Post on 12-Oct-2020
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ARNO KROMBHOLZ, GERD THISSEN & NORBERT GISSEL
Planung von Sportunterricht in außerschulischen Feldern – ad-
ressatenbezogen und kompetenzorientiert
Einleitung
Noch immer ist die Vorstellung weit verbreitet, dass man für das Unterrichten in
außerschulischen Anwendungsfeldern lediglich Sachkompetenz, also ein Wissen
über die Sachstruktur des zu vermittelnden Gegenstandes bräuchte. Doch spätes-
tens in den ersten Praktika im Rahmen der Ausbildung zum Trainer, Kurs-/
Übungsleiter, Instruktor o. ä. stellt sich für die meisten heraus, dass die Unter-
richtstätigkeit ein sehr komplexer und anspruchsvoller Vorgang ist. Das Auswählen
der richtigen Übungen, die Organisation des Ablaufes, die Kommunikation mit den
Adressaten, der Einsatz von Medien: laufend sind Handlungsentscheidungen zu
treffen, die für den Erfolg der Vermittlung von Bedeutung sind. Dabei könnten viele
dieser Entscheidungen bereits vorher, in einer zeitlichen und räumlichen Distanz
zum Unterricht getroffen werden. Sie könnten dort in Ruhe und ohne den Druck der
Handlungssituation überlegt und abgewogen werden.
Doch was muss bei einer solchen Unterrichtsplanung und -vorbereitung eigentlich
genau bedacht werden? Was ist tatsächlich wichtig und welche Entscheidungen
müssen in welcher Reihenfolge getroffen werden?
Der vorliegende Beitrag möchte bei diesen Fragen eine Orientierung liefern. Es ist
der Versuch, ein bildungstheoretisch fundiertes Planungs- und Auswertungssche-
ma für Sportunterricht, insbesondere in außerschulischen Feldern, zu konstruieren.
Neben dem Ertrag der aktuellen Diskussion um Kompetenzorientierung wird auf
bewährte didaktische Modelle zurückgegriffen. Darüber hinaus werden wir grundle-
gende Fragen nach dem Bildungsauftrag sowie nach der pädagogischen Verant-
wortung einbeziehen.
Planung, Organisation und Analyse von Unterricht sind nicht ohne Grund die zent-
ralen Themen der sportdidaktischen Diskussion. Die Qualität von Unterrichtsinsze-
nierungen hängt wesentlich von den vor dem Unterricht durchgeführten Analysen
und Überlegungen der Lehrkräfte ab. Die besondere Schwierigkeit des Sportunter-
richts liegt dabei in seinen komplexen Organisationsformen, die entsprechend an-
spruchsvolle methodische Verfahren erfordern. Denn Sportunterricht findet nun mal
nicht nur in den überschaubaren Mauern eines Klassenzimmers statt, sondern in
Hallen, auf Sportplätzen, auf den Bergen oder im Wasser. Und entsprechend sind
auch professionell antizipierte Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, damit das Ge-
schehen zur Entwicklungsförderung, zur Fitness und Gesundheit sowie zur Freude
der Adressaten beiträgt und nicht zu einer Gefahr wird.
Die bekannten Planungsschemata aus der allgemeinen Didaktik sind daher nur be-
dingt geeignet, um die notwendigen Analysen und Entscheidungen, die vor der
Durchführung von sport- und bewegungsbezogenen Unterrichtsvorhaben zu treffen
sind, zu strukturieren. Weiterhin entstammen diese der Tradition der Schulsportdi-
daktik. Sie sind also auf das schulische Feld gerichtet, berücksichtigen daher nur
den verhältnismäßig überschaubaren Rahmen dieser Einrichtungen und sind natür-
lich dem schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrag verpflichtet.
Hier soll es um ein wesentlich weiteres Feld des Sportunterrichts gehen. Im Blick-
punkt steht die Vielfalt von sport- und bewegungsbezogenen Vermittlungs- und Un-
terrichtssituationen, die täglich außerhalb von Schulen stattfinden. Diese reichen
von Kursen in Fitnessstudios oder Volkshochschulen, über Trainingsmaßnahmen
im Vereinssport, kommerziellen Angeboten von Schneesport-, Wassersport-, Reit-
oder Kampfsportschulen bis hin zu therapeutischen Maßnahmen in Einrichtungen
des Gesundheitssports. Aus dieser Vielfalt an Angebotsstrukturen und institutionel-
len Einbindungen ergibt sich die Notwendigkeit, ein Modell zu entwickeln, das der
Heterogenität der Bewegungsformen, der Zielgruppen, der Ansprüche sowie der
Lokalitäten gerecht wird.
Bildungstheoretischer Hintergrund
Eine Grundannahme unseres Ansatzes ist, dass wir in jedem bewusst geplanten
sportiven Vermittlungsprozess grundsätzlich auch ein Bildungsangebot sehen1. Ob
tatsächlich Bildung im Sinne Klafkis (1985, S. 12ff) stattfindet oder nur eine ober-
flächliche Unterhaltung, hängt wesentlich auch von den Adressaten und deren Er-
wartungen ab, denn Bildung ist ein aktiver Aneignungsprozess der Handelnden. In-
sofern können auch von Animateuren geleitete, standardisierte Fitnessprogramme
zu Bildungsangeboten werden, wenn die Kursteilnehmer eine entsprechende Be-
reitschaft und Intention verfolgen. Für die Lehrkraft ist daher wichtig, dass er/sie
sich der damit verbundenen Verantwortung bewusst ist. Diese Verantwortung be-
zieht sich nicht nur auf die Gewährleistung der körperlichen und psychischen Un-
versehrtheit der ihm/ihr Anvertrauten, sondern auch darauf, dass die Inszenierun-
gen die Möglichkeit zur persönlicher Entwicklungsförderung und damit zur Bildung2
eröffnen. In diesem Sinne sind außerschulische Bewegungsangebote Bildungsan-
gebote „zur ästhetischen Wahrnehmung und Gestaltung“, sie sollen „Zugänge und
Anregungen zu verschiedenen Weisen des Spielens, zur körperlichen Bewegung
und zum Sport“ aufzeigen (Klafki 1985, S. 25).
1 Klafki (1985, S. 28) weist auf die verhängnisvolle „Scheidung von theoretischer Bildung und praktischer
Ausbildung“ in der deutschen Bildungsgeschichte hin, die letztlich auf gesellschaftlich-politische Einflus-
sinteressen zurück geht und soziale Ungleichheit befördert hat. 2 In Anlehnung an Litt verweist Klafki (1975, S. 93) darauf, dass Bildung eine Verfassung des Menschen ist,
„die ihn in den Stand setzt, sowohl sich selbst als auch seine Beziehung zur Welt in Ordnung zu brin-
gen“.
Zwischen Vermittlern3 und Adressaten besteht ein mehr oder weniger ausgepräg-
tes Kompetenzgefälle. Die Adressaten haben die Einrichtung und damit auch die
Lehrkraft ausgewählt, weil sie von ihm/ihr erwarten, dass er/sie ihnen in Zusam-
menhang mit sportlicher Bewegung etwas vermittelt, also neue Kompetenzen an-
bahnen oder vorhandene weiter entwickeln kann. Die Vermittler sind also gut bera-
ten, wenn sie ihre Rolle und die an sie gerichteten Erwartungen gut reflektieren und
dann angemessene didaktische Entscheidungen treffen. Diese didaktische Grund-
situation lässt sich bildlich als ein Dreieck darstellen:
Abb. 1: Didaktisches Dreieck (modifiziert nach Scherler 2004, S.17)
Eine Unterrichtssituation ist gekennzeichnet durch das kommunikative Aufeinander-
treffen von einer Lehrperson mit einer Adressatengruppe; beide Seiten haben be-
stimmte Vorstellungen und Erwartungen. Sie treffen wegen einer Sache, einer
Sportart oder einer Bewegungsform, die eine spezifische Sachstruktur aufweist und
entsprechende Anforderungen stellt, aufeinander. Dies geschieht in einem be-
stimmten institutionellen Rahmen, z. B. in einem Fitnessstudio, in einem Verein o-
der bei Reiseveranstalter. Auch die Institution verfolgt bestimmte Zielsetzungen, die
beispielsweise kommerzieller oder kultureller Art sein können. Sie verfügt über eine
nutzbare Ausstattung, die aber kurzfristig variabel sein kann. Schließlich findet die-
se Begegnung in einem historischen und soziokulturellen Kontext statt. So können
z. B. sportliche Großveranstaltungen, politische Entwicklungen oder kulturelle
Trends die Möglichkeiten, Bedürfnisse und Interessen der Beteiligten erheblich be-
einflussen. Zu bedenken sind schließlich auch rechtliche und finanzielle Bestim-
3 Der Begriff „Vermittler“ wird hier synonym zum Begriff der „Lehrkraft“ verwendet. Die Aufgabe besteht da-
rin, die „Sache“ (Sportart oder sportartungebundener Bewegungsform) den Teilnehmern zu vermitteln,
bzw. zwischen den Anforderungen der Sache und den Lernenden vermittelnde Wege aufzuzeigen.
mungen im Gesundheitswesen, die sich häufig ändern und die die Voraussetzung
für viele Maßnahmen im Gesundheitssport darstellen.
Ist Sport Bildung?
Als Ziel jeglicher Bildungsarbeit sieht Klafki (2001, S. 28) es an, den „Lernenden
Hilfen zur Entwicklung ihrer Selbstbestimmungsfähigkeit und Solidaritätsfähigkeit“
zu geben. Der Mensch wird aus anthropologischer Sicht grundsätzlich als „bildsam“
betrachtet; d. h., er hat von Natur aus keine feste Bestimmung, er muss diese viel-
mehr in Auseinandersetzung mit den Einflüssen und Anforderungen der (Um-)Welt
selbst finden (Benner 2012). Erziehungsarbeit bedeutet somit „Aufforderung zur
Selbsttätigkeit“ durch die Operationen des Fragens und Zeigens (Benner 2012).
Die Menschen sollen in die Lage versetzt werden, selbstbestimmt an kulturellen
Feldern, so auch dem Sport, teilnehmen zu können. Ein „Moment“ der Selbstbe-
stimmungsfähigkeit ist somit kompetente „Mitbestimmungsfähigkeit“. Damit ist ein
Zielbegriff der Allgemeinbildung4 umrissen. Eine sportive Bewegungsbildung ist für
Klafki (2001, S. 28) eine unverzichtbare Dimension allgemeiner Bildung, denn zur
Erfüllung des Grundrechtes auf „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ gehört u. a. ei-
ne Bildung „der ästhetischen Wahrnehmungs-, Gestaltungs- und Urteilsfähigkeit,
des lustvollen und zugleich verantwortlichen Umgangs mit dem eigenen Leib - nicht
zuletzt der Entwicklung der individuellen Bewegungsfähigkeit - in Anerkennung der
leiblichen und seelischen Integrität des bzw. der Mitmenschen“ (Klafki 2001, S. 22).
Für die Frage, welche Kompetenzen in sportiven Settings grundsätzlich vermittelt
werden sollten, ergibt sich damit eine Reihe von Hinweisen, denn Klafki nennt als
konstitutive Momente einer solchen Bildung:
- Rationale Diskursfähigkeit, d. h. Fähigkeit zu Begründung und Reflexion.
- Entwickelte Emotionalität und Handlungsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, auf die
eigene Beziehung zur natürlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit aktiv
einzuwirken (Klafki 1985, S. 199).
Was heißt es, „kompetenzorientiert“ zu unterrichten?
Kompetenzorientierte Sportvermittlung bedeutet, dass den Adressaten durch das
Angebot die Möglichkeit eröffnet wird, motorisch, sozial, emotional und kognitiv et-
was zu lernen, was sie in die Lage versetzt, Probleme zu lösen. Ziel ist eine „reflek-
tierte Praxis“ (Serwe-Pandrick 2013). Versucht man diese Zielebenen in operatio-
nale Bereiche zu unterteilen, kann man in Anlehnung an den Psychologen und
Anthropologen Heinrich Roth zwischen „Sachkompetenz“ und „Sozialkompetenz“
unterscheiden. Zusammengenommen führen beide Kompetenzbereiche zur
„Selbstkompetenz“, die synonym zu den bei Klafki genannten Bildungszielen
4 Vgl. dazu Klafkis Studie zu den Dimensionen der Allgemeinbildung (Klafki 1985, 12ff))
Selbstbestimmungs-, Solidaritäts- und Mitbestimmungsfähigkeit zu verstehen ist
(vgl. Gissel 2014, S. 77).
Ein kompetenzorientierter Sportunterricht ist immer radikal adressatenbezogen. Es
geht um die individuellen Menschen, mit ihrer persönlichen Geschichte, ihren Stär-
ken, Schwächen, Eigenschaften und Bedürfnissen. Diese Menschen sind in ihrer
Individualität der Lehrkraft in einer ganz bestimmten Situation unter ganz bestimm-
ten Bedingungen anvertraut. Der Unterricht ist daher immer zunächst vor dem Hin-
tergrund der Analyse der Lerngruppe aus zu planen und erst in zweiten Linie von
der Sache, dem Unterrichtsinhalt, her. Dabei sind die Adressaten nicht als Defizit-
wesen zu betrachten, sondern als bereits kompetente Teilnehmer des Vermitt-
lungsangebots. Daher muss es das Ziel sein, ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, ih-
re Kompetenzen gezielt und individuell zu erweitern. Sie sollen insbesondere beim
Gesundheitssport in die Lage versetzt werden, ihre körper- und bewegungsbezo-
genen Probleme kognitiv zu durchdringen und reflektiert zu lösen.
In Anlehnung an die sog. „Klieme-Expertise“ (BMBF 2007, S. 72) verstehen wir un-
ter sportbezogenen Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie er-
lernbaren kognitiven und motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte
Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und
sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Si-
tuationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. Es geht also um
Fertigkeiten und Kenntnisse, aber auch Fähigkeiten, Erfahrungen, Einsichten und
Einstellungen, die den Menschen zu einem sozial verantwortungsvollen und selbst-
bestimmten Handeln befähigen (vgl. Döhring & Gissel 2014, S. 8f.).
Grundlagen der Unterrichtsplanung
Für Unterrichtsnovizen stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge die verschiede-
nen Elemente der Unterrichtsplanung bedacht und entschieden werden sollten,
denn offensichtlich beeinflussen sie sich alle irgendwie gegenseitig (sog. „Interde-
pendenz“). Die sog. „Berliner“, unterrichtstheoretische Didaktik (Heimann, Otto &
Schulz 1965) hat ein Grundschema zur Analyse aller didaktischen Situationen ent-
worfen, das wir in seinen Eckpunkten übernehmen. Danach sind drei Ebenen zu
unterscheiden, nämlich
- die Ebene der Voraussetzungen,
- die Ebene der Entscheidungen und
- die Ebene der Folgen/Auswertung.
Abb. 2: Schema der unterrichtstheoretischen Berliner Didaktik (zit. n. Peterßen 1991, 84)
Bei der theoretischen Fundierung orientieren wir uns an der sog. „bildungstheoreti-
schen“ Didaktik Klafkis (1985), die er in ein „Perspektivschema“ zur Unterrichtsvor-
bereitung überführte. Beide Modelle sind in der Sportdidaktik in das Planungskon-
zept von Döhring & Gissel (2014) eingegangen, das sich aber auf den Schulsport
bezieht und die dort gebräuchlichen Termini verwendet. Ausgehend von diesem
sportdidaktischen Ansatz versuchen wir hier einen allgemeinen Rahmen für sport-
bezogene Unterrichtssituationen jeglicher Art, vor allem auch außerhalb schulischer
Bildungseinrichtungen, zu finden. Zunächst wollen wir einige zentrale Begriffe klä-
ren:
Unter Unterrichtsplanung verstehen wir die gedankliche Vorwegnahme aller wichti-
gen unterrichtlichen Entscheidungen unter Berücksichtigung der beeinflussenden
Voraussetzungen.
Unter Unterrichtsvorbereitung verstehen wir das Bereitstellen aller notwendigen
persönlichen und sachlichen Ressourcen für einen effektiven Unterricht ( Döhring &
Gissel 2014, S. 5).
Grundsätzlich plädieren wir dafür, dass das Unterrichtsvorhaben bzw. die Unter-
richtsreihe (Kurs) den Ausgangspunkt für die Planung darstellt. Wir verstehen da-
runter die durch eine einheitliche Thematik aufeinander bezogenen und aufbauen-
den Unterrichtsstunden über einen Zeitraum von mehreren Tagen oder sogar Wo-
chen (vgl. „mittelfristige“ Unterrichtsplanung bei Peterßen 1991)5. Der Unterricht
sollte also nicht von Stunde zu Stunde geplant werden, sondern es sollte systema-
tisch, nachhaltig und aufeinander aufbauend an einer Problematik bzw. Thematik
gearbeitet werden.
Wir folgen dabei den „Grundsätzen“ der Unterrichtsplanung nach Peterßen. (1991,
S. 32-42) Danach hat die Planung den Prinzipien Kontinuität, Eindeutigkeit und Wi-
derspruchsfreiheit zu folgen. Sie soll aber auch reversibel und angemessen sein.
Wir fügen als weiteres Prinzip noch das der Offenheit hinzu. (vgl. Döhring & Gissel
2014, S. 24)
Der Grundsatz der Kontinuität bedeutet, „eine einmal gefällte Lehrentscheidung
konsequent weiterzuverfolgen“, solange sie sich im laufenden Evaluationsprozess
als sinnvoll erweist (Peterßen 1991, S. 33).
Der Grundsatz der Eindeutigkeit meint, „jede didaktische Entscheidung so zu tref-
fen, daß in ihr unmißverständlich die beabsichtigten Maßnahmen für die Auslösung,
Steuerung und inhaltliche Gestaltung des Unterrichts zum Ausdruck kommt“ (Pe-
terßen 1991, S. 38).
Der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit meint, „alle didaktischen Entscheidungen
so zu treffen, daß sie in sich stimmig sind“ (Peterßen 1991, S. 40).
Der Grundsatz der Angemessenheit bedeutet, dass die beabsichtigten Unter-
richtsmaßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zueinander, zu den Voraus-
setzungen und vor allem zu den Bedürfnissen der Teilnehmer/-innen, aber auch
der verantwortlichen Institution, stehen. Auch soll „der Aufwand des Lehrers bei der
Planung den tatsächlichen Erfordernissen der Unterrichtspraxis angemessen sein“
(Peterßen 1991, S. 42).
Die Grundsätze der Reversibilität und Offenheit bedeuten, „alle Entscheidungen so
zu treffen, daß sie einer ständigen Revision unterzogen und unter bestimmten Um-
ständen zugunsten neuer Entscheidungen verändert oder sogar aufgehoben wer-
den müssen“ (Perterßen 1991, S.35). Hierbei ist stets zu prüfen ob und in welcher
Form die Adressaten an den Entscheidungs- und Revisionsprozessen beteiligt
werden können.
Felder des Planungsschemas
In dem folgenden Planungsschema werden alle Faktoren dargestellt und begrün-
det, die aus der Sicht der Autoren eine unterrichtliche Relevanz beinhalten und
5 Auch hier folgen wir Klafki, der „die thematisch bestimmte Unterrichtseinheit oder das Unterrichtsprojekt
bzw. die durch einen zielorientierten, thematischen Zusammenhang definierte Lehrgangssequenzen als
Grundeinheit“ des Planens betrachtet, aus dem heraus einzelne Stunden entwickelt werden können.
(Klafki 1985, S. 210).
nicht nur die Grundlage für das Vermitteln selbst, mit den notwendigen Anpassun-
gen bzw. Veränderungen, sondern auch für anschließende Unterrichtsreflexion
darstellen. Die bewusste und detaillierte Auseinandersetzung und Dokumentation
der Planungsschritte sowie deren Begründungen ist für unerfahrene Lehrende die
Basis für eine systematische und nachhalte Entwicklung von Lehrkompetenz. Für
erfahrende Lehrende hingegen dient die systematische Planung von Unterricht
auch der Verdeutlichung von Routinen und Gewohnheiten und kann somit einen
wesentlichen Beitrag leisten, den Unterricht für die Zielgruppe und schließlich auch
für sich selbst interessanter, effektiver und motivierender zu gestalten.
Analyse der Unterrichtsbedingungen (Bedingungsanalyse)
Gesellschaftliche soziokulturelle Bedingungen:
Vor der eigentlichen Planung des Unterrichtsgeschehens steht die Analyse der Vo-
raussetzungen. Der Unterricht wie auch die vorangegangene Planung entstehen
vor einem zeitgeschichtlichen und sozio- kulturellen Hintergrund. Vielleicht fanden
gerade Olympische Spiele oder eine Fußball-WM statt, vielleicht gibt es gerade
neue sportive Trends, vielleicht entwickelt sich aber auch gerade eine globale oder
lokale Wirtschaftrezession, die dazu führt, dass bei den potenziellen Adressaten
wirtschaftliche Ängste dominieren und sie nur noch in geringem Umfang bereit sind,
für Sport- und Freizeitangebote Geld auszugeben. Diese gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen betreffen die Adressaten, die Einrichtung, in der der Unterricht
stattfinden soll, aber auch den Vermittler. Ein Verdrängen der Rahmenbedingungen
führt dazu, dass man sich ihnen ausliefert. Eine intensive Analyse dieser Bedin-
gungen ist hingegen die Voraussetzung dafür, auf sie zu reagieren, indem z. B. po-
sitive Trends aufgegriffen werden und negative Entwicklungen durch angemessene
Strategien entschärft werden. Deutlich konkreter als bei Unterrichtssituationen im
schulischen Kontext muss nach Auffassung der Autoren daher die Analyse der in-
stitutionellen Rahmenbedingungen stattfinden.
Für die Analyse der Institutionellen Rahmenbedingungen stellen sich daher folgen-
de Fragen:
- Wer ist mein Arbeit- bzw. Auftraggeber? Welche Erwartungen knüpft er an
meinen Unterricht? Gibt es einen institutionellen Lehrplan? Welche ökonomi-
schen Voraussetzungen und Interessen sind zu berücksichtigen?
- Es gilt, die wirtschaftliche Ausrichtung der Einrichtung zu berücksichtigen.
Handelt es sich um eine Institution die eher dem profit-Bereich (z. B. kom-
merzielle Sportschulen/-anbieter) oder dem non-profit-Bereich (z. B. Einrich-
tungen im organisierten Sport) zuzuordnen ist?
- Wie lautet das Konzept/die Philosophie/die Satzung der Einrichtung? Hat
sich ein bestimmtes Flair, ein bestimmter Zielgruppenbezug in der Einrich-
tung entwickelt? Gibt es Aspekte des Corporate Identity-Konzeptes der Ein-
richtung, die zu beachten sind?
- Was müssen die Kunden/Mitglieder für das Angebot bezahlen? Was erwar-
ten sie dafür? Welche Eigenleistungen kann ich von ihnen erwarten bzw.
nicht erwarten (Bereitstellung/Aufbau der Geräte, Pflege der Materia-
lien/Sportgeräte, etc.)
- Wie ist das Kollegium strukturiert und qualifiziert? Wie arbeiten die Mitarbei-
ter? Welche Möglichkeiten der Kooperation gibt es?
- Wo soll der Unterricht stattfinden? Welche infrastrukturellen Möglichkeiten
habe ich dort? Welche Sportanlagen, -geräte, Medien usw. stehen zur Verfü-
gung?
- Im Natursport bzw. Outdoorsport: Wie sind die konstanten Umgebungsbe-
dingungen (z. B. Gelände, Wasser) und welche variablen Bedingungen sind
relevant (z. B. Wetter, Schneebeschaffenheit)?
- Welcher zeitliche Rahmen steht für das Angebot zur Verfügung?
- Welche Rollenerwartungen werden darüber hinaus (von gesellschaftlichen
Institutionen, Medien, Eltern usw.) an die Einrichtung und damit auch an mich
als Repräsentanten der Einrichtung gestellt?
Adressatengruppe:
Unter allen zu analysierenden Elementen auf der Bedingungsebene kommt der Ad-
ressatengruppe die zentrale Bedeutung zu. Das Unterrichtsgeschehen richtet sich
an sie, muss auf sie und ihre Bedürfnisse abgestimmt sein und soll ein (Bildungs-
)Angebot darstellen, das es dieser ganz konkreten Gruppe von Menschen ermög-
licht, Kompetenzen zu erlangen, zu verändern oder zu erweitern. Um also für diese
Gruppe von Individuen, die eine ganz persönliche Biographie, ganz individuelle Er-
fahrungen, Bedürfnisse, Wünsche, Ziele, Ängste und Sehnsüchte haben, ein pas-
sendes Sport- und Bildungsangebot zu entwickeln und zu inszenieren, muss man
als Vermittler zunächst versuchen, Informationen über die Teilnehmer zu sammeln
(z. B. durch Beobachtungen, Befragungen, Hinweise der Einrichtung). Diese sollten
dabei nicht als Defizitwesen betrachtet, sondern als kompetente und ernst zu neh-
mende Teilnehmer behandelt werden. Ziel ist es, ihnen den Erwerb weitergehender
Kompetenzen zu ermöglichen und sie damit in ihrer persönlichen Entwicklung zu
fördern. Eine Analyse der Teilnehmergruppe ist auch aus ganz konkreten organisa-
torischen, methodischen und teilweise auch wirtschaftlichen Gründen notwendig.
Aus diesen Annahmen lassen sich nachstellende Leitfragen für die Adressatenana-
lyse ableiten:
- Wie viele Teilnehmer habe ich eigentlich? Ist ihre Zusammensetzung stabil
oder muss ich mit einer Teilnehmerfluktuation rechnen?
- Existieren unter den Adressaten soziale Strukturen wie z. B. Bekanntschaf-
ten/Antipathien, die bei Gruppenbildungen oder taktischen Maßnahmen be-
deutsam sein könnten?
- Welche Altersgruppen sind vertreten?
- Wie ist die Verteilung der Geschlechter? Welche Geschlechterbilder und
- -vorstellungen sind zu erkennen?
- Gibt es in der Gruppe soziale oder kulturelle Hintergründe, die von Bedeu-
tung sein könnten (Berufsgruppen, Schicht, Milieu, Migration, Behinderung,
Religion)?
- Welche Vorerfahrungen liegen vor? Vorerfahrungen können sich auf den
Sport allgemein, den Gegenstand des Angebots (positive wie negative Erfah-
rungen), Unterrichtsmethoden und Kommunikationsformen beziehen.
- Wie ist der sportliche und gesundheitliche Status der Teilnehmer?
- Welche Motivation haben die Teilnehmer, an dem (Sport-)Angebot teilzu-
nehmen? Welche Intention verfolgen sie mit der Teilnahme?
Eigenanalyse:
Ein zentrales Merkmal professionellen Handelns von Menschen in Vermittlungspo-
sitionen ist ihre Reflexivität. Nur wer ehrlich zu sich selbst ist, wer seine Stärken
und Schwächen kennt, wer seine auszufüllende Rolle reflektiert hat und die vielfäl-
tigen Erwartungen kennt, die an ihn gerichtet werden, kann entsprechend reagieren
und angemessene Entscheidungen treffen. Die Lehrkraft sollte daher über folgende
Fragen nachdenken:
- Was ist die zentrale Aufgabe, die ich hier zu erfüllen habe? Wie lautet mein
Auftrag? Wofür werde ich eigentlich bezahlt? Wie ist meine vertragli-
che/rechtliche Position gegenüber den Teilnehmern und der Institution?
- Was sind meine professionellen und biographischen Stärken, die ich als Per-
son in das Unterrichtsgeschehen einbringen kann?
- Wie ist mein kollegiales und soziales Umfeld strukturiert, um ggf. in Krisensi-
tuationen (Vertretung in Krankheitsfällen, Expertenaustausch, fehlendes oder
defektes Material) Hilfestellungen zu bekommen? Bin ich bereit, Hilfestellun-
gen (von wem?) anzunehmen?
- Welche Schwächen (in Bezug auf den Unterrichtsgegenstand, die möglichen
methodischen Vorgehensweisen, Kommunikationsformen usw.) habe ich
(noch)? Wie kann ich sie ggf. kurzfristig ablegen oder kompensieren? Was
will ich langfristig verändern?
- Wie will ich mein Privatleben organisieren, damit es zu möglichst wenigen
Konfliktbereichen mit meiner professionellen/ehrenamtlichen Tätigkeit
kommt?
- Wie viel Nähe will ich zulassen, wie viel Distanz muss ich wahren (zu den
Teilnehmern, zu meiner arbeitgebenden Institution, zum Inhalt des Unter-
richts, zu Akteuren im Hintergrund (z. B. Medien, Verwandten der Teilneh-
mer, Kollegen, konkurrierenden Anbietern)?
- Welche (beruflichen) Perspektiven verfolge ich im Zusammenhang mit mei-
ner Unterrichtstätigkeit in dieser Einrichtung?
- Welche formalen Qualifikationen sind ggf. zwingend notwendig (z. B. Berg-
führer-Lizenz, Lizenzen für den Rehasport) oder sind empfehlenswert? Wie
ist meine persönliche Haftung gegenüber Dritten geregelt (z. B. private Versi-
cherungen oder Versicherungen der Einrichtung für die Lehrenden).
Bedarf/Intentionen:
Bevor Planungsentscheidungen getroffen werden, ist schließlich darüber nachzu-
denken, wer mit welchen Intentionen in das Unterrichtsgeschehen involviert ist. Da
sind zunächst die teilnehmenden Adressaten, die mit mehr oder weniger konkreten
Wünschen, Zielen, Hoffnungen, Erwartungen und sozialen Bedürfnissen an die In-
stitution und den Vermittler heran treten und bereit sind, dafür Zeit, Geld, Anstren-
gungen und Weiteres zu investieren. Natürlich ist das Unterrichtsgeschehen so zu
gestalten, dass diese Bedürfnisse (weitestgehend) erfüllt werden können. Als Ver-
mittler, der über einen entsprechenden Kompetenzvorsprung verfügt, hat man aber
auch die Verantwortung, diese Intentionen und Erwartungen/Ansprüche ggf. auf ein
angemessenes, realistisches und verantwortbares Maß zu reduzieren oder umge-
kehrt auch neue Motivationslagen zu generieren. Diese Anforderung ist insbeson-
dere in hochbezahlten kommerziellen Strukturen vielfach schwierig zu erfüllen (z.
B. Privatstunde in der die Voraussetzungen des Teilnehmers mit der formulierten
(gebuchten) Zielsetzung divergieren).
Des Weiteren ist da aber auch die arbeitgebende Institution, die unter anderem das
Interesse hat, die Teilnehmer (z. B. finanziell) zu binden. Es wird also erwartet,
dass die Adressaten durch die Qualität des Unterrichts dazu gebracht werden, die
Angebote der Institution auch weiterhin, möglichst umfangreich und langfristig zu
nutzen. Aus pädagogischer Sicht entsteht hier möglicherweise ein Widerspruch.
Kompetenzorientierter Unterricht zielt darauf ab, bei den Teilnehmern die Fähigkeit
es selber hinzukriegen, also zur selbstbestimmten Handlungsfähigkeit zu entwi-
ckeln. Die Aufgabe von Einrichtungen mit pädagogischem oder therapeutischem
Anspruch ist es, sich selbst überflüssig zu machen.6 Man kann somit als Vermittler
zwischen diesen divergierenden Intentionen nur dann angemessen (re-)agieren,
wenn man sie kennt und die Hintergründe reflektiert hat. Die beste Antwort auf die-
se Fragen ist fast immer ein gut geplanter und vorbereiteter Unterricht!
Entscheidungsebene
Im Verlauf eines Planungsprozesses müssen unterschiedlichste Entscheidungen
getroffen werden. Diese kann man in Was-Entscheidungen (didaktische Entschei-
dungen) und Wie-Entscheidungen (methodische Entscheidungen) unterteilen.
Gleichwohl besteht zwischen allen Planungselementen eine Interdependenz. Das
bedeutet, dass sich alle Punkte gegenseitig beeinflussen (können). So wird z. B.
6 Benner (2012, 91) spricht von der „Finalität“ der Pädagogik. Zugleich verweist er darauf, dass die pädago-
gische Praxis nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu anderen gesellschaftlichen Praxen, z. B. der
ökonomischen, religiösen oder politischen, stehen darf. Das bedeutet, dass Bildung instrumentalisiert
und damit pervertiert wird, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend einer ökonomischen Logik folgt.
Verantwortungsbewusste und reflektierte Lehrkräfte müssen für sich entscheiden, wie weit sie den
kommerziellen Interessen ihrer Arbeitgeber folgen können.
eine didaktische Entscheidung, die Körperwahrnehmung zu thematisieren, sehr
wahrscheinlich eine offene Inszenierungsform nahe legen.
Inhalt, Thema und bildende Perspektiven:
Im Mittelpunkt der didaktischen Entscheidungen steht das Thema. Das Thema ist
das bindende Glied des ganzen Unterrichtsvorhabens (Kurses, Lehrgangs, Trai-
ningszyklus etc.). Es entsteht aus der Verknüpfung von einem Unterrichtsgegen-
stand7 und (mindestens) einer bildenden (Bildung ermöglichenden) Perspektive.
Unterrichtsgegenstände können Sportarten, Bewegungsfelder (Sportartengruppen),
sportartungebundene Bewegungsformen (z. B. Fitnesstraining) oder andere bewe-
gungskulturelle Bereiche (z. B. Tanz) sein. Es handelt sich um Ausschnitte aus der
kulturellen Wirklichkeit. Sie sind in der Regel im außerschulischen Bereich vorge-
geben, denn die Kunden/Patienten/Sportler kommen meist genau wegen dieses
Gegenstandes in die Institution. Gleichwohl sind sie in ihrer Struktur, ihrem Anfor-
derungsprofil, ihrer Zweckgebundenheit und in ihrem ästhetischen Gehalt zu analy-
sieren, um sachgemäße methodische Entscheidungen treffen zu können.
Die noch recht allgemeinen Unterrichtsgegenstände stellen für sich aber noch kein
Thema dar. Mit ihnen kann Unterschiedlichstes verbunden werden. Sie können für
vieles instrumentalisiert werden und eine ungerichtete Auseinandersetzung mit
ihnen kann zu allem Möglichen (Zielen) führen. So kann z. B. das ausdauernde
Laufen unter der Leistungsperspektive (10.000 m Zeit verbessern), unter einer Ge-
sundheitsperspektive (Herz-Kreislauftraining), aus einer sozialen Anschlussper-
spektive (Lauftreffs) oder aus einer Körpererfahrungsperspektive (meditatives Lau-
fen) betrieben werden. Erst durch die Verknüpfung eines Gegenstandes mit einer
oder mehreren spezifischen Perspektive eröffnet sich ein breites Spektrum mögli-
cher Themen. Es liegt an der pädagogisch-didaktischen Kompetenz der Lehrkraft
sowie an seinem/ihrem innovativen Potenzial gehaltvolle Themen zu finden, wenn
der Lehrkraft dazu die entsprechenden Freiräume (z. B. durch den Auftraggeber)
gewährt werden.
Im Gegensatz zu der üblichen Terminologie des Schulsports, sprechen wir von bil-
denden Perspektiven, denn erst durch sie entsteht ein spezifischer Bildungsgehalt
in einem zielgerichteten Unterrichtsvorhaben. In Anlehnung an die sog. Pädagogi-
schen Perspektiven des Schulsports können z. B. die Phänomene Gesundheit, Ko-
operation, Leistung, Wagnis/Verantwortung, Ästhetik oder Körperwahrnehmung ak-
zentuiert werden. Insbesondere im außerschulischen Bereich ist diese Liste jedoch
keinesfalls vollständig; hier wäre u. a. auch an die Felder und Motive Natur/Umwelt,
Transzendenz/Spiritualismus, Genuss, soziale Anbindung, Bodyforming“, Verteidi-
gung/Durchsetzung oder einfach nur die Verbesserung der sportlichen Technik als
7 Gegenstände eines Unterrichts sind nach pädagogischen Gesichtspunkten ausgewählte, relativ komplexe
Gegenstände der Kultur oder Natur. Unterrichtsinhalte sind zunehmend konkrete Teilbereiche dieser
Gegenstände. Nach dieser Auffassung ist „Fußball“ z.B. ein Gegenstand und Kurzpassspiel ein mögli-
cher Unterrichtsinhalt.
Selbstzweck etc. gedacht werden. Um es zu konkretisieren sei folgendes Beispiel
genannt: Ein Thema in einem Fußballlehrgang für Nachwuchsspieler könnte z. B.
lauten:
Das Überwinden der Defensivmaßnahmen des Gegners und das Herausspielen
von Vorteilssituationen durch kooperatives Kurzpassspiel. Fußball wäre dann der
Gegenstand, Kurzpassspiel der Inhalt und Kooperation die bildende Perspektive.
Ein Thema aus einem Skilehrgang könnte lauten:
Verbesserung der Kantaktionen aus den unteren Extremitäten zur Bewältigung stei-
ler, eisiger Hänge durch Akzentuierung taktiler, kinästhetischer und vestibulärer
Körper- und Bewegungswahrnehmung. Skifahren wäre der Gegenstand, Kurven-
fahren im steilen, eisigen Gelände der Inhalt und Körperwahrnehmung die bildende
Perspektive.
Die Sachanalyse/Inhalte:
In vielen Unterrichtsentwürfen wird die Sachanalyse auf die (zweifellos wichtigen)
Aspekte der konditionellen Anforderungen sowie der biomechanischen Struktur der
Inhalte reduziert. Wichtig ist im Sinne Klafkis jedoch zunächst einmal die Inhalte auf
ihren Bildungswert und damit auf ihre Legitimation als Unterrichtsgegenstand hin zu
überprüfen. In Anlehnung an die klassische „Didaktischen Analyse“ von Klafki
(1975) wäre über folgende Fragen nachzudenken:
- „Gegenwartsbedeutung: Welche Bedeutung hat der betreffende Inhalt bzw.
die an diesem Thema zu gewinnende Erfahrung, Erkenntnis, Fähigkeit oder
Fertigkeit bereits im geistigen Leben der Teilnehmer meiner Gruppe, welche
Bedeutung sollte er, vom pädagogischen Gesichtspunkt aus gesehen, darin
haben?
- Zukunftsbedeutung: Worin liegt die mögliche Bedeutung des Themas für die
Zukunft der Teilnehmer?
- Exemplarische Bedeutung: Welchen größeren bzw. welchen allgemeinen
Sinn- oder Sachzusammenhang vertritt und erschließt dieser Inhalt? Welches
Urphänomen oder Grundprinzip, welches Gesetz, Kriterium, Problem, welche
Methode, Technik oder Haltung lässt sich in der Auseinandersetzung mit ihm
(exemplarisch) erfassen (lateraler Lerntransfer)?
Gerade die Frage nach der exemplarischen Bedeutung macht das Grundanliegen
eines kompetenzorientierten Sportunterrichts deutlich. Die Teilnehmer sollen etwas
lernen, was über den Moment der erfüllten Teilnahme hinaus führt. Sie sollen etwas
mitnehmen, das persönlichkeitsbildend ist und in anderen Lebenssituationen hilf-
reich sein kann.
In Anlehnung an den Sportpädagogen Meusel (1976) sollten bei der Strukturanaly-
se des Gegenstandes weitere Dinge bedacht werden, um eine pädagogisch ge-
haltvolle Methodik zu inszenieren. Diese Strukturelemente sollen aber nicht quasi
objektivistisch analysiert werden, sondern von Anfang an in Bezug auf die Teilneh-
mer. Es ist immer zu fragen: Was sollen meine Teilnehmer von den Strukturen des
Gegenstandes und seinem (möglichen) Bildungsgehalt erfahren und mitnehmen?
Sportartspezifische Aktionsziele:
- Regelwerk (einfach/ komplex, einsichtig, leicht zu modifizieren)
- Spielgedanke/ Wettkampfziel
- Gesellschaftlicher Bezug (Tradition/Brauchtum)
- Techno- und psychomotorische Struktur der Bewegungsformen: Konditionell-
motorisches Anforderungsprofil, technomotorisches Anforderungsprofil (Fer-
tigkeiten/Techniken), taktisches Anforderungsprofil (Wahrnehmungs- und
Entscheidungsleistungen)
- Lernhindernisse: Was liegt in dem Gegenstand, das es manchen/vielen
schwer macht, zu lernen? (z. B. ungewohnte Drehbewegungen, Bewegungs-
rhythmus, Bewegungen in der Höhe oder auf ungewohntem Untergrund,
Veränderungen des Körperschemas durch Sportgeräte (z. B. Skier, Golf-
schläger), Bewegungen, die Angst erzeugen
Sachliche Umwelt (situative Realisierungsvariablen):8
- Welche meteorlogischen Bedingungen (z. B. Wind, Schnee, Temperatur)
sind für das Ausüben dieser Sportart erforderlich?
- Welche Sportanlagen/natürlichen Bewegungsbedingungen (Wasser, Wald,
Berge) werden benötigt?
- Welche Sportgeräte und welche Ausrüstung ist notwendig bzw. sinnvoll?
Ästhetische Erlebnisgehalte:
- Kinästhetisch-taktiles Erleben
- Gleichgewichtserleben
- Erleben der Umwelt
- Erleben von Geschwindigkeit und Kräften (z. B. auch Drehungen)
Interpersonale Prozesse:
- Konkurrenz mit Gegnern (Individual-, Partner, Mannschaftssportarten)
- Konkurrenz im Team
- Kooperation (mit Partnern oder im Team)
- Auseinandersetzung mit Schiedsrichtern/Offiziellen
- Auseinandersetzung mit Externen (Presse/Zuschauer)
8 Diese Anforderungen des Unterrichtinhalts müssen mit den in der Bedingungsanalyse festgestellten tat-
sächlichen Voraussetzungen abgeglichen werden. Evtl. muss ein vorgesehenes Thema danach aufge-
geben werden.
Nur wer sein Handwerk (die Sache) beherrscht und sie in ihrer Komplexität analy-
siert hat, wird in der Lage sein, für eine spezifische Lerngruppe eine angemessene,
begeisternde und sichere Methodik unter den jeweiligen Rahmenbedingungen zu
konstruieren und zu organisieren. Um dies zu konkretisieren, wollen wir hier kurz
noch einmal den Punkt der techno- und psychomotorischen Anforderungen von
Bewegungsformen herausgreifen:
Konditionelle Anforderungen: Die meisten Sportarten oder (kulturellen) Bewegungs-
formen (z. B. Ballett) erfordern spezifische konditionelle 9bzw. koordinative Voraus-
setzungen ohne die sie nicht, nur kurz oder nur unter besonderen Gefährdungen
durchgeführt werden können (z. B. Turnen, Klettern). Eine Analyse der konditionel-
len Voraussetzungen ist also notwendig, um zu entscheiden, ob ggf. erst einmal
grundlegend oder auch spezifisch das notwendige Potenzial an Kraft, Schnelligkeit,
Ausdauer oder Beweglichkeit entwickelt werden muss.
Biomechanik/technomotorische Anforderungen der Sportart/Bewegungen: Eine bi-
omechanische Analyse zeigt die dynamische Struktur der zu lernenden Bewegun-
gen auf. Gibt es einleitende/vorbereitende Phasen (z. B. Anlaufbewegungen)?
Welche Besonderheiten charakterisieren die Hauptphase? Worauf kommt es bei
der Endphase an? Diese (funktions-)analytische Betrachtung ist notwendig, damit
sich der Ausbilder zunächst einmal selber (noch einmal) die Struktur der vorgese-
henen Bewegungen klar macht. Welche Anforderungen stellt die Bewegung? Wel-
che Gefahren beinhaltet sie? Wo liegen die Knotenpunkte, auf die ich in der Ver-
mittlung besonders eingehen muss? Welche taktilen, vestibulären, kinästhetischen
Analysatoren werden durch sie gefordert? Welche grundlegenden oder speziellen
koordinativen Anforderungen sind erkennbar?
Diese Fragen sind wichtig, um konzeptionelle methodische Entscheidungen zu tref-
fen, z. B. ob (geschlossene) Bewegungsanweisungen notwendig sind oder ob (of-
fene) Bewegungsaufgaben gestellt werden können. Weiterhin können hier wichtige
kommunikative Vorentscheidungen in Bezug auf Bewegungserklärungen und
-rückmeldungen getroffen werden.
Lernhindernisse: Ein ganz entscheidender Punkt für das Gelingen des Unterrichts-
vorhabens ist in der Sachanalyse die Frage, an welcher Stelle Lernhindernisse auf-
treten könnten. Wo könnten z. B. aufgrund von Höhe, Geschwindigkeitsverläufen
oder Drehungen Bewegungsängste entstehen? An welchen Punkten könnten z. B.
durch körperliche Nähe (Hilfestellungen) oder Präsentationsformen Peinlichkeits-
empfindungen ausgelöst werden. Welche Über- oder Unterforderungen könnten
durch den Gegenstand provoziert werden?
Um sach- und fachgerechte methodische, organisatorische und kommunikative
Entscheidungen treffen zu können, ist es also notwendig die Inhalte des Unter-
9 Die notwendigen athletischen Voraussetzungen werden zwar nicht gesondert aufgeführt, sind aber eben-
falls zu berücksichtigen.
richtsvorhabens intensiv zu analysieren. Die Sache ist vor dem Hintergrund der
Rahmenbedingungen zu betrachten und vor allem auf die jeweilige Lerngruppe zu
beziehen.
Kompetenzerwartungen/Handlungsziele:
Im Rahmen eines adressatenbezogenen und kompetenzorientierten Sportunter-
richts spielt die Zielebene (wieder) eine wichtige Rolle. Die Teilnehmer sollen nach
dem Unterrichtsvorhaben mehr können und/oder mehr wissen als vorher. Sie sollen
zudem eine andere und begründetere Einstellung zu ihrer Körperlichkeit und zu der
Unterrichtsthematik gewonnen haben. Für den Vermittler bedeutet dies, dass er ein
Modell für die anzustrebenden Kompetenzbereiche mit entsprechenden Mindestan-
forderungen entwickeln muss. Ein solches Modell ist aber nur hilfreich, wenn zu-
gleich auch Kriterien (Indikatoren/Operatoren) für die Überprüfung der Kompetenz-
entwicklung bedacht werden.
Die Entwicklung von nachhaltigen sportiven Sach- und Sozialkompetenzen ist ein
langfristiger Prozess. Im Rahmen eines mehrmonatigen Unterrichtsvorha-
bens/Lehrganges ist die Anbahnung von solchen nachhaltigen Lernfortschritten
zweifellos möglich. Im Rahmen von einzelnen Stunden jedoch nicht. Sie müssen in
eine mittel- bis langfristige Lernstrategie eingebunden werden. Es ist aber notwen-
dig auch für Einzelstunden Handlungsziele festzulegen. Damit sind sportive Hand-
lungsformen gemeint, die unbedingt durchgeführt und ggf. reflektiert werden soll-
ten. Diese Zielebene sollte mit den Teilnehmern besprochen und abgestimmt wer-
den, damit für alle Teilnehmer erreichbare, motivierende Ziele angestrebt und for-
muliert werden.
Methodische Wie-Entscheidungen
Nach der Entscheidung für ein Thema und der sachbezogenen und pädagogischen
Analyse des Themas sind Entscheidungen über die konkrete methodische und or-
ganisatorische Umsetzung zu treffen. Hierbei geht es nach Klafki darum, das The-
ma „zugänglich“ und „darstellbar“ zu machen, indem eine Vermittlung „zwischen
den lernenden Subjekten in ihren jeweiligen Ausgangsbedingungen und der betref-
fenden Thematik“ stattfindet (Klafki 1985, S. 214). In diesem Sinne kann methodi-
sches Handeln als das Eröffnen und Inszenieren von Lernchancen gesehen wer-
den.
Unter methodischen (Wie-)Entscheidungen verstehen wir „bewusst eingesetzte
Strategien zur Problemlösung und systematische Verfahrensweisen der Aneignung
und Vermittlung von Fertigkeiten, Fähigkeiten, Kompetenzen und Einsichten“
(Bräutigam 2003, S.137).
Der Vermittler sollte sich klar machen, dass es bei methodischen Fragen immer
auch um Interaktionsformen geht. Es muss also durch geeignete Organisationsfor-
men und Medien eine kommunikative Passung zwischen allen Beteiligten herge-
stellt werden. Viele Vermittler neigen dazu, die Teilnehmer hier zu überfordern, da
ihnen viele Rituale und Sachzusammenhänge aufgrund ihres persönlichen Kompe-
tenzvorsprunges selbstverständlich erscheinen.
Auch für die Lehrenden vollziehen sich in dieser Interaktion Lernprozesse. Sie soll-
ten über ihre Rolle im Interaktionsprozess reflektieren und sich über den Rahmen
ihrer möglichen Handlungsweisen (lehren/vermitteln, beraten, erziehen/betreuen,
diagnostizieren, innovieren) bewusst werden (vgl. Köppe 2002, S. 55 ff.). Gerade
die Kommunikation ist ein Planungsaspekt, der immer wieder unterschätzt wird.
Kommunikation findet in unterschiedlichen Formen und auf unterschiedlichen Ebe-
nen statt. Neben der verbal- sprachlichen Form spielt die körperliche Sprache
(Gestik, Mimik, Körperhaltungen), aber auch die symbolische Sprache (z. B. durch
Kleidung) eine Rolle. Diese Sprachen können wiederum eine sachliche Information,
einen Appell, eine Selbstoffenbarung oder eine Beziehungsaussage transportieren,
wobei diese Ebenen für die Teilnehmer oft nicht leicht auseinander zu halten sind.
Ungeplante und unreflektierte Kommunikation durch die Lehrkräfte kann schnell zu
unliebsamen Überraschungen, Konflikten und Kränkungen führen, die nur schwer
aufgearbeitet werden können. Vermittler stehen immer im Aufmerksamkeitsfokus
der Teilnehmer und können sich ihrer Vorbildrolle nicht entziehen. Es gilt, auch die-
se zu reflektieren und zu planen.
Das Ziel muss es sein, für den Unterricht durch die kommunikative Planung eine
angemessene Lernatmosphäre zu schaffen, welche die Adressaten motiviert, Ver-
trauen schafft und unbegründete Ängste abbaut. Sie ist nach Meyer (2007, S. 212),
in zugegebenermaßen recht normativer Form, definiert durch „Selbstachtung, ge-
genseitigen Respekt und Kooperationsbereitschaft“. Sie hilft, „Gerechtigkeit erfahr-
bar zu machen, Regeln einzuhalten, Verantwortung zu übernehmen, Vertrauen
aufzubauen und fürsorglich miteinander umzugehen.“
In der Regel werden methodische Entscheidungen zeitlich und hierarchisch nach
den thematischen Was-Entscheidungen getroffen. Es geht darum, geeignete „Ver-
fahrensweisen“ zu finden, die die Thematik zugänglich machen. Allerdings hat
Laging (2000) vehement darauf hingewiesen, dass auch die Methodik im Hand-
lungsverlauf Einfluss auf das Thema haben kann und soll. Denn erst im Vollzug der
Bewegungen entstehen die Erlebnisse und erst im Erleben erschließen sich die
sinnlichen Momente für die Teilnehmer und ggf. auch für die Lehrkraft. Hier zeigen
sich die realen Dimensionen, aber auch die Grenzen eines Themas. Gerade wenn
es nicht nur um operationalisierbare Lernziele, sondern um übergeordnete Kompe-
tenzerwartungen geht, wenn das Lernen gelernt werden soll und offene Unterrichts-
formen gewählt werden, können Wege auch Ziele sein (Laging 2000, S. 5-6).
Die grundlegende methodische Planungsfrage lautet:
Sollen die Schüler/-innen auf „selbständigen oder geleiteten, erprobenden oder
nachmachenden, suchenden oder vorgefundenen unterrichtlichen Wegen zum
Können und Wissen, zu Bewegungstätigkeiten und -fähigkeiten, zu Einsichten und
Gewohnheiten, Körperbewusstsein und Spielfähigkeit“ gelangen (Größing 2001, S.
177)?
Diese Vermittlungswege sind keine Gegensätze und schließen sich nicht aus, son-
dern je nach thematischer Entscheidung und je nach Unterrichtsverlauf können
wechselnde Formen angemessen sein.
Darauf aufbauend müssen die Kommunikationsformen zwischen Vermittler und
Lernenden sowie der Lernenden untereinander, aber auch die konkreten Organisa-
tionsformen und ggf. Hilfsmittel geplant werden.
Schließlich ist bei den methodischen Entscheidungen zwischen grundlegenden me-
thodischen Konzepten und Verfahren für das gesamte Unterrichtsvorhaben und
konkreten methodischen Entscheidungen/Maßnahmen in den einzelnen Unter-
richtsstunden zu unterscheiden.
Ein wesentlicher Bestandteil des methodischen Handelns sind Organisationsfor-
men. Sie gewährleisten eine reibungslose, effektive, sichere und der Sache ange-
messene Abfolge der Übungen, Spiele, Explorationen etc.. Hierbei geht es u.a. um
das Einteilen von Gruppen, das Auf- und Abbauen von Geräten, das effektive Ein-
setzen von Hilfsmitteln, das Ermöglichen von gewünschten Kommunikationsformen
durch entsprechende Figurationen (z.B. Aufstellungsformen) sowie die Bereitstel-
lung von sicherheitsrelevanten Faktoren.
Evaluation (Unterrichtsauswertung/-reflexion)
Durch die Auswertung des Unterrichts wird das Planungsgeschehen zu einem ge-
schlossenen und sich selbst fortschreibenden Prozess. Die Auswertungsergebnis-
se sind Grundlage für die weitere Planung dieser und zukünftiger Einheiten. Unter-
richt wird damit zu einer „zukunftsorientierten Bildungsarbeit“, die nicht nur „auf ge-
sellschaftliche und kulturelle Verhältnisse und Prozesse“ reagiert, sondern diese
unter „pädagogischer Verantwortung“ mitgestaltet (Klafki 2001, S. 19). Nach Meyer
(2007, S. 217) kann die Unterrichtsauswertung folgendermaßen definiert werden:
„Unterrichtsauswertung besteht aus der methodisch kontrollierten Datensammlung
und kriteriengeleiteten Bewertung der Voraussetzungen, des Ablaufs und der Er-
gebnisse des Unterrichts.“
Soweit es möglich ist, sollten die Elemente der Evaluation bereits vor der Durchfüh-
rung des Unterrichts bedacht werden. Es ist z.B. zu bedenken, wann im Unter-
richtsverlauf bestimmte Fortschritte oder Probleme festgestellt und festgehalten
werden. Nur so ist eine strukturierte Dokumentation und Auswertung (z. B. Leis-
tungsbeurteilung, Selbstreflexion) möglich. Aus einer analytischen Perspektive las-
sen sich fünf Bereiche unterscheiden, die im Rahmen der Evaluation bedacht und
überprüft werden sollten:
- die Überprüfung der Analyse der Unterrichtsbedingungen
- die Überprüfung der Planungsentscheidungen
- die Überprüfung des Handlungsverlaufs (Anpassungen/Veränderungen des
Unterrichtsverlaufs)
- mögliche anthropologisch-psychologische Folgen (v. a. Lernergebnisse für
die Teilnehmer)
- mögliche soziokulturelle Folgen
- die Selbstreflexion
Überprüfung der Bedingungen:
Scherler (2004, S. 95) hat gezeigt, dass nicht nur der vergangene Unterricht prob-
lematisiert werden sollte, sondern dass vor allem auch die zuvor getroffenen Pla-
nungsentscheidungen und die ihnen zu Grunde liegenden Bedingungsanalysen kri-
tisch hinterfragt werden müssen. Hier sollten sich die Lehrenden damit auseinan-
dersetzen, ob sie ihre Lerngruppe richtig eingeschätzt haben, ob sich aus dem Un-
terrichtsverlauf neue Einsichten über sie ergeben haben, ob die soziokulturellen
Bedingungen richtig analysiert wurden und ob die eigene Beziehung zur Institution,
zu den Teilnehmern und zum Thema realistisch gesehen wurde.
Reflexionsfragen zur Überprüfung der Bedingungen:
- Haben sich aus dem Unterrichtsverlauf neue Erkenntnisse über die Bedeu-
tung aktueller soziokultureller Hintergrundbedingungen ergeben?
- Haben sich aus dem Unterrichtsverlauf neue Erkenntnisse über die Teilneh-
mer dieser Gruppe ergeben?
- Haben sich aus dem Unterrichtsverlauf neue Erkenntnisse oder Erfahrungen
bezüglich der eigenen Voraussetzungen oder der Leiter-/Leiterinnenrolle in
dieser Gruppe ergeben?
- Haben sich aus dem Unterrichtsverlauf neue Erkenntnisse über die Rahmen-
bedingungen und die benötigten Geräte ergeben?
- Wurden die Unterrichtsbedingungen zielführend für den tatsächlichen Hand-
lungsverlauf analysiert und eingeschätzt?
Überprüfung der Entscheidungen und des Handlungsverlaufs:
Für Novizen ist es oft schwer zu erkennen, wo die Ursachen für gelungenen oder
misslungenen Unterricht lagen. Meistens führen sie die Ursachenzuschreibung
entweder auf das Verhalten der Teilnehmer, ungünstige Umstände oder eigenes
Fehlverhalten zurück. Tatsächlich können die Fehler aber schon lange zuvor bei
der Fehleinschätzung der Lerngruppe oder der Lernbedingungen gelegen haben.
Diese wiederum können zu falschen Planungsentscheidungen geführt haben, so-
dass Konflikte oder Probleme bereits in der Anlage des Vermittlungsprozesses
quasi programmiert waren. Scherler (2004, S. 25) versteht unter Problemen10 die
10
Vgl. auch den Dreischritt zur Problemanalyse von Meyer (2007, S. 93).
Differenz zwischen Fakten und Normen. Bei der Bewältigung von Unterrichtsprob-
lemen schlägt er daher eine Aufarbeitung in vier Schritten vor:
- Fakten darstellen: Was ist eigentlich geschehen (z. B. Verhalten/Äußerungen
der Teilnehmer, Misserfolge einzelner oder der ganzen Gruppe)?
- Normen zuordnen: Was wäre in diesem Fall richtig gewesen?
- Probleme ermitteln: „Was passt nicht zusammen?“
- Lösungen erarbeiten: Was ist im weiteren Unterricht zu tun, um die entstan-
denen Probleme aufzuarbeiten und/oder nicht wieder entstehen zu lassen?
Die wesentliche Voraussetzung dafür, solche Differenzen zwischen den Planungs-
entscheidungen und dem tatsächlich verlaufenen (wahrgenommenen) Unterricht
feststellen zu können, ist kritisch und ehrlich mit sich selbst zu sein. Wer sich Fehl-
einschätzungen, Fehlentscheidungen und auch eigenes Fehlverhalten nicht einge-
steht, vergibt alle Chancen, die Evaluation für eine produktive Unterrichtsentwick-
lung bieten kann (vgl. auch Brodtmann & Klupsch-Sahlmann 1999, S. 21)11. Grund-
sätzlich sind daher alle Fragen der Entscheidungsfelder zu überprüfen. Hierbei ist
dann immer zu bedenken, ob die entstandenen Probleme auf Planungsfehler zu-
rückzuführen sind, oder ob sie Resultat der Unterrichtsdurchführung waren.
Anthropologisch-psychologische Folgen:
Als kritische Rückbesinnung auf das eigene Vermittlerhandeln, als Voraussetzung
für die weitere Planung, aber ggf. auch für Mannschaftsaufstellungen und Ent-
scheidungen über weitere Fördermaßnahmen muss die Lehrkraft feststellen, ob der
Unterricht erfolgreich war. Bei der Leistungsbeurteilung ist zunächst die intentionale
Seite des Unterrichts zu analysieren. Hier kann grundsätzlich Klafki gefolgt werden:
„Wie, an welchen erworbenen Fähigkeiten, welchen Erkenntnissen, welchen Hand-
lungsformen, welchen ,Leistungen‘ (...) soll sich zeigen und soll beurteilt werden, ob
die angestrebten Lernprozesse bzw. Zwischenschritte als erfolgreich gelten kön-
nen“ (Klafki 1985, S. 223)?
Die Lehrkraft muss sich hierzu zunächst noch einmal klar machen, welche Folge-
erwartungen er/sie an seine/ihre Planung gestellt hat: Erst aus der Reflexion über
diese Erwartungen kann in einem zweiten Schritt geklärt werden, ob diese über-
prüfbar sind, mit welchen Methoden die Leistungen festgestellt, dokumentiert und
transparent12 kommuniziert werden sollen. Auf der funktionalen Seite ist zu überle-
11
Allerdings haben wir wenig Verständnis für die von Brodtmann & Klupsch-Sahlmann verwendete Termino-
logie. Im Unterricht geht es nicht um „Verlierer“ und „Gewinner“ und somit quasi um einen Kampf zwi-
schen Lehrkraft und Teilnehmer, sondern um ein Einlassen aller Beteiligten in einen möglichst produkti-
ven Bildungsprozess. Dass dies auch mit persönlichen Verletzungen einhergehen kann, ist unbestritten.
Umso wichtiger ist, dass Auswertung nicht (nur) zu einem einsamen Prozess wird, sondern dass immer
wieder in Lehrerteams Planungen und Auswertungen besprochen werden. 12
Während wir die Forderung nach Transparenz uneingeschränkt unterstreichen, stehen wir Ideen zur Betei-
ligung von Teilnehmern bei der Leistungsfeststellung eher skeptisch gegenüber. Es ist nicht abzuschät-
gen und mit den Teilnehmern zu reflektieren, ob der Unterricht Folgen (positive
oder negative) hatte, die nicht intendiert waren.
Die Formen der Leistungsbeurteilung müssen sich nach den Planungsentschei-
dungen und dem Unterrichtsverlauf richten, auf keinen Fall umgekehrt. Mit Scherler
(2004, S. 174) sind wir der Auffassung, dass die Forderung nach einer strengen
Anwendung der wissenschaftlichen Testgütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Vali-
dität) bei der Feststellung und Beurteilung der Lernergebnisse in den meisten spor-
tiven Settings13 völlig überzogen sind. Schließlich sollte bei der Planung von Leis-
tungsbeurteilungen bedacht werden, dass die Zeit hierfür dem Unterrichten verlo-
ren geht.
Reflexionsfragen zu den anthropologisch-psychologische Folgen:
Die Grundfrage dieses Auswertungsbereichs lautet:
„Wie, an welchen erworbenen Fähigkeiten, welchen Erkenntnissen, welchen Hand-
lungsformen, welchen „Leistungen“ (...) soll sich zeigen und soll beurteilt werden,
ob die angestrebten Lernprozesse bzw. Zwischenschritte als erfolgreich gelten
können“ (Klafki 1985, S. 223)?
Weiterhin ist zu klären, welche Differenzen zwischen den Planungserwartungen
und den tatsächlichen Ergebnissen festzustellen sind:
- Welche Erwartungen wurden an das Entwickeln von Fähigkeiten gestellt?
- Welche Erwartungen wurden an das Entwickeln von Fertigkeiten bzw. Tech-
niken gestellt?
- Welche Erwartungen wurden an das Engagement und die Mitarbeit gestellt?
- Welche Erwartungen wurden an das soziale Verhalten gestellt?
- Wie kann erkannt werden, ob und wie weit sich die Erwartungen erfüllen
(Beobachtung/Tests)?
- Wie und wann sollen erkannte Leistungen notiert/dokumentiert werden?
- Wie kann die notwendige Transparenz der Beurteilung erzielt werden?
Wenn Teilnehmer die erwarteten Mindest- oder Regelstandards nicht erreicht ha-
ben, stellt sich die Frage, wie dieser Sachverhalt zu erklären ist? Im Sinne einer
Förderdiagnostik sollten dann geeignete differenzierende Maßnahmen getroffen
werden, um die Defizite aufzuholen, wenn dies von allen Seiten gewünscht wird
und zumutbar ist.
Soziokulturelle Folgen:
Klafki (2001, S. 19) hat eindringlich darauf hingewiesen, dass das Verhältnis zwi-
schen soziokulturellen Bedingungen und Bildung nicht einseitig ist. Bildungspraxis
zen, welche psychischen und sozialen Prozesse in einer Gemeinschaft ausgelöst werden, wenn Mit-
glieder einer Lerngruppe hier in die Verantwortung genommen werden. 13
Diese Aussage gilt natürlich nicht für die Leistungsdiagnostik im ambitionierten Leistungssport.
habe auch die Aufgabe, unter „pädagogischer Verantwortung für gegenwärtige und
zukünftige Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten jedes jungen Menschen“ die
gesellschaftlichen Verhältnisse mitzugestalten. Es stellt sich also die Auswertungs-
frage, in welcher Weise die Ergebnisse des Unterrichts auf die Lebenswelt der
Teilnehmer/-innen zurückwirken können. Erreichtes kann öffentlich präsentiert wer-
den, die Veränderungen innerhalb der Lerngruppe könnten zum Thema und Aus-
gangspunkt des weiteren Unterrichts werden, und es könnte aus dem Unterrichts-
geschehen die dringende Notwendigkeit einer Neuanschaffung/Reparatur von Ge-
räten ersichtlich werden.
Mögliche Reflexionsfragen hinsichtlich der soziokulturellen Folgen:
- Ergibt sich aus den Unterrichtserfahrungen die Notwendigkeit, auf eine Ver-
änderung von materiellen und institutionellen Rahmenbedingungen hinzuwir-
ken (z. B. Gestaltung von Bewegungsräumen,
Bau/Reparatur/Neuanschaffung von Geräten)? Wie und an welchen Stellen
kann das geschehen? Ist es ggf. möglich, solche Veränderungen auch zum
Gegenstand weiterer Unterrichtsprozesse z. B. in Gestalt von Projekten zu
machen?14
- Sollen die Unterrichtsergebnisse (z. B. auf Festen/in den Medien) öffentlich
präsentiert werden?
- Ergibt sich aus dem Unterricht die Möglichkeit oder Notwendigkeit mit außer-
institutionellen Instanzen (Schule, Verein, Presse, politische oder Verwal-
tungseinrichtungen, Betriebe) zu kooperieren?
- Ergibt sich aus den Unterrichtserfahrungen die Notwendigkeit das zur An-
wendung gekommene (didaktische) Konzept zukünftig anzupassen oder so-
gar zu verändern?
Selbstreflexion:
Für die Auswertung des Lehrerhandelns hat Peterßen den etwas altertümlich klin-
genden, aber sehr passenden Begriff der „Nachbesinnung“ gewählt (Peterßen
1991, S. 28 ff.). Er weist auf die besondere Bedeutung der zeitlichen und räumli-
chen Distanz des (Nach-)Denkens zu dem unterrichtlichen Geschehen hin. Wer
sich nicht die Zeit zur Nachbesinnung nähme, liefe Gefahr die Distanz zu seinem
pädagogischen Handeln zu verlieren. „Er verliert die Übersicht und wird möglicher-
weise blind gegenüber dem Geschehen (...). Die Nachbesinnung auf das unmittel-
bar zuvor abgelaufene Geschehen kann dem Lehrer den Blick für die vielfältigen
Erfordernisse und Angebote wieder öffnen“ (Peterßen 1991, S. 29). Nachbesinnung
sei für Lehrkräfte daher vor allem auch eine Selbstreflexion, die dazu diene, „die
Empfindungen so weit wie möglich gedanklich aufzuarbeiten“.
14
Hier wäre z.B. an Arbeitsformen im Bereich der Jugendsozialarbeit zu denken, bei denen man Ausstat-tungsdefizite zum Anlass für Selbsthilfeprojekte nimmt.
Die Lehrkraft sollte also darüber nachdenken, was ihm/ihr persönlich besonders ge-
fallen hat, welche positiven Anknüpfungspunkte sich daraus ergeben könnten, aber
auch was ihn/sie gestört hat. Im Umgang mit Störungen gibt es grundsätzlich die
Möglichkeit, diese durch veränderte Planungen und Handlungsweisen zukünftig zu
vermeiden, sie umzubewerten (z. B.: „…eigentlich haben sich die Jugendlichen
doch ganz vernünftig verhalten, ich hätte das damals auch so gemacht …“) oder
sie zu tolerieren, also zu ertragen.
Ausblick
Hier wurde ein Vorschlag für die Planung von Kursen, Lehrgängen oder sonstigen
sportlichen Unterrichtsoptionen außerhalb schulischer Bildungseinrichtungenunter-
breitet. Diese mittelfristige Planung soll einen Möglichkeitsrahmen für das tatsäch-
lich folgende Unterrichtsgeschehen schaffen. Was vorher analysierbar, antizipier-
bar und entscheidbar ist, sollte in Ruhe und in zeitlicher und räumlicher Distanz ge-
klärt werden. Für das folgende tatsächliche Unterrichtsgeschehen müssen Eck-
punkte der Einheitsplanung evtl. korrigiert oder auch revidiert und manchmal auch
neu entschieden werden. Meistens werden es jedoch die kleinen, konkreten, für die
Praxis aber ungeheuer wichtigen Entscheidungen sein, an denen geschraubt wer-
den muss. Die zunächst noch abstrakte Unterrichtsplanung von Einheiten geht mit
der ersten Stunde und ihrer Auswertung in die Phase der Konkretisierung und da-
mit in einen zirkulären Fortschreibungsprozess. In der nachfolgenden Abbildung 3
wird der gesamte Planungsprozess zusammenfassend aufgezeigt.
Abb. 3: Schaubild zur Unterrichtsplanung in außerschulischen Handlungsfeldern
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