aus den
zuvor schon in den Akademien mit forschungspolitischen Fragen
beschäftigten Forschern rekrutiert.
32 Einleitung
Wenn immer weniger Finanzmittel für die Forschung mobilisiert
werden kön nen, sollen diese zumindest möglichst effektiv und
effizient eingesetzt wer den. Dieser Zielsetzung würde auch
exzellenter Grundlagenforschung ohne jegliche Anwendungsbezüge
gerecht. Gerade dieser Typ von Forschung, der schon vor dem Umbruch
in großen Schwierigkeiten war, hat jedoch seitdem am meisten
gelitten, weil eben mit der Zielsetzung einer Steigerung der au
ßerwissenschaftlichen Relevanz von Forschung die
forschungspolitischen Akteure den Anwendungsdruck fortgesetzt und
sogar noch intensiviert haben. Das ist nur konsequent gewesen, weil
das Denkmuster über den Beitrag wis senschaftlicher Forschung zur
wirtschaftlichen Erneuerung das Gleiche ge blieben ist, aber die
wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch größer geworden, zumindest
noch deutlicher hervorgetreten sind als vor dem Umbruch. Die for
schungspolitischen Maßnahmen zur Erreichung dieser beiden
Zielsetzungen haben dann darauf abgezielt, unter den Forschern und
Forschungseinrichtun gen eine nach Leistungskriterien erfolgende
Konkurrenz um Ressourcen zu schaffen und diese Ressourcen zugleich
als Anreize einzusetzen, die die For schung in bestimmte
außerwissenschaftlich relevante Richtungen lenken.
Die Installierung einer leistungsfördernden Ressourcenkonkurrenz
ist dar über erfolgt, daß der Anteil der institutionellen
Finanzierung der For schungseinrichtungen reduziert und dafür der
Anteil der Projektfinanzierung vergrößert worden ist. Zu diesem
Zweck wurden verschiedene Instanzen der Projektförderung
institutionalisiert - vor allem sogenannte ,,Fonds" für die
Grundlagenforschung und für technische Forschung, in manchen
Ländern auch für einzelne Wissenschaftsgebiete wie z.B. die
Agrarwissenschaften oder die Medizin. In Verfahren des peer review
werden die eingehenden Projektanträge begutachtet und entschieden.
Die ,,Fonds" für die Grundlagen forschung sind typischerweise
Selbstverwaltungsorganisationen, wie etwa der russische Fond für
die Grundlagenforschung, dessen oberstem Entschei dungsgremium
Vertreter aller drei Forschungssektoren angehören. Die ,,Fonds" für
technische Forschung sind hingegen enger an das Forschungs
ministerium angebunden. So ist z.B. der Vorsitzende dieses Fonds in
Rußland der stellvertretende Forschungsminister (vgl. Gaponenko et
al. 1994: 159/160). Das dient vor allem dazu, daß die thematischen
Prioritäten der staatlichen Forschungspolitik in die
Förderprogramme dieses ,,Fonds" einge hen können. Finanziert
werden diese Projektförderinstanzen im wesentlichen aus dem
staatlichen Forschungsetat Der ,,Fond" für technische Forschung
speist sich oftmals aus einer speziellen Unternehmenssteuer.
Auch diese institutionellen Neuerungen sind bislang noch nicht sehr
weit vorangeschritten. Erstens ist der Umfang der über die ,,Fonds"
verteilten Fi nanzmittel in den meisten Ländern noch gering. So
kommen aus dem russi-
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 33
sehen ,,Fond" für die Grundlagenforschung nur 3% aller staatlichen
Ausgaben für diese Art von Forschung; und auch der russische
,,Fond" für die techni sche Forschung umfaßt nur 25% aller
relevanten Ausgaben (vgl. Gaponenko et al 1994: 159/160). Nur in
wenigen Ländern haben die ,,Fonds" einen grö ßeren Anteil an der
Forschungsfinanzierung erreicht - z.B. in der Tschechi schen
Republik, wo inzwischen 40% der Akademieforschung so finanziert
werden (vgl. Filacek et al. 1994: 71). Am weitesten gegangen ist
Lettland. Dort werden, wie schon erwähnt, sämtliche Finanzmittel
der Forschung als Projektförderung vergeben (vgl. Kristapsans et
al. 1994a: 31-38).
Selbst und gerade dort, wo die ,,Fonds" mittlerweile einen
bedeutsamen Anteil der Forschungsmittel verteilen, trifft aber
zweitens zu, daß die Bewilli gungsentscheidungen für Fördermittel
offensichtlich in erheblichem Maße konkurrenzverzerrend oder
-eindämmend getroffen werden. Angesichts der prinzipiell großen
Unwägbarkeiten der Konkurrenz um Projektmittel haben sich schnell
implizite Nichtangriffspakte zwischen Wissenschaftsgebieten,
Forschungseinrichtungen und einzelnen Forschern herausgebildet, so
daß eine forschungspolitisch angestrebte leistungsfördernde
Umverteilung nur schwer in Gang gekommen ist. So heißt es z.B. zu
Ungarn: "Everyone knows everyone in the peer review system. [ ... ]
Year by year no one loses resources and no one gains better
position." (Darvas et al. 1994: 86) Natürlich verlie ren alle
durch die geschilderten Ressourcenverknappungen - aber die Anteile
bleiben gewahrt, anstatt daß die besseren Forscher von Opfern
relativ ver schont bleiben. Insbesondere in den kleineren Ländern
haben sich diese Nichtangriffspakte aufgrund der guten
Überschaubarkeit der disziplinären scientific communities
eingestellt. Aber durch die politisch gewollte starke Konzentration
vieler Forschungsgebiete in einem einzigen Institut besteht eine
derartige Überschaubarkeif oftmals sogar in großen Ländern wie Ruß
land. Teilweise hat es sicherlich auch Koalitionen· von politischen
Günstlin gen gegeben, die zunächst einmal sich selbst auf Kosten
wissenschaftlich profilierter Leiter bedient haben. In der
Tschechischen Republik ist man die sen Problemen des peer review
zumindest ein Stück weit dadurch begegnet, daß auch ausländische
Gutachter in das peer review einbezogen worden sind (vgl. Filacek
et al. 1994: 75).
Die ,,Fonds" für Grundlagenforschung orientieren ihre Mittelvergabe
im wesll:ntlichen an innerwissenschaftlichen Qualitätskriterien.
Von ihnen geht daher kein forschungspolitischer Anwendungsdruck
aus. Alle anderen for schungspolitischen Maßnahmen stellen
demgegenüber außerwissenschaftliche Relvanzkriterien stark in den
Vordergrund. Das gilt für die ,,Fonds" für tech nische Forschung
ebenso wie für weitere Maßnahmen. Zu ihnen zählen vor allem: eine
in einigen Ländern institutionalisierte Anreizfinanzierung
des
34 Einleitung
Branchensektors derart, daß die staatlichen Finanzmittel für ein
Institut sich an den akquirierten Forschungsaufträgen bemessen;22
die Unterstützung kommerzieller Forschungsunternehmen, insbesondere
als Umstrukturierung ehemaliger Branchen- und Akademieinstitute;
und die Gründung von Wissen schaftsparks im Umfeld von
anwendungsbezogenen Akademieinstituten und Brancheninstituten. Mit
all diesen Maßnahmen hat die staaliche Forschungs politik im
übrigen stets zwei Ziele zugleich verfolgt. Neben einer Steigerung
des Anwendungsbezugs der Forschung ist es darum gegangen,
angesichts der Ressourcenknappheit "Kostgänger" im Branchen- und
auch im Akademiesek tor auf eine teilweise oder möglichst bald
alleinige Finanzierung durch die Industrie umzustellen.
Der starke forschungspolitische Anwendungsdruck ist in vielen
Fällen auf das Problem gestoßen, daß die Forscher erhofft und
eingefordert haben, end lich verstärkt grundlagentheoretisch
arbeiten zu können. Das gilt nicht nur für den Akademie- und den
Hochschulsektor, sondern auch für den Branchensek tor. Dort
wollten die Forscher zwar nicht auf den Anwendungsbezug ihrer
Arbeiten verzichten, sich jedoch anstelle der Lösung sehr konkreter
kurzfri stiger produkt- und verfahrensnaher Probleme stärker
längerfristigen und ge nerelleren theoretischen Fragestellungen
widmen. Die zur Autonomisierung der Forschung von politischen
Direktiven realisierten institutionellen Verän derungen haben
diesen Bestrebungen eine gewisse Rückendeckung gegeben, weil
dadurch bestimmte Arten des direkten politischen Zugriffs auf die
Ent scheidungen über Forschungsthemen und den Typ der Forschung
nicht mehr länger möglich sind. Die so ermöglichte
grundlagentheoretisch fixierte Hal tung eines Teils der Forscher
hat allerdings in der Öffentlichkeit den Eindruck hervorgerufen,
daß die Forschung nicht ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Ge
sundung des Landes liefern wolle, was es wiederum erschwert hat, in
der Konkurrenz mit anderen Politikfeldern mehr staatliche Mittel
für die For schungsfinanzierung zu mobilisieren. Für "nutzlose"
Grundlagenforschung scheinen die äußerst knappen Steuergelder aus
dem Fenster geworfen zu sein. Nur in Ostdeutschland hat sich die
Lage etwas anders dargestellt. Die ostdeut schen Forscher haben
diesbezüglich davon profitiert, nunmehr Teil des deut schen
Forschungssystems zu sein, in dem die Forschungspolitik zwar durch
aus auch einen gewissen, aber keinen so starken Anwendungsdruck auf
die Forschung ausgeübt hat wie in den postsozialistischen
Ländern.
Eine solche anwendungsdistanzierte Haltung von Forschern läuft zwar
den forschungspolitischen Leistungserwartungen zuwider, stellt aber
letztlich in dem Maße kein unüberwindbares Hindernis für deren
Realisierung dar, wie
22 Teilweise hat dabei das Finanzierungsmodell der deutschen
Fraunhofer-Gesellschaft als Vorbild gedient.
Gemeinsamkeiten von Problemlagen und Problembearbeitung 35
die betreffenden Forscher durch ihre äußeren Umstände dazu
gezwungen werden, sich Anwendungsbezügen zu öffnen.23 Genau das ist
aufgrund der staatlichen Finanzknappheit in vielen Fällen so gewese