Post on 17-Sep-2018
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Notfallmedizin beim Palliativpatienten
Leben retten oder sterben lassen?
Dr. Christina Grebe, MScLandesverband Hospiz OÖ Palliativstation Vöcklabruck
Ärztetage Velden – 23.8.2018christina.grebe@gmx.at
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Fallbeispiel
• 86jährige Patientin, seit 3 Jahren von Mobiler Pflege betreut• wohnt mit Sohn und Schwiegertochter in einem Haus, 2 Töchter
besuchen sie regelmäßig• Verhältnis der Kinder untereinander ist gespannt• Grunderkrankung: Mb. Parkinson• Immobilität, Angina pectoris• Verlauf: wird schwächer• Pat. betont, dass sie keine Angst vor dem Sterben hat, will nach
eigenen Angaben nicht reanimiert werden bei HKL-Stillstand• es gibt keine Patientenverfügung oder ärztliche Anordnung
Patientin verstirbt während der Betreuung - Reanimation?
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Notfallmedizin
Diagnostik- und Therapiemaßnahmen zur Überwindung
akut lebensbedrohlicher Erkrankungen und
Verletzungen
Ziel ist immer der Erhalt des Lebens
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Palliative Care
Ziel: Verbesserung der Lebensqualität
• PatientIn kann bis zum Lebensende in der
häuslichen Umgebung bleiben.
• Sterben zuhause ermöglichen.
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H o s p i z - u n d P a l l i a t i v b e t r e u u n g
GRUNDVERSORGUNG unterstützende/beratende Dienste
betreuende Dienste
Akut-bereich Krankenhäuser
Hospiz-teams
Palliativ-konsiliar-dienste
Palliativ-stationen
Langzeit-bereich Alten-/Pflegeheime
Mobile Palliativ-
teams
Stationäre Hospize
Zuhause niedergelassene Ärzte, Mobile Dienste, TherapeutInnen
Tages-hospize
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Gegensätze
Notfall – so viel wie möglich
Palliativ – so wenig wie nötig
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In der Begleitung Sterbender gibt es Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sind.(Grundsätze der dt. Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung)
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Bei Patienten, die in absehbarer Zeit sterben, ist eine Änderung des Therapieziels geboten, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden oder die Änderung des Behandlungsziels dem Willen des Patienten entspricht. (Grundsätze der dt. Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung)
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Stellungnahme des Nationalen Ethikrates:
Therapie am Lebensende:
„Dazu gehören auch Maßnahmen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass der natürliche Prozess des Sterbens verkürzt wird, sei es durch eine hochdosierte Schmerzmedikation oder eine starke Sedierung, ohne die eine Beherrschung belastender Symptome nicht möglich ist.“
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MedizinischeBehandlungspflicht
Rechtliche Rahmenbedingungen
Patienten-wille
Therapieentscheidungen am Lebensende
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- Autonomie -
im westlichen Kulturkreis wird die Selbstbestimmung des Patienten über die ärztliche
Entscheidung gestellt.
die Indikation zur Therapie obliegt jedoch dem Arzt.
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Rechtliche Rahmenbedingungen
Sterbehilfe:
- aktiv, direkt
- aktiv, indirekt
- passiv
Was ist mein Ziel?
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Rechtliche Rahmenbedingungen
Patientenverfügungsgesetz 2006
Das Gesetz läßt die medizinische Notfallversorgung unberührt, sofern der mit der Suche nach einer PV verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet.
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individuelle, auf den Patienten
abgestimmte Therapieentscheidung
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= ein akut krisenhaftes unbeherrschbares Symptom, das mit
der Grunderkrankung assoziiert ist und den Patienten und /
oder die Angehörigen betrifft. Gratzl R. et al 2011
Definition Palliativmedizinischer Notfall
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1. Informationsdefizit bezüglich der Patienten-Erkrankung & -willen bezüglich medizinischer Maßnahmen
2. Zeitdruck bezüglich des Ergreifens oder Unterlassensvon lebenserhaltenden Maßnahmen
Im Zweifel hat der Erhalt des Lebens Vorrang!
Notfallmedizin beim Palliativpatienten
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Einsatzdiagnosen:
- Akute Dyspnoe
- Krampfanfall
- Bewusstseinsstörung
- Herz-Kreislaufstillstand
- Akute Schmerzexazerbation
- Psychosoziale Entgleisung (Angst, Panikattacken, Depression, Angehörige)
C. Wiese Nofall Rettungsmed 2010
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Palliative Notfälle
1. Verschlechterung des AZ oder bekannter Symptome,
die durch die Grunderkrankung bedingt sind.
2. Neu aufgetretene Symptome, die durch die
Grunderkrankung bedingt sind.
3. Von der Grunderkrankung unabhängige Notfälle
(Apoplex, akutes Coronarsyndrom etc.)
4. Notfälle durch Therapienebenwirkungen (z.b.
neutropenisches Fieber / Sepsis nach CTX)
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Palliative Notfallsituationen
• 3-5% der präklinischen
Notfälle (DE)
• 2,5% der Rettungsfahrten bei „Tumorpatienten in der Sterbephase (DE) (Anästhesist 2007; 56:133)
Hilft der Notarzt?Retrospektive, mulitzentrische Befragung von Notärzten bei Palliativpatienten (akute Schmerzexazerbation beim Tumorpatienten)• 17 Patienten• Bei 10 präklinisch keine Schmerzlinderung
erreicht• 15 wurden ins KH eingewiesen• Bei 2 ambulanter Palliativdienst – blieben
zuhause
C. Wiese Nofall Rettungsmed 2010
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Advanced care planning
- Was kann passieren?- Was wünscht der Patient?- Was ist sinnvoll / indiziert?- Welche therapeutischen Möglichkeiten?- Was ist das Therapieziel?
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Akute Schmerzexazerbation
• >90% der Patienten mit fortgeschrittener
Tumorerkrankung leiden an Schmerzen
• Akute Schmerzexazerbationen treten bei >80% der
fortgeschrittenen Tumorpatienten auf
WHO-Stufenschema
Stufe 1: Nicht-Opioide
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Stufe 2: Schwache Opioide
Stufe 3: Starke Opioide
+ Adjuvantien
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Durchbruchschmerz-BehandlungOrale IR-Opioide (Rescue-Medikation)
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Tramadol (s.c. / i.m. / i.v.) Tramal® 100 200 300 400 500
Tramadol (oral / rectal) Tramal® 150 300 450 600
Dihydrocodein (oral) Paracodin®
120 240 360
Morphin (oral / rectal) Vendal® 30 60 90 120 150 180 210 240 300 600 900
Oxycodon (oral) OxyContin®
30 60 90 120 150 300 450
L-Methadon (oral) Heptadon® 7,5 Individuelle Titration
Hydromorphon (oral) Hydal® 4 8 12 16 20 24 28 32 40 80 120
Morphin (s.c. / i.v.) Vendal® 10 20 30 40 50 60 70 80 100 200 300
Piritramid (i.v.) Dipidolor® 15 30 45 60
Pethidin (i.v.) Dolantin® 75 150 225 300
Morphin (epidural) Vendal® 2,5 5,0 7,5 10,0 12,5 15,0 17,5 20,0 25,0 50,0 75,0
Morphin (intraspinal) Vendal® 0,25 0,5 0,75 1,0 1,25 1,5 1,75 2,0 2,5 5,0 7,5
Fentanyl Depot Pfl. (mg/24 h) Durogesic® 0,3 0,6 - 1,2 - 1,8 - 2,4 3,0 - 9,0
Fentanyl Depot Pfl.( μg / h) Durogesic® - 25 - 50 - 75 - 100 125 - 375
Buprenorphin (s.l.) Temgesic® 0,4 0,8 1,2 1,6 2,0 2,4 2,8 3,2 4 8 12,0
Buprenorphin Dep. Pfl.( μg / h) Transtec® 17,5 35 52,5 70 87,5 105 122 140
Buprenorphin Dep. Pfl.( mg/24 h) Transt.®
0,8 1,2 1,6
Buprenorphin (s.c. / i.v.) Temgesic® 0,3 0,6 0,9 1,2 1,5 1,8 2,1 2,4 3,0 6
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Ersticken – akute Dyspnoe
- Atemnot ist die häufigste Ursache für die Krankenhaus-
einweisung in der Terminalphase (Edmonds 2001)
- Inzidenz: 80% der Palliativpatienten in der letzten
Lebensphase
- Atemnot-Angst-Spirale
- Sterben wird oft mit Ersticken gleichgesetzt
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Ersticken – akute Dyspnoe
Diagnostik:
- Reversible Ursache?
Erguss, Bolus, Bronchokonstriktion, Pneumonie, ..
- Irreversible Ursache?
Tumor
- Befindet sich der Patient in der Terminalphase?
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Dyspnoe – Therapie
- Ruhe, nicht alleine lassen
- Positionierung
- Frischluft, Ventilator
- Kausale Therapie wenn möglich
- Atemphysiologische Maßnahmen
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Dyspnoe – Therapie
- Opioide
- Benzodiazepine?
- Sauerstoff?
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Opiate in der Dyspnoetheapie
Es gibt keinen Hinweis, dass eine lege artisdurchgeführte Therapie der Atemnot mit Opioiden zu einer klinisch relevantenAtemdepression führt. Abernethy et al. 2003
Sauerstoffgabe?
Sauerstoff sollte nicht zur Linderung von Atemnot bei nicht-hypoxämischen Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung
eingesetzt werden. Abernethy et al. 2010
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Sauerstoffgabe?
Nicht-hypoxämische bzw. leicht-hypoxämische COPD-Patienten (PaO2 ≥ 60
mmHg bzw. 55–59 mmHg), die nicht die Kriterien für eine Sauerstoff- Langzeittherapie erfüllen, können von einer Sauerstoffgabe
zur symptomatischen Linderung von Atemnot profitieren (Uronis et al. 2011 (SysRev))
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Delir in der Sterbephase
• In der letzten Lebenswoche sind 44% der Patienten
verwirrt (Morita 1998)
• Ursachen:
- psychisch (Angst, Alleinsein, Unerledigtes)
- unkontrollierte Symptome (Schmerz, Atemnot,
Mundtrockenheit, Harnverhalt)
- ZNS-Störungen (Hypoxie, Elyte, Metastasen)
- Medikamente!! >5 Medikamente = Delirrisiko x14
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Delir in der Sterbephase
• Therapie:
- Ruhe, Vertrauen schaffen, gewohnte Umgebung
- Reversible Ursachen beseitigen
• Medikamentös: Benzodiazepine
Haloperidol
Quetiapin, Risperidon
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Akute Blutung
• Vorsorgeprotokoll für Blutungsnotfall
• Aufklärung der Angehörigen / Betreuuenden
• Dunkle Tücher
• Dabei bleiben, Ruhe vermitteln
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Akute Blutung
Leichte, gut zugängliche Blutung:
- Kompression
- Otrivin-Nasentropfen, Adrenalin lokal
- Sucralan
- Tabotamp Gazestreifen
Starke, lebensbedrohliche Blutung:
- Benzodiazepine, Opiate
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Todesrasseln
= in- und exspiratorisches Atemgeräusch. Sekret, ansammlung durch vermindertes Schlucken und Husten
Wird von Angehörigen oft mit Atemnot / Ersticken gleichgesetzt.
Aufklärung, Stresszeichen suchen!
Flüssigkeitszufuhr reduzieren, Robinul s.c.
Cave: Absaugen, Diuretika!
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Weitere Notfälle
Obere Einflusstauung: Bestrahlung?
Rückenmarkskompression: MR /OP? Cortison
Bestrahlung?
Cerebrale Krampfanfälle: Antiepileptika in Griffweite
Palliativer Notfallkoffer!
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Wahrscheinlichkeit, nach CPR das KH lebend zu
verlassen:
- Gesamtpopulation: 4,3-11,2%
- Lokalisierter Tumor: 9,1%
- Metastas. Tumor: 7,8%
- Karnofsky <50% 2,3%
Reisfield GM et al 2006
CPR – ja /nein?
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• Patientin äußert einen klaren, mutmaßlichen Patientenwillen
Fallbeispiel
Dokumentation!
Hausarzt
Erstellen einer PV
Mobiles Palliativteam
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• bekannte Familienkonflikte
Fallbeispiel
Familienkonferenz
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Take home:
• Vorausschauendes Handeln ist entscheidend
• Frühzeitige Integration von PC• Betreuungskontinuität
• Teamarbeit - Vernetzung
• Angehörige einbinden
Fragen zur Selbstevaluation
• Welche Unterschiede zwischen Notfallmedizin und Palliative Care kennen Sie?
• Welche Gemeinsamkeiten?• Welche extramuralen palliativen Betreuungsdienste kennen Sie?• Was bedeutet advanced care planning?• Was ist ein palliativer Notfall?• Wie reagieren sie in einer akuten Schmerzsituation beim
Tumorpatienten? • Welches ist die bevorzugte Medikation bei symptomatischer Dyspnoe-
Therapie?• Welchen Patienten empfehlen sie Sauerstoff in der Palliativsituation?• Was müssen Sie bei akuten Tumorblutungen beachten?• Welche verschiedenen Formen der Sterbehilfe kennen Sie und was ist
erlaubt?