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teletele--akademieakademie M E D I E N D I D A K T I K
2. Studienbrief Autor: Thomas Jechle
Lehr- Lerntheoretische Ansätze
Expertin/Experte für Neue Lerntechnologien (ENLT)
Wer Medien für Bildungszwecke einsetzen will, sollte eine klare Vorstellung davon haben, wie Lernen funktioniert. In diesem Studienbrief werden deshalb lerntheoretische Grund-lagenkenntnisse vermittelt und ihre Anwendung beim Lehren und Lernen mit Medien beschrieben. Es werden behavioristische, kognitive und konstruktivistische Positionen mit ihren Konsequenzen für das Lehren mit Medien vorgestellt.
f a c h h o c h s c h u l e f u r t w a n g e n
akademie tele
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 1
E I N F Ü H R U N G
Soll der Lernprozess durch den Einsatz von Medien unterstützt werden, so
müssen grundlegende Mechanismen des Lernprozesses bekannt sein und
berücksichtigt werden. Solche Mechanismen zu entdecken, ist das Ziel
lernpsychologischer Untersuchungen. Innerhalb der Lernpsychologie gab
und gibt es unterschiedliche Strömungen, die ihre Erkenntnisse jeweils in
Lerntheorien zusammengefasst haben, die dann als Grundlage für
Lehrtheorien herangezogen werden können.
In diesem Studienbrief werden drei lerntheoretische Richtungen vorgestellt,
die das Lehren und Lernen mit neuen Medien entscheidend geprägt haben.
Es sind:
• die behavioristische,
• die kognitive und
• die konstruktivistische Lerntheorie.
Diese drei Richtungen dominierten jeweils zu bestimmten Zeitabschnitten in
diesem Jahrhundert die Diskussion um Lernen und Lehren: der
Behaviorismus in den 20er bis 50er Jahren, der Kognitivismus in den 60er bis
80er Jahren und der Konstruktivismus seit Ende der 80er Jahre.
Kennzeichnend für diese drei Richtungen sind jeweils unterschiedliche
Erklärungen für Lernen und entsprechend unterschiedliche Empfehlungen
für das Lehren. Gemeinsam ist allen drei Ansätzen, dass sie die didaktische
Diskussion und besonders das Lehren und Lernen mit Medien entscheidend
beeinflusst haben bzw. beeinflussen.
Die Darstellung der drei Ansätze erfolgt hier chronologisch. Es wird zunächst
die behavioristische Lerntheorie mit ihren Implikationen für das Lehren und
Lernen mit Medien beschrieben. Daran anschließend werden kognitive und
konstruktivistische Lerntheorien sowie ihre Umsetzung in Lehrverfahren und
mediengestützte Lernmaterialien dargestellt.
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 2
I N H A L T
1 Behavioristische Lehr-Lerntheorien .......................................................... 4 1.1 Zur Entwicklung der behavioristischen Lehr-Lerntheorien ......................4 1.2 Das instrumentelle Lernen ...........................................................................5
1.2.1 Das Prinzip des instrumentellen Lernens...........................................5 1.2.2 Lehrprinzipien beim Instrumentellen Lernen ...................................6
1.3 Neue Bildungsmedien und behavioristische Lerntheorien.......................7 1.3.1 Programmierte Instruktion ..................................................................7 1.3.2 Practice & Drill Programme .................................................................9
2 Kognitive Lerntheorien ............................................................................. 11 2.1 Lernen als Informationsverarbeitungsprozess .........................................11
2.1.1 Sensorischer Speicher und selektive Wahrnehmung ......................11 2.1.2 Kurzzeitgedächtnis: Verstehen und Verarbeiten von
Information..........................................................................................13 2.1.3 Langzeitgedächtnis: Speichern und Nutzen von Information .......15
2.2 Lernen als emotionaler und motivierter Prozess......................................17 2.2.1 Emotion und Lernen...........................................................................18 2.2.2 Motivation und Lernen.......................................................................19
2.3 Lernen als kontrollierter Prozess................................................................22 2.3.1 Volitionale Kontrolle...........................................................................23 2.3.2 Metakognition .....................................................................................23
2.4 Neue Bildungsmedien und Kognitive Lehr-Lern-Theorien ....................24 2.4.1 expositorisches Lehrverfahren und tutorielle Programme .............25 2.4.2 gelenktes Entdecken und Simulation................................................27
3 Konstruktivistische Ansätze zum Lehren und Lernen.............................. 30 3.1 was versteht man unter Konstruktivismus?...............................................30 3.2 Der Ausgangspunkt für konstruktivistische Lehrkonzepte: Träges
Wissen und Situierte Kognition ..................................................................31 3.3 Die kognitiv-konstruktivistische Auffassung von Lernen ........................32 3.4 Konstruktivistische Ansätze zum Lehren...................................................33
3.4.1 Der Anchored-Instruction-Ansatz.....................................................33 3.4.2 Der Cognitive Flexibility Ansatz.........................................................33 3.4.3 Der Cognitive Apprenticeship Ansatz ...............................................34
3.5 Neue Bildungsmedien und konstruktivistische Ansätze..........................36
4 Zusammenfassung.................................................................................... 38
5 Literatur und Material .............................................................................. 40
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 3
5.1 Literatur ........................................................................................................40 5.2 Weiterführende Literatur ............................................................................40 5.3 Sonstige Materialien....................................................................................41
6 Glossar....................................................................................................... 43
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 4
1 B E H A V I O R I S T I S C H E
L E H R - L E R N T H E O R I E N
1.1 ZUR ENTWICKLUNG DER BEHAVIORISTISCHEN LEHR-LERNTHEORIEN
Im Jahr 1913 begründete JOHN B. WATSON die sogenannte →„behavioristische
Wende“. Er richtete sich mit seinem Ansatz vor allem gegen psychologische
Ansätze, die mit dem Mittel der →Introspektion (‘in sich hinein horchen’)
versuchten, menschliches Verhalten zu erklären. An die Stelle der
Introspektion setzte WATSON die Beobachtung.
„Watson stellte die Behauptung auf, eigentlicher
Untersuchungsgegenstand der Psychologie sei nicht die
Funktionsweise des Geistes, sondern vielmehr die Erforschung des
objektiven, beobachtbaren Verhaltens“ [Gardner 1989, S. 122].
Damit ist der Begriff gefallen, der dieser lernpsychologischen Richtung zu
Programm und Namen verhalf: Verhalten (behavior, →Behaviorismus).
Die Forderung, sich am Beobachtbaren zu orientieren, bedeutet für die
Didaktik, dass die äußeren Merkmale der Lernumgebung, die beobachtbaren
Lernaktivitäten und Lernleistungen in den Vordergrund gestellt werden.
Lernen besteht damit im Erwerb bestimmter beobachtbarer
Verhaltensweisen, also von Lernleistungen.
Das Ziel der behavioristisch orientierten Lernpsychologie ist es deshalb,
Gesetzmäßigkeiten aufzudecken, unter welchen Umgebungsbedingungen
welche Verhaltensweisen ‘aufgebaut’ werden können. Ersetzt man den Begriff
‘Umgebungsbedingungen’ durch den Begriff ‘Reize’ und den Begriff
‘Verhaltensweisen’ durch den Begriff ‘Reaktionen’, ergibt sich das zentrale →Forschungsparadigma des frühen Behaviorismus: das Reiz-Reaktions-
Schema. Die zentrale Frage des Behaviorismus lautet also: Aufgrund welcher
Gesetzmäßigkeiten entstehen Reiz-Reaktions-Verbindungen, oder - mit der
hier verwendeten Terminologie - aufgrund welcher Gesetzmäßigkeiten
fördern bestimmte Lernumgebungen bestimmte Lernleistungen.
WATSON selbst entwickelte die Theorie des klassischen Konditionierens. Der
berühmteste experimentelle Beleg für diese Theorie stammt allerdings nicht
von WATSON selbst, sondern von dem russischen Neurophysiologen PAWLOW.
In diesem Experiment lernte ein Hund, auf ein Glockensignal mit
Speichelfluss zu reagieren. Das Geheimnis dieses Lernerfolgs bestand darin,
dass der Glockenschlag zunächst immer dann ertönte, wenn dem Hund
Der Ursprung des
Behaviorismus
Die Rolle des
Beobachtbaren
Das Anliegen des
Behaviorismus
Klassisches
Konditionieren
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 5
Futter gegeben wurde, was als natürliche Reaktion den Speichelfluss nach
sich zieht. Mit der Zeit erfolgte diese an sich natürliche Reaktion auch dann,
wenn nur die Glocke ertönte; der natürliche Reiz ‘Futter’ wurde durch den
künstlichen Reiz ‘Glockenschlag’ ersetzt.
WATSONS Theorie des klassischen Konditionierens wurde schließlich von
seinem Schüler B.F. SKINNER [1938] zur Theorie des instrumentellen Lernens
(auch: operantes Konditionieren) weiterentwickelt. Da die mit dieser Theorie
verbundenen Vorstellungen zum Lehren und Lernen einen ganz
entscheidenden Einfluss auf das mediengestützte Lernen hatten, werden sie
im folgenden Abschnitt genauer beschrieben.
1.2 DAS INSTRUMENTELLE LERNEN
1.2.1 DAS PRINZIP DES INSTRUMENTELLEN LERNENS
Verhalten kann nicht ausschließlich auf Reize zurückgeführt werden
Ausgangspunkt für SKINNERs Theorie des instrumentellen Lernens ist die
Beobachtung, dass die überwiegende Zahl menschlicher Verhaltensweisen
nicht allein auf klar definierte Reize hin erfolgt - wie beim klassischen
Konditionieren unterstellt -, sondern durch eine Vielzahl unterschiedlicher
Reize ausgelöst werden kann. Ein Verhalten, das eindeutig eine Reaktion auf
einen bestimmten Reiz darstellt, nennt SKINNER respondentes Verhalten und
unterscheidet davon das operante Verhalten, das nicht auf einen speziellen
Reiz zurückgeführt werden kann. Die Frage, mit der sich SKINNER beschäftigte,
lautet also: Wie kann erreicht werden, dass ein bestimmtes Verhalten
(unabhängig von einer bestimmten Reizkonstellation) gezeigt wird. Hierzu
zunächst ein Beispiel:
Experiment zum verbalen Konditionieren Eine Versuchsperson (kein
Psychologe!) wird aufgefordert, zu Begriffen, die ein Versuchsleiter
vorgibt, jeweils ein Wort zu assoziieren (z.B. Blume - Rose; Kaffee -
trinken). Jedesmal, wenn die Versuchsperson ein Verb assoziiert, nickt
der Versuchsleiter freundlich; wird ein Substantiv oder Adjektiv
assoziiert, verhält sich der Versuchsleiter neutral. Der Versuch besteht
aus mehreren Durchgängen mit jeweils 20 vorgegebenen Begriffen.
Anschließend wird ausgewertet, wie häufig in den einzelnen
Durchgängen Verben assoziiert wurden. Das Ergebnis ist in der Regel
sehr eindeutig: In den späteren Versuchsdurchgängen werden von
den Versuchspersonen mehr Verben assoziiert als in den früheren.
Den meisten Versuchspersonen ist hinterher weder bewusst, dass sie
ihr Verhalten verändert haben, noch dass der Versuchsleiter nach
einer bestimmten Systematik auf ihre Assoziationen reagiert hat.
Das grundlegende Prinzip dafür, dass ein bestimmtes Verhalten (im Beispiel
das Assoziieren von Verben) aufgebaut wird, ist hier nicht ein bestimmter
Grundprinzip:
Verstärkung
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 6
Reiz, der dem Verhalten vorausgeht, sondern die Konsequenz, die dem
Verhalten folgt (freundlich nickender Versuchsleiter). Da diese Konsequenz
von den Versuchspersonen als positiv empfunden wird, erhöht sich die
Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten, das diese Konsequenz auslöst,
wiederholt wird (auch wenn das den Versuchspersonen selbst gar nicht
bewusst ist). Die Konsequenz wirkt als Verstärker (reinforcer) auf das
Verhalten.
Reiz respondentesVerhalten
operantesVerstärker
beeinflusst Wahrscheinlichkeit
signalisiert
Abbildung 1: Prinzip des instrumentellen Konditionierens
Kontingenz als Bedingung für die Wirksamkeit von Verstärkern
Entscheidend für die Wirksamkeit von Verstärkern ist, wie regelmäßig und
verlässlich sie auf das zu verstärkende Verhalten folgen. Diesen
Zusammenhang zwischen Verhalten und Verstärker bezeichnet man als
Kontingenz.
Verhalten ist hier übrigens sehr weit gefasst. Es bezieht sich nicht nur auf
Handlungen im motorischen Sinne, sondern beispielsweise auch auf verbales
Verhalten.
1.2.2 LEHRPRINZIPIEN BEIM INSTRUMENTELLEN LERNEN
Aus dem Prinzip der Verstärkung können verschiedene Lehrprinzipien
abgeleitet werden.
Damit der Aufbau oder Abbau von Verhalten durch Verstärkung beeinflusst
werden kann, muss das Verhalten, das verstärkt werden soll, überhaupt
auftreten. Eine Möglichkeit, ein bestimmtes Verhalten zu provozieren, ist das
sogenannte prompting. Ein Prompt ist ein Hinweis, welches Verhalten gezeigt
werden soll. Beispielsweise durch verbale Umschreibung des gewünschten
Verhaltens, das Vorführen des Verhaltens oder auch die Vorgabe einiger
Buchstaben des Lösungswortes in einem →Lückentext. Wird das gewünschte
Ver_ _ _ _en gezeigt und kann es entsprechend verstärkt werden, können die
Hinweisreize schrittweise zurückgenommen werden, und das Verhalten
damit von diesen Hinweisreizen unabhängig gemacht werden. Man
bezeichnet diesen Vorgang als fading.
Selten werden in Lehr-Lernsituationen gleich zu Beginn Verhaltensweisen in
der Weise gezeigt, wie sie angestrebt werden. Um ein erwünschtes Verhalten
schrittweise zu erreichen, wird jede Änderung im Verhalten, die dem
gewünschten Endverhalten einen Schritt näher kommt, verstärkt. Dieser oft
Verschiedene Lehr-
prinzipien
Prompting und fading
shaping
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 11
2 K O G N I T I V E L E R N T H E O R I E N
Bereits in den 40er Jahren deutete sich in verschiedenen Disziplinen eine
Abkehr vom →behavioristischen Paradigma an. Kritisiert wurde vor allem die
Auffassung, menschliches Verhalten sei ausschließlich durch
Umweltgegebenheiten (z.B. Reiz, Verstärkung) bestimmt. Die selbstauferlegte
Beschränkung, Aussagen und Hypothesen nur bezogen auf beobachtbare
Phänomene aufstellen zu können, wurde als unzureichend empfunden.
Hinzu kam, dass verschiedene Disziplinen wie Philosophie, Psychologie,
Informatik, Linguistik, Anthropologie und Neurowissenschaften begannen
zusammenzuarbeiten, um menschliches Denken zu erklären. Auf dieser
Grundlage entwickelte sich in den 50er und 60er Jahren die sogenannte →kognitive Wende in der Beschreibung menschlichen Wissens, Denkens und
Handelns. Erklärtes Ziel war es, diejenigen internen Prozesse des Denkens
aufzuklären, über die zu spekulieren in der behavioristischen Tradition
verpönt war, weil sie nicht beobachtbar sind.
Die folgenden Kapitel geben einen Überblick zum aktuellen Kenntnisstand,
was diese internen Prozesse betrifft. Lernen wird dabei unter drei
Gesichtspunkten betrachtet:
• als Informationsverarbeitungsprozess,
• als emotionaler und motivierter Prozess und
• als kontrollierter Prozess.
2.1 LERNEN ALS INFORMATIONSVERARBEITUNGSPROZESS
Ende der 60er Jahre entwickelten die beiden amerikanischen Psychologen
RICHARD ATKINSON und RICHARD SHIFFRIN ein Gedächtnismodell, in dem
verschiedene Speicher als Grundbestandteile des Gedächtnisses enthalten
sind. In seinen Grundzügen wird dieses Modell bis heute als Orientierung
herangezogen, um menschliche Informationsverarbeitung zu erklären.
Abbildung 5 zeigt ein erweitertes Speichermodell der Informations-
verarbeitung.
2.1.1 SENSORISCHER SPEICHER UND SELEKTIVE WAHRNEHMUNG
Im sensorischen Speicher werden Informationen von den Sinnesorganen
Sekundenbruchteile für höhere Verarbeitungsprozesse verfügbar gehalten.
Man kann sich diesen sensorischen Speicher etwa folgendermaßen vorstellen:
Von den Sinnesorganen
in das Gedächtnis
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 12
Wenn in einem völlig abgedunkelten Raum Licht eingeschaltet und sofort
wieder abgeschaltet wird, hat man den Eindruck, dass für Sekundenbruchteile
das eben gesehene Bild ‘nachhallt’. Es ist möglich, einzelne Objekte, die längst
nicht mehr sichtbar sind, zu beschreiben.
UMWELT
Sinnes-organe
SensorischerSpeicher
Kurzzeit-gedächtnis
Langzeit-gedächtnis
semantischeKodierung
selektiveWahrnehmung
Motivation/Emotion
MetakognitionVolition
rehearsal/chunking
Repräsen-tation
Erinnern/Vergessen
Abbildung 5: Modell der Informationsverarbeitung
Aus der Gesamtheit der Informationen im sensorischen Speicher wird immer
nur ein kleiner Teil weiterverarbeitet. Um welche Informationen es sich dabei
handelt, hängt davon ab, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet wird. Man
bezeichnet diesen Auswahlprozess als selektive Wahrnehmung.
Die Aufmerksamkeit ist allerdings begrenzt und kann mit der Zeit nachlassen.
Beispielsweise ist es nur sehr schwer möglich, zwei Unterhaltungen
gleichzeitig zu führen, da Kommunikationsprozesse im allgemeinen einen
hohen Grad an Aufmerksamkeit verlangen. Andererseits ist es durchaus
möglich, während einer weitgehend automatisierten Aktivität - beispielsweise
dem Auto fahren - eine Unterhaltung zu führen. Je stärker eine Tätigkeit
automatisiert ist, um so weniger Aufmerksamkeit wird durch sie beansprucht
(weitere Informationen zum Thema Aufmerksamkeit bei ANDERSON, 1988, 51).
Wichtig für einen Lernprozess ist es demnach, dass es gelingt, die
Aufmerksamkeit auf die relevante Information, das Lernmaterial, zu lenken.
Je nach Lernsituation kommen hierfür verschiedene Möglichkeiten in Frage:
Außer durch explizite sprachliche Hinweise („Wir kommen nun zum
wichtigsten Punkt...“) kann bei Vorträgen die Aufmerksamkeit der Zuhörer
durch Variation der Lautstärke, der Sprachmelodie, des Sprechtempos oder
durch Sprechpausen erregt werden. Bei Texten werden grafische Formen der
Hervorhebung benutzt (Kursiv- und Fettdruck, Unterstreichung, gesperrter
Aufmerksamkeit und
selektive Wahrnehmung
Entlastung durch
Automatisierung
Konsequenzen für das
Lehren:
...Aufmerksamkeit lenken
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 13
Druck). Bei multimedialen Materialien kommen zu den genannten
Möglichkeiten noch Farben, Töne, Animationen, Videosequenzen und
Kombinationen dieser Signalelemente hinzu.
Während eines Lernprozesses ist es wichtig, die Aufmerksamkeit aufrecht zu
erhalten bzw. natürliche Ermüdungseffekte einzukalkulieren. Aus diesem
Grund wird oft gefordert, einzelne Lernschritte zeitlich zu begrenzen. So
empfiehlt beispielsweise DÖRING [1992, S. 46] die „20-Minuten-Regel“, d.h.
Vermittlungsteile sollten nicht länger als 20 Minuten sein, Lerneraktivitäten
dagegen nicht kürzer als 20 Minuten.
2.1.2 KURZZEITGEDÄCHTNIS: VERSTEHEN UND VERARBEITEN VON INFORMATION
Im Kurzzeitgedächtnis (KZG; auch Arbeitsgedächtnis) findet die eigentliche
Verarbeitung von Informationen statt. Auch in diesem Speicher ist die
Lebensdauer von Informationen begrenzt. Zu der zeitlichen Begrenzung
kommt eine Kapazitätsbegrenzung hinzu, d.h. es können nur wenige
Informationseinheiten gleichzeitig aktiv gehalten werden.
Allerdings gibt es Möglichkeiten, sowohl die zeitliche als auch die
Kapazitätsbegrenzung des KZG zu überwinden. Der zeitgebundene Zerfall
kann umgangen werden, indem die Elemente im KZG immer wieder
‘aufgefrischt’ werden. Vermutlich benutzen auch Sie diese Technik, wenn Sie
sich eine Telefonnummer so lange merken wollen, bis Sie sie gewählt haben:
Die einzelnen Ziffern werden der Reihe nach so lange wiederholt, bis sie nicht
mehr gebraucht werden. Diese Technik wird als rehearsal bezeichnet.
Die Kapazitätsbeschränkung lässt sich dadurch erweitern, dass isolierte
Einheiten zu zusammenhängenden Einheiten verschmolzen werden.
Beispielsweise ist es scheinbar unmöglich, sich nach einmaliger Darbietung
die 13 Silben
TÄT-ZI-PA-KA-TUNGS-BEI-AR-VER-ONS-TI-MA-FOR-IN
zu merken. Wenn man die Silben aber anstatt von links nach rechts
umgekehrt von rechts nach links liest, ergeben sich keine Probleme.
Verarbeitungsstrategie ‘Chunking’ und ‘Semantische Kodierung’
Zwei einfache Erklärungen bieten sich an: Zum einen ergeben die 13 Silben
nun ein Wort. Es ist also nicht nötig, sich 13 isolierte Einheiten zu merken,
sondern nur eine einzige zusammenhängende Einheit. Man bezeichnet
diesen Vorgang als chunking. Zum anderen handelt es sich bei dem Wort um
eine Einheit, die bereits eine Entsprechung im Langzeitgedächtnis hat und
insofern ‘bedeutungshaltig’ ist. Wenn bei der Verarbeitung von Informationen
auf Inhalte des Langzeitgedächtnisses zurückgegriffen wird, spricht man von
einer semantischen (bedeutungshaltigen) Kodierung; umgangssprachlich
könnte man auch von ‘Verstehen’ sprechen.
...Aufmerksamkeit
aufrecht erhalten.
Begrenzungen des KZG
Verarbeitungsstrategie
rehearsal
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 14
Die semantische Kodierung im KZG setzt ein Wechselspiel zwischen
Informationen, die über das sensorische Register aus der Umwelt
aufgenommen wurden und Informationen, die aus dem Langzeitgedächtnis
reaktiviert wurden voraus. In der Kognitionspsychologie spricht man von
einem Zusammenspiel von bottom up und top down Prozessen.
Informationen werden dabei auf dem Hintergrund bereits bestehender
Gedächtnisinhalte interpretiert und dadurch verstanden. Andererseits
können auf diese Weise aber auch bestehende Gedächtnisinhalte ergänzt oder
umstrukturiert werden
Das Zusammenwirken von neuen Informationen mit bereits vorhandenem
Wissen spielt eine zentrale Rolle beim Lernen. Je intensiver und vielfältiger
neue Informationen auf bereits vorhandene Gedächtnisinhalte bezogen
werden, um so eher können die neuen Inhalte in das Langzeitgedächtnis
integriert und damit langfristig behalten werden. CRAIK/LOKHART [1972]
sprechen in diesem Zusammenhang von der Verarbeitungstiefe (levels of
processing bzw. depth of processing).
Beispiel: Verarbeitungstiefe und Lernen mit Texten Beim Lernen mit
Texten gibt es verschiedene Strategien. Eine vergleichsweise
oberflächliche Strategie besteht darin, den Text ‘nur’ zu lesen. In der
Regel wird die Textinformation dabei semantisch kodiert, die
Verknüpfung mit bereits vorhandenem Wissen erfolgt aber eher
unsystematisch. Eine höhere Verarbeitungstiefe wird dann erreicht,
wenn man versucht, Textabschnitte nach der Lektüre in eigenen
Worten wiederzugeben, da hierbei vorhandenes Wissen und neue
Informationen eher miteinander verknüpft werden. In der Literatur
zum Textlernen wird eine Strategie empfohlen, durch die solche
Verknüpfungen systematisch ausgelöst werden, die PQ4R-Strategie
[THOMAS/ROBINSON 1972]. Das Akronym PQ4R steht dabei für Preview
(Vorschau), Questions (Fragen), Read (Lesen), Reflect (Nachdenken),
Recite (Wiedergeben) und Review (Rückblick). Ein anderer Vorschlag
findet sich in FRIEDRICH u.a. [1997, S. 203-222]. Hier die wichtigsten
Schritte dieser Technik:
1. Das Vorwissen nutzen (z.B. Was weiß ich schon über das Thema?)
2. Die zentralen Aussagen zusammenfassen
3. Das Wissen aktiv organisieren (z.B. zentrale Begriffe in einem
Schaubild anordnen)
Um die Kapazität des KZG nicht zu überlasten, sollten nicht zu viele
Informationen gleichzeitig dargeboten werden. Außerdem sollte die
Gelegenheit bestehen, Einzelheiten zu größeren Informationseinheiten
(chunks) zusammenzufassen. Die Gliederung multimedialer Lernmaterialien
in kleine, übersichtliche Einheiten trägt dieser Forderung Rechnung.
SensorischerSpeicher
UMWELT
Verstehen
Langzeit-gedächtnis
top down(Hintergrund für Verstehen)
bottom up(Daten aus der Umwelt)
Qualität der
Semantischen Kodierung:
Tiefe der Verarbeitung
Konsequenzen für das
Lehren:
... Überlastung vermeiden
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 15
Um die Verknüpfung von neuen Informationen mit bereits bestehendem
Wissen (semantische Kodierung, bottom up and down Verarbeitung) zu
ermöglichen, muss das relevante Vorwissen der Lernenden bei der Planung
berücksichtigt (z.B. im Rahmen einer Analyse der Lernvoraussetzungen) und
bei der Durchführung aktiviert werden (z.B. durch explizite Hinweise). Aus
diesem Grund werden größeren Abschnitten in Lernmaterialien oft
Einführungen vorangestellt, die an Alltagswissen oder zuvor vermittelte
Inhalte anknüpfen.
Um eine tiefere Verarbeitung zu erreichen, sollte zu unterschiedlichen
Lernaktivitäten angeregt werden bzw. sollten ggf. erforderliche Lerntechniken
vermittelt werden. In die Lernmaterialien eingebettete Aufgaben können
Lernende zu einer tieferen Verarbeitung anregen.
2.1.3 LANGZEITGEDÄCHTNIS: SPEICHERN UND NUTZEN VON INFORMATION
Wie gesehen setzt die semantische Kodierung im KZG voraus, dass
Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. Das
Langzeitgedächtnis funktioniert also als eine Art Speicher, der als Grundlage
für das Verstehen von Information herangezogen werden kann.
Bei dem Versuch zu erklären, wie Wissen im LZG aufgebaut wird, wurden
innerhalb der Lernpsychologie verschiedene Vorstellungen dazu entwickelt,
wie Wissen gespeichert (repräsentiert) ist. Manche Vorstellungen gehen von
einer verbalen Kodierung von Information aus, während andere von
bildhafter und/oder handlungsbezogener Repräsentation von Wissen
sprechen. Eine Veranschaulichung dieser einzelnen Auffassungen finden Sie
auf der Ergänzungsseite zu diesem Studienbrief unter dem Link
„Repräsentation von Wissen im Gedächtnis”.
Gemeinsam ist all diesen Vorstellungen, dass die jeweiligen
Gedächtnisinhalte miteinander vernetzt sind. Je engmaschiger dieses Netz
geknüpft ist, d.h., je mehr Verknüpfungen zwischen den einzelnen
Bestandteilen vorhanden sind, um so resistenter sind die Bestandteile gegen
Vergessen und um so leichter können sie erinnert werden.
Vergessen
Für das Vergessen sind verschiedene Erklärungen denkbar:
• das ‘Zerfallen’ von Gedächtnisinhalten und deren Verbindungen,
• Interferenz mit anderen Gedächtnisinhalten und
• Zugangsprobleme aufgrund mangelnder Verknüpfung.
In Laborexperimenten konnte beobachtet werden, dass im Lauf der Zeit von
zuvor erlernten Elementen immer weniger erinnert werden können. Zugleich
können diese ‘zerfallenen Gedächtnisspuren’ aber schneller wieder erlernt
werden als gänzlich neue Inhalte. Diese Beobachtung lässt vermuten, dass
Gedächtnisinhalte möglicherweise zu schwach werden können, um erneut
aktiviert zu werden, dass sie aber nicht vollständig verschwinden.
...an Vorwissen
anknüpfen
... verschiedene Lernwege
anbieten
Vergessen als
Spurenzerfall
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 16
Erinnern kann auch dann erschwert sein, wenn zu einem bekannten
Inhaltsbereich neue Informationen hinzugelernt werden. Die Verbindungen
zu den neuen Gedächtnisinhalten können so stark sein, dass die alten
Verbindungen nicht mehr aktiviert werden können. In diesem Fall spricht
man von einer Interferenz der neuen mit den vorhandenen
Gedächtnisinhalten [vgl. Anderson 1988, S. 145ff].
Eine dritte Erklärung für das Vergessen ist besonders im Hinblick auf das
Lernen interessant. Angenommen Gedächtnisinhalte verschwinden nicht aus
dem Gedächtnis und angenommen das Erinnern entspricht einer Art Suche,
die von einem bestimmen Gedächtnisinhalt ausgehend den Verknüpfungen
zu anderen Gedächtnisinhalten folgt, so könnte es sein, dass (1) eine
notwendige Verbindung zu einem Gedächtnisinhalt nicht besteht bzw. nicht
gefunden wird, oder (2) der Gedächtnisinhalt zwar gefunden aber nicht als
relevant erkannt wird. Beide Fälle werden besonders im Zusammenhang mit
der kognitiv-konstruktivistischen Lernpsychologie unter der Bezeichnung
‘träges Wissen’ diskutiert. Der erste Fall ergibt sich typischerweise dann, wenn
entweder auf uneffektive Weise nach Gedächtnisinhalten gesucht wird oder
Gedächtnisinhalte nicht genügend miteinander verknüpft sind, d.h., wenn
Wissen eher mechanisch und ‘inselartig’ aufgebaut wurde. Der zweite Fall
liegt häufig dann vor, wenn einmal Gelerntes in völlig anderen
Zusammenhängen genutzt werden könnte (Transfersituationen), aber kein
Gebrauch davon gemacht wird.
Es versteht sich von selbst, dass in der Didaktik besonders intensiv nach
geeigneten Maßnahmen gesucht wird, die Ursachen von Vergessen
auszuschalten (vgl. Tabelle 1).
Ursache für Vergessen Didaktische Gegenmaßnahmen
Spurenzerfall Wiederholen des Lernstoffes in
unterschiedlichen Abständen
Interferenz Explizit auf Unterschiede zwischen
bereits bestehendem Wissen und neuen
Inhalten hinweisen.
mangelhafter Zugang Auf vielfältige Vernetzung des Lernstoffes
beim Lernen achten. Erlerntes in
verschiedenen Situationen anwenden
lassen.
Tabelle 1: Ursachen für und Maßnahmen gegen Vergessen
Nutzung von Wissen
Wird erlernte Information in Anwendungssituationen oder späteren
Lernsituationen genutzt, spricht man von Transfer. Bereits in der
Lernsituation können Bedingungen geschaffen werden, die sich günstig auf
den späteren Transfer auswirken [vgl. Steiner 1996, S. 286ff]
Vergessen durch
Interferenz
Vergessen durch
mangelhaften Zugang
Nutzung und Transfer
von Wissen
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 23
daran, dass Lernende durch die Fülle der Anforderungen nicht überwältigt
werden, haben Kontrollprozesse.
Was wird während des Lernens kontrolliert? Grob kann man zwischen zwei
Bereichen der Handlungskontrolle unterscheiden: der Volition, die sich vor
allem auf die emotionale und motivationale Seite des Lernens bezieht, und
der Metakognition, die sich auf die kognitive Seite bezieht.
2.3.1 VOLITIONALE KONTROLLE
In dem Abschnitt über Lernen als emotionaler und motivierter Prozess wurde
Motivation als eine aktuelle Absicht definiert, eine Handlung aufzunehmen.
Die Frage ist, wie kommt es von der Absicht zu handeln zur Ausführung dieser
Handlung. Der Übergang wird durch Mechanismen der sogenannten
volitionalen Kontrolle ermöglicht. Darunter versteht man Strategien, die dazu
dienen, eine einmal gefasste Absicht (z.B. die zu lernen) vor konkurrierenden
Absichten abzuschirmen. Dies kann geschehen, indem
• Lernende die Wahrnehmung ablenkender Informationen ausblenden und
ihre Konzentration auf Dinge richten, die unmittelbar für das Lernen
wichtig sind ,
• Motive, die das Lernen fördern, aktiviert werden (z.B. an Belohnung
denken)
• störende Umweltbedingungen beseitigt, fördernde Umweltbedingungen
hergestellt werden.
Bei der volitionalen Kontrolle geht es also um den bewussten Einsatz von
Strategien, um Absichten in die Tat umzusetzen und eine einmal begonnene
Handlung auch zu Ende zu führen. Man könnte auch sagen, es geht um
Möglichkeiten der Selbstdisziplinierung.
2.3.2 METAKOGNITION
Der Begriff „Meta“-Kognition deutet darauf hin, dass es um eine Form der
Kognition auf höherer Ebene geht. Dabei wird unterschieden zwischen
metakognitivem Wissen und metakognitiven Strategien.
Metakognitives Wissen setzt sich aus drei Elementen zusammen [vgl. Flavell
1979]:
1. Wissen über die eigene Person, d.h. über das eigene Wissen und die eigenen
Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen (z.B. Mathematik, Schreiben,
Kunst).
2. Wissen über Aufgaben, d.h. welche Anforderungen eine Aufgabe stellt und
wie deren Schwierigkeit einzuschätzen ist.
3. Wissen über verschiedene Lernstrategien und deren Ausführung (z.B. zum
Bearbeiten, Strukturieren, Behalten und Überprüfen von Lernstoff).
Zwei Bereiche der
Handlungskontrolle
Vom „Wollen“ zum
„Handeln“
Formen der volitionalen
Kontrolle
Elemente metakognitiven
Wissens
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 24
Metakognitive Strategien beziehen sich demgegenüber auf die bewusste
Steuerung von Verarbeitungsprozessen. Auch hier können verschiedene
Komponenten unterschieden werden. BROWN U.A. [1983] nennen drei
Komponenten:
1. Planung von Lernhandlungen: Das Setzen individueller Lernziele, das
Formulieren von Fragen, die durch das Lernen beantwortet werden sollen,
das Feststellen von Anforderungen, die das Lernen stellt und das
Aktivieren erforderlichen Vorwissens. Aufgrund dieser
Planungsüberlegungen ergeben sich Hinweise, welche Lernstrategien in
der jeweiligen Lernsituation sinnvoll sind.
2. Überwachung von Lernhandlungen: das bewusste Lenken der
Aufmerksamkeit auf relevante Teile des Lernstoffs und die Aktivierung von
Lernstrategien zur Verarbeitung, Speicherung von Lerninhalten sowie zur
Kontrolle des Lernerfolgs.
3. Regulation von Lernhandlungen: Anpassung von Lernhandlungen, wenn
im Verlauf der Überwachung Schwierigkeiten oder Probleme erkannt
werden (z.B. grafische Veranschaulichung von Sachverhalten, wenn beim
Lesen Verständnisschwierigkeiten auftauchen).
Neben der vorwiegend auf die emotionale und motivationale Seite des
Lernens gerichteten Kontrolle (Volition) und der auf die kognitive Seite
gerichteten Kontrolle (Metakognition) wäre noch eine dritte Ebene der
Kontrolle zu erwähnen [vgl. hierzu Schiefele/Pekrun 1996, S. 263]: den
Umgang mit Ressourcen. Die wichtigsten Ressourcen beim Lernen sind Zeit
und Anstrengung. Beide Ressourcen stehen nur in begrenztem Umfang zur
Verfügung und gerade deshalb ist der sorgfältige Umgang damit besonders
wichtig.
Versucht man, Lernen als (selbst-)kontrollierten Prozess mit
computergestütztem Lernen in Verbindung zu bringen, so stellt sich die
folgende, prinzipielle Frage: In welchem Maße soll computergestütztes
Lernen vom Lernenden selbst oder durch das Programm gesteuert werden.
Die im Kapitel 1.3.1 beschriebene programmierte Instruktion ist ein Beispiel
für ein stark programmgesteuertes Lernen. Aktuelle multimediale
Lernprogramme räumen dagegen den Lernenden einen größeren Spielraum
bei der Kontrolle des eigenen Lernprozesses ein, beispielsweise indem den
Lernenden die Möglichkeit gegeben wird, selbst über ihren Lernweg zu
entscheiden. Dies setzt voraus, dass in die Lernmaterialien Hilfestellungen
integriert werden, die den Lernenden die Orientierung und Navigation im
Lernangebot erleichtern sowie die Dokumentation bereits absolvierter
Lernwege ermöglichen.
2.4 NEUE BILDUNGSMEDIEN UND KOGNITIVE LEHR-LERN-THEORIEN
In den vorangegangenen Kapiteln wurde Lernen als
• Prozess der Informationsverarbeitung, als
• Emotionaler und motivierter Prozess und als
• Kontrollierter Prozess beschrieben.
Komponenten
metakognitiver Strategien
Ressourcenmanagement
Ressourcenmanagement
und computergestütztes
Lernen
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 38
4 Z U S A M M E N F A S S U N G
1. Behavioristische Lerntheorien konzentrieren sich bei der Erklärung von
Lernen auf beobachtbare Größen. Lernen wird als Aufbau von Reiz-
Reaktions-Verbindungen beschrieben.
2. SKINNER geht in seiner Theorie des instrumentellen Lernens davon aus,
dass Verstärker, die einem Verhalten (Reaktion) folgen, entscheidenden
Einfluss auf die Ausbildung von Reiz-Reaktions-Verbindungen haben.
3. Bei der programmierten Instruktion werden Prinzipien des
instrumentellen Lernens konsequent umgesetzt, um Lehrstoff z.B. mittels
Computerprogrammen zu vermitteln.
4. In Practice & Drill-Programmen wird ebenfalls das Prinzip der Verstärkung
genutzt, um zuvor vermittelten Lehrstoff einzuüben.
5. Kognitive Lerntheorien versuchen, mentale Prozesse aufzuklären, die dem
Lernen zugrunde liegen. Insbesondere handelt es sich um Prozesse der
Informationsverarbeitung, der Motivation und Kontrolle.
6. Beim Prozess der Informationsverarbeitung wirken verschiedene Speicher
(sensorischer Speicher, Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis)
zusammen.
7. Unter Motivation versteht man die aktuelle Absicht, eine bestimmte
Handlung auszuführen. Die Folgen einer Handlung, insbesondere die
subjektive Zuschreibung von Ursachen für Erfolg oder Misserfolg einer
Handlung, haben Rückwirkungen auf die Motivation.
8. Beim Lernen sind verschiedene Kontrollprozesse beteiligt. Kontrolle
bezieht sich auf die Realisierung beabsichtigter Handlungen (volitionale
Kontrolle), auf die Einschätzung der Lernsituation und der eigenen
Möglichkeiten (metakognitives Wissen) sowie auf die Planung,
Überwachung und Steuerung des Lernprozesses insgesamt
(metakognitive Strategien).
9. Elemente kognitiver Lerntheorien bilden die Grundlage sowohl für das
expositorische Lehrverfahren als auch das gelenkte Entdecken.
10. Das expositorische Lehrverfahren gründet auf der Annahme, dass Wissen
im Langzeitgedächtnis hierarchisch organisiert ist.
11. Beim gelenkten Entdecken steht die Fähigkeit zum selbständigen Erwerb
von Wissen und Lösen von Problemen im Vordergrund.
12. Der Grundgedanke des Konstruktivismus besteht darin, dass Wissen stets
individuell konstruiert wird und mit der Situation verknüpft ist, in der es
erworben wurde (Situiertheit). Probleme können sich bei der Übertragung
des Wissens auf neueartige ‚Situationen ergeben (träges Wissen).
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 39
13. Aus konstruktivistischer Perspektive wird Lernen als aktiver, situativer und
sozialer Prozess gesehen, bei dem Wissen selbstgesteuert konstruiert wird.
14. Neue Bildungsmedien werden aus der Perpektive des Konstruktivismus als
kognitive Werkzeuge betrachtet, die Denken und Lernen stimulieren
sollen.
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 40
5 L I T E R A T U R U N D M A T E R I A L
5.1 LITERATUR
1. ANDERSON, J.R. (1988): Kognitive Psychologie. Eine Einführung.
Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft.
2. AUSUBEL, D.P. (1968): Educational psychology - A cognitive view. New York
(deutsch: Psychologie des Unterrichts, 2 Bde., Weinheim: Beltz, 1974).
3. BRUNER, J.S. (1970): Der Prozess der Erziehung. Düsseldorf: Schwann.
4. BRUNER, J.S. (1973): Relevanz der Erziehung. Ravensburg: Maier
5. EDELMANN, W. (1996): Lernpsychologie. 5. Aufl., Weinheim: Psychologie
Verlags Union.
6. FRIEDRICH, H.F.; EIGLER, G.; MANDL, H.; SCHNOTZ, W.; SCHOTT, F.; SEEL, N.M.
(1997): Multimediale Lernumgebungen in der betrieblichen
Weiterbildung. Gestaltung, Lernstrategien und Qualitätssicherung.
Neuwied: Luchterhand.
7. GARDNER, H. (1989): Dem Denken auf der Spur: Der Weg der
Kognitionswissenschaft. Stuttgart: Klett-Cotta.
8. GERSTENMAIER, J.; MANDL, H. (1993): Wissenserwerb unter
konstruktivistischer Perspektive. In: Zeitschrift für Pädagogik, 41, 867-888.
9. HECKHAUSEN, H. (1989): Motivation und Handeln. Berlin: Springer.
10. JONASSEN, D.H. (1992): What are cognitive tools? In: KOMMERS, P.A.M.;
JONASSEN, D.H.; MAYES, J.T. (Eds.): Cognitive tools for learning (pp. 1-6).
Berlin: Springer.
11. KOMMERS, P.A.M.; JONASSEN, D.H.; MAYES, J.T. (Eds.)(1992): Cognitive tools
for learning. Berlin: Springer.
12. MÜLLER, K. (1996): Wege konstruktivistischer Lernkultur. In: Müller, K.
(Hrsg.): Konstruktivismus. Lehren. Lernen - Ästhetische Prozesse (S. 71-
115). Neuwied: Luchterhand.
13. SCHANDA, F. (1995): Computer-Lernprogramme. Weinheim: Beltz.
5.2 WEITERFÜHRENDE LITERATUR
3. ATKINSON, R.L.; SHIFFRIN, R.M. (1968): Human Memory: A proposed system
and its control process. In: Spence, K.W.; Spence, J.T. (eds.): The
psychology of learning and motivation: Advances in research and theory
(Vol. 2). New York.
4. BODENDORF, F. (1990): Computer in der fachlichen und universitären
Ausbildung. München: Oldenburg.
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 41
5. BROWN, J.S.; COLLINS, A.; DUGUID, P. (1989): Situated cognition and the
culture of learning. Educational Researcher , 17, S. 32-41.
6. CoLLINS, A.M.; BROWN, J.S.; NEWMAN, S.E. (1989): Cognitive apprenticeship;
Teaching the crafts of reading, writing and mathematics. In RESNICK, L.B.
(Ed.): Knowing, learning and instruction (pp. 453-494). Hillsdale, NJ:
Erlbaum
7. DECI, E:L.; RYAN, R.M. (1993): Die Selbsbestimmungstheorie der
Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für
Pädagogik, 39 (2), 223-238.
8. DÖRING, K.W. (1992): Lehren in der Weiterbildung. Ein Dozentenleitfaden.
4. Auflage, Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
9. Flavell, J.H. (1979): Metacognition and cognitive monitoring. A new area
of cognitive-developmental inquiry. American Psychologies, 34, S. 906-
911.
10.
11. REINMANN-ROTHMEIER, G.; MANDL, H. (1997): Lernen mit Multimedia.
(Forschungsberichte Nr. 77). München: Ludwig-Maximilians-Universität.
12. SCHIEFELE, U.; PEKRUN, R. (1996): Psychologische Modelle des
fremdgesteuerten und selbstgesteuerten Lernens. In: Weinert F.E. (Hrsg.):
Psychologie des Lernens und der Instruktion (Enzyklopädie der
Psychologie, Themenbereich D, Serie I, Band 2). Göttingen: Hogrefe, S.
247-278.
13. SKINNER, B.F. (1938): The behavior of organisms. New York: Appleton
Century Crofts.
14. STEINER, G. (1996): Lernverhalten, Lernleistung und
Instruktionsmethoden. In: Weinert F.E. (Hrsg.): Psychologie des Lernens
und der Instruktion (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D,
Serie I, Band 2). Göttingen: Hogrefe, S. 279-317.
15. THOMAS, E.L.; ROBINSON, H.A. (1972): Improving reading in every class: A
sourcebook for teachers. Boston: Allyn &Bacon
5.3 SONSTIGE MATERIALIEN
1. WWW-Seite zum Thema programmierte Instruktion mit
Beispielprogrammen.
URL: http://www.coedu.usf.edu/cybertutorial/ [Stand 10/2001]
2. COGNITION AND TECHNOLOGY GROUP AT VANDERBILT UNIVERSITY:
The Adventures of Jasper Woodbury:
http://www.peabody.vanderbilt.edu/ctrs/ltc/Research/jasper.html [Stand
10.2001]
3. SPIRO, RAND J., PAUL J. FELTOVICH, MICHAEL J. JACOBSON AND RICHARD L.
COULSON (1991): Cognitive Flexibility, Constructivism and Hypertext:
Random Access Instruction for Advanced Knowledge Acquisition in Ill-
Structured Domains http://www.ilt.columbia.edu/ilt/papers/Spiro.html
.[Stand 10.2001]
4. Programm „Mind Man“ auf der WWW-Seite http://www.mindjet.com/
[Stand 10.2001]
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 42
5. Beispiele für Practice & Drill-Programme auf der WWW-Seite http://top-
download.de/lernsoftware.shtml [Stand 10.2001]
MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 43
6 G L O S S A R
behavioristisch, Behaviorismus Zu Beginn des 20 Jh. in den USA entstandene
Richtung der Psychologie, die ihre Theorien ausschließlich auf der Grundlage
des beobachtbaren Verhaltens entwickelt.
Forschungsparadigma Grundkonzeption für die Ermittlung und Beurteilung
wissenschaftlicher Erkenntnisse. Forschungsparadigmen lassen sich u.a. nach
dem typischen Forschungsinteresse und bevorzugten Forschungsmethoden
voneinander unterscheiden (z.B. empirisches Forschungsparadigma:
Ursache-Wirkungszusammenhänge, Experiment; geisteswissenschaftliches
Forschungsparadigma: Verstehen, Hermeneutik).
horizontaler Transfer Die Übertragung der Lernergebnisse aus der
Lernsituation in eine (z.B. berufliche) Anwendungssituation. (vgl. Studienbrief
1 „Didaktik und Medien, Grundbegriffe“)
Introspektion Selbstbeobachtung (auch interner, mentaler Vorgänge) als
Methode, um zu Erkenntnissen über Denkprozesse und menschliches
Verhalten zu gelangen.
kognitiv (lat. cognoscere erkennen, wahrnehmen) auf mentale Prozesse wie
Wahrnehmen, Denken, Speichern, Erinnern bezogen.
Lernleistung Unter einer Lernleistung versteht man ein sichtbares Verhalten,
durch das dokumentiert wird, dass ein Lernprozess erfolgreich abgeschlossen
wurde.(vgl. Studienbrief 1 „Didaktik und Medien, Grundbegriffe“)
Lückentext Übungs- oder Testaufgabe, bei der einzelne Worte in einem
Sinnzusammenhang durch Platzhalter ersetzt werden (Lücken), damit sie
durch die Lernenden ergänzt werden.
Metaanalyse Bei einer Metaanalyse werden die Ergebnisberichte vorliegender
empirischer Untersuchungen zu demselben oder einem ähnlichen
Phänomen miteinander verglichen. Auf diese Weise kann ermittelt werden,
inwieweit Untersuchungsergebnisse zu demselben bzw. abweichenden
Ergebnissen kommen.
Metakognition Wissen über das eigene Wissen und die eigenen Fähigkeiten.
(vgl. Studienbrief 1 „Didaktik und Medien, Grundbegriffe“)
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