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Abteilung für Sportmedizin
Physikalische Therapiestrategien bei pAVK und chronisch-venöser Insuffizienz Dr. med. Dipl.-Biol. Gabriel Dischereit
Arteriosklerose Definition: Chronische Umbauvorgänge der Arterien, mit Verhärtung, Verdickung, Elastizitätsverlust und Lumeneinengung.
Histologisch: Frühveränderungen: Einlagerung von Lipiden, Intimaverdickung Spätveränderungen: Proliferation der glatten Muskelzellen in der
Gefäßwand, Verkalkungen
Lokalisation Hauptrisikofaktoren
Karotiden/Herz Dyslipidämie (LDH ↑, HDL↓), Nikotin, Diabetes mellitus, Hypertonie
Bein Nikotin, Diabetes mellitus, Hypertonie, seltener Dyslipidämie (HDL↓)
Arterioskelrose vom Typ Mönckeberg (= Mönkebergsklerose = Mediasklerose) - langstreckige Mediaverkalkungen ohne wesentliche primäre Lumeneinengung - v.a. an Extremitäten - v.a. bei langjährigem Diabetes mellitus Typ 2
Periphere arterielle Verschlusskrankheit Def.: DBS versorgungsabhängiger Gewebe durch stenosierende bzw.
obliterierende Gefäßprozesse (periphere AVK)
Ätiol.: Arteriosklerose (ca. 90%), Thrombangitis obliterans, Angiitiden, postraumatisch
Lokalisation: 90% untere Extremität! Beckentyp (Aorta abdominalis, Aa. Iliacea) 30% Oberschenkeltyp (A. femoralis) 50% Unterschenkeltyp (A. tibialis ant. oder. post.) 20%
bei Befall der oberen Extremität: 70% akraler Typ
Lériche-Syndrom -
Anamnese bei pAVK - Checkliste
• Belastbarkeit ?
• Zeitlicher Verlauf der Beschwerden ?
• Risikofaktoren ?
• Begleiterkrankungen ?
• Begleittherapie ?
Begleiterkrankungen: • Angina pectoris
• stattgefundener Herzinfarkt oder Schlaganfall
• Arterielle Hypertonie
• Niereninsuffizienz
• Diabetes mellitus
• Wirbelsäulenerkrankungen
• Unfälle oder vorausgegangene Operationen
Angiologische Diagnostik
• Inspektion: Schwielen, Nageldystrophien, „Beinglatze“, trophische Störungen?
• Gefäßstatus: Palpation, Temperaturunterschiede, Auskultation
• Lagerungsprobe nach Ratschow
• Gehtest
• Faustschlussprobe: analoge Funktionsprüfung für obere Extremität
• Allen-Test: Kompression der A. radialis oder A. ulnaris des hochgelagerten Armes und Faustschlussbewegungen. Bei DBS in der nicht manuell komprimierten Arterie – Abblassung
• Doppler-Sono: Bestimmung der arteriellen Drucke
• Duplex-Sono: gleichzeitige Darstellung von Gefäßwand/Weichteilen und Flüssen
• Angiographie: Beurteilung der Gefäßinnenwand, Kollateralen
• Digitiale Substraktionsangiographie (DAS); MRT
Hinweisender Test auf eine pAVK (Stadium I und II)!
Bei DB-Störung Abblassen und Schmerz der in
Rückenlage hochgehaltenen Beine und anschließend
verspätete (< 10 Sek.) und verstärkte Rötung der im Sitzen herabhängenden
Beine.
Lagerungsprobe nach Ratschow:
90°
Praktische Ausführung der Ratschowschen Lagerungsprobe
Patient Flexion u. Extension
2-5 Minuten
Praktische Ausführung der Ratschowschen Lagerungsprobe
Untersucher
Abblassen von Fußsohle u. Zehen? In welcher Zeit? Gleichmäßig? Seitengleich? Schmerzen?
Rötung von Fußrücken und Zehen ? In welcher Zeit? Innerhalb von 5 Sekunden? Seitengleich, gleichmäßig? Venenfüllung? In welcher Zeit? Innerhalb von 12 Sekunden? Seitengleich? Nachröte; pralle Venenfüllung? Innerhalb von 20 Sekunden?
Flexion und Extension der
Sprunggelenke im Wechsel für 2-5
Minuten
Mögliche Effekte: - Schmerzen - ausgeprägte und anhaltende Blässe der Füße - Seitendifferenz in der Färbung
Laufbandergometrie Dokumentiert werden: • Auftreten der ersten
Beschwerden (schmerzfreie Gehstrecke)
• Strecke bis zum Abbruch der Belastung (maximale Gehstrecke)
• Lokalisation der Beschwerden
• Zeitpunkt des Schmerzbeginns • evtl. Abbruchkriterien (Luftnot,
Schwindel, Angina pectoris, Blutdruckabfall oder hypertone Krisen)
• Eine Abnahme das ABI um 20%
nach Belastung auf dem Laufband ist beweisend für die Diagnose pAVK (Empfehlungsgrad A, Evidenzklasse 2).
Standardisierte Bedingungen auf dem Laufband: Geschwindigkeit 3,2 km/h,
Steigung 10-12%. Leitlinien Dt Ges Angiologie (2009)
Stadieneinteilung der pAVK nach Fontaine Stad. Klinik I asymptomatischer Verschluss II Claudicatio intermittens II a schmerzfreie Gehstrecke > 200 m II b schmerzfreie Gehstrecke < 200 m III Ruheschmerz; DB im Liegen
unzureichend IV Nekrose, Gangrän
RR syst. A. tib. post.
140 – 160 mm Hg
60 – 140 mm Hg
< 60 mm Hg
Stadium IV:
akrale Nekrosen infolge umschriebender Ischämie
Schmerztherapie, Therapie von Begleitinfektionen vordergründig! Bei Gangrän lokale Wundbehandlung; bei infektiöser Gangrän Antibiose oder Amputation.
„Außenseitermethoden“: Wundsäuberung durch Maden, hyperbare Sauerstofftherapie; Akupunktur → kontrollierte Studien fehlen!
Differentialdiagnose der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (AVK)
Vaskuläre Erkrankungen • Thrombendangiitis obliterans
(TAO; „Panangiitis“ der kleinen und mittelgroßen Arterien und Venen; meist bei starken Rauchern < 40 J.)
• Arterielle Embolie • Primärer, sekundärer Raynaud („Vasospasmen“) • Vaskulitiden • Akrozyanose
(Blau-Rot-Verfärbung der Hände/Füße; z.B. bei Polyglobulie; Kälteagglutinine, Carcinoid)
• Livedo reticularis (netzförmige livide Streifenbildung; idiopathisch, immunol. Vaskulitis, paraneoplastisch, chron. Infektionen)
• Erythromelalgie (durch Wärme induzierte schmerzhafte, brennende Rötung mit Schwellung der Haut; z. B. bei PNP, Polyzythämie, Diabetes, LED)
• Venen- und Lympherkrankungen
nicht-vaskuläre Erkrankungen entzündlich-rheumatische Erkrankungen Vertebragene Beschwerden (Cox-, Gon-) Arthrose Ischiadicus-Neuralgie Osteoporose Neuritiden, Polyneuropathien verschiedener Genese Osteomyelitis Myositis Pannikulitis Senk-Spreiz-Füße Knochentumore
Differentialdiagnose der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (AVK)
Differentialdiagnose Wadenschmerz
pAVK Chronische
Veneninsuffizienz (CVI)
Orthopädische/ neurologische Symptomatik
• Zunehmende Schmerzen mit zunehmender Gehstrecke
• Beschwerden vor allem in Ruhe abends nach einer Belastung
• Loslaufschmerz • Beugeschmerz • Paraesthesien
Therapieziele - Verbesserte Durchblutung - Bildung „Kollateralkreislauf“
- Beseitigung von Muskelverspannungen
- Beseitigung von Muskelatrophien - Beseitigung von Kontrakturen
- Verlängerte Gehstrecke
- Bestmögliches physiologisches Gangbild
- Verbesserte Koordination
Präventionsmaßnahmen zur Reduktion systemischer Komplikationen bei Patienten mit pAVK. Lebensstiländerung: - Nikotinverzicht - regelmäßige körperliche Aktivität - Programme zur Körpergewichtsreduktion Pharmakotherapie: - Blutzuckereinstellung - antihypertensive Therapie (Diuretika, β-Blocker, ACE-Hemmer)
- lipidsenkende Therapie - Thrombozytenaggregationshemmer
(Clopidogrel scheint besser als ASS) - Therapie der Hyperhomocysteinämie
(Folsäure, Vit. B12)
Präventionsmaßnahmen zur Reduktion systemischer Komplikationen bei Patienten mit pAVK.
Hypertonie: • Bei Patienten mit PAVK und arterieller Hypertonie ist der
Blutdruck zur Reduktion der kardiovaskulären Mortalität zu behandeln. Der Zielblutdruckbereich liegt bei <140/90 mmHg, bei Patienten mit Diabetes <130/80 mmHg. β-Blocker sind nicht kontraindiziert. (Empfehlungsgrad A, Evidenzklasse 1) Leitlinien Dt Ges Angiologie (2009)
• Die erniedrigte kardiovaskuläre Ereignisrate bei Patienten mit pAVK unter β-Blocker-Therapie geht mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einher. Devereaux PJ, Yang H, Yusuf S, Guyatt G, Leslie K, Villar JC, Xavier D, Chrolavicius S, Greenspan L, Pogue J, Pais P, Liu L, Xu S, Malaga G, Avezum A, Chan M, Montori VM, Jacka M, Choi P. Effects of extended-release metoprolol succinate in patients undergoing non-cardiac surgery (POISE trial): a randomised controlled trial. Lancet 2008;371(9627):1839-47.
Physikalische Therapie der pAVK im Stadium I und II • Bewegungstherapie in Form von strukturiertem
Gehtraining (bis Stadium II – Kollateralenbildung!) • Hoch-Tieflagerung nach nach Ratschow mit
zwischengeschalteten isometrischen Muskelspannungsübungen
• Hautbürstungen, Hautabreibungen • Krankengymnastische Behandlung ggf. vorliegender
Gelenkhypomobilität oder von Myogelosen
Gehtraining ist die älteste Behandlungsform der pAVK Leng GC et al. Cochrane Database Syst Rev 2000; Leitlinien zur Diagnostik und
Therapie der pAVK (2009)
Prinzip:
1. Erreichen des „Walking through“ durch Training (Gehen bis zum Belastungsschmerz) 2. Verringerung der Erschlaffungszeit der Achillessehne und der Wadenmuskulatur - Verbesserung des Stoffwechsels 3. Erhöhung des poststenotischen Blutdruckes
Kontraindiziert im Stadium III und IV!
Heimtraining: tägliche Spaziergänge, Gehtraining vom Intervalltyp (wiederholtes Gehen bis Schmerzeintritt), Fußrollen, Zehenstände
Gefäßsportgruppe
Physikalische Therapie der pAVK im Stadium I und II
Gehtraining bei pAVK • Das strukturierte Gehtraining ist die wichtigste
nichtmedikamentöse Therapie in Ergänzung zur konsequenten Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren.
• Das funktionelle Langzeitergebnis von alleiniger Gefässinterventionen bei Patienten mit Claudicatio ist nicht besser als das Gehtraining. Schulte K. Interventionelle endovaskuläre Therapie bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit-Ballonangioplastie. VASA 2004;33(Suppl. 64):5-7
Physikalische Therapie der pAVK im Stadium I und II
Gehtraining bei pAVK • In prospektiven Studien unter Aufsicht bzw. Trainingsanleitung
über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten konnte eine signifikante Zunahme der Gehleistung auf dem Laufband und eine Abnahme der Claudicatioschmerzen beobachtet werden. Hiatt WR, Wolfel EE, Meier RH, Regensteiner JG. Superiority of treadmill walking exercise versus strength training for patients with peripheral arterial disease. Implications for the mechanism of the training response. Circulation 1994;90(4):1866-74.
• Täglich wird ein selbstständiges Intervall-Training über 60 Minuten mit 5-15-minütigen Belastungsintervallen empfohlen, wobei die Intensität bis zum Belastungsschmerz reichen soll. Gardner AW, Katzel LI, Sorkin JD, Bradham DD, Hochberg MC, Flinn WR, Goldberg AP. Exercise rehabilitation improves functional outcomes and peripheral circulation in patients with intermittent claudication: a randomized controlled trial. J Am Geriatr Soc 2001;49(6):755-62.
Physikalische Therapie der pAVK im Stadium I und II
Empfehlungen für das Gehtraining bei pAVK • Strukturiertes Gehtraining unter Aufsicht und unter
regelmäßiger Anleitung soll allen pAVK-Patienten als Bestandteil der Basisbehandlung angeboten werden. (Empfehlungsgrad A, Evidenzklasse 1)
• Ein Gefäßtraining soll mindestens 3x wöchentlich in Übungseinheiten von 30-60 Minuten über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten erfolgen. (Empfehlungsgrad A, Evidenzklasse 2)
Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der pAVK Dt. Gesellschaft für Angiologie (2009)
Prognostische Faktoren im Rahmen eines Gehtrainings
Kurze Anamnese (<1 Jahr) Lange Anamnese (> 1 Jahr) Einseitige Verschlüsse Doppelseitige Verschlüsse Femoralisverschlüsse Becken- und Mehretagenverschlüsse Gute hämodynamische Werte Schlechte hämodynamische Werte (Stadium II) (spätes Stadium II, Stadium III) Normales Bewegungssystem Begleitende Erkrankungen des
Bewegungssystems Normale Herz- und Lungenfunktion kardiorespiratorische Insuffizienz Positive Motivation Fehlende Motivation
Günstig Ungünstig
• Sole- und Teilbäder von 33 °C – 35 °C • Ansteigende Armbäde
Vorsicht: Beachtung der Hauthyperämie!
• Kneipp-Anwendungen: nach Bekömmlichkeit mit kurzer Kaltphase
• Elektrotherapie: nf-, mf-Verfahren
Physikalische Therapie der pAVK im Stadium I und II
Kohlensäurebäder – CO2-Bäder / Gasbäder / Teilbäder von 33° C
Quellwasser aus tiefen kohlehaltigen Erdschichten kommend, welches gasförmig CO2 aufgenommen hat.
Bäder haben niedrige Temperaturen (32-35°C), weil bei höheren Temperaturen Kohlensäure entweicht. Pat. soll still in der Wanne liegen, damit sich CO2-Bläschen auf der Haut absetzen können.
In der Haut erweitert Kohlensäure die arteriellen Blutgefäße (RR-Senkung, Puls verlangsamt sich, Herzarbeit erleichtert), es kommt zur reaktiven Hyperämie und subjektivem Hautkribbeln. Trotz geringer Badetemperatur entsteht ein Wärmegefühl des Körpers.
Künstliche CO2-Bäder Chemikalien: Präparate enthalten organische Säure und ein kohlensaures Salz, in Wasser wird CO2 freigesetzt.
Kohlensäure aus Flaschen
Bastian-Kohlensäurebäder
Physikalische Therapie der pAVK im Stadium I und II
Großer Aufbau = Grundaufbau + Aufbaufolge aus:Bindegewebsmassage, E. Dicke, 1982
Bindegewebsmassage (Reflexzonenmassage) Indikationen: Funktionelle arterielle DBS Algodystrophie vaskuläre Kopfschmerzsyndrome funktionelle Organbeschwerden
→ Massage von Reflexzonen zur Beeinflussung innerer Organe über kutiviszereale Reflexe
Physikalische Therapie der pAVK im Stadium I und II
Bindegewebsmassage der Stammsegmente und Extremitäten-Bindegewebsmassage
Muskelmassage der verspannten Funktionsmuskulatur
Physikalische Therapie der pAVK im Stadium I und II
Physikalische Therapie der pAVK im Stadium III Unter Berücksichtigung der Kontraindikationen, Vorgehen wie bei Stadium I und II Physikalische Therapie der pAVK im Stadium IV
• akrale Läsion: keine Wasseranwendungen
• Thermotherapie vorsichtig, keine Wärme distal der Verschlüsse
• BGM und KMT zunächst paravertebral und am Stamm, erst bei Bekömmlichkeit an Extremitäten
• nf-, mf-Therapie soweit peripher wie möglich ansetzend, z. B. Elektrode unter die Fußsohle, indifferente Elektrode lumbal. Cave: Sensibilitätsstörung – Verätzungsgefahr!
Pathogenese der chronisch-venösen Insuffizienz
- Mechanische Behinderung des venösen Rückstroms (Venenverschluss, postthrombotisches Syndrom) - Insuffizienz der Klappen des tiefen Venensystems - Insuffizienz der Verbindungsvenenklappen - Insuffizienz der Klappen des oberflächlichen Venensystems - Insuffizienz der Muskelpumpe bei Paresen oder ungenügender Gelenkfunktion - Kongenitale Klappenagenesie oder auch andere Formen der Angiodysplasie
Vollbild der chronisch-venösen Insuffizienz
- Ödem
- Hyperpigmentation
- Atrophie-blanche-Flecken
- Livide Verfärbung
- Corona phlebectatica paraplantaris
- Ulcus cruris
Reha-Maßnahmen der Patienten mit chronisch venöser Insuffizienz
- Hochlagerung der Beine - Beseitigung des initialen Ödems durch
Wickelkompression und intermittierender maschineller Kompression
- Funktionelle Lymphdrainage - Bewegungstherapie nur bei intakten
Venenklappen - Hydrotherapie (Kälteanwendung) - Schulung des Patienten (Selbstentwicklung) - Anpassung eines nach Körpermaßen und
Anlagedruckklasse individuell angelegten Kompressionsstrumpfes
- Mobilisierung des Sprunggelenks
Kältetherapie – insbesondere Hydrotherapie nach Kneipp
- Tonisierung der Venen - Verbesserung der Klappenfunktion - Steigerung des Lymphflusses