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II. Inhalt der Tarifnormen
1. Inhaltsnormen
Den Hauptgegenstand, vielfach den einzigen Gegenstand von Tarifverträgen bilden
die Rechtsnormen, die den Inhalt der einzelnen Arbeitsverhältnisse regeln, die sog.
Inhaltsnormen. Bei ihnen handelt es sich um Bestimmungen, die ihrem Wesen nach
durch Einzelarbeitsvertrag vereinbart werden können. Deshalb gehören zu ihnen
auch die Bestimmungen über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Besondere
Bedeutung haben die Tarifbestimmungen über die Arbeitsentgelte. Die allgemeinen
Bestimmungen, insbesondere die Regelung über die Gehalts- und Lohngruppen,
sind in der Regel in einem Manteltarifvertrag vereinbart, während die Höhe des
Arbeitsentgelts in besonderen Lohn- und Gehaltstarifverträgen geregelt ist. Ebenfalls
ist regelmäßig im Manteltarifvertrag eine Arbeitszeitregelung enthalten, in der die
Dauer der regelmäßigen Wochenarbeitszeit sowie die Festlegung von Überstunden
festgelegt ist. Schließlich findet sich im Manteltarifvertrag der meisten
Wirtschaftszweige eine Regelung des Erholungsurlaubs. So ist vor allem die Dauer
des Erholungsurlaubs zumeist tarifvertraglich geregelt und wesentlich höher als nach
§ 2 BUrlG.
Die tarifvertragliche Normsetzungsmacht ist nicht auf die Bestimmungen beschränkt,
welchen Inhalt ein Arbeitsverhältnis haben soll (positive Inhaltsnormen), sondern es
kann auch festgelegt werden, welchen Inhalt ein Arbeitsverhältnis nicht haben kann
(negative Inhaltsnormen). Beispielsweise kann in einem Tarifvertrag Mehrarbeit oder
Samstagsarbeit verboten werden. Dann ist der Arbeitnehmer, für den der Tarifvertrag
gilt, nicht verpflichtet, Überstunden zu leisten oder am Samstag zu arbeiten. Eine
negative Inhaltsnorm liegt auch vor, wenn der Tarifvertrag für den zeitlichen Umfang
der geschuldeten Arbeitsleistung eine Mindest- oder Höchstgrenze festlegt.
2. Abschlussnormen
Abschlussnormen regeln die Bedingungen für den Abschluss von Arbeitsverträgen.
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Zu ihnen gehört, dass der Arbeitsvertrag eine bestimmte Form wahren muss. Im
Allgemeinen soll von ihrer Einhaltung nicht die Begründung des Arbeitsverhältnisses
abhängen. Sie kann dann auch noch den Inhaltsnormen zugeordnet werden. Zu den
Abschlussnormen gehören Abschlussverbote, die nicht nur Beschäftigungsverbote
enthalten, sondern darüber hinaus den Abschluss eines Arbeitsvertrags schlechthin
verbieten. Zu den Abschlussverboten können auch die Tarifnormen zählen, die den
Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einem bestimmten Inhalt verbieten.
Voraussetzung ist allerdings, dass bei einem Verstoß das Arbeitsverhältnis nicht
zustande kommen soll. Wird dagegen lediglich verboten, eine bestimmte Abrede zu
treffen, wie bei dem Verbot einer Wettbewerbsabrede, so handelt es sich um eine
negative Inhaltsnorm, nicht um eine Abschlussnorm.
Abschlussnormen sind insbesondere die Abschlussgebote, die den Arbeitgeber
verpflichten, unter den in ihnen genannten Voraussetzungen mit einem Arbeitnehmer
einen Arbeitsvertrag abzuschließen. Durch sie wird also für den Arbeitgeber, nicht
aber für den Arbeitnehmer ein Kontrahierungszwang begründet. Eine Abschlussnorm
liegt vor, wenn in einem Tarifvertrag bei Entlassung wegen ungünstiger Witterung
den davon betroffenen Arbeitnehmern der Anspruch auf Wiedereinstellung
eingeräumt wird, wenn die Wiederbeschäftigung möglich ist
(Wiedereinstellungsklausel).
3. Rechtsnormen über betriebliche Fragen (Betriebsnormen) Inhalts- und Abschlussnormen gelten unmittelbar und zwingend nur zwischen den
beiderseits tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern (§ 4 Abs. 1 Satz 1
TVG). Von ihnen unterscheiden sich die Tarifnormen, die für den Betrieb bereits bei
Tarifgebundenheit des Arbeitgebers gelten, es also auf die Tarifgebundenheit der
Arbeitnehmer nicht ankommt. Es sind dies die Rechtsnormen über betriebliche und
betriebsverfassungsrechtliche Fragen (§§ 3 Abs.2, 4 Abs.1 Satz 2 TVG).
Für die Rechtsnormen über betriebliche Fragen, die Betriebsnormen, entspricht das
Tarifvertragsgesetz einem Unterschied, der in der tatsächlichen Gestaltung des
Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Betriebes begründet ist. Neben den
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Beziehungen, die den Arbeitnehmer als einzelnen mit dem Arbeitgeber verbinden,
wird sie durch Beziehungen geprägt, die für alle Arbeitnehmer gemeinsam oder
einheitlich für eine Gruppe von ihnen bestehen und deshalb den einzelnen nur als
Glied der Gemeinschaft erfassen. Im Unterschied zu den Individualbeziehungen
bezeichnet man sie als Solidarbeziehungen. Wenn dem einzelnen Arbeitnehmer auf
deren Gestaltung kein Rechtsanspruch eingeräumt, aber gleichwohl eine
Rechtsbindung des Arbeitgebers begründet werden soll, bilden Tarifbestimmungen
eine von den Inhaltsnormen zu unterscheidende Normenart. Als derartige
Solidarnormen kommen Regelungen in Betracht, die den Arbeitnehmer von
Gefahren, Belästigungen und Störungen schützen oder die den Arbeitsablauf oder
die Gestaltung des Arbeitsplatzes betreffen. Neben ihnen gehören zu den
Betriebsnormen aber auch Bestimmungen, die das Ordnungsverhalten der
Arbeitnehmer im Betrieb regeln (Ordnungsnormen).
4. Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen (Betriebsverfassungsnormen) Betriebsverfassungsrechtlich sind die Fragen, die sich auf die Rechtstellung der
Belegschaft gegenüber Arbeitgeber und einzelnen Beschäftigten innerhalb einer
Arbeitsorganisation beziehen. Nicht hierzu zählt die Arbeitnehmerbeteiligung in den
Unternehmensorganen der Kapitalgesellschaften und Genossenschaften. Die
Befugnis der Tarifvertragsparteien, Betriebsverfassungsnormen zu vereinbaren,
besteht nur in den Grenzen der gesetzlichen Ordnung der Betriebsverfassung.
§ 3 Abs. 1 Nr. 1 - 3 BetrVG erlaubt den Tarifvertragparteien, ohne Bindung an eine
staatliche Zustimmung den Betrieb als Organisationsbasis für die
betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung durch eine abweichende Regelung zu
ersetzen; an die Stelle des Betriebs tritt die auf Grund des Tarifvertrags gebildete
Organisationseinheit (§ 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG). Zweifelhaft ist, ob durch Tarifvertrag
die dem Betriebsrat zugewiesene Mitwirkung und Mitbestimmung in sozialen,
personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten geändert, insbesondere erweitert
und verstärkt werden kann.1 Unabhängig von diesen Zweifeln ist zulässig, dass die
1 Bejahend zunächst zur tarifvertraglichen Erstreckung des Mitbestimmungsrechts auf die Dauer der
Arbeitszeit in einem von den Tarifpartnern gesteckten Rahmen BAG 18.8.1987 AP BetrVG
3
Tarifvertragsparteien die Beteiligung des Betriebsrats in einer von ihnen geregelten
Angelegenheit vorsehen, z. B. Abweichungen von einer tarifvertraglichen Regelung
an die Zustimmung des Betriebsrats binden.
Die Betriebsverfassung des öffentlichen Dienstes ist in den
Personalvertretungsgesetzen geregelt. Aus § 3 BPersVG ergibt sich, dass im
Geltungsbereich dieses Gesetzes keine betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen
vereinbart werden können. Da § 97 eine dem § 3 BPersVG entsprechende
Rahmenvorschrift für die Landesgesetzgebung enthält, gilt Gleiches derzeit noch für
die Personalvertretungsgesetze der Länder. Durch die Föderalismusreform ist aber
mit der Aufhebung des Art. 75 GG die Kompetenz des Bundes für die
Rahmengesetzgebung entfallen. Die Länder sind daher nicht mehr an § 97 BPersVG
gebunden (Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG).
5. Rechtsnormen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien Gemeinsame Einrichtungen sind von den Tarifvertragsparteien geschaffene
Einrichtungen, deren Zweck und Organisation durch Tarifvertrag festgelegt wird. Sie
spielen vor allem im Baugewerbe eine Rolle, z. B. die Urlaubskasse und die
Lohnausgleichskasse. Die Rechtsnormen über gemeinsame Einrichtungen bilden
einen selbständigen Regelungskomplex, der im Katalog des § 1 Abs.1 TVG nicht
genannt wird. Wie sich aus § 4 Abs. 2 TVG ergibt, gilt ihre Regelung für die Satzung
der gemeinsamen Einrichtung und deren Rechtsbeziehungen zu Arbeitgebern und
Arbeitnehmern. Regelungsgegenstand ist nicht das Arbeitsverhältnis, sondern neben
der Organisation das Rechtsverhältnis zu der gemeinsamen Einrichtung. Das
Arbeitsverhältnis bildet lediglich den Anknüpfungspunkt für Leistungen, bei deren
Erbringung die gemeinsame Einrichtung an die Stelle des Arbeitgebers tritt. Sie wird
dadurch in das Leistungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
einbezogen. Bei nichtständiger Beschäftigung eines Arbeitnehmers kann dadurch
gesichert werden, dass ein Arbeitnehmer beispielsweise Urlaub erhält; denn bei
1972 § 77 Nr. 23; generell sodann BAG 10.2.1988 AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 53 (dort zur Einräumung eines Mitbestimmungsrechts bei der Einstellung ohne Begrenzung auf Zustimmungsverweigerungsgründe).
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Kurzfristigkeit der Beschäftigung erfüllt er bei dem einzelnen Arbeitgeber im
allgemeinen nicht die Wartezeit für den Erwerb des Urlaubsanspruchs.
III. Wirkung der Tarifnormen 1. Unabdingbarkeit der Tarifnormen
Die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss oder die
Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen (Inhalts- und Abschlussnormen), gelten
unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits tarifgebundenen
Arbeitsvertragsparteien, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen (§ 4
Abs. 1 Satz 1 TVG). Beide Wirkungen werden im Oberbegriff der Unabdingbarkeit
zusammengefasst. Durch sie wird der Vorrang des Tarifvertrags vor dem
Einzelarbeitsvertrag verwirklicht. Entsprechend gehört deshalb zu ihr, dass auch ein
Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte nur in einem von den Tarifvertragsparteien
gebilligten Vergleich zulässig ist (§ 4 Abs. 4 TVG). Wenn auch nur eine
Vertragspartei nicht tarifgebunden ist, entfällt die unmittelbare und zwingende
Geltung der Tarifnormen. Diese sind dann auf das Arbeitsverhältnis nur anwendbar,
soweit sie durch Bezugnahme Bestandteil des Einzelarbeitsvertrags geworden sind.
Wenn dagegen Tarifgeltung besteht, sichert die zwingende Wirkung, daß die
Tarifnormen nicht nur ohne, sondern auch gegen den Willen der
Arbeitsvertragsparteien den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gestalten. Vertragliche
Abreden, die den Tarifnormen entgegenstehen, werden verdrängt, soweit sie keine
Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Dadurch wird aber nicht der
Inhalt des Arbeitsvertrags geändert. Die zwingende Geltung führt vielmehr nur für die
Dauer ihrer Wirkung zur Verdrängung der arbeitsvertraglichen Vereinbarung, macht
diese aber nicht nichtig.
Der Gesetzestext bezieht die unmittelbare und zwingende Geltung auch auf
Abschlussnormen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Die Anordnung entfaltet hier aber eine
andere Rechtswirkung: Ein Verstoß gegen ein Abschlussverbot kann die Nichtigkeit
des Arbeitsvertrags zur Folge haben. Abschlussgebote richten sich dagegen nicht
gegen eine abweichende Vereinbarung, sondern sie begründen einen
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Kontrahierungszwang. Die durch die Tarifnorm unmittelbar eingeräumte
Rechtsposition ist zwingend gesichert; auf sie kann ein Arbeitnehmer nicht
verzichten.
Für Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen gilt die Anordnung der unmittelbaren
und zwingenden Geltung lediglich entsprechend (§ 4 Abs. 1 Satz 2 TVG). Für ihre
normative Geltung genügt nämlich die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers (§ 3
Abs. 2 TVG). Sie beschränken dessen Recht zur freien kollektiv bestimmten
Betriebsgestaltung.
2. Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregelung Nach § 4 Abs. 3 TVG sind abweichende Abmachungen ,,nur zulässig, soweit sie
durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten
des Arbeitnehmers enthalten“. Diese Vorschrift begrenzt die zwingende Geltung der
Tarifnormen. Sie beruht auf zwei verschiedenen Grundgedanken: Die Gestattung von
Abweichungen im Tarifvertrag ergibt sich aus dem Vorrang des Kollektivwillens, die
stets zulässige Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers auf einer Begrenzung der
Tarifmacht durch das Günstigkeitsprinzip.
Die Anwendung des Günstigkeitsprinzips setzt voraus, dass die einzelvertragliche
Abrede von der Tarifnorm abweicht. Wenn das nicht der Fall ist, ist eine
einzelvertragliche Vereinbarung zulässig, ohne dass es darauf ankommt, ob sie den
Arbeitnehmer begünstigt oder belastet. Erst wenn feststeht, dass zwischen der
Tarifnorm und einer einzelvertraglichen Regelung Konkurrenz besteht, beurteilt sich
nach dem Günstigkeitsprinzip, welche Regelung maßgebend ist.
Bei der Feststellung der Regelungsgleichheit sind alle Bestimmungen des
Tarifvertrags und der einzelvertraglichen Abrede miteinander zu vergleichen, die in
einem offensichtlichen inneren Zusammenhang stehen; es genügt also weder ein
isolierter Vergleich noch ein Gesamtvergleich, sondern es ist ein
Sachgruppenvergleich vorzunehmen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sowohl
die Parteien des Tarifvertrags als auch die Arbeitsvertragsparteien bestimmen, was
Gegenstand ihrer Regelung sein soll. Ergibt die Interpretation ihrer Abreden, dass sie
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sich auf dieselbe Regelungsmaterie beziehen, muss festgestellt werden, ob mit der
abweichenden Abmachung andere Bestimmungen der einzelvertraglichen
Vereinbarung derart miteinander zusammenhängen, dass die eine nicht ohne die
andere getroffen wäre.
Ob zwischen den einzelnen Bestimmungen ein innerer Zusammenhang besteht,
darüber entscheiden in erster Linie die Parteien des Einzelarbeitsvertrags. Gewährt
der Arbeitgeber neben einer vertraglich vereinbarten Grundvergütung eine Zulage,
so ist festzustellen, ob Grundgehalt und Zulage nur Rechnungsposten einer
einheitlichen Vergütung bilden oder ob sich die Zulage nach dem Willen der
Vertragsparteien als ein relativ selbständiger, gesondert neben der Grundvergütung
stehender Lohnbestandteil darstellt. Eine einzelvertragliche Regelung kann auch mit
einer Tarifnorm in einem inneren Zusammenhang stehen. Das ist anzunehmen,
wenn der übertarifliche Lohn tarifvertraglich gewährte Zulagen abgelten soll. Die
einzelvertragliche Abrede ist in diesem Fall nicht schon dann günstiger als der
Tarifvertrag, wenn der übertarifliche Lohn den tarifvertraglichen Grundlohn übersteigt,
sondern erst dann, wenn er höher ist als der Grundlohn und die Zulagen zusammen.
Ein derartiger Zusammenhang muss sich aber eindeutig aus der einzelvertraglichen
Abrede ergeben; denn im allgemeinen wird sich die Vereinbarung übertariflicher
Entlohnung nur auf den Grundlohn beziehen, zu dem die im Tarifvertrag
vorgesehenen Zuschläge hinzukommen sollen.
Da das Günstigkeitsprinzip nicht die für den Arbeitnehmer einseitig zwingende
Geltung der Tarifnormen beseitigt, können in den Sachgruppenvergleich nur
Regelungen einbezogen werden, für deren Bewertung es einen gemeinsamen
Maßstab gibt. Das Günstigkeitsprinzip ist eine Kollisionsnorm. Was nicht miteinander
verglichen werden kann, bildet deshalb nicht den Gegenstand eines
Günstigkeitsvergleichs. Das BAG ist deshalb zu dem Ergebnis gekommen, dass
Tarifbestimmungen über die Höhe des Arbeitsentgelts und über die Dauer der
regelmäßigen Arbeitszeit nicht mit einer betrieblichen Arbeitsplatzgarantie verglichen
werden können.2
Erst wenn feststeht, welche vertragliche Abrede von der Tarifnorm abweicht, kann
2 BAG 20.4.1999 AP GG Art. 9 Nr. 89.
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beurteilt werden, ob sie eine Änderung zugunsten des Arbeitnehmers darstellt. Der
Günstigkeitsvergleich ist ein Werturteil. Da das Günstigkeitsprinzip nicht dazu dient,
die Unabdingbarkeit der Tarifnormen zu beseitigen, es aber zugleich auch eine
Schranke der Tarifmacht darstellt, kann weder ein von den Tarifvertragsparteien
festgelegtes Interesse noch die subjektive Einschätzung eines Arbeitnehmers den
Maßstab für die Beurteilung bilden.
Die Beurteilung der Begünstigung bereitet keine Schwierigkeiten, wenn die vom
Tarifvertrag abweichende Abrede das Äquivalenzverhältnis zwischen Arbeitsleistung
und Arbeitsentgelt betrifft. Wenn der Arbeitnehmer für denselben Lohn weniger zu
arbeiten braucht oder für dieselbe Arbeitsleistung einen höheren Lohn erhält, als es
tarifvertraglich vorgesehen ist, so ist die einzelvertragliche Abrede für ihn die
günstigere Regelung. Zweifelhaft ist die Rechtslage aber, wenn die Dauer der
Arbeitszeit geregelt wird, weil mit deren Verlängerung eine Erhöhung, mit deren
Verkürzung aber eine Verringerung des Arbeitseinkommens verbunden ist. Der auf
den Preis der Arbeit bezogene Günstigkeitsvergleich versagt, soweit es um die
Pflicht zur Arbeit geht. Da auch bei Tarifgeltung nicht der Tarifvertrag, sondern der
Einzelarbeitsvertrag den Rechtsgrund für die Erbringung der Arbeitsleistung bildet,
können durch Tarifnorm zwar Arbeitszeitgrenzen aufgestellt werden; durch sie kann
aber das rechtsgeschäftliche Dienstleistungsversprechen keinen anderen Inhalt
erhalten. Eine Tarifnorm über die Arbeitszeit kann nicht bewirken, dass die
Vertragsabrede über den zeitlichen Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung durch
die Tarifnorm ersetzt wird. In Betracht kommt vielmehr nur, dass die Tarifnorm dem
Arbeitnehmer das Recht einräumt, länger oder kürzer als bisher zu arbeiten, oder
daß sie eine Mindest- oder Höchstgrenze festlegt, die für die beiderseits
tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien eine Verbotsnorm begründet.
3. Günstigkeitsprinzip und übertarifliche Arbeitsbedingungen Die Beschränkung der tarifvertraglichen Gestaltungsmacht durch das
Günstigkeitsprinzip hat nur zur Folge, dass Einzelvereinbarungen aufrechterhalten
bleiben, soweit sie günstiger als die tarifvertragliche Regelung sind. Weder aus der
Unabdingbarkeit der Tarifnormen noch aus dem Günstigkeitsprinzip ergibt sich aber,
dass die tarifvertraglich gewährte Vergünstigung auch den Arbeitnehmern zugute
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kommt, die bisher auf Grund einzelvertraglicher Vereinbarung übertarifliche
Arbeitsbedingungen erhielten. Dem Tarifvertrag wird genügt, wenn die
einzelvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen nicht hinter den Tarifsätzen
zurückbleiben.
Die Frage, welchen Einfluss eine Erhöhung des Tariflohns auf eine übertarifliche
Entlohnung hat, beantwortet deshalb der Einzelarbeitsvertrag. Kann ihm nicht
entnommen werden, dass ein übertariflicher Lohnbestandteil tarifbeständig ist, so gilt
als Regel, dass er von der Tariflohnerhöhung aufgesogen wird. Durch Tarifvertrag
kann nicht geregelt werden, dass übertariflich entlohnte Arbeitnehmer in den Genuss
der Tariflohnerhöhung kommen. Derartige Effektivklauseln sind unwirksam.3 Ein
Tarifvertrag kann auch nicht bestimmen, dass ein übertariflicher Lohnbestandteil auf
eine tarifliche Lohnerhöhung angerechnet wird.
4. Unverzichtbarkeit auf entstandene tarifliche Rechte als Ergänzung der Unabdingbarkeit
Mit dem Sinn und Zweck der Unabdingbarkeit von Tarifnormen wäre es unvereinbar,
wenn durch einen Erlassvertrag erreicht werden könnte, dass die Leistungen nicht
nach dem Tarifvertrag erbracht werden. Die Unabdingbarkeit schließt deshalb
grundsätzlich den Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte aus. § 4 Abs. 4 TVG
geht daher von dem Grundsatz aus, dass was unabdingbar ist, auch unverzichtbar
ist.
Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den
Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig (§ 4 Abs. 4 Satz 1 TVG).
Voraussetzung ist allerdings, dass die Rechte während der Tarifgeltung entstanden
sind, die Tarifnormen also unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis galten.
Es genügt nicht, dass der Anspruch zu einer Zeit begründet wurde, als der
Tarifvertrag nur noch Nachwirkung hatte (§ 4 Abs. 5 TVG). Eine Billigung durch die
Tarifvertragsparteien ist also nur für Ansprüche erforderlich, die zu einer Zeit
begründet wurden, als die Tarifvertragsparteien die Herrschaft über die
Tarifvertragsregelung hatten. Entsprechend findet daher die Regelung auch keine 3 So jedenfalls BAG 14.2.1968 AP TVG § 4 Effektivklausel Nr. 7.
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Anwendung, wenn die Tarifvertragsregelung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine
Tarifgeltung hat, sondern nur auf Grund einer arbeitsvertraglichen
Einbeziehungsabrede oder betrieblicher Übung dem Arbeitsverhältnis zugrunde
gelegt wird.
Für § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG spielt keine Rolle, ob es sich um einen Prozessvergleich
oder um einen außergerichtlichen Vergleich handelt. Nicht erfasst wird der Fall, daß
über die tatsächlichen Voraussetzungen eines tariflichen Anspruchs
Meinungsverschiedenheiten bestehen. Ein Vergleich, der den Streit oder die
Ungewissheit beseitigt (Tatsachenvergleich), fällt nicht unter § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG;
denn der im Vergleich enthaltene Verzicht bezieht sich hier nicht auf die Geltung der
Tarifnorm.
Der Grundsatz der Unverzichtbarkeit wird dadurch ergänzt, dass die Verwirkung von
tariflichen Rechten ausgeschlossen ist (§ 4 Abs.4 Satz 2 TVG). Der Zeitablauf spielt
deshalb bei tariflich begründeten Ansprüchen ohne besondere Regelung im
Tarifvertrag nur insofern eine Rolle, als er zu einer Verjährung des Anspruchs führen
kann. Durch den Ausschluss der Verwirkung soll aber lediglich verhindert werden,
daß der Arbeitnehmer seinen Anspruch bereits bei illoyaler Verspätung der
Geltendmachung verliert, bevor die Verjährungsfrist oder eine im Tarifvertrag
festgelegte Ausschlussfrist abgelaufen ist. Dadurch wird aber nicht ausgeschlossen,
daß die Geltendmachung des Anspruchs aus anderen Gründen eine unzulässige
Rechtsausübung darstellt, insbesondere der Einwand der Arglist begründet ist.
Die Unabdingbarkeit der Tarifnormen wird weiterhin dadurch gesichert, dass für die
Geltendmachung tariflicher Rechte Ausschlussfristen nur im Tarifvertrag vereinbart
werden können (§ 4 Abs. 4 Satz 3 TVG). Auch hier ist Voraussetzung, dass die
Tarifnormen Tarifgeltung hatten, als das Recht begründet wurde. Das Gesetz spricht
zwar nur von Ausschlussfristen, durch deren Festlegung bestimmt wird, dass der
Anspruch erlischt, wenn er nicht innerhalb der Frist geltend gemacht wird, während
der Ablauf der Verjährungsfrist den Anspruch nicht beseitigt, sondern lediglich ein
Leistungsverweigerungsrecht gibt (§ 214 Abs. 1 BGB). Es würde aber im Ergebnis
für die Sicherung der Unabdingbarkeit der Tarifnorm keinen Unterschied machen,
wenn die gesetzlich festgelegten Verjährungsfristen einzelvertraglich abgekürzt
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werden könnten. Deshalb gilt § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG, wie ein Textvergleich mit der
parallel gestalteten Vorschrift des § 77 Abs. 4 Satz 3 BetrVG bestätigt, auch für die
Abkürzung der Verjährungsfristen: Eine Verkürzung der gesetzlich vorgesehenen
Verjährungsfristen kann, soweit es um die Geltendmachung tariflicher Rechte geht,
nur durch Tarifvertrag verbindlich festgelegt werden.
Die Tarifvertragsparteien beschränken die Ausschluss- und Verjährungsfristen in der
Regel nicht auf die Geltendmachung der tariflich gestalteten Rechte, sondern es ist in
der Tarifpraxis üblich, sie auf alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu
erstrecken, so dass auch auf Gesetz beruhende und einzelvertraglich begründete
Ansprüche erfasst werden. Die Beschränkung, dass Ausschlussfristen nur in einem
Tarifvertrag festgelegt werden können, gilt aber lediglich für Tarifansprüche bei
Tarifgeltung.
5. Nachwirkung der Tarifnormen bei Beendigung der Unabdingbarkeit
Nach Ablauf des Tarifvertrages gelten, wie es in § 4 Abs. 5 TVG heißt, ,,seine
Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden“. Diese
Vorschrift gilt entsprechend für den Fall, dass lediglich die Tarifgebundenheit an
einen weitergeltenden Tarifvertrag beendet, z. B. die Allgemeinverbindlicherklärung
aufgehoben wird. Durch die Nachwirkung soll ausgeschlossen werden, dass die
Arbeitsverhältnisse mit Ablauf des Tarifvertrags ,,inhaltsleer“ werden. Sie bedeutet
trotz des missverständlich gefassten Gesetzestextes nicht eine Weitergeltung der
Tarifnormen mit unmittelbarer, aber lediglich dispositiver Wirkung, sondern sie
erstreckt sich nur auf Arbeitsverhältnisse, die schon vor Ablauf des Tarifvertrags
begründet waren.4 IV. Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität
Von einer Tarifkonkurrenz spricht man, wenn zwei oder mehrere Tarifverträge
denselben Sachverhalt regeln. Voraussetzung ist, dass sie Tarifgeltung haben. Wenn 4 So jedenfalls die ständige Rechtsprechung des BAG; vgl. BAG 22.7.1998 AP TVG § 4 Nachwirkung
Nr. 32.
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ein Tarifvertrag durch einen neuen Tarifvertrag abgelöst wird, liegt keine
Tarifkonkurrenz vor, sondern durch den neuen Tarifvertrag wird die bisherige
Regelung ersetzt und aufgehoben; es gilt insoweit das Ablösungsprinzip. Eine
Tarifkonkurrenz kommt deshalb nur in Betracht, wenn der Regelungsgegenstand
unter den räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich
mehrerer Tarifverträge fällt. Voraussetzung ist weiterhin, dass die für den
Regelungsgegenstand gegebenen Regelungen sich ausschließen. Eine
Tarifkonkurrenz scheidet daher aus, wenn sie sich ergänzen sollen, wie es
namentlich bei den Lohntarifverträgen und Tarifverträgen über allgemeine
Arbeitsbedingungen (Manteltarifverträgen) der Fall zu sein pflegt.
Das Problem, nach welchen Grundsätzen die Tarifkonkurrenz zu lösen ist, stellt sich
nur, wenn Tarifgebundenheit besteht. Soweit die Tarifverträge den Inhalt der
Arbeitsverhältnisse regeln, erfolgt daher eine Abgrenzung bereits weitgehend durch
das Erfordernis der beiderseitigen Tarifgebundenheit (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Bei
unterschiedlicher Organisationszugehörigkeit der Arbeitnehmer liegt daher nur eine
Tarifpluralität vor. Dennoch gibt es Fälle, in denen beiderseitige Tarifgebundenheit zu
mehreren Tarifverträgen besteht und das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich
dieser Tarifverträge fällt. Eine derartige Tarifgebundenheit kommt in Betracht, wenn
eine Gewerkschaft mit zwei verschiedenen Arbeitgeberverbänden einen Tarifvertrag
abschließt und der Arbeitgeber ihnen angehört. Möglich ist weiterhin, dass die
Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber selbst einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, also
neben dem Verbandstarifvertrag ein Firmentarifvertrag besteht. Schließlich kann sich
die Tarifkonkurrenz daraus ergeben, dass ein Tarifvertrag, in dessen
Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis fällt, für allgemeinverbindlich erklärt wird und
neben ihm ein Tarifvertrag besteht, an den die Arbeitsvertragsparteien nach § 3
Abs. 1 TVG tarifgebunden sind.
Die Kollisionsregel kann bei Tarifkonkurrenz nicht nach dem Günstigkeitsprinzip
bestimmt werden; es gilt vielmehr das Prinzip der Sachnähe. Die Tarifkonkurrenz ist
deshalb nach dem Spezialitätsprinzip zu lösen: Der dem Betrieb räumlich, betrieblich,
fachlich und persönlich am nächsten stehende Tarifvertrag findet Anwendung. Im
Verhältnis zu einem Verbandstarifvertrag hat deshalb der Firmentarifvertrag den
Vorrang. Bei konkurrierenden Verbandstarifverträgen besteht keine Rangordnung
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der Berufsverbände, sondern es ist hier die Tarifspezialität nach dem
Geltungsbereich der konkurrierenden Tarifverträge zu bestimmen.
Das BAG wendet den Grundsatz der Tarifspezialität auch auf den Fall der
Tarifpluralität an; es begründet seine Auffassung mit dem Grundsatz der Tarifeinheit
im Betrieb.5 Damit wird aber der durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit
verfassungsrechtlich gewährleistete und durch das Tarifvertragsgesetz abgesicherte
Tarifwettbewerb ausgeschaltet. Wenn z. B. die einen Krankenhausärzte bei verdi, die
anderen im Marburger Bund organisiert sind, gibt es keinen Grund, dass im
Krankenhaus nur ein Tarifvertrag zur Anwendung kommt, obwohl der Arbeitgeber
einem Verband angehört, der mit beiden Gewerkschaften einen Tarifvertrag
abgeschlossen hat.
V. Allgemeinverbindlicherklärung 1. Bedeutung und Rechtswirkung
Die Begrenzung der Tarifgeltung auf Mitglieder der Tarifvertragsparteien ermöglicht
den nichtorganisierten Arbeitnehmern, dass sie beim Abschluss von Arbeitsverträgen
den tarifvertraglich festgelegten Mindeststandard unterbieten. Zur Sicherung der
tarifvertraglichen Regelungsbefugnis hat deshalb schon die Tarifvertragsverordnung
vom 23.12.1918 in § 2 das Rechtsinstitut der Allgemeinverbindlicherklärung
eingeführt. Das Tarifvertragsgesetz hat in § 5 an ihm festgehalten. Durch den
staatlichen Hoheitsakt der Allgemeinverbindlicherklärung wird die Tarifgeltung im
Geltungsbereich eines Tarifvertrags auf die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer erstreckt (§ 5 Abs. 4 TVG).
Die Allgemeinverbindlicherklärung soll die durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit
intendierte autonome Ordnung des Arbeitslebens durch die Tarifvertragsparteien
abstützen. Daneben dient sie dem Ziel, den Außenseitern angemessene
Arbeitsbedingungen zu sichern. Das BVerfG führt die Allgemeinverbindlicherklärung
insoweit auf die subsidiäre Regelungszuständigkeit des Staats zurück, die immer
5 BAG 14.6.1989 und 20.3.1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 und 20.
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dann eintrete, ,,wenn die Koalitionen die ihnen übertragene Aufgabe, das
Arbeitsleben durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, im Einzelfall nicht allein erfüllen
können und die soziale Schutzbedürftigkeit einzelner Arbeitnehmer oder
Arbeitnehmergruppen oder ein sonstiges öffentliches Interesse ein Eingreifen des
Staates erforderlich macht“.6
Die Allgemeinverbindlicherklärung ist ein Rechtsinstitut des Tarifvertragsrechts und
deshalb von der im Schlichtungsrecht der Weimarer Zeit vorgesehenen
Verbindlichkeitserklärung des Schiedsspruchs zu unterscheiden, durch die ein
Zwangstarif zustande kam. Bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen
werden die durch die Mitgliedschaft zu den Tarifverbänden gezogenen Grenzen der
Tarifgeltung überschritten: Die Rechtsnormen des Tarifvertrags erfassen in ihrem
Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer (§ 5 Abs. 4 TVG). Die allgemeinverbindliche Tarifvertrag entfaltet
deshalb dieselbe unmittelbare und zwingende Wirkung wie ein normaler Tarifvertrag,
für den die Tarifgebundenheit sich nach § 3 TVG richtet, bei einem
Verbandstarifvertrag also durch den freiwilligen Verbandsbeitritt der
Tarifunterworfenen legitimiert wird. Geltungsgrund ist bei
Allgemeinverbindlicherklärung für die sonst von der Tarifgeltung nicht erfassten
Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein staatlicher Rechtsetzungsakt.
2. Verfahren
Die Allgemeinverbindlicherklärung ist keine Rechtsverordnung, sondern ein
Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher
Rechtsetzung, der seine eigenständige Grundlage in Art. 9 Abs. 3 GG findet.7 Sie
unterliegt daher nicht den verfassungsrechtlichen Beschränkungen für den Erlass
einer Rechtsverordnung.
Die Allgemeinverbindlicherklärung kann sich stets nur auf einen Tarifvertrag
beziehen, der noch in Geltung ist (vgl. § 5 Abs. 1 und 5 Satz 3 TVG). Sie beschränkt
sich auf die Rechtsnormen des Tarifvertrags, gilt also nicht für die Bestimmungen in
dessen schuldrechtlichen Teil. Die tarifgebundenen Arbeitgeber müssen mindestens 6 BVerfGE 44, 322 (342). 7 So BVerfGE 44, 322 (340).
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50 Prozent der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer
beschäftigen, und es muss die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen
Interesse geboten erscheinen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 TVG); davon kann nur abgewichen
werden, wenn die Allgemeinverbindlicherklärung zur Behebung eines sozialen
Notstandes erforderlich erscheint (§ 5 Abs. 1 Satz 2 TVG). Zu den formellen
Voraussetzungen gehört, dass eine Tarifvertragspartei den Antrag stellt (§ 5 Abs. 1
Satz 1 TVG).
Für die Allgemeinverbindlicherklärung und deren Aufhebung ist das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales zuständig (§ 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5
Satz 1 TVG). Es kann der obersten Arbeitsbehörde eines Landes für einzelne Fälle
die Kompetenz zum Erlass und zur Aufhebung der Allgemeinverbindlicherklärung
übertragen (§ 5 Abs. 6 TVG). Die Allgemeinverbindlicherklärung kann nur im
Einvernehmen, d. h. mit Zustimmung des sog. Tarifausschusses, der aus je drei
Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer besteht,
ausgesprochen und aufgehoben werden.
Wird die Allgemeinverbindlicherklärung aufgehoben, so endet die Tarifgeltung für die
bisher von ihr erfassten nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der
Tarifvertrag entfaltet für sie aber in entsprechender Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG
Nachwirkung. Die Allgemeinverbindlicherklärung endet aber auch mit Ablauf des
Tarifvertrags (§ 5 Abs. 5 Satz 3 TVG). Sie nimmt den Tarifvertragsparteien nicht die
Herrschaft über den Tarifvertrag. Sie können ihn jederzeit ändern und dadurch die
Beendigung der Allgemeinverbindlicherklärung herbeiführen.
Die Allgemeinverbindlicherklärung wie die Aufhebung der Allgemeinverbindlichkeit
bedürfen der öffentlichen Bekanntmachung (§ 5 Abs. 7 TVG). Sie sind erst mit ihr
wirksam. Die Publikation erfolgt im Bundesanzeiger (§ 11 DVO-TVG). Für den Fall
der Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit durch Ablauf oder Änderung des
zugrunde liegenden Tarifvertrags ist dagegen lediglich vorgesehen, dass die
entsprechenden Mitteilungen der Tarifvertragsparteien, die diese gemäß § 7 TVG
innerhalb eines Monats abzugeben haben, im Bundesanzeiger mit deklaratorischer
Wirkung bekanntgemacht werden (§ 11 DVO-TVG).
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§ 9 Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen I. Regelungsvorrang der Tarifvertragsparteien
Die Verfassungsgarantie der Koalitionsfreiheit gewährleistet eine autonome Ordnung
des Arbeitslebens durch das Tarifvertragssystem. Dadurch erhalten die Koalitionen
eine ,,Normsetzungsprärogative“.8 Der staatliche Gesetzgeber bleibt jedoch
subsidiär für die Ordnung des Arbeitslebens weiterhin zuständig. So beruht die
Allgemeinverbindlicherklärung ,,auf der subsidiären Regelungszuständigkeit des
Staates, die immer dann eintritt, wenn die Koalitionen die ihnen übertragene
Aufgabe, das Arbeitsleben durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, im Einzelfall nicht
erfüllen können und die soziale Schutzbedürftigkeit einzelner Arbeitnehmer oder
Arbeitnehmergruppen oder ein sonstiges öffentliches Interesse ein Eingreifen des
Staates erforderlich macht“.9 Entsprechend besteht daher das Recht des Staates,
Mindestarbeitsbedingungen festzusetzen, wenn die Tarifautonomie ihre Funktion
nicht erfüllen kann, weil Arbeitgeber oder Arbeitnehmer nicht oder nur in völlig
unzureichendem Umfang organisiert sind.
II. Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen
Rechtsgrundlage für ein Eingreifen des Staates ist das Gesetz über die Festsetzung
von Mindestarbeitsbedingungen vom 11.1.1952. Bisher ist es nie angewandt worden.
Klarstellend legt es fest, dass die Regelung von Entgelten und sonstigen
Arbeitsbedingungen grundsätzlich in freier Vereinbarung zwischen den
Tarifvertragsparteien durch Tarifverträge erfolgt (§ 1 Abs. 1).
Mindestarbeitsbedingungen können deshalb nur festgesetzt werden, ,,wenn
a) Gewerkschaften oder Vereinigungen von Arbeitgebern für den
Wirtschaftszweig oder die Beschäftigungsart nicht bestehen oder nur eine Minderheit
der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber umfassen und
b) die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen zur Befriedigung der
notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer erforderlich 8 So BVerfGE 44, 322 (341). 9 BVerfGE 44, 322 (342).
16
erscheint und
c) eine Regelung von Entgelten oder sonstigen Arbeitsbedingungen durch
Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages nicht erfolgt ist“ (§ 1 Abs. 2).
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so können Mindestarbeitsbedingungen
festgesetzt werden, die als Rechtsverordnung erlassen werden (§ 4 Abs. 3). Für sie
gelten hinsichtlich ihrer Rechtswirkung auf das Einzelarbeitsverhältnis die
gesetzlichen Vorschriften über den Tarifvertrag sinngemäß (§ 8 Abs. 1), d. h. die
Mindestarbeitsbedingungen gelten wie die Rechtsnormen eines Tarifvertrages
unmittelbar und zwingend. Tarifvertragliche Bestimmungen gehen aber stets den
Mindestarbeitsbedingungen vor; insoweit gilt das Ausschließlichkeitsprinzip, nicht das
Günstigkeitsprinzip (§ 8 Abs. 2). Die Durchführung der Mindestarbeitsbedingungen
steht unter staatlicher Überwachung (§§ 11--15).
III. Allgemeinverbindliche Mindestlöhne im Baugewerbe Zur Bekämpfung eines Sozialdumpings beim Einsatz ausländischer Arbeitnehmer
durch ausländische Bauunternehmen auf Baustellen in Deutschland erging das
Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden
Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG) vom 26. 2.1996. Es gilt für
das Baugewerbe und die Seeschifffahrtsassistenz. Erwogen wird zur Sicherung von
Mindestlöhnen die Begrenzung des Anwendungsbereichs aufzugeben. Das Gesetz
sichert, dass das Arbeitsentgelt nicht die zur Umsetzung dieses Gesetzes
vereinbarten Mindestlohntarifverträge unterschreitet. Deren Rechtsnormen gelten
aber für nicht bei den Tarifvertragsparteien organisierte Arbeitgeber und
Arbeitnehmer nur nach Allgemeinverbindlicherklärung, die von der Mitwirkung der
Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer abhängt. § 1 Abs. 3 a
AEntG sieht daher seit seiner Einfügung durch Gesetz vom 19.12.1998 vor, dass die
Allgemeinverbindlicherklärung durch eine Rechtsverordnung des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ersetzt werden kann.
17
Vierter Teil: Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht
§ 10 Arbeitskampfrecht I. Streik und Aussperrung als Erscheinungsformen des Arbeitskampfes
Erscheinungsformen des Arbeitskampfes sind Streik und Aussperrung. Neben ihnen
ist ein Kampfmittel auch der Boykott, der in der Rechtswirklichkeit nur eine
untergeordnete Rolle spielt.
1. Begriff des Streiks
Mit Streik bezeichnet man die gemeinsam durchgeführte Arbeitsniederlegung einer
Mehrzahl von Arbeitnehmern, um dadurch einen bestimmten Willen zum Ausdruck zu
bringen. Der Begriff stammt von ,,to strike work“. Der Streik ist historisch die
spezifische Verhaltensweise der Arbeitnehmer, durch die sie Einfluss auf die
Gestaltung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen zu gewinnen suchten. Zu diesem
Zweck schloss man sich in Gewerkschaften zusammen, um erfolgreich einen
Arbeitskampf bestehen zu können. Der Streik kann in vielfältiger Form auftreten:
Streik ist vor allem die Verweigerung, die Arbeitspflicht zu erfüllen. Zu ihr gehört nicht
nur das Fernbleiben vom Arbeitsplatz, sondern auch die sog passive Resistenz
(Sitzstreik). Der Streik kann darin bestehen, dass Arbeitnehmer entweder übermäßig
langsam (Bummelstreik) oder übermäßig sorgfältig arbeiten (,,Dienst nach
Vorschrift“), so dass der Arbeitgeber keinen wirtschaftlichen Nutzen aus der Arbeit
ziehen kann.
Nach dem Kampfziel unterscheidet man den arbeitsrechtlichen und den politischen
Streik. Bei einem arbeitsrechtlichen Streik ist Adressat der Kampfforderung die
Arbeitgeberseite; bei einem politischen Streik soll dagegen auf die Gesetzgebung
eingewirkt werden. Nach der Form der Druckausübung zur Erreichung der
Kampfforderung unterscheidet man den Erzwingungsstreik, durch den die
Kampfforderung unmittelbar durchgesetzt werden soll, und den
18
Demonstrationsstreik, der sich in einer Demonstrationsfunktion erschöpft; er will
entweder den Unwillen über eine bestimmte Situation zum Ausdruck bringen
(Proteststreik) oder die Entschlossenheit der Arbeitnehmer bekunden, einen
Erzwingungsstreik zu führen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden
(Warnstreik). Nicht notwendig ist, dass mit einem Streik eigene Kampfziele
verbunden werden; vielmehr ist es möglich, dass ein Streik als Sympathie- oder
Solidaritätsstreik (Nebenstreik) zur Unterstützung eines Streiks (Hauptstreik) geführt
wird.
Nach der Organisation unterscheidet man zwischen dem von einer Gewerkschaft
organisierten Streik und dem nichtgewerkschaftlichen Streik, der wenig glücklich als
wilder Streik bezeichnet wird. Auch bei ihm ist die Arbeitsniederlegung organisiert.
Auch wenn insoweit eine Koalitionsverabredung vorliegt, handelt es sich lediglich um
einen nichtgewerkschaftlichen Streik. Möglich ist, dass eine Gewerkschaft
nachträglich die Leitung übernimmt. Der wilde Streik wird dadurch zu einem
gewerkschaftlichen Streik.
Nach der Taktik kann der Streik Vollstreik oder Teilstreik sein. Bei einem Vollstreik,
den man auch als Flächenstreik bezeichnet, sind alle Arbeitnehmer eines
Kampfgebiets zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Der Vollstreik ist nicht mit dem
Generalstreik identisch, bei dem in allen Wirtschaftszweigen die Arbeit eingestellt
wird und der im Allgemeinen ein politischer Streik ist, so der Streik gegen den Kapp-
Putsch 1920. Beim Teilstreik wird nur ein Teil der Arbeitnehmer der bestreikten
Betriebe innerhalb eines Kampfgebiets in die Arbeitsniederlegung einbezogen. Er
wird als Schwerpunktstreik bezeichnet, wenn lediglich die Arbeitnehmer, die in den
Betrieben eine Schlüsselstellung einnehmen, die Arbeit niederlegen oder in den
Streik nur Betriebe einbezogen werden, die für andere Betriebe notwendiges
Vormaterial liefern oder die Energieversorgung sicherstellen.
2. Aussperrung Die Aussperrung (von ,,lock out“) ist die planmäßig durchgeführte Nichtzulassung
einer Gruppe von Arbeitnehmern zur Arbeitsleistung unter Verweigerung des
19
Arbeitsentgelts, um dadurch ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Sie ist das
Kampfmittel der Arbeitgeberseite. Von Bedeutung ist weiterhin, ob die Aussperrung
von einem Arbeitgeberverband organisiert wird (Verbandsaussperrung) oder ob sie
nur ein einzelner Arbeitgeber durchführt. Die Differenzierung ist hier aber nicht ein
Spiegelbild der Unterscheidung zwischen dem gewerkschaftlichen und dem sog
wilden Streik; denn bei einem Streik muss stets eine Mehrzahl von Arbeitnehmern
beteiligt sein, während bei der Aussperrung die Besonderheit gerade darin liegt, dass
auch ein einzelner Arbeitgeber sie vornehmen kann. Der notwendige kollektive
Bezug liegt ausschließlich auf der Arbeitnehmerseite, die bei einer Aussperrung
passiv betroffen wird; ein einzelner Arbeitnehmer kann nicht ausgesperrt werden,
sofern er nicht als Mitglied einer Gruppe von der Kampfmaßnahme betroffen wird.
3. Boykott Neben Streik und Aussperrung ist ein weiteres Kampfmittel, das sowohl die
Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer einsetzen können, der Boykott. Er besteht in
der planmäßigen Absperrung eines Gegners vom geschäftlichen Verkehr durch
Ablehnung von Vertragsabschlüssen, um ein bestimmtes Kampfziel, z. B. den
Abschluss eines Tarifvertrags, zu erreichen. Der Boykott kann sich darauf beziehen,
keine Arbeitsverträge abzuschließen (Arbeits- oder Zuzugssperre). Er kann sich aber
auch völlig vom Rahmen des Arbeitsverhältnisses lösen, z.B. wenn eine
Gewerkschaft andere Arbeitnehmer oder auch Dritte auffordert, Waren des
boykottierten Arbeitgebers nicht zu kaufen oder sich nicht an den ihm zu
erbringenden Leistungen zu beteiligen, z. B. in der Seeschifffahrt die Schiffe des
Arbeitgebers nur schleppend oder gar nicht abzufertigen. II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Arbeitskampfes Wie bereits die Weimarer Reichsverfassung hat auch das Grundgesetz darauf
verzichtet, ein Streikrecht als Grundrecht im Verfassungstext zu verankern.
Verfassungsrechtlich gewährleistet ist als Grundrecht nur die Koalitionsfreiheit, wobei
man bereits in Art 159 WRV für sie den Begriff der ,,Vereinigungsfreiheit zur
Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ wählte, ohne
20
zugleich einen Hinweis auf das Koalitionsmittel des Arbeitskampfes in die
verfassungsrechtliche Garantie aufzunehmen. Auch Art 165 Abs. 1 WRV sprach nur
davon, dass die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen anerkannt
werden, ohne den Arbeitskampf zu erwähnen.
Der Parlamentarische Rat beabsichtigte dagegen zunächst nach dem Vorbild
entsprechender Regelungen in den Länderverfassungen, in einem Abs. 4 des
späteren Art 9 GG festzulegen: ,,Das Streikrecht wird im Rahmen der Gesetze
anerkannt.“ Man nahm aber von diesem Vorhaben Abstand, weil der Ausschluss des
politischen Streiks und des Beamtenstreiks eine zu große Kasuistik ergeben hätte.
Erst durch das Gesetz über die Notstandsverfassung vom 24.6.1968 fand der Begriff
des Arbeitskampfs Eingang in den Verfassungstext: Dem Art 9 Abs. 3 GG wurde ein
Satz 3 angefügt, durch den festgelegt wird, dass Maßnahmen, die im Verteidigungs-
oder sonstigen Notstandsfall ergriffen werden können, sich nicht gegen
Arbeitskämpfe richten dürfen, ,,die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden“.
Die Vorschrift enthält aber keine Verankerung eines Grundrechts auf Streik; sie zieht
vielmehr für den Arbeitskampf lediglich den sonst im Notstandsfall zulässigen
Grundrechtsschranken eine Schranke (sog. Schranken-Schranke). Lediglich
mittelbar wird durch Art 9 Abs. 3 Satz 3 GG die bereits zur herrschenden Lehre
gelangte Interpretation bestätigt, dass der Arbeitskampf vom kollektiven
Schutzbereich der Koalitionsfreiheit in Art 9 Abs. 3 GG erfasst wird. Durch die
Verwendung des Wortes ,,Arbeitskampf“ kommt zum Ausdruck, dass nicht nur der
Streik, sondern auch die Aussperrung gemeint ist, also der Arbeitskampf als
Oberbegriff für Streik und Aussperrung figuriert.
Da ein wesentlicher Zweck der von Art 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionen der
Abschluss von Tarifverträgen ist, der Arbeitskampf aber zu den
Funktionsvoraussetzungen der Tarifautonomie gehört, sind
Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind,
durch Art 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützt. Das gilt nicht nur für den
Streik,10 sondern auch für die Aussperrung; denn auch sie ist, jedenfalls soweit Teil-
oder Schwerpunktstreiks keinen Schranken unterliegen, ein unerlässliches Mittel zur
10 Vgl. BVerfGE 88, 103 (114)
21
Aufrechterhaltung einer funktionierenden Tarifautonomie.11 Funktionsfähig ist die
Tarifautonomie nur, ,,solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres
Kräftegleichgewicht -- Parität -- besteht“.12 Zu deren Sicherung genügt es, dass ein
Recht zur Aussperrung nur begrenzt anerkannt wird; jedoch muss in diesem Fall bei
Vertragsstörungen die Risikotragung des Arbeitgebers so gestaltet sein, dass kein
Übergewicht für die Arbeitnehmerseite eintritt.
III. Grundlagen des Arbeitskampfes im Europäischen Gemeinschaftsrecht Nach Art 137 Abs. 6 EGV hat die Europäische Gemeinschaft keine
Rechtsetzungskompetenz für die Bereiche des Koalitionsrechts, des Streikrechts und
des Aussperrungsrechts. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union
(ABl.EG 2000/C 364/01) bestimmt zwar in Art 28, dass Arbeitnehmer und
Arbeitgeber das Recht haben, bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur
Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich des Streiks, zu ergreifen; die Charta ist
aber rechtlich unverbindlich.
Für das Arbeitskampfrecht von Bedeutung ist die Europäische Sozialcharta vom
18. Oktober 1961, die noch nicht auf einem Rechtsetzungsakt der Europäischen
Gemeinschaft beruht. In Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC wird, ,,um die wirksame Ausübung
des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten“, von den Vertragsparteien
,,das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen
einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich
etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen“ anerkannt. Das
Aussperrungsrecht wird nicht ausdrücklich erwähnt, ist aber gemeint, wenn vom
Recht der Arbeitgeber auf ,,kollektive Maßnahmen“ die Rede ist Die Europäische
Sozialcharta bindet den Gesetzgeber, bildet aber selbst kein unmittelbar geltendes
Bundesrecht.
IV. Rechtsgrundsätze für die Zulässigkeit eines Streiks Das Arbeitskampfrecht ist nicht gesetzlich kodifiziert; es ist im Wesentlichen durch 11 Vgl. BVerfGE 84, 212 (225). 12 BVerfGE 92, 365 (395).
22
die Rechtsprechung des BAG gestaltet worden. Nach Ansicht seines Großen Senats
stehen Arbeitskämpfe unter dem obersten Gebot der Verhältnismäßigkeit,13
Maßgebend für dieses Fundamentalprinzip des Arbeitskampfrechts ist, dass mit dem
Arbeitskampf ein Eingriff in fremde Rechte verbunden ist. Entscheidend für seine
Zulassung ist der Funktionszusammenhang mit dem Tarifvertragssystem. Darin liegt
der materielle Geltungsgrund für seine rechtliche Zulässigkeit; zugleich sind aber aus
ihm auch die Ordnungsgrundsätze zu entwickeln, die das Arbeitskampfrecht
beherrschen.
1. Tarifvertrag als Regelungsziel Für die Privilegierung der Streikbeteiligung ist konstitutiv, dass der Streik von einer
Gewerkschaft geführt wird. Wegen des Zusammenhangs mit der Tarifautonomie ist
weiterhin Voraussetzung, dass die Forderung der Gewerkschaft, um derentwillen ein
Streik geführt werden soll, Inhalt eines Tarifvertrags sein kann. Da den Koalitionen
verfassungsrechtlich garantiert ist, die Arbeitsentgelte und sonstigen
Arbeitsbedingungen in eigener Verantwortung zu regeln, besteht gegenüber der
Kampfforderung staatliche Neutralität. Ihre Verhältnismäßigkeit unterliegt nicht der
gerichtlichen Überprüfung, weil eine derartige Kontrolle mit der Tarifautonomie als
Bestandteil des marktwirtschaftlichen Systems unvereinbar wäre.14 Aus der
Hilfsfunktion für die Tarifautonomie ergibt sich die Beschränkung des Arbeitskampfes
auf tarifvertraglich regelbare Ziele. Der politische Streik ist deshalb nur nach
Maßgabe des verfassungsrechtlichen Widerstandsrechts gemäß Art. 20 Abs. 4 GG
zulässig.
2. Streik und tarifvertragliche Friedenspflicht
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Streiks ist weiterhin, dass er nicht gegen die
Friedenspflicht aus einem geltenden Tarifvertrag verstößt. Mit dessen Abschluss wird
nämlich, ohne dass es einer besonderen Vereinbarung bedarf, die Pflicht der
Tarifvertragsparteien begründet, die in ihm festgelegte Ordnung während ihrer
Geltung nicht durch Kampfmaßnahmen in Frage zu stellen. Diese Pflicht entfaltet 13 BAG (GS) 1.4.1971 AP GG Art 9 Arbeitskampf Nr. 43. 14 Vgl. BVerfGE 84, 212 (231).
23
zwischen ihnen schuldrechtliche Wirkung als Folge des Grundsatzes der
Vertragstreue. Bei einem Verbandstarifvertrag besteht sie auch gegenüber einem
tarifgebundenen Arbeitgeber, obwohl er nicht Partei des Tarifvertrags ist; denn der
Tarifvertrag ist in soweit ein Vertrag zugunsten Dritter, hier also der Mitglieder des
tarifschließenden Arbeitgeberverbands.
Besteht im Tarifvertrag keine besondere Vereinbarung, so bezieht die Friedenspflicht
sich nur auf die in ihm vereinbarte Ordnung. Sie ist also eine relative Friedenspflicht,
die einen Streik um einen andren Regelungsgegenstand nicht erfasst. Bei einer
Regelung der Löhne ist daher ein Streik um deren Erhöhung eine Verletzung der
Friedenspflicht, nicht aber ein Streik, der die Dauer der Arbeitszeit zum Gegenstand
hat. Im einzelnen können sich hier schwierige Abgrenzungsprobleme ergeben. Die
Tarifvertragsparteien können die Friedenspflicht konkretisieren, sie insbesondere zu
einer absoluten Friedenspflicht ausbauen, z. B. bestimmen, dass Kampfmaßnahmen
während der Geltung des Tarifvertrags schlechthin ausgeschlossen sein sollen. Die
Vereinbarung braucht auch nicht mit der Geltung des Tarifvertrags verbunden zu
sein. So wird beispielsweise vereinbart, dass während einer bestimmten Zeit nach
Ablauf des Tarifvertrags keine Kampfmaßnahmen gegeneinander geführt werden,
oder es wird festgelegt, dass einem Arbeitskampf ein Schlichtungsverfahren
vorgeschaltet wird. Die Schlichtungs- und Schiedsabkommen zwischen den
Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften sind derartige besondere
Friedensabkommen.
3. Streik als ultima ratio
Für das Kampfverfahren entnimmt das BAG dem Gebot der Verhältnismäßigkeit die
Norm, dass der Arbeitskampf die ultima ratio sein muss.15 Das ultima-ratio-Prinzip ist
von der tarifvertraglichen Friedenspflicht zu unterscheiden; es ist ,,Teil der die
Tarifvertragsparteien berechtigenden und verpflichtenden Ordnung des
Arbeitskampfes“.16 Solange die Tarif- und Schlichtungsverhandlungen zwischen den
Tarifvertragsparteien noch nicht beendet sind, darf daher mit einem Streik noch nicht
begonnen werden, auch wenn die tarifvertragliche Friedenspflicht bereits abgelaufen 15 BAG (GS) 21.4.1971 AP GG Art 9 Arbeitskampf Nr. 43. 16 BAG 14.7.1981 AP TVG § 1 Verhandlungspflicht Nr. 1.
24
ist. Jede Arbeitskampfmaßnahme darf deshalb nur nach Ausschöpfung aller
Verhandlungsmöglichkeiten ergriffen werden. Das gilt auch für zeitlich befristete
Warnstreiks einer Gewerkschaft.17 Das ultima-ratio-Prinzip sichert die Freiheit der
Verhandlung; es statuiert aber keinen Zwang zur Verhandlung, wenn eine Einigung
nicht zustande kommt. Deshalb ist jede Seite berechtigt, Tarifverhandlungen für
gescheitert zu erklären, wenn die andere Seite nicht auf ein Vertragsangebot
eingeht, und mit Kampfmaßnahmen zu beginnen.
4. Freiheit in der Wahl der Kampfstrategie
Die Gewerkschaft braucht nicht allen Arbeitnehmern im Kampfgebiet den
Streikbefehl zu erteilen. Sie kann vielmehr die Arbeitsniederlegung auf wenige
Arbeitnehmer beschränken, wenn sie meint, dass der dadurch ausgeübte Druck
ausreicht, um ihr Ziel zu erreichen. Teil- und Schwerpunktstreiks sind zulässig. Das
Gebot der Verhältnismäßigkeit zieht insoweit keine Grenze; im Gegenteil entspricht
es ihm sogar, dass die Gewerkschaft die Zahl der streikberechtigten Arbeitnehmer so
klein wie möglich halten kann. Die Festlegung des Kampfrahmens beruht auf dem
Grundsatz der Kampffreiheit, der die Freiheit der Wahl der Kampfmittel einschließt.
Die Gewerkschaft ist keineswegs auf einen Erzwingungsstreik beschränkt, sondern
sie kann, wenn sie dies für ausreichend hält, Warnstreiks führen und dabei
insbesondere auch nach einem Plan vorgehen, durch den sichergestellt werden soll,
dass Arbeitsniederlegungen kurzfristig in verschiedenen, immer wieder wechselnden
Betrieben stattfinden. Die Bedenken gegen die Zulässigkeit von Warnstreiks richten
sich nicht dagegen, dass eine Kampftaktik verfolgt wird, die es der Arbeitgeberseite
erschwert oder sogar unmöglich macht, sie mit einer Abwehraussperrung zu
beantworten, sondern ausschließlich dagegen, dass derartige Warnstreikaktionen
bereits während einer Tarifvertragsverhandlung durchgeführt werden, weil dadurch
die ultima-ratio-Regel als Grundprinzip des Arbeitskampfrechts verletzt wird.
17 Ebenso BAG 21.6.1988 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 108.
25
V. Streikbeteiligung und Arbeitsverhältnis 1. Subjektives Streikrecht
Wer seine Arbeit niederlegt, um einem Streikbefehl der Gewerkschaft zu folgen,
handelt bei Rechtmäßigkeit des Streiks nicht pflichtwidrig. Bis zum grundlegenden
Beschluss des Großen Senats des BAG vom 28.1.195518 umfasste die Anerkennung
der Streikfreiheit jedoch kein subjektives Streikrecht, das die Arbeitsniederlegung
rechtfertigt. Der Streik war weder verboten, noch gestattete er die Verletzung
gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten. Selbst bei Rechtmäßigkeit von Zielsetzung
und Organisation eines Streiks wurde die Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses
verlangt. Der Große Senat kam aber zu dem Ergebnis, dass bei der Beteiligung an
einem rechtmäßigen Streik kein Vertragsbruch vorliegt. Was kollektivrechtlich
zulässig sei, dürfe individualrechtlich nicht als Verletzung des Arbeitsvertrags
charakterisiert werden (kollektivrechtliche Einheitstheorie). Durch den Streik soll das
Verhandlungsgleichgewicht der Arbeitnehmer bei der Regelung ihrer
Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag hergestellt und gewahrt werden. Deshalb wird
das Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit verletzt, wenn man die Arbeitnehmer
auf die Kündigung ihrer Arbeitsverhältnisse verweist, obwohl die Tarifautonomie
durch Art. 9 Abs. 3 GG und der Bestandsschutz ihrer Arbeitsverhältnisse durch Art.
12 Abs. 1 GG gewährleistet ist.
Da die Rechtmäßigkeit eines Streiks davon abhängt, dass er von einer Gewerkschaft
geführt wird, ist die Beteiligung an einem nichtgewerkschaftlichen, einem sog. wilden
Streik rechtswidrig. Die Nichterbringung der Arbeitsleistung ist in diesem Fall eine
Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, die als Kündigungsgrund in
Betracht kommt und eine Schadensersatzpflicht auslöst.
Streikende Arbeitnehmer haben für die Zeit ihrer Arbeitsniederlegung keinen
Anspruch auf das Arbeitsentgelt. Es spielt insoweit keine Rolle, ob der Streik
rechtmäßig ist. Der Wegfall des Anspruchs auf das Arbeitsentgelt ergibt sich aus
dem für das Arbeitsverhältnis geltenden Grundsatz „Ohne Arbeit keinen Lohn“. Er
folgt aus § 326 Abs. 1 BGB.
18 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 1.
26
2. Haftung auf Schadensersatz Eine Schadensersatzpflicht wegen eines Streiks kann sich aus zwei Gesichtspunkten
ergeben:
• Durch ihn kann die Pflicht aus einem Schuldverhältnis verletzt sein.
• Er kann eine unerlaubte Handlung darstellen.
Ist der Streik rechtswidrig, so ist die Arbeitsniederlegung eines Arbeitnehmers eine
Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis, die ihn zum Schadensersatz gegenüber
seinem Arbeitgeber verpflichtet (§ 280 Abs. 1 BGB). Zu seinen Gunsten wird aber
vermutet, dass ein Streik, den eine Gewerkschaft führt, rechtmäßig ist.
Bei einer Gewerkschaft kann sich eine Schadensersatzpflicht aus einer Verletzung
der tarifvertraglichen Friedenspflicht ergeben. In die durch einen Verbandstarifvertrag
begründete Sonderbeziehung sind auch die Mitglieder des Arbeitgeberverbands
einbezogen.
Organisation und Durchführung eines rechtswidrigen Streiks sind als Eingriff in das
Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eine unerlaubte Handlung,
die nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Aber auch bei einem
rechtmäßigen Streik können einzelne Kampfhandlungen einen Deliktstatbestand
erfüllen, der den Schädiger zum Ersatz des durch sie entstehenden Schadens
verpflichtet, z. B. eine Körperverletzung zur Abwehr eines Streikbrechers. Die
Rechtmäßigkeit des Streiks ist für sie kein Rechtfertigungsgrund.
VI. Rechte des Arbeitgebers im Arbeitskampf
1. Recht zur Aussperrung
Die Arbeitgeberseite ist nicht darauf beschränkt, einen Streik hinzunehmen, sondern
27
kann ihrerseits in einer Tarifauseinandersetzung in das Kampfgeschehen eingreifen.
Ihr ist in der Aussperrung ein kampfrechtliches Gegenrecht eingeräumt. Ein Teil-
oder Schwerpunktstreik, bei dem ausschließlich die Gewerkschaft den Kampfrahmen
bestimmt, kann die Parität beeinträchtigen, wenn die Arbeitgeberseite nicht das
Recht hat, Kampfmaßnahmen zu ergreifen, um ihr Verhandlungsgleichgewicht zu
sichern.
Rechtfertigungsgrund für die Anerkennung einer Abwehraussperrung ist nach
Ansicht des BAG die Gewährleistung der Verbandssolidarität. Bei einem Teilstreik
kann für die von ihm betroffenen Arbeitgeber eine ungleiche Lastenverteilung
eintreten, durch die der konkurrenzbedingte Interessengegensatz der Arbeitgeber
verschärft wird. Möglich ist daher, wie das BAG meint, dass die für
Verbandstarifverträge notwendige Solidarität der Verbandsmitglieder nachhaltig
gestört werde; die Verbandssolidarität sei aber wegen der Erforderlichkeit von Druck
und Gegendruck auch für die Arbeitgeberseite unerlässlich.19
Mit dieser Begründung hat das BAG das Recht zur Abwehraussperrung anerkannt,
es aber durch zwei Schranken begrenzt:
(1) Das Tarifgebiet sei regelmäßig die angemessene Grenze des Kampfgebiets.
(2) Innerhalb des Kampfgebiets dürfe die streikführende Gewerkschaft zwar alle
Arbeitnehmer zum Streik aufrufen, der Arbeitgeberverband zur Abwehr eines
Teilstreiks aber nur zahlenmäßig begrenzt Arbeitnehmer des Tarifgebiets in den
Aussperrungsbeschluss einbeziehen, wobei das BAG eine Zahlenbegrenzung
aufgestellt hat, die umgekehrt proportional zur Zahl der streikenden Arbeitnehmer
gestaltet ist.
Das BAG legt seiner Rechtsprechung die folgende Quotenregelung zugrunde: Wenn
auf Grund eines Streikbeschlusses weniger als ein Viertel der Arbeitnehmer des
Tarifgebiets ihre Arbeit niederlegen, soll ein Aussperrungsbeschluss des
Arbeitgeberverbandes die Abwehraussperrung bis zu einem Viertel der Arbeitnehmer
festlegen können; beteiligen sich mehr als ein Viertel am Streik, so sei ,,das
Bedürfnis der Arbeitgeber zur Erweiterung des Kampfrahmens entsprechend
19 BAG 10.6.1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64 und 65.
28
geringer“, und nach allerdings nicht abschließender Festlegung soll eine
Aussperrung ausscheiden, wenn etwa die Hälfte der Arbeitnehmer eines Tarifgebiets
dem Streikbefehl folgt.20
Soweit die Aussperrung zulässig ist, hat sie wie die Teilnahme an einem
rechtmäßigen Streik zunächst nur suspendierende Wirkung für das Arbeitsverhältnis.
Der Große Senat des BAG hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 21.4.197121
zwar nicht ausgeschlossen, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch eine
wirksame Lösung der Arbeitsverhältnisse durch Aussperrung in Betracht kommt; sie
ist aber nicht praktiziert worden und wird als mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit unvereinbar angesehen.
2. Stilllegungsbefugnis des Arbeitgebers und Arbeitskampfrisiko
Die Aussperrungskonzeption des BAG steht nach Ansicht des BVerfG mit Art. 9 Abs.
3 GG im Einklang;22 sie ist aber wegen der Begrenzung der Zweckbestimmung auf
die Verbandssolidarität nicht ausreichend, um die Rechtsstellung des Arbeitgebers
im Arbeitskampf zu präzisieren. Insbesondere bleibt unberücksichtigt, dass die
Fortführung des Betriebs oder ihre Unmöglichkeit Auswirkungen auf den Kampferfolg
haben kann. Zur Sicherung der Kampfparität hat der Arbeitgeber deshalb die
Befugnis, bei einem Teil- oder Schwerpunktstreik im Betrieb arbeitswillige
Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (Stilllegungsbefugnis).
Bei Fernwirkungen eines Arbeitskampfs ist - anders als sonst bei unglücksbedingten
Betriebsstörungen oder einem Auftrags oder Absatzmangel - das Arbeitsentgeltrisiko
für den Arbeitgeber eingeschränkt: Verursacht ein Arbeitskampf in einem anderen
Betrieb eine Störung, die für deren Dauer eine Beschäftigung unmöglich oder
wirtschaftlich unzumutbar macht, so entfällt bei Paritätsrelevanz für die
Kampfparteien die Pflicht zur Beschäftigung und Zahlung des Arbeitsentgelts.23 Ein
derartiger Störungstatbestand liegt vor, wenn der Arbeitgeber die Produktion infolge
eines Arbeitskampfs in den Betrieben seiner Zulieferer nicht fortsetzen kann oder
20 Vgl. dazu, dass es auf die Zahl der Streikenden ankommt, BAG 12.3.1985 AP GG Art. 9
Arbeitskampf Nr. 84. 21 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43. 22 BVerfGE 84, 212 ff. 23 Vgl. BAG 22.12.1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 und 71.
29
wenn er die Produktion infolge eines Arbeitskampfs in den Betrieben seiner Kunden
nicht absetzen kann und daher die Fortsetzung des Betriebs wegen Auftrags- oder
Absatzmangels wirtschaftlich sinnlos wird. Die Entlastung vom Arbeitsentgeltrisiko
tritt aber nur ein, wenn eine Fortzahlung des Arbeitsentgelts das Kräfteverhältnis der
kampfführenden Parteien beeinflussen könnte, also Beziehungen zu ihnen bestehen,
die es dem betroffenen Arbeitgeber ermöglichen, auf das Kampfgeschehen
einzuwirken (sog. Binnendrucktheorie). In Betracht kommt eine wirtschaftliche
Abhängigkeit der bestreikten Unternehmen (z. B. im Konzern) ebenso wie
koalitionspolitische Verbindungen (z. B. bei Tarifzuständigkeit derselben
Gewerkschaft für die vom Arbeitskampf mittelbar betroffene Belegschaft).
Die Stilllegungsbefugnis ist nach der Konzeption des BAG kein Kampfrecht des
Arbeitgebers.24 Im Gegensatz zum Aussperrungsrecht endet sie daher mit der
Beendigung des Streiks. Gleiches gilt für die Entlastung vom Arbeitsentgeltrisiko.
Deshalb bedarf die Aussperrung einer eindeutigen Erklärung des Arbeitgebers.25
Hieran fehlt es, wenn bei der Schließung des Betriebs unklar bleibt, ob der
Arbeitgeber lediglich auf streikbedingte Betriebsstörungen reagieren oder selbst eine
Kampfmaßnahme ergreifen will. Die Alternative einer Stilllegung des Betriebes im
Umfang des Streikaufrufs bedarf ebenfalls einer Erklärung des Arbeitgebers
gegenüber den Arbeitnehmern.26 Solange sich der Arbeitgeber die Möglichkeit offen
hält, die Arbeitsleistung der arbeitswilligen Arbeitnehmer jederzeit in Anspruch zu
nehmen, tragen diese nur das Arbeitsentgeltrisiko in den Grenzen der vom BAG
entwickelten Arbeitskampfrisikolehre. Wie bei Fernwirkungen eines Arbeitskampfs
verlieren Arbeitswillige, die nicht beschäftigt werden, ihren Entgeltanspruch nur,
wenn ihre Beschäftigung dem Arbeitgeber infolge des Streiks unmöglich oder
unzumutbar wird.
3. Lohnersatzleistungen der Bundesagentur für Arbeit
Streik und Aussperrung führen im Regelfall nicht zur Beendigung des
sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses. Aber auch wenn man zu dem
Ergebnis gelangt, dass der Arbeitnehmer durch Beteiligung an einem Arbeitskampf
24 Vgl. BAG 22.3.1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130. 25 So BAG vom 27.6.1995 AP GG Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137. 26 So BAG vom 11.7.1995 AP GG Art 9 GG Arbeitskampf Nr. 138 und 139.
30
arbeitslos geworden ist, ruht nach § 146 Abs. 2 SGB III der Anspruch auf
Arbeitslosengeld bis zur Beendigung des Arbeitskampfes.
Wenn dagegen der Arbeitsausfall Folge eines Arbeitskampfes ist, an dem der Arbeit-
nehmer nicht beteiligt ist, ruht der Anspruch auf Lohnersatzleistungen gegen die
Agentur für Arbeit nur unter den Voraussetzungen des § 146 Abs. 3 SGB III. Der
Gesetzestext geht dort davon aus, dass der Arbeitnehmer „arbeitslos“ geworden ist.
Im Regelfall wird das Beschäftigungsverhältnis aber nicht beendet, sondern es tritt
nur eine Störung im Leistungsvollzug des Arbeitsverhältnisses ein, weil der
Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht beschäftigen kann oder dessen Tätigkeit für das
Unternehmen wirtschaftlich sinnlos ist. Soweit für diesen Fall die Besonderheiten des
Arbeitskampfes zu einer Abweichung von dem Grundsatz führen, dass der
Arbeitgeber das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko trägt, haben die Arbeitnehmer keinen
Anspruch auf Beschäftigung und Entgelt. In Betracht kommt deshalb die Gewährung
von Kurzarbeitergeld, für die § 146 Abs. 3 SGB III entsprechend gilt (§ 174 SGB III).
Der Anspruch ruht daher bis zur Beendigung des Arbeitskampfes, wenn der mittelbar
vom Arbeitskampf betroffene Betrieb dem räumlichen und sachlichen
Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages zuzuordnen ist (Nr. 1 des § 146
Abs. 3 Satz 1 SGB III). Wenn dagegen der Betrieb nicht unter den räumlichen
Geltungsbereich fällt, aber dem fachlichen Geltungsbereich zuzuordnen ist, greift die
Ruhensvorschrift nur ein, wenn für ihn eine gleiche Forderung bereits erhoben wurde
und das Arbeitskampfergebnis aller Voraussicht nach im Wesentlichen übernommen
wird (Nr. 2 des § 146 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Das Gesetz geht davon aus, dass in
diesen Fällen ein „Stellvertreter-Arbeitskampf“ geführt wird, so dass der vom
Arbeitsausfall betroffene Arbeitnehmer als beteiligt anzusehen ist, weil er am Arbeits-
kampfergebnis partizipiert. Diese Regelung ist mit dem Grundgesetz vereinbar.27
VII. Beteiligung des Betriebsrats Für die Betriebsverfassung scheidet der Arbeitskampf als Rechtsinstitut aus:
Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind
27 Vgl. BVerfGE 92, 365 ff.
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unzulässig (§ 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Meinungsverschiedenheiten über die
Regelung und Durchsetzung beteiligungspflichtiger Angelegenheiten zwischen
Arbeitgeber und Betriebsrat sind in den gesetzlich vorgesehenen Verfahren, also
entweder im Einigungsverfahren vor der Einigungsstelle oder im arbeitsgerichtlichen
Beschlussverfahren, auszutragen. Gleiches gilt entsprechend für die
Personalvertretung (vgl. § 66 Abs. 2 Satz 2 BPersVG).
Das Arbeitskampfverbot bezieht sich nur auf die Betriebsverfassung. Arbeitskämpfe
tariffähiger Parteien werden, wie § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG und § 66 Abs. 2 Satz 3
BPersVG klarstellt, hierdurch nicht berührt. Das Arbeitskampfverbot richtet sich an
den Arbeitgeber und den Betriebsrat (bzw. Personalrat) in ihrer
betriebsverfassungsrechtlichen Funktion. Es regelt nicht, wie ein Arbeitskampf
tariffähiger Parteien sich auf die Betriebsverfassung auswirkt. Die Maßstäbe, die hier
zu gelten haben, ergeben sich aber aus der Grundkonzeption der
Betriebsverfassung. Der Betriebsrat wird nur gebildet, um die Mitbestimmung der
Arbeitnehmer in der Betriebsverfassung zu verwirklichen. Er hat keine Funktion
außerhalb dieses Bereichs. Schon aus diesem Grund ist er nicht berechtigt, sich an
Maßnahmen eines Arbeitskampfes zu beteiligen, der von anderen Personen oder
Verbänden gegen den Arbeitgeber geführt wird.
Das Tarifvertragssystem mit arbeitskampfrechtlicher Konfliktlösung und die
betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsordnung bestehen nebeneinander.
Der Betriebsrat kann deshalb nicht der kampfführenden Gewerkschaft zugerechnet
werden. Im Prinzip bleibt daher seine Funktionsfähigkeit während eines
Arbeitskampfes gewahrt. Der Arbeitskampf ist kein Grund, den Betriebsrat von der
Ausübung der gesetzlich eingeräumten Beteiligungsrechte auszuschließen. Soweit
der Arbeitgeber aber Kampfrechte hat, um sich in einem Arbeitskampf zu behaupten,
kann an ihrer Ausübung kein Beteiligungsrecht des Betriebsrats bestehen. Das gilt
auch, soweit man sie interpretatorisch einem betriebsverfassungsrechtlichen
Beteiligungstatbestand subsumieren kann. Man kann den Arbeitgeber bei der
Ausübung seiner Kampfrechte nicht der Kontrolle des Betriebsrats unterwerfen, ohne
damit zugleich das Prinzip der Kampfparität preiszugeben. Der Arbeitskampf soll das
Verhandlungsgleichgewicht der Tarifvertragsparteien sichern, um die
Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems zu gewährleisten. Dieser
32
Zusammenhang bildet das normative Prinzip für eine arbeitskampfkonforme
Interpretation der Beteiligungsrechte.
Arbeitgebermaßnahmen zur Durchführung einer Aussperrung sind
mitbestimmungsfrei, auch wenn sie unter einen gesetzlichen
Mitbestimmungstatbestand fallen. Bei einer Teilaussperrung hat daher der
Betriebsrat nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitzubestimmen, wenn der
Arbeitgeber einen Werksausweis so verändert, dass dieser für die Dauer der
Aussperrung den Ausweisinhaber als nicht ausgesperrten Arbeitnehmer
kennzeichnet.28
Erklärt der Arbeitgeber gegenüber einem Arbeitnehmer wegen dessen Teilnahme an
einem rechtswidrigen Streik eine außerordentliche Kündigung, so sieht das BAG in
dieser Kündigung eine Kampfkündigung, bei der eine Beteiligung des Betriebsrats
entfällt.29 Lässt in einem bestreikten Betrieb der Arbeitgeber von arbeitswilligen
Arbeitnehmern vorübergehend Überstunden leisten, um dem Streik zu begegnen und
dessen Auswirkungen möglichst gering zu halten, so hat der Betriebsrat nicht das
ihm sonst bei einer vorübergehenden Änderung der betriebsüblichen Arbeitszeit
nach § 87 Abs.1 Nr. 3 BetrVG eingeräumte Mitbestimmungsrecht.30 Gleiches gilt,
soweit der Arbeitgeber von seiner Befugnis zur Stilllegung Gebrauch macht.
Hat ein Arbeitskampf zur Folge, dass die Produktion in einem nicht bestreikten
Betrieb eingestellt oder eingeschränkt werden muss, so hat der Betriebsrat, da die
betriebsübliche Arbeitszeit vorübergehend verkürzt wird, nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und
3 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht, das insoweit eingeschränkt ist, als ihm nur die
Regelung der Modalitäten unterliegt, während die Voraussetzungen und der Umfang
der Arbeitszeitverkürzung durch das Recht vorgegeben und nicht von der
Zustimmung des Betriebsrats abhängig sind.31
28 So BAG 16.12.1986 AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 13. 29 BAG 14.2.1978 AP GG Art 9 Arbeitskampf Nr. 57 und 58. 30 So BAG 24.4.1979 AP GG Art 9 Arbeitskampf Nr. 63. 31 Grundlegend BAG 22.12.1980 AP GG Art 9 Arbeitskampf Nr. 70 und 71.
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VIII. Erhaltungsarbeiten während eines Arbeitskampfes Da das Streikrecht eine Arbeitsniederlegung nur insoweit rechtfertigt, als eine
tarifvertragsbezogene Regelung mit der Arbeitgeberseite erkämpft werden soll, ist
nicht eine Schadenszufügung gedeckt, die für diesen Zweck vermeidbar ist. Deshalb
ist ein Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis verpflichtet, Notstands- und
Erhaltungsarbeiten zu leisten. Da weder die Gewerkschaft noch der einzelne
Arbeitnehmer überblicken kann, ob und in welchem Umfang Arbeiten zur Erhaltung
der Anlagen und Betriebsmittel und zur Abwendung von Gefahren erforderlich sind,
obliegt diese Feststellung dem Arbeitgeber. Daraus folgt aber noch keineswegs, dass
er streikende Arbeitnehmer einseitig zur Durchführung von Not- und
Erhaltungsarbeiten heranziehen kann; denn ein derartiges Auswahlrecht stünde im
Gegensatz zum subjektiven Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers. Deshalb
obliegt der Gewerkschaft auf Grund ihres Streikführungsrechts, festzulegen, wer für
den Einsatz zur Verfügung stehen soll; denn von ihrer Zustimmung hängt ab, ob ein
Arbeitnehmer sich überhaupt an einem Streik beteiligen kann. Die Gewerkschaft ist
aber verpflichtet, die erforderlichen Auswahlentscheidungen zu treffen, um
Erhaltungsarbeiten während eines Arbeitskampfes zu ermöglichen. Die
streikführende Gewerkschaft bestimmt deshalb bei einem Streik, wer von den
Arbeitnehmern Not- und Erhaltungsarbeiten zu leisten hat. Dazu ist sie nicht nur
berechtigt, sondern auch verpflichtet.
Bei einer Aussperrung ist es Sache des Arbeitgebers, die Arbeitnehmer zu
bestimmen, die Not- und Erhaltungsarbeiten zu leisten haben. Es ist aber kein
Arbeitnehmer nur deshalb zu einer anderen Arbeit verpflichtet, als er im Vertrag
zugesagt hat, weil der Arbeitgeber eine Aussperrung durchführt. Deshalb muss der
Arbeitgeber die Arbeitnehmer von der Aussperrung ausnehmen, die er benötigt, um
die nach seiner Meinung erforderlichen Not- und Erhaltungsarbeiten durchzuführen.
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§ 11 Schlichtungsrecht Scheitern Verhandlungen der Tarifvertragsparteien um den Abschluss eines
Tarifvertrags, so kann zur Vermeidung eines Arbeitskampfs ein
Schlichtungsverfahren durchgeführt werden. Auch wenn ein Arbeitskampf bereits
ausgebrochen ist, kann durch Schlichtung der Versuch unternommen werden, zu
einer Einigung und damit zur Beendigung des Arbeitskampfs zu gelangen. Man
unterscheidet die staatliche Schlichtung und die zwischen den Tarifvertragsparteien
vereinbarte Schlichtung.
I. Staatliche Schlichtung Für die staatliche Schlichtung gilt auch heute noch das Kontrollratsgesetz Nr. 35 über
Ausgleichs- und Schiedsverfahren in Arbeitsstreitigkeiten vom 20.8.1946. Es knüpft
an die Schlichtungsverordnung vom 30.10.1923 an, sieht aber im Unterschied zu ihr
keine Zwangsschlichtung vor. Den Bestrebungen, sie wieder einzuführen, waren
nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Sozialpartner
entgegengetreten. Lediglich in Rheinland-Pfalz war zuvor ein Gesetz ergangen, das
die Zwangsschlichtung vorsah, und das Land Baden, das in Baden-Württemberg
aufgegangen ist, erließ ein entsprechendes Gesetz noch nach der Gründung der
Bundesrepublik Deutschland. Beide Gesetze finden keine Anwendung.
Nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 35, das nicht für das Saarland gilt, werden zur
Verhütung oder Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten, wie sie insbesondere
Tarifauseinandersetzungen darstellen, auf Landesebene Schiedsausschüsse
errichtet. Es besteht aber kein Zwang, sie anzurufen. Die staatliche Regelung gilt
auch nur subsidiär, soweit eine tarifliche Schlichtungsstelle nicht vorgesehen ist oder
das vereinbarte Schlichtungsverfahren ohne Erfolg geblieben ist und die
Tarifvertragsparteien daraufhin den staatlichen Schiedsausschuss einschalten. Der
von ihm gefällte Schiedsspruch bindet die Parteien nur, wenn sie seine Annahme
erklären.
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II. Vereinbarte Schlichtung
Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände trafen, nachdem ein Übereinkommen in Hattenheim vom
12.1.1950 nicht den gewünschten Erfolg gehabt hatte, am 7.9.1954 eine
Schlichtungsvereinbarung als Empfehlung an die Tarifvertragsparteien, die
Vereinbarung von Margarethenhof. Auf der Grundlage dieses Abkommens wurden
für die Tarifbereiche Schlichtungsvereinbarungen getroffen, die bis heute in Geltung
sind.
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