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© Helbling, Innsbruck • Esslingen • Bern-Belp Wege zur Musik 1 159
Programmmusik
Tonmalerei
Die Nachbildung akustischer Erscheinungen von Natur und Mensch mit musikalischen Mitteln nennt man Tonmalerei
ProgrammmusikTonmalereiIn der Musik stellt Tonmalerei oft Naturereignisse (Gewitter, Wind …), Tierstimmen (Vögel, Hundegebell …), Klänge des Land lebens (Schalmei, Jagdhörner, Volkstänze …), Kirchenklänge (Glocken, Choräle …) oder militärische Klänge (Fanfaren, Marsch …) dar.
Frühe Beispiele von Tonmalerei gab es schon im Mittelalter, etwa auf- und absteigende Melodielinien zu den Wörtern „steigen“ und „fallen“. Im 17. und 18. Jahrhundert (Barockzeit) setzte man Tonmalerei dann verstärkt zur Ausdeutung von Inhalten bzw. zur Darstellung von Affekten ein.
Bibers Battaglia
Schon seit dem 15. Jahrhundert war die Battaglia, die ‚Schlacht‘, als Musik-form bekannt. Eines der bekanntesten musikalischen Schlachtengemälde stammt von Heinrich Ignaz Franz von Biber (1644–1704), die Battalia. Dabei schildert Biber die Schlacht selbst, endet aber nicht mit einem Happy-End, sondern mit einem Lamento der Verwundten Musquetirer. Damit zeigt er wohl als einer der ersten Komponisten, dass am Ende einer Schlacht nicht der Sieg, sondern der Tod steht.
Hör einen Ausschnitt aus Bibers Battalia. Was meint er wohl mit seiner Spielanweisung: „Die Schlacht muss nit mit dem Bogen gestrichen werden, sondern mit der recht Hand die Saiten geschnellt …“?
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Hör einen Ausschnitt aus Bibers Lamento und betrachte den ausgesetzten Generalbass des Continuo-Cem-balos, das die wichtigsten Stimmen zusammfasst.
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a. Wie stellt der Komponist die Stimmung des Schmerzes und Wehklagens dar?
b. Wie verläuft die Melodie in den ersten sechs Vierteln?
Heinrich Ignaz Franz von Biber
1644 wurde Heinrich Ignaz Franz von Biber in Böhmen geboren, wo er auch seine musikalische Ausbildung erhielt. Die erste Anstellung trat er 1668 als Musiker an der bischöflichen Hofkapelle von Olmütz an. Auf einer Reise nach Innsbruck kam er mit dem berühmten Geigenbauer Jacobus Stainer in Kontakt.
1670 trat Biber in den Dienst des Salzburger Erzbischofs und wurde 1684 Kapellmeister. Er galt als genialer Violinvirtuose und erhielt von Kaiser Leopold I. 1690 ein Adelsprädikat. Nun durfte er sich ,Biber von Bibern‘ nennen, was einen erheblichen sozialen Aufstieg bedeutete. Er starb 1704 in Salzburg.
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160 Wege zur Musik 1 © Helbling, Innsbruck • Esslingen • Bern-Belp
Musik in Form3
ProgrammmusikProgrammmusik bildet außermusikalische Dinge nicht nur ab wie die Tonmale-rei, sondern spiegelt auch die Wahrnehmung und Empfindung des Komponisten oder einer erdachten Figur wider. So kann der Gang durch eine Bilderausstel-lung schwerlich direkt in Musik übersetzt werden, ebenso wenig wie die dabei auftretenden Gefühle; der Komponist muss sie gleichsam indirekt in Töne und Klänge umsetzen.
Die Bedeutung der Programmmusik stieg im 19. Jahrhundert stark an. Es ent-wickelten sich ‚Sinfonische Dichtungen‘, oft beeinflusst von ‚Nationalen Schulen‘ (siehe Seite 256). Als Vater der Programmmusik gilt Hector Berlioz mit seiner Symphonie Fantastique.
Die Frage nach dem Wert und der Berechtigung von Programmmusik wurde im 19. Jahrhundert heftig und kontrovers diskutiert. Dabei kristallisierten sich zwei Lager heraus: die Verfechter ,absoluter‘ Musik und die Anhänger von Pro-grammmusik.
Programmmusik
Instrumentalwerke, die nach außermusikali-schen Vorlagen (z. B. Natur, Malerei, Literatur, Technik) komponier t werden, nennt man Pro-grammmusik. Ihren Hö-hepunkt erlebte diese im 19. Jahrhundert.
Die meist einsätzigen Sinfoni-schen Dichtungen können ver-schiedene Themen behandeln:• ausderNatur,z.B.Bedřich
Smetana (1824–1884): Die Moldau
•GestaltenausderWeltlite-ratur, z. B. Richard Strauss (1864–1949): Till Eulenspiegel
• einGedicht,z.B.PaulDukas(1865–1935): Der Zauberlehr-ling
• ausderTechnik,z.B.ArthurHonegger (1892–1955): Pacific 231
Lies die beiden gegensätzlichen Positionen von Ernst Theodor Amadeus (‚E. T. A.‘) Hoffmann und Franz Liszt. Trag die wichtigsten Pro- und Kon tra-Argumente für/gegen Programmmusik in die Tabelle rechts ein und ergän-ze sie evtl. durch eigene.
1
E. T. A. Hoffmann (1776–1882) plädierte 1810 gegen
Programmmusik, denn nur die ‚absolute‘ „ Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt “. Für Hoffmann steht die Mu-
sik höher als das gesprochene Wort, sie sei das „ Un-aussprechliche “. Genau dieses „ eigenthümliche Wesen “ der Musik verkannten seiner Meinung nach
diejenigen „ Instrumental-Componisten […], wel-che versuchten, jene bestimmbaren Empfindun-gen, oder gar Begebenheiten darzustellen. “
Franz Liszt (1811–1886) komponierte selbst 13 pro-
grammatische Tondichtungen. 1855 erklärte er, dass nur
der „ Tondichter “ [= der programmatische Komponist] „ Eindrücke und Seelenerlebnisse “ mitteilen kön-
ne. Der „ bloße Musiker “ [der Komponist absoluter
Musik] dagegen komponiere nur nach traditionellen Re-
geln. Sein Werk sei trocken, weil darin „ kein Lebens-saft, kein edles Blut fließe, keine leidenschaftli-che Flamme es durchglühe. “ Indem sich die Musik
anderer Künste bediene, gewinne sie. Deshalb müsse
der Musiker zugleich „ malender Symphonist “ und „ Dichter unter den Komponisten “ sein. Nur dann
sei es ihm gegeben, im „ freien Aufschwung seines Gedankens hemmende Fesseln zu zerbrechen und die Grenzen seiner Kunst zu erweitern. […] “
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Programmmusik
Pro Kontra
•Musikwirktanschaulicherundspannender.
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•DerMusikwirdvonaußenein,unorganischer‘Ablaufaufgezwungen.
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Programmmusik im 19. Jahrhundert
Mussorgskis Bilder einer Ausstellung (siehe auch Seite 84)
Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprach die russische Oberschicht Französisch, hörte italienische Opern und engagierte deutsche Erzieher. Dem stellten russische Künstler Werke entgegen, die ihre Wurzeln in der nationalen Geschichte und Volkskunst hatten. Der wichtigste Vertreter dieser ‚Nationalen (Komponisten-)Schule‘ war Modest Mussorgski (1839–1881).
Nach dem Tod des Malers und Architekten Victor Hartmann, einem Freund Mussorgskis, fand 1874 in St. Petersburg eine Gedächtnis-Ausstellung statt. Mus-sorgski vertonte im selben Jahr zehn der gezeigten Exponate als musikalische, programmatische Stimmungsbilder für Klavier.
Die einzelnen Stücke benannte Mussorgski nach Titeln der Zeichnungen und stellte ihnen eine Promenade voran, die auch immer wieder als Zwischenspiel auf-gegriffen wird. Die Promenade stellt Mussorgski selbst dar, wie er durch die Aus-stellung von Bild zu Bild geht. Die Gesamtkomposition besteht aus folgenden Teilen:
Promenade – 1. Gnomus – Promenade – 2. Das alte Schloss – Promenade – 3. Tuilerien – 4. Bydlo – Prome-nade – 5. Ballett der Küken in ihren Eierschalen – 6. Samuel Goldenberg und Schmuyle – 7. Der Marktplatz von Limoges – 8. Katakomben – 9. Die Hütte der Baba Yaga – 10. Das große Tor von Kiew
Modest Mussorgski
Modest Petrowitsch Mussorgski wurde 1839 als Sohn eines russischen Gutsbe-sitzers geboren. Schon früh erlernte er das Klavierspiel und trat mit 13 Jahren in eine Kadettenschule ein. Ein Besuch in Moskau im Sommer 1859 bewegte ihn tief: „ Ich war Weltbürger, jetzt mache ich eine Art Wiedergeburt durch: Alles Russische tritt mir nah. “Mussorgskis Lebensumstände verschlechterten sich aber zusehends. Die Einkünf-te aus dem väterlichen Gut waren versiegt, zum Broterwerb trat er ein unter-geordnetes Ministerialamt an. Und nach dem Tod der geliebten Mutter stellten sich die ersten Anzeichen der letztlich verheerenden Trunksucht ein, die seinen frühen Tod mit 42 Jahren verursachte.
Rückhalt fand Mussorgski bei den Musikern des ,Mächtigen Häufleins‘, allesamt – wie er selbst – keine ,studierten‘ Komponisten. Sie griffen Mussorgskis Forderung auf, sich einer nationalen russischen Kunst zu widmen, statt westlichen Vorbil-dern nachzueifern, wie es im Leben des Adels und der Vermögenden üblich war.
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162 Wege zur Musik 1 © Helbling, Innsbruck • Esslingen • Bern-Belp
Musik in Form3
Sieh dir die erste Promenade aus den Bildern einer Ausstellung an. Analysiere dann die beiden No-tenbeispiele und schreib zwei Merkmale auf, die in der Promenade an das russische Volkslied erinnern.
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Volkslied: Abschiedslied des Brautgefolges Musik: Trad. aus Russland
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Promenade (Anfang) aus: Bilder einer Ausstellung Musik: Modest Mussorgski
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162 Promenade - Bilder einer Ausstellung
Das zweite Bild beschreibt einen vor einem Schloss stehenden Sänger, der sich auf einer Drehleier (siehe auch 65) begleitet. Bei die-sem Instrument schwingt immer ein so ge-nannter Bordun-Ton mit. Im Spielsatz könnt ihr für diese Stimme 2 tiefe Klangstäbe oder die leeren Saiten einer Geige/eines Cellos (eine Oktave tiefer) verwenden und zum Bor-dun-Ton d auch die Quint a ergänzen.Für die Oberstimme 1
eignen sich beliebigeMelodie instrumente(z. B. Blockflöte).
2
Ravels Bearbeitung
Im Jahr 1922, ein halbes Jahrhundert nach der Komposition der Bilder einer Ausstellung, schuf der französische Kom-ponist Maurice Ravel (1875–1937) eine Fas-sung des Zyklus für Sin-fonieorchester, die heute gleichberechtigt neben dem Original steht (siehe auch Seite 164).
Spielsatz Das alte Schloss (Il vecchio castello) – Einleitung Musik: nach Modest MussorgskiEinrichtung: Wieland Schmid
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162 Das alte Schloss - Spielsatz
Originaltonart: gis-Moll
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Programmmusik
Nach der Einleitung setzt beim alten Schloss die ausdrucksvolle Melodie des ‚Sängers‘ ein. Hör das Musikbeispiel und lies in den Noten mit. Markiere die Stelle, an der die einleitende Melodie (siehe Spielsatz auf Seite 162) einsetzt, mit einem Kreuz.
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163 Das alte Schloss
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Bei den Kästchen im Notenbeispiel oben tritt in Ravels Orchesterfassung jeweils eines der folgenden Instrumente ein:
Altsaxofon – Englischhorn (= Altoboe) – Fagott 1 – Fagott 2 – Violoncello .
Überleg zunächst, welchem Instrument du welche Aufgabe zuteilen würdest. Sieh dir dann das Video an und schreib die von Ravel eingesetzten Instrumente in die Kästchen.
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Im siebten Bild (Limoges) wird ein (nicht sehr ernsthafter) Streit zwischen Marktfrauen musikalisch nachge-zeichnet. Beim Streiten werden manche Merkmale des Sprechens gesteigert; ihre Umsetzung in Musik kann man im Notenbild unten gut beobachten. Ordne die Ziffern im Notenbild den entsprechenden Gestaltungs-merkmalen beim Streitgespräch zu:
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beharrliche Wiederholung eines Arguments
hektisches Atemholen
schrille Ausrufe (Sekundfärbungen)
Steigerung der Eindringlichkeit des SprechensNur zu Prü
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