Kostensteigerung durch medizinischen Qualitätsverlust D. Straumann.

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Kostensteigerung durch medizinischen Qualitätsverlust

D. Straumann

Neurologische Klinik USZ

Interdisziplinäres Zentrum für Schwindel & Gleichgewichtsstörungen

Schwindel

• neuro-otologisch: Störung des Orientierungssinns

• gesundheitsökonomisch:Meinung, dass man mit ökonomischen Instrumenten die Qualität und Effizienz des Gesundheitswesen verbessern könne

         

                                                                  

          

9.7%

10.9%

Was alle wollen

Das CH-Gesundheitswesen kostengünstiger machen, ohne dass die Qualität darunter leidet.

Was viele meinen

• Das CH-Gesundheitswesen sei flächendeckend qualitativ hochstehend.

• Die hohen Kosten des CH-Gesundheitswesens seien vor allem auf dessen hohe Qualität zurückzuführen.

• Durch bessere Kontrolle der Geldflüsse könne man die steigenden Kosten in den Griff bekommen.

These 1

Rein ökonomische Massnahmen im CH-Gesundheitswesen führen zu einer Mangelbewirtschaftung, bei der immer mehr Mittel dazu eingesetzt werden, die knappen Ressourcen „richtig“ zu verteilen. Damit nehmen aber die Ressourcen noch weiter ab.

Mangelbewirtschaftung

• Aufblähung der Administration• Bettenverknappung• TARMED• Zertifikate• Praxis-Stopp• Auflösung des Kontrahierungszwangs• „Aufteilung“ der Spitzenmedizin• Bestrafung von Kostenauslösern

Aufblähung der Administration

CYRIL NORTHCOTE PARKINSON 1909-1993

Parkinson‘s law: Triebkräfte

1. Jeder Administrator wünscht die Zahl seiner Untergebenen, nicht aber die Zahl seiner Rivalen zu vergrössern.

2. Administratoren schaffen sich gegenseitig Arbeit.

Parkinson‘s law

Work expands so as to fill the time available for its completion.

(dt.: Arbeit dehnt sich immer so aus, dass sie genau die Zeit braucht, die man für sie

zur Verfügung hat.)

Bettenverknappung00:00 75-jähriger Patient erleidet Apoplexie

(Hemisyndrom rechts mit Aphasie)00:30 Notfallarzt trifft ein00:40 Ambulanz trifft ein00:45 tel. Anmeldung an Neurologie-Nachtarzt

(potentieller Lyse-Kandidat), Suche eines IPS-Bettes

01:15 ev. hat es ein Bett auf Verbrennungsstation (OA noch muss erreicht werden)

01:25 kein IPS-Bett, Ambulanz soll im Triemli, Waid-Spital oder Neumünster-Spital nachfragen

Bettenverknappung (Forts.)

01:45 Patient wird ohne weitere Rückfrage in den Notfall gefahren (kein IPS-Bett in den anderen drei Spitälern)

01:50 klinische Untersuchung & Anmeldung im CT02:00 CT: beginnende Ischämie-Zeichen links-

hemisphärisch, keine Blutung02:10 Besprechung mit Angehörigen, Indikation

zur Fibrinolyse falls IPS-Bett verfügbar

Bettenverknappung (Forts.)

02:20 „Handel“ mit Neurochirurgie-IPS (IPS-Patient wird im Abtausch auf Abteilung genommen, Neurologie hat aber kein Platz; deshalb kommt der Abtausch-Patient auf den ORL-Wachsaal, wird dort aber vom Neurologen betreut)

02:35 iv Lyse

TARMED

• Zeittarif– bestraft die Effizienten & die Erfahrenen– belohnt die Langsamen

• technische Leistung– verhindert Innovation

• gleicher Taxpunkt für alle Fachrichtungen– Kollektivstrafe

• Überweisung / ausgelöste Kosten– Zunahme der „Notfallpatienten“– Diskriminierung der „kranken Patienten“

Zertifikate

• Zahl der „Auserwählten“ klein halten• „Pioniere“ profitieren von selbst bestimmten

Übergangsbestimmungen• minimale Teilnehmerzahl für Weiter- und

Fortbildungen garantieren• Gebühren / Administration für Prüfungen

Praxis-Stopp

• Diskriminierung der jungen Ärzte• Abschreckung von guten Studenten• Handel mit Praxen

Auflösung des Kontrahierungszwangs

• billige Ärzte werden bevorzugt• komplexe & teure Patienten werden in die

öffentlichen Spitäler „abgeschoben“• administrativer Aufwand für die „Rechtfertigung“

teurer Untersuchungen steigt• Grabenkrieg zwischen Krankenkassen & Ärzten• Sparpotential unsicher

„Aufteilung“ der Spitzenmedizin

• politische Entscheidung einer medizinischen Frage („Federstrich-Entscheid“)

• Aufteilung statt Zentralisierung• Demotivierung der involvierten Spezialisten• Sparpotential fraglich

Bestrafung von Kostenauslösern

• Abwehr von komplexen Patienten• Abnahme von Zuweisungen („lieber selber

weiter wursteln“)• Zunahme der Selbstzuweisungen (mit

Unterstützung des Hausarztes)• mündliches Weiterweisen auf den Notfall

Amaurosis fugax

• Beginn: 3x während einigen Minuten nur schwarz-grau auf dem linken Auge gesehen

• am gleichen Tag: HA verschreibt Augentropfen• + 1 Tag: erneut 2x links kurzzeitig blind,

telefonischer Kontakt mit HA, reguläre Anmeldung beim Augenarzt

Amaurosis fugax (Forts.)

• + 1.5 Tage: plötzlicher Sturz, Hemiplegie rechts und globale Aphasie

• CT: ausgedehnter Media-Insult rechts• Angio-CT: Carotis-interna-Verschluss rechts• Lyse mit tPA 2 Stunden nach Schlaganfall,

leichter Rückgang der Schwäche, schwere Aphasie bleibt

• 2 Wochen Hospitalisation• 4 Wochen Neurorehabilitation• Pflegeheim

These 2

Die Mangelbewirtschaftung fördert einseitig das quantitative Denken in der Medizin, was unweigerlich zu einem Qualitätsverlust des Gesundheitswesens führt.

progrediente Schwäche

• Beginn: 49-jähriger Kurde langsam zunehmende Schwäche der Beine

• + 2 Tage: Arbeitsunfähigkeit auf dem Bau• + 3 Tage: zusätzliche leichte Armschwäche• + 4 Tage: Pat. geht auf Notfall, weil der nur noch

kleine Schritte machen kann, wird als funktionell beurteilt

progrediente Schwäche (Forts.)

• + 6 Tage: Pat. wird von den Angehörigen nochmals auf den Notfall gebracht, kann Handy nur noch knapp am Ohr halten, Beurteilung unverändert

• + 7 Tage: Angehörige bringen den Patienten selbst nach Zürich

progrediente Schwäche (Forts.)

• neurologischer Notfall: Tetraparese, leichte Atemnot, Areflexie

• CT: unauffällig, Liquor: isolierte Proteinerhöhung, Diagnose: Guillain-Barré-Syndrom

• Therapie: sofortiger Beginn mit iv-Ig• Verlauf: nach 6 h Verlegung auf IPS wegen

Ateminsuffizienz, nach 2 Wochen Verlegung auf Abteilung

These 3

Die abnehmende Qualität des CH-Gesundheitswesens führt zu einer weiteren Kostensteigerung. Nur eine qualitativ hochstehende Medizin ist mittel- und langfristig billiger.

diffuser Schwindel

• Beginn: plötzlich beim Stehen / Gehen / Kopfbewegen fluktuierender diffuser Schwindel („wie auf Schiff“) mit leichter Übelkeit

• + 2 Wochen: beim HA Herz-Auskultation, BD-Messung, EKG, Therapie mit Stugeron

• + 4 Wochen: Blutentnahme, zusätzliche Therapie mit Torecan

diffuser Schwindel (Forts.)

• + 6 Wochen: ORL-Arzt, normaler otologischer Befund, Therapie mit Betaserc

• + 12 Wochen: Hausarzt, Verdacht auf Rhythmusstörungen, 24 h-EKG normal

• +14 Wochen: Neurologe, normaler neurologischer Status, normales EEG, normaler Doppler

• +15 Wochen: normales Schädel-MRI

diffuser Schwindel (Forts.)

• + 20 Wochen: Schwindelsprechstunde, Diagnose einer Canalolithiasis des hinteren Bogengangs rechts, Therapie mit modifiziertem Epley-Manöver, Patient seither beschwerdefrei

Canalolithiasis

Lagerungsmanöver

Lagerungsnystagmus

Courtesy G.M. Halmagyi

modifiziertes Epley-Manöver

Wie hätte ein Ökonome Kosten gespart?

Fazit

• Das Gesundheitswesen kann langfristig nur über eine Verbesserung der Mediziner-Ausbildung kostengünstiger werden.

• Isolierte gesundheitsökonomische Massnahmen verschlechtern die Qualität der Medizin und machen langfristig das System noch teurer.

Gesundheitspolitik & Medizin

Vorschläge

• Die Zahl der Studienplätze und Facharztweiterbildungsstellen richtet sich nach dem Bedarf.

• Der Mediziner-Selektion und -Ausbildung muss mehr Beachtung geschenkt werden.

• Das Tarif-System muss so angelegt sein, dass gute Medizin ohne ständige monetäre Hintergedanken betrieben werden kann.