Post on 26-Jan-2021
transcript
ORION 377 5
BeobachtungenBeobachtungenBeobachtungen
Abbildung 1: Das Minor Planet Electronic Circular 2002-V52 vom 11. November 2002
zeigt oben die Messung der Station 699 (Survey LONEOS auf dem Lowell Observatory
in Arizona mit BriAN SkiFF als Beobachter) gefolgt von zehn bestätigenden Positionen
aus Winterthur. Die residuals unten attestieren den Winterthurer Messungen eine
ausgezeichnete Qualität. (Bild: Minor Planet Center)
Eine bemerkenswerte Entdeckung
Ein Quasi-Mond der Venus� Von Markus Griesser
Der im November 2002 entdeckte, erdnahe Aten-Asteroid 2002 VE68 wurde von zweiinternationalen Wissenschafter-Teams mit tiefreichenden himmelsmechanischen Analysenals Quasi-Mond der Venus entlarvt. – Das Spezielle an dieser Geschichte: Die WinterthurerSternwarte Eschenberg war an der Entdeckung und ersten Bahnbestimmung diesesseltsamen Himmelskörpers im Spätherbst 2002 an vorderster Front mit dabei.
Montagabend, 11. November 2002:Nach einem sonnigen Spätherbst-Nachmittag mitten in einem mildenMartini-Sommer fahre ich schon inder Abenddämmerung direkt vomBüro aus in die Sternwarte Eschen-berg, montiere an unserem 40cm-«FRIEDRICH-MEIER»-Teleskop die CCD-Kamera und platziere auf dem mo-bilen Schreibtisch meinen Lap-top.Nach einer guten Viertelstunde hatdie Kamera ihre Betriebstempera-tur erreicht und ich bin einsatzbe-reit. Eigentlich Routine in meinergeliebten Kleinplaneten-Arbeit, diemir schon so manche Überraschunggeschenkt hat.
Ein Rapid Mover
Noch im Büro habe ich in der NEOConfirmation Page des Minor Pla-net Center das brandneu auf demLowell Observatory in den USA ent-deckte, rund 14mag helle Objekt4BB001 gefunden, das im SternbildPegasus mit rund 20 Bogensekun-den in südwestlicher Richtung ra-sant unterwegs ist. Da wir damalsauf der Winterthurer Sternwartenoch nicht über einen Internet-An-schluss verfügten, habe ich mir vomBüro aus auf dem Hauptrechner desMinor Planet Center mit Hilfe unse-res Stationcodes 151 eine Positions-liste im Halbstundentakt für dienächsten Stunden rechnen lassenund arbeite nun mit einer ausge-druckten Liste: Die Arbeitsweisevon digitalen Pfahlbauern – aber:Es funktioniert…
Zuverlässige Beobachtungen
Es gelingt mir dann problemlos, denfür mein Equipment erstaunlich hel-len Lichtpunkt mit insgesamt zehn
je nur 3 Sekunden lang belichtetenAufnahmen sauber zu dokumentie-ren. Die Positionsmessungen sind
mit dem entsprechenden Mess-Pro-gramm rasch ausgeführt. Und auchdas Protokoll, das ich per E-Mail da-
BeobachtungenBeobachtungenBeobachtungen
ORION 377 6
Abbildung 2: Mit rund 20 Bogensekunden pro Minute war der Asteroid 2002 VE68 am
Abend des 11. November 2002 flott unterwegs. in dieser Addition wurden die ein-
zelnen Frames auf den Asteroiden konzentriert. Deshalb sind die Hintergrundsterne zu
Lichterketten auseinandergezogen. (Foto: Markus Griesser)
Abbildung 3: in solchen nierenförmigen Bahnen bewegt sich der Asteroid 2002 VE68
in den nächsten 150 Jahren um die Venus – das koordinatensystem ist dabei auf
unseren Nachbarplaneten zentriert. Auch die Bahnen der Erde und von Merkur sind
eingezeichnet. (Grafik aus Quelle [2])
mals noch über die Infrarotschnitt-stelle meines Mobil-Telefons undmit einer Richtantenne auf den Um-setzer der Swisscom im 15 km ent-fernten Turbenthal nach Cambridgein die USA übermittle, ist rasch er-stellt. – Es läuft wieder mal allesrund an diesem schönen Abend!
Rasche Confirmation
Ich bin dann trotzdem sehr er-staunt, dass nur wenige Minutennach meiner Datenübermittlung be-reits die sogenannte Confirmationhochgeladen ist, ein im Web publi-ziertes spezielles Minor Planet Elec-tronic Circular, mit dem ausserge-wöhnliche, vor allem erdnaheAsteroiden und auch Kometen an-gezeigt werden. [1] Meine erstaunteNachfrage beim diensthabendenDesk Officer TIMOTHY SPAHR bringtmir seine kurze Mitteilung: «Nicegoing!», schreibt SPAHR, der heuteals Direktor dem Minor Planet Cen-ter vorsteht, lakonisch und mit ei-nem Augenzwinkern. Wir sind unsmehr als einmal schon begegnet ineinem nächtlichen Mail-Austausch.
Sogar die NASA wurde aufmerksam
Überrascht hat mich dann eine Me-dienmitteilung, die zwei Tage spätersogar von der NASA verbreitet wird.[2] Als ausgewiesener Lokalpatriotnervt an dieser Mitteilung einzigund allein die Ortsangabe zumEschenberg Observatory «near Zu-rich». Denn Winterthur ist ganz klarnicht Zürich, obwohl die beidenStädte vieles gemeinsam haben!
Offenbar ist der 2002 VE68 kein ge-wöhnlicher NEO, also kein «norma-ler» erdnaher Asteroid. Als soge-nanntes Aten-Objekt hält er sichmehrheitlich innerhalb der Erdbahnauf, war im Entdeckungszeitpunktgut fünf Millionen Kilometer vonuns entfernt und ist somit als PHAeingestuft, also als «Potentiell ge-fährlicher Asteroid». Mich freutzwar dieser erneute hübsche Erfolgeiner bestätigenden Beobachtung,doch ich wende mich dann baldwieder meinen weiteren Arbeitenzu, die bis heute in weit über 20‘000genauen Positionsmessungen,hauptsächlich an erdnahen Klein-planeten, gipfeln. Und so gerät derAsteroid 2002 VE68 für mich in diehinteren Prioritäten und auch ausmeinem Fokus.
Bahnanalysen
Bereits im Mai 2004 berichteten jezwei finnische und amerikanischeForscher in den Monthly Notices ofthe Royal Astronomical Society
über Bahnanalysen am 2002 VE68.[3] Sie konnten dazu lediglich einenBahnbogen von 24 Tagen verwen-den. Als dann 2012 zwei spanischeForscher die Bahn des besonderenAsteroiden nochmals und detailliert
BeobachtungenBeobachtungenBeobachtungen
ORION 377 7
Abbildung 4: Wahrscheinlich ist der Asteroid 2002 VE68 ein Doppelasteroid, ähnlich
dem hier in einem radarbild gezeigten Asteroiden (4179) Toutatis (Foto: JPL/Lance
Brenner et al.)
Abbildung 5: Bahn und Stellung des Asteroiden von 2002 VE68 am 11. November
2002, erzeugt mit dem Datensatz des Minor Planet Center und nachgezeichnet nach
dem Programm EasySky (Grafik: Markus Griesser)
analysierten und über ihre Erkennt-nisse im August ebenfalls in den No-tizen der Royal Astronomical So-ciety berichteten, standen ihnen Be-obachtungen aus einem Zeitraumvon mittlerweile 2‘947 Tagen zur
Verfügung. [4] Entsprechend detail-lierter und genauer waren nun ihreAussagen – und die sind spannend,sehr spannend sogar.Der Asteroid 2002 VE68 hat einestark exzentrische Bahn, die mit einer
mittleren Sonnendistanz von rund108 Millionen Kilometer die Umlauf-bahnen von Erde und Merkurkreuzt. Seine Umlaufzeit deckt sichmit jener der Venus und beträgtrund 224 Tage. Der Asteroid ist sozwar nicht – wie ein richtiger Mond– gravitativ an die Venus gebunden,begleitet sie jedoch auf einer ziem-lich komplizierten Bahn in ihremSonnenumlauf und gilt daher alsQuasi-Mond unseres inneren Plane-tennachbars.
Himmelsmechanische Analysen
Vor allem die neuere der beiden Ar-beiten aus den Jahren 2004 und2012 berücksichtigt die gravitativenStörungen der acht Planeten, unse-res Mondes und beziehen sogar diekleinen Einflüsse der drei grossenAsteroiden Ceres (neu ein Zwerg-planet) sowie von Pallas und Vestamit ein. Es zeigt sich dabei klar,dass der Asteroid 2002 VE68 voretwa 7‘000 Jahren bei einem nahenVorbeiflug an der Erde so stark abge-lenkt wurde, dass er nun in seineheutige Bahn geriet und noch vor-aussichtlich weitere 500 Jahre einQuasi-Mond der Venus bleiben dürf-te. So ist das Dreiersystem Erde, Ve-nus und 2002 VE68 ein schönes Bei-spiel dafür, dass himmelsmechani-sche Bahnen keineswegs in Steingemeisselt sind, sondern sich imWechselspiel der gegenseitigenKräfte und vor allem im Laufe derZeit dynamisch verändern.
Gefahr für die Erde
Diese Erkenntnis hat im Hinblickauf die mittlerweile über 1‘400 po-tentiell gefährliche Asteroiden einefür uns Erdenbewohner auchdurchaus unangenehme Kompo-nente. Momentan fliegen PHAsschon näher als sieben Millionen Ki-lometer an die Erde heran. Es istgut möglich, dass in einer über-schaubaren Zeit einer dieser Klein-planeten im ungüstigen Moment aneinem misslichen Ort steht, wo ihmein grösserer Planet – vielleicht sogardie Erde selbst – den folgenschwe-ren Gravitationskick in unsere Rich-tung gibt. Das wäre dann jenesSzenario, das Science-Fiction-Auto-ren und Hollywood-Regisseure inihren Fantasy-Produktionen ebengenau so ausdenken. Ab einer Ob-jektgrösse von mehr als einem Kilo-meter wäre dies dann nicht einfach
BeobachtungenBeobachtungenBeobachtungen
ORION 377 8
nur ein «dumm gelaufen», sondernein dramatisches Ereignis mit glo-balen Auswirkungen. Mit einer Grösse von rund 270 Me-tern rotiert 2002 VE68 in rund 13,3Stunden und zeigt dabei eine Hellig-keitsamplitude von +0.9mag. Mögli-cherweise handelt es sich also umeinen Doppelasteroiden, einen so-genannten Contact Binary, ähnlichdem Asteroiden (4179) Toutatis.Rund alle acht Jahre gerät er in Erd-nähe und dürfte bei seiner nächstenAnnäherung im November 2018seine definitive Nummer bekom-men. Die Bahngenauigkeit genügtlängst den dafür nötigen Vorausset-zungen.
Schlussbemerkungen
Seit 1998 befasse ich mich mit wissen-schaftlichem Anspruch mit kleinenPlaneten. Mein Interesse an kosmi-schen Kleinkörpern reicht hingegenbis in die frühen 1980er-Jahre zu-rück und gipfelte damals 1986 in derBegegnung mit dem HalleyschenKometen in Australien. Doch seit-
her gab es immer wieder Überra-schungen. Natürlich war die so frühmögliche Bestätigung des Astero-iden 2002 VE68 hauptsächlich einGlücksfall. Aber dass sich hinterdem damals so unscheinbarenLichtpünktchen, das so rasant vordem Sternhintergrund unterwegswar, ein einzigartiger Himmelskör-per verbirgt, ist mir auch mehr alszehn Jahre nach der Entdeckungeine grosse Freude und eine Genug-tuung für gar so manche auf demEschenberg durchwachte Sternen-nacht.
z Markus GriesserLeiter der Sternwarte EschenbergBreitenstrasse 2CH-8542 Wiesendangengriesser@eschenberg.ch
Quellenz [1] www.minorplanetcenter.net/mpec/K02/K02V52.html
z [2] solarsystem.nasa.gov/news/display.cfm?News_ID=3715
z [3] mnras.oxfordjournals.org/content/351/3/L63.full.pdf
z [4] http://arxiv.org/pdf/1208.4444.pdf
Quasisatellit
Quasisatelliten werden auch alskoorbitale Objekte bezeichnet,da sie nach Definition auf derselbenoder einer ähnlichen Bahn dieSonne umkreisen wie ein zweitergrösserer Himmelskörper, im be-schriebenen Fall jene der Venus.Ihre Umlaufszeiten um das Zen-tralgestirn sind identisch undbeide Objekte stehen in einergravitativen Wechselwirkung zu-einander. Im vorliegenden Fallhaben Venus und 2002 VE68eine Bahnresonanz von 1:1. SolcheResonanzen können störendeoder stabilisierende Wirkung ha-ben. Wie im Artikel beschrieben,ist die Erde durch ihre Masse inder Lage, 2002 VE68 in fernerZukunft wieder aus seiner jetzi-gen Bahn zu schleudern. Ent-scheidend wird sein, wie nah derQuasisatellit von Venus bei kom-menden Begegnungen an derErde vorbeizieht. (Red.)
200 Stunden für
Sekundenbruchteile
LunareLichtblitze� Von Marco Iten & Stefano Sposetti
Seit unserem ersten Erfolgim Februar 2011 haben wirüber 200 Stunden Video-aufnahmen von der Schat-tenseite des Mondes ana-lysiert und ausgewertet undbis heute dreizehn möglicheMeteoroiden-Einschlägeerkannt und bestätigt.
Dies ist eine kleine Zahl verglichenmit dem grossen Zeitaufwandwährend zweier Jahre. Es zeigt sich,dass mögliche Einschläge auf demMond, welche von unserem Instru-mentarium wahrgenommen wer-den, relativ selten vorkommen. In
Abbildung 1: Der Lichtblitz vom 21.
Oktober 2011 / 04:32:34 UT. Die Grafik
zeigt die Lichtkurve. Die Vertikale
entspricht der Lichtintensität, die
Horizontale der Dauer (Zeiteinteilung
0,020s).
BeobachtungenBeobachtungenBeobachtungen
ORION 377 9
der ORION-Ausgabe 1/2012 habenwir ausführlich über unsere Über-wachungstätigkeit berichtet.
Astro-Enthusiasten gesucht
Von diesen dreizehn möglichen Me-teoroiden-Einschlägen sind achtwährend dem zunehmenden undfünf während dem abnehmendenMond erfasst worden. Folglich istzwischen Neu- und Vollmond einehöhere Einschlagswahrscheinlich-keit zu erwarten. Alle dreizehn Er-
Abbildung 2: Lage der dreizehn registrierten Lichtblitze auf der Mondoberfläche. Der
CCD-Sensor deckt weniger als die Hälfte der gesamten Mondoberfläche ab und ist
meistens auf den westlichen oder östlichen Horizont gerichtet. Die Pole werden selten
einbezogen. (Quelle: Stefano Sposetti & Marco iten)
eignisse sind sporadischen Me-teoroiden zuzuordnen. Der hellste und längste Lichtblitz,der von beiden Beobachtungspos-ten erfasst und bestätigt wurde, ereig-nete sich am 21. Oktober 2011 miteiner Helligkeit um 8mag und einerDauer von etwa 0,12s.Unser Vorhaben ist es, die Häufig-keit und Auswirkungen dieser Ein-schläge auf dem Mond zu quantifi-zieren. Wir wollen versuchen, dieBeziehung zwischen Helligkeit undDauer des Lichtblitzes, mit den Ei-genschaften des einschlagenden
Objekts und dessen Verwüstung aufder Mondoberfläche, zu berechnen.Ein Vergleich mit den Zahlen vonForschern der NASA, die mit auto-matisierten und ferngesteuertenObservatorien den Mond überwa-chen, ergaben im gleichen Zeitraum(2011-2012) einundsechzig Regis-trierungen. Im Gegensatz zu unse-ren sind die Mehrheit von der NASAregistrierten Mond-Impakte durchdie jährlichen Meteorströme verur-sacht. Ein günstigeres Zeitfensterermöglicht es ihnen, diese erfolg-reich zu erfassen.Im Amateurbereich gibt es leidernoch wenig Interesse, sich mit die-sem Thema zu beschäftigen. ÜberAstro-Enthusiasten, die mit uns zu-sammenarbeiten und dazu beitra-gen möchten, das Wissen über diesefaszinierenden und flüchtigen Er-scheinungen zu erhöhen, würdenwir uns sehr freuen. Unser Know-how ist kostenlos.
z Marco Itenmitensa@ticino.com
z Stefano Sposettistefanosposetti@ticino.com
Der platte Mond Nimmt man einen Massstab zurHand und misst den horizontalenund vertikalen Durchmesser desMondes, so fällt dessen Verfor-mung auf. Schuld an der Abplat-tung trägt die Erdatmosphäre,welche das Licht bricht. Je dichtersich der Mond am Horizont befin-det, desto augenfälliger wird dieserEffekt. Das obige Bild entstandam 25. April 2013. Bei genauemHinsehen erkennt der aufmerk-same Betrachter eine leichte Ab-schattung des linken Mondran-des. Nur wenige Minuten vorMondaufgang begann sich derErdtrabant an jenem Abend zuverfinstern. (Bild: Andreas Wal-ker)