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ASG Saarland
Veranstaltung am 03. Mai 2007
Mehr Gesundheit für alle
– der vorsorgende Sozialstaat –
Weichenstellung für eine nachhaltige
Gesundheitsversorgung
- Ökonomische, organisatorische und
versorgungsorientierte Aspekte -
Prof. Dr. Gerd Glaeske
Gesundheit: So fließt das Geld in der GKV: 143,6 Mrd. Euro (+ 3,3 %) 2005
Krankenhau
s
49 Mrd. Euro
(+3,3%)
Arzneimittel
23,7 Mrd. (+16,8%)Ärztl. Behandlung
21,6 Mrd (1,0%).
Heil-u. Hilfsmittel
9,2 Mrd (-0,4%).
Krankengeld
5,9 Mrd.(-7,4%)
Zahnbehandlung
7,5 Mrd. (- 1,7%)
Weitere Posten (u.a.):
Zahnersatz 2,5 Mrd.
Schwanger-/
Mutterschaft 1,3 Mrd.
Kuren 2,7 Mrd.
Fahrtkosten 2,8 Mrd.
häusliche
Krankenpflege 1,9 Mrd.
Sonstiges 3 Mrd.
Verwaltung 8 Mrd
Quelle: Gesundheitsministerium
Ziel der GKV – auch im Vergleich mit der PKV
• Einkommensabhängiger Beitrag, einkommens-unabhängiger Anspruch auf notwendige Behandlung (PKV Risikoäquivalenz)
• Solidarität: Jung für alt, gesunde für Kranke, solche mit hohem Einkommen für solche mit niedrigem Einkommen, solche mit wenig oder keinen Kindern für solche mit vielen Kindern (in der PKV Einzelversicherung nach Risiko, Alter und Geschlecht)
• Männer für Frauen (in der PKV zahlen Frauen immer mehr)
• Aber: Einheitliche Leistungsversprechen: Allgemein anerkannter Kenntnisstand, Berücksichtigung des therapeutischen Fortschritts, Wirtschaftlichkeit
• Begrenzte Mittel bei prinzipiell unbegrenzbaren Bedürfnissen (GKV 145 Mrd. €, Gesundheit insgesamt 240 Mrd. €)
• Seit Jahren Finanzierungsprobleme, keine Kostenexplosion (immergleich bleibender Anteil am BIP (6-7%), sondern „Einnahmeimplosion“, sinkende Lohnquote (Arbeitslosigkeit), steigende Gewinnquote
Einnahmeschwäche, nicht Kostenexplosion
100
120
140
160
180
200
220
1980
1982
1984
1986
1988
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
2004
Ind
ex 1
980
= 1
00
BIP je Einwohner
Leistungsausg. je Mitglied
Beitragspfl. Einn. je Mitglied
„Effizienz“ und Systemdynamik
• Entwicklung des Beitragssatzes der GKV
• Neuere Status-quo-Prognosen bis zum Jahr 2040
18,5
20,5
23,0
24,7
31,2
31,2
32,0
34,0
37,3
Universität Augsburg, Anita Pfaff (2002)
Institut der dt Wirtschaft (IdW) Köln, Bernd Hof (2001)
Universität Konstanz/Greifswald, Fr. Beyer, V. Ulrich (2000)
Universität Freiburg, St. Fetzer / B. Raffelhüschen (2005)
Universität Duisburg-Essen, V. Oberdieck (1998)
Universität Münster, 2001, D. Sauerland (2002)
Universität Duisburg / Essen, A. Postler (2003)
DIW Berlin, Fr. Breyer / G. Wagner u.a. (2001)
SVR zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftl. Entw. (2004)
Maximaler
Beitragssatz
in 2040, in %
Institut, Autor
Quelle: Cassel, D u.a. „Die Finanzen der GKV auf dem normativen Prüfstand“, 2006
Beitragsaufkommen
• Beitragsbemessungsgrenze in Ost und Westderzeit 3.562,50 €
• Jahresarbeitsentgeltgrenze derzeit 3.975,00 €
• Über dieser Grenze kann in die PKV gewechselt werden, 150.000 Versicherte, die wechseln, entziehen der GKV 1 Mrd. € (0,1 Beitragssatzpunkte)
• 75% der Beitrages in der Rentenversicherung
• Allgemeiner Beitragssatz im Schnitt 2006 13,30 %Arbeitgeber 6,65 %Arbeitnehmer 6,65 %Sonderbeitrag nur Arbeitnehmer seit 2005 0,90%Arbeitnehmer insgesamt 7,55 %
• Parität längst aufgegeben, zzgl. allerZuzahlungen ca. 10 - 12 Mrd. € 1,00 %
Ø Belastung Arbeitgeber – Arbeitnehmer 6,65 : 8,55 = 43,75 : 56,25
Gründe für Einnahmeschwäche
• Arbeitsmarktbedingte Einnahmeausfälle
– Abbau sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze, u.a.
• zu Gunsten von Mini-Jobs und Ich AGs
• durch Frühverrentung
– Konjunkturelle Arbeitslosigkeit
– Lohnzurückhaltung bei Beschäftigten und niedrige
Rentensteigerung
• Sozialrechtliche Veränderungen, u.a.
– Verschiebebahnhöfe zu Lasten der GKV
– Gehaltsumwandlung („Eichel-Rente“)
– Hartz IV (Reduktion der Beitragszahlerzahl in
Bedarfsgemeinschaften von zwei ALG II-Beziehern)
5,23,15,9
25,5
0
10
20
30
40
1995-20055,23,15,9
25,5
0
10
20
30
40
1995-2005
Beispiele für Verschiebungen kumuliert:
39,7 Mrd. Euro davon u.a.
=> 25,5 Mrd. € Absenkung KV-
Beiträge für Bezieher von
Arbeitslosengeld und -hilfe;
=> 5,9 Mrd. € Beiträge zur RV/ArblV
aus Krankengeld;
=> 3,1 Mrd. € Neuregelung Erwerbs-
minderungsrenten
=> 5,2 Mrd. € Sonstige Maßnahmen
*einschl. RV/BA Quelle: Berechnungen des VdAK nach Beske/Drabinski/Michel 2002
Entlastung
Bund*Belastung GKV
Verschiebebahnhöfe
Und die Bewertung der aktuellen „Reform“-Vorschläge?
• Um der Einnahmeschwäche der GKV zu begegnen, wird
eine Finanzierungsreform benötigt, die die Bemessungs-
grundlage der GKV verbreitert und nachhaltig wirkt
• Mit
– Bürgerversicherung
– Kopfprämienmodell und
– Steuerfinanzierung
wurden bisher drei Ansätze diskutiert, die in diesem Sinne
wirken könnten.
• Der aktuelle Gesundheitskompromiss ist dagegen
schlechter als jede der genannten Alternativen.
… und es geht weiter
• Zurücknahme Tabaksteuerfinanzierung für Familien- u.
gesellschaftspolitische Leistungen Mutterschaft
(2007/08)
è 4,2 Mrd. €
• MwSt. Erhöhung (2007) è 0,9 Mrd. €
• Summe è 5,1 Mrd. €
è0,5 Beitragssatzpunkte zusätzlich zur Finanzierung der
Schuldentilgung der öffentlichen Hand
Gesundheitsfonds-Modell
Faktische Steuerfinanzierung des Gesundheitssystems
• Lohnsummensteuer für Arbeitgeber
• Zweite Einkommensteuer für Versicherte
• Allgemeine Steuererhöhung für Kindermitversicherung
– Auf Einkommensteuer (Soli)
– Einkommensteuertarif
– Mehrwertsteuer
• Überproportionale Belastung der Versicherten und insbeson-
dere sozial schwache Menschen, die deutlich häufiger unter
Krankheiten leiden als andere
Gesundheitsfonds-Modell
Anreizsystematik kassenindividueller Kopfpauschale
grob falsch
• Gesamte Morbiditätsdynamik liegt auf Pauschale
• Diskriminierung und Zurückhaltung bei der Finanzierung von
– notwendigen ergänzenden Leistungen (z.B. Reha) für
kranke Menschen
– Beratungskompetenz und Service-Orientierung der
Krankenkassen
– flexiblen lokalen Netzwerken zur Versorgungsgestaltung
– Präventionsangeboten
100
150
200
250
300
350
400
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
Gesamtausgaben
mtl. Kopfprämie
Gesundheitsfonds-Model: Hebel-Wirkung - Index-Entwicklung bei
jährlich 3 % Kostensteigerung größer als allgemeine
Lohn/Einkommensentwicklung (Angaben in %)
Die Herausforderungen in der Zukunft: Demografie
• Demografische Veränderungen – altersbedingte Anforderungen (Demenz, Krebs) und Pflege
• Mehr gesunde Alte – Gesundheitsförderung und Prävention als Möglichkeit nutzen, insbesondere bei sozial schwachen Schichten: Verteilungs-, Zugangs- und Versorgungsgerechtigkeit
• Doppelte Benachteiligung sozial schwacher Gruppen: Gesundheit ist ohne Bildung nicht umsetzbar (Zugangsgerechtigkeit, Pisa)
• Relativ größere Krankheitsbelastung in sozial schwachen Schichten (z.B. Diabetes, Hypertonie, auch BMI-bedingt)
• Adipositas abhängig vom sozialen Index (Prugger, Keil 2007): Männer >30 12,8 – 21,4%, Frauen 10,8 – 29,1;> 35 M 2,2 -5,2, F 3,0 -10,2
WHO-Daten für die nahe Zukunft (2006):
• Weltweit 59% der 57 Mio. Todesfälle durch chronische und
nicht übertragbare Krankheiten (Herz-Kreislauf, Diabetes,
Übergewicht, Krebs, Atemwegserkrankungen)
• Bis 2030 übertragbare Krankheiten in 22% für Todesfälle
verantwortlich
• In D 2030: 80% der Todesfälle im Zusammenhang mit
chronischen Erkrankungen
• Die Herausforderung: Adäquate und kosteneffiziente Versor-
gung chronisch Kranker organisieren (komplexes Krankheits-
geschehen, lange und kostenintensive Versorgungsverläufe)
Derzeit Defizite in der Versorgung chronisch Kranker
(Schlette, Knieps, Amelung, 2005)
• Fragmentierung der Versorgungslandschaft
• Mangelnde Kooperation und Koordination der an der
Betreuung beteiligten oder zu beteiligenden Leistungserbringer
• Probleme in der Organisation der Behandlung im Hinblick auf
die Abstimmung und Zuständigkeiten
• Aktive und informierte PatientInnen als Hauptpersonen bei der
Therapie der Erkrankungen im Mittelpunkt
• Behandlung abgestimmt innerhalb eines interdisziplinären
Teams kollegial durchführen (Wagner, 2000)
Forderungen an das System (Schlette, Knieps, Amelung, 2005)
• Gesamtkonzept zur Erneuerung der Versorgung entwerfen
(DMP-RSA-Anbindung fördert neue Fragmentierung, IV auf
Dauer der bessere Weg, allerdings Flächenbezug fördern)
• Managed Care-Ansätze fördern und wirtschaftlich interessant
machen
• Indikationsbezogene DMPs zu populationsbezogenen
Versorgungsformen unter Einbeziehung von Multimorbidität
ausbauen (IV, MVZ etc.)
• Rollen und Funktionen aller Beteiligten neu definieren und
aus- bzw. umgestalten
Das kurative System kommt bei Multimorbidität an seine Grenzen
• Beispiel Arzneimitteltherapie bei älteren Menschen > 65 Jahre
(Glaeske, Janhsen 2006)
• 4 Wirkstoffe nebeneinander als Ziel, bis zu 8 in Ausnahme-
fällen (z.B. akute Erkrankungen)
• Realität: 35% der Männer und 40% der Frauen 9 Wirkstoffe
und mehr gleichzeitig, 20% „unangemessen“ bei älteren
Menschen (Beers 1991, 1997)
• Home Medication Review als Prävention gegen Krankenhaus-
behandlungen wegen „Störwirkungen“ durch Arzneimittel (bei
älteren Menschen bis zu 23%; Mühlberg et al. 1999)
Arztzentrierung zugunsten von Multidisziplinarität weiterentwickeln
• „Die Integrierte Versorgung als Instrument zur besseren Ko-
operation zwischen verschiedenen Leistungsbereichen und un-
terschiedlichen Heilberufen wird weitergeführt“ (Eckpunkte)
• „Long term outcomes from the IMPACT randomised trial for
depressed elderly patients in primary care“ Hunkeler, BMJ,
2006
• „Depressions-Monitoring“, Gensichen et al., 2006, Z. ärztl.
Fortbild.
• „Substitution of doctors by nurses in primaray care“, Laurant
et al., Cochrane-Review, 2004
In GB: Speziell ausgebildete Pflegekräfte undIn GB: Speziell ausgebildete Pflegekräfte und
ApothekerInnenApothekerInnen dürfen in bestimmten Situationen verordnen: dürfen in bestimmten Situationen verordnen:
• BMJ 2005, 331: 1154-5
Extended prescribing by UK nurses and phamacists
With more evidence and strict safegards, it could benefit patients
„While we do have concerns about the wisdom of extending presribing now, we
believe that most nurse and pharmacist prescribers will act within their areas of
competence. For example, a fully trained specialist respiratory nurse might
prescribe a short course of oral corticosteroids for a patient with acute asthma but
would be extremely unlikely to alter the drug treatment of a patient with diabetes or
epilepsy without training in managing these conditions.“
• Substitution bestimmter ärztlicher Tätigkeiten wirkt effizienz-
optimierend, die Diskussion über einen (angeblichen?) Ärztemangel
bekommt damit einen anderen Blickwinkel
Neue Wege auch in D: Schwester Agnes Neue Wege auch in D: Schwester Agnes
• Neue Versorgungskonzepte können insbesondere auch für
Frauen als Beschäftigte im Gesundheitswesen Motor für
Professionalisierung und Akademisierung sein (Kuhlmann,
2006; Schmacke, 2006)
• „Gemeindeschwester Agnes“ als Bindeglied zu PatientInnen in
der hausärztlichen Versorgung vor Ort und zu Hause
• Verbindung zum Hausarzt mit telemedizinischer Technik
• „Kleiner Baustein im Rahmen einer ‚Effizienzrevolution‘“
(Knapp, 2006) – nun für alle neuen Länder
Herausforderungen in der Zukunft: Medizinischer
Fortschritt
• Therapeutischer Fortschritt: apparativ, rehabilitativ, diagnostisch,hilfsmittelbezogen, pharmakotherapeutisch
• Biologicals, monoklonale Antikörper und gentechnologisch hergestellte Mittel (Pharmakogenetik und –genomik) bei rheumatoider Arthritis, HIV/AIDS, Hepatitis C, nosokomialeInfektionen, neurologische Erkrankungen usw.)
• Impfungen (z.B. HPV – ca. 1,5–2 Mrd. € p.a. Zusatz-ausgaben, vermiedene Krankheit 45.000 €, vermiedener Todesfall rund 150.000 €)
• Kosten-Nutzen Diskussionen dringend erforderlich, nicht mehr auf der individuellen ärztlichen Ebene zu entscheiden, Therapieempfehlungen und Leitlinien („Korridor“) ohne Alternative
Insulinanaloga
Erste Markzulassung: 1996
Weltweiter Insulinumsatz 2005: 7 Mrd. €
Geschätzter Gewinn: 10%
Kontrollierte Studien >24 Wochen: 7
Untersuchte Patienten: 1300
Max. Beobachtungszeit 12 Monate
Fazit: Keine Studie, die einen besonderen Nutzen
zugunsten der Analoga zeigt – aber 30% höherer Preis
Nutzen für Menschen mit Diabetes
ØVermeidung makrovaskulärer Ereignisse
ØReduktion mikrovaskulärer Ereignisse
ØVermeidung von Amputationen
ØVermeidung von Stoffwechselentgleisungen
ØReduktion von Symptomen der Erkrankung
ØErhalt der Lebensqualität
ØVermeidung von Krankenhausbehandlungen
ØErhalt der Berufsfähigkeit
ØZufriedenheit mit ärztlicher Versorgung
ØVermeidung von Nebenwirkungen
• Which is the ‘correct’ way to portray the health economics of a technology?
– Unit cost comparisons – ‘cost minimisation’
– Cost per QALY, cost per life year gained, cost per
progression free life year
• Should it be the same for all diseases and/or all technologies?
• Cost effectiveness ‘threshold’
• The use of cost effectiveness decision modelling
Ø Verlangt langfristig eine politische Diskus-sion
über explizite Rationierung, implizite intranspa-
rent und abhängig von individuellen (oft sozial
unterlegten) Entscheidungen
Cost Effectiveness
NICE Decisions & QALY’s
0 10.000 20.000 30.000 40.000
Zanamivir
Taxanes ovarian
Taxanes breast cancer
ICDS
GPIIs
Ritalin
Interferon alpha
Alzheimer's drugs
Riluzole
Orlistat
Cost per QALY or LYG (£)
In Zukunft: Mehr Wettbwerb um Evidenz, Effizienz
und Qualität mit Auswirkung auf Verträge
• Bestmöglicher verfügbarer Kenntnisstand über die Wirksamkeit
und den Nutzen einer therapeutischen, diagnostischen oder
präventiven Maßnahme
• Die Qualität muss stimmen: Richtige Arzneimittel in der
richtigen Indikation, Dauer und Dosierung.
• Effizienz meint die gesamte Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme,
auch im Vergleich zu anderen medikamentösen und nicht–
medikamentösen Maßnahmen
• Verschwendung durch ineffiziente Leistungen muss gestoppt
werden, die Qualität muss ebenso stimmen wie das
Preisleistungsverhältnis
Rahmenbedingungen für Wirtschaftlichkeit im Rahmen der GKV
„Grenzverletzungen“ zur Unter-, Über- und Fehlversorgung
sind unwirtschaftlich (Scriba, 2006)
Leistung / Bedarf Leistung wird fachgerecht
erbracht
Nur objektiver, kein subjektiver Bedarfsgerechte Versorgung
Bedarf (latenter Bedarf)
Subjektiver und objektiver Bedarf Bedarfsgerechte Versorgung
Nur subjektiver, kein objektiver Überversorgung (ggf. Fehl-
Bedarf versorgung)
Rahmenbedingungen für Wirtschaftlichkeit im Rahmen der GKV
„Grenzverletzungen“ zur Unter-, Über- und Fehlversorgung
sind unwirtschaftlich
Leistung / Bedarf Leistung wird nicht
fachgerecht erbracht
Nur objektiver, kein subjektiver Fehlversorgung
Bedarf (latenter Bedarf)
Subjektiver und objektiver Bedarf Fehlversorgung
Nur subjektiver, kein objektiver Überversorgung und Fehl-
Bedarf versorgung
Rahmenbedingungen für Wirtschaftlichkeit im Rahmen der GKV
„Grenzverletzungen“ zur Unter-, Über- und Fehlversorgung
sind unwirtschaftlich
Leistung / Bedarf Leistung wird nicht
erbracht
Nur objektiver, kein subjektiver (Latente) Unterversorgung
Bedarf (latenter Bedarf)
Subjektiver und objektiver Bedarf Unterversorgung, ggf. Fehl-
versorgung
Nur subjektiver, kein objektiver Bedarfsgerechte Versorgung
Bedarf
Gutachten des Sachverständigenrates nach § 142 SGB V
SVR-Gutachten 2000 / 2001: Unter-, Über- und Fehlversorgung
• Unterversorgung z.B. im Bereich Osteoporose mit Bisphosphonaten
oder im Bereich Asthma mit inhalativen Corticosteroiden, Unterver-
sorgung von Frauen mit KHK-Mitteln nach Herzinfarkt – Ergebnis:
Hohe und vermeidbare Folgekosten durch Folgeerkrankungen
• Überversorgung z.B. mit Beta-2-Sympathomimetika bei Asthma oder
mit Hypnotika bei älteren Menschen, auch Hormone in der
Wechseljahren oder Antibiotika oder Häufigkeit von Röntgen oder
Linksherzkathetermessungen
• Fehlversorgung z.B. Benzodiazepin-Verordnungen über Jahre in zu
hohen Dosierungen, langwirksame Mittel bei älteren Menschen,
unnötige Operationen (z.B. Gebärmutter oder Arthroskopien), zu
viele Antibiotika bei Kindern mit grippalen Infekten usw., auch zu
teure Versorgung!
Verordnungsprävalenz der Hormontherapie im Jahr 2005
altersstandardisiert (KM 6)
01
02
03
0406
07
08
09
1012
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
2324
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
4041 42
4445
46
47
48
49
50 51
52
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57
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59
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61
6364
65
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67 68
69
7071
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73
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7576
77
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79
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86
87
88
89
90
91
92
93
94
9596
97
98
99
Prävalenz
altersstandardisiert
0 ≤ 13,68
13,69 ≤ 15,15
15,15 ≤ 16,4
16,41 ≤ 21
Unwirtschaftlichkeiten im System, auch durch Überkapazitäten
• Ca. 25% aller Eileiter-/Gebärmutteroperationen überflüssig
• 50% aller Röntgenaufnahmen können eingespart werden
• Im Raume München stehen mehr Computertomographen als in
ganz Italien
• 20 – 30% aller Krankenhausbetten ineffizient (D 6,4 pro 1000
Einw., NL 2,8)
• Noch immer deutlich höhere Arztdichte in D als in vielen
anderen Ländern (+28% seit 1990, +2% Bevölkerung): D 3,4 pro
1000 Einw.; NL 3,6; GB 2,3) mit einer sehr arztzentrierte
Versorgung (Professionenmix!)
• In D ca. 21.500 Apotheken – 1 Apotheke auf ca. 3.500
Einwohner, in NL 1 : 10.000, das wären für D 8.000
Unwirtschaftlichkeiten im System und Überkapazitäten
• IGeL-Angebote bringen Leistungen in das System (z.B. PSA-Test, ca. 4 Mio. pro Jahr außerhalb des GKV-Systems, aber erhebliche Folgekosten (z.B. Biopsie, Hormone) im System)
• Auf unnötige Leistungen entfallen nach Schätzungen ca. 8 - 10% (bis zu 15 Mrd. €), es sind dringend Strukturveränderungen erforderlich, um die Effizienz im System zu optimieren
• Neue Finanzierungskonzepte „pumpen“ bei gleich bleibender Struktur „gutes“ Geld in einer reformbedürftiges System
• Dabei müssen alle auf den Prüfstand: Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken, Pharmaindustrie, Krankenkassen und andere „Akteure“ im System
• Auch den Versicherten und Patientinnen und Patienten muss stärker das Ziel des Systems und ein besseres Verständnis für Solidarität, Unwirtschaftlichkeit und Effizienz erläutert werden
Einsparpotenziale auf einen Blick – ohne Verringerung der Menge
1 Mrd. € enstpricht 0,1 Beitragssatzpunkte
13,0 %13,5 %18,6 %Anteil des Einsparpotentials an GKV-Arzneimittelausgaben
3,0802,9224,478Einsparpotential insgesamt
1,3501,2192,994Analogpräparate
0,9601,0601,444Generikafähige Wirkstoffe
0,7706431,019Umstrittene Arzneimittel
2005 (Mrd. €) hochger. Aus
dem GEK-Report 2006
2004 (Mrd. €)2003 (Mrd. €)Jahr
Gruppe
Quelle: Schwabe, U. 2005; GEK-Report 2006.
““NebenwirkungenNebenwirkungen? ? –– Das Das MittelMittel hat hat jaja nichtnicht mal mal HauptwirkungenHauptwirkungen””
Solche Mittel brauchen wir nicht!
Strukturreform - Zuzahlungen
"Malus" bei Früherkennungsmaßnahmen ( 62):
• 1%-Regelung bei Chronikern, wenn die "Gesundheits-
untersuchungen" in Anspruch genommen werden oder bei
Teilnahme an strukturierten Behandlungsprogrammen
• Ansonsten: 2%-Regelung, wenn die entsprechenden
Untersuchungen vor einer Erkrankung nicht in Anspruch
genommen wurden
Wissenschaftlicher Beirat der BZgA spricht von einer Regelung, die
"absolut kontraproduktiv" sei, da viele Früherkennungs-Untersuchungen
wissenschaftlich nicht abgesichert sind! (StiWa-Buch 2005)
Kassen müssen jährlich auf Vorsorgeuntersuchungen hinweisen!
Strukturreform - Wahltarife ( 53) – Systemkonform?
• Selbstbehalt mit Prämie (max. 600/900 Euro)
• Beitragsrückzahlung bei Nicht-Leistungs-Inanspruchnahme
(max. 1 Monatsbeitrag) – Finanzierung über RSA?
• Prämie für Teilnahme an besonderen Versorgungsformen(Hausarzt, DMP, Integrierte Versorgung, Einzelverträge)
• Kostenübernahme für AM der besonderen Therapierichtungmit entsprechenden Prämien
• Krankengeld-Tarife für Selbstständige (ab 2009)
• Kostenerstattung (wie PKV)
• Selbstverwaltung entscheidet kraft Satzung
• Mindestbindung und Kündigungssperre: 3 Jahre
Strukturreform - Arzneimittel
• Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln durch
IQWiG, aber keine vorgelagerte Bewertung ("4. Hürde") (
35b)
• Vor der Verordnung von teuren und risikoreichen
Medikamenten muss Zweitmeinung eingeholt werden
• Arzneimittelrabattverträge: durch ein Bündel von
Maßnahmen sollen Kosten eingespart werden
• SVR: Kassenspezifische Vertragslisten („Positivlisten“) mit Verhandlungen koppeln- Gesetzte Präparate (wirkliche Innovationen)- substituierbare Präparate (Generika-Wettbewerb)- ergänzende Wahlleistungen (auch ausgeschlossene
non-Rx, wie z.B. Sinupret)
Politische Einschätzung
Pro!
• Keine Leistungskürzungen
• Leistungsausweitungen
• Wettbewerbselemente in einzelnen Bereichen werden
ausgebaut
• Mehr Vertragsfreiheit für Kassen
• Versicherungspflicht für alle Bürger
Politische Einschätzung
Contra!
• Finanzprobleme werden nicht gelöst
• Die PKV wird nicht in das Solidarsystem eingebunden
• Die Steuerungsmöglichkeiten des Staates nehmen zu
(System wird staatsnäher)
• Entmachtung Selbstverwaltung: z.B. Beitragssatzfestsetzung
• Belastung Versicherte: Beitragssätze und Zusatzbeitrag
• Reform lässt zu wenig Wettbewerb zu
• Mitfinanzierung aller nach ihrer Finanzstärke: Absicherung des
Risikos Gesundheit schafft schließlich für die gesamte
Gesellschaft Befriedung, soziale Sicherheit und individuelle
Freiheit
• Die PKV muss eingebunden werden, weil sie die Vorteile der
schon für 90% der Bevölkerung bestehenden medizinischen
Versorgung nutzt – auf Basis der PKV (10% der Bevölkerung)
alleine könnte kein Gesundheitssystem existieren
• Die Pflichtversicherungsgrenzen müssen fallen, es muss zu
einer allgemeinen Versicherungspflicht kommen – im Sinne
der Bürgerversicherung (Abkopplung vom Arbeitsplatz) -, um
die Finanzierung der Solidarität auf Dauer abzusichern
Was in der Reform versäumt wurde
• Die Evaluationskultur muss gefördert werden, Versorgungs-
forschung ist notwendig, um die Qualität und Effizienz im
System transparent zu machen
• Integrierte Versorgung stärken, vor allem im Hinblick auf eine
bessere Versorgung für sozial schwache Schichten und
stärkere Betonung des Professionenmix und der trans-
sektoralen (regionalen) Versorgung (PPO)
• Das Präventionsgesetz muss kommen („Vierte Säule“), um die
„Krankheitslast“ bei Erkrankungen wie Diabetes oder
Hypertonie zu verringern (Problem Übergewicht, Rauchen)
• Anbieter mit in die Pflicht nehmen – gute Qualität honorieren,
schlechte sanktionieren, keine Überkapazitäten finanzieren
Was in der Reform versäumt wurde
Vom Nutzen der Sozialversicherungssysteme
• Der englische Historiker Prof. Tony Judt (Zeit, 2.11.06)
„Viele haben einfach nicht verstanden, warum der
Sozialstaat so unverzichtbar ist – weil er ein Versprechen
auf Sicherheit darstellt. Sobald dieses Versprechen in
einer instabilen Welt aufgekündigt wird, öffnen Sie dem
politischen Extremismus Tür und Tor. Deshalb ist Europa
das einzige Modell einer möglichen Zukunft für die Welt.“
• Und zum Sozialstaat gehört auch ein für die gesamte
Bevölkerung gut funktionierendes Gesundheitssystem!
darfdarf, , sondernsondern durchdurch die die WirklichkeitWirklichkeit hindurchhindurch
muss!”muss!”Das gilt Das gilt auchauch imimGesundheitswesenGesundheitswesen
““JedesJedes DenkenDenken wirdwird dadurchdadurch gefördertgefördert, , dassdass eses in in einemeinem bestimmtenbestimmten AugenblickAugenblicksichsich nichtnicht mehrmehr mitmit ErdachtemErdachtem abgebenabgeben
Albert Einstein
1879 - 1955