Post on 12-Mar-2016
description
transcript
41
94
96
36
04
50
7
24
D A S F I L M � M A G A Z I N
ww
w.fi
lm-d
iens
t.de
· 6
5. J
ahrg
ang
· 2
2. N
ovem
ber
2012
· 4
,50
Euro
· 2
4/20
12
Alle Kinofilme vom 22.11. und 29.11. Alle Filme im Fernsehen
thema: Inklusion & Kino Der Weltuntergang im Kino Disney & Lucasfilm François Ozon
I N H A L T 2 4 / 2 0 1 2
ALLE NEUEN KINOFILME
VOM 22.11. UND 29.11.2012
50 3 / Tres
50 3 Seasons in Hell
48 Am Himmel ein Tag
30 Der Aufsteiger
33 Alexander Granach – Da geht ein Mensch
41 Anleitung zum Unglücklichsein
38 Cold Blood – Kein Ausweg, keine Gnade
44 Erich Mendelsohn
51 Familie und andere Katastrophen
38 Festung
43 Die Hüter des Lichts
36 In ihrem Haus
32 Jerusalem – East Side Story
29 Killing Them Softly
49 Love Is All You Need
37 Marina Abramovic – The Artist is Present
32 Mondomanila
28 Parked – Gestrandet
46 Perret in Frankreich und Algerien
46 Puppe, Icke & der Dicke
31 Red Tails
35 Ruby Sparks – Meine fabelhafte Freundin
45 Sagrada – El misteri de la creacio (schweiz)
53 Sinister
34 The Ghostmaker
40 The Man With the Iron Fists
34 The Sex of Angels
42 Tony 10
52 Transpapa
54 Violeta Parra
kino 6 Das Ende der Geschichte
Weltuntergang im Kino: Über den
apokalyptischen Film
Von Michael Kohler
aus hollywood
10 Tinkerbell umarmt Darth Vader
Die Walt Disney Company hat Lucasfilm gekauft
Von Franz Everschor
interview
12 Die Liebe zu den Monstern
Ein Gespräch mit François Ozon über
„In ihrem Haus“
Von Marcus Seibert
porträt 14 Wie ein Goldregen
Zum Tod der Schauspielerin Käthe Reichel
Von Ralf Schenk
thema: inklusion
16 Es fängt erst an
Die Inklusion, das Kino und die Filmbildung
Von Holger Twele
20 Wir zeigen es allen!
Inklusion und Filmvermittlung
Von Gudrun Sommer und Claudia Ziegenfuß
23 Kino ohne Grenzen
Barrierefreies Kino in der Diskussion
Von Claudia Engelhardt
24 Barrieren im Kopf
Der Film „Inklusion – Gemeinsam anders“
Von Kathrin Häger
kino 26 Der weiße Fleck
Warum Spielen Politik und Politiker im
deutschen Filmschaffen keine Rolle?
Von Reinhard Lüke
4 magazin 27 personen 28 neu im kino
44 kino schweiz
55 neu auf dvd
54 impressum
58 nachspann
NEU AUF DVD
55 Das Geheimnis von Kells
56 Am Ende der Nacht
56 Dreamhouse
„The Happening“
Das Ende der
Geschichte WELTUNTERGANG IM KINO:
ÜBER DEN APOKALYPTISCHEN FILM
„2012“
8 film-dienst 24/2012
KINO
Am 21. Dezember 2012 werden wir
entweder erschrocken erkennen,
dass die Mayas den Weltuntergang
als erste korrekt vorhergesagt haben,
oder uns erleichtert daran erinnern, dass die
Apokalypse die längste Fortsetzungsgeschichte
der Menschheit ist. Zu allen Zeiten haben
sich Gemeinschaften das Ende der Welt in
schillernden Farben ausgemalt – und in die
unheilvolle Prophetie meistens zugleich ein
Hintertürchen eingebaut. In der christlichen
Apokalyptik ist dies die Aussicht auf Erlö -
sung; das Ende der irdischen Welt fällt mit
dem Beginn des Reiches Gottes in eins. Als
Faustregel gilt: Wer den Untergang weissagt,
weiß in der Regel schon, wie es danach wei-
tergehen soll; die Apokalypse ist vor allem ei-
ne Mahnung an die Lebenden.
Doch woher rührt die religiöse Faszination
am eigenen Untergang? Und warum hält sie
in säkularen (Industrie-)Gesellschaften unge -
brochen an? Auch in der aufgeklärten Apoka-
lyptik ist mit dem Weltende die Aussicht auf
eine Zeitenwende und die Offenbarung höhe-
ren Wissens verbunden. Nur dass diese nicht
mehr religiöser, sondern sozialer Natur ist:
Im Angesicht des Untergangs zeigt sich die
bessere Seite des Menschen und reißt die
Schranken zwischen den gesellschaftlichen
Klassen ein. Die Verheißung einer strahlen-
den Zukunft ist dieselbe: Die Utopie steigt
wahlweise aus den Trümmern einer sündhaf-
ten, gierigen oder hochmütigen Welt auf.
Die Prophetie folgt dem Zeitgeist
In der Filmgeschichte gibt es diese sozialro -
mantische Abwandlung der biblischen Apoka-
lyptik erstaunlich häufig, wenn auch selten in
so reiner Form wie im dänischen Stummfilm
„Verdens Untergang“ (1916). Hier rast ein
Meteorit der Erde entgegen und lässt den
Klassen- zum Überlebenskampf eskalieren.
Krisengewinnler machen selbst mit dem
Weltende noch Geschäfte, während andere
den Charaktertest durch Selbstlosigkeit und
Solidarität bestehen. Auch in Roland Emme-
richs Blockbuster „2012“ spielen die sozialen
Schichten eine Hauptrolle: Die Reichen und
Mächtigen der Welt lassen sich heimlich von
einem dem Tod geweihten Arbeitsheer gigan-
tische Archen bauen, während der Held des
Films tausend Klippen überwinden muss, um
eine kleine Gruppe amerikanischer „Otto
Normalverbraucher“ in letzter Sekunde an
Bord zu bringen. Im Animationsfilm „Wall-E“
ist die Utopie Wirklichkeit geworden: An
Bord eines durchs Weltall steuernden Schla-
raffenlands sind alle Menschen fettleibige
Brüder und Schwestern und haben die unbe-
wohnbar gewordene Erde längst vergessen.
Allerdings hat auch diese Gesellschaft ihre
Arbeiterklasse: Eine Armada an Robotern be-
dient die Menschen rund um die Uhr.
Es liegt nahe, dass sich der apokalyptische
Film wichtige Motive mit seinem kleinen
Bruder, dem Katastrophenfilm, teilt. Hier wie
dort bildet eine kleine Abordnung den Quer-
schnitt der Menschheit ab und gibt den ein-
zelnen Vertretern Gelegenheit, sich zu be-
währen oder moralisch zu scheitern – letzte-
res kommt meist einem Todesurteil gleich. In
dieser Hinsicht ist Lars von Triers „Melan -
cho lia“ die denkbar intimste Untergangsvisi -
on: Der Regisseur, dem sich die Welt ver-
dunkelt, nimmt uns alle auf die Reise in sei-
ne persönliche Hölle mit. Am anderen Ende
der Größenskala liegt „Deep Impact“, in dem
die Bemühungen der US-Regierung geschil -
dert werden, dem auf die Erde zurasenden
Untergang mit demokratischer Haltung zu be-
gegnen; in diesem streng säkularen Film ist
die Erlösung erstens möglich und zweitens
nur eine Frage gelungenen Krisenmanage-
ments. Ganz ohne Pathos versucht Steven
Soderbergh in „Contagion“ auszu kommen.
Seine Schilderung einer globalen Seuche op-
fert Helden beinahe im Minutentakt und
gleicht am ehesten einem Laborbericht.
So unterschiedlich apokalyptische Filme im
Detail sind, so ähnlich sind sie sich in der
Ursachenforschung – schon weil nur wenig
Unheil für Weltuntergangsszenarien in Frage
kommt. Neben der häufig aus Laboren ent-
sprungenen Seuche sind dies vor allem ato -
ma re Kriege, Naturkatastrophen und inter-
stellare Begegnungen mit Planeten oder
Mars-Armeen. Eine originelle Variante bot zu-
letzt M. Night Shyamalan, der in „The Hap-
pening“ die Natur aus Notwehr gegen die
Menschheit aufbegehren lässt. Überhaupt
folgt die Prophetie dem Zeitgeist: Nach Hiro-
shima drohte in Filmen wie „Das letzte
Ufer“, in dem ein U-Boot die Überlebenden
des Dritten Weltkriegs aufsammelt, vor allem
die atomare Vernichtung – eine Konstante,
die seit dem Öko-Thriller „The Day After To-
morrow“ mehr und mehr vom Klimawandel
verdrängt wird. Eher kurzlebig war die „Mad
Max“-Mode, die in Folge des Ölschocks der
1970er-Jahre das Ende der Ölzeitalters als ar-
chaisches Kriegsspektakel heraufziehen sah;
immerhin scheint eine Neuauflage nicht un-
wahrscheinlich.
Wenn das Gute verlöscht
Neben dem Weltmaßstab unterscheidet sich
die Apokalypse von der gewöhnlichen Ka-
tastrophe durch den prophetischen Gehalt.
Ein Schiffsuntergang kann wie in „Titanic“
kann ein Menetekel für das Ende der Klas-
sentrennung sein oder wie in „Der Unter-
gang der Poseidon“ den Glauben an den
technischen Fortschritt hintertreiben. Erst die
Vorhersage eines Weltendes bringt jedoch ei-
ne alttestamentarische Qualität hinein. In
Alex Proyas’ „Knowing“ kommt sie in Form
schier endloser Zahlenkolonnen, die ein
Schulmädchen in den 1950er-Jahren wie in
Trance aufgeschrieben hat. Gemeinsam mit
hübschen Bildern ihrer Mitschülerinnen wer-
den die Notate in einer luftdichten Kapsel im
Boden versenkt und 50 Jahre später feierlich
wieder ausgegraben. Als der kleine Sohn ei-
nes verwitweten Astrophysikers die Hinter -
lassenschaft nach Haus bringt, entdeckt sein
Vater, dass eine kosmische Ordnung in den
Zahlenreihen steckt. Sie geben die Daten his-
torischer Unglücke aus dem letzten halben
Jahrhundert an, die exakte Zahl der Opfer
und die örtlichen Koordinaten des Gesche -
hens. Für die sich apokalyptisch auftürmen -
den Prophezeiungen kommen nur zwei Ab-
sender in Frage: Gott oder eine außerirdische
Lebensform. Proyas gibt sich alle Mühe, so-
wohl weltliche wie auch religiöse Auslegun -
gen zuzulassen. Seine ganze Wucht entfaltet
„Knowing“ aber nur, wenn man seinen bib-
lischen Unterton beim Wort nimmt.
Obwohl die Schuldfrage im apokalyptischen
Film meist rasch geklärt ist – die Menschheit
geht an der eigenen Hybris zu Grunde –,
stellt sich fast immer auch die Gretchenfrage:
Ist die Katastrophe Zufall oder Strafgericht?
Dass die Menschheit den drohenden Unter-
gang verdient, ist Danny Boyle in seinem Sci-
ence Fiction-Thriller „Sunshine“ zumindest
einen Gedanken wert. Er schickt ein nach
dem mythischen Ikarus getauftes Raumschiff
zur Sonne, weil deren Feuer langsam stirbt
und nur eine nukleare Sprengung in ihrem
Inneren das endgültige Verglühen verhindern
kann. Es ist eine jahrelange Reise, und wenn
die Astronauten von Schwermut befallen
werden, steigen sie in ein Lichtbad, das ih-
nen in lebensechten Bildern die schönsten
Erinnerungen an die Heimat simuliert. Doch
wie mag es dort tatsächlich aussehen? Für
den Philosophen Platon war die Sonne
gleichbedeutend mit der Idee des Guten;
nicht auszudenken, was passiert, wenn das
Gute auf der Welt verlöscht.
Das Geschehen auf der Erde bleibt in „Sun-
shine“ bis kurz vor Schluss verborgen. So
kann sich die Fantasie das Schlimmste aus -
ma len, und die Ikarus wird wie von selbst
zum Raumschiff Erde. Wir suchen in den
Konflikten an Bord nach Anhaltspunkten für
den Zustand unserer Zukunft und ahnen
bald, dass sich in ihnen auch zwei einander
entgegengesetzte Interpretationen der Katas -
trophe zeigen: Für die einen will Gott seinen
missratenen Kreaturen buchstäblich das Le-
benslicht ausknipsen. Die anderen erken nen
film-dienst 24/2012 9
KINO
im unendlichen Weltraum die ebenso weiten
Entfaltungsmöglichkeiten des Menschen.
Der Kampf zwischen religiösem Glauben und
Wissenschaft gehört zu den Leitmotiven des
apokalyptischen Films, wobei die Parteien
sich gegenseitig vorwerfen, einen Götzen an-
zubeten. Im Horrorfilm „Der Nebel“ (2007)
spitzt sich die Auseinandersetzung exempla -
risch zu: Nach einem Unwetter zieht über ei-
nem Städtchen gespenstisch dichter Nebel
auf. Der Held fährt mit seinem Sohn in den
örtlichen Supermarkt und stellt mit den übri-
gen Kunden nach einer Weile fest, dass im
Schutz der weißen Nebelwand möglicherwei -
se riesige Monster lauern. Genaues weiß man
nicht, aber wer sich nach draußen wagt,
wird nicht mehr gesehen. Als sich die bösen
Zeichen verdichten, greift neben der Panik
auch der religiöse Fundamentalismus um
sich. Die eine Hälfte der Kunden bläst so lan-
ge zur Hexenjagd, bis es für diejenigen, die
an eine rationale Erklärung glauben, draußen
sicherer als drinnen scheint.
Der Nebel ist ein schönes Mittel, um einer
inszenatorischen Verlegenheit zu entgehen:
die Apokalypse im Detail ausmalen zu müs-
sen. An die Johannes-Offenbarung hält sich
nicht einmal die evangelikale „Left Behind“-
Serie, das Unterhaltungskino greift in der Re-
gel auf genrespezifische Motive zurück. So
steigen in etlichen „Zombie“-Filmen die To-
ten aus den Gräbern, um – bittere Ironie der
Auferstehung – die Lebenden zu jagen, und
in Steven Spielbergs „Kampf der Welten“
düngen die Marsianer ihre Felder mit dem
Blut der unterjochten Menschen. Lediglich
Michael Tolkin wagt sich in „The Rapture“
an eine beinahe buchstäbliche Version des
biblischen Untergangs: Bei ihm findet eine
Sünderin zu Gott, ändert ihr Leben von
Grund auf und findet sich dafür „belohnt“,
indem ihr geliebter Ehemann ermordet wird.
Am Tag der Apokalypse stellt sie Gott die
Charakterfrage und beschließt, lieber im ir-
dischen Fegefeuer zu bleiben als in den Him-
mel aufzusteigen.
Auch im Horrorfilm „Constantine“ ist der
christliche Schöpfergott eine ziemlich dubiose
Figur. Er spielt mit dem Teufel um das
menschliche Seelenheil und sorgt allenfalls
dafür, dass eine prekäre Balance zwischen
Gut und Böse erhalten bleibt. Engel und Dä-
monen gehen auf der Erde ein und aus und
versuchen, die Menschen im Sinne ihrer je-
weiligen Herren zu beeinflussen. Als sich die
Höllenpforte zu öffnen beginnt, droht das
Gleichgewicht zu kippen und sich die Erde
in ein ewiges Inferno zu verwandeln. Auf ei-
nen göttlichen Eingriff wartet der Zuschauer
vergeblich, stattdessen wird der übernatürlich
begabte Held zum Zünglein an der Waage.
Versöhnlicher sieht M. Night Shyamalan in
„Signs“ die Bindung zwischen Gott und
Mensch. Er inszeniert eine Invasion der Au-
ßerirdischen, um einen vom Glauben abge-
fallenen Priester auf den rechten Weg zurück-
zuführen. Dass seine Familie und letztlich
auch die Erde gerettet werden, ist nur mit
göttlicher Vorsehung zu erklären.
Die Offenbarung bleibt aus
Im Fantasy-Genre kommt die Apokalypse
meist als Mitgift alttestamentarischer Ent-
scheidungskämpfe, in der die gewöhnlichen
Menschen lediglich Wetteinsatz und Medien
sind. Erst im postapokalyptischen Film neh-
men sie das Heft des Handelns wieder in die
Hand. In „The Road“ zieht ein Namenloser
mit seinem Sohn durch die Ruinen der Welt.
Es gibt keine Pflanzen mehr, der Himmel ist
ergraut, und schlimmer als die Ödnis des Ho-
rizonts ist allein die Vorstellung, wer einem
hinter der nächsten Straßenbie gung begegnen
könnte. „Gehören wir zu den Guten?“, fragt
der Sohn ängstlich seinen Vater. Ja, das tun
sie, denn sie essen keine Menschen.
Nach der Apokalypse fangen die Probleme
erst richtig an. Die Hoffnung auf Rettung ist
erloschen, und so geht es nur darum, zu
überleben und dabei das Gute in sich zu be-
wahren. In „The Road“ beschwört der Vater
seinen Sohn, dass sie „die Flamme“ im Her-
zen weiter tragen müssen. Natürlich ist da-
mit die Flamme der Menschlichkeit gemeint;
sie zu bewahren wird aber auch für den Hel-
den schwierig, wenn er sein Kind vor den
Menschenfressern beschützen will. Andrei
Tarkowski zeichnete die Folgen der Apoka-
lypse nicht ganz so düster. Der „Stalker“ im
gleichnamigen Film führt eine kleine Gruppe
in einen Landstrich, den eine Katastrophe in
einen mythischen Ort verwan delt hat. Hier
geschehen unerklärliche Dinge, sogar eine
Art Wunschbrunnen soll entstan den sein. Als
die Gruppe zu ihm vorzudrin gen versucht,
stellt sie fest, dass im Inneren der hermetisch
abgeriegelten Zone alle weltlichen Über-
zeugungen ihre Bedeutung verlieren. Der Ort
trägt durchaus paradiesische Züge, die Offen-
barung höheren Wissens bleibt aber aus.
Obwohl sich der apokalyptische Film seine
Stoffe nicht durch religiöse Überlieferung be-
glaubigen lassen muss, stellt sich auch ihm
die Frage von falschen und wahren Prophe -
ten. In „Take Shelter“ lässt Jeff Nichols einen
psychisch labilen Mann düstere Vorboten se-
hen. Er beginnt, auch seine widerstrebende
Familie auf den nahenden Untergang einzu -
schwören, und es könnte durchaus sein, dass
alles nur Folge einer Psychose ist. Am Ende
sehen auch Frau und Kind die Zeichen; das
Glück des einen ist hier das Verderben aller
anderen. Den umgekehrten Weg geht der
Held in Andrei Tarkowskis „Opfer“. Er ver-
spricht Gott, sein Glück zu opfern, wenn er
eine heraufziehende Katastrophe abwendet,
von der niemand weiß, welche Ausmaße sie
hat. Als am nächsten Morgen alles gut ist,
löst er sein Versprechen selbst auf die Gefahr
hin ein, dass die schrecklichen Vorzeichen
nur ein Traum gewesen sind.
Seltenheitswert hat hingegen, dass sich ein
Regisseur selbst als (falscher) Prophet insze -
niert. Jean-Luc Godard schickte einst eine Pa-
riser Familie ins „Week-End“ und ließ den
üblichen Urlaubsstau auf den Straßen apoka-
lyptische Ausmaße annehmen. Sein Film
schließt mit der Einblendung: „Ende der Ge-
schichte, Ende des Kinos.“ Allerdings wusste
Godard, dass seine Vorhersage wenig Aus-
sicht auf Erfüllung hat. Im Kino ist das Ende
immer nah, und die nächste Fortsetzung
kommt bestimmt. Michael Kohler Hinweis Das Filmmuseum Düsseldorf zeigt aktuell eine Filmreihe zum Thema „Das Ende der Welt“ (bis zum 29.12). Im Kino „Black Box“ laufen „Melancholia“, „Wall·E – Der letzte räumt die Erde auf“, „The Day After Tomorrow“, „Dunkle Erleuch-tung“, „Stalker“, „Kampf der Welten“, „Apocalypse Now Redux“, „Weekend“ und „2012“. Weitere Details und Ter-mine im Internet. www.duesseldorf.de/filmmuseum/blackbox
„Der Nebel“
SEHENSWERT
D I E K R I T I K E N
DISKUSSIONSWERT
Am Himmel ein Tag 48 Der Aufsteiger 30 Erich Mendelsohn – Visionen für die Ewigkeit 44 Das Geheimnis von Kells (dvd) 55 Die Hüter des Lichts 43 Perret in Frankreich und Algerien 46 Sagrada (kino schweiz) 45 Tony 10 42 Transpapa 52
3/Tres 50 Cold Blood – Kein Ausweg, keine Gnade 38 Festung 38 Jerusalem 32 Parked – Gestrandet 28
41 388
Parked – Gestrandet
O rt der Handlung ist ein Parkplatz in ei-
ner wunderschönen Landschaft. Von
hier aus sieht man direkt auf die weite
Bucht der irischen See, auf die Felsküste und
auf einen Leuchtturm. Auf dem Parkplatz ste-
hen zwei Autos: ein neuer, fahrtüchtiger
blauer Mittelklassewagen und ein gelbes Au-
to, schon sehr abgeschabt. Fred lebt in dem
gepflegten blauen Auto. Er ist durch die Ma-
schen des sozialen Netzes gefallen, denn oh-
ne festen Wohnsitz zählt er als Obdachloser,
bekommt deswegen keine Sozialhilfe und
kommt auch nicht auf die Liste der Sozial -
woh nungen. In seinem Fahrzeug am offenen
Meer lebt er im wahren Wortsinn am Rand
der Gesellschaft. Aber Fred bewahrt seine
Würde. Er hält sein Auto sauber, pflegt seine
Kleidung und gibt seinem Pfennigbaum jeden
Morgen etwas Wasser. Seine Gegenwelt ist
das Städtische Schwimmbad, ein Hort der
Reinlichkeit, Gesundheit und sportlichen Ak-
tivität. Fred hat wenig soziale Kontakte. Das
ändert sich, als er eine verwitwete finnische
Musiklehrerin kennen lernt, Jules. Beide sind
sich auf Anhieb sympathisch, doch Fred wagt
nicht, ihr seinen sozialen Status zu gestehen.
Verkörpert Jules die mögliche Rückkehr ins
bürgerliche Leben, so endet Freds Einsamkeit
auf der Straße, als der junge Junkie Cathal in
das leer stehende gelbe Auto einzieht. Im
Gegensatz zum stets korrekten Fred wirkt
Cathal mit seinen schlechten Zähnen und sei-
ner abgenutzten Kleidung, als sei er auf der
Überholspur des Lebens kontinuierlich unter
die Räder gekommen. Und doch freunden
sich die beiden an, Fred lernt die „wilde Sei-
te des Lebens“ kennen, etwa im Wald Gas
zu geben und schnell abzubremsen, und er
lernt, bei den bürokratischen Sozialbehörden
sein Recht durchzusetzen. Cathal lernt vom
weit älteren Fred Gründlichkeit, Ruhe und
Gelassenheit. Über Cathal gewinnt Fred aber
auch Mut, sich verstärkt der finnischen Mu-
siklehrerin zu nähern. Aber die Freundschaft
der so unterschiedlichen Männer droht im-
mer wieder zu zerbrechen, denn Cathals
Drogensucht ist stärker als alles andere, de-
formiert seinen Charakter. Fred lernt auch
hier eine neue Welt kennen, die Brutalität
der Geschäfte mit der Droge, die seine Exis-
tenz am Parkplatz bedroht.
„Parked“ ist ein sensibel und ruhig erzählter
Film über Armut, Sucht und Einsamkeit.
Aber auch über die Beständigkeit und die
Freude an kleinen Dingen im Alltag. Ganz
besonders ist es ein Film über die Freund-
schaft zwischen von Grund auf verschie de -
nen Menschen. Regisseur Darragh Byrne er-
zählt in seinem Spielfilmdebüt anrührend,
aber nie rührselig von den Verlierern der Ge-
sellschaft, von Menschen, denen nur noch
das Auto oder das Autowrack geblieben ist.
Am Ende hinterlässt „Parked“ ein positives
Gefühl, ohne dass er Zuflucht zum simplen
Happy End nehmen muss. Wolfgang Hamdorf
KINOSTART 29.11.2012
Parked – Gestrandet Parked Scope. Irland/Finnland 2011 Produktion Ripple World Pic./Helsinki Filmi Produzenten Dominic Wright, Jacqueline Kerrin, Aleksi Bar dy Regie Darragh Byrne Buch Ciaran Creagh Kamera John Conroy Musik Niall Byrne Schnitt Guy Montgomery, Gareth Young Darsteller Colm Meaney (Fred Daly), Colin Morgan (Cathal O’Regan), Milka Ahlroth (Juliana), Stuart Graham (George O’Regan), Michael McElhatton (Frank), David Wilmot (Peter), Ta tiana Ouliankina (Aerobic-Trainerin), Diar muid Noyes (Cathals Bruder) Länge 94 Min. FSK ab 12; f Verleih Dualfilm
Ein obdachloser Mann lebt in seinem Auto auf einem Parkplatz und versucht, seiner so-zialen Misere zum Trotz auf sich zu achten und seine Würde zu wahren. Während er sei-ne Zuneigung zu einer verwitweten Musikleh-rerin wegen seiner Armut verschweigt, be-freundet er sich mit einem verwahrlosten Jun-kie – was beide Männer bereichert, wegen der Sucht des Jüngeren aber zur harten Probe für den Älteren wird. Ein feinfühliger Debüt-film über Menschen am Rand der Gesell-schaft, der ohne Verkitschungen einen hoff-nungsvollen Ton anschlägt. – Ab 14.
„Das Geheimnis von Kells“
chen kann. Der Film verdoppelt
gerade nicht die Philosophie des
Killers Cogan, sondern geht im
Gegenteil nah ans Getötetwerden
heran: Kugeln dringen in Ex-
tremzeitlupe in Körper ein, wäh-
rend im Hintergrund ein alter
Jazz-Schlager der 1940er-Jahre
läuft. Die Filmbil der, die in New
Orleans entstan den, präsentieren
dabei Nicht-Orte, die man eher
in der Dritten Welt vermuten
würde als in den USA. So watet
man durch ein umfassendes,
existenzi alistisches Elend und ist
froh, wenn Cogan seinen dre-
ckigen Job endlich erledigt hat.
„Killing Them Softly“ ist ein
Genrefilm mit politischen Ambi-
tionen, dessen radikale Amerika-
Kritik provoziert. Ulrich Kriest
KINO
41 389
Killing Them Softly
Killing Them Softly Killing Them Softly Scope. USA 2012 Produktion Plan B Ent./Annapurna Pic./Chockstone Pic./ Inferno Ent. Produzenten Brad Pitt, Dede Gardner, Anthony Katagas, Steve Schwartz, Paula Mae Schwartz, Mat thew Budman, Will French, Stephen Roberts, Douglas Saylor jr., Roger Schwartz Regie Andrew Dominik Buch Andrew Dominik, nach dem Roman „Cogan's Trade“ von George V. Higgins Kamera Greig Fraser Schnitt Brian A. Kates Darsteller Brad Pitt (Jackie Cogan), Scoot McNairy (Frankie), Ben Mendelsohn (Russell), James Gandolfini (Mickey), Vincent Curatola (Johnny Amato), Richard Jenkins (Fahrer), Ray Liotta (Markie Trattman), Trevor Long (Steve Caprio), Max Casella (Barry Caprio), Sam Shepard (Dillon) Länge 97 Min. FSK ab 16; f Verleih Wild Bunch
Nachdem zwei Kleinkriminelle ein Wettbüro der Mafia ausgeraubt haben, wird ein Killer engagiert, der die Ordnung wiederherstellen soll. Der kühl kalkulierende Profi engagiert seinerseits aber einen Kollegen, weil er einen der Gauner kennt und emotionalen Verwick-lungen aus dem Weg gehen will. Ein dia-loglastiges, in den Mord-Szenen aber hyper-brutales Drama, das vordergründig wie eine Gangstergroteske die Sorgen und Nöte der Killer ausstellt, im Kern aber ein wirtschafts- wie gesellschaftskritischer Gangsterfilm mit politischen Ambitionen ist, der das US-ame-rikanische System einer fundamentalen Kritik unterzieht. – Ab 16.
K illing Them Softly“ kommt
etwa (zu) spät in den deut-
schen Kinos: Wie toll wäre
es gewesen, im Kino zu sitzen
und den Stimmen von Obama
und McCain aus dem US-Wahl-
kampf 2008 zu lauschen, wäh-
rend Obama und Romney auf
der Zielgeraden um den Einzug
ins Weiße Haus 2012 ringen!
Auch ohne ein solches originelles
Feedback bleibt der dritte Spiel-
film von Andrew Dominik ein
vorzüglicher Genrefilm mit politi-
schen Untertönen, der im expli -
ziten Gegensatz zum gewählten
Titel schmerzhaft intensiv das
nur scheinbar coole Tarantino-
Grinsen über Gewaltdarstellung
aus dem Kinosaal vertreibt. Zu-
dem stellt der Film von der Ein-
gangsszene an so einiges, was an
USA-Bildern kursiert, polemisch
vom Kopf auf die Füße.
Zwei nicht besonders helle Klein-
kriminelle haben die brillante
Idee, ein altes, ungesühntes Ver-
brechen zu kopieren. Der, der es
damals beging, prahlte später mit
seiner Cleverness und kam tat-
sächlich ungeschoren davon. Bei
der Wiederholung der Tat würde
nun, so die Annahme des Trios,
der Verdacht sogleich auf ihn fal-
len. Dieser Teil des Plans geht
auch auf, aber die Kleinkrimi -
nellen sehen zu keiner Sekunde
des Films so aus, als könnten sie
am Ende triumphieren. Weil sie
beim Überfall auf eine illegale
Glücksspielrunde aber der Mafia
in die Suppe gespuckt haben,
wird der mit allen Wassern
gewa schenen Profi Jackie Cogan
mit den „Ermittlungen“ beauf-
tragt. Brad Pitt spielt ihn den
Profi als „Cool-Ikone“, und der
Film schöpft nicht wenig Komik
aus den Dialogen zwischen dem
namenlosen Vermitt ler der Orga-
nisation und dem abgebrühten
Ermittler. Cogan weiß, wie der
Hase läuft: Es müssen unmissver-
ständliche Zeichen gesetzt wer-
den, damit „die Leute da drau-
ßen“ kapieren, dass die Welt
nicht aus dem Ruder läuft. Kühl
KINOSTART 29.11.2012
und geschäftsmäßig folgt Cogan
den uralten Regeln und reagiert
ehrlich verstört auf die unpro-
fessionelle Skrupelhaftigkeit der
Organisation. Er weiß: Mit zu
viel Bürokratie und Herum-
geeiere geht das Land bald vor
die Hunde. Cogan ist eben ein
Mann mit Prinzipien: So tötet er
gerne „softly“, aus der Distanz.
Dass Menschen in Todesangst
seltsame Dinge tun, vielleicht
weinen, um Gnade flehen oder
sich vor Angst in die Hosen ma-
chen, findet er ekelhaft und wür-
delos. Zu viel Gefühl. Weil einer
der Männer, die jetzt getötet
werden müssen, sein Gesicht
kennt, lässt Cogan für viel Geld
einen alten Kollegen aus New
York einfliegen. Doch aus dem
einst Zuverlässigen wurde ein Al-
koholiker, der erbärmlich vor
sich hin schwadroniert und
selbst bis zum Hals in Schwierig-
keiten steckt. Also wird Cogan
gegen seine Gewohnheiten Über-
stunden machen müssen.
„America is not a country, it’s a
business!“, sagt Jackie Cogan
kurz vor Schluss, als er in einer
Bar die Siegesrede von Barak
Obama hört, der das gespaltene
Land zu einer „Community“ for-
men will. Für solche Phrasen hat
Cogan nur Hohn und Spott üb-
rig. Er will das Geld, das ihm für
die geleistete Arbeit zusteht,
doch die Organisation will sein
Honorar im Nachhinein drücken.
Es herrscht eben Rezession, da
wird auch unter Gangstern um
jeden Dollar gefeilscht; das hart-
näckige Insistieren Cogans auf
dem Gewicht geschlossener Ver-
träge könnte sich als Spiel mit
dem Feuer erweisen. Vielleicht
hat ein konkurrierender Kollege
schon ein günstiges Angebot un-
terbreitet. Auch hier findet der
Film ein markantes Bild: In bes-
seren Tagen flog der Hit-Man in
der Business-Class, heutzu tage
muss Economy reichen. Alles
dreht sich in diesem Film um
Geld und um Geldgier: Es gibt
keine Werte mehr, höchstens
noch Regeln.
Andrew Dominik, in Neuseeland
geboren, in Australien aufgewa -
ch sen, entwirft die USA als kom-
plett amoralischen Raum, indem
die Exekutive keine Rolle mehr
spielt. Dass derjenige, der hier
Obamas Vision einer restituierten
„Community“ verhöhnt, als ein-
ziger klarer Kopf mit klaren Prin-
zipien ein professioneller Killer
ist, vermag ebenso zu verstören
wie die Tatsache, dass Brad Pitt
diese Rolle spielt. Die Enttäu-
schung über die erste Amtszeit
Obamas scheint mit Händen
greifbar. Ebenso unangenehm ist
die eigentümliche Mischung aus
lakonischen Dialogen und ex-
pliziter Gewaltdarstellung, deren
Ästhetisie rung beklommen ma-